see no evil (richard fleischer, großbritannien 1971)

Veröffentlicht: Januar 28, 2010 in Film
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Die junge Sarah (Mia Farrow) ist nach einem Reitunfall erblindet. Nach der Therapie kehrt sie zurück in das Landhaus ihres Onkels und ihrer Tante, wo sie sich langsam an den neuen Alltag gewöhnen soll. Doch dazu kommt es nicht: Ein Killer hat Sarahs Familie als neue Opfer auserkoren und bringt sie um, als Sarah gerade bei ihrem Freund Steve weilt. Als sie nach Hause zurückkehrt und feststellt, dass sie von Leichen umgeben ist, ist auch der Killer wieder unterwegs zum Tatort, wo er etwas verloren hat …

Für seinen etwas an den vier Jahre vorher unter der Regie von Terence Young entstandenen WAIT UNTIL DARK erinnernden Thriller bemüht Fleischer einen Ansatz, den man bösartig als gimmicky bezeichnen könnte, der ihm aber als Basis für eine sagenhafte Spannungsinszenierung auf höchstem formalen Niveau dient. Vom Killer zeigt er nämlich von Beginn an nur dessen prägnanten Cowboystiefel: Doch anstatt damit lediglich dessen Identität geheimzuhalten, nutzt er das Stilmittel des pars pro toto, um den Mörder gleichzeitig zu charakterisieren wie zu entpersonalisieren und ihn somit zu einer gesichtslosen Naturgewalt zu stilisieren. Schon in der Creditsequenz, wenn die Kamera den Gang des Killers durch nächtliche Straßen verfolgt, ist der Tod in Form von Plakaten, Toneinspielungen und Fernsehbildern im Bildhintergrund sein ständiger Begleiter (hier zeugt der malerische deutsche Verleihtitel „Stiefel, die den Tod bedeuten“ also von ungewohnter Hellsicht): Die Stiefel gehören dem Tod persönlich. Auch die Abwesenheit eines Motivs unterstreicht das Schicksalhafte der Begegnung mit ihm. Es ist wohl der Konvention geschuldet, dass Fleischer diese Metaphorik nicht durchhält und zum Ende die Identität des Mörders auflösen muss: Diese Auflösung ist dann auch der einzige verzeihliche Schwachpunkt eines Films, der vor allem in seiner Bildkomposition eindrucksvoll ist.

Fleischer engt den Bildkader mithilfe einer ausgeklügelten Kameraarbeit soweit ein, dass der Zuschauer das unangenehme Gefühl bekommt, ihm würde die Perspektive beschnitten – ähnlich wie der Protagonistin Sarah. Übersicht spendende und das Geschehen kontextualisierende Totalen gibt es fast überhaupt nicht, und wenn doch, dann bieten sie nicht die gewünschte Information. Stück für Stück nur enthüllt Fleischer seine Geheimnisse: Wir ahnen zwar, dass Sarahs Familie tot ist, doch erst nach und nach liefert uns Fleischer bildliche Beweise für diesen Verdacht. Und wenn Sarah am Schluss auf der Flucht einen Abhang herunterstürzt, ist der Zuschauer kaum weniger überrascht als sie, weil Fleischer vorher darauf verzichtet hat, den Raum zu erklären. So gelingt ihm ein immens spannender und nervenzerrender Thriller, der die panische Angst seiner Protagonistin lückenlos auf den Zuschauer überträgt.

Fleischer ist einer der großen Hollywood-Routiniers, deren Erbe nicht zuletzt durch die Umwälzungen des New Hollywood nivelliert wurde, das sie zu unkreativen Befehlsempfängern stempelte. Als Regisseur von solchen „anspruchslosen“ Studiofilmen wie THE VIKINGS, 20.000 LEAGUES UNDER THE SEA oder FANTASTIC VOYAGE hatte Fleischer zudem das Pech, auch nicht die höheren Weihen der Rezeption durch die Köpfe der Nouvelle Vague zu erfahren, die etwa seinen Landsmann Robert Aldrich für eine intellektuelle Beschäftigung mit ihm retteten. Doch Fleischers Filme der späten Sechziger- und Siebzigerjahre – etwa THE BOSTON STRANGLER, 10 RILLINGTON PLACE, THE LAST RUN, SOYLENT GREEN, MANDINGO – zeigen, dass hier durchaus ein Künstler mit einer sehr eigenen Vision und einem ausgesprochenen technischen Verständnis am Werk war. Für SEE NO EVIL wurde er adäquat unterstützt vom englischen Drehbuchautoren Brian Clemens, der für etliche britische Serien sowie einige der späteren Hammer-Filme verantwortlich zeichnete und ohne den das britische Genrekino kaum denkbar wäre.

Kommentare
  1. […] interessante Parallelen aufdrängen (etwa zu Carpenters SOMEONE’S WATCHING ME, Fleischers SEE NO EVIL, Terence Youngs WAIT UNTIL DARK oder natürlich Hitchcocks REAR […]

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