Mit ‘Brad Bird’ getaggte Beiträge

Die mittlerweile vierteilige MISSION: IMPOSSIBLE-Reihe ist eine merkwürdige Ausnahmeerscheinung unter den vielen Film-Franchises, die Hollywood in den vergangenen 30 Jahren etabliert hat. Beinahe unbemerkt, so wie ihre Protagonisten, hat sie sich zu einer Konstante entwickelt: Ca. alle fünf Jahre kann man mit einem neuen Abenteuer um den Superagenten Ethan Hunt (Tom Cruise) und seine wechselnden Partner rechnen und doch ist man immer wieder überrascht, wenn es soweit ist. Jeder Beitrag ist für sich genommen erfolgreich gewesen, obwohl doch niemand jemals wirklich auf einen neuen MISSION: IMPOSSIBLE-Film gewartet hätte.  Andere Filmserien haben eine treue Fangemeinde, die den Diskurs über das Objekt ihrer Begeisterung auch zwischen den Filmen weiterträgt, ihre Darsteller und die Charaktere, die sie verkörpern, werden zu Kultfiguren, denen man huldigt und die ein Eigenleben entwickeln. Und diese Serien folgen einer Idee, sind in einer konkret entwickelten Welt angesiedelt, die über zahlreiche Beiträge hinweg identitätsstiftend wirken. Über die Jahre hinweg mögen sich diese Idee und die Art, wie sie umgesetzt wird, verändern, so wie sich Menschen über die Jahre verändern, aber der Kern, ihr Wesen bleiben in der Regel unangetatstet. Wesentliche Eingriffe in die DNA eines solchen Franchises machen einen auch nach außen als solchen artikulierten Neustart, neudeutsch: Reboot, notwendig. Wenn ich das richtig sehe, trifft nichts davon auf  die MISSION: IMPOSSIBLE-Filme zu.

Als 1996 Brian De Palmas MISSION: IMPOSSIBLE erschien, da war noch nicht abzusehen, dass sich Hollywood in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr in eine Wiederverwertungsmaschine verwandeln sollte. Die Verfilmung und Wiederbelebung einer langlebigen Agentenserie aus den Sechziger- und Siebzigerjahren war noch eine vergleichsweise originelle Idee, die Serie vielen älteren Zuschauern noch im Gedächtnis, die Erkennungsmelodie wurde in der Neuvertonung von Danny Elfman auf Anhieb ein neuer Evergreen. Brian De Palma konnte sich zwar nicht ganz von einem auf spektakuläre Set Pieces fokussierenden Drehbuch emanzipieren, warf aber einen wohl auch altersbedingten Traditionalismus in die Wagschale, mit dem er die Verbindung zum unterkühlten, von der Paranoia des Kalten Kriegs geprägten Agententhriller weitestgehend aufrechterhielt. MISSION: IMPOSSIBLE nimmt in seinem Werk als Auftragsarbeit verständlicherweise keine besonders hervorgehobene Rolle ein, wird m. E. aber dennoch unterschätzt. Und mit der Heist-Sequenz lieferte er mit dem an Seilen hängenden Hunt ein mittlerweile ikonisch gewordenes Bild, das die spätere Schlagrichtung der Filme mehr beeinflusste als jeder erzählerische Einfall. John Woos schlicht MISSION:IMPOSSIBLE 2 (oder, noch kürzer, M:I-2) benanntes Sequel von 2000 ist gewissermaßen der „schwere Ausnahmefehler“, das Äquivalent zu Jack Sholders NIGHTMARE ON ELM STREET PART 2. Er könnte kaum weiter von De Palmas Film und seinen Nachfolgern entfernt sein und ist wahrscheinlich der am wenigsten gut gealterte Beitrag der Reihe. Woos damals schon nicht mehr ganz aktuellen Manierismen muten heute, wo er längst die Rückkehr in seine Heimat angetreten hat, wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit an. Trotzdem ist sein Film zumindest konzeptionell interessant, greift er doch das Chamäleonhafte, die sich im Tragen zahlreicher Masken äußernde Gesichtslosigkeit Hunts auf und stilisiert ihn zum Übermenschen, der zu Beginn als Freeclimber in Jesus-Christ-Pose an einem gewaltigen Felsmassiv in der Wüste hängt. Eine krasse Abkehr von der technokratischen Intelligenzbestie des Vorgängers. Doch auch wenn MISSION: IMPOSSIBLE 2 der am radikalsten stilisierte Film der Reihe ist und bildlich am weitesten aus ihr herausfällt, so greift er dennoch ein dekonstruktives Element auf, das schon in De Palmas Film angelegt war: Ethan Hunt, von Superstar Tom Cruise nicht gespielt, sondern verkörpert, ist kein Charakter, kein Mensch im eigentlichen Sinne, sondern eine „Cipher“, eine vollkommen leere Projektionsfläche, die sich nahezu beliebig aufladen lässt. Wahrscheinlich ist das die Grundlage, auf der die Serie eine nun fast zwei Dekaden andauernde Existenz aufbauen konnte, ohne dabei jemals eine echte Identität zu entwickeln. J. J. Abrams MISSION: IMPOSSIBLE III, für sich genommen vielleicht der beste Eintrag der Serie (an den ich mich aber leider kaum noch erinnern kann), bedeutete nach Woos Formexzess und einer sechsjährigen Pause einen Neustart, der beinahe naturalistisch ausfiel. Wieder an die Agententhriller-Tradition, der die Reihe entstammt, anknüpfend, bietet er  geradlinige Action, die durch ihr Timing und zudem eine schlicht perfekt komponierte Struktur besticht. Thematisch und stimmungsmäßig etwas an die damals populären Filme um den Agenten Jason Bourne erinnernd, verwirft Abrams deren Intensified-Coninuity-Auswüchse zugunsten einer saubereren Inszenierung der Actionszenen. Es verwundert etwas, dass der Film keinen größeren Nachhall fand, gehört er doch mit Leichtigkeit zu den besten Vertretern des großbudgetierten Actionfilms der vergangenen 10, 15 Jahre.

Der Schachzug, Ethan Hunt wieder mehr menschliches Profil zu verleihen und ihn zum Mittelpunkt eines realistischeren Szenarios zu stellen, war der richtige Einfall, der jedoch in Brad Birds MISSION: IMPOSSIBLE – GHOST PROTOCOL gleich wieder revidiert wird. Die Ecken und Kanten des Vorgängers werden abgeschliffen, das Augenmerk verstärkt auf spektakuläre Set Pieces gelegt, der Versuch, eine Geschichte um menschliche Protagonisten zu erzählen, weicht einer Aneinanderreihung von Episödchen, die von 4 auf den ersten Blick typifizierbaren menschlichen Folien zusammengehalten werden. Statt eines versierten Actionregisseurs (oder, im Fall Abrams‘, eines cleveren Erzählers) inszeniert der ehemalige Pixar-Mann Brad Bird den Film mit Fokus auf die Bilder. So gibt es die Explosion des Kremls zu bestaunen, die ungesicherte Kletterei am Burj Khalifa, dem mit 828 Metern höchsten Gebäude der Welt (ein Stunt, der die erwartbaren und wahrscheinlich einkalkulierten Pressereaktionen nach sich zog), sowie die Verfolgungsjagd durch einen Sandsturm. Starke Bilder, die jedoch die Aktionen der Figuren überlagern: Es gelingt Bird nur selten, echte Dynamik zu erzeugen. Die Wirkung der Burj-Khalifa-Sequenz verpufft auf dem heimischen Fernseher weitestgehend (selbst wenn dieser eine stattliche Größe hat) und entfaltet wohl nur auf der IMAX-Leinwand, für die der Film gedreht wurde, seine volle Kraft. Das größte Manko von GHOST PROTOCOL ist aber seine Leere: Bird bemüht sich um Menschlichkeit, erkennbar vor allem an dem innerhalb der Serie eher ungewöhnlichen, prominent eingesetzten Humor und einem dramatischen Subplot um die vermeintliche Tötung von Hunts Ehefrau, scheitert mit diesen Bemühungen aber an der auf Schauwerte ausgerichteten Oberfläche seines Films. Und an Tom Cruise: Er ist der Inbegriff des nichts dem Zufall überlassenden, peinlichst genau auf sein Image achtenden Superstars, ein Mensch, dessen wahres Wesen hinter einer Vielzahl von Projektionen verschwindet und der deshalb stets unnahbar bleibt, selbst wenn er bei Oprah Winfrey den Mann spielt, der sich das innere Kind bewahrt hat. Für Ethan Hunt, den Agenten ohne Gesicht und ohne Privatleben, ist er gewissermaßen die Idealbesetzung, aber wenn er mit Schauspielern wie Simon Pegg oder Jeremy Renner interagiert, die in einem völlig anderen Universum beheimatet zu sein scheinen, dann wirkt er wie ein Außerirdischer. Das ist Bird nicht ganz verschlossen geblieben, weshalb Hunt dann auch den mythischen Abgang in einer Dampfwolke erhält, während die anderen ganz sterblich „Tschüss!“ sagen, aber der Film leugnet diese Tatsache geflissentlich und tut doch so, als sei Hunt ein Mensch mit einer Geschichte und einem Privatleben. Was bei Abrams noch geklappt hat, das geht hier in die Hose, wohl auch, weil sich das Drehbuch für diese Versuche gar keine Zeit lässt. Der Aufwand, der da in den Action- und Effektszenen betrieben wird, steht in keinem Verhältnis zu den sich auf Soap-Opera-Niveau bewegenden Dialogen, die kaum mehr als Füllmaterial sind, Pausen, damit sich die Zuschauer einen neue Cola holen und aufs Klo gehen können. Brad Birds MISSION: IMPOSSIBLE – GHOST PROTOCOL ist wahrscheinlich nicht der schlechteste Film der Reihe (ich müsste Woos Beitrag erst noch einmal sehen), aber sicherlich der profilloseste und uninteressanteste. Es steht zu befürchten, dass Produzent Tom Cruise die Serie mittlerweile als reines Showcase für sein Ego gekapert hat (Teil 5 steht in den Startlöchern). Das wäre schade, denn die Serie bietet doch gerade aufgrund ihrer Offenheit viel Potenzial für Experimente, seltsame Querschläger und gewagte Sidesteps. Aber selbst ein Film wie Woos erstes Sequel scheint mittlerweile nahezu unmöglich …

ratatouille (brad bird, usa 2007)

Veröffentlicht: Mai 22, 2008 in Film
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Remy (Patton Oswalt) ist eine besondere Ratte, denn er liebt das Essen, während seine Artgenossen einfach nur fressen, ohne Sinn für den Genuss. Als die Ratten ihre bisherige Heimat, ein kleines Häuschen auf dem Lande, verlassen müssen, verliert Remy den Anschluss und landet über Umwege in einem Restaurant in Paris. Sein Talent als Koch verhilft der tolpatschigen Küchenhilfe Linguini (Lou Romano) bald zu unerwartetem Ruhm. Das Misstrauen des intriganten und missgünstigen Küchenchefs Skinner (Ian Holm), der das einst legendäre Restaurant des verstorbenen Meisterkochs Gusteau und dessen Namen mit billigen Tiefkühlgerichten vollkommen heruntergwirtschaftet hat, ist geweckt, weiß er doch, dass Linguini in Wahrheit Gusteaus Sohn und somit der rechtmäßige Besitzer seines Restaurants ist …

Die Berechtigung des Animationsfilms wurde einst vor allem darin gesehen, Dinge auf der Leinwand zu Leben erwecken zu können, an denen ein Spielfilm scheitern musste: anthropomorphisierte Tiere und Maschinen, andere Welten und Mikrokosmen. Dieser „Zweck“ hat sich mit dem Siegeszug digitaler Effekte und der Verwischung der Grenze zwischen Animations- und Spielfilm zusehends verflüchtigt. Doch die Filme des Pixar-Studios, das laut Bordwell und Thompson „is making the most consistently excellent films in America today“, lassen keinen Zweifel daran, dass das Animationskino immer noch seine Berechtigung hat, ja dem normierten Geschehen des Mainstreamkinos vielleicht sogar einen großen Schritt voraus ist. RATATOUILLE macht da keine Ausnahme, übertrifft sogar noch den ebenfalls schon großartigen THE INCREDIBLES von 2004. Dessen satirisch-parodistischem Inhalt und seinen stilisierten Oberflächen setzt RATATOUILLE nun eine menschliche Wärme und Lebendigkeit entgegen, die alle Vorbehalte gegen synthetisch erzeugte Filme und Protagonisten wegwischen. Dabei ist RATATOUILLE der bislang vielleicht komplizierteste Film des Studios, das in Filmen wie FINDING NEMO, MONSTERS INC. und CARS noch überwiegend technische Herausforderungen angenommen hatte (die Darstellung von Wasser, Fell und polierten Oberflächen). In RATATOUILLE werden die gewonnenen Erkenntnisse nun nicht nur zu spekatkulärem Effekt zusammengefügt und die Grenzen des technisch Machbaren erneut herausgeschoben, sondern vielmehr mit der Kombination der einzelnen Faktoren nun genau das erreicht, was bisher als Achillesferse des Animationsfilm galt: die Simulation dessen, was man als „Seele“ bezeichnet. RATATOUILLE tritt an, die sinnliche Erfahrung, die ein wohlkomponiertes Gericht auslöst, auf der Leinwand abzubilden, und damit etwas, das nicht nur unsichtbar, sondern auch verbal kaum zu beschreiben ist. Die Illusion ist perfekt: Im Zusammenspiel aus Bild und Ton gelingt Pixar ein Film, der Gerüche und Geschmäcke simuliert und evoziert. Reine Poesie, denn auch seine warmherzige, rührende und, ja, in den entscheidenden Momenten auch unkonventionelle Geschichte berührt tief im Inneren, an einem verborgenen und verschütteten Ort, an den Worte und Rationalisierungen nicht mehr vordringen können. Es gibt einen paradigmatischen Moment in diesem traumhaften Film, der seine Leistung perfekt verbildlicht: Als der verbissene Nosferatu-artige Restaurantkritiker Anton Ego (Peter O’Toole) das von Remy zubereitete Ratatouille probiert, verwandelt er sich in den kleinen Jungen, der vom Mittagessen seiner Mutter verzaubert wurde und sich ganz dem unbeschreiblichen Genuss hingab. Der Mann, der das Genießen längst verlernt hatte, ist verschwunden. Und RATATOUILLE, dieser Film aus der Maschine, zeigt uns wieder, was es heißt, am Leben zu sein.