Archiv für März, 2008

the patsy (jerry lewis, usa 1964

Veröffentlicht: März 31, 2008 in Film
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Als ein berühmter Schauspieler bei einem Flugzeugabsturz verunglückt, sind seine Angestellten ob der über ihnen hereinbrechenden Leere verzweifelt. Wer wird sie in Zukunft nur beschäftigen? Schnell ist eine Lösung gefunden: Warum ersetzen sie nicht einfach ihren Chef, schließlich wissen sie doch alles über das Business? Der just in diesem Moment hereinschneiende Page Stanley Belt (Jerry Lewis) soll unter ihrer Anleitung zum Star gepusht und so zu ihrem Brötchengeber gemacht werden. Doch dummerweise ist Stanley hoffnungslos untalentiert …

200px-thepatsy.jpgIn der Eröffnung erkennt man gleich mehrere Lewis-Filme wieder, namentlich THE BELLBOY und natürlich THE ERRAND BOY, deren episodische Struktur Lewis nach dem narrativen THE NUTTY PROFESSOR auch wieder aufnimmt. In mal längeren, mal kürzeren Sketchen stellt Lewis einmal mehr sein grandioses komisches Talent unter Beweis, brilliert mit einer auf sehr genauen Beobachtungen beruhenden Situationskomik sowie seinem immensen Repertoire mimischer wie körperlicher Entgleisungen. Das Besondere an THE PATSY, der zunächst eine Weile braucht, um Fahrt aufzunehmen, ist, dass er seinen Witz zu nicht unerheblichem Teil aus Situationen gewinnt, in denen eigentlich nichts Witziges passiert. In einer ausgedehnten Sequenz stößt Stanley etwa reihenweise kostbare Vasen um, die jedoch nicht kaputtgehen, weil er sie stets in letzter Sekunde auffangen kann – Slapstick auf den Kopf gestellt. Eine weitere längere Szene zeigt Stanleys verzweifelte Versuche, dem Publikum eines Comedy Clubs einige Lacher zu entlocken, was ihm mit seiner erbarmungswürdigen Performance jedoch nicht gelingt; vorher hatte er bereits seine Mentoren mit einem grauenhaft falsch erzählten Witz schon zur Verzweiflung getrieben: Der Witz ist, dass Stanley nicht komisch ist. Ebenfalls anbetungswürdig ist sein grauenhaft schlechtes Playback während seines Auftritts als Sänger. Es deutet sich in dieser kurzen Beschreibung schon an, das Lewis’ Clownereien sehr viel komplexer angelegt sind als es zunächst den Anschein hat. Es ist selten die Torte im Gesicht, die für den Lacher sorgt, sondern die Situation, in der sie ihr Opfer trifft: Kontextualisierung ist das Stichwort. Stanleys Eskapaden sind deshalb lustig, weil man als Zuschauer stets vor Augen hat, was eigentlich von ihm erwartet wird – in THE PATSY übernehmen seine Lehrer diese Orientierung stiftende Funktion. Lewis’ Filme profitieren außerdem von einer sehr genauen und liebevollen Charakterisierung ihrer Titelfiguren, die nie für plumpe Späße verheizt werden, sondern als echte Charaktere stets auch eine Entwicklung durchlaufen. So nimmt Stanley am Schluss genau in dem Moment das Heft in die Hand, in dem seine Mentoren ihn entnervt loswerden wollen, und dreht den Spieß um. In den letzten Augenblicken erweitert Stanley/Lewis den Rahmen (also eine Re-Kontextualisierung), macht aus THE PATSY einen lupenreinen Metafilm: Der eben noch anscheinend in den Tod gestürzte Stanley betritt das Bild als Jerry Lewis und spricht seine Filmpartnerin, die eben noch Stanleys Tod betrauerte, mit deren echtem Namen an. Das sei doch alles nur ein Film, da vorne stünden die Kameras. Das Bild zieht auf und man befindet sich am Filmset von THE PATSY, den Lewis nun mit seiner Partnerin verlässt. Der Schauspieler und Regisseur hat seine Filmfiguren von Beginn an kräftig an der Nase herumgeführt, sein Geschäft von Anfang an perfekt beherrscht.

THE PATSY steht seinen Vorgängern in nichts nach: Schlicht famose Gags, irrsinnige Verrenkungen Lewis’, eine tolle Besetzung mit Stars der zweiten Reihe, etwa Peter Lorre, John Carradine oder Keenan Wynn, sowie diverse Gastauftritte garantieren einen Filmabend der das Zwerchfell ordentlich strapaziert, dabei aber auch das Hirn niemals vernachlässigt. Toll!

the nutty professor (jerry lewis, usa 1963)

Veröffentlicht: März 30, 2008 in Film
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Der Chemieprofessor Dr. Julius Kelp (Jerry Lewis) ist die Lachnummer seiner Uni. Mit einem gigantischen Überbiss, einer reichlich unmännlichen Quäkstimme, einem gerüttelt Maß an Tolpatschigkeit und Unsicherheit ausgestattet, nehmen ihn weder seine Studenten noch sein Vorgesetzter Dr. Harnius Warfield (Del Moore) ernst. Als Kelp sein Herz an die hübsche Studentin Stella Purdy (Stella Stevens) verliert und wiederholt Opfer böser Späße wird, startet er eine große Offensive: Mittels einer selbst gebrauten chemischen Substanz verwandelt er sich in den Obermacho Buddy Love (Jerry Lewis) und wird in kürzester Zeit zum gefeierten Star der Stadt. Leider ist die Wirkung des Mittelchens zeitlich begrenzt …

nuttyprofjune07.jpgLewis’ wohl bekanntester Film bildet bis zu diesem Zeitpunkt den absoluten Höhepunkt seiner Regiearbeit. Ausschlaggebend für den erneuten qualitativen Quantensprung ist diesmal die Abkehr vom Episodischen. Dennoch ist THE NUTTY PROFESSOR keine völlige Abkehr vom bisherigen Erfolgsrezept: Wenn Lewis und seine Kollegen hör- und sichtbar über ihre Darbietung lachen müssen oder bei einer anderen Szene aus ähnlichem Grund vorzeitig geschnitten wird, erkennt man den improvisierten Charakter des Lewis’schen Werks wieder. Auch inhaltlich ist der Komiker sich treu geblieben, reflektiert er mit seinem an Stevensons „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“ angelehnten Film doch das (Nicht-)Verhältnis seiner Filmpersona zur Sexualität, das charakteristisch für seine Filme ist. Kelp ist geradezu die Apotheose des Lewis’schen Antihelden, ein liebenswerter Versager, den man trotz seines männlichen Geschlechts wohl am ehesten als asexuell bezeichnen muss. In THE NUTTY PROFESSOR werden diese Charakterzüge konsequent nach außen gekehrt, spiegeln sich in der imposanten Zahnreihe, der dicken Brille, der zerzausten Frisur und der miserablen Körperhaltung. Als sein alter ego Buddy Love wird er dann zu einem wahren Orkan männlicher Libido: großmäulig, aggressiv, chauvinistisch, arrogant. Und das ist vor allem deshalb witzig, weil es dem gewohnten Lewis-Charakter eben völlig entgegensteht. Mit der eindeutigen Sympathieverteilung zugunsten Kelps kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass THE NUTTY PROFESSOR einem Statement gleichkommt, einer Verteidigung des eigenen Erfolgsrezepts. Das ist umso charmanter als Lewis Darbietung in beiden Rollen grandios ist. Wie er gleichzeitig den personifizierten Minderwertigkeistkomplex und dessen komplettes Gegenteil, die amoklaufende Selbstverliebtheit verkörpert, nötigt größten Respekt ab.

Interessant ist auch die ausgeklügelte Farbdramaturgie dieses wunderschönen Films: Die Verwandlung Kelps ist als buchstäbliche Farbexplosion inszeniert, bei der (wie auch an anderer Stelle) die Farben Rot und Blau eine wichtige Rolle spielen. Dies setzt sich am auffälligsten im Interieur eines der wichtigsten Schauplätze des Films fort, dem Tanzlokal „The Purple Pit“, dem Jagdgebiet Buddy Loves, das sich – unschwer am Namen ablesbar ganz in violett gehalten – als Symbiose dieser beiden Farben entpuppt. THE NUTTY PROFESSOR ist inszenatorisch und intellektuell keineswegs zu unterschätzen, auch wenn die „Botschaft“ des Film etwas disneyesk anmuten mag. In Verbindung mit dem in etwas geordnetere Bahnen gelenkten Humor – unvergessliche sind etwa Kelp auf dem Sessel in Warfields Büro, seine spätere Tanzeinlage auf dem Highschool-Ball, Buddy Loves unflätiges Machogehabe sowie Del Moores herrliche Performance – ist THE NUTTY PROFESSOR zweifelsfrei als Klassiker zu bezeichnen, dessen Niveau trotz allen Klamauks Lichtjahre von den Furz- und Dickenwitzen von Shadyacs Eddy-Murphy-Remake entfernt ist.

the errand boy (jerry lewis, usa 1961)

Veröffentlicht: März 30, 2008 in Film
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Die Paramutual Studios unter Leitung von Tom Paramutual (Brian „Quatermass“ Donlevy) machen Verluste und keiner weiß, warum. Ein Spion muss her, der die Lücke im System findet, durch die das Geld verschwindet. Aber es muss jemand von außerhalb sein, am besten ein Dummkopf, der gar nicht weiß, was eigentlich seine Aufgabe ist. Die Wahl fällt auf den Plakatkleber Morty S. Tashman (Jerry Lewis), der sofort als Laufbursche engagiert wird und im Folgenden ein heilloses Durcheinander auf dem Studiogelände verursacht.

200px-errandboy.jpgJerry Lewis nutzt die Prämisse erneut für eine turbulente Sketchshow, die das Niveau ihrer Vorgänger noch einmal deutlich toppen kann. Das hohe Tempo wird bei erstaunlicher Gagdichte bis zum Ende aufrecht erhalten, der selbstreflexive Zug bietet zahlreiche Möglichkeiten für In-Jokes, Gastauftritte (u. a. laufen mal kurz die Bewohner der Ponderosa durchs Bild) wie auch kritische Seitenhiebe auf das Studiosystem, die dem Film die nötige Abwechslung und eine weitere interessante inhaltliche Dimension verleihen. Ich hatte gestern etwa den Eindruck, man können THE ERRAND BOY Gewinn bringend als systemtheoretischen Film betrachten und erklären. Das beginnt mit der aus dem Off kommentierten Einleitung, die deutlich die Differenz thematisiert, aus der Film erst „emergiert“: Da schmachtet sich ein Liebespärchen an, das sich nach Abschalten der Kamera als streitsüchtiges Ehepaar entpuppt. Die Paramutual Studios, in die der Zuschauer dann für den Rest des Films entführt wird, sind eine eigene kleine Stadt, ein perfekt organisierter Mikrokosmos, eben ein System, dass sich selbst durch stetig ablaufende und sich wiederholende Prozesse am Leben erhält und nach dem Code „Gewinn abwerfend/keinen Gewinn abwerfend“ operiert. Eine der systemimmanenten Operationen funktioniert aber nicht richtig: Die Paramutual Studios verlieren Geld, ihre Leiter können aber – weil sie selbst Bestandteil ihres Systems sind – den Fehler nicht finden. Also muss jemand von außerhalb herangezogen werden: Tashman, ein Beobachter zweiter Ordnung, dessen blinder Fleck wiederum seine Einfältigkeit ist, aufgrund derer er seine Aufgabe nicht erkennt. Am Schluss wird jedoch klar, dass Tashman dem Studio auf andere Art und Weise helfen kann: indem er als Filmstar selbst Gewinne generiert. Er wird also ins System integriert bzw. in einem Prozess der Autopoiesis zu einem Bestandteil umgeformt. So wird auch der Film THE ERRAND BOY (bzw. sein Star Lewis) zu einem autopoietischen System: Er erzählt die Geschichte einer Figur, die schließlich Jerry Lewis, der Filmstar wird und damit erst die Bedingungen seiner eigenen Existenz schafft. Weil Tashman in diesem Werdungsprozess aber seine Unschuld verliert – er „ist“ ja nicht mehr nur, sondern er spielt – muss am Schluss ein neuer „Bürotrottel“ (der deutsche Originaltitel) eingeführt werden und auch dieser ist natürlich Jerry Lewis. Seine Zukunft haben wir soeben anhand seines Vorgängers vorgeführt bekommen.

Diese zugegebenermaßen höchstens halbgare Lesart soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass  THE ERRAND BOY vor allem umwerfend komisch ist: Wenn Tashman versucht, die unaussprechlichen Namen der Studiobediensteten auszusprechen und stets nur ein unartikuliertes Gestammel dabei herauskommt, wenn er den Film eines überambitionierten Regisseurs zerstört, indem er stets neugierig in die Kamera gafft, er in einem überfüllten Fahstuhl zwischen einem Zigarrenraucher und einem Nieser feststeckt, kurz: er von einem Fettnäpfchen ins nächste stapft, gibt es meist kein Halten mehr. Mit jedem weiteren von ihm inszenierten Film konnte sich Lewis bisher steigern und auch auf diesen bisherigen Höhepunkt wird er mit THE NUTTY PROFESSOR noch einen draufsetzen.

Der Sohn des britischen Agenten und Ex-Soldaten Major John Tarrant (Michael Caine) wird entführt. In der Verhandlung mit den Kidnappern offenbart sich, dass es einen Verräter in den Reihen des Geheimdienstes geben muss. Als Tarrant merkt, dass diese Konstellation für das Überleben seines Sohnes äußerst ungünstig ist und sein Vorgesetzter, der hypernervöse, zwangsneurotische und gefühllose Bürokrat Cedric Harper (Donald Pleasence), ebenfalls keinen Zweifel an seinen Prioritäten lässt, beschließt Tarrant einen Alleingang …

s7300153.jpgEin interessanter Film, aber kein wirklich zufrieden stellender und als Siegel-Film teilweise nahezu befremdlich. Trotz der Luftveränderung – Siegel ging für THE BLACK WINDMILL nach England und folgte damit seinem Schützling Peckinpah, der dort kurz zuvor STRAW DOGS inszeniert hatte – fühlt man sich zu Beginn gleich heimisch, erkennt man doch in den ersten Sekunden den Beginn von CHARLEY VARRICK wieder: Kinder spielen ausgelassen auf einer großen Wiese, ein Kinderlied spielt dazu, die Credits setzen sich aus Buchstaben-Bauklötzen zusammen. Doch das vermeintliche Idyll wird schon dadurch verzerrt, dass die ganze Sequenz in Standbildern aufgelöst ist. Wenn die Bilder dann zu „laufen“ beginnen, bricht sogleich das Unheil in Form der Entführer herein. Danach entwickelt sich THE BLACK WINDMILL zum mit Abstand tristesten und irgendwie auch grausamsten Film Siegels, was nicht nur dem grauen englischen Himmel anzulasten ist. Die eigentlich simple Prämisse – Vater muss seinen Sohn retten und dazu zum Einzelgänger werden – wird durch ihre Implementierung in das Genre des Agententhrillers mit all dessen üblichen Plotelementen (Hochverrat, Doppelspiel, Geheimidentitäten und hidden agendas) enorm verkompliziert, was Siegels sonstiger Strategie diametral entgegensteht. So schwankt der Film stets etwas unüberzeugend zwischen der Doppelbödigkeit des Agentenplots und der straightforwardness eines Siegel-Films, die sich noch am deutlichsten sicherlich in der Figur Tarrants und dem Finale niederschlägt, das nach dem komplizierten Aufbau aber viel zu unspektakulär erscheint. Michael Caine, dem es wie kaum einem Schauspieler gelingt, großen Ausdruck mit unglaublich wenig sichtbarem Aufwand zu erzielen, hat zwar einen idealtypischen Siegelhelden zu spielen, mit seinem von einem Eastwood grundverschiedenen Spiel ist er für einen solchen aber nicht so recht geeignet. Wenn er seiner vor Sorge um den Sohn fast verrückten Exfrau sagt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, alle die Eigenschaften an ihm zu lieben, die sie bisher gehasst habe, weil diese vielleicht das einzige Mittel seien, den Sohn lebendig zurückzubekommen, so ist das nicht der markige One-Liner, den der überlebensgroß wirkende Eastwood zwischen seinen Zähnen hervorgepresst hätte, sondern eine nüchterne Aussage irgendwo zwischen Selbstanklage und Liebesgeständnis. THE BLACK WINDMILL ist trotz kleinerer Irritationseffekte und Versuche in Richtung trockenen Humors (der Bondismus der Kofferbombe etwa sowie eine Anspielung auf den berühmtesten Geheimagenten der Welt) ein realistisch anmutender und darin ausgesprochen schonungsloser Film, der darin selbst den immer auch leicht comichaft anmutenden DIRTY HARRY in den Schatten stellt. Wenn man etwa gezwungen wird, den Schmerzensschreien von Tarrants Sohn durchs Telefon zu lauschen, dem deliranten Gestammel eines unter Drogen gesetzten Kindes zuzuhören, wenn eine Hauptfigur innerhalb eines Schnittes aus dem Leben scheidet oder der Oberschurke ein äußerst rabiates Ende nimmt, erhält das innerhalb des ansonsten seltsam belanglosen Films einen besonders unangenehmen Beigeschmack. Natürlich ist THE BLACK WINDMILL ausgezeichnet in Szene gesetzt, Donald Pleasence gibt als kaltschnäuziger, hassenswerter Neurotiker eine absolute Galavorstellung und auch atmosphärisch ist der Film gewohnt dicht. Nur von Herzen mögen kann man ihn leider nicht.

charley varrick (don siegel, usa 1973)

Veröffentlicht: März 27, 2008 in Film
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Dieser im Schatten des prägenden DIRTY HARRY enstandene Caper-Film Don Siegels ist jetzt von e – m – s in einer wunderbaren DVD-Edition im Rahmen ihrer Reihe „Meisterwerke der Filmgeschichte“ verfügbar gemacht worden. Auf F.LM habe ich einen kleinen Text anlässlich dieser frohen Kunde geschrieben.

the ladies man (jerry lewis, usa 1961)

Veröffentlicht: März 26, 2008 in Film
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Herbert H. Heebert (Jerry Lewis) hält gerade seinen College-Abschluss in den Händen, da erleidet er ein schweres Trauma: Er beobachtet seine Freundin und potenzielle Ehefrau in spe mit einem anderen Mann. Von diesem Moment an sind Frauen ein rotes Tuch für den gutmütigen Herbert. Entsprechend schwierig gestaltet sich die Jobsuche, denn die Anwesenheit junger Damen ist ihm ein Gräuel. Umso geschockter ist er, als er bemerkt, dass das Haus von Frau Helen N. Wellenmellon (Helen Traubel), in dem er eine Stelle als Mädchen für alles antritt, ein Wohnheim für alleinstehende Damen ist. Das Chaos ist vorprogrammiert.

ladiesmanad2.jpgLewis’ zweite Regiearbeit lebt zuallererst von seinem wunderbaren Studiosetting: Das dreigeschossige Wohnheim ist im Stile eines Puppenhauses gebaut und ermöglicht spektakuläre Choreografien, Kamerafahrten und -perspektiven. Was in Wes Andersons THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU nur wenige Sekunden dauert, darauf baut Lewis seinen ganzen Film auf. Kein Wunder, dass sich dieses Setting bei dem kleinen Steppke eingebrannt hat, der ich bei Erstbegegnung mit THE LADIES MAN vor wahrscheinlich über 20 Jahren war – sonst konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Zurück zum Film: Nach THE BELLBOY bleibt sich Lewis weitestgehend treu. Das bedeutet, dass es zwar diesmal eine rudimentäre Handlung gibt, THE LADIES MAN in erster Linie aber wieder als eine Aneinanderreihung von Gags und Sketchen um den schrulligen Herbert funktioniert. Dieser unterscheidet sich nicht wesentlich von den typischen Lewis-Charakteren aus anderen Filmen, ist liebenswert, aber ungeschickt, freundlich, aber nicht gerade intelligent, auf bübische Art charmant, aber nur mäßig attraktiv. Die von mir bereits in anderen Filmen diagnostizierte Geschlechtslosigkeit bzw. Doppelgeschlechtlichkeit der Lewis-Figuren – in THE GEISHA BOY resp. ROCK-A-BYE BABY wird er Vater, ohne wirklich Ehemann oder Geschlechtspartner zu werden, in THE BELLBOY ist er noch nicht einmal ein Individuum und in CINDERFELLA übernimmt er die Rolle eines männlichen Aschenputtels – äußert sich hier etwa darin, dass er in einer kurzen Exposition seine eigene Mutter spielt und am Ende zwar von seinem Trauma geheilt wird, aber dennoch einen sexuellen Nichtangriffspakt mit den Damen beschließt. Es sind diese Übungen in Gender-Bending, die Lewis Filmcharaktere interessant machen und sie von anderen berühmten „Witzfiguren“ unterscheiden. Natürlich sei nicht bestritten, dass es in erster Linie seine Slapstickeinlagen und absurden Einfälle sind, die seine Filme bei allen dramaturgischen Schwächen (eigentlich sind es eher Verweigerungen) zu einem kurzweiligen Vergnügen machen. Und derer gibt es etliche in THE LADIES MAN: Von der Eröffnungsszene in der von durchweg hypernervösen Menschen bevölkerten Heimatstadt Herberts, über seine Konfrontationen mit einem Bett, Glasnippes, einem Fernsehteam oder diversen Kleidungsstücken, bis hin zu dem verzweifelten minutenlangen Versuch, den von ihm zerquetschten Hut eines äußerst unfreundlichen Gangsters wieder herzurichten (göttlich!), gibt es zahlreiche schlicht brillant gespielte und getimte Gags. Seinen Höhepunkt findet das grellbunte Treiben in einer surrealen Tanzszene, bevor THE LADIES MAN ein etwas unmotiviertes Ende nimmt: Irgendwann ist eben einfach Schluss. Trotzdem: Lewis’ Film dürfte ein einmaliges Erlebnis darstellen, für dessen Genuss man kleinliche Ansprüche an einen „runden Film“ ruhig einmal zurückstellen sollte. Hollywood-Star George Raft hat einen schönen Gastauftritt (wie viele andere „Stars“ der damaligen Zeit auch), de er dazu nutzt eine flotte Sohle mit Lewis – dem standesgemäß natürlich die Rolle der Dame zukommt – aufs Parkett legt …

cinderfella (frank tashlin, usa 1960)

Veröffentlicht: März 24, 2008 in Film
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Als sein Vater stirbt, hat Fella (Jerry Lewis) nichts mehr zu lachen: Seine Stiefmutter (Judith Anderson) und seine beiden Stiefbrüder Maximilian (Henry Silva) und Rupert (Robert Hutton) nutzen den gutmütigen Kerl schamlos aus, degradieren ihn zu ihrem Privatsklaven, anstatt – wie es der letzte Wille des Vaters eigentlich vorsieht – gut zu ihm zu sein. Als ein großer Ball ansteht, auf dem eine waschechte Prinzessin eingeladen ist, erscheint Fella der „Fairy Godfather“ (Ed Wynn), der ihm dabei behilflich ist, das Herz der Prinzessin zu erobern …

aschenblodel.jpgFrank Tashlins CINDERELLA-Adaption vereint wieder die Elemente, die schon seine beiden vorherigen Lewis-Kollaborationen auszeichneten: die ganz auf ihren Hauptdarsteller zugeschnittenen Slapstick-Einlagen, den absurden grafischen Humor in Verbindung mit grellbunten Settings und eine knapp an ungebremsten Kitsch grenzende humanistische Ausrichtung. Letztere geht natürlich ebenfalls mit der Persona Lewis‘ einher. Als sprichwörtlicher „Typ“ Fella, ist Lewis der Vertreter des Durchschnittsbürgers: weder besonders gutaussehend, noch besonders intelligent, noch sonst irgendwie hervorstechend. Ich sage bewusst „Bürger“ und nicht „Mann“, denn Lewis wird in seinen Filmen auf eigenartige Art und Weise entsexualisiert. So wird er zur Identifikationsfigur, zur Projektionsfläche für den Zuschauer, an dessen Stelle nun Jerry Lewis all das erreichen darf, was den armen Tröpfen vor der Leinwand unerreichbar bleibt. Vielleicht liegt es auch an dieser Ausrichtung, das Lewis‘ Stern nach relativ kurzer Zeit verblassen musste: Ein Superstar und Multimillionär war eben irgendwann nicht mehr glaubwürdig in der Rolle des Versagers. CINDERFELLA ist bis auf einige episodische Anwandlungen deutlich handlungsorientierter als etwa THE GEISHA BOY und ROCK-A-BYE BABY; das macht ihn auf der einen Seite als Film „runder“, aber auch weniger lustig. Dass der Ausgang der Geschichte von Beginn an klar ist, fällt hingegen kaum negativ ins Gewicht. Tashlins CINDERFELLA markiert nebenbei den Anfang seines schleichenden Niedergangs: Lewis, mittlerweile selbst Regisseur, fungierte als Produzent, eine Tatsache, die Tashlins Autorität unterwanderte und die Tatsache seiner Autorschaft nach außen hin in Frage stellte. Mir hat CINDERFELLA große Freude bereitet, wenn er auch weder der beste Tashlin- noch der beste Lewis-Film ist. So viel Warmherzigkeit und Leichtigkeit muss einfach honoriert werden.

Zweitsichtung. Ich hatte hier bereits über den Text geschrieben, nicht ganz unmittelbar nach der ersten Sichtung im Januar, die mich doch etwas ratlos hinterlassen hatte. Nicht, weil ich an der Qualität des (damals noch nicht) Oscar-prämierten Coen-Films gezweifelt hätte, im Gegenteil. Direkt nach dem Film wusste ich, soeben etwas wirklich Großem beigewohnt zu haben, einem Film, wie man ihn nur alle paar Jahrzehnte zu Gesicht bekommt. Leider tat ich mich jedoch immens schwer damit, dies an bestimmten Aspekten des Gesehenen festzumachen. Jetzt, nach der zweiten, etwas distanzierteren Sichtung, habe ich ungefähr eine Ahnung, was den Coens mit NO COUNTRY FOR OLD MEN für ein großer Wurf gelungen ist. Im heutigen Tagesfred habe ich im Überschwang behauptet, dies sei der größte amerikanische Spielfilm der letzten vierzig Jahre. Eine Behauptung, zu der ich absolut stehe, auch wenn mir bewusst ist, dass man eine solche Behauptung ja gar nicht belegen kann. Was ist es, was den Film in meinen Augen zu etwas ganz Besonderem macht?

nocountry.jpgNO COUNTRY FOR OLD MEN kreuzt die wohl einflussreichsten amerikanischen Filmgenres, mithin die amerikanischsten Genres überhaupt: den (Spät-)Western und den Film Noir, zwei Genres, die sich durch eine streng reglementierte Bilderwelt und einen eng umrissenen Zeichensatz auszeichnen. Es gibt einen alternden Sheriff (Tommy Lee Jones), der wie seine Spätwestern-Kollegen nicht mehr zurechtkommt in einer Welt, die immer verrückter zu werden scheint; es gibt einen Killer (Javier Bardem), der als eine Mischung aus Psychopath, eiskaltem Engel und überirdischem Racheengel erscheint, eine Blutspur durch den Film zieht und den Wanhsinn personalisiert, dem der Sheriff sich sprach- und hilflos gegenübersieht; und es gibt einen Vietnamveteranen (Josh Brolin), der das große Glück in Form eines Koffers voller Drogengeld findet und damit den Killer auf sich zieht. Von der Wüste verlagert sich das Geschehen erst in die Noir-Dunkelheit nächtlicher Motelzimmer und menschenleerer Straßen, dann schließlich in die trügerische Sicherheit von Suburbia. Der Tod ist schneller als die Protagonisten, das Schicksal schlägt brutal und erbarmungslos zu, denn es hat im Killer Anton Chigurh einen äußerst gewissenhaften Stellvertreter. Entscheidungen ziehen meist unmittelbare Konsequenzen nach sich – für alle Beteiligten. Es scheint keinen Ausweg zu geben: Die Frage ist lediglich, wie lange man den Tod auf Distanz halten kann. Eine bittere, trostlose Weltsicht.

Dennoch ist NO COUNTRY FOR OLD MEN ein Film voller Hoffnung. Das Sterben ist kein Zeichen des Niedergangs, sondern eine Begleiterscheinung des Lebens. Das Schicksal kommt wie es kommt: Sich darüber zu beklagen, ist Eitelkeit, wie es eine Figur nennt. Auch die bequeme These des „Zeitenwandels“ gilt nicht: Es ist das Wesen des menschlichen Daseins selbst, das die merkwürdigsten Auswüchse und mithin auch das Grauen erzeugt. Am Schluss, wenn alle tot sind, außer dem alten Sheriff, durch dessen Augen uns die Coens die Welt gezeigt haben, gibt es einen kurzen Monolog voller Trost: Es wird immer jemand da sein, der uns den Weg weist.

Das Große, Einmalige an NO COUNTRY FOR OLD MEN ist seine Universalität, seine Spiritualität: Die Coens haben sich von ihrer Popkultur-Fixierung gelöst und einen Film gemacht, der die Kraft eines Schöpfungsmythos in sich trägt. Dieser Film wird Bestand haben, wenn Anderes längst vergessen ist.

the bellboy (jerry lewis, usa 1960)

Veröffentlicht: März 24, 2008 in Film
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Ein Blick in das luxuriöse Fontainebleu Hotel in Miami Beach und den Arbeitsalltag des trotteligen Pagen Stanley (Jerry Lewis), der sich mit strengen Vorgesetzten, hinterlistigen Kollegen, anspruchsvollen Gästen, eingebildeten Prominenten und jeder Menge Gepäck herumschlagen muss …

page.jpgDass THE BELLBOY, Lewis‘ Regiedebüt, kein ganz gewöhnlicher Spielfilm ist, wird gleich zu Beginn explizit gemacht: Der Chef von Paramount (Jack Kruschen) warnt den Zuschauer, dass dieser eher eine Sammlung von „silly sequences“ zu erwarten habe. Und so ist es dann auch. THE BELLBOY ist eine Sketchshow, in der es zwar durchaus wiederkehrende Motive, aber keine Handlung im eigentlichen Sinne gibt. Im Zentrum dieser Sketche (aber nicht aller) steht der Page Stanley, der von einem Auftrag zum nächsten gescheucht und dabei bis zum Schluss niemals zu Wort kommen wird. Dabei begegnet er nicht nur dem massiv gestressten Superstar Jerry Lewis, der von einer ganzen Entourage übereifrig serviler Bediensteter begleitet wird, sondern auch einem Stan-Laurel-Double sowie diversen anderen, meist nicht gecrediteten Gaststars. Wie man sich vorstellen kann, schwankt das Niveau der einzelnen Sketche deutlich: Ganz groß ist THE BELLBOY immer dann, wenn Lewis sein eigenes Mienenspiel und sein physisches Geschick in den Mittelpunkt rückt, während andere „verbalere“ Gags heute nicht mehr ganz zünden wollen. Dennoch wird in jeder Sekunde deutlich, dass Lewis längst nicht nur ein Kasper ist, sondern seinen Erfolg vor allem einer bestimmten Weltanschauung verdankt. Diese tritt in THE BELLBOY logischerweise stärker hervor als in den zuletzt von mir gesehenen Tashlins. Lewis‘ Regiedebüt bezieht seinen Witz aus dem Zusammenprall des mondänen Settings, der banalen Aufgabe Stanleys, seinen Versuchen, diese würdevoll zu meistern, und der Ignoranz seiner Umwelt. Wenn er zur Schadenfreude seiner Kollegen mit größtem Eifer und pedantischer Akribie einen riesigen Zuschauerraum bestuhlen muss oder eine stille Minute nutzt, um auf einer leeren Bühne den Dirigenten zu spielen, reiht sich Lewis nahtlos in die lange Ahnengalerie großer Komiker ein, bei denen lustige wie auch tragische Elemente einträchtig nebeneinander existierten. Mit THE BELLBOY gelang Lewis zwar kein Meisterwerk, aber dennoch ein Film, der andeutet, warum er später von der französischen Filmkritik als auteur gefeiert werden sollte.

rock-a-bye baby (frank tashlin, usa 1958)

Veröffentlicht: März 24, 2008 in Film
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Die Filmschauspielerin Carla Naples (Marilyn Maxwell) hat ein Problem: Eine Schwangerschaft kommt ihren Karriereplänen in die Quere. Ihr Agent rät ihr, sich zurückzuziehen, ihr Kind unter Geheimhaltung zur Welt zu bringen und dann an jemanden abzugeben, um von lästigen Mutterpflichten befreit ihren nächsten Film drehen zu können. Aber wer nimmt schon freiwillig ein Baby an? Carla fällt ihr alter Schulfreund Clayton Poole (Jerry Lewis) ein, der damals schwer verknallt in sie war und immer noch in der Kleinstadt Midvale lebt. Tatsächlich würde Clayton alles für seine große Liebe tun und so hat er plötzlich Drillinge am Hals, was für etliche Verwirrungen und Schwierigkeiten sorgt: Nicht zuletzt bei Carlas Schwester Sandra (Connie Stevens), die ebenfalls ein Auge auf Clayton geworfen hat …

babysitter.jpgDer direkte Vorgänger von THE GEISHA BOY präsentiert seinen Hauptdarsteller erneut als Vater wider Willen, diemal jedoch mit deutlich stärkerem Gewicht auf den melodramatischen Aspekt der Handlung. Clayton wird als liebenswerter, aber etwas naiver Junggeselle eingeführt, der seine Jugendliebe längst noch nicht überwunden hat und sich in tiefer Melancholie suhlt. Tashlin siedelt die entsprechenden Szenen in einem hübsch künstlichen Studiosetting an, das die Überlebensgröße von Claytons Empfindungen trefflich verbildlicht, und kontrastiert diese mit den gewohnt absurden Slapstickeinlagen und Lewisschen Grimassierereien. Gleich der erste Auftritt Claytons mündet in eine cartoonhafte Sequenz, die auf dem Dach eines Hauses beginnt und in einem wunderbar choreografierten Kampf mit einem Feuerwehrschlauch kulminiert. Ganz auf das komische Talent Lewis‘ zugeschnitten sind auch die Szenen, die sich um die mehr oder minder erfolgreichen, aber immer rührenden Versuche Claytons, seine Schützlinge zu versorgen, drehen. Gegenüber THE GEISHA BOY, der zwar inhaltlich auch nicht wie aus einem Guss wirkt, aber sich in zwei relativ stringente Hälften teilen lässt, ist ROCK-A-BYE BABY, der von Preston Sturges mitgeschrieben wurde, strukturell etwas zerfahren. Es dauert ca. 40 Minuten, bis Clayton zum Vater wird, in die verbleibende Stunde wird eine Unmenge an Handlung gezwängt, sodass die Auflösung am Ende etwas sehr forciert erscheint. Eigentlich ist das aber nicht weiter schlimm: ROCK-A-BYE BABY ist anachronistische und immer auch etwas spießige Unterhaltung, der man aber einfach nicht böse sein kann. Tashlin inszeniert wieder einmal in knalligstem Technicolor, der Film ist eine Augenweide, Jerry Lewis legt eine unglaubliche physische Präsenz an den Tag und die Gags sitzen wie ein maßgeschneiderter Anzug. THE GEISHA BOY ist der wildere und buntere Film, das tut dem Vergnügen mit ROCK-A-BYE BABY aber keinen Abbruch. Verglichen mit aktuelleren Vater-wider-Willen-Szenarios ist Tashlins Film gar nichts weniger als eine Meisterleistung.