Ich hatte es ja schon angedroht: In nächster Zeit werde ich meine temporäre Quasi-Filmabstinenz dazu nutzen, hier über Hip-Hop zu schreiben. Zum einen, weil mir das Schreiben fehlt, ich aber derzeit nur wenig Lust habe, Filme zu gucken, zum anderen, weil ich das Thema immer schon spannend fand. Über Musik habe ich zudem noch nie wirklich öffentlich geschrieben und kann so gleich mein Spektrum etwas erweitern, was ja grundsätzlich nie verkehrt ist. Natürlich habe ich auch an einigen Inspirationsquellen genascht, da diese aber ausschließlich englischsprachig sind, kann man nur mit sehr bösen Hintergedanken von Ideenklau oder Rip-off sprechen. Damit meine neuen Texte nicht allzu willkürlich erscheinen, werde ich die Veröffentlichung des neuen Nas-Mixtapes zum aktuellen Anlass für den Einstieg nehmen, in der Hoffnung, damit das Interesse des Einen oder Anderen zu bedienen.
Mixtapes scheinen in der derzeitigen Hip-Hop-Landschaft eine neue Funktion anzunehmen. Waren sie früher eher Instrument unbekannter Acts, um Aufmerksamkeit zu wecken, oder ein willkommenes Mittel, Pausen zwischen regulären Veröffentlichungen zu überbrücken und gleichzeitig die Street Credibility zu steigern, werden sie in einer Zeit, in der die Verkaufszahlen auch von großen Rap-Stars immer mehr zurückgehen, das Musikfernsehen kaum noch Musik spielt und Radiosender absurde Zensurauflagen machen, zum wichtigen Marketinginstrument. „The Nigger Mixtape“, das Nas zusammen mit Mixtape-DJ Green Lantern gemacht hat, ist die direkte Reaktion auf die oben genannten Sachverhalte. Als Nas vor ein paar Wochen ankündigte, sein neues, im Juli erscheinendes neuntes Album schlicht „Nigger“ taufen zu wollen, war die Reaktion entsprechend. Wal-Mart und Target, zwei der wichtigsten Großhändler für CDs, verkündeten, dass sie sich weigern würden, ein Album namens „Nigger“ zu verkaufen, was Nas‘ Plattenfirma dazu veranlasste, ihrem Schützling nahezulegen, einen anderen Titel für das Werk zu wählen. „Nigger“ wird nun wahrscheinlich ohne Titel bzw. selbstbetitelt erscheinen und stattdessen gibt es eben „The Nigger Tape“. Nas selbst gab zu verstehen, dass jeder, der das Album kaufe, wisse, wie es tatsächlich heiße. Für ihn hieße es immer noch „Nigger“. Und wahrscheinlich hat seine Strategie schon jetzt besser funktioniert als wenn das Album unbeanstandet erschienen wäre.
Inwieweit „The Nigger Tape“ einen Vorgeschmack auf das komplette Album darstellt, ist natürlich Anlass zur Spekulation. Die schon seit einigen Wochen kursierende Vorabsingle „Be a Nigger too“ ist ebenso darauf enthalten (als Remix) wie der kürzlich geleakte Song „Hero“. Da DJ Green Lantern bei fünf der insgesamt 15 Tracks als Produzent genannt wird, halte ich es für nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei diesen nicht um die finalen Versionen handelt, Nas seine Lyrics stattdessen über recycelte bzw. vorläufige Beats rappt, die auf dem Album ersetzt werden. Allzu viele große Namen enthält die Tracklist noch nicht: Polow da Don, stic.man, Cool & Dre, DJ Toomp, Salaam Remi sowie Keri Wilson und Joell Ortiz sind die einzige, wenig marktrelevante Prominenz. Was aber sicher ist, ist das „Nas“ (so nenne ich es jetzt mal) ein sehr wütendes Album werden wird, dass sich – wie könnte es bei dem ursprünglichen Titel auch anders sein – ganz der Rassenproblematik verschrieben hat und auf Empowerment und Elevation der afroamerikanischen Gemeinschaft abzielt. Barack Obamas Kandidatschaft hat Nas und seine Mitstreiter hörbar beflügelt: So kämpferisch und selbstbewusst hat Hip-Hop wohl seit Public Enemy und Boogie Down Productions nicht mehr geklungen und Nas‘ immer etwas frustriert und bitter klingende Stimme, seine schneidende Präzision erhalten endlich einen Rahmen, in dem sie nicht verwirren oder gar abstoßen. Zu den Tracks im Einzelnen:
1. Intro
Eine einzige Anhäufung von Samples, die allesamt um das Wort „Nigger“ kreisen. Das Intro legt die Stimmung fest und erinnert sowohl an die schon erwähnten Public Enemy als auch an NWA: Nicht zuletzt wohl deshalb, weil einige der verwendeten Samples auch auf deren Meisterwerk „Efil4Zaggin“ auftauchen. Die Ausrichtung des Albums wird hier definiert: Das Wort „Nigger“ ist kein Wort, mit dem der Weiße sein Supremat gegenüber dem Schwarzen ausdrückt, sondern der Ausdruck, mit dem sich der Schwarze vor sich selbst erniedrigt, weil er sich damit in seine ihm von Dritten zugedachte sklavische Rolle fügt. In der zweiten Hälfte des einminütigen Intros setzt zu triumphierenden Bläsern ein Nas-Sample ein: „If they call you a nigger, ain’t nothin‘ to it/Tell ‚em Nas made you do it“. Es sagt viel über Nas‘ Autorität aus, dass man es ihm niemals übel nehmen kann, wenn er seine eigenen Rhymes samplet.
2. Gangsta Rap
Ein kurzer Track, dessen stampfender, nie ganz fließender, sondern immer leicht abgebremster Rhythmus an Jay-Zs Nas-Diss-Track „The Takeover“ erinnert, aber abzüglich dessen Doors-Sample. Textlich ein eher herkömmlicher Battle-Track, der leider aber ohne allzu einprägsame Zeilen auskommt und nach etwa 90 Sekunden das Intro wiederaufgreift. Ich hoffe, dass „Gangsta Rap“ auf dem Album in verlängerter Form auftauchen wird. Klassischer Hip-Hop, der in einschlägigen Foren Postings hervorruft, die ihn als „Straight Fire“ bezeichnen.
3. Cops Keep Firing
Nas‘ „Fuck tha Police“: „Cops keep firing/In my Environment“. Nas rappt – über das zitierte Eigensample – über den Rassismus der US-Polizei, das Strafsystem und die Black Panthers, im Hintergrund läuft dazu, wie um die Justiz-Travestie auch musikalisch umzusetzen, eine Melodie, die an eine durch den Wolf gedrehte Drehorgel denken lässt. Die Drums klingen hier, wie auf den meisten Tracks, sehr organisch und räumlich, ohne allzu großen Bombast. Am Ende fragt Nas: „You still wanna be a Nigger, too?“ und wendet sich damit ganz eindeutig an seine weißen Zuhörer, die das Ghettodasein romantisieren.
4. Hero ft. Keri Wilson
Produziert von Polow da Don markiert „Hero“ den obligatorischen Angriff auf die Singlecharts. Ätherisch klimpernde Synthies, die ein bisschen an die Melodie aus „If I Ruled The World“ denken lassen untermalen den Track, mit dem sich Nas selbst zum Helden stilisiert. Statt zurückhaltender Introspektion wie in genanntem Hit vom 96er-Album „It Was Written“ regiert hier aber der Bombast. In Kontrast zu „Cops Keep Firing“ setzt es dann auch die raumgreifenden Paukenschläge, die überschwänglichen Chöre und ein Arrangement, das der Komposition bis zum Ende immer neue Schichten hinzufügt. Seinen Höhepunkt findet „Hero“ in einem ebenso einfachen wie prägnanten Gitarrensolo. Nichts für Hip-Hop-Puristen, aber genau die Art von larger than life klingendem Popsong, den Nas auf fast jedem seiner Alben unterbringt und mir damit immer wieder eine Gänsehaut verursacht (denke etwa: „Hate me now“). Ach ja, und auch hier zitiert er sich ausgiebig selbst: „Blood of a Slave, Heart of a King“. Wie gesagt: Gänsehaut.
5. Black President
Wenn „Hero“ der spekulative Hollywood-Tearjerker ist, dann ist „Black President“ das tief empfundene Melodram. Wenn man sich diesen mit einem Barack-Obama-Intro und im Refrain mit einem Tupac-Sample ausgestatteten Track anhört, bekommt man eine Vorstellung davon, was es bedeutete, würde Obama wirklich der 44. Präsident der Vereinigten Staaten werden – bzw. würde er es nicht werden. Gemessen an der Hoffnung, die in „Black President“ zum Ausdruck kommt, möchte man sich letzteres aber lieber nicht ausmalen. Dennoch ist „Black President“ kein naiver „Jetzt wird alles besser“-Song. Denn die Ungewissheit bleibt: Wird sich mit dem schwarzen „Brother“ im Weißen Haus wirklich etwas ändern? Dieser Zwiespalt materialisiert sich in „Black President“ im Kontrast pumpender Bässe und einer fragilen Klaviermelodie sowie der diese begleitenden, schwebenden Gesangslinie „Let’s Pretend, Change the World“. Der Song endet wie ein Traum: „It is my distinct honour and privilege to introduce the next President of the United States, Barack Obama.“
6. Association ft. stic.man
Nachdem Nas erklärt hat, warum stic.man von den dead prez der ideale Producer für einen gemeinsamen Track ist, setzt „Association“ ein, der von einer treibenden Basslinie, flächigen Orgeln und flötenden Synthies untermalt ist. Der ganze Song ist ein Aufruf zur Unity, die aber mit materiellem Wohlstand einhergeht: „Association breeds Similarity/That’s why I’m a stay with real rich Niggas/till six Niggas carry me“. Der G-Funk-Vibe des Tracks wird von einer melancholischen Stimmung und den grimmig-entschlossenden Drums unterwandert. Die dead prez, vielleicht die einzigen Rapper, die die kämpferische Attitüde von Public Enemy auch heute noch vor sich hertragen, sind streitbar, „Association“ ist nahezu makellos.
7. Legendary (Mike Tyson)
Das Äquivalent zum Rakim-Song auf „Streets Disciple“ feiert den einst für unbesiegbar gehaltenen Mike Tyson. Fragwürdig, nicht nur, wenn man dem Boxsport mit gemischten Gefühlen gegenübersteht. „Legendary“ ist der erste Uptempo-Track auf dem Mixtape, die schnellen Beats werden begleitet von triumphal-epischen Bläsersätzen und einer orientalisch anmutenden Synthieline. Ohne Zwiefel gut ausgeführt, insgesamt aber eher Wegwerfmaterial, wie es sich leider auf jedem Nas-Album findet.
8. Ghetto (Remix) ft. Joell Ortiz
Sehr sparsam instrumentierter Track, der von einer nackten Rhythmus-Linie aus einem wummernden Bass und einem an Mobb Deep erinnernden Beat untermalt wird. Ein selbstvergessen verhallendes Glockenspiel setzt gemeinsam mit einem Jay-Z-Sample die Akzente.
9. Seen it All (Green Mix)
Die Melodie von „Seen it all“ wird von einem kurzen, leicht gepitchten Chorsample besorgt. Wie auch der Vorgänger klassischer East-Coast-Hip-Hop, ansprechend, aber in der vorliegenden, knapp 90sekündigen Version wenig aussagekräftig. Beste Zeile: „I keep it green like the other side of Bill Bixby“.
10. Esco Let’s Go
Man könnte Schlimmes vermuten, wenn Nas sein alter ego Escobar (dem wir das schlechteste Nas-Album „Nastradamus“ zu verdanken haben) wiederbelebt. Aber „Esco Let’s Go“ ist mit seiner Flötenmelodie, den feierlichen Synthies und der erneut sehr organisch klingenden Drum- und Bass-Line ein Höhepunkt auf dem Mixtape. Was dem Track – wie einigen anderen auch – fehlt, ist ein kickender Refrain und bessere Lyrics. So ist es ein toller Track, der an typisches Gepose verschenkt wird, das nicht prollig genug ist, um hängenzubleiben.
11. N.I.G.G.E.R.
Zurück zum Thema: Vor cinematischen Streichersätzen betreibt Nas Elevation. „They say we N.I. Double-G E.R./We are/Much More/Still we choose to ignore/the obvious/Man, it’s History don’t acknowledge us/We were Scholars long before Colleges/They say we N.I. Double-G E.R./We are/Much More/Still we choose to ignore/the obvious/We are the Slave and the Master/What you lookin‘ for?/We the Question and the Answer.“ Pathos? Ja, definitiv. Aber wenn das so gut klingt und so ehrlich vorgetragen ist, lasse ich mir das sehr gern gefallen.
12. Be A Nigger Too (Remix)
Ein eher entspannt dahingroovender Track, der sich durch einen Soul-Chor, eine sehr dominaten Bassline und leicht perlende, akzentuierte Synthiesamples auszeichnet. Mit der Originalversion des Songs, den man seit Wochen überall im Netz findet, hat diese Version aber fast gar nichts zu tun.
13. Surviving the Times
Ein Hit! Die Floridianischen Hit-Produzenten Cool & Dre liefern einen wunderbar voll produzierten, melodischen und komplex arrangierten Midtempo-Song, den man sich auch als Instrumentalversion gern anhören würde. Nas liefert darüber das nostalgische Ghetto-Narrativ, für das er einst gefeiert wurde. Bei aller Meisterschaft bleibt „Surviving the Times“ dabei angenehm unaufdringlich und unklebrig. Wahrscheinlich werden sich auch hier die Puristen abwenden, ich finde es großartig!
14. Nas Timeline
Ein achteinhalb-minütiges Epos, das sich aus Nas-Samples und einer Art Audiokommentar von Nas himself zusammensetzt. Kein Song, und es bleibt fraglich, ob man sich das mehr als einmal anhören wird. Und ob „Nas Timeline“ tatsächlich auf dem Album landen wird. Verzichtbar.
15. Outro ft. Richard Pryor
Wenn man Richard Pryor samplet, kann man nicht viel falsch machen.
Fazit: Das Mixtape leidet – wie viele Mixtapes – an Sequencing-Problemen. Die Dramaturgie des Albums ist auf jeden Fall verbesserungswürdig. Außerdem hoffe ich, dass der ein oder andere Track hinzukommt, andere herausfallen oder ausgebaut werden. Insgesamt würde ich jetzt sagen, dass „Nas“ das Niveau des Vorgängers halten wird – aber, da sich Nas-Alben bisher fast immer als potenzielle Grower entpuppt haben (Ausnahmen: „I am …“ und „Nastradamus“), spekuliere ich auf mehr. Was fehlt, ist ein finsterer Track in der Tradition von „Made you look“ (aber so einer hat ja auch zuletzt gefehlt) sowie einige etwas einprägsamere Texte. Ich bin dennoch mehr als gespannt auf das vollständige Album – dann ohne DJ-Shouts und nervige Rewinds. Bis dahin wird „The Nigger Tape“ aber noch einige Durchläufe erleben.
Ach ja, einen Download-Link schenke ich mir das kostenlos und legal verfügbare Tape kann man sehr leicht selbst finden. 🙂
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