Archiv für Juli, 2008

fantasy filmfest ’08: vorschau

Veröffentlicht: Juli 31, 2008 in Uncategorized

In ein paar Wochen ist es endlich wieder soweit: das Fantasy Filmfest beginnt und ich bin erneut mit einer Dauerkarte am Start, um mir das volle Programm zu geben. Neben einer Rundum-Berichterstattung hier im Blog wird es wohl auch eine Neuauflage des F.LM-Podcasts geben. Da auf der Website zum Festival nicht nur alle Filme aufgeführt sind, sondern seit heute auch der Timetable für Köln, kann ich an dieser Stelle meinen vorläufigen Fahrplan bekanntgeben und damit meine Vorfreude hoffentlich ebenso befeuern wie die meiner Leser.

Folgende Filme werde ich also vermutlich sehen:

EDEN LAKE
SASORI
THE ART OF NEGATIVE THINKING
BLIND
OUTLANDER (PREDATOR meets THE VIKINGS)
THE MIDNIGHT MEAT TRAIN oder THE OXFORD MURDERS (Kitamura/Clive Barker vs. de la Iglesia)
AFRO SAMURAI
THE INVESTIGATOR
100 FEET (Regie: Eric Red, Hauptrolle: Famke Janssen – lechz)
JACK BROOKS: MONSTER SLAYER (Oldschool-Horror)
MARTYRS
MY NAME IS BRUCE (Bruce Campbell spielt und inszeniert sich selbst)
SHIVER
MUM & DAD
JCVD (Jean-Claude Van Damme spielt sich selbst)
LADY BLOOD (verspätetes Sequel vom französischen Splatterer BABY BLOOD – wer erinnert sich?)
SUMMER SCARS
DANCE OF THE DEAD
LET THE RIGHT ONE IN
DOWNLOADING NANCY (Maria Bello als Masochistin!)
36 STEPS
CA$H (französisches Caper-Movie)
MAD DETECTIVE (Johnny To & Wai Ka Fai!)
SHUTTLE
MIRRORS (Regie: Alexandre HAUTE TENSION Aja)
TRAILER PARK OF TERROR (Comicverfilmung)
CROSSFIRE oder THE REBEL (French Crime vs. vietnamesische Haudrauf-Action?)
L CHANGE THE WORLD (Regie: Hideo THE RING Nakata)
ACOLYTES
THE RED INN oder AWAKE (französische Komödie vs. amerikanisches Prämissenkino?)
THE RAGE (KNB-Latexhorror)
OPAPATIKA
THE SUBSTITUTE
TRANSSIBERIAN (Regie: Brad Anderson)
THE CHASER

Auffällig: Der Torture-Porn-/Tabubruch-Trend geht offensichtlich weiter, generell erleben blutige Horrorstoffe eine Renaissance. Auch episch-historische Hongkongstreifen sind wieder reichlich vertreten, werden aber von mir aller Voraussicht nach vollständig gemieden: Der Sinn steht mir einfach nach anderem. Und bevor Fragen offen bleiben: Die neueste filmische Zumutung von Dario Argento schaue ich mir selbstverständlich auch nicht an, auch wenn mir dann die Ehren-Jeansweste der Fanboy-Innung aberkannt wird. Insgesamt sieht das Programm immens abwechslungsreich und viel versprechend aus und meiner Auswahl musste leider der ein oder andere potenziell interessante Film zum Opfer fallen. Mal sehen, ob das hohe Niveau des Vorjahrs gehalten werden kann.

dvd-regal vol. 4

Veröffentlicht: Juli 31, 2008 in Film

Den nächsten Schwung DVDs zu meiner Hip-Hop-Filmreihe durfte ich heute beim Zoll abholen:

Normalerweise versuche ich mich von Zahlen ja nicht beeindrucken zu lassen, aber im Falle von Nolans Fortsetzung seiner 2005 mit BATMAN BEGINS begonnenen Filmserie möchte man ihnen eine gewisse Relevanz nicht absprechen. Während andere schwindende Zuschauerzahlen beklagen, hat Warner mit THE DARK KNIGHT mächtig abgeräumt. Man könnte kritisch einwenden, dass die Zuschauer, die für den Film gezahlt haben, ihn zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht kannten, ihre bloße Präsenz also noch nichts über die Qualität dessen Films aussagt, noch nicht einmal darüber, ob ihnen der Film denn dann auch gefallen hat. Die absurd hohen Wertungen in der IMDb sprechen aber eine deutliche Sprache …

Aber der Reihe nach: Anders als BATMAN BEGINS ist THE DARK KNIGHT kein Film, der sich schon durch seinen Vordergrund aufdrängt: Die braun getünchte Düsternis des Vorgängers ist einem Blaugrau gewichen, dass man fast schon als naturalistisch bezeichnen möchte. Tatsächlich erinnert nur noch die Anwesenheit Batmans selbst daran, dass dies hier ein Comicverfilmung ist, ansonsten ist es Nolan und Goyer gelungen, alle im Vorgänger noch vorhandenen Reste von Fantastik zu kappen und THE DARK KNIGHT als realistische Großstadt-Crime-Oper erscheinen zu lassen. Damit gewinnt der Film Plausibilität, Relevanz und Glaubwürdigkeit, gleichzeitig opfert er aber auch den für einen solchen Eventfilm nicht ganz unwichtigen Aspekt der Überwältigung. Es gibt keine bahnbrechenden Effekte, keine sich aufdrängenden Gimmicks, kein sich unauslöschlich einbrennendes Bild. Selbst der Titelheld wird beinahe an den Rand des Films gedrängt. Vielleicht ein Vorteil, denn Oberflächenreize nutzen sich in der Regel schnell ab: Nolans Interesse gilt nicht der Filmisierung von Comicbildern, sondern der Geschichte, er zielt auf Substanz, nur ist die eben nicht immer bei Erstsichtung zu erkennen und entsprechend zu würdigen. Und dann: Die Geschichte um den dunklen Rächer im Fledermauskostüm mag geschickt aktualisiert worden sein – THE DARK KNIGHT thematisiert die Frage, wie man einem Verbrecher begegnet, der kein rationales Ziel verfolgt, dessen Handlungen auf keinem logisch aufgebauten Wertesystem fußen, der also nicht erpress- und einschüchterbar ist – aber letztlich ist es doch immer die gleiche Geschichte um das Recht, das man nicht ohne Verluste einfordern kann, um die Ambivalenz des Vigilanten, der das Gute will und dabei unweigerlich das Böse schafft, um das Heldentum, das sich nicht immer in der großen Tat, sondern oft in der Verweigerung einer solchen zeigt. Versteht man THE DARK KNIGHT als Reaktion auf gegenwärtige reale Bedrohungen, so stellt sich zudem die Frage, ob man diese nicht unterschätzt, wenn man ihnen unterstellt, ihnen ginge es nur darum, „die Welt brennen sehen“ zu wollen. Selbst die Psychose des Jokers wird hergeleitet: Sein Amoklauf ist letztlich die Rache für in der Kindheit erlittene Misshandlungen, Ausdruck eines aus den Fugen geratenen Moralempfindens.

Dass THE DARK KNIGHT von den Fans auf Gedeih und Verderb zum modernen Klassiker hochgepusht werden soll, wird nirgends so offensichtlich wie in der Würdigung, die Heath Ledger für die Darstellung des Jokers erfährt. Sein trauriges Schicksal, das ihn auf Ewig mit dem grinsenden Psychopathen mit dem Clownsgesicht verbinden wird, lässt einen unweigerlich an Brandon Lee denken (sogar das Make-Up erinnert an THE CROW), und das verleiht jeder Sekunde seiner Präsenz den Ruch von Legende. Seine Leistung ist gut, aber bestimmt nicht der Geniestreich, als der sie ausgerufen wird – vieles erledigt die einmalig effektive Maske für ihn. Das wird auch daran deutlich, dass Nolan die Ausbrüche des Jokers mit einem texaschainsawmassakeresken Quietschen auf der Tonspur unterlegt, um die unberechenbare Bedrohung zu suggerieren, die Ledgers Joker leider vermissen lässt. Das sich immens schnell abnutzende Schmatzen und Lippenlecken hat er sich wohl von Kinski abgeschaut, sein Gehabe zwischen geckenhafter Clownerie und rasendem Choleriker diversen anderen Kinopsychopathen: Der Gary Oldman der Neunzigerjahre fällt einem dabei etwa ein. Das führt mich zu dem Schauspieler, der vielleicht das unbemerkt schlagende Herz des Films ist. In seiner Leistung zeigt sich zum einen, welchen Wandel ein Schauspieler vollziehen kann, zum anderen, dass große Leistungen auch (und vor allem) in vermeintlich kleinen, unspektakulären Rollen möglich sind. Dem hinter seiner Brille und dem ausgefransten Schnurrbart unscheinbar dreinblickenden Lt. James Gordon verleiht er eine Menschlichkeit und eine Größe, die solchen Figuren für gewöhnlich nicht einmal annähernd zukommt. Im Schatten der großen tragischen Figuren des Films – Batman, Joker, Harvey Dent – ist er derjenige, an dem sich die inneren Kämpfe des Gesetzeshüters am nachdrücklichsten zeigen, gerade weil er die große Geste vermeidet.

Ich möchte es diesem Film hoch anrechnen, dass er mich fragend aus dem Saal entlassen hat, mir die Möglichkeit gegeben hat, an ihm zu zweifeln, anstatt mich mit seiner Finanzkraft zu überrollen. Wenn ich etwas mit Sicherheit weiß, dann dass THE DARK KNIGHT mehr als andere Filme die Möglichkeit offenbart, mit weiteren Sichtungen zu wachsen, sich zu entfalten. Für den Moment muss ich aber eingestehen, dass ich nicht weiß, was all die Menschen, die diesen Film schon jetzt zum Film des Jahres oder gar zum besten Film aller Zeiten küren, in ihm gesehen haben, das mir so komplett entgangen ist.

mixtape, die dritte

Veröffentlicht: Juli 29, 2008 in Musik

Das nächste Mixtape, das den Boden für ein kommendes Album bereiten, die Spannung zum Siedepunkt anheizen soll – auch wenn man anhand der nach wie vor rapide beängstigend miesen Verkaufszahlen von Major-Rap-Releases nicht ganz an den Erfolg dieses Unterfangens glauben mag: Außer Lil‘ Waynes „Tha Carter III“ bleiben bislang alle großen Rap-Alben weit hinter den Erwartungen zurück. Nas, der ja auch in die Mixtape-Offensive gegangen war, konnte in der ersten Woche noch nicht einmal die Hälfte dessen absetzen, was im selben Zeitraum von seinem letzten Album „Hip-Hop is Dead“ über die Ladentische gegangen war. (Für Platz 1 hat es im Zeitalter der Klingelton- und Downloadcharts bezeichnenderweise dennoch gereicht.) Zurück zum Thema: Schlicht „The Preview“ betitelt, erscheint der Vorgeschmack auf das neue Album von Ludacris unter Schirmherrschaft des viel beschäftigten DJ Drama und seines Mixtape-Imprints „Gangsta Grillz“; durchaus ein Zeichen von Qualität. Das Mixtape steht für lau im Netz, wartet mit einer Spielzeit von über einer Stunde auf und ist relativ leicht zu finden. (Einen Link gibt es wegen einer für mich nicht ganz zu durchschauenden Rechtslage also auch diesmal nicht.) Ich habe selbst nur kurz reingehört, kann deswegen also nix Gehaltvolles sagen, aber einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul. Jetzt hoffe ich auf die nächsten Wochen, in denen es hoffentlich vergleichbare Promoaktionen von The Game und eben T.I. gibt.

freddy got fingered (tom green, usa 2001)

Veröffentlicht: Juli 29, 2008 in Film
Schlagwörter:,

Gord (Tom Green) ist 28, lebt noch bei seinen Eltern und hat nur Unfug im Kopf, den er in Form von pointenlosen, albernen Comics zu Papier bringt. Sein Geld verdient er sich mit miserablen Jobs, bis er sich endlich entschließt, sich als Comiczeichner zu bewerben. Doch sein erstes Bewerbungsgespräch ist niederschmetternd. Schnell landet Gord wieder bei seinen Aushilfsjobs, sehr zum Missfallen seines strengen Vaters (Rip Torn) …

Dafür, was eigentlich genau ein Witz ist, gibt es wahrscheinlich mindestens ebenso viele Definitionen wie Komiker. Wollte man als Laie eine eigene Definition aus dem Stegreif aufstellen, man käme wahrscheinlich zu dem Ergebnis, dass ein Witz eines gewissen Aufbaus, einer Dramaturgie bedarf, die sich dann in einer Pointe, einem überraschenden Höhepunkt, entlädt – und müsste sich den berechtigten Einwand anhören, dass man damit zwar etwas über formale Bedingungen, aber noch nichts über den Inhalt gesagt hat. So behelfsmäßig diese Definition auch ist: den typischen Witzseiten-Humor bekäme man damit ganz gut zu fassen, angewendet auf Tom Greens Humor, wie er FREDDY GOT FINGERED prägt, scheitert diese Definition aber kläglich. FREDDY GOT FINGERED ist vordergründig der Vertreter eines Humors, der auf Tabubruch und Ekel setzt, seinem Publikum eher vor den Kopf stößt als ihm sanfte Lacher zu entlocken. So wedelt Tom Green mit Pferde- und Elefantenpenissen herum, wirft kleinen Kindern Flaschen an den Kopf, beißt Nabelschnüre durch, kleidet sich in Hirschkadaver und hat eine Beziehung mit einer querschnittsgelähmten Nymphomanin. Ähnlich wie bei artverwandten Werken wie SOUTH PARK: BIGGER, LONGER AND UNCUT oder den beiden JACKASS-Filmen ist die passende Kritik schnell zur Hand: Man diagnostiziert Verrohung der Sitten, vermisst den subtilen Witz, der neben dem Zwerchfell auch die Hirnhaut kitzelt. Dabei verkennt solche Kritik die unverkennbaren Qualitäten des Greenschen Humors, der sich im Tabubruch längst nicht erschöpft.

Schlüssel zum Verständnis, ja geradezu paradigmatisch für den Film scheint die Eröffnungsszene zu sein: Man sieht eine Reihe von Zeichnungen Gords, die von ihm kommentiert bzw. eher vertont werden: Er liegt auf dem Bett und schaut sich seine Entwürfe an, geht in den sich hinter diesen verbergenden Geschichten geradezu auf. Doch für den Außenstehenden sind diese Geschichten, ist dieser Witz hinter diesen Zeichnungen überhaupt nicht ersichtlich, es gibt sie nicht. Die Katze, die mit Röntgenblick ausgestattet durch Holz – und nur durch Holz – sehen kann, die Banane, die sich für einen Job bewirbt, zwei sich beschimpfende Biber: Gord zwingt den Zuschauer, diese Bilder als Witze zu begreifen, weil er dies tut. Solcher Art ist der Humor von FREDDY GOT FINGERED: Entweder wird die zur Pointe führende Dramaturgie ausgelassen oder aber eine Pointe ohne Kontext vorgeführt. Dass das, was da passiert, komisch sein soll, signalisieren Tom Green und seine Mitstreiter meist mit überzogenem Geschrei und Overacting, das seine Wurzeln im Cartoon hat. Die ganze Welt von FREDDY GOT FINGERED erscheint wie eine Realfilmversion eines fiktiven Zeichentrickortes, wie ein von Menschen bevölkertes Bikini Bottom. Kohärenz und Kontinuität gibt es ebensowenig wie Dezenz und Diskretion. Man könnte Greens grotesk überzogenen Stil durchaus als Bevormundung verstehen, sein Gebrüll, das die Lacher indexiert, als in die Diegese geholte Sitcom-Konservenlacher. Das wäre die wenig wohlmeinende Interpretation. Oder aber man versteht seinen Humor als von jeglichem beschränkendem Ökonomiedenken befreit, als nackte Anarchie, die sich nicht um Nachvollziehbarkeit, Herleitung und Sinn schert, die das als witzig deklariert, was sie als witzig deklarieren will. Humor ist, hier mehr als anderswo, wenn man TROTZDEM lacht. Zwangsläufig weist FREDDY GOT FINGERED einige Rohrkrepierer auf, die aber nicht ins Gewicht fallen, weil der ganze Film eigentlich ein Humor-Experiment ist: Was kann man dem Zuschauer als Witz verkaufen? Angekreidet werden muss hingegen das Bemühen, trotz aller dekonstruktivistischer Ambitionen gleichzeitig eine Geschichte mit Anfang und Ende erzählen zu wollen: Greens Regiearbeit ist gut 15 Minuten zu lang. Aber das macht nichts: In seinen besten Momenten erreicht FREDDY GOT FINGERED eine die Zwänge der menschlichen Vernunft transzendierende Wirkung.

1. Mit seinen Kollegen sitzt der Drogenfahnder der New Yorker Spezialeinheit SIU Danny Ciello (Treat Williams) im Garten des Hauses seiner Eltern. Sie trinken Bier, sie lachen, feiern sich und ihre Erfolge. Aber Dannys Bruder, ein Drogensüchtiger, verdirbt die Stimmung: „Ihr seid auch nur Gauner wie die Mafia mit euren dicken Uhren und den schicken Anzügen!“ Danny wählt die einfachste Lösung des Konflikts: Er schlägt den schwächeren Bruder zusammen. Und bestätigt sich damit vor allem selbst, dass dieser im Recht ist.

2. Als Danny die Absolution bei den Staatsanwälten eines geheimen Untersuchungsausschusses zur Aufdeckung innerbetrieblicher Korruption sucht, bricht seine ganze Verzweiflung aus ihm hervor. Er hat niemanden, außer seine Partner: Der einfache Bürger ist ihm ebenso fremd wie der Verbrecher, den er zu bekämpfen hat. Und die Justiz wiederum tut auch nichts, um ihrem ausübenden Organ zur Seite zu stehen (diesen Konflikt, die Situierung des Polizisten zwischen den gesellschaftlichen Schichten hat Georg Seesslen in seinem Buch „Copland“ sehr ausführlich beschrieben). Danny Ciello wollte als Polizist helfen, die Gesellschaft zu schützen. Aber in Ausübung seiner Tätigkeit hat er nicht nur die Grenze zwischen Recht und Verbrechen überschritten, mit der Dienstmarke wurde er geradezu stigmatisiert, sie kennzeichnet ihn als Aussätzigen. Er ist isoliert. Und nun kappt er auch noch die letzte soziale Verbindung.

3. Danny blüht auf als er reihenweise schmutzige Deals mit dem versteckten Tonband aufzeichnet. Der Eifer, mit dem er auch die heikelsten Treffen noch „verkabelt“ absolviert, muss als selbstmörderisch bezeichnet werden. Danny will erwischt, will für seinen Verrat bestraft werden. Eine Dienstwaffe trägt er schon gar nicht mehr. Noch hält sein Panzer der Belastung statt, nimmt seine Seele keinen sichtbaren Schaden: Aber wenn seine Gattin abends die Klebestreifen und Kabel entfernt, bleiben Brandspuren von der ausgetretenen Batteriesäure zurück. Er ersetzt ein altes Stigma durch ein neues.

4. Je kooperativer Danny ist, je mehr ehemalige Kollegen und Verbündete er verrät, umso mehr verliert er ironischerweise auch das Vertrauen derer, die ihn für ihre Zwecke benutzen. Sein Wort ist nichts mehr wert, weil er ein Verräter ist. Staatsanwalt Polito (James Tolkan) lädt einen kleinen Drogendealer zum Treffen mit Danny ein, der dem Cop unvermittelt ins Gesicht rotzt, bevor er wortlos wieder geht. „Warum lassen sie mich von einem kleinen miesen Verbrecher anspucken?“ fragt Danny hilflos, sich unter der Anspannung vor Krämpfen krümmend. Polito sitzt nur da. Er grinst schadenfroh und wartet darauf, dass die Fassade des Polizisten endlich bricht.

5. Danny hat Glück gehabt: Ein Dealer, der ihn des Meineids hätte überführen können, hat im Lügendetektor-Test versagt. Doch die Anspannung, die längst körperlich Präsenz zeigt, weicht nur für Sekunden von Danny. „Ein Schizo besteht vor dem Lügendetektor, weil er glaubt, was er sagt, auch wenn es gelogen ist. Ich versage, weil ich die Wahrheit sage, sie aber für eine Lüge halte. Ich kenne den Unterschied nicht mehr.“ Danny ist im semantischen Limbo gefangen, in einem Albtraum, der weder ein Ende kennt, noch einer von ihm durchschaubaren Logik folgt. Er kann nur noch warten und die Rolle spielen, die ihm dabei zugedacht ist. Er ist zum Verschwörer gegen sich selbst geworden.

6. Als Danny seinen Partner Gus Levy (Jerry Orbach) überreden will, auszusagen, verweigert sich dieser. Er wird nie so werden wie Danny, ein Verräter, für den er nur noch Verachtung übrig hat. Doch Danny freut sich über diese Ablehnung, über den Kampfgeist des geliebten Partners. Die alten Werte haben noch Bestand, sie waren keine Illusion, kein Traum. Sie sind noch da, werden noch vertreten. „Er ist einer von uns!“, sagt Danny über den Partner, der sich von ihm losgesagt hat. Er ist trotz allem immer ein Cop geblieben. Sein Verrat ist damit total, weil er seine eigenen Basis untergraben hat. Seine Arbeit gegen die Korruption ist wie ein kalter Entzug. „Der Weg in die Korruption ist kaum merklich, der Weg zurück kann nur durch einen Sprung vollzogen werden.“ sagt ein Anwalt. Danny hat das nicht gewusst. Oder doch?

7. Am Ende hat er es doch geschafft, der Entzug ist gelungen. Seine Partner haben Selbstmord begangen oder wurden verhaftet, ihm selbst hat sein Engagement gegen die Korruption die Haftverschonung und einen neuen Job als Ausbilder verschafft. Ein Neuanfang ist das nicht. Als er seinem Kurs vorgestellt wird, fragt einer der Schüler: „Sie sind Danny Ciello? DER Danny Ciello? Ich glaube nicht, dass ich von Ihnen etwas lernen kann.“ Er steht auf und verlässt den Raum. Dannys Blick sagt, dass er weiß, dass er seine Schuld nie ablegen wird. Er wird immer der Verräter bleiben, ein Außenseiter inmitten einer verschworenen Gemeinschaft. Sein flüchtiges Lächeln bleibt ein Rätsel. Es sagt nicht mehr als: Danny hat es geschafft, irgendwie.

Schon einmal hat Lumet den Kampf eines Polizisten gegen die Korruption und die eigenen Leute thematisiert. In SERPICO wird Al Pacino in der Rolle des Einzelgängers zum Helden, zum Vorkämpfer einer moralischen Ordnung, zum Heiligen von New York. So sehr er auch leiden muss, so viel er auch an Verlusten erfährt im Kampf gegen die Hydra, er feiert einen großen Triumph. SERPICO ist aller dunkler Seiten zum Trotz ein Traum, ein wunderschöner Traum. Die Welt kann gereinigt werden, es bedarf nur eines unnachgiebigen Idealisten. In PRINCE OF THE CITY ist der Filz undurchdringlich, der Triumph leise, aber mit unvorstellbaren Qualen verbunden, der Held ein Lügner und Verräter. PRINCE OF THE CITY ist die schmerzhafte Realität.

Filmische Apokalypsen

Veröffentlicht: Juli 28, 2008 in Zum Lesen

Zur aktuellen Ausgabe der epd hat Stefan Höltgen, Herausgeber meiner Zweitheimat F.LM – Texte zum Film und Ehren-Himmelhund, einen lesenswerten Essay beigesteuert, der sich kurz gesagt mit „Atombombenfilmen“ befasst. Noch besser als diese Tatsache: Den Essay kann man auch online lesen und zwar hier. Der Text ist ein Produkt der von Stefan eben frisch begonnenen Arbeit zum Thema „Postapokalypse“, deren Zwischenergebniss man in einem Blog verfolgen kann. Mal sehen, vielleicht steuere ich in absehbarer Zeit etwas dazu bei …

Die drei adretten Damen Schatze Page (Lauren Bacall), Pola Debevoise (Marilyn Monroe) und Loco Dempsey (Betty Grable) mieten sich in dem leerstehenden Appartement eines Steuersünders in New York ein, um von dort aus ihren Plan, einen reichen Mann zu heiraten, zu verfolgen. Aber das erweist sich als komplizierter als erwartet …

HOW TO MARRY A MILLIONAIRE, als erster Film von der Fox in pompösem CinemaScope gefilmt, ist klassisches, glamouröses Hollywood-Kino mit allem, was man diesem zugute halten oder vorwerfen kann. Schon der musikalische Auftakt, eine fünfminütige Overtüre voller Schmelz und Schmalz von einem Orchester vor kitschiger Studiokulisse intoniert, deutet an, dass es in Negulescus Film im Folgenden vor allem um gediegenen, aber bedingungslosen Eskapismus ohne Haken und Ösen geht. Der Plot ist kaum mehr als Anlass für eine mehr oder weniger willkürliche Ansammlung bunter und vergnüglicher Szenen, vor der die hübsch anzusehenden Stars wie Requisiten hin- und hergeschoben werden. Das ist, wie schon erwähnt, durchaus unterhaltsam, manchmal sehr lustig und eben mit dem Glamourfaktor ausgestattet, wie ihn nur das Hollywoodkino jener Zeit vorweisen kann. Wem diese Art harmlos-nostalgischer Berieselung nicht behagt, der mag HOW TO MARRY A MILLIONAIRE ankreiden, dass dieser sich kaum Mühe gibt, sein Anliegen zu verhüllen und sich ganz damit begnügt bunter Bilderbogen zu sein. Diese Ehrlichkeit kann man ihm auch positiv auslegen, dennoch vermisst man auch als wohlgesonnener Zuschauer nach einiger Zeit eine funktionierende Dramaturgie oder auch nur eine gewisse Struktur. Mir hat der Film durchaus gefallen,  weil es Filme, denen es wie diesem gelingt, Leichtigkeit und Stil miteinander zu verbinden, heute nicht mehr gibt. Und jegliche Vorwürfe, die man wegen des nicht mehr ganz zeitgemäßen Frauenbilds machen könnte, werden mit einem Augenzwinkern weggewischt. Marilyn Monroe ist wie immer eine Schau (anspruchsvollere bevorzugen Lauren Bacall), die Frisur von Betty Grable geht hingegen gar nicht und als auserwählte Männer fungieren die späteren B-Movie-Recken Cameron Mitchell (THE TOOLBOX MURDERS) und Rory Calhoun (MOTEL HELL) sowie William Powell aus der THIN MAN-Reihe.

Eine Gruppe von Schauspielern wird von der so genannten Theater Group 40 engagiert. Die Proben finden in einem verlassenen alten Theater auf dem Pier des verschlafenen Küstenstädtchens Eastcliff statt. Mit den miserablen Rahmenbedingungen finden sich die Schauspieler bereitwillig ab, doch dann beginnen die ersten von ihnen unter mysteriösen Umständen zu verschwinden  …

THE FLESH AND BLOOD SHOW: Der Titel knüpft zum einen an das Paradigma des Grand-Guignol-Theaters an, zum anderen scheint er die eigene Strategie auszudrücken. Die Handlung von Pete Walkers Film erinnert dann auch nicht wenig an die Slasherfilme, die ein knappes halbes Jahrzehnt später mit Carpenters HALLOWEEN populär werden sollten. Eine Gruppe von jungen attraktiven Protagonisten wird einer nach dem anderen ins Jenseits befördert, nachdem sie zuvor reichlich Gelegenheit bekommen hat, ihre nackten Körper zur Schau zu stellen. Nun muss man Walkers Film aber vorwerfen, zwar einiges an „flesh“, sprich: nacktes Fleisch, zu bieten, aber in puncto „blood“ die Erwartungen nicht annähernd erfüllen zu können. Dieses Missverhältnis legt den Schluss nah, dass sein Film eine vorsätzliche Mogelpackung ist. Wer Pete Walker Werk ab den mittleren Siebzigern kennt, der weiß, dass er den Horror meist aus realen, aber satirisch überspitzten Rahmenbedingungen zog und den Zuschauer mit einem ätzenden schwarzen Humor konfrontierte. Ob Rentner aufgrund prekärer sozialer Lage zu Kannibalen mutieren (FRIGHTMARE), verkalkte Konservative mittelalterliche Gefängnisse in der Provinz eröffnen (HOUSE OF WHIPCORD) oder bigotte Priester auf Mordtour gehen (HOUSE OF MORTAL SIN), die britische Gesellschaft kommt bei Walker selten gut weg. Der frühere THE FLESH AND BLOOD SHOW hat demgegenüber mit sozialer Relevanz wenig am Hut und bewandert eher postmodern-selbstreflexive Pfade, wie sie eigentlich erst 30 Jahre später im Horror-Mainstream Einzug hielten. Das beginnt bei der leichten Variation typischer Horrorfilm-Klischees – der Mann, der seine Freundinnen spät in der Nacht mit einem Messer in der Brust erschreckt, ist ein Horrorfilm-Darsteller, der seine Performance erprobt –, erstreckt über Film-im-Film-Passagen und merkwürdige Rückblenden und endet bei der puritanischen Motivation des Killers: Dieser ist ein alt gewordener Shakespeare-Darsteller, der seine ebenfalls schauspielende Gattin mit einem jungen Kollegen erwischte und seither von dem Wahn befallen ist, unzüchtige Schauspieler zu bestrafen. Das führt letztlich zu einer innerfilmischen Paradoxie, weil der „Saubermann“ des Films doch entscheidend zu dessen  Schundigkeit beiträgt. Leider hat Walkers Film mit ganz entscheidenden Mängeln zu kämpfen: THE FLESH AND BLOOD SHOW ist zum einen ungeheuer langatmig und langweilig und zum anderen zu preisgünstig, um die langen, uninteressanten Handlungspassagen mit dem Spekatkel auszugleichen, das er im Titel verspricht. Für den Walker-Komplettisten in der nun vorliegenden deutschen ungeschnittenen und restaurierten DVD-Veröffentlichung von e-m-s sicherlich Pflichtprogramm, dem dieser dann auch – wie ich hier – den ein oder anderen interessanten Aspekt abzugewinnen bereit ist. Das ändert aber nichts daran, dass THE FLESH AND BLOOD SHOW ein Langweiler von einigen Gnaden ist.

Wer sich mit Walkers Werk vertraut machen will, dem seien die folgenden Titel empfohlen (die Links führen zu meinen alten Tagebucheinträgen): FRIGHTMARE, HOUSE OF WHIPCORD, HOUSE OF MORTAL SIN, THE COMEBACK und DIE, SCREAMING MARIANNE.

Der Kameramann Harry Hinkle (Jack Lemmon) wird während einer Football-Liveübertragung vom Spieler Luther „Boom Boom“ Jackson (Ron Rich) über den Haufen gerannt und erleidet eine Gehirnerschütterung. Sein Schwager, der zwielichtige Anwalt Willie Gingrich (Walter Matthau), sieht die Chance auf das große Geld: Er überredet Harry dazu Lähmungserscheinungen zu simulieren und so ein großes Schmerzensgeld zu erschwindeln. Als Köder fungiert Harrys Exfrau Sandy (Judy West), über die er nie hinweggekommen ist und die sich sofort auf den Weg zu ihm macht, als sie von seinem Unfall erfährt. Doch Harry fühlt sich mit dem Schwindel mehr und mehr unwohl, zumal der schuldbewusste „Boom Boom“ Jackson seine Karriere zugunsten seines „Opfers“ vollkommen vernachlässigt …

THE FORTUNE COOKIE gilt gemeinhin als echter Billy-Wilder-Klassiker, begründete zudem die erfolgreiche Filmpartnerschaft von Lemmon und Matthau, die bis in die späten Neunzigerjahre anhielt, und verschaffte letzterem seinen wohlverdienten Oscar. Insofern ist es wahrscheinlich Ketzerei, wenn ich gestehe, dass mir THE FORTUNE COOKIE zwar gefallen, mich aber keineswegs so umgehauen hat, wie ich das erwartet hatte. Eigentlich ist Wilders Film eher traurig als komisch, streckenweise ziehen einen der Schwindel von Gingrich und Hinkle, die berechnende Geldgier Sandys geradezu herunter, leidet man mit dem armen Footballspieler, der gar nicht weiß, das er einer Betrügerei aufsitzt. Natürlich ist das von Billy Wilder genauso intendiert: Nach dem locker-flockigen KISS ME, STUPID ist THE FORTUNE COOKIE wesentlich ernster, von einer ernst gemeinten Moralität durchzogen und schon ein Vorgeschmack auf das, was etwa mit dem grandiosen AVANTI! einige Jahre später folgen sollte. Vielleicht muss eine weitere Sichtung her, vielleicht ist eine falsche Erwartungshaltung Schuld, dass mich THE FORTUNE COOKIE etwas enttäuscht hat: Ich wollte einfach etwas anderes. Nach dem turbulenten Auftakt verlieren sich nämlich das Tempo, das Wilders Filme sonst immer vorlegen, ebenso wie der Witz zugunsten der Tragik und der Erkenntnis, dass die meisten Menschen vom Geld korrumpiert sind, alles dafür tun würden, um etwas vom Reichtum der anderen abbekommen zu können. Das ist ohne Zweifel höchst kunstvoll, bei aller thematischen Schwere unglaublich leichtfüßig inszeniert und das Zusammenspiel von Lemmon und Matthau ist einfach göttlich. Ein für Wilder ungewöhnlich düsterer, nichtsdestotrotz schöner Film, den ich wohl zu einer anderen Gelegenheit nochmal sehen muss, um ihn so zu würdigen, wie er das ohne Frage verdient hat.