Archiv für Januar, 2009

51uh1wugwjl_sl5001Der eigenbrötlerische, knurrige Maler Gulley Jimson (Alec Guinness) macht für seine Kunst keine Kompromisse. Doch leider will niemand seine Visionen hinreichend honorieren, was nicht zuletzt seiner schwierigen Art zuzuschreiben ist: Jimson ist ein schlechter Verkäufer. Um sein magnum opus zu kreieren, greift er deshalb auch zu nicht ganz legalen Mitteln. Als er die perfekte Wand für sein Bild des Lazarus im noblen Wohnhaus eines reichen Ehepaars entdeckt hat, nistet er sich dort kurzerhand ohne Wissen der abwesenden Eigentümer ein und beginnt die Arbeit …

Man kann sich Neames Film nicht ohne Guinness vorstellen, dem es auf eindrucksvolle Art und Weise gelingt, dem Zuschauer eine nicht gerade als sympathisch zu bezeichnende Figur sympathisch zu machen. Jimson ist genau genommen sogar ein ziemliches Ekelpaket: asozial, rücksichtslos, selbstsüchtig und unzugänglich, ein von der Kunst Besessener, der an dem Dilemma leidet, auf seine Mitmenschen angewiesen zu sein, ohne sich jedoch für diese besonders zu interessieren. Neames Film behandelt die Beziehung von Künstler und Publikum und zeigt eine Welt, in der diese Beziehung von einer unüberbrückbar erscheinenden Kluft gestört ist. Jimsons potenzielle Kunden haben gar nicht den Sinn dafür, sich mit dessen Kunst ernsthaft zu beschäftigen, sie ist zum bloßen Dekor verkommen, mit dem man seine Wohnräume gestaltet; auf der anderen Seite hat sich  auch Jimson von seinem Publikum entfremdet. Er führt eine Einsiedlerdasein, meidet den Kontakt zu den Menschen, weil er ihnen nichts mehr zu sagen hat, sie als Störenfriede begreift. Die Malerei ist sein einziges Interesse, doch dieses Interesse ist völlig abgekoppelt von dem Wunsch, seine Bilder auch einem Publikum zu zeigen. Jimsons größtes Werk wird so auch seine größte Niederlage: Niemand versteht sein unzählige Füße darstellendes Lazarus-Bild. Das Bild, das für niemanden außer den Künstler gemalt wurde, ist ein Monstrum. Natürlich gibt es ein versöhnliches, wenn auch nicht anheimelndes Ende für diesen Film, der komisch ist, ohne billige Lacher zu provozieren, traurig, ohne rührselig zu sein, ernst, ohne mit dem Zeigefinger zu wedeln, beeindruckend, ohne aufdringlich zu sein. Kurzum: ein Glücksfall.

playtime (jacques tati, frankreich 1967)

Veröffentlicht: Januar 21, 2009 in Film
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20070309183359play_time1Wie auch schon bei MON ONCLE: Ich kann über dieses Gedicht von einem Film nichts sagen, was dem Werk irgendetwas Wesentliches hinzufügen würde. Das mag durchaus an meiner derzeitigen Unlust liegen. Vielmehr halte ich es aber für Tatis Verdienst, der mit der Verwirklichung dieses Lebenswerks (ich glaube, wenn jemand über die Finanzierung seines eigenen Films in die Pleite geht, darf man das so nennen) ein eindrucksvolles Beispiel dafür vorgelegt hat, das unerklärliche Magie und voraussetzungslose Klarheit sich nicht ausschließen müssen, sondern mit einander Hand in Hand gehen können. Darüber hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass PLAYTIME in seiner Struktur Blake Edwards Klassiker THE PARTY vorwegzunehmen scheint: Nach dem jeweils sehr episodischen Aufbau in den ersten beiden Dritteln kulminieren beide Filme in einer ekstatischen Party. Edwards gab so seinen Kommentar zur Hippiebewegung der späten Sechziger ab, Tati hingegen transzendiert die Aporie, in der er den Menschen sieht, und die er schon in MON ONCLE thematisierte: die Entfremdung des Individuums durch die Errungenschaften des Kapitalismus und Industrialismus. PLAYTIME zu sehen ist ein heilsamer Prozess.

wer nicht schreiben will, muss (ver)linken

Veröffentlicht: Januar 15, 2009 in Film, Zum Lesen

Da ich derzeit nichts oder zumindest kaum etwas zu sagen habe, überbrücke ich die Durststrecke mit einem Link zu – wieder mal – Armond White, der diese Woche das Biopic über die 1997 ermordete Rap-Ikone Notorious B.I.G. aka Biggie Smalls aka Christopher Wallace bespricht. Biggie trug mit seinem 1994 veröffentlichten Debut-Album „Ready to Die“ maßgeblich zur kommerziellen Rückkehr des Ostküsten-Raps bei, der seit Beginn der Neunzigerjahre nur noch die zweite Geige nach dem G-Funk der Westküste gespielt hatte, und ist eine Schlüsselfigur des damals schwelenden Hip-Hop-Kriegs zwischen Ost und West. Die Hintergründe seiner Ermordung sind immer noch genauso ungeklärt wie die des Mordes an seinem größten Konkurrenten, der Westcoast-Ikone Tupac Shakur, der nur wenige Monate zuvor in Las Vegas erschossen worden war. Wer sich für die genaueren Umstände hinter diesen Ereignissen interessiert, erhält hier einen umfassenden Einblick.

Die neureiche Familie Whiteman um den Kleiderbügel-Fabrikanten David (Richard Dreyfuss), seine im New-Age-Wahn befindliche Gattin Barbara (Bette Midler), den verklemmten Sohn Max und die essgestörte Tochter Jenny hat eigentlich schon genug Probleme.  Offensichtlich aber nicht für Dave, denn der eilt nicht nur geistesgegenwärtig zur Rettung, als der Obdachlose Jerry (Nick Nolte) sich in seinem Pool ersäufen will, er nimmt den Geretteten auch noch bei sich auf. Und Jerry beginnt nun mit unkonventionellen Methoden die Probleme der Whitemans nach und nach aufzulösen. Doch dabei ist er längst nicht nur auf den Vorteil der anderen bedacht … 

downandoutinbeverlyhills1MY MAN GODFREY goes 80er. In dem Screwball-Klassiker mit William Powell engagierte eine Millionärstochter den zwar obdachlosen, aber nichtsdestotrotz hochgebildeten Godfrey als Butler. In dieser Funktion deckte dieser die Borniertheit, Undankbarkeit und Langeweile seiner Geldgeber gnadenlos auf und hielt ihnen den Spiegel vor, um so schließlich einen Selbstfindungs- und Besserungsprozess einzuleiten (mehr dazu hier). Mazursky versieht diesen Stoff mit entscheidenden Variationen, um ihn für die Achtzigerjahre zu adaptieren. So äußert sich in Daves plötzlichem Wandel zum Menschenfreund das Bedürfnis der Reichen nach Absolution und das diesem zugrunde liegende schlechte Gewissen. Daves Leben liegt in Trümmern, das Bekenntnis zum Altruismus ist letztlich dem Egoismus verpflichtet: Dave rettet Jerry, weil er die Notwendigkeit erkannt hat, in seinem Leben etwas ändern zu müssen. Jerry kommt ihm gerade recht, ist letztlich Daves Mittel zum Zweck. So frönt Dave dem simulierten Pennerleben und probt den konsequenzlosen Ausstieg aus dem Wohlstand. Auch Barbara frisst nach anffänglichem Misstrauen einen Narren an Jerry, findet in ihm einen neuen Lifestyle-Guru, dessen Weisheiten sie nachhängen kann. Mazursky zeichnet die Verlogenheit der Neureichen treffend nach, jedoch – und das unterscheidet ihn von unsympathischeren, forcierteren Abgesängen auf Ober- und Mittelschicht – ohne seinen Protagonisten mit Hass und Zynismus zu begegnen. Die Whitemans sind eigentlich eine sympathische Familie, die lediglich in den Konventionen ihres Biotops Beverly Hills gefangen ist. Dass sie sich kopfüber in ihre Neurosen stürzen und dann an den unmöglichsten Orten nach Hilfe suchen, kann man ihnen kaum vorwerfen. Und anders als in vergleichbaren Lehrstücken ist Jerry hier auch kein Quell unerschütterlicher Tugend: Als er merkt, was es für ihn zu holen gibt, nutzt er die Whitemans nach Strich und Faden aus, nimmt sich, was er bekommen kann. Es ist ein meisterlicher Zug dieser Komödie, dass sie beide Seiten am Ende miteinander versöhnt, anstatt den einen seinen „Sieg“ auf Kosten des anderen feiern zu lassen. Die Whitemans haben dank Jerry Einsicht in ihre Fehler und Irrtümer erhalten. Einer davon war, dass sie die Verantwortung für ihr Leben einem Fremden in die Hände legten. Einen schwereren begehen sie jedoch nicht: Sie geben ihm nicht die Schuld dafür, dass er nicht das Ausbund an Moral ist, das sie in ihm sehen wollten, sondern ein auch nur Mensch wie sie.

2799814190101489989bdsdqt_ph11Ich verehre KISS. Der Grundstein für diese Verehrung wurde durch eine Ausgabe der BRAVO gelegt, die mir im Kindesalter – ich muss zwischen zwei und vier Jahren alt gewesen sein – im Kinderzimmer meines damals selbst noch im Teeniealter befindlichen Onkels in die Hände fiel. Neben dem neuesten Spencer/Hill-Kracher (EIN KROKODIL UND SEIN NILPFERD) und der flächendeckenden Berichterstattung über den aktuellen Beitrag zur STAR WARS-Trilogie stießen vor allem die Fotos einer mir unbekannten Band auf mein Interesse, die sich in fantasievollem Make-Up und der entsprechenden Kostümierung ablichten ließ. Die Band hieß KISS, die – so vermute ich rückblickend – damals mit ihrem Smash-Hit „I was made for loving you“ auch in Deutschland erfolgreich waren, nachdem ihr Stern in den USA schon langsam im Sinken begriffen war. Auch wenn KISS mir außer in Form eines Duplo-Aufklebers (erinnert sich noch jemand an die zu Beginn der Achtzigerjahre erschienene Stickerreihe mit berühmten Rock- und Pop-Acts?) erst einige Jahre später wieder über den Weg laufen sollten: Die Faszination für diese Band ist geblieben und selbst ihre miesen Alben der Achtziger stehen bei mir lückenlos im Schrank.

Damit bin ich auch schon beim Kern der Sache: Auch wenn Gene Simmons, Paul Stanley und ihre Mitstreiter Ace Frehley und Peter Criss den Anschein einer harten Rockband erwecken wollten: Im Grunde waren sie von Anfang an kid’s stuff. Die Musik blieb bis auf wenige Ausnahmen („God of Thunder“ etwa) einfacher, lebensbejahender und vor allem weltlicher Rock n’ Roll, der mit dem außerirdisch-übermenschlichen Image seiner Macher nur wenig zu tun hatte. Aus heutiger Sicht und mit der Kenntnis von ähnlich verfahrenden Konzeptbands wie Gwar, Slipknot, Marilyn Manson und anderen, die KISS Einiges zu verdanken haben, kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass KISS’ Konzept erstaunlich löchrig und unreif war. Da hatten sich diese schrillen Fantasiegestalten – der Dämon Gene Simmons, das „Sternenkind“ Paul Stanley, Astronaut „Space Ace“ Frehley und der Katzenmensch Peter Criss – zusammengetan, um ihr Evangelium zu predigen und dieses Evangelium bestand letztlich aus nicht mehr als Oden an „Cold Gin“, den „Ladies’ Room“ und sex interests „all dressed in satin and lace“? Auch die beispiellose Vermarktung der Band via Spielzeuge, Comics und ähnlichem Schnickschnack ließ nur wenig Zweifel daran, wer da eigentlich die Zielgruppe sein sollte. Aber diese naive Unbekümmertheit, das Unperfekte und Halbdurchdachte ist weniger das Haar in einer ansonsten wohlschmeckenden Suppe, als vielmehr genau das, was mich immer noch für diese Band einnimmt und ihre ausgesprochen belanglose Musik hinwegsehen lässt: Bei KISS steht weniger die Perfektion der Illusion im Vordergrund als vielmehr die Freude an der  Maskerade, das make-believe, das Träumerisch-Fantasievolle, das von der Mittelmäßigkeit des Vortrags nicht geschmälert wird, sondern im Gegenteil gerade davon profitiert. Und in dem von Gordon Hessler inszenierten Film ATTACK OF THE PHANTOMS tritt genau dieser Aspekt besonders hervor.

Abner Devereaux (Anthony Zerbe) ist ein technisches Genie und seinem Selbstverständnis nach ein Künstler. Kein Wunder, dass er unzufrieden damit ist, einen Vergnügungspark mit zweit- und drittklassigen Attraktionen auszustatten. Seine neueste Erfindung wird die Welt verändern, so glaubt er, doch niemand ist interessiert daran, ihm diese zu finanzieren. Also muss er selbst die Initiative ergreifen. Und der anstehende Auftritt von KISS, einer Gruppe mit Superfähigkeiten ausgestatteter Rockmusiker, bietet ihm eine einmalige Gelegenheit …

KISS MEETS THE PHANTOM OF THE PARK oder KISS IN ATTACK OF THE PHANTOMS, wie er ebenfalls heißt, war eigentlich der logische Schritt für die Band. Nachdem sie Millionen ihrer Platten abgesetzt hatten, sie in Form zahlreicher Fan- und Merchandising-Artikeln bei ihren Fans zu Hause vertreten waren und sogar eine eigene (in KISS-Blut gedruckte) Comicreihe bei Marvel erschienen war, musste ein Film folgen, zumal der visuellen Seite der Bandpräsentation seit jeher eine besonders wichtige Rolle zukam. Doch anstatt die Band nun endgültig zum popkulturellen Phänomen zu erheben, war PHANTOM eher der Auftakt einer Reihe von Fehlschlägen und -entscheidungen, die die Band auf den Boden der Tatsachen zurückholten und ihre kommerzielle Dominanz beendete. Der Larger-than-Life-Charakter von KISS, den die Band durch ihre gigantomanischen Shows und eine nichts dem Zufall überlassende Vermarktung aufgebaut hatte, wurde von dem schlampig produzierten und von Beginn an von zahlreichen Problemen überschatteten Film nachhaltig beschädigt. Wer glaubte, dass diese Band alles verkaufen konnte, worauf ihr Konterfei abgedruckt war, wurde nun eines besseren belehrt. Und Simmons und Stanley, die Köpfe der Band, mussten zum ersten Mal eingestehen, dass sie sich auf einem Terrain versucht hatten, für das sie noch nicht reif waren. PHANTOM sieht billig aus und hat seine besseren Momente immer dann, wenn KISS selbst nicht Gegenstand des Interesses sind. Das Drehbuch, das die Bandmitglieder zu Superhelden macht, die ihre Kräfte obskuren Nippesfiguren verdanken, scheitert kläglich bei dem Versuch, seine Protagonisten mythisch zu unterfüttern und degradiert sie eher zu unbeweglichen Witzfiguren. Dass diese mit Ausnahme von Gene Simmons zudem ausgesprochen mäßige Schauspieler waren, trug ebenfalls nicht unerheblich zum Scheitern des Films bei. Ein weiteres Manko stellen die miserablen Spezialeffekte dar: Während KISS bei ihren Liveauftritten stets State-of-the-Art aufboten, fiel ihr Film technisch weit hinter den von zeitgenössischen Filmen gewohnten Standard zurück. Was als Besteigung des nächsten Gipfels gedacht war, stellte sich als peinliches Fiasko heraus, für das sich Simmons und Stanley heute noch schämen.

kiss-meeting_people_at_the_park11Bei aller Gültigkeit dieser Kritik geht sie am Kern der Sache dennoch vollkommen vorbei, denn eigentlich passt Hesslers Film zu KISS wie die Faust aufs Auge. Mit drei Jahrzehnten Abstand muss man heute nämlich konstatieren, dass KISS nie viel mehr als ein fad waren, der sich relativ schnell überholt hatte und keineswegs so innovativ und aufregend war, wie es damals schien. Schon mit dem Auseinanderbrechen der Urbesetzung kündigte sich der Niedergang an, der sich zunächst in einer eklatanten Orientierungslosigkeit niederschlug (man höre die aufeinanderfolgenden „Dynasty“, das grauenvoll-poppige „Unmasked“ und das überambitionierte „The Elder“ und gebe mir darin Recht, dass diese Alben kaum klingen, als stammten sie von einer Band). Nachdem die Masken dann endgültig gefallen waren, steuerten KISS im Verlauf der Achtziger und frühen Neunzigerjahre – gesäumt von sporadischen Erfolgen – geradewegs in die Belanglosigkeit. Natürlich: Was Image, Vermarktung und kommerzielle Ausreizung angeht, haben KISS Maßstäbe gesetzt und erfahren dafür immer noch kultische Verehrung. Doch als Musiker sind sie letzten Endes einflusslos geblieben – dass sie heute als reiner Novelty- und Notalgia-Act durch die Lande tingeln, der die alten Zeiten aufleben lässt, passt zu dieser Einschätzung. PHANTOMS macht dies absolut transparent: The Demon, Starchild, Space Ace und Catman wirken deplatziert, ja geradezu lächerlich in ihrer Maskerade, ihre Bühnenpräsenz lässt sich nicht ohne Verlust in ein anderes Medium übertragen, weil ihnen dort der Kontext fehlt. Das, was sich Simmons und Stanley in ihren kühnen Superstar-Fantasien ausgedacht hatten, konnten sie nicht umsetzen; wohl auch, weil ihnen das Mitspracherecht am Film fehlte. Und was noch entscheidender ist: Ihr Ruhm war offensichtlich nicht groß genug, um sie mit dem Budget auszustatten, das nötig gewesen wäre, um den Film so zu machen, wie sie sich das vorgestellt hatten, wie er ihrem Image entsprach. Aber genau diese Diskrepanz zwischen dem, was sein soll, und dem, was ist, macht KISS IN ATTACK OF THE PHANTOMS ja so liebenswert. In seiner Unfähigkeit, die eigene Mangelhaftigkeit zu erkennen und zu reflektieren, erinnert dieser Film an das Werk Ed Woods und das Bild, das Burton von ihm in seinem gleichnamigen Film zeichnete: das Porträt eines Träumers, dessen Fantasien die Realität beständig überlagern. Der Erfolg von KISS war zum Teil sicherlich auf eine reibungslos laufende Maschinerie zurückzuführen. Angetrieben wurde sie aber von kindlicher Unschuld.

armond whites jahresendliste

Veröffentlicht: Januar 8, 2009 in Film, Zum Lesen

Armond White hat auf nypress.com seine Film-Jahresbestenliste veröffentlicht. Wie immer bei White ist das ein zwiespältiges Erlebnis, weil man nicht selten das Gefühl hat, es gehe ihm hier mehr um ein Distinktionsbedürfnis als darum, Filme um ihrer selbst willen zu loben oder zu kritisieren. Aber das ist ja ein gängiges Problem, dem wahrscheinlich jeder schon einmal begegnet ist, der über Film schreibt: Warum sollte man einen Film verreißen, den eh jeder hasst? Das eigentlich Spannende an Whites Liste ist also weniger, welche Filme er mag (etwa Stephen Chows CJ7, Olivier Megatons THE TRANSPORTER 3, den neuen INDIANA JONES oder MY BLUEBERRY NIGHTS) oder verreißt (IRON MAN, LET THE RIGHT ONE IN, THE DARK KNIGHT, WALL-E), sondern dass er die Liste als „Better than“-Auflistung konzipiert hat, in der er ähnliche Filme gegenüberstellt und jeweils einen dem anderen vorzieht (etwa TRANSPORTER 3 gegenüber DARK KNIGHT). Hier kann man sich die Liste anschauen und sich drüber ärgern.  

Übrigens: Von mir wird es keine Liste geben. Meine Auswahl wäre zum einen überhaupt nicht repräsentativ und damit als Jahresliste unbrauchbar, zum anderen tangiert mich Film im Moment eh nicht so (wie man an meinem Tagebuch unschwer ablesen kann), was den Gedanken, eine Liste zu erstellen, für mich zu einem ausgesprochen unattraktiven macht.

el_cid_rep1Es war eine Schnapsidee, unmittelbar nach der in zwei Sitzungen erfolgten Sichtung von QUO VADIS gleich den nächsten Monumentalschinken mit Überlänge hinterherzuschieben: Während der drei Stunden von EL CID schwand mehr als einmal die Aufmerksamkeit, begab sich die Konzentration auf Wanderschaft, verselbständigten sich die Gedanken. Wie Mervyn LeRoy walzt auch Mann die Geschichte um den spanischen Volkshelden breit aus und zeichnet eine Heldengeschichte nach, die durch die Erzählkonventionen so weit vereinnahmt worden ist, dass man sie eigentlich auch in einem Bruchteil der Zeit hätte aufbereiten können. Aber das liefe den Bestrebungen des Monumentalfilms zuwider, der auf lückenlose Verbildlichung und Plausibilisierung der Geschichte setzt, diese Herausforderung aber nicht anders  zu meistern weiß, als mit einer Mobilisierung aller materiellen Mittel. Geschichtliche Bedeutungsschwere wird kurzerhand in Filmzeit umgewandelt, große Inszenierungsideen bleiben aus. Auch EL CID ist trotz allem Pomp eine eher einfache Angelegenheit: Zwischenmenschliche und innere Konflikte werden in langen Dialogszenen ausgeführt, Landschaftsaufnahmen im Breitwandformat evozieren das Gefühl, epischen Vorgängen beizuwohnen, spektakuläre Massenszenen bezeugen, dass die Vergangenheit eine Zeit der Tat war, auch wenn der Rest des Films eigentlich das Gegenteil verkündet. Denn letztlich gehen alle geschichtlichen Umwälzungen auf innere Prozesse zurück, seien es hier die bedingungslose Rechtschaffenheit und Königstreue El Cids oder die Liebe Vinicius‘ in LeRoys QUO VADIS. Die Tat ist lediglich folgerichtig. Aus dem Vergleich mit QUO VADIS geht Manns Film dennoch als Sieger hervor. Dies liegt zum einen an seinem ausgefeilteren und – wenn man das bei einem Monumentalfilm sagen kann – zurückhaltenderen visuellen Stil, der das Geschehen in kargen Farben einfängt, aus denen die roten Fahnen des spanischen Königs umso mehr herausstechen, anstatt alles in einen psychedelischen Farbrausch zu tauchen. Wie der Wilde Westen im Western ist das Spanien von EL CID ein trostloses Land, dem die Menschen die Blüte der Zivilisation erst noch abtrotzen müssen. Und vor diesem Hintegrund gewinnt auch die Figur El Cids an Profil. Ein weiterer Pluspunkt ist dessen Darsteller Charlton Heston, der dem spanischen Ritter mit seiner unbezahlbaren Präsenz das nötige Maß an urwüchsiger Wildheit und virilem Edelmut verleiht. Wenn auch der ganze Film um ihn herum unter der Last seines Konzepts erstickt, ihm genau jene Spontaneität und Impulsivität abgeht, die seinen Helden doch erst zu einem solchen macht, so bleibt Heston das stoische Zentrum, das sich nicht verbiegen lässt und alles in seine Umlaufbahn zwingt.

Letztlich sind es aber die letzten Minuten, die EL CID zu einem doch noch unvergesslichen Erlebnis werden lassen: Wenn der einer Schusswunde erlegene Ritter auf seinem Pferd festgebunden wird, um als Symbol unerschütterlicher Loyalität und Unbeugsamkeit in die Schlacht zu reiten, die Flagge fest im Griff, dann ist das ein Moment, der den Rest des Films überstrahlt und ihn im Nachhinein legitimiert. Die vorangegangenen 170 Minuten waren würdiger Prolog für dieses Bild, das endlich all das kompakt in sich vereint, worüber vorher viele Worte gemacht wurden …

quo vadis (mervyn leroy, usa 1951)

Veröffentlicht: Januar 5, 2009 in Film
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quo_vadis1Die Zeit „zwischen den Jahren“, wie man so schön sagt, ist irgendwie Monumentalfilm-Zeit. Im Fernsehen hagelt’s Bibelepen und auf der heimischen Couch erleichtert die Mischung aus ebenso bunten wie breiten Bildern, meterdickem Pathos und Gefühlsüberschwang und auf griffige Einzelschicksale heruntergebrochener Historienaufbereitung die auf Hochtouren laufende Verdauung und Regeneration. Filme wie QUO VADIS schmecken gut, belasten aber nicht. Auch wenn sich hinter der Geschichte des Römers Marcus Vinicius (Robert Taylor) ein Stoff verbirgt, mit dem man sich ein ganzes Leben beschäftigen könnte – die ersten Schritte des Christentums von der Minderheitensekte zur Weltreligion, Kaiser Neros Wahnsinn, der Anfang vom Ende des römischen Imperiums: In LeRoys Films werden diese weltgeschichtlichen Entwicklungen trotz aller Opulenz fast kammerspielartig abgehandelt. Man merkt QUO VADIS an, dass LeRoy, der 20 Jahre zuvor den großen kleinen Gangsterfilm LITTLE CAESAR inszenierte, nichts davon verstand, Größe ins Bild zu setzen. Trotz der obligatorischen Massenszenen und der raumgreifenden Geschichte, wirkt QUO VADIS wie in Ketten geschlagen. Ein Dialog reiht sich an den nächsten, jede Szene fällt sofort an den für sie vorgesehenen Platz und es gibt kein Geheimnis, das für den Zuschauer noch zu bergen wäre, alles liegt offen dar, sich selbst erklärend. Robert Taylor agiert passenderweise ausgesprochen hölzern, zum Sympathieträger macht ihn weniger seine Charakterzeichnung als vielmehr seine Positionierung im Plot: Warum die Christin Lygia (Deborah Kerr) ihn trotz seiner Intoleranz und Arroganz liebt, muss man einfach hinnehmen.  Groß wird QUO VADIS eigentlich immer nur dann, wenn Nero auftritt und Peter Ustinov diese Gelegenheiten nutzt, den Film an sich zu reißen. Plötzlich erhält LeRoys Film genau den Witz und Esprit, den man sonst so vermisst und den noch nicht einmal die spektakulären Set Pieces, die aus diesen Filmen sonst stets im Gedächtnis zu bleiben pflegen, heraufzubeschwören in der Lage sind: Die Szenen im brennenden Rom sind so ein potenzieller Höhepunkt, dessen dramaturgische Einbindung und Inszenierung allerdings geradezu fahrlässig unterentwickelt bleiben. 

Das ist kein Verriss: QUO VADIS ist einer der besten Vertreter seines Genres, trägt als solcher aber eben auch die Mängel der hollywoodschen Monumentalsucht offen zur Schau. Kritische Töne versinken im Schmelz der Bilder, die einzig zum Zwecke des Eskapismus gemalt wurden und natürlich dazu, ein konservatives Wertesystem aufzustellen und zu verteidigen. Historische Gegebenheiten werden zur Stabilisierung des Status quo instrumentalisiert und ein römischer Feldherr kann so zum nichtkonfessionellen Wegbereiter des Christentums avancieren, der eine bessere – christliche – Zeit am Horizont heraufziehen sieht. Die Selbstverständlichkeit, mit der einem die christliche Botschaft hier fingerdick aufs Brot geschmiert wird, mutet aus heutiger Sicht aber weniger bedenklich als eher komisch an, zumal dem Monumentalkino selbst die dekadente Prahlsucht des römischen Reiches eigentlich näher steht als die von einem verarmten Zimmermann gepredigte Lehre der Nächstenliebe. Von letzterer ist QUO VADIS meilenweit entfernt: Er ist ein Film des nackten finanziellen Kalküls und der von den Finanziers gebannten Kraft des Künstlers. Aber wie schon gesagt: Manchmal gibt es nichts Besseres als sich bunte Bilder anzugucken.

my darling clementine (john ford, usa 1946)

Veröffentlicht: Januar 5, 2009 in Film
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9907024_gal1Eigentlich will Wyatt Earp (Henry Fonda) mit seinen Brüdern eine Herde Kühe nach Westen treiben. Doch nach einem Abstecher nach Tombstone sind die Tiere verschwunden und sein Bruder James tot. Earp hat sofort den Cowboy Ike Clanton (Walter Brennan) und seine Söhne in Verdacht und nimmt den ihm vom Bürgermeister von Tombstone angebotenen Job als Marshall daher dankend an. Der stadtbekannte Arzt und Casinochef  Doc Holliday (Victor Mature) steht dem Neuankömmling zunächst eher feindselig gegenüber – nicht zuletzt, weil Liebeswirrnisse die Rivalität der beiden Männer entfachen -, doch schließt sich ihm schließlich im Kampf gegen Clanton an, der im berühmten „Gunfight at O.K. Corral“ kulminiert …

Die dem Film zugrunde liegende Schießerei war schon unmittelbar nach ihrem Stattfinden Stoff endloser Spekulation und fand schnell Eingang in den Mythenschatz der USA. Auch Ford inszeniert den eigentlich unbedeutenden Zusammenprall als geschichtsträchtiges Ereignis, als wichtige Station auf dem Weg vom wilden Pionierland zum zivilisierten Rechtsstaat. Schon zu Beginn, wenn Wyatt Earp aus Untersicht gegen den sonnenklaren Himmel fotografiert wird oder der dramatische Abendhimmel über der „Boomtown“ Tombstone signalisiert, welche umwälzenden Entwicklungen hier bevorstehen, ist klar, dass Ford sich nicht für einen dokumentarischen Zugang interessiert, sondern eben um die Legendenbildung. Konsequenterweise verlegt er den Schauplatz Tombstone auch mehrere Hundert Meilen nach Norden, aus dem südöstlichsten Eck Arizonas mitten hinein in die imposante Kulisse des Monument Valley und nimmt sich auch sonst jegliche dichterische Freiheit. Wyatt Earp wird bei Ford zum Vorboten der Zivilisation und der sich anbahnenden Erschließung des Westens, zum Mann, der ein klares Wertsystem vertritt und dieses um jeden Preis verwirklicht sehen möchte. Sein Interesse mag persönlicher Natur sein, doch eigentlich verbirgt sich dahinter eine geradezu staatsmännische Vision. Wenn Earp Tombstone am Ende vom Verbrechen gereinigt hat, kann Doc Hollidays ehemalige Geliebte Clementine (Cathy Downs), eine gebildete und kultivierte Städterin aus dem Osten des Landes, das Städtchen beziehen, einen Job als Lehrerin antreten und die Demarkationslinie zwischen der Zivilisation und der Wildnis somit etwas weiter nach Westen verschieben. 

Es gäbe noch Einiges mehr zu sagen – darüber, wie MY DARLING CLEMENTINE trotz seiner streng aristiotelischen Struktur geradezu locker wirkt, der Plot immer wieder Lücken aufweist, in die Ford hineinstößt und seinen Film öffnet; darüber, wie Victor Matures Darstellung Doc Hollidays Dean Martins respektive Robert Mitchums Rolle in RIO BRAVO bzw. EL DORADO antizipiert; darüber, wie Fords Inszenierung des nächtlichen Tombstone manchmal an den Film Noir denken lässt. Man könnte aber auch einfach enthusiasmiert die Brillanz von Fords Film preisen, weil Worte hier wenn schon nicht gänzlich versagen, so doch irgendwie eitel und überflüssig wirken.

bücherregal vol. 3

Veröffentlicht: Januar 4, 2009 in Uncategorized

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