Ich verehre KISS. Der Grundstein für diese Verehrung wurde durch eine Ausgabe der BRAVO gelegt, die mir im Kindesalter – ich muss zwischen zwei und vier Jahren alt gewesen sein – im Kinderzimmer meines damals selbst noch im Teeniealter befindlichen Onkels in die Hände fiel. Neben dem neuesten Spencer/Hill-Kracher (EIN KROKODIL UND SEIN NILPFERD) und der flächendeckenden Berichterstattung über den aktuellen Beitrag zur STAR WARS-Trilogie stießen vor allem die Fotos einer mir unbekannten Band auf mein Interesse, die sich in fantasievollem Make-Up und der entsprechenden Kostümierung ablichten ließ. Die Band hieß KISS, die – so vermute ich rückblickend – damals mit ihrem Smash-Hit „I was made for loving you“ auch in Deutschland erfolgreich waren, nachdem ihr Stern in den USA schon langsam im Sinken begriffen war. Auch wenn KISS mir außer in Form eines Duplo-Aufklebers (erinnert sich noch jemand an die zu Beginn der Achtzigerjahre erschienene Stickerreihe mit berühmten Rock- und Pop-Acts?) erst einige Jahre später wieder über den Weg laufen sollten: Die Faszination für diese Band ist geblieben und selbst ihre miesen Alben der Achtziger stehen bei mir lückenlos im Schrank.
Damit bin ich auch schon beim Kern der Sache: Auch wenn Gene Simmons, Paul Stanley und ihre Mitstreiter Ace Frehley und Peter Criss den Anschein einer harten Rockband erwecken wollten: Im Grunde waren sie von Anfang an kid’s stuff. Die Musik blieb bis auf wenige Ausnahmen („God of Thunder“ etwa) einfacher, lebensbejahender und vor allem weltlicher Rock n’ Roll, der mit dem außerirdisch-übermenschlichen Image seiner Macher nur wenig zu tun hatte. Aus heutiger Sicht und mit der Kenntnis von ähnlich verfahrenden Konzeptbands wie Gwar, Slipknot, Marilyn Manson und anderen, die KISS Einiges zu verdanken haben, kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass KISS’ Konzept erstaunlich löchrig und unreif war. Da hatten sich diese schrillen Fantasiegestalten – der Dämon Gene Simmons, das „Sternenkind“ Paul Stanley, Astronaut „Space Ace“ Frehley und der Katzenmensch Peter Criss – zusammengetan, um ihr Evangelium zu predigen und dieses Evangelium bestand letztlich aus nicht mehr als Oden an „Cold Gin“, den „Ladies’ Room“ und sex interests „all dressed in satin and lace“? Auch die beispiellose Vermarktung der Band via Spielzeuge, Comics und ähnlichem Schnickschnack ließ nur wenig Zweifel daran, wer da eigentlich die Zielgruppe sein sollte. Aber diese naive Unbekümmertheit, das Unperfekte und Halbdurchdachte ist weniger das Haar in einer ansonsten wohlschmeckenden Suppe, als vielmehr genau das, was mich immer noch für diese Band einnimmt und ihre ausgesprochen belanglose Musik hinwegsehen lässt: Bei KISS steht weniger die Perfektion der Illusion im Vordergrund als vielmehr die Freude an der Maskerade, das make-believe, das Träumerisch-Fantasievolle, das von der Mittelmäßigkeit des Vortrags nicht geschmälert wird, sondern im Gegenteil gerade davon profitiert. Und in dem von Gordon Hessler inszenierten Film ATTACK OF THE PHANTOMS tritt genau dieser Aspekt besonders hervor.
Abner Devereaux (Anthony Zerbe) ist ein technisches Genie und seinem Selbstverständnis nach ein Künstler. Kein Wunder, dass er unzufrieden damit ist, einen Vergnügungspark mit zweit- und drittklassigen Attraktionen auszustatten. Seine neueste Erfindung wird die Welt verändern, so glaubt er, doch niemand ist interessiert daran, ihm diese zu finanzieren. Also muss er selbst die Initiative ergreifen. Und der anstehende Auftritt von KISS, einer Gruppe mit Superfähigkeiten ausgestatteter Rockmusiker, bietet ihm eine einmalige Gelegenheit …
KISS MEETS THE PHANTOM OF THE PARK oder KISS IN ATTACK OF THE PHANTOMS, wie er ebenfalls heißt, war eigentlich der logische Schritt für die Band. Nachdem sie Millionen ihrer Platten abgesetzt hatten, sie in Form zahlreicher Fan- und Merchandising-Artikeln bei ihren Fans zu Hause vertreten waren und sogar eine eigene (in KISS-Blut gedruckte) Comicreihe bei Marvel erschienen war, musste ein Film folgen, zumal der visuellen Seite der Bandpräsentation seit jeher eine besonders wichtige Rolle zukam. Doch anstatt die Band nun endgültig zum popkulturellen Phänomen zu erheben, war PHANTOM eher der Auftakt einer Reihe von Fehlschlägen und -entscheidungen, die die Band auf den Boden der Tatsachen zurückholten und ihre kommerzielle Dominanz beendete. Der Larger-than-Life-Charakter von KISS, den die Band durch ihre gigantomanischen Shows und eine nichts dem Zufall überlassende Vermarktung aufgebaut hatte, wurde von dem schlampig produzierten und von Beginn an von zahlreichen Problemen überschatteten Film nachhaltig beschädigt. Wer glaubte, dass diese Band alles verkaufen konnte, worauf ihr Konterfei abgedruckt war, wurde nun eines besseren belehrt. Und Simmons und Stanley, die Köpfe der Band, mussten zum ersten Mal eingestehen, dass sie sich auf einem Terrain versucht hatten, für das sie noch nicht reif waren. PHANTOM sieht billig aus und hat seine besseren Momente immer dann, wenn KISS selbst nicht Gegenstand des Interesses sind. Das Drehbuch, das die Bandmitglieder zu Superhelden macht, die ihre Kräfte obskuren Nippesfiguren verdanken, scheitert kläglich bei dem Versuch, seine Protagonisten mythisch zu unterfüttern und degradiert sie eher zu unbeweglichen Witzfiguren. Dass diese mit Ausnahme von Gene Simmons zudem ausgesprochen mäßige Schauspieler waren, trug ebenfalls nicht unerheblich zum Scheitern des Films bei. Ein weiteres Manko stellen die miserablen Spezialeffekte dar: Während KISS bei ihren Liveauftritten stets State-of-the-Art aufboten, fiel ihr Film technisch weit hinter den von zeitgenössischen Filmen gewohnten Standard zurück. Was als Besteigung des nächsten Gipfels gedacht war, stellte sich als peinliches Fiasko heraus, für das sich Simmons und Stanley heute noch schämen.
Bei aller Gültigkeit dieser Kritik geht sie am Kern der Sache dennoch vollkommen vorbei, denn eigentlich passt Hesslers Film zu KISS wie die Faust aufs Auge. Mit drei Jahrzehnten Abstand muss man heute nämlich konstatieren, dass KISS nie viel mehr als ein fad waren, der sich relativ schnell überholt hatte und keineswegs so innovativ und aufregend war, wie es damals schien. Schon mit dem Auseinanderbrechen der Urbesetzung kündigte sich der Niedergang an, der sich zunächst in einer eklatanten Orientierungslosigkeit niederschlug (man höre die aufeinanderfolgenden „Dynasty“, das grauenvoll-poppige „Unmasked“ und das überambitionierte „The Elder“ und gebe mir darin Recht, dass diese Alben kaum klingen, als stammten sie von einer Band). Nachdem die Masken dann endgültig gefallen waren, steuerten KISS im Verlauf der Achtziger und frühen Neunzigerjahre – gesäumt von sporadischen Erfolgen – geradewegs in die Belanglosigkeit. Natürlich: Was Image, Vermarktung und kommerzielle Ausreizung angeht, haben KISS Maßstäbe gesetzt und erfahren dafür immer noch kultische Verehrung. Doch als Musiker sind sie letzten Endes einflusslos geblieben – dass sie heute als reiner Novelty- und Notalgia-Act durch die Lande tingeln, der die alten Zeiten aufleben lässt, passt zu dieser Einschätzung. PHANTOMS macht dies absolut transparent: The Demon, Starchild, Space Ace und Catman wirken deplatziert, ja geradezu lächerlich in ihrer Maskerade, ihre Bühnenpräsenz lässt sich nicht ohne Verlust in ein anderes Medium übertragen, weil ihnen dort der Kontext fehlt. Das, was sich Simmons und Stanley in ihren kühnen Superstar-Fantasien ausgedacht hatten, konnten sie nicht umsetzen; wohl auch, weil ihnen das Mitspracherecht am Film fehlte. Und was noch entscheidender ist: Ihr Ruhm war offensichtlich nicht groß genug, um sie mit dem Budget auszustatten, das nötig gewesen wäre, um den Film so zu machen, wie sie sich das vorgestellt hatten, wie er ihrem Image entsprach. Aber genau diese Diskrepanz zwischen dem, was sein soll, und dem, was ist, macht KISS IN ATTACK OF THE PHANTOMS ja so liebenswert. In seiner Unfähigkeit, die eigene Mangelhaftigkeit zu erkennen und zu reflektieren, erinnert dieser Film an das Werk Ed Woods und das Bild, das Burton von ihm in seinem gleichnamigen Film zeichnete: das Porträt eines Träumers, dessen Fantasien die Realität beständig überlagern. Der Erfolg von KISS war zum Teil sicherlich auf eine reibungslos laufende Maschinerie zurückzuführen. Angetrieben wurde sie aber von kindlicher Unschuld.
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