Paris im Jahr 2010: Im aufgrund katastrophaler Zustände mit einer hohen Mauer vom Rest der Stadt abgeschnittenen sozialen Brennpunkt Distrikt 13 hat sich sich ein anarchisches Mit- und Gegeneinander unterschiedlichster Interessengruppen, Banden und Stämme etabliert, aus dem sich Staat und Polizei vollkommen raushalten. Leito (David Belle), im Distrikt 13 aufgewachsen und verwurzelt, ein aufrechter Idealist, versucht auf seine Weise, etwas zum Erhalt der Gerechtigkeit beizutragen und legt sich deshalb mit dem Drogenzar Tahar an, was aber letztlich nur ihn in den Knast und seine Schwester Lola in die Fänge des Verbrechers bringt. Gleichzeitig erhält der gewissenhafte Supercop Damien Tommaso (Cyril Raffaelli) den Auftrag, eine Neutronenbombe zu entschärfen, die in Tahas Hände geraten ist und innerhalb von 24 Stunden explodieren wird. Unterstützung soll Damien dabei von Leito erhalten, der bald den Verdacht hat, dass der Einsatz Damiens nur Vorwand für einen Schlag gegen das ungeliebte Ghetto ist …
Der von Luc Besson produzierte BANLIEUE 13 greift zum zweiten Mal nach dessen YAMAKASI die Kunst des Parkour auf, nutzt sie aber nicht bloß als spektakulär anmutendes Gimmick (aber auch), sondern betont mithilfe ihrer Verlegung in ein dystopisch verzerrtes Großstadtszenario, das nicht wenig an Carpenters ESCAPE FROM NEW YORK erinnert, die ihr zugrunde liegende transzendierende Funktion. Beim Parkour geht es darum, Hindernisse wie etwa Mauern oder Abgründe ohne Hilfsmittel und möglichst effizient zu überwinden, wobei der Traceur (der Läufer) durch die Beschränkung auf die Kraft und Fähigkeiten seines Körpers seine eigenen Grenzen kennen lernen und überwinden und so zu einem besseren Selbst- und Körperverständnis kommen soll. Dieses Verständnis bezieht die Umwelt als gleichberechtigten Partner mit ein: Der Traceur respektiert und erhält sie, soweit es ihm möglich ist. Insofern wohnt dem Parkour auch eine raum- und gesellschaftskritische Tendenz inne, denn der Traceur erobert den durch die Architektur vereinnahmten städtischen Raum zurück, er geht sozusagen dahin, wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist, oder, weniger pathetisch ausgedrückt, dorthin wo ihm als „Unbefugten“ der Zutritt eigentlich untersagt ist. Anstatt dort jedoch physische Zeichen seines Zugriffs zu hinterlassen, wie etwa die Graffiti-Künstler ihre Tags, begnügt er sich mit einer ideellen Enteignung. Wo er gewesen ist, kann auch jeder andere hin, zumindest theoretisch.
In Morels BANLIEUE 13 verkörpert Leito, der vom Parkour-Erfinder David Belle gespielt wird, sowohl die Aufrichtigkeit und den Mut der Unterdrückten generell als auch eine neuen Heldentypus, der sich weniger durch einen positiv gewendeten Starrsinn namens Beharrlichkeit, ein rigides Wertesystem und Standfestigkeit auszeichnet, sondern im Gegenteil durch eine ausgesprochene Flexibilität und Wendigkeit. „Er ist wie ein Stück Seife“ sagt der Koloss K2, einer von Tahars henchmen einmal, nachdem Leito ihm und seinen Männern entwischt ist. Leito entscheidet Konflikte für sich, indem er sich ihnen entzieht. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Flucht, sondern vielmehr um eine Demonstration der Machtlosigkeit der Schurken. Wenn Leito seine Verfolger auf Wegen abschüttelt, die eigentlich gar keine sind, weder vor klaffenden Häuserschluchten, noch vor hohen Mauern halt macht, dann scheint er ihnen damit auch zu sagen: Diese Straßen gehören nicht euch. Der Weg und wie er beschritten wird waren schon immer zentrale Elemente des Actionkinos. Doch bisher war der Weg meist nur das Mittel, an dessen Ende mit dem Ziel der eigentliche Zweck stand. Der Weg war die Prüfung des Helden, die er ablegen musste, um sich für das Ziel, den finalen Konflikt mit dem Widersacher, zu qualifizieren. Für Leito ist der Weg das Ziel. Sein Wesen besteht ganz buchstäblich darin, immer einen (Aus-)Weg zu finden, also, um im Bild zu bleiben, niemals am Ende anzukommen. Das Duell, das der Actionheld anstrebt und aus dem er als Sieger hervorgehen will, ist für Leito demnach kein erstrebenswertes Ziel, sondern eher Zeichen der Niederlage: Wenn sich der Zweikampf nicht mehr vermeiden lässt, hat er als Traceur versagt.
BANLIEUE 13 ist vielleicht der beste der in den letzten Jahren entstandenen französischen Actionfilme, die auch verstärkt ihre Spuren in den USA hinterlassen. Visuell aufregend, mit einem druckvoll pumpenden Soundtrack versehen und garniert mit den spektakulären Stunts und Kampfchoreografien von David Belle, Cyril Raffaelli und anderen, vereint er alles, was modernes Actionkino leisten kann und muss. Dass er dabei manchesmal die Glaubwürdigkeit überstrapaziert und auf Klischees zurückgreift, ist nicht als Widerspruch dazu zu verstehen: BANLIEUE 13 ist purer Pop, Kino, das von seiner Intertextualität (hier müssen etwa Carpenters bereits erwähnter Klassiker als auch BATMAN oder BLADE RUNNER als Referenzen einfallen), Überstilisierung und Vereinfachung lebt, diese Stilmittel aber nicht zur Verschleierung, sondern im Gegenteil zur Schaffung von Transparenz nutzt und vor allem spannend, witzig, originell und voller guter Ideen ist. Für mich ist BANLIEUE 13 ein filmisches Wunderwerk.
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