Archiv für November, 2009

taken (pierre morel, frankreich 2008)

Veröffentlicht: November 30, 2009 in Film
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Als seine Tochter Kim (Maggie Grace) von ihren Plänen berichtet, mit einer Freundin nach Paris zu reisen, ist der ehemaliger Geheimagent Bryan Mills (Liam Neeson) alles andere als begeistert. Letztlich beugt er sich dem Willen seiner geschiedenen Frau Lenore (Famke Janssen), doch seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiten sich, als die beiden Mädchen in die Hände von Menschenhändlern fallen. Bryan macht sich sofort auf die Reise nach Paris, um seine Tochter zurückzuholen, koste es, was es wolle. Dafür bleiben ihm jedoch nur 96 Stunden …

Die Renaissance des Actionkinos geht auch mit TAKEN weiter, einem wahrlich furztrockenen Vertreter des Rachekinos, das einst humorlos von Charles Bronson verwaltet wurde. Anders als jedoch dessen „rechtschaffener“ Bürger Paul Kersey, der durch persönliche Verluste und die daraus resultierende Ohnmacht zum Vigilanten wird, ist Neesons Mills ein Profi, der jederzeit ganz genau weiß, wie weit er gehen kann und muss, um sein Ziel zu erreichen. Mit äußerster Präzision und Effizienz geht er gegen seine Gegner vor und lässt keinen Zweifel daran, wer am Ende der „last man standing“ sein wird. TAKEN ist dann auch nicht im herkömmlichen Sinn spannend: Es ist eher die Bewunderung für eine Figur, die geradezu die Verkörperung des Begriffs „Kompromisslosigkeit“ zu sein scheint, für die geradlinige Zielstrebigkeit, die er an den Tag legt, und natürlich die Befriedigung, wenn Dreckschweine ins Gras beißen, die den Film am Laufen hält. Das macht schon offensichtlich, dass TAKEN ein polarisierender Film ist, der als Gesellschaftskritik missverstanden schwer im Magen liegen dürfte, aber er macht aus dieser Tatsache keinen Hehl: Für den US-Amerikaner Mills hört die Zivilisation an der eigenen Grenze auf, die Albaner vermehren sich und ihr schmutziges Geschäft mit der Geschwindigkeit einer Epidemie, ein junges Mädchen muss hinter jedem fremden Gesicht einen miesen Menschenhändler vermuten – das ist der provokative Dreisatz, den Morel hier vollführt. Dem Regisseur dabei zu folgen, sich seiner Manipulation auszusetzen, ist nicht nur der Schlüssel zum Gefallen, sondern auch der zum Vertsändnis des Hauptcharakters, dessen zivilisierte Fassade rasant bröckelt, als es ihm ans Eingemachte geht. Das Konzept der Menschlichkeit ist leider nicht besonders belastbar …

goldene zeiten (peter thorwarth, deutschland 2005)

Veröffentlicht: November 30, 2009 in Film
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Weil ich gerade eh etwas schreibfaul bin, passt es ganz gut, dass ich GOLDENE ZEITEN bereits zum zweiten Mal gesehen, schon zwei Mal über ihn geschrieben und – wie ich nach Überfliegen meiner beiden alten Texte festgestellt habe – dem bereits Gesagten nach dieser Zweitsichtung rein gar nichts Neues hinzuzufügen habe. Ich verweise deshalb auf meine DVD-Rezension bei F.LM und meinen alten Filmtagebuch-Text. Viel Vergnügen!

drag me to hell (sam raimi, usa 2009)

Veröffentlicht: November 30, 2009 in Film
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Die Bankangestellte Christine Brown (Alison Lohman) ist einfach zu weich für ihren Job, wie ihr ihr Chef immer wieder weismachen will. Weil Christine sich und dem Chef das Gegenteil beweisen will, bleibt sie hart, als ein armes altes Mütterchen bei ihr um einen neuen Kredit bettelt, weil sie sonst auf der Straße sitzt. Ein folgenschwerer Fehler, denn das alte Mütterchen ist eine Hexe, die Christine mit einem teuflischen Fluch belegt. Die Visionen und Attacken der nächsten Tage sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das Schicksal, das Christine bevorsteht: Gelingt es ihr nämlich nicht, sich innerhalb von drei Tagen von dem Fluch zu befreien, wird sie für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren …

Zwischen all den Remakes alter Horrorklassiker und den nicht minder langweiligen Aufgüssen bewährter Erfolgsrezepte mutet Sam Raimis Rückkehr zu seinen inszenatorischen Wurzeln richtig frisch an. Mit dem Okkult-Sujet hat er sich ein im zeitgenössischen Horrorfilm geradezu stiefmütterlich behandeltes Thema ausgesucht (sieht man mal von diversen Teufelsfilmen ab), das demzufolge unverbraucht daherkommt und von Raimis Modernisierungsversuchen weiter profitiert. DRAG ME TO HELL dürfte wohl vor allem von Tourneurs NIGHT OF THE DEMON inspiriert worden sein, dessen Atmosphäre einer stetig präsenten, unabwendbaren Bedrohung Raimi sehr geschickt wiederbelebt. Raimi – mit seinem EVIL DEAD entscheidender Mitinitiator eines Wandels hin zu einem grafischeren Horrorfilm – belässt es nicht bei diffusen Andeutungen und vagen Hinweisen, sein Fluch plagt sein Opfer mit allen Mitteln moderner Effektkunst und erhält so eine echte Schlagseite Richtung Körperkino. Diese Kombination aus somatisch wirkenden Schocks, breit ausgespielten Schreckensszenarios und dem Kniff einer an einen Countdown erinnernden Spannungsdramaturgie hat zumindest mir beim Sehen ziemlich zugesetzt. Zumal auch die Bedrohung durch die Hölle, die für einen aufgeklärten Zuschauer nur schwer nachvollziehbar ist und ältere Filme dieses Themas heute eher gemütlich-naiv erscheinen lässt, in DRAG ME TO HELL ein unmittelbar wirkendes und reichlich furchteinflößendes Gesicht erhält. Obwohl Raimi als sehr humorvoller Regisseur bekannt ist und selbst ein EVIL DEAD nach fast 30 Jahren kaum anders als als Slapstick zu betrachten ist, mutet DRAG ME TO HELL doch ziemlich böse an. Es gibt nicht viel, an das man sich als Zuschauer klammern darf. Sein bitteres Ende steht dem Film insofern zwar gut zu Gesicht, nimmt ihm leider aber auch einiges von seiner Singularität, weil sie ihn klar als „Kind seiner Zeit“ markiert. Das ist ein bisschen schade, weil DRAG ME TO HELL sonst so sympathisch neben der Spur liegt, ohne dabei jedoch  ostentativ „crazy“, „abgefahren“ und „anders“ sein zu müssen. Man merkt ihm einfach an, dass sein Regisseur nicht bloß Genrefan, sondern ein -kenner und -liebhaber ist. Wohl auch deshalb gelingt es ihm wie derzeit keinem anderen, die hohen Weihen des Hollywood-Bombasts und die symptahischen Unzulänglichkeiten des Exploitationfilms ohne Reibungsverlust in Einklang zu bringen. DRAG ME TO HELL ist das beste aus beiden Welten.

Es ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum sich nicht schon vorher eines der großen Animationsstudios des klassischen Monster- oder Science-Fiction-Films angenommen hat. vor allem ersterer ist doch geradezu prädestiniert für eine Umsetzung im vergleichsweise jungen Genre des Animationsfilms, mit seiner Fokussierung auf unheimliche, riesenhafte Gestalten und sonstige Special Effects. Stattdessen bekommt man wieder und wieder dieselben anthropomorphisierten Säugetiere vorgesetzt, die sich in kaum weniger genormten Konflikten wiederfinden und sicherlich mit dazu beitragen, dass der Animationsfilm für viele schlicht „Kinderkram“ ist und bleibt. MONSTERS VS. ALIENS macht schon im Titel keinen Hehl daraus, dass er sich sehr bewusst darüber ist, welche klaffende Lücke er zu schließen gedenkt – und seine Sache nicht schlecht, auch wenn er wiederum kaum mehr bietet als das bekannte narrative Gerüst von den verlachten Außenseitern, die sich bewähren müssen.

Susan Murphy (Reese Witherspoon) wird an ihrem Hochzeitstag von einem Meteoriten getroffen und wächst daraufhin auf die Größe eines Wolkenkratzers an. An ein normales Leben ist für sie nicht mehr zu denken, schon gar nicht als sie überwältigt und in einen geheimen Bunker gesteckt wird, den sie mit einigen weiteren „Monstern“ teilen muss, die die Regierung vor den Menschen geheim halten will: Dr. Cockroach (Hugh Laurie) ist ein Wissenschaftler, der bei einem missglückten Experiment nicht nur die Fähigkeiten einer Kakerlake, sondern auch deren Kopf erhalten hat, The Missing Link (Will Arnett) ist eine Mischung aus Menschenaffe und Fisch, die man in einem Eisberg gefunden hat, B.O.B. (Seth Rogen), das fehlerhafte „Erzeugnis“ eines Lebensmittelkonzerns, ist ein unzerstörbarer gallertartiger Schleimklumpen und Insectosaurus schließlich ein durch radioaktive Strahlung massiv angewachsenes Insektenwesen. Als der Außerirdische Gallaxhar (Rainn Wilson) eine Invasion der Erde startet, müssen die Monster beweisen, dass sie zu etwas gut sind …

Viel zu sagen gibt es eigentlich nicht: MONSTERS VS. ALIENS bietet familienfreundliche Unterhaltung, die zwar kaum für große Überraschungen sorgt, jedoch über 90 Minuten angenehm unterhält, in seinen Animationen überzeugt und darüber hinaus einige nette Gags serviert. Wer ein Faible für das Science-Fiction-Kino der Fünfzigerjahre und speziell den Monsterfilm hat, dürfte MONSTERS VS. ALIENS zudem als recht liebevolle Hommage verstehen. Nicht nur die Figuren sind natürlich Leihgaben aus Klassikern von THE FLY über THE BLOB und ATTACK OF THE 50 FOOT WOMAN bis hin zu CREATURE FROM THE BLACK LAGOON, auch erzählerisch greift der Film zahlreiche Standards des Genres auf, seien es der eisenharte Armeegeneral, der die Gegenoffensive startet, der Präsident, der nur wenig entscheidungsfreudig ist, oder der Konflikt, der sich für Susan aus ihrer Verwandlung ergibt. Ähnlich lassen sich auch die „Effektszenen“ verschiedenen Vorbildern zuweisen: Die Katastrophe an der Golden Gate Bridge ist deutlich den Auseinandersetzungen der GODZILLA-Filme nacheimpfunden, für die Invasion der Erde ließen sich etliche Vorbilder herbeizitieren und die Infiltration des Raumschiffes durch die monströsen Helden erinnert deutlich an Emmerichs INDEPENDENCE DAY. Das alles erhebt demnach keinerlei Anspruch auf große Originalität: Als Startschuss für weitere – dann vielleicht auch etwas weniger stromlinienförmige – Animations-Monsterfilme darf man sich MONSTERS VS. ALIENS aber definitiv gefallen lassen.

Paris 2013: Trotz der gut gemeinten Absichtserklärungen am Ende des ersten Teils hat sich nichts geändert: Distrikt 13 ist nach wie vor von einer hohen Mauer umgeben, seine Bewohner sind mehr oder weniger sich selbst überlassen und das Ghetto wird immer noch von vielen als Schandfleck angesehen, der ausgemerzt werden muss. Etwa von dem finsteren Geheimdienstchef Gassman (Daniel Duval): Der fingiert einen von Ghettoeinwohnern verübten Polizistenmord, spielt Aufnahmen davon der Presse zu und bereitet so den Boden für bürgerkriegsartige Zustände. Dem vernünftigen, aber letztlich auch hilf- und alternativlosen Präsidenten (Philippe Torreton) bleibt nichts anderes übrig, als dem Vorschlag einer Bombardierung des Viertels nachzugeben – und damit auch den eigennützigen Immobilienplänen Gassmans. Doch da sind ja noch der Ghettobewohner Leito (David Belle) und sein Freund, der Cop Damien Tomasso (Cyril Raffaelli), der von Gassman in weiser Voraussicht aus dem Verkehr gezogen wurde: Gemeinsam mit den Anführern der verschiedenen Gangs holen sie aus zum Gegenschlag …

„Bilder sagen mehr als tausend Worte“ heißt es in BANLIEUE 13: ULTIMATUM einmal und man kommt kaum umhin, diese Redewendung in Bezug zu setzen zu jener spektakulären Kampfszene, in der Damien sich einer ganzen Schar von Bösewichtern erwehren muss und dabei „nur“ mit einem millionenschweren Van-Gogh-Gemälde bewaffnet ist, das natürlich keinen Kratzer abbekommen darf. Ich verzichte jetzt darauf, die Implikationen dieses Bildes aufzulisten, weil es einen Großteil des Reizes von BANLIEUE 13: ULTIMATUM ausmacht, seine Doppel- und Mehrfachcodierungen wirken zu lassen. „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“: Besson hat diese Redewendung verinnerlicht und spitzt deshalb komplexe gesellschaftliche, politische, kulturelle und soziale Sachverhalte in Bildern zu, die sich ganz intuitiv erfassen lassen: eine von einer hohen Mauer umgebene Stadt in der Stadt, ein Mann, der an dieser Mauer entlang läuft und in regelmäßigen Abständen Löcher hineinsprengt. Der Mann ist Leito, der im Sequel als Seher und Aufklärer fungiert (einmal schaut er wie der über Gotham wachende Batman über sein Viertel): Um den Menschen die Augen zu öffnen, öffnet er die Mauer um sie herum – stößt damit jedoch längst nicht nur auf positive Resonanzen. Der Anführer einer Bande Afrikaner bringt das Dilemma auf den Punkt: Innerhalb der Mauern ist er ein König, außerhalb nur einer von vielen. Warum also die Mauer abreißen? Zumal die Probleme überhaupt immer erst dann zu eskalieren scheinen, wenn sich das Innen und das Außen begegnen, die Mauer kurz durchlässig wird und das beiderseitige Unverständnis ungebremst aufeinanderprallt. BANLIEUE 13: ULTIMATUM ist dann auch ein Film, der es sich zum Ziel gemacht hat, dieses weltumspannende Unverständnis aufzulösen. Konnte man den Vorgänger noch als Reaktion auf die stets neu ausbrechenden Aufstände in den Pariser Banlieus und also als explizit französische Reaktion verstehen, schlägt das Sequel eine universellere Richtung ein, indem es das Ghetto als Welt in der Nussschale zeichnet, die die verschiedensten Ethnien beherbergt, die in erstaunlich friedlicher Koexistenz miteinander leben und sich am Schluss vereinigen, um ihren Distrikt 13 zu retten – prekärerweise gegen kapitalistische Immobilienspekulationen und einen Konzern namens – i kid you not – „Harriburton“.

Der Schluss ist bemerkenswert, weil er die Methode des Films auf den Punkt bringt, obwohl er von dieser abzuweichen scheint: Nachdem der von Gassman intendierte Bombenangriff auf das evakuierte Ghetto in letzter Sekunde abgewehrt werden konnte, erfolgt er doch, diesmal aber auf den ausdrücklichen Willen der Ganganführer und also unter gänzlich anderen Vorzeichen. Nicht Auslöschung soll die Sprengung nun bedeuten, sondern Neuanfang. „Bilder sagen mehr als tausend Worte“ sagt dieser Film und verzichtet deshalb im entscheidenden Moment auf diese. Nur die Geräusche der finalen Spengung, die es vorher noch abzuwenden galt und die das Signal der Niederlage bedeutet hätten, sind zu hören, signalisieren nun aber – auch wenn das Licht ebenso bedrohlich flackert – den Startschuss für eine bessere Zukunft, in der sich die Menschen die Hand reichen. Es ist nicht nur das Bild, das spricht, sondern auch sein Rahmen.

BANLIEUE 13: ULTIMATUM ist für mich einer der besten Filme des Jahres, auf ähnlich hohem Niveau wie sein Vorgänger angesiedelt und – abstrahiert man vom nackten Plot, der sich von jenem des ersten Teils kaum unterscheidet – hinsichtlich seiner Gesamtkonzeption sogar noch etwas interessanter als dieser. Außerdem gefällt, dass er statt eines ätzenden Zynismus, der ja letztlich auch nur den Status quo festigt, ungebremste Hoffnung vermittelt, die im Finale schon fast in Kitsch umschlägt. Der Film verkraftet das, weil er stets äußerst pointiert ist und deshalb auch jene Szene in einem anderen Licht erscheint, in der Leito seinen flammenden Appell an den Präsidenten richtet, der nichts von der väterlichen Gönnerhaftigkeit aufweist, mit der Filmpräsidenten sonst im Übermaß geschlagen sind, und deshalb einfach nur zuhört. Es sind die vielen erzählerischen und gestalterischen Details und ihre sinnhafte Verbindung, die diesen Film die Grenzen des reinen Genrekinos überschreiten lassen – und Sätze wie jener, den Drehbuchautor Besson dem Supercop Damien Tommaso in den Mund legt: „Meine Bibel ist der Code civil.“ Manchmal müssen es eben nur die richtigen Worte sein …

banlieue 13 (pierre morel, frankreich 2004)

Veröffentlicht: November 25, 2009 in Film
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Paris im Jahr 2010: Im aufgrund katastrophaler Zustände mit einer hohen Mauer vom Rest der Stadt abgeschnittenen sozialen Brennpunkt Distrikt 13 hat sich sich ein anarchisches Mit- und Gegeneinander unterschiedlichster Interessengruppen, Banden und Stämme etabliert, aus dem sich Staat und Polizei vollkommen raushalten. Leito (David Belle), im Distrikt 13 aufgewachsen und verwurzelt, ein aufrechter Idealist, versucht auf seine Weise, etwas zum Erhalt der Gerechtigkeit beizutragen und legt sich deshalb mit dem Drogenzar Tahar an, was aber letztlich nur ihn in den Knast und seine Schwester Lola in die Fänge des Verbrechers bringt. Gleichzeitig erhält der gewissenhafte Supercop Damien Tommaso (Cyril Raffaelli) den Auftrag, eine Neutronenbombe zu entschärfen, die in Tahas Hände geraten ist und innerhalb von 24 Stunden explodieren wird. Unterstützung soll Damien dabei von Leito erhalten, der bald den Verdacht hat, dass der Einsatz Damiens nur Vorwand für einen Schlag gegen das ungeliebte Ghetto ist …

Der von Luc Besson produzierte BANLIEUE 13 greift zum zweiten Mal nach dessen YAMAKASI die Kunst des Parkour auf, nutzt sie aber nicht bloß als spektakulär anmutendes Gimmick (aber auch), sondern betont mithilfe ihrer Verlegung in ein dystopisch verzerrtes Großstadtszenario, das nicht wenig an Carpenters ESCAPE FROM NEW YORK erinnert, die ihr zugrunde liegende transzendierende Funktion. Beim Parkour geht es darum, Hindernisse wie etwa Mauern oder Abgründe ohne Hilfsmittel und möglichst effizient zu überwinden, wobei der Traceur (der Läufer) durch die Beschränkung auf die Kraft und Fähigkeiten seines Körpers seine eigenen Grenzen kennen lernen und überwinden und so zu einem besseren Selbst- und Körperverständnis kommen soll. Dieses Verständnis bezieht die Umwelt als gleichberechtigten Partner mit ein: Der Traceur respektiert und erhält sie, soweit es ihm möglich ist. Insofern wohnt dem Parkour auch eine raum- und gesellschaftskritische Tendenz inne, denn der Traceur erobert den durch die Architektur vereinnahmten städtischen Raum zurück, er geht sozusagen dahin, wo noch kein Mensch zuvor gewesen ist, oder, weniger pathetisch ausgedrückt, dorthin wo ihm als „Unbefugten“ der Zutritt eigentlich untersagt ist. Anstatt dort jedoch physische Zeichen seines Zugriffs zu hinterlassen, wie etwa die Graffiti-Künstler ihre Tags, begnügt er sich mit einer ideellen Enteignung. Wo er gewesen ist, kann auch jeder andere hin, zumindest theoretisch.

In Morels BANLIEUE 13 verkörpert Leito, der vom Parkour-Erfinder David Belle gespielt wird, sowohl die Aufrichtigkeit und den Mut der Unterdrückten generell als auch eine neuen Heldentypus, der sich weniger durch einen positiv gewendeten Starrsinn namens Beharrlichkeit, ein rigides Wertesystem und Standfestigkeit auszeichnet, sondern im Gegenteil durch eine ausgesprochene Flexibilität und Wendigkeit. „Er ist wie ein Stück Seife“ sagt der Koloss K2, einer von Tahars henchmen einmal, nachdem Leito ihm und seinen Männern entwischt ist. Leito entscheidet Konflikte für sich, indem er sich ihnen entzieht. Dabei handelt es sich aber nicht um eine Flucht, sondern vielmehr um eine Demonstration der Machtlosigkeit der Schurken. Wenn Leito seine Verfolger auf Wegen abschüttelt, die eigentlich gar keine sind, weder vor klaffenden Häuserschluchten, noch vor hohen Mauern halt macht, dann scheint er ihnen damit auch zu sagen: Diese Straßen gehören nicht euch. Der Weg und wie er beschritten wird waren schon immer zentrale Elemente des Actionkinos. Doch bisher war der Weg meist nur das Mittel, an dessen Ende mit dem Ziel der eigentliche Zweck stand. Der Weg war die Prüfung des Helden, die er ablegen musste, um sich für das Ziel, den finalen Konflikt mit dem Widersacher, zu qualifizieren. Für Leito ist der Weg das Ziel. Sein Wesen besteht ganz buchstäblich darin, immer einen (Aus-)Weg zu finden, also, um im Bild zu bleiben, niemals am Ende anzukommen. Das Duell, das der Actionheld anstrebt und aus dem er als Sieger hervorgehen will, ist für Leito demnach kein erstrebenswertes Ziel, sondern eher Zeichen der Niederlage: Wenn sich der Zweikampf nicht mehr vermeiden lässt, hat er als Traceur versagt.

BANLIEUE 13 ist vielleicht der beste der in den letzten Jahren entstandenen französischen Actionfilme, die auch verstärkt ihre Spuren in den USA hinterlassen. Visuell aufregend, mit einem druckvoll pumpenden Soundtrack versehen und garniert mit den spektakulären Stunts und Kampfchoreografien von David Belle, Cyril Raffaelli und anderen, vereint er alles, was modernes Actionkino leisten kann und muss. Dass er dabei manchesmal die Glaubwürdigkeit überstrapaziert und auf Klischees zurückgreift, ist nicht als Widerspruch dazu zu verstehen: BANLIEUE 13 ist purer Pop, Kino, das von seiner Intertextualität (hier müssen etwa Carpenters bereits erwähnter Klassiker als auch BATMAN oder BLADE RUNNER als Referenzen einfallen), Überstilisierung und Vereinfachung lebt, diese Stilmittel aber nicht zur Verschleierung, sondern im Gegenteil zur Schaffung von Transparenz nutzt und vor allem spannend, witzig, originell und voller guter Ideen ist.  Für mich ist BANLIEUE 13 ein filmisches Wunderwerk.      

 

 

waxwork ll: lost in time (anthony hickox, usa 1992)

Veröffentlicht: November 24, 2009 in Film
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Für den Mord an ihrem Stiefvater, den in Wahrheit eine dem finalen Gemetzel aus WAXWORK entkommene Zombiehand begangen hat, muss sich Sarah (Monika Schnarre) vor Gericht verantworten. Da niemand ihre wilde Geschichte glaubt, stehen ihre Chancen auf Freispruch schlecht. Gemeinsam mit ihrem Freund Mark (Zach Galligan) macht sie sich mithilfe eines Kompasses, der es ihnen ermöglicht, in der Zeit zu reisen, auf die Suche nach entlastendem Beweismaterial.

Was ich über den Vorgänger geschrieben habe, ließe sich hier nahezu wortwörtlich wiederholen. Die Story ist haarsträubend und lediglich Aufhänger für die Horrorszenarios, die diesmal jedoch wesentlich elaborierter sind und sich noch stärker an existierenden Filmen orientieren. In einer noch an WAXWORK erinnernden Episode wird zunächst Baron Frankenstein (Spandau Ballet-Bassist Martin Kemp) und seinem Monster ein Besuch abgestattet, bevor es die Protagonisten dann für eine ALIEN-Hommage ins Weltall bzw. ins Spukhaus aus THE HAUNTING verschlägt. Letztere Sequenz ist der absolute Höhepunkt des Films, nicht nur weil Hickox den visuellen Stil von Robert Wise‘ Gruselklassiker perfekt zu imitieren und dadurch geschickt zu persiflieren, sondern vor allem dank des komödiantischen Talents von Bruce Campbell, dessen Auftritt mit offenem Brustkorb hier einfach alles ist. Ich finde es immer wieder schade, dass Campbell seine Fähigkeiten nie in einem richtig großen, auf ihn zugeschnittenen Film unter Beweis stellen durfte. Ich sehe ihn etwa in einer Realverfilmung eines Tex-Avery- oder Looney-Tunes-Cartoons vor mir: Für mich ist er die menschgewordene Comicfigur (und von Raimi ja auch oft so inszeniert worden). Aber zurück zu WAXWORK II: LOST IN TIME, mit dem es nach diesem Höhepunkt leider drastisch bergab geht. Leider wirft Hickox sein Konzept (das übrigens etwas an den Gottschalk/Krüger-Film DIE EINSTEIGER erinnert) des kurzweiligen Filmhoppings völlig über den Haufen und verfrachtet Mark und Sarah für das letzte Drittel des Films in ein langweiliges Mittelalterszenario, das keinem erkennbaren Vorbild mehr folgt und das Tempo massiv verschleppt. Ich muss eingestehen, dass mich in den letzten 20 Minuten des Films der Schlaf übermannt hat, was allerdings mehr über den Film verrät als alles, was ich sonst darüber sagen könnte. Das größte Manko des Films ist, dass er sich mehr für seine Protagonisten interessiert als der Zuschauer: Wie schon WAXWORK so lebt nämlich auch das Sequel einzig und allein von den Ausflügen in ein liebevoll gestaltetes Horrorfilm-Paralleluniversum und offenbart riesige Schwächen, sobald er sich nicht mehr auf vorgegebene Narration stützen kann, sondern seine eigene Geschichte erzählen muss. Während WAXWORK diese Schwäche mit seinem hingeworfenen Patchwork-Charakter und seiner offenen Naivität noch auffangen konnte, bricht sie dem epischer angelegten WAXWORK II: LOST IN TIME das Genick. Der lässt den Vorläufer in seinen besten Momenten zwar weit hinter sich, hat davon aber einfach zu wenige. Irgendwie ärgerlich.

waxwork (anthony hickox, usa 1988)

Veröffentlicht: November 23, 2009 in Film
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Die College-Freunde Mark (Zach Galligan), Sarah (Deborah Foreman), China (Michelle Stevens) und Tony (Dana Ashbrook) besuchen ein merkwürdiges Wachsfigurenkabinett, das inmitten der Wohnsiedlungen von Beverly Hills seine Pforten geöffnet hat. Doch während des Aufenthalts verschwinden China und Tony. Mark und Sarah stellen Nachforschungen an und kommen einem diabolischen Plan auf die Spur …

Man kann der Inhaltsangabe schon entnehmen, dass der Reiz von Hickox‘ Film definitiv nicht in seiner einfältigen Storyline zu suchen ist, sondern vielmehr in deren Ausschmückung. So wurde der ganze Film um die Szenen im Wachsmuseum herumgestrickt, in denen die ahnungslosen Besucher buchstäblich in die dort aufgebauten Horrorszenarios gesogen und zu ihrer Verwunderung plötzlich zu deren Protagonisten werden. Tony fällt einem Werwolf zum Opfer, China muss sich mit einer ganzen Schar blutdurstiger Vampire herumschlagen, einen Polizisten verschlägt es in die Grabkammer eines rachsüchtigen Pharaos, Sarah erliegt dem fragwürdigen Charme des Marquis de Sade und Mark sieht sich schließlich in die Nacht der lebenden Toten versetzt. Hickox lässt diese liebevoll ausgearbeiteten klassischen Horrorszenarios auf die Gegenwart prallen und erzählt unter der Oberfläche auch etwas über den Horror, sein Medium und seine Rezipienten. Das Wachsfigurenkabinett verweist ja per se schon in die Vergangenheit, trotzdem wird das Dargebotene  für seine Besucher auf eine Art und Weise „real“ wie das eben idealerweise vor allem Filme leisten können. Letztlich ist aber alles nur eine Frage des Glaubens und der Fantasie. Leider hätte sich aus dieser Grundidee ein sehr viel besserer Film hätte machen lassen als WAXWORK dann tatsächlich geworden ist. Im Gegensatz zu den zuletzt hier von mir besprochenen Achtzigerjahre-Horrorfilmen ist er nämlich alles andere als gut gealtert. Richtig Stimmung kommt nur in den eben beschriebenen Sequenzen auf, der Detektiv-Plot drumrum ist eher fad und die letztliche Auflösung einfach uninteressant, auch wenn sie zum Finale Gelegenheit für eine doch recht hübsche slapstickartige Massenkeilerei mit Monstereinsatz gibt. Der Kultstatus, den dieser Film – wohl auch dank der geschnittenen und mit REISE ZURÜCK IN DER ZEIT ungelenk betitelten deutschen Fassung – mal genoss, lässt sich kaum noch aufrechterhalten. Das git im Grunde für fast alle Filme, die Anthony Hickox von Ende der Achtziger bis Mitte der Neunziger drehte (z. B. SUNDOWN, HELLRAISER III: HELL ON EARTH, WARLOCK: THE ARMAGEDDON, FULL ECLIPSE oder das WAXWORK-Sequel SPACESHIFT: WAXWORK II): Alles sind sie durch die Bank als Kinder ihrer Zeit zu erkennen, ohne dies in irgendeiner Form transzendieren zu können. Schlecht ist WAXWORK aber auch wieder nicht: Neben den genannten Meriten sprechen für den Film die gute Besetzung, die neben der entzückenden Deborah Foreman solche Veteranen wie David Warner, John Rhys-Davies ud Patrick Macnee aufbietet, sowie natürlich die vor allem im Vampirsegment happigen Splattereffekte.

supergator (brian clyde, usa 2007)

Veröffentlicht: November 23, 2009 in Film
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Das ist der vierte Ansatz, den ich brauche, um über diesen Film zu schreiben. Das sagt eigentlich schon alles. Die Fakten:

1. SUPERGATOR ist ein amerikanischer Direct-to-DVD-Film mit einem computeranimierten Krokomonster, das auf Hawaii arglose Touristen und Vulkanforscher auffrisst.

2. Der Supergator ist ein von „Wissenschaftlerin“ Kelly TOP GUN McGillis genetisch veränderter Alligator, der jetzt einem längst ausgestorbenen Dinosaurier gleicht, dessen debilen Namen ich aber vergessen habe.

3. Kelly McGillis fand ich schon früher nicht heiß, aber heute sieht sie aus, als würde sie an der VHS Töpferkurse anbieten.

4. Während der Dreharbeiten auf Hawaii war sehr schönes Wetter.

5. Die Zeit, die aufgewendet wird, um die zahlreichen Figuren des Films einzuführen, steht in keinerlei Verhältnis zu deren tatsächlicher Funktion.

6. Klischees: Es gibt vier leichtbekleidete Bikinischönheiten (zwei Models und zwei Touristen) und drei Party-Dudes (einer ist fett), die sterben müssen.

7. In der besten Szene erkennt der Obervulkanologe durch den Blick in ein Kameraobjektiv, was die Kamera vor ca. zehn Minuten aufgezeichnet hat.

8. Die computeranimierten Effekte um das Krokodil wären gar nicht so schlecht, wenn der Film drumrum auch schlecht computeranimiert wäre.

9. In den Krokocloseups sieht man, dass da ganz offensichtlich irgendwelche Assistenten mit übergroßen Plastikkrokoteilen rumhantieren mussten. Die Dreharbeiten waren bestimmt ein großer Spaß, siehe auch 4.

10. Einmal gibt es tatsächlich einen per Computer ins Bild gemalten Osterinselkopf, wahrscheinlich um einen missratenen Effekt zu verdecken (ohne Scheiß!).

11. Die besten Szenen passieren in den ersten 20 Minuten, wer trotzdem bis zum Ende durchhält, dem wird in den Endcredits jeder einzelne verschissene Darsteller per Standbild vorgestellt. Fast wie beim A-TEAM.

12. Der Film ist nicht wirklich gut. Aber die thailändische DVD-Hülle (siehe Bild) ist eine Perle meiner Sammlung.

coming home (hal ashby, usa 1978)

Veröffentlicht: November 21, 2009 in Film
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Captain Bob Hyde (Bruce Dern) kann es kaum erwarten, in Vietnam die Werte der westlichen Welt zu verteidigen. Nach seiner Abreise meldet sich seine Ehefrau Sally (Jane Fonda) als freiwillige Helferin in einem Krankenhaus für Kriegsversehrte – wohl nicht zuletzt, um sich darauf vorzubereiten, auch bald einen Invaliden versorgen zu müssen. Im Krankenhaus lernt sie den querschnittsgelähmten Luke Martin (Jon Voight) kennen, der ganz anders ist als Bob, weil er erkannt hat, dass der Krieg eine große Lüge ist, mit der der Staat die Hoffnungen und  Träume junger amerikanischer Männer gezielt ausnutzt. Sally und Luke verlieben sich – doch über ihrer Liebe schwebt das Datum der Rückkehr von Bob …

Hal Ashbys Film zählt zur ersten Welle der Vietnamkriegsfilme und ist zudem der bekannteste der so genannten Heimkehrerfilme: Filme, die sich mit den Schwierigkeiten der Veteranen bei der Rückkehr in die heimische Normalität befassen. Was COMING HOME auszeichnet, ist dass er trotz seiner zeitlichen Nähe zu den geschilderten Ereignissen ein großes Maß an Differenziertheit aufbringt. Anstatt einseitig gegen den Krieg und seine Protagonisten zu polemisieren, bietet er mit Luke und Bob zwei Charaktere an, die sich zwar hinsichtlich ihrer Einstellung zum Krieg kaum stärker unterscheiden könnten, denen er jedoch gleichermaßen Verständnis und Sympathie entgegenbringt. Bob ist kraft seiner Persönlichkeitsstruktur von der charakterbildenden Funktion des Krieges überzeugt, es ist für ihn das Ereignis, in dem der moderne Mann zum sprichwörtlichen Mann werden kann. Luke, ehemaliger Held seiner Highschool-Footballmannschaft, ist mit denselben Vorstellungen in den Krieg gegangen und als Krüppel und Mörder zurückgekehrt.

Die Tagline des Films hilft, den Kern des Films zu verstehen: „A man who believed in war! A man who believed in nothing! And a woman who believed in both of them!“ Hal Ashbys COMING HOME ist nicht nur ein Film über das Vietnamtrauma, sondern auch über männliches und weibliches Prinzip im Rahmen moderner Gesellschaften: Während der Mann als Getriebener gezeichnet wird, der immer unter dem Druck steht, sich beweisen zu müssen, der beste und stärkste sein zu müssen, und sich damit oft selbst zerstört, ist es das heilende, offene, verständnisvolle und auch mütterliche Wesen Sallys, das Hoffnung stiftet, Linderung verspricht und Einheit schafft. Sallys Liebe zu Luke und die zu ihrem Mann ist nicht körperlich, sondern spirituell zu verstehen: An ihrer Ehe zweifelt sie trotz der Beziehung zu Luke keine Sekunde. Doch Bob, der an männliche Eigenschaften wie Stärke wohl auch deshalb glaubt, weil er selbst eher feminin ist – dass er mit einer Schusswunde aus dem Krieg zurückkehrt, die er sich aus Versehen selbst zugefüht hat, begreift er als Schande –, der nicht in der Lage ist, sich seiner Frau anzuvertrauen, sich zu öffnen und Schwäche einzugestehen, kann mit dem Wissen, dass da ein anderer Mann war, nicht leben.

Hal Ashby gehört zu den  New-Hollywood-Protagonisten der zweiten Reihe und wird speziell in Europa gern vergessen. Seinen wohl berühmtesten Film, HAROLD & MAUDE, verbindet man kaum mit seinem Namen. Das ist schade, denn jeder seiner Filme – etwa THE LAST DETAIL, SHAMPOO oder BEING THERE – ist immens sehenswert und zeugt von großem inszenatorischen Geschick, Intelligenz und Gefühl. Das alles gilt auch für COMING HOME.