Archiv für November, 2010

Als ein Chemiekonzern entdeckt, dass die von ihm einst achtlos entsorgten Abfälle zu Mutationen in der Pflanzenwelt geführt haben, ahnt der weise Splinter, was die Ursache für seinen und den Wachstum seiner amphibischen Ziehsöhne Donatello, Leonardo, Raphael und Michelangelo ist. Als der für tot gehaltene Shredder (Francois Chau) zurückkehrt und ebenfalls ein großes Interesse an dem gefährlichen „Ooze“ entwickelt, kommt es erneut zur Auseinandersetzung zwischen den Parteien, bei der den Turtles der Pizzaboy Keno (Ernie Reyes jr.), die Fernsehreporterin April (Paige Turco) und der Wissenschaftler Professor Jordan Perry (David Warner) zur Seite stehen …

Nachdem der erste TURTLES-Film in den USA zum Superhit avanciert war – er löste seinerzeit Mike Nichols THE GRADUATE als erfolgreichste Indieproduktion ab -, signalisierte der Flop des Sequels schon den Niedergang des wohl doch etwas zu exzentrischen (oder zu blöden, je nach Perspektive) Franchises, das dennoch auch noch für einen dritten Teil gemolken wurde. Wie man Michael Pressmans Sequel bewertet, hängt wohl nicht zuletzt davon ab, wie einem der Vorgänger gefallen hat: Mochte man dieses wegen seiner an die Comics angelehnten visuellen Gestaltung, wird man von der stromlinienförmigeren Fortsetzung wohl eher enttäuscht sein, vermisste man beim ersten Teil jedoch eine stringente Narration und eine stärkere emotionale Anbindung, könnte THE SECRET OF THE OOZE durchaus gefallen. Schrieb ich über Steve Barrons Film noch, dass man die titelgebenden Hauptfiguren als Zuschauer nur schwer auseinanderhalten könne und es deshalb schwer fiele, sich mit ihnen zu identifizieren, so gelingt es Pressman im Sequel wesentlich besser, verschiedene Charakterzüge herauszuarbeiten und den Turtles eine Identität zu verleihen, die über den bloßen Namen und die farbige Augenbinde hinausgeht. Gleichzeitig habe ich aber die kunterbunte Wildheit des Originals vermisst, der sich nicht wirklich darum zu scheren schien, die Erwartungshaltung des Publikums zu bedienen, sondern streckenweise ebenso chaotisch wirkte wie das Innenleben seiner pubertären Hauptfiguren. Im Sequel verläuft das Geschehen auf relativ ausgetretenen Pfaden und folgt der üblichen Überbietungslogik des Sequels: Es gibt mehr Turtle-Action, mehr Sprüche und Gags und mehr Schauspieler in Kostümen: Shredder kreiert mithilfe des Ooze nämlich noch zwei weitere Mutanten – einen Riesenwolf und eine Riesenschnappschildkröte -, deren Design das Herz des Kindes im Mann aufgehen lassen und den Höhepunkt des Films markieren. Das alles sorgt wie gesagt dafür, dass der Film besser reinläuft, aber auch, dass man ihn schneller vergisst. TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES war doch eine reichlich seltsame Angelegenheit, mit seinen Referenzen an ein erwachseneres Kino, der brüchigen Narration, dem Antiklimax zum Finale und den „leeren“ Protagonisten. THE SECRET OF THE OOZE ist bunter, runder, lauter, aufregender und greller … aber paradoxerwesie auch vorhersehbarer und daher langweiliger. Aber für meinen gestrigen Abend, an dem mir ein dank kurz ausgefallener Nachtruhe immens langer Tag Hirn und Körper beschwerte, war TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES 2: THE SECRET OF THE OOZE genau das Richtige.

New York wird von einer Welle des Verbrechens überrollt, hinter der die Fernsehreporterin April O’Neil (Judith Hoag) das Treiben des japanischen Foot-Clans vermutet. Als die Reporterin dem Anführer dieser Bande, dem bösen Shredder (James Saito), zu nahe kommt, lässt er sie von seinen Schergen überfallen. Zum Glück kommen ihr die vier mutierten Schildkröten Raphael, Michelangelo, Donatello und Leonardo zur Hilfe: Die wurden von der Ratte Splinter (Kevin Clash) in der New Yorker Kanalisation großgezogen und in der Kunst des Ninjitsu unterwiesen. Zusammen mit dem selbst ernannten Vigilanten Casey Jones (Elias Koteas) stellen sie sich dem Foot Clan …

Die Teenage Mutant Ninja Turtles waren in den mittleren bis späten Achtzigerjahren ein relativ erfolgreiches Comicfranchise für Kinder, schafften mit den ach so beliebten „coolen Sprüchen“, catchphrases wie „Cowabunga!“ und einer unstillbaren Pizzavorliebe den Sprung auf Merchandising aller Couleur, in Video- und Computerspiele, ins Fernsehen, in die Spielwarenläden und natürlich auch auf die Kinoleinwände, auf denen es insgesamt drei Filme zu sehen gab, bevor die Filmreihe 1993 zunächst eingestellt und 2007 relativ erfolglos reanimiert wurde. 1990 war ich der Zielgruppe für einen Film mit sprücheklopfenden Kampfschildkröten schon entwachsen, und so ging der neue Trend an mir vorbei, obwohl ich für solch albernem Quark eigentlich damals schon ein Faible hatte. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass ich überaus euphorisch zugegriffen habe, als mir die DVDs der ersten drei Kinofilme in Amsterdam günstig in die Hände fielen. Nachgeholte Kindheit hat ja was für sich und wäre ich mit 14 von meinen Klassenkameraden für einen Kinobesuch wohl ausgelacht und stigmatisiert worden, verleiht mir der Besitz der DVDs heute eine Aura glanzvoller Exzentrik. Na gut, wahrscheinlicher ist es, dass man mich als kaufsüchtigen Nerd bezeichnet. Egal, denn TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES ist gar nicht mal so schlecht.

Regisseur Steve Barron, der sich mit dem berühmten A-ha-Video zu „Take on me“ für Comicadaptionen empfahl und ein paar Jahre später noch den liebenswerten THE CONEHEADS nachlegte, schafft es nämlich ganz gut, die alberne und ja auch reichlich egale Story zugunsten der Betonung der visuellen Seite des Films in den Hintergrund zu schieben: Was vom ersten TURTLES-Film in Erinnerung bleibt, das sind die herrlich verwitterten, zwischen Comic-Verklärung und Authentizität oszillierenden New-York-Kulissen, die detailreiche Kanalisationswelt, die tollen Puppen aus der Werkstatt Jim Hensons – allen voran Splinter, der tatsächlich Erinnerungen an selige THE DARK CRYSTAL-Tage weckt -, die herrliche, mit altmodischer Stop-Motion-Animation realisierte Rückblende, die die Origin Story der Turtles erzählt,  und die von den kiloschwer beladenen Schauspielern ausgezeichnet umgesetzten Kampfchoreografien, die belegen, dass das Golden-Harvest-Siegel, das zu Beginn erstrahlt, nicht bloß müder Promogag ist. Was man dem Film hingegen vorwerfen muss – und diesen Schwachpunkt teilt er lustigerweise mit „echten“ Ninjafilmen und ihren gleichförmigen Maskenmännern – ist, dass die vier amphibischen Protagonisten keinerlei Identifikationspotenzial aufweisen, weil man sie einfach nicht auseinanderhalten kann. Ihre Persönlichkeit erschöpft sich in Charakterzügen, die wohl nur begeisterte Sechsjährige herausfiltern und dann dem entsprechenden Namen zuweisen können, und verschiedenfarbigen Augenbinden. TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES hinkt deswegen gewaltig, wenn er zur Ruhe kommt und sich von der Action ab- und den vier Helden zuwendet. Dass Barron ihnen zwei menschliche Partner zur Seite stellte, spricht Bände. Andererseits könnte man im Sinne des Films argumentieren, dass sich gerade in dieser Identitätslosigkeit das „Teenage“ des Titels entbirgt, das man gern überliest. Michelangelo, Donatello, Raphael und Leonardo sind eben noch keine fertigen Charaktere, sie üben erst noch.

Will man sich nicht damit abfinden, dass TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES nicht mehr als 90 Minuten harmlosen Eskapismus liefert, kann man Barrons Film relativ fruchtbar als Kinderversion von Burtons BATMAN betrachten: Dem düstergothischen Gotham City, das von wahnsinnigen Verbrechern und traurigen Rächern bevölkert wird, setzt Barron ein lebhaftes Manhattan entgegen, das trotz seines Trubels fast dörflichen Charakter hat, der Schurke auf eine ihm hörige Kinderarmee, die großen Spaß daran hat, auf offener Straße Fernseher zu klauen und im Geheimsversteck nach Herzenslust zu skaten oder an Spielautomaten zu zocken (unter ihnen befindet sich ein junger Sam Rockwell) und die Turtles auf ihren kaum zu bändigen Esprit und das Vorrecht der Jugend, laut, aufmüpfig und frech zu sein. Die Verbrecherhatz ist für sie ein großer Spaß, auch wenn der im Laufe des Films dadurch getrübt wird, dass der arme Splinter den Bösen in die Hände fällt. Da müssen die vorlauten Teenager dann doch mal Verantwortung übernehmen.

Der österreichische Prinz Malko Linge (Miles O`Keeffe) arbeitet nebenberuflich als CIA-Agent und reist mit dem Auftrag nach San Salvador, den verbrecherischen Enrique Chacon (Raimund Harmstorff) zu liquidieren, der das kleine Land in Angst und Schrecken versetzt. Weil Chacons Männer aber überall sind, lassen sämtliche Informanten, die Malko helfen sollen, ihr Leben …

Es ist schon erstaunlich, dass so viele große Kameramänner als Regisseure so außerordentlich mäßig sind. Auftritt Raoul Coutard, der als DOP von Jean-Luc Godard und Francois Truffaut den Look der Nouvelle Vague ganz entscheidend mitprägte, dafür sorgte, dass Filme wie A BOUT DE SOUFFLE, TIREZ SUR LE PIANISTE, UNE FEMME EST UNE FEMME, JULES ET JIM, LE MEPRIS, BANDE À PART, PIERROT LE FOU und zahreiche weitere unauslöschlich ins kollektive filmische Gedächtnis eingebrannt sind, inszenierte insgesamt drei Filme, von denen S.A.S. À SAN SALVADOR der letzte ist: Wenn man sich diese unbeholfene Hanswurstiade anschaut, dann wundert man sich nicht, warum danach nichts mehr kam. Basierend auf einer Trivialroman-Reihe von Gérard de Villiers („die erfolgreichste Agentenserie der Welt“, quäkt der lesenswert dumme Klappentext der exzellenten deutschen DVD, erschienen im „Cobra-Verlag“, wissen die Credits herauszuposaunen), der auch das Drehbuch schrieb, versucht sich Coutard an einem Bond-artigen Agentenabenteuer voller exotischer und mondäner Schauplätze, attraktiver Damen und finsterer Schurken, produziert aber dank hölzerner Akteuere, eines unfassbar schematischen Drehbuchs und eines deutlich knapperen Budgets nur unfreiwillige Lacher und gähnende Langeweile. Dabei kann man Coutard nicht unterstellen, nicht von Anfang an alles zu geben: Erst sorgt die – im weiteren Verlauf überaus inflationäre – Nennung des selten dämlichen Namens der Hauptfigur für ungläubiges Kopfschütteln, dann beruhigen die Aufnahmen auf seinem malerischen Schlösschen die Seele mit etwas Schwarzwaldklinik-Romantik, bevor Sybil Danning ihre getunten Körperformen in den Bildkader schiebt und den endgültigen Abstieg in schmierige Exploitationgefilde signalisiert, in denen man sich in den nächsten 80 Minuten aufhalten darf.

Harmstorff (der sich selbst synchronbellt) gibt den ultrabösen Chacon mit schwarz gefärbter Gelfrisur, prächtigem Schnäuz und weißem Anzug, Anton Diffring spielt einen redseligen Säufer, der in jeder Szene, in der er auftritt, von O’Keeffe links liegen gelassen wird und dann dumm im Hintergrund rumsteht, Dagmar Lassander lässt sich vom Helden einmal quer durch dessen Hotelzimmer dreschen und macht auch schon einen etwas aufgedunsenen Eindruck, der Score düdelt discös vor sich hin und anstatt die Weltgewandtheit der Bondreihe zu emulieren, erinnert Coutards Film eher an die zahlreichen Ausflüge des italienischen Kinos nach Miami. Den Vogel schießt Coutard aber in seinem spannenden Showdown (hüstel …) ab: Irgendwann muss der Film halt mal enden, also latscht Malko einfach zur Vordertür von Chacons Villa rein, die gänzlich unbewacht ist. Vielleicht haben aber auch alle potenziellen Leibwächter schon reißaus genommen, weil Malko erstens zwei Kollegen vor der Eingangspforte platziert hat, damit sie ihn „vom Garten her decken“, und er sich zweitens behende wie ein Panther, aber in plain sight auf das Haus zuschleicht. Der Zweikampf in einem mit vielen Spiegeln sonst aber fast nichts möbliertem Haus lässt einem schmerzhaft bewusst werden, dass man statt S.A.S. À SAN SALVADOR auch ENTER THE DRAGON oder zumindest THE MAN WITH THE GOLDEN GUN hätte gucken können, dann aber andererseits die tollen Porträtfotos verpasst hätte, die Chacon von sich und seiner Frau an der Wand gleich neben den Billigboxen mit den Keramikpapageien drauf aufgehängt hat. So dumm dieser Film auch ist, so spaßig ist er auch, verströmt außerdem viel sterilen Achtzigerjahre-Charme für Nostalgiker und sollte leicht und für wenig Geld aufzutreiben und einer Sammlung mit exploitativer Schlagseite daher unbedingt einzugemeinden sein. Schon allein, um ihn im Regal dann aus böswilliger Ironie neben den Nouvelle-Vague-Filmen zu plazieren.

Kelly (Constance Towers) kommt in die Kleinstadt Grantville, nachdem sie sich im Streit von ihrem Zuhälter getrennt hat. In der beschaulichen Stadt lernt sie den Polizisten Griff (Anthony Eisley) kennen, der sie erst ins Bett zerrt und sie dann an das städtische Bordell vermitteln will, wo er ein und aus geht. Doch Kelly überkommt plötzlich das Bedürfnis, ihr Leben zu ändern. Sie mietet sich bei einer alten Jungfer ein und beginnt als Kinderkrankenschwester zu arbeiten. Als sich Grant (Michael Dante), Lokalprominenz und Urahne des Stadtgründers, in die junge Frau verliebt, scheint ihr Traum von einem neuen, besseren, glücklicheren Leben Wahrheit zu werden. Doch sie erlebt eine böse Überraschung …

Ich weiß gar nicht genau, warum ich meine kleine Fuller-Werkschau im Herbst vergangenen Jahres angebrochen habe: Es war keine bewusste Entscheidung, vielmehr haben sich andere Filme dazwischen gedrängt. Zum Glück braucht man für die Filme des kernigen Zigarrenrauchers keinerlei Einarbeitungszeit, weil der alte Zeitungsmann wusste, dass man keine Zeit verlieren darf, wenn man sich die Aufmerksamkeit des Publikums sichern will. Seine Filme beginnen stets mit einem Knalleffekt, ähnlich einer markigen Schlagzeile, die unsere Neugier erregt. THE NAKED KISS hat dann auch eine Eröffnungsszene fürs Filmgeschichtsbuch: Die uns noch unbekannte Kelly geht auf ihren angetrunkenen Zuhälter los wie eine Furie, verliert dabei ihre Perücke und schlägt vollkommen glatzköpfig auf den armen Kerl ein. Fuller löst die Szene zu einem Großteil in Close-ups auf das wütende, verzweifelte Gesicht der Frau auf, die durch den kahlen Schädel entstellt wird, lässt sie dann während der Anfangscredits ihre Fassung und Würde zurückgewinnen, wenn er sie – ebenfalls im Close-up – dabei zeigt, wie sie ihre Perücke wieder aufsetzt und dabei langsam, aber sicher wieder die Kontrolle über ihre Gesichtszüge erlangt. Bei ihrem nächsten Auftritt in Grantville ist Kelly bereits eine andere Frau: Vornehm und stilsicher sieht sie aus, ihre Haare sind mittlerweile wieder gewachsen. Für den Zuschauer hat sie hier schon einen Sprung gemacht, in ihrem Bewusstsein dauert es aber noch 24 Stunden und eine Nacht mit Griff, bis sie erkennt, dass sie dieses Leben nicht mehr will.

Fullers THE NAKED KISS ist, so sehr er auch dem Groschenroman verpflichtet ist (der Film mutet ein wenig wie ein SHOWGIRLS mit umgekehrten Vorzeichen an), ein ungewöhnlich zärtlicher und einfühlsamer Film, der auf einen Plot fast völlig verzichtet, alle Handlung aus dem Charakter Kellys heraus motiviert. Ihn ein „flammendes Plädoyer“ für die Gleichberechtigung zu nennen, liegt zwar nahe, denn Fuller zeigt eine Protagonistin, die sich versucht, in einer von Männern dominierten Welt, in der der Frau immer ihr Plätzchen zugewiesen wird, das sie gefälligst einzunehmen hat, zu behaupten, trifft den Geist des Film aber trotzdem nicht. Fuller hat nämlich keinen wohlfeilen Thesenfilm gemacht, den man dann abnicken kann, vielmehr zeigt er die Welt einfach so, wie sie sich ihm darstellt, kommentiert sie ausschließlich durch die Wahl seiner Hauptfigur. THE NAKED KISS ist gewissermaßen Anti-Noir, weil die Femme Fatale hier niemandem mehr den Kopf verdrehen will, aber von den Männern – selbstsüchtigen Manipulatoren – ständig auf diese Funktion reduziert wird. Die Männer verbünden sich bei ihren Drinks, grienen sich wissend an, beneiden sich heimlich gegenseitig oder erzählen sich Kriegsgeschichten, während es den Frauen zukommt, sich darum zu bemühen, dass die Menschlichkeit bewahrt wird. Griff, der in einem klassischen Noir der Held wäre, wird hier als gewissenlos-egoistischer Widerling gezeichnet: Er lauert am Busbahnhof (im Kino nebenan läuft Fullers SHOCK CORRIDOR) ankommenden Frauen auf, um sie sogleich der Puffmutter Candy (Virginia Grey) zuzuführen, und nach dem gemeinsamen Schäferstündchen – sozusagen seine Vermittlungsprovision – haben sie gefälligst wieder zu verschwinden. Er betrachtet diese Frauen als seinen Besitz, weshalb auch der Hass in seinen Augen aufblitzt, als Grant mehr als nur Interesse für Kelly signalisiert. Die Kriegsfreundschaft zwischen den Männern – Grant hatte Griff einst das Leben gerettet – zählt da nichts mehr. Und dass Griff zwar Polizist ist, wir ihn aber erst ganz zum Schluss einmal bei der tatsächlichen Ausübung seines Berufes sehen, sagt viel über diese Welt, aber auch über ihn aus.   

THE NAKED KISS ist ein hoch interessanter und außergewöhnlicher Film, der mich aber etwas auf dem falschen Fuß erwischt hat. Nach den Männerfilmen Fullers stellt er thematisch einen harten Bruch dar, auch wenn man den Stil seines Regisseurs immer noch erkennt: in den klaren, aber wunderschönen Bildern, in der Unvoreingenommenheit, mit der er seine Charaktere zeichnet, in der unverstellten Inszenierung, die manchmal, je nach Anlass, kitschig oder aber zynisch anmutet, eigentlich aber nur gnadenlos aufrichtig ist. Ich habe mich diesmal eher etwas schwer mit ihm getan, aber ich bin mir sicher, dass sich da bei einer weiteren Sichtung schon wieder anders darstellen kann. Einizigartig ist er in jedem Fall.

Ich hatte anlässlich der Vorführung beim Fantasy Filmfest 2009 schon einmal lobende Worte zu Jonathan Auf Der Heides Spielfilmdebüt VAN DIEMEN’S LAND hier im Blog verloren. Anlääslich der DVD-Veröffentlichung des Film habe ich einen weiteren ausführlichen Text zu diesem wirklich sehenswerten Film geschrieben, der mir beim zweiten Mal sogar noch besser gefallen hat. Den Text findet man auf F.LM – Texte zum Film und zwar hier.

dying breed (jody dwyer, australien 2008)

Veröffentlicht: November 26, 2010 in Film
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Nina (Mirrah Foulkes) begibt sich mit ihrem Freund Matt (Leigh Whannell), Matts Bruder Jack (Nathan Phillips) und dessen Freundin Rebecca (Melanie Vallejo) nach Tasmanien, um dort überlebende Exemplare des eigentlich als ausgestorben geltenden Tasmanischen Tigers, einer Wildhundart, zu finden. Vor Jahren hatte Ninas Schwester dort Spuren des Tieres entdeckt, war aber unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Auf Tasmanien angekommen, müssen sich die vier Freunde zunächst mit der etwas hinterwäldlerischen Bevölkerung herumschlagen. Die harmlosen Reibereien schlagen bald jedoch um in blutigen Ernst, denn die Hinterwäldler entpuppen sich als Nachfahren des legendären Kannibalen Alexander Pearce. Und um sich fortzupflanzen sind sie auf frisches Blut angewiesen …

DYING BREED habe ich bei einem privaten Themenabend im Doppelpack mit dem fantastischen VAN DIEMEN’S LAND gesehen, der die wahre Geschichte von Alexander Pearce erzählt. Der Ire fristete zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Dasein als Sträfling auf Tasmanien, bevor er mit mehreren anderen zusammen in die unendlichen Regenwälder der entlegenen Insel floh. Von Hunger und Kälte geplagt, ohne jeden Proviant, entschlossen sie sich bald dazu, sich gegenseitig zu verspeisen. Pearce überlebte als einziger, landete aber erneut in Gefangenschaft und wurde bei einem zweiten gelungenen Fluchtversuch schließlich rückfällig. DYING BREED bedient sich eines Was-wäre-wenn-Szenarios und geht davon aus, dass der Kannibale eine Nachkommenschaft hinterlassen hat, die heute noch ihr Unwesen auf der Insel treibt. Die Idee mag durchaus reizvollen Stoff für einen Horrorfilm bieten, aber definitiv nicht in der hier vorliegenden Form. Die genannte Prämisse bleibt lückenhaft, nicht nur weil sie der Historie völlig widerspricht, sondern vor allem weil nie die Frage beantwortet wird, wie (und mit wem) sich Pearce fortgepflanzt und wie und an wen er seinen Kannibalismus vererbt haben soll. Es steht zu vermuten, dass sich die wenig kreativen Köpfe hinter dem Film diese lästigen Fragen gar nicht erst gestellt haben, weil sie viel zu begeistert von der Idee waren, kannibalistischen Backwood-Horror mit australischer Geschichte zu verbinden, als dass sie sich von schnöden Plausibilitätsanforderungen die Tour vermasseln lassen wollten. DYING BREED kommt dann auch nie über schematisches Malen nach Zahlen hinaus: Von den flachen Figuren, zwischen denen es von Anfang an die obligatorischen schwelenden Konflikte gibt, über die misstrauisch-unfreundlichen Hinterwäldler, die mit ihren faulen Zähnen und geistig behinderten Kindern in heruntergekommenen Verschlägen hausen, bis hin zum blutigen Showdown mit der schaurigen Finalenthüllung weiß man als halbwegs bewanderter Zuschauer immer, was als nächstes passieren wird, und wundert sich höchstens, dass diese Wiederkehr des ewig Gleichen tatsächlich nicht von einem einzigen originellen Einfall gestört wird. Geht man davon aus, dass ein Film wie DYING BREED von Überzeugungstätern und Horrorfanboys aus der Taufe gehoben wurde, fragt man sich unweigerlich, ob diese sich selbst solch eine abgestandene Plörre tatsächlich zu Gemüte führen würden. Die Phrase „Von Fans für Fans“ kann man hier jedenfalls übersetzen mit „Von Einfallslosen für Anspruchslose“. So schleppt sich DYING BREED seinem vorhersehbaren Ende entgegen, ohne dass auch nur für eine Sekunde der Funke überspränge. Abgesehen von einigen schönen Aufnahmen der tasmanischen Wildnis und den guten Production Values gibt es hier wirklich nichts, was das Ansehen lohnen würde. Ein auch schon nicht besonders origineller Film wie WRONG TURN legt wenigstens ein ordentliches Tempo vor, vermeidet es, seine belanglose Geschichte unnötig breit zu treten, sondern serviert 75 Minuten lang handlich verpackten Thrill und Gore, die einen wenigstens für die Zeit des Kinobesuchs durchschütteln, bevor er einen wieder in die Gleichgültigkeit entlässt. DYING BREED tut aber so, als hätte er wirklich etwas zu erzählen und vergisst darüber, wenigstens ein paar happige Ekeleffekte zu kredenzen. Zum Vergessen. Oder zum Einschlafen.

Als der Terrorist „Wulfgar“ (Rutger Hauer) nach einem Bombenattentat in London nach New York einreist, um dort mit einem weiteren Anschlag sein angeknackstes Renommee beim terroristenführer Hammad wiederherzustellen, unterweist der britische Terrorexperte Peter Hartman (Nigel Davenport) eine Handvoll New Yorker Cops in Anti-Terror-Maßnahmen. Unter diesen befinden sich auch die Partner Deke DaSilva (Sylvester Stallone) und Matthew Fox (Billy Dee Williams) und vor allem Deke ist ob der empfohlenen Methoden skeptisch: Doch dann steht er dem kaltblütigen Mörder gegenüber ….

NIGHTHAWKS hatte ich irgendwann in meinen Teenagerjahren mal auf RTLplus aufgezeichnet, ihn dann aber nie komplett gesehen, was umso komischer ist, als ich damals ausgewachsener Stallone-Fan war (und dies ja eigentlich auch immer noch bin). Nachdem ich die Lücke gestern endlich geschlossen habe, muss ich leider einräumen, dass ich in all den Jahren eigentlich nichts verpasst, im Gegenteil damals sogar unbewusst eine sehr richtige Entscheidung getroffen habe. NIGHTHAWKS – in der Stallone-Filmografie zwischen ROCKY II und dem Huston-Flop VICTORY anzusiedeln – ist nämlich nur eines von zahlreichen Beispielen schlechter Rollenauswahl, die die Karriere des Superstars und Oscarpreisträgers durchziehen, und ein Film, dessen großes Potenzial durch eine einfallslose und plumpe Inszenierung konsequent unterlaufen wird. Post-9/11 ist ein Film, der Terrorismus vor der imposanten Kulisse Manhattans behandelt, eigentlich per se schon interessant und dass Malmuth antritt, den europäischen Polit- und Agententhriller mit dem US-amerikanischen Großstadtkrimi zu verkuppeln, ist zumindest vor dem Genrehintergrund ein reizvoller Ansatz. Leider demonstriert er hier allerhöchstens, dass beides nicht zusammengehört. Die eisige Nüchternheit des einen Genres erschöpft sich in ein paar Texteinblendungen, die umso sinnloser sind, als Malmuth dies nach der Exposition einfach wieder fallenlässt, und der kühlen Fassade Rutger Hauers, die Direktheit des anderen verkommt in Malmuths uninspirierter Inszenierung zum albernen Kinderkram, wenn DaSilva und Fox ihre Kollegen anzicken und vor ihrem Vorgesetzten die beleidigte Leberwurst spielen. Diese Konflikte gehören zwar zum Inventar des Copfilms, doch hier muten sie bloß simuliert an, weil keinerlei Charakterzeichnung stattfindet. Fast bin ich sogar geneigt, Stallone und Williams als fehlbesetzt zu bezeichnen: DaSilva etwa hat ein Gewissensproblem, das es ihm unmöglich macht, den Abzug in Gegenwart Unschuldiger zu betätigen. Nicht nur, dass diese Schwäche lediglich behauptet wird, zur Figur – immerhin einem Vietnamveteran! – beim besten Willen nicht passt und im weiteren Verlauf des Films auch nie die Rolle spielt, die ihr zunächst zugewiesen wird: Aus heutiger Sicht, mit den berühmten und alles andere als zimperlichen Actionhelden vor Augen, die Stallone später spielen sollte, nimmt man ihm diese moralischen Zweifel einfach nicht ab.

Fehler und Schlampigkeiten dieser Art ziehen sich durch den ganzen Film, der nie der aufregende Großstadtactioner wird, der er wohl gern wäre, seinen B-Movie- oder gar Fernsehfilm-Flair nie ablegen kann. Warum etwa bringt ein Superterrorist eine mit maximal zehn Touristen besetzte Gondel in seine Gewalt, wenn er in New York doch ungleich größeren Schaden anrichten könnte – und dies vorher bei einem Bombeattentat ja auch tut? Weder wird dies seinen größenwahnsinnigen Ansprüchen gerecht, noch sollte dieser Profi ernsthaft annehmen, mit einer Geiselnahme davonkommen zu können. So kommt nie das Gefühl von Bedrohung auf, dass die besten Filme dieser Art hervorrufen: Die Konfrontation zwischen DaSilva, Fox und Wulfgar erfolgt viel zu früh; geradezu lächerlich wirkt es, wenn sie ihm – von dem sie noch nicht einmal wissen, wie er nach einer Gesichtsoperation aussieht -, gleich bei der ersten Patrouille durch nackten Zufall begegnen, nachdem sie vorher lang und breit über seine Raffinesse und Gerissenheit  aufgeklärt wurden. Solche Blödheiten (die ich bei Filmen sonst eigentlich ungern bemängele) sind vielleicht in einem Seagal-Film akzeptabel – mit HARD TO KILL hat Malmuth ein paar Jahre später dann ja auch einen besonders dummen gedreht -, aber nicht in einem reale Ängste bedienenden Terroristenthriller. Neben den Bildern des winterlichen Manhattan – für die ich immer sehr empfänglich bin, weil ich die Metropole selbst zwei Mal in den Wintermonaten besucht habe – und der noch über dem Film liegenden Siebzigerjahre-Aura ist der Schlusstwist, mit dem Malmuth den Bogen zur Auftaktsequenz spannt, das einzige, was ich an NIGHTHAWKS  positiv hervorheben möchte. Das ist deutlich zu wenig. NIGHTHAWKS ist eine der größten Enttäuschungen der letzten Zeit.

Ein Serienmörder geht in der homosexuellen Lederszene New Yorks um. Der heterosexuelle Polizist Steve Burns (Al Pacino), der äußerlich ins Beuteschema des Killers passt, wird als Undercover Cop in die Szene eingeschleust, um als Köder für den Mörder zu fungieren. Doch statt mit diesem wird er mit seinen eigenen Abgründen konfrontiert …

Es ist nahezu unmöglich, über CRUISING zu sprechen, ohne auf seine problematische Entstehungsgeschichte zu verweisen. Friedkins Film zog schon während der Dreharbeiten den Zorn der Gay-Rights-Bewegung auf sich, die ihm Schwulenfeindlichkeit unterstellten, und in der Village Voice wurde offen zur Sabotage der Dreharbeiten aufgerufen; ein Aufruf, dem viele Homosexuelle bereitwillig folgten und die Drehorte im Meatpacking District im Westen Manhattans unter anderem mit lauter Musik beschallten, um Friedkin bei der Arbeit zu stören. (Dieser Artikel – ironischerweise aus derselben Zeitung – beschäftigt sich anlässlich der DVD-Veröffentlichung von CRUISING vor rund drei Jahren mit der damaligen Protestbewegung und ihren Auswirkungen.) Damit endeten die Probleme für Friedkin aber noch lange nicht: Der Film erhielt das gefürchtete X-Rating, das ihn als Pornografie stempelte, mehrere Schnitte und Kürzungen von rund 40 Minuten waren nötig, um das R-Rating zu erhalten, das letztlich aber nicht verhindern konnte, dass CRUISING sowohl an den Kinokassen als auch bei den Kritikern durchfiel. Seine Rehabilitation erfuhr der Film erst in den Neunzigerjahren, in denen es durch das veränderte öffentliche Klima möglich wurde, den Film auf der einen Seite als Zeitzeugnis und als Fenster in eine Welt vor Aids zu betrachten und ihn gleichzeitig auch von der porträtierten Szene losgelöst zu betrachten. Die Kenntnis von Friedkins Werk und seinen Methoden hilft ungemein, CRUISING zu verstehen; oder besser: sich einem Verständnis anzunähern. Denn eines ist klar: CRUISING ist ein schwieriger Film.

Schon mit seinem großen Durchbruch THE FRENCH CONNECTION 1971 etablierte sich Friedkin als provokanter und innovativer Filmemacher. Für den genannten Film griff er auf einen semidokumentarischen Stil zurück und lieferte die Blaupause für die heute endgültig im Mainstream angekommenen filmischen Authentifizierungsstrategien. Gleichzeitig zwang er sein Publikum, sich mit einem rassistischen Zyniker zu identifizieren und die Welt durch dessen Augen zu betrachten, ohne dessen Weltsicht zu relativieren. In seinem Welterfolg THE EXORCIST schließlich manipulierte Friedkin die Zuschauer mittels Einsatz subliminaler Bilder und löste so ihre für gewöhnlich passive Beobachterrolle auf, öffnete sie unbemerkt für den Dämon, der auch von seiner Protagonistin Regan Besitz ergriffen hatte. Das ist programmatisch: Man kann sich als Zuschauer in einem Friedkin-Film niemals bequem zurücklehnen, weil sie volle Teilnahme fordern. Zuschauer- und Filmraum sind nicht länger von einander getrennt, vielmehr entfaltet sich der Film dialektisch im Limbo zwischen diesen beiden.

So auch CRUISING, der – auch wenn Friedkin im Audiokommentar versichert, die Szenen in den Lederbars der homosexuellen S&M-Szene nicht gestellt, sondern deren feiernde Stammkundschaft einfach nur „abgefilmt“ zu haben – mitnichten einen neutralen, quasidokumentarischen Blick auf die Lederszene wirft, sondern diese in einer für den Zuschauer höchst konfrontativen Weise in Szene setzt, die die beherrschenden Themen des Films, Verführung und Gewalt, widerspiegelt. Die Bilder vom orgiastischen Treiben in den verschwitzten Bars, von Menschenaufläufen in nächtlichen Parks und an Straßenecken, von Blicken voller Lust und Begierde und einem offenen Umgang mit Sex werden kontrastiert von den drastischen Mordszenen, dem aggressiv ausgestellten männlichen Körperkult und den autoritären Insignien des Sadomasochismus, die seine Anhänger zur Schau stellen, aber auch vom Hass, der ihnen etwa von Seiten der Polizei entgegenschlägt. CRUISING bewegt sich im pulsierenden Rhythmus von Anziehung und Abstoßung, den man als Zuschauer mitgeht, und man kommt kaum umhin, diesen Kontrast schon als prophetischen Boten der nur wenig später aufkeimenden Krankheit zu betrachten. Doch mehr als ein Film über die schwule Lederszene der ausgehenden Siebzigerjahre scheint mir CRUISING ein Film über das ambivalente Selbstbild des postmodernen Mannes zu sein, der zwischen dem Ideal des virilen Kämpfers, dem er nicht mehr entsprechen kann, und seiner femininen Seite, die er nicht zeigen darf, hin und hergerissen ist und darüber in eine tiefe Identitätskrise fällt. Ihren deutlichsten Ausdruck findet diese Erkenntnis wohl im Bild eines mit einer verspiegelten Sonnenbrille verdeckten Gesichts: Der Blick ist nicht mehr vom Erblicktwerden zu trennen, Subjekt und Objekt verschmelzen zu einem, man sucht das Andere und findet immer nur sich selbst.

Schon Burns‘ Reaktion auf die überaus direkte (und eine ziemlich deutliche Sprache bezüglich der Haltung gegenüber Homosexuellen sprechenden) Frage, ob er schonmal einen „Schwanz gelutscht“ habe, die ihm sein Vorgesetzter (Paul Sorvino) zu Beginn des Films stellt, lässt seine Selbstzweifel erkennen: Statt eines eindeutigen „Ja“ oder „Nein“ gibt es ein verschämt-überspielendes Lachen, ein unruhiges Auf-dem-Stuhl-Rutschen und eine ausweichende Antwort. Später geht Burns an seinem allerersten Tag als Undercover-Polizist geradezu enthusiastisch mit seinem homosexuellen Nachbarn Ted (Don Scardino) in ein Café, während die seltener werdenden Besuche bei seiner Freundin Nancy (Karen Allen) seltsam belastet scheinen. In einer späteren Sexszene mit ihr nimmt Burns sie rabiat und ohne sie anzusehen, seine schüchternen ersten Tanzbewegungen in einem Schwulenclub weichen nach kürzester Zeit einem aggressiv-dominanten Habitus und wie selbstverständlich hüllt sich Burns in Lederjacke und -armbänder: Man hat nicht den Eindruck, er verkleide sich bloß. Und nachdem er sich in einem Fetischladen über die Bedeutung verschiedenfarbiger Einstecktücher erkundigt hat, sieht man ihn später mit einem gelben Tuch als Natursektliebhaber ausgezeichnet: Hier legt jemand mehr als nur leichte Neugier an den Tag.

In der ungewöhnlichen Auflösung des Krimiplots geht Friedkin noch einen Schritt weiter: Der Mörder, den er während der ersten Hälfte seines Films noch mehrfach bei der Ausübung seiner Taten zeigt, verschwindet in der zweiten völlig aus dem Film. Der verdächtige Student Stuart (Richard Cox), den Burns stattdessen zu beobachten und zu verfolgen beginnt, ist nicht der Mörder aus diesen Szenen, der Zuschauer weiß, dass Stuart unschuldig ist und lediglich deshalb aggressiv auf Burns reagiert, weil er sich selbst von diesem bedroht sieht. Und Burns macht es sichtbar Spaß, seine Machtposition gegenüber dem verängstigten Studenten auszuspielen. Hatte er vorher, nachdem seine Kollegen einen anderen Verdächtigen auf Grundlage kaum stichhaltiger Indizien gedemütigt und misshandelt hatten, seinem Chef gegenüber noch sein Entsetzen über die offen zur Schau getragene Schwulenfeindlichkeit ausgedrückt, fällt er nun selbst in die Rolle des sadistischen Bestrafers. Und wer ist der Mörder an Burns‘ Nachbar Ted, der am Ende tot in seiner Wohnung aufgefunden wird? In der ursprünglichen Schnittfassung waren angeblich Hinweise darauf enthalten, dass Burns während seiner Armyzeit gewalttätig gegenüber Homosexuellen geworden war, die die Lesart, dass Burns ein zwischen den Polen Homosexualität und Homophobie Hin- und Hergerissener ist, stützen. Das Ende, das einen ermatteten Burns zeigt, der voller Selbstzweifel in den Spiegel blickt, während seine Freundin sich in seine abgelegte Lederuniform hüllt, lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu.

CRUISING ist – so viel ist aus meinem Text hoffentlich hervorgegangen – ein rätselhafter, unheimlicher und beunruhigender, in seiner überbordenden Körperlichkeit gleichzeitig aber auch ein erschreckend schöner Film. Gegen die Vorwürfe, die vor rund 30 Jahren gegen ihn erhoben wurden, lässt sich zwar argumentieren, aber gänzlich verwerfen lassen sie sich nicht, weil Friedkin die vorherrschenden Ressentiments gegen Homosexuelle wenn auch nicht bedient, so doch für seinen Film nutzt. Das rauschhafte Treiben, das er zeigt, hat eine durchaus zersetzerische Note: Diese Welt scheint den Werten, auf denen die westlichen Zivilisationen aufgebaut sind, diametral gegenüberzustehen, maßvolle Beschränkung und keusche Enthaltsamkeit weichen dem selbstzerstörerischen Exzess. CRUISING fordert mündige, mutige Zuschauer, die sich Friedkins Provokationen stellen, anstatt sich ihnen zu verschließen. Dafür sind wohl auch anno 2010 nur die wenigsten bereit. Die Welt von CRUISING ist mit Aids untergegangen, aber der Film hat seine Relevanz noch lange nicht verloren.

perfect strangers (larry cohen, usa 1984)

Veröffentlicht: November 24, 2010 in Film
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Der Mafiakiller Johnny (Brad Rijn) wird bei der Ausübung seines Berufs von dem dreijährigen Matthew beobachtet, der gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter Sally (Anne Carlisle) in Manhattan lebt. Als Johnny seinen Arbeitgebern von seinem Missgeschick berichtet, fordern diese eine baldige „Lösung“ des Missstands. Johnny stürzt in ein moralisches Dilemma, als er sich das Vertrauen der Kleinfamilie erschleicht, um den kleinen Matthew umbringen zu können, sich aber unerwarteterweise sehr wohl in der neuen Vaterrolle fühlt. Als Fred (John Woehrle), Sallys Exmann und Matthews leiblicher Vater, von dem „Neuen“ erfährt und aus lauter Misstrauen einen Privatdetektiv auf ihn ansetzt, spitzt sich die Situation zu …

Back to back mit dem phänomenalen SPECIAL EFFECTS gedreht, ist PERFECT STRANGERS ein gänzlich anderer Film: klares und konzentriertes Suspensekino statt intellektuelles Vexierspiel. Zumindest auf den ersten Blick. Cohens Klasse und sein Einfühlungsvermögen als Autor kommen hier weniger in einem kühnen Gesamtentwurf, sondern vielmehr in kleineren Details zum Vorschein, die seinen Film von vergleichbaren 08/15-Thrillern abheben. Der Klassenunterschied zu diesen ist vor allem deshalb erkennbar, weil PERFECT STRANGERS mit einer Prämisse aufwartet, die recht konventionell ist. Die Spannung erwächst hier aber weniger aus dem Wissen, dass der neue Hausfreund ein Killer ist, der jederzeit zuschlagen kann, wie dies in etlichen Thrillern vor allem der Neunzigerjahre durchexerziert worden wäre, sondern aus dem inneren Konflikt Johnnys, der Matthew zwar nicht töten will, sich dem Willen seiner Bosse aber auch nicht konsequent zu widersetzen traut. Die Frage ist, wann das Abwägen zwischen seinen moralischen Prinzipien und der aufkeimenden Liebe für Sally und Matthew auf der einen und der Angst um sein eigenes Leben auf der anderen Seite zu Ungunsten der Kleinfamilie ausfallen wird. Nicht das Hoffen um die Unversehrtheit Matthews ist also die  Quelle der Spannung, sondern das Hoffen um die anhaltende moralische Integrität Johnnys, eines Killers, der in der Inszenierung Cohens eine Chiffre bleibt, obwohl er doch einen Großteil der Screentime erhält. Es bleibt unklar, ob er ein guter Junge ist, der lediglich die falschen Leute kennen gelernt hat, oder ein ausgewachsener Psychopath. Die Schattenrisse, die er per Sprühdose überall in der Stadt von sich hinterlässt, lassen auf eine verwundete Seele schließen: Als seine Beziehung zu Sally und Matthew am intensivsten ist, sprüht er eine Schattenfamilie mit ihm im Zentrum an eine Mauer. Hier fühlt sich jemand einsam, der nie gelernt hat, eine Beziehung zu führen.

PERFECT STRANGERS ist aber auch ein Film über sexuelle Verwirrung und Identitätssuche in den Achtzigerjahren: Sallys beste Freundin verwechselt Feminismus mit Männerhass, eine Szene auf einer Frauenrechtsdemo ist längst nicht nur deshalb enthalten, weil Larry Cohen solche öffentlichen Veranstaltungen gern in seine Filme einbaut, um ihnen Größe und Authentizität zu verleihen (man denke nur an die St.-Patrick’s-Day-Parade in GOD TOLD ME TO), und der Konflikt zwischen Sally und ihrem Exmann Fred liefert ein beredtes Beispiel für die Herausforderungen, mit denen sich eine heterosexuelle Beziehung im ausgehenden 20. Jahrhundert konfrontiert sah. Es sind wie so oft – siehe auch mein Text zu ALEXANDRA’S PROJECT – die Frauen, die diesen Herausforderungen besser gewachsen sind als die Männer, die sich nicht anders zu helfen wissen, als mit Gewalt zu antworten. Auch dieser vermeintlich „einfache“ Cohen-Film eröffnet auf den zweiten Blick also eine weitere, sozialkritische Dimension, entpuppt sich als differenzierter als man zunächst meint, vor allem, wenn man ihn mit den oben genannten Neunzigerjahre-Thrillern vergleicht, die lediglich bürgerliche Paranoia und Verlustängste bedienen. PERFECT STRANGERS oszilliert ebenso zwielichtig wie das spätsommerliche New York – eine Stadt, die nur wenige Regisseure so einzufangen und einzusetzen wissen wie Cohen – zwischen Sonnenschein und Regen.

Als ihr Ehemann Keefe (Brad Rijn) in Manhattan eintrifft, um die Mutter seines Sohnes und Ehefrau Andrea (Zoe Tamerlis) – eine Möchtegernschauspielerin, die ihr Geld damit verdient, für lüsterne Fotografen zu posieren – nach Hause zu holen, flüchtet diese sich in die Arme des ausgebrannten Regisseurs Christopher Neville (Eric Bogosian), der in Hollywood soeben zur Persona non grata erklärt worden ist und an seinem Comeback feilt. Er bringt sie beim Sex um, filmt diesen Mord, trennt sich von der Leiche und eilt wenig später dem verzweifelten Keefe mit Geld und Anwalt zur Hilfe, als der von der Polizei wegen des Mordes verdächtigt wird. Dahinter steckt aber mitnichten Reue, sondern der Plan, den Ehemann zur Mitarbeit an seinem neuestem Projekt zu erpressen: ein Dokudrama über die tragische Geschichte des Ehepaars, das die Grenzen zwischen Film und Realität engültig verwischen soll. Nun fehlt Neville nur noch eine Schauspielerin für den Part der Andrea. Bis Keefe auf Elaine (Zoe Tamerlis) trifft, die seiner Frau aufs Haar gleicht …

Nach dem Troma-Dilettantismus wieder den Übergang zu respektableren Filmen zu finden, ist gar nicht so einfach, wenn man eine harte Zäsur vermeiden will. Zum Glück gibt es Larry Cohen, der sich zwar vordergründig Exploitation-Themen annimmt, diese aber mit Sensibilität, Intelligenz und inszenatorischer Klasse versieht, die man sonst von anerkannten Regiegrößen der Filmgeschichte erwartet. SPECIAL EFFECTS, nach dem wunderbaren Q entstanden, ist ein großer kleiner Film, ein verwegener, konzeptionell aufregender Thriller, der nicht nur in seinen offenen Hitchcock-Referenzen Assoziationen zum Kino Brian De Palmas (und logischerweise Hitchcocks) evoziert, sondern auch in seinen philosophisch angehauchten Reflexionen über Film, Realität und das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden. Von Beginn an – schon während eines Dialogs, der als Offkommentar die Anfangscredits begleitet – wird Neville als Regisseur etabliert, der sich nicht länger damit begnügen will, Fiktion zu machen. Er will, dass seine Filme ebenso real sind wie Realität, dass sie Realität nicht mehr nur abbilden, sondern dies tatsächlich selbst werden. Zu diesem Zweck hat er seinen letzten Film mit teuren Spezialeffekten überfrachtet und wurde vom Set seines neuesten Werks kurzerhand gefeuert, als er das Budget schon wieder weit zu überdehnen drohte. Sein großes Vorbild, so bekennt er, ist Abraham Zapruder, der Hobbyfilmer, der das Attentat auf John F. Kennedy aufzeichnete; später sieht man Neville, wie er sich wieder und wieder die Aufnahmen von Jack Rubys Mord an Lee Harvey Oswald ansieht, um den Indikator zu finden, der signalisiert, dass es sich nicht um inszeniertes Material, sondern um aufgezeichnete Realität handelt. Díesen künstlerischen Ambitionen, hinter denen sich ein ausgewachsener Gottkomplex kaum noch verstecken kann, steht die naive Träumerei von Andrea und Det. Phillip Delroy (Kevon O’Connor) gegenüber, die bereit sind, ihr Leben komplett aufzugeben, um in der Sphäre des Films groß rauszukommen. Der Konflikt des Films besteht auch darin: dass der eine die Transition von Fiktion zu Realität schaffen will (die doch unmöglich ist), während andere ihre reale Existenz zu gern gegen ein ideelles Dasein auf dem Silver Screen eintauschen würden.

Vor diesem Hintergrund entfaltet Cohen seinen Thrillerplot um einen Regular John – Protagonist Keefe kommt aus dem ländlichen Oklahoma in die Metropole (und bringt Filmaufnahmen (!) von seinem kleinen Sohn mit, die Andrea zur Rückkehr bewegen sollen) -, der nicht in der Lage ist, den teuflischen Plan Nevilles erkennen. Dessen Film soll nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: seine Karriere reanimieren und gleichzeitig den engültigen Beweis für Keefes Schuld erbringen, indem er seine privaten Aufnahmen vom Mord an Andrea und das neu gedrehte Material mit Keefe verbindet und so die Lücken schließt, die in der Beweisführung der Polizei noch klaffen. In der Besetzung der Andrea-Figur mit Doppelgängerin Elaine findet Cohens Hitchcock-Hommage aber seinen deutlichsten Ausdruck: Zoe Tamerlis spielt beide Rollen, erinnert damit sowohl an Kim Novak in VERTIGO als auch an Melanie Griffith in De Palmas BODY DOUBLE (der seinerseits eine VERTIGO-Hommage war) und fügt der spielerischen Meditation über Realität/Schein bzw. Kopie/Original eine weitere Ebene hinzu. Doch Larry Cohen ist da noch längst nicht am Ende: Zwischentitel, die wie die Notizen eines Filmemachers folgende Szenen in einen größeren Kontext einbetten und der abschließende Regiecredit „Det. Phillip Delroy“ suggerieren einen mephistophelischen Strippenzieher hinter dem Film, der den Zuschauer die ganze Zeit genarrt hat, und schieben eine federführende Instanz zwischen Zuschauer und Film, die das Geschehen noch weiter abstrahiert.

SPECIAL EFFECTS zählt meines Wissens zu den unbekannteren Filmen eines Regisseurs, der zwar einen über den Kreis der Expoitationliebhaber hinausgehenden Ruf genießt (als Drehbuchautor versorgt er Hollywood regelmäßig mit neuen Stoffen), aber doch vor allem für seine im weitesten Sinne als Horrorfilme zu bezeichnenden Werke bekannt ist (IT’S ALIVE, Q, THE STUFF, GOD TOLD ME TO). SPECIAL EFFECTS knüpft an sein brillantes, aber ungleich schwierigeres satirisches Frühwerk BONE an und ist für mich sein bester Film. Ebenso an- wie aufregend, hervorragend gespielt und inszeniert, und definitiv Stoff für mehrere Sichtungen. Pflichtprogramm also, zumal es eine ausgezeichnete US-DVD gibt.