Es war im April, als ich meine Richard-Fleischer-Werkschau zum ersten Mal angekündigt hatte (siehe hier und hier). Etwas voreilig vielleicht, wie sich inzwischen herausgestellt hat, denn meine Beschäftigung mit Robert Altman war dann doch etwas zeitaufwändiger, als ich das damals geahnt hatte. Aber hinsichtlich meiner nun startbereiten Retrospektive war die Zeit nicht ganz vertan, denn immerhin habe ich die Gelegenheit genutzt, Fleischers immens kurzweiliges und lesenswertes Buch „Just tell me when to cry“ zu lesen, das einige gute Ansätze liefert, sich einem Filmemacher zu widmen, der eher nicht als klassischer auteur und somit als jemand verstanden wird, dessen Werk eine ausführliche Exegese erforderte, sondern der eher als „Auftragsarbeiter“ bekannt ist, diesen Begriff aber vielleicht so gut verkörperte wie kaum ein anderer Hollywood-Regisseur – und ihn darüber hinaus mit Seele zu füllen verstand.
Mit ziemlicher Sicherheit war er eine der fleißigsten und langlebigsten hired hands: Über fast vier Jahrzehnte, von den späten Vierziger- bis in die späten Achtzigerjahre, war er tätig. Und während sich Hollywood und das Filmgeschäft in dieser Zeit massiv veränderten, neue Technologien Einzug hielten, einst erfolgreiche Filmemacher auf dem Abstellgleis landeten (etwa im Übergang der Sechziger- zu den Siebzigerjahren) und eine jüngere Generation das Ruder übernahm, drehte Fleischer fleißig weiter, ohne jemals wirklich den Anschluss an den Publikumsgeschmack zu verlieren. Er arbeitete erfolgreich in nahezu jedem populären Genre, im Noir, Western, Musical, Thriller, Drama, Gangster-, Monumental-, Polizei-, Science-Fiction-, Kriegs-, Fantasy-, Action-, Horror- oder Liebesfilm, landete etliche Kassen- und auch Kritikererfolge und schaffte es, seinen Produzenten meist das zu liefern, was sie sich erhofft hatten, ohne dabei jedoch gesichtslose Stangenware zu produzieren. Der Spagat zwischen Dienstleistung und Selbsverwirklichung gelang ihm wie kaum einem anderen jener oft etwas abschätzig betrachteten Auftragsarbeiter.
Schon sein oben erwähntes Buch macht das deutlich, vor allem im Abgleich mit der Autobiografie eines nicht gerade kompromissfreudigen auteurs wie etwa Samuel Fuller: Ordnet Fuller in seinem fantastischen „The Third Face“ sein Werk vollständig in sein Leben ein, macht er transparent, welche Erfahrungen und Ereignisse seine Filme prägten, und lässt er diese somit als genuinen Ausdruck seiner Persönlichkeit erkennen, hält Fleischer alles Persönliche, was nicht in direktem Bezug zu seiner Arbeit als Filmemacher steht, aus seinem Buch raus. Ihm geht es nicht darum, seinen Lebensweg nachzuzeichnen, auf dem das Filmemachen dann nur eine, wenn auch wichtige, Station war, und sich selbst als Person in den Vordergrund zu rücken. Er ist selbst immer nur insofern von Interesse, als er einer unter vielen (bedeutenderen) Darstellern während eines bestimmten Abschnitts der Hollywood-Filmgeschichtsschreibung war, somit Zeuge von (mehr oder weniger) spannenden Ereignissen und Zeitgenosse von ungleich raumgreifenderen Charakteren, als er selbst einer war. „Just tell me when to cry“ hat somit unweigerlich anekdotischen Charakter und erhebt keinen Anspruch auf Lückenlosigkeit: Filme, über die er nichts zu erzählen hat, werden ganz einfach ausgelassen, und die kleinen Anekdoten, die sich nicht in eine große Geschichte einbinden ließen, sammelt er in in einem kurzen Kapitel zum Schluss und lässt sie für sich stehen.
Das Filmemachen war für Fleischer zu allererst ein Beruf, aber in einem viel weiteren Sinn, als man diesen Begriff heute versteht. Er war ambitioniert und hatte durchaus Interesse daran, auf der Karriereleiter weiter nach oben zu kommen, sprich: gutes Geld zu verdienen, aber er war gleichzeitig keineswegs bereit, dafür alles zu machen, sich selbst komplett unterzuordnen. Er hatte hohe Ansprüche an die Qualität der Filme, die er drehte, und auch an sich, und wenn er glaubte, diesem Anspruch nicht gerecht werden zu können, dann lehnte er ein Filmangebot lieber ab. Damit zog er unter anderem den Zorn des großen John Wayne auf sich: Als Fleischer es ablehnte, einen Film mit dem eitlen Superstar zu machen, weil ihm das Drehbuch nicht gefiel, und der so Verschmähte ihn daraufhin bei einem Treffen mit der rhetorischen Frage konfrontierte: „Du bist also der Regisseur, der keinen John-Wayne-Film machen will?“, antwortete Fleischer: „Nein, ich will nur keinen schlechten John-Wayne-Film machen.“ Spannende Geschichten filmisch adäquat umzusetzen und somit Filme zu drehen, die das Publikum je nach Sujet fesseln, berühren, unterhalten, zum Lachen bringen oder zum Nachdenken anregen: Das war sein Ziel, seine Form der Selbstverwirklichung.Und dieser hohe Qualitätsanspruch reichte schon aus, um ihn mit einigen weniger kleinlichen Produzenten zusammenprallen zu lassen.
Stellt man sich den auteur gemeinhin als kompromisslosen, unnachgiebigen, wahlweise in sich selbst versunkenen oder aber krass extrovertierten Menschen vor, der keine Alternative zur künstlerischen Arbeit hat, dem es geradezu unmöglich ist, sich nicht künstlerisch auszudrücken, und der also von seinem Werk überhaupt nicht zu trennen ist, so stellt sich Fleischer in der Art, wie er über seine Tätigkeit schreibt, als das komplette Gegenteil dar, nämlich als diplomatischen Projekt- und Krisenmanager, dessen Bestreben es nicht sein kann, seine Vision ohne Rücksicht auf Verluste gegen andere zu verteidigen, sondern diese im Gegenteil mit viel Fingerspitzengefühl von ihrer Richtigkeit zu überzeugen oder aber vertretbare Kompromisse anzubieten. Gerade weil Fleischer als nüchterner, sachlicher Arbeiter zwischen aufgeblasenen Schauspieler- und Produzentenegos oftmals auf verlorenem Posten stand, war „Filmemachen“ für ihn ungefähr gleichbedeutend mit „Probleme lösen“. Dass er – zum Teil noch am Anfang seiner Karriere – mit als äußerst schwierig bekannten Leuten wie Robert Mitchum, Kirk Douglas, Charles Bronson, Orson Welles, Charlton Heston, George C. Scott oder auch Howard Hughes zusammenarbeitete und am Ende trotzdem ein erfolgreiches Produkt abliefern konnte, ohne dabei einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, mag als Beleg dafür gelten, dass er das Inszenieren als Problemlösen ziemlich perfektioniert hatte.
Was ihn über diese Interpretation der Auftragsarbeit hinaus interessant macht, ist sein technisches wie logistisches Geschick, das wohl nicht zuletzt auf seinen Vater zurückging. Max Fleischer war Stumm- und Trickfilmpionier und hatte gegenüber seinem großen Konkurrenten Walt Disney lange Zeit die Nase vorn (Fleischers brühmteste Schöpfungen sind Popeye und Betty Boop). Er führte seine eigene Animationsfirma, beschäftigte viele talentierte Zeichner und musste sich dem Rivalen lediglich deshalb geschlagen geben, weil dessen Studio das Potenzial des Animationsfilms erkannte und ihm demzufolge auch mehr Geldmittel zur Verfügung stellte. Disney kaufte Fleischers Angestellte weg und durfte schließlich den ersten Farb-Trickfilm machen, während Fleischers Produzenten noch glaubten, damit sei kein Geld zu verdienen. Fleischers Stern ging zwangsläufig unter, während Disney ein Imperium aufbaute – und im Hause des gekränkten Max Fleischer zur Persona non grata wurde. Ein Hang zu technisch ambitionierten Filmen lässt sich bei Fleischer früh erkennen: 1952 drehte er mit THE NARROW MARGIN einen Thriller, der fast ausschließlich in einem Zugabteil spielt und ihm euphorische Kritiken einbrachte (der Publikumserfolg blieb ihm verwehrt, weil Howard Hughes den Film in seinem Schrank verschimmeln ließ), und ein Jahr später steuerte er mit ARENA einen Film zum damaligen 3D-Boom bei (der rechtzeitig zu dessen Veröffentlichung aber schon wieder vorbei war). Der Auftrag, ausgerechnet für Disney 20.000 LEAGUES BENEATH THE SEA zu inszenieren (er fragte den Vater vor der Annahme des Angebots um Erlaubnis) beendete nicht nur frustrierende Jahre in der B-Movie-Warteschleife von RKO, er etablierte Fleischer auch mit einem Schlag als Top-Adresse für aufwändige, mit Special Effects gespickte und demzufolge schwierige Blockbuster wie etwa THE VIKINGS, FANTASTIC VOYAGE, DOCTOR DOLITTLE, TORA! TORA! TORA! und THE BOSTON STRANGLER, dessen Einsatz der Split-Screen-Technik als visionär bezeichnet werden darf. Neben diesen lassen sich aber auch andere Filme in Fleischers umfangreichem Werk finden, die nahelegen, dass der Auftragsarbeiter zum einen nicht gern auf der Stelle trat, sondern sich stattdessen immer wieder neuen Herausforderungen stellte, und er zum anderen durchaus persönlich in seine Filme involviert war. Wie ließen sich sonst seine in den Jahren 1968 bis 1971 entstandene Reihe von Serienmörderfilmen oder seine Entscheidung, sich für MANDINGO auf gänzlich untypische und provokante Art und Weise mit dem Thema „Sklaverei“ auseinanderzusetzen (der Film wird heute noch weit gehend missverstanden), interpretieren? Ihm musste klar gewesen sein, dass er mit MANDINGO weit eher Kritik und Unverständnis als Ruhm und Ehre ernten würde.
Ich hoffe, meine Beschäftigung mit Fleischers Werk in den kommenden Wochen (und wahrscheinlich Monaten) wird den Filmemacher Fleischer noch deutlicher konturieren, als ich das hier sehr vorläufig versucht habe, den Menschen noch stärker aus seinen Filmen herausarbeiten und die scharf gezogene Trennlinie zwischen dem individualistischen auteur und dem anonymen Auftragsarbeiter etwas verwischen.
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