Jerry Mitchell überhört den Wecker, schreckt dann panisch hoch, um sich für den bevorstehenden Schultag fertigzumachen, an dem er die Verantwortung über den School Store hat. Nach einer hektisch besorgten Katzenwäsche, einem zwischen Tür und Angel eingenommenen Frühstück und dem Missbrauch der Mikrowelle als Wäschetrockner kann für ihn und die schon auf ihn wartende jüngere Schwester die Fahrt zur Schule beginnen, auf der er unterwegs noch seine eigentlich viel zu coole, gelassene und souveräne Freundin aufsammeln muss, deren ausgezeichnetes Timing sie ohne jede Eile und punktgenau in der richtigen Sekunde vor die Tür treten lässt. Kein Vergleich zum entnervten Jerry, der kurz darauf beinahe alle drei in einen haarsträubenden Verkehrsunfall verwickelt, den er nur kraft des unverschämten Glücks des Tüchtigen vermeiden kann. Just in dem Moment, als er den Schock abgeschüttelt hat und auf den Schulparkplatz einbiegt, drängt sich der Popsong vom Soundtrack in den Vordergrund und vermeldet: „This is something to remember me by.“ Das muss tatsächlich dazugesagt werden, denn Jerry ist eher der Typ „Mann ohne Eigenschaften“, der von allen übersehen wird. Sein grauer Wollpullover spricht Bände. Aber wir wissen jetzt: He will overcome.
Phil Joanous THREE O’CLOCK HIGH erzählt von einem Schultag, an dem für Jerry tatsächlich alles daneben geht und den er – wie jenen Unfall aus der Auftaktsequenz – unbeschadet überstehen muss, obwohl doch alle Zeichen auf Schmerzen, Demütigung, Bestrafung stehen. Der Film folgt jener unaufhaltsamen Eskalationslogik, bei der jedes einzelne Detail so in Stellung gebracht wird, dass sich für Jerry daraus entweder unangenehme Konsequenzen ergeben oder schon bestehende Gefahren noch verschärft werden. Für Jerry geht es tatsächlich um alles: Er fürchtet um seine Gesundheit, sein Leben, seine Schul- und Berufslaufbahn und seine Zukunft, aber es ist ja nicht zuletzt diese Furcht, die ihn in immer tiefere Schwierigkeiten treibt, weil sie ihn dazu verführt, weitere Dummheiten zu begehen. Das Schöne an THREE O’CLOCK HIGH ist, dass er sich der naiven Schuljungen-Perspektive Jerry Mitchells total verschreibt, obwohl er gleichzeitig ganz klar aufzeigt, dass die durchzustehenden Konflikte alles andere als existenzielle Bedeutung haben: Der neue Schüler Buddy Revell (Richard Tyson), von dem er um 15 Uhr eine vermeintlich tödliche Tracht Prügel erwartet, weil er es gewagt hat, ihn anzufassen, und über dessen bisherige Verbrechen und Straftaten die Schüler auf den Gängen der Schule fast ehrfurchtsvoll sprechen, ist zwar ein unangenehmer Bully und Angeber, aber eben kein Mörder, die Polizisten und Sicherheitsbeauftragten der Schule, die Jerry außerdem das Leben zu Hölle machen, als sei er ein Schwerverbrecher, letztlich nur ihre Macht auskostende Sesselfurzer. Wenn Jerry seine Nemesis Buddy mit einem Lucky Punch niederstreckt, ist dessen Bann gebrochen und es sind plötzlich Jerrys „Taten“, die im Stille-Post-Verfahren zu Legenden aufgeblasen werden. So bereitet die High School auf das Leben „da draußen“ vor: indem sie es in kleinerem Rahmen simuliert. Und sie ist als Erziehungsanstalt dann erfolgreich, wenn ihre Schüler ihre Simulation für bare Münze nehmen. Jerry ist in diesem Sinne ein absoluter Musterschüler: So arglos und lieb, dass ihm dieser eine Pechtag als einer erscheint, der über den Rest seines Lebens entscheiden könnte.
THREE O’CLOCK HIGH ist ein wunderbar bescheidener Film: Er kommt ganz ohne Subplots aus, konzentriert sich allein darauf, diese eine Geschichte gut und richtig zu erzählen und das gelingt ihm mit Bravour. Timing und Rhythmus, mit denen solche Filme stehen und fallen, sind perfekt, die Gags sitzen, die Figuren sind genau so weit charakterisiert, dass sie als Typen einerseits klar erkennbar bleiben, andererseits aber trotzdem lebendig sind. Die Besetzung ist ausgezeichnet – vor allem natürlich Casey Siemaszko, der fast jede Szene bestreiten muss – und nach 85 Minuten kommt der Film genau zum richtigen Zeitpunkt zum Ende. Kurzweil auf hohem Niveau von Phil Joanou, der später den Gangsterfilm-Klassiker STATE OF GRACE inszenieren sollte und mit THREE O’CLOCK HIGH sowas wie das Negativ zu FERRIS BUELLER’S DAY OFF gedreht hat: einen Film über die Odyssee eines Jungen, dem einfach alles misslingt. John Hughes‘ Films ist der Traum, das hier die Realität.
Der Film war echt erstaunlich lustig, aber nicht aufgesetzt – danke wieder einmal für die Empfehlung. Selbst wenn manche Gags vorausahnbar sind, transportieren die in der Tat tollen Darsteller sie hervorragend. Irreführend ist der deutsche Titel (Synchro fand ich toll): „Faustrecht – Terror in der Highschool“, what?!
Die Kompaktheit des Films ist wirklich recht erstaunlich, keine Schnörkel. Das entsprechend zeitnahe Ende könnte aber durchaus als Übergang in deinen Traum gesehen werden: Dem Protagonisten stehen drei möglichen Freundinnen (von denen zwei kaum in weiteren Filmen aufttraten) gegenüber, aber eine Entscheidung oder gar ein Konflikt – der sich nie andeutet – bleiben außen vor.
Schön fand ich auch die dynamische Kamera und die längeren Plansequenzen mit vielen Schülern im Hintergrund.
PS: Du könntest die Blogsuche links ruhig weiter nach oben verschieben.
Freut mich, dass dir der Film gefallen hat. Leider kann ich nicht mehr so viel zu ihm sagen, weil meine Sichtung schon zu lange her ist. Ja, der deutsche Titel ist arg unpassend: Da scheint man die Nähe zu anderen Titeln gesucht zu haben. Möglicherweise wollte man ihn im Fahrwasser von Sachen wie THE PRINCIPAL etc. platzieren.
Danke für den Tipp mit der Suche. Habe ich direkt mal geändert. 🙂