In einer nicht näher benannten Zukunft hat die globale Einführung eines Gesellschaftsspiels alle Probleme gelöst: Seit es „Die große Jagd“ gibt, gibt es weder Überbevölkerung, Überalterung noch große Kriege. Es handelt sich dabei um ein Menschenjagdspiel, bei dem alle Teilnehmer insgesamt zehn Jagden – jeweils fünf abwechselnd als Jäger und Gejagter – zu überstehen haben, um am Ende das Preisgeld von einer Million Dollar zu erhalten. Erschwert wird das Ganze dadurch, dass der Jäger zwar sein Opfer kennt, der Gejagte aber andererseits niemals weiß, wer auf ihn angesetzt ist. So kommt es, dass der US-Amerikanerin Caroline Meredith (Ursula Andress) der Italiener Marcello Polletti (Marcello Mastroianni) zugelost wird: Er soll ihr letztes Opfer sein, bevor sie die große Siegprämie einstreichen kann. Ein Teehersteller sichert sich die Übertragungsrechte an der Erschießung zu Werbezwecken, doch dann kommt die Liebe dazwischen …
LA DECIMA VITTIMA ist zweierlei: zum einen eine augenzwinkernde Anti-Utopie, zum anderen ein Film über die Tücken menschlichen Balzverhaltens. Ersteres bietet eigentlich nur den bildlichen Rahmen, die allegorische Überspitzung für letzteres, kann aber durchaus für sich allein bestehen. Anders als in vergleichbaren dystopischen Filmen ist das Jagdspiel in Petris LA DECIMA VITTIMA nicht die äußerste Konkretion eines vorherrschenden Zynismus und der Misanthropie: Seine Welt ist erstaunlich brav und sauber. Wenn einer der Teilnehmer des Spiels sein Opfer auf den Stufen vor dem eigens errichteten „Ministerium der großen Jagd“ erschießt, bekommt er danach erst einmal ein Knöllchen fürs Falschparken; ein anderer, der seinen Gegenspieler auf der Terrasse eines Cafés unter Beschuss nimmt, wird von einem hektischen Kellner darauf hingewiesen, dass dies nicht gestattet sei, woraufhin er sein Leid klagt, dass das Spiel bei all diesen Verboten ja auch nicht mehr das sei, was es mal war. Es ist nicht der Hass auf die Mitmenschen, der die Teilnehmer beflügelt, sondern schlicht Langeweile, emotionale Armut; die Wahrscheinlichkeit, das Preisgeld zu gewinnen, ist so gering, das Risiko so hoch, dass das kaum ein echter Anreiz ist. Und so treffen dann mit Caroline und Marcello zwei Menschen aufeinander, die beide nichts mehr zu verlieren haben: Sie hatte so viel Pech mit den Männern, dass sie darüber zur Männerhasserin geworden ist, ihm wurde die letzte Lebensfreude von der Exfrau und seiner Geliebten systematisch geraubt.
Elio Petris Film ist unverkennbar ein Kind seiner Zeit, eines Jahrzehnts in dem Futurismus und Tradition spielerisch vereint wurden, das Leben vielleicht ein letztes Mal unschuldig, süß und sonnig schien, die Drogen neue Erfahrungen versprachen, die Minröcke kurz und das weibliche Selbstbewusstsein groß waren, während die Männer hinter ihrer kernigen Fassade langsam, aber sicher Minderwertigkeitskomplexe ausbildeten, die traditionellen Beziehungskonzepte überdacht und dann schließlich verworfen wurden. LA DECIMA VITTIMA vereint stilistisch das Beste aus den Filmen Godards, den James-Bond-Filmen, Superheldencomics und Science-Fiction-Romanen zu einem poppigen Psychedelia-Cocktail und erklärt auf sehr witzige, niemals angestrengte Art und Weise, wie das so funktioniert mit dem Werben und Flirten und wer da was von wem erwartet. Er lässt der Frau die Oberhand, dann schließlich den Mann triumphieren, um dann doch wieder der Frau das Siegeslächeln aufs Gesicht zu zaubern. Wir Männer haben es immer geahnt: In Liebesdingen sind wir der Frau hoffnungslos unterlegen. Aber dass Mastroianni uns in der Niederlage noch so cool aussehen lässt, die Siegerin mit den Kurven der Andress ausgestattet ist, macht das Ganze gerade noch erträglich.