la ragazza che sapeva troppo (mario bava, italien 1963)

Veröffentlicht: Januar 31, 2012 in Film
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Die Amerikanerin Nora Davis (Letícia Román) reist als Touristin nach Rom, doch sie wird vom Pech verfolgt: Erst entpuppt sich der freundliche Sitznachbar im Flugzeug als Haschischschmuggler, dann verstirbt die freundliche alte Dame, bei der Nora eingemietet hat, kaum dass die ihr Zimmer bezogen hat. Als sie panisch die Wohnung verlässt, wird sie erst von einem Taschendieb überfallen und dann schließlich Zeuge eines Mordes an einer jungen Frau. Dummerweise will ihr niemand glauben, halten alle den „Mord“ für die Einbildung einer vorübergehend Unzurechnungfähigen. Doch dann findet Nora Hinweise darauf, dass der Mord auf das Konto des einst umtriebigen „Alphabet-Killers“ geht, der seine Opfer nach den Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen auswählte: Und weil die Buchstaben A, B und C schon abgearbeitet sind, muss nun folglich Nora Davis um ihr Leben fürchten. Nur der freundliche Arzt Dr. Marcello Bassi (John Saxon) steht ihr zur Seite …

Die Gelehrten mögen sich darüber streiten, ob es sinnvoll ist, LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO als frühen Giallo zu bezeichnen, als frühen Vertreter eines Subgenres, das mit Bavas ein Jahr später entstandenem SEI DONNE PER L’ASSASSINO seine verbriefte Geburtsstunde feierte: Ich finde, es gibt durchaus gute Gründe, ihn als nicht ganz unwichtige Vorstudie Bavas zu jenem Meisterwerk zu betrachten, und die Tatsache, dass die Schundromane, die dem Giallo den Namen gaben, in LA RAGAZZA explizit Erwähnung finden, ist wohl der beste dieser guten Gründe. Gleich zu Beginn liest Nora in einem pulpigen Kriminalroman und im weiteren Verlauf des Films wird ihr das in diesen Büchern vermittelte Wissen immer wieder zugutekommen. Tim Lucas behauptet in seiner ultimativen Bava-Huldigung „All the Colors of the Dark“ zu Recht, dass man die sich an diese Eröffnung anschließende Geschichte auch als Visualisierung von Noras Lektüre interpretieren könnte, kommt aber schließlich zu dem Schluss, dass der Film diese Lesart – wie einige weitere auch – verwirft. Seine Kritik – LA RAGAZZA sei uneinheitlich (wohl auch, weil insgesamt sechs Autoren sich im Drehbuch mit ihen Ideen verewigen durften), versäume es, interessante Ansätze zu vertiefen, und setze stattdessen auf eine allzu glatte und „logische“ Auflösung – ist zwar durchaus nachvollziehbar, aber sie scheint mir gerade nicht geeignet dazu, LA RAGAZZA seinen Status als Proto-Giallo streitig zu machen: Nach meiner Erfahrung ist es nicht das abstruse Ende an sich, das den Giallo auszeichnet, sondern vor allem die Kluft zwischen dem Aufbau und der Auflösung oder, mehr noch, eine allgemeine Disparität des Ganzen; und diese Voraussetzung erfüllt LA RAGAZZA gerade weil er seine besten Ideen zugunsten schlechterer verwirft. Was ihn meines Erachtens am meisten von späteren „augereiften“ Giallos unterscheidet, ist sein Ton: LA RAGAZZA überschreitet die Grenze zur Kriminalkomödie mehr als nur einmal, ist insgesamt deutlich wärmer und herzlicher, ja: putziger, als die späteren Giallos, deren Betonung der Form ja auch immer etwas ausgesprochen Kaltes hat.

Aber egal ob nun Giallo oder nicht, LA RAGAZZA hat zahlreiche Reize zu bieten. Vor allem natürlich die von Bava zu erwartende stil- und stimmungsvolle Fotografie und Kamerarbeit, die den Film als späten Nachfahren des Gothic Horrors erkennen lässt. Immer wieder schieben sich bedrohliche Schatten ins Bild, schälen sich bleiche Gesichter mit weit aufgerissenen Augen aus dem Schwarz, und die Szene, in der Nora nachts ins Zimmer der Vermieterin eilt, um ihr ihre Medizin zu verabreichen, nur um schließlich ihrem Tod beizuwohnen, treibt einen als Zuschauer fast gemeinsam mit der panischen Protagonistin auf die Straße, so effektiv ist sie komponiert. Eigentlich könnte ich an dieser Stelle jede der großen Suspense-Szenen des Films beschreiben, weil sie alle toll sind: der Mord im Anschluss an Noras geschilderte Flucht, eine Szene, in der sie ihre Wohnung wie ein Spinnennetz mit Fäden durchzieht, um den Mörder gegebenenfalls zum Stolpern zu bringen, ihre Verabredung mit einem anonymen Anrufer. Die im Schwarzweiß bedingte Düsternis des Films wird immer wieder durch komische Momente aufgebrochen und dieses Nebeneinander von Bedrohung und Leichtigkeit stützt letztlich auch den Paranoia-Aspekt von Bavas Film: Ist alles nicht doch bloß die Einbildung einer jungen Frau, die zum ersten Mal in der alten Welt weilt und vor lauter Eindrücken – der überwältigenden Kulisse Roms und dem Tod ihrer Vermieterin – den Überblick verliert? Bava ist nicht der erste Regisseur, der diese Deutung suggeriert, mit seiner Auflösung aber eine ganz andere – enttäuschend eindeutige – Antwort gibt. Dem Gelingen des Films tut das – hier widerspreche ich Tim Lucas – keinen Abbruch, auch wenn LA RAGAZZA nicht ganz an Bavas Großtaten heranreicht.

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