dillinger (john milius, usa 1973)

Veröffentlicht: März 16, 2012 in Film
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Die USA während der Dreißigerjahre: Während die Bürger schwer unter der Depression leiden, macht sich eine Gruppe von Männern einen Namen damit, dass sie sich das fehlende Geld auf ihre Weise beschaffen – mit Banküberfällen. Einer dieser Männer ist John Dillinger (Warren Oates), der mit seiner Gang den Status eines Volkshelden erlangt. Ihm – und seinen Zeitgenossen, Wilbur Underhill, genannt „The Tri-State Terror“, Theodore „Handsome Jack“ Klutas, George „Machine Gun Kelly“ Barnes, Charles Arthur „Pretty Boy“ Floyd (George Kanaly) und George „Babyface“ Nelson (Richard Dreyfuss) – dicht auf den Fersen ist FBI-Mann Melvin Purvis (Ben Johnson), der es sich zur Herzensangelegenheit gemacht hat, jeden der Gangster persönlich zur Strecke zu bringen …

Writer/Director John Milius konzentriert sich in seinem Film auf die letzten beiden Jahre des „Staatsfeinds Nr. 1“, wechselt zwischen dessen Überfällen und der mit zunehmender Intensität geführten Jagd Purvis‘ hin und her und beleuchtet so eine Epoche, in der vielleicht endgültig der Schlussstrich unter die Wildwest-Vergangenheit der Vereinigten Staaten gezogen und der Schritt zum Rechtsstaat – mit allen Konsequenzen – gezogen wurde. Historisch ist die Dillinger-Geschichte natürlich vor allem deshalb relevant, weil sie gleichzeitig auch der Beginn der Erfolgsgeschichte von Hoovers FBI ist. Milius ergründet noch einmal die Faszination der Zivilgesellschaft mit Gangstern und Outlaws sowie die Frage, wie es derjenige zu etwas bringen soll, der doch nichts hat. Als ein Südstaaten-Sheriff die fein angezogenen, von attraktiven Damen begleiteten und mit schicken Autos ausgestatteten Gangster erblickt, schöpft er sofort Verdacht: „Decent folks don’t live that good.“ Das Verbrechen von Dillinger und seinen Kollegen besteht auch darin, dass sie sich der vorgesehenen kapitalistischen Hackordnung nicht unterordnen wollen.

Milius stellt mit Purvis und Dillinger die beiden widerstrebenden Kräfte gegenüber, zeigt ihre Verbundenheit in der Differenz – ein Standard des Gangsterfilms: Wenn Purvis im Gespräch mit einem kleinen Jungen geradezu erzürnt darüber ist, dass dieser Dillinger, aber nicht ihn kennt, lieber ein Gangster statt Polizist sein will, weil ersterer nicht zur Schule muss, erkennt man darin dieselbe kindliche Verletztheit, die Dillinger später im Telefonat mit seiner Nemesis an den Tag legt, als Purvis ihn mit der Gelassenheit eines geduldigen Großvaters behandelt. Der eine will den Hass, der andere braucht die Zuneigung. Die Gegenüberstellung funktioniert auch, weil die Hauptrollen grandios besetzt sind: Warren Oates versieht den Staatsfeind mit der rauhbeinigen Likability eines alten Handwerkers, jener Ehrlichkeit, die auch die Antihelden von Peckinpahs Wild Bunch auszeichnete, Ben Johnson verleiht Purvis‘ Getriebenheit einen Kern unergründlicher Sentimentlität. Dieser Mann ist tief verletzt und wenn man im Epilog erfährt, dass er sich knapp 30 Jahre nach den geschilderten Ereignissen mit der Waffe, mit der er Dillinger erschoss, selbst umbrachte, dann scheint das nur die logische Konsequenz. Aber die beiden hervorzuheben ist eigentlich ungerecht, weil alle Darsteller groß aufspielen: Harry Dean Stanton liefert hier die Blaupause für seinen tragikomischen Pechvogel aus WILD AT HEART, wenn ihn der Tod nach einer Verkettung von Missgeschicken ereilt, die er nur mit „Things ain’t workin‘ out for me today.“ zu quittieren weiß. Richard Dreyfuss legt seinen Babyface Nelson als ausgewachsenes Kleinkind an, dem man vergessen hat, Grenzen beizubringen, George Kanaly ist als Pretty Boy Floyd der wohlerzogene All American Boy, der sich das falsche Hobby ausgesucht hat. Als ihm ein altes Ehepaar, das ihm gerade seine Henkersmahlzeit serviert hat, die Bibel nahebringen will, sagt er nur: „I admit, I have sinned; I have been a sinner, but I enjoyed it. I have killed men, but the dirty sons-of-bitches deserved it. The way I figure it, it’s too late for no Bible. Thanks just the same, Ma’am.“ Und dann macht er sich auf, um zu sterben. Geoffrey Lewis erinnert in seinem herzzereißenden Todesmoment daran, dass auch Gangster Angst vor dem Tod haben und Cloris Leachman bietet in ihrem Kurzauftritt als Anna Sage, jener rumänischen Exilantin, die Dillinger verriet, um sich so eine Aufenthaltsgenehmigung zu erkaufen, eine Projektionsfläche, um sie mit Wissen um ihr Schicksal – sie wurde nach Rumänien deportiert – tragisch aufladen zu können. Man meint in ihrem Gesicht schon das Leid ablesen zu können, von dem sie selbst noch nichts weiß.

Der ganze Film ist großartig, braucht den Vergleich mit einem Jahrhundertklassiker wie BONNIE & CLYDE nicht zu scheuen. Die Bilder der Weite des amerikanischen Mittelwestens seiner verfallenen, ausgestorbenen Kleinstädte, die vom Tod des amerikanischen Traums künden, der harte Kontrast zwischen dem unendlichen Himmel mit seinen barocken Wolkenformationen und der kargen Landschaft darunter, brennen sich dem Betrachter ein und erhöhen die Geschichte des Outlaws zur existenziellen Parabel. Roger Corman hat in den Siebzigerjahren einige Depressions-Gangsterfilme gemacht und sie sind – soweit ich sie kenne – alle toll. Dieser hier ist wahrscheinlich der beste aus diesem Korpus: ein Film, der weit über seine B-Movie-Herkunft hinaus bedeutsam ist und John Milius‘ wechselhafte Karriere fulminant begann.

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