Archiv für April, 2013

Wer mich und meine gesammelten Internet-Werke kennt, der weiß um meine schwierige Beziehung zu Ridley Scotts vielbeachtetem Meisterwerk, einem der wahrscheinlich einflussreichsten und stilprägendsten Filme der Achtzigerjahre. Nicht, dass ich den Film tatsächlich schlecht fände: Aber bei jeder der letzten Sichtungen hat mich BLADE RUNNER mit seiner Atmosphäre dermaßen eingelullt, dass ich dabei eingeschlafen bin. Er ist einer jener Klassiker, die bei mir einfach nicht wirklich funktionieren wollten. Ich habe das immer als eine Art persönlicher Niederlage betrachtet und die fruchtlosen Versuche, mir den Film doch noch emotional zu erschließen, schließlich resigniert aufgegeben. Es sollte halt nicht sein. Diese Niederlage habe ich dann irgendwann als Ausdruck von Individualität uminterpretiert: Wenn der eigene Filmgeschmack mit dem „Kanon“ identisch wäre, wäre das ziemlich langweilig. Es hat mir zugegebenermaßen gar nicht wenig gefallen, BLADE RUNNER, einen doch recht durchgängig geachteten Film, als „überschätzt“ oder extremer als „langweilig“ zu bezeichnen. Eine Trotzreaktion, denn die Qualitäten des Films liegen natürlich auf der Hand: Sein wunderbares, visionäres Set Design, ohne dass der Science-Fiction-Film heute gar nicht denkbar wäre; mehr noch, das unsere Vorstellung, wie Zukunft aussehen könnte, ganz entscheidend beeinflusst hat. Die schlicht brillante Übertragung bekannter Noir-Tropen auf den Science-Fiction-Film, die ebenfalls stilbildend für den in den Achtzigerjahren reüssierenden Neo Noir war. Scotts produktives Stöbern in der Kunstgeschichte, die ihn mit zahlreichen visuellen Inspirationen versorgte. Und natürlich seine philosophische Tiefe: Roboter waren wahrscheinlich nie wieder so menschlich wie hier, ihr Schmerz nie wieder so nachfühlbar, ihr Schicksal nie wieder so sehr unseres.

Und seine einlullende Atmosphäre ist natürlich ebenfalls integraler Bestandteil des Films. Die Welt von BLADE RUNNER ist eine extremer körperlicher und seelischer Taubheit. Es herrscht völlige Dunkelheit in den überbevölkerten Straßenschluchten, nicht enden wollender Regen fällt herab, im vergeblichen Versuch, das Chaos wegzuwaschen. Von gigantischen Videoleinwänden blöken die immer gleichen Werbebotschaften hinunter in die Masse, die geschäftig, aber anscheinend ziellos durch die Straßen stapft. Es gibt keine Zeit, kein Privatleben, keine Ruhe (ich komme gleich noch zum Sounddesign des Films) und keinen Raum in BLADE RUNNER. Auch Deckart (Harrison Ford) ist ständig im Dienst: Selbst wenn er eine Portion Nudeln in sich hineinschaufelt, muss er zu jeder Sekunde damit rechnen, dass Gaff (Edward James Olmos) hinter ihm steht und ihm einen Auftrag überbringt. Deckart verdient sein Geld damit, außer Kontrolle geratene Replikanten zu finden und unschädlich zu machen. Er hinterfragt diese Tätigkeit genauso wenig, wie er den Status quo seines Lebens reflektiert. Er funktioniert wie eine Maschine. Im Gegensatz zu den Maschinen des Films. Sie zweifeln an dem Test, der sie als Replikanten enttarnen soll und den die Menschen in blindem Gehorsam für bare Münze nehmen. Sie wollen leben, sind aber darauf programmiert, nach nur vier Jahren zu sterben. Eine Kerze, die besonders hell brennt, brennt eben kürzer, weiß der Ingenieur, der für ihre Konstruktion verantwortlich war und ihnen nun sagen muss, dass es keine Möglichkeit gibt, ihre Lebenszeit zu verlängern. Aber das reicht natürlich nicht als Antwort, auch wenn sich Deckart mit weitaus weniger zufrieden geben muss und gar nicht auf die Idee kommt, sich Sinnfragen zu stellen. Aber da ist ja auch nichts, das er vermissen würde. Battys (Rutger Hauers) kurzes Bedauern vor dem Tod – „I’ve seen things you people wouldn’t believe. Attack ships on fire off the shoulder of Orion. I watched C-beams glitter in the dark near the Tannhauser gate. All those moments will be lost in time… like tears in rain… Time to die.“ – erfüllt den Zuschauer hingegen mit Bildern, die gewaltiger sind als das, was mancher Regisseur mit Millionenbudget auf die Leinwand wirft. (Man wünscht sich beinahe ein Prequel: THE CHRONICLES OF BATTY vielleicht.) Für Deckart gibt es nur Dunkelheit, Schmutz, Regen, Roboter, die in dunklen Gassen ihre Leben aushauchen, ohne dass es jemanden interessieren würde. BLADE RUNNER erzählt nicht nur von der conditio humana, dem Schmerz, der mit der Sterblichkeit einhergeht, dem Wissen, nur eine Chance auf ein erfülltes Leben zu haben, mahnt nicht nur dazu, vor lauter Routine den Blick für die nur allzu vergängliche Schönheit zu verlernen. Er spricht auch von der Arroganz, mit der der Mensch sich über „minderwertiges“ Leben hinwegsetzt. Man könnte sich – das ist mir jetzt erst bewusst geworden – sogar zu der Aussage versteigen, dass BLADE RUNNER ein verklausuliertes Statement gegen die Todesstrafe ist. Es ist unmenschlich, dass Batty und seinen Replikanten nur eine abgemessene Lebenszeit zur Verfügung gestellt wird, ihnen aber gleichzeitig nicht das Bewusstsein genommen wird, sterblich zu sein. Sie wissen genau, an welchem Tag sie sterben müssen. Das ist grausam.

Die oben beschriebene existenzielle Taubheit erreicht Scott zum einen durch den Einsatz bzw. die Abwesenheit von Licht. Wie sein Vorbild, der Film Noir, ist BLADE RUNNER von Dunkelheit geprägt, die äußerst sparsam von künstlichem Licht durchschnitten wird, das auffallend wenig erhellt. Die Farbpalette des Films ist monochromatisch, Schwarz- und Blautöne dominieren, ein schwaches goldenes Schimmern lässt dann und wann noch erahnen, wie weit das Paradies entfernt ist. Scotts Einsatz von Ton und Musik verstärkt die Wirkung seiner Bilder enorm. BLADE RUNNER ist kein lauter Film, aber es gibt kaum Momente echter, völliger Ruhe. Die synthetische Musik von Vangelis akzentuiert den träumerischen Charakter des Films, der sich im Titel von Philip K. Dicks literarischer Vorlage äußert: „Do androids dream of electric sheep?“, entzieht die Bilder dem direkten Zugriff und hüllt sie stattdessen in einen Schleier. Soundeffekte dringen von allen Seiten in den Film und entfernen sich wieder, selbst die Dialoge muten wie Musik an, die in der Unendlichkeit verhallt, anstatt einfach nur ein Ende zu finden. Wie das Leben von Deckart hat auch BLADE RUNNER keine echten Spitzen: Alles ist dunkel, nichts laut oder leise, alles versinkt in einem undefinierten Zwischenbereich. Und so läuft der Film dann in einer beinahe willkürlich anmutenden Folge von Szenen seinem unausweichlichen Ende entgegen. Sind heutige Sci-Fi-Blockbuster in pompöse Set Pieces gegliedert, die den Flow immer wieder zerreißen, findet BLADE RUNNER zum Ziel wie ein Schlafwandler. Deckart ist das Musterbeispiel des Gezogenen, der mehr durch die Fügung des Schicksals als durch eigenes Handeln vorwärtskommt. Am Ende ist er der Gnade eines „Mannes“ ausgeliefert, der eigentlich keine Gnade mehr walten lassen muss. Es ist die eine echte aktive Handlung des Films, die Zäsur, der Moment, der aus dem Film herausragt, den Unterschied macht, alles ändert. In der Kinofassung mit ihrem viel kritisierten Happy End steigt Deckart danach mit der Replikantin Rachael (Sean Young) in eine Auto und fährt aufs Land. Zum ersten Mal sieht man Sonnenlicht. Vielleicht war dieses vom Regisseur nicht gewollte Ende gar nicht so verkehrt.

 

O’Meara (Rod Steiger), ein stolzer Südstaatler durch und durch, hat die Niederlage im Bürgerkrieg enttäuscht und verbittert zur Kenntnis genommen. Dass er sich den verhassten Yankees beugen und ihre Gesetze annehmen soll, ist ihm unerträglich und so begibt er sich auf die Reise gen Westen. Unterwegs begegnet er den wenig freundlich gesinnten Sioux-Indianern, die ihm einer Prüfung unterziehen, dem „Run of the Arrow“, einer gnadenlosen Menschenjagd. O’Meara besteht die Prüfung und wird von den Sioux um Häuptling Blue Buffalo (Charles Bronson) freundlich aufgenommen. Er verliebt sich in Yellow Moccasin (Sara Montiel) und wird Stammesmitglied, um sie heiraten zu können. Als Soldaten den Stamm bitten, auf ihrem Land ein Fort errichten zu dürfen, wird O’Meara auserkoren, sie zu einer geeigneten Stelle zu führen. Natürlich kommt es zu Spannungen: Lieutenant Driscoll (Ralph Meeker) ist ein fanatischer Kriegstreiber und hat zudem eine alter Rechnung mit O’Meara zu begleichen. Und unter den Sioux gibt es ebenfalls Abtrünnige, die den Weißen nicht wohlgesonnen gegenüberstehen …

Samuel Fullers Film ist enorm pointiert, lebt von seinen Hauptdarstellern und der Zeichnung der Indianer als einer Parallelgesellschaft, die zwar ursprünglicher als die der Weißen sein mag, aber wie diese über strenge Gesetze und Regeln verfügt. O’Mearas Entscheidung, ihnen beizutreten, wird dadurch begünstigt, vor allem aber ist es die Enttäuschung über den Verlauf des Bürgerkriegs, der ihn zu dem Entschluss treibt, ein Sioux zu werden. „Kannst du einen Amerikaner töten?“ und „Kannst du einen Christen töten?“: Das sind die beiden Schlüsselfragen, die er mit „Ja“ beantwortet. Die Verbindung zu seinen Landsmännern ist nur zufällig, sein Herz liegt nun woanders, so glaubt er zumindest. Fullers Film zeichnet aber kein idealistisch verklärtes Bild von den Indianern und auch der romantisch aufgeladene Traum, zu den „Wurzeln“ zurückkehren zu können, der in O’Mearas Entscheidung mitschwingt, stößt auf seine Skepsis. Als der Wahl-Sioux dabei zusehen soll, wie ein Amerikaner vor seinen Augen gehäutet wird, ist die Grenze für ihn erreicht. Er wird immer Amerikaner bleiben. Denn, so schließt der Film nicht ohne Fuller’sches National-Pathos: „The defeat of the south was not the end of the war, it was the birth of the United States.“ – Erst bei genauerem Hinlesen bemerkt man, dass dieser Satz nur halb so schwelgerisch ist, wie er klingt. Er impliziert, dass auch die Existenz der USA nicht ohne Kämpfe zu haben ist, sich das Land immer neu erfinden und „häuten“ muss.

RUN OF THE ARROW ist keine von Fullers ganz großen Großtaten, aber der Film ist interessant, weil er zahlreiche berühmtere Nachzieher inspirierte: A MAN CALLED HORSE und DANCES WITH WOLVES fallen unweigerlich ein. Beide richten deutlich mehr Augenmerk auf die Indianer und betonen ihre Fremdheit. Fuller macht genau das Gegenteil. Die Integration gelingt O’Meara erstaunlich leicht und schnell, seine Aufnahme in den Stamm gleicht beinahe einer Bewerbungssituation. Spirituelle oder religiöse Aspekte spielen überhaupt keine Rolle: O’Meara glaubt an seinen Gott, die Sioux an ihren, schnell sind sich beide einig, dass sich lediglich ihre Namen voneinander unterscheiden und es keinen Grund gibt, sich darüber zu streiten. Sie sind von dem Menschen O’Meara überzeugt, deswegen spielen solche Details keine Rolle. Das ist eine wunderbare Abkehr von den edlen Wilden mit ihrer blumigen bildreichen Sprache, die sonst den Western bevölkern und die vor allem eins sind: Projektion. Und weil das so ist und auch O’Meara etwas in den Indianern sehen will, was nicht da, sondern nur in ihm ist, muss seine Flucht fehlschlagen – bzw. ihn zu sich selbst führen. Dort liegen seine Probleme, dort muss er sie lösen.

Bliebe abschließend noch zu erwähnen, was Fuller über Steiger sagte, der in RUN OF THE ARROW seine erste Hauptrolle hatte, dessen Durchbruch noch ca. zehn Jahre auf sich warten lassen sollte. Ich zitiere aus seiner fantastischen Autobiografie „A Third Face“: „My deal stipulated that RKO and I had to agree on the principal cast. Dozier [Chef von RKO; Anm. v. mir] wanted Gary Cooper to play O’Meara. I’d have loved to work with Gary, one of the most handsome and popular leading men in Hollywood. Except he wasn’t right for the part. ,Ineed the opposite of Cooper,‘ I explained. ,The character’s hateful, a misfit. I want this newcomer, Steiger. He’s got a sour face and a fat ass. He’ll look awkward, especially when he climbs up on a horse. See, my yarn’s about a sore loser, not a gallant hero.'“ Sam Fuller setzte sich durch. Zum Dank hatte er am Set viele Kämpfe gegen den schwierigen Schauspieler zu bestehen, der dann – trotz fetten Arschs und griegrämigen Gesichts – ein gefragter Charakterdarsteller wurde.

Ach so: Die deutsche DVD stellt zwar wohl die einzige digitale Veröffentlichung dieses Films dar (OFDb listet zwei obskure britische und italienische DVDs), kann aber trotzdem nur wirklich Hartgesottenen empfohlen werden. Die Bildqualität erreicht die zweifelhafte Klasse einer Videokopie aus dritter Generation, aufgepimpt mit herrlichem Ruckeln und weiteren Fehlern, die typisch für miese DVDs sind, die neue deutsche Synchro ist auch eher ein Fall für Sadisten (immerhin ist der O-Ton enthalten) und für das Backcover entblödete man sich nicht, ein Szenenfoto von Bronsons BREAKHEART PASS zu verwenden, um den zugkräftigen Namen auch bildlich entsprechend zu unterstreichen. Tatsächlich eine der miesesten DVDs, die ich besitze. Ich hätte nicht gedacht, dass sich im Jahr 2012 noch jemand erdreistet, so einen Müll auf den Markt zu schmeißen. Wer den Film sehen will, kommt wohl trotzdem nicht dran vorbei. Eine Schande.

Der Trend, dem später BATTLE OF BRITAIN und TORA! TORA! TORA!, aber auch etwa Richard Attenboroughs A BRIDGE TOO FAR folgen sollten, wurde von dieser Mammutproduktion der 20th Century Fox unter der Ägide von Darryl F. Zanuck gestartet: Film als episodisches Abbild von Geschichte. Nicht Interpretation, Überhöhung, Verdichtung und Fiktionalisierung, sondern tatsächlich möglichst akribische, originalgetreue Wiederholung realer Ereignisse. Der materielle Aufwand, der für THE LONGEST DAY zu diesem Zweck betrieben wurde, war enorm: Darryl F. Zanuck „befehligte“ mehr Männer als jeder General, der am D-Day beteiligt war. Mit einem Budget von 10 Millionen Dollar war THE LONGEST DAY bis zum Erscheinen von Spielbergs SCHINDLER’S LIST der teuerste (und auch erfolgreichste) Schwarzweißfilm. Drei Regisseure – ein Amerikaner, ein Brite und ein Deutscher – wurden engagiert, um ein möglichst objektives Bild der Ereignisse zu liefern. Deutsche, Engländer, Amerikaner und Franzosen wurden von deutschen, englischen, amerikanischen und französischen Schauspielern verkörpert, die in ihrer jeweiligen Landessprache sprachen. Das Staraufgebot macht einen bei Betrachtung ganz schwindlig, zumal etliche der auftretenden Superstars kaum mehr als ausgedehnte Cameos absolvieren. Den dramaturgischen Rahmen des Films liefern jene 24 Stunden des 6. Juni 1944, an dem sich die Invasion der Alliierten in der Normandie ereignete, und diese 24 Stunden versucht der Film durch eine Vielzahl kleiner Episoden mit unterschiedlichsten „Hauptfiguren“ abzudecken, um ein möglichst umfassendes Bild zu liefern: Lieutenant Colonel John Vandervoort (John Wayne) bricht sich bei der Landung mit dem Fallschirm den Fuß und wird von seinen Männern fortan mit einem Karren herumgefahren. Private John Steele (Red Buttons) bleibt mit dem Fallschirm an einem Kirchturm hängen und muss mitansehen, wie seine Kameraden unter ihm erschossen werden. Brigadier General Norman Cota (Robert Mitchum) und Colonel Thompson (Eddie Albert) versuchen fieberhaft, dem Beschuss am Omaha Beach zu entkommen und die Invasion ins Landesinnere zu tragen. Brigadier General Theodore Roosevelt jr. (Henry Fonda) besteht trotz seines berühmten Namens darauf, seine Männer seinem militärischen Rang angemessen in die Schlacht zu führen. Private Martini (Sal Mineo) bezahlt einen dummen Irrtum mit seinem Leben. Flying Officer David Campbell (Richard Burton) genießt schwer verwundet eine Zigarette. Günther Blumentritt (Curd Jürgens) blickt der Niederlage resigniert ins Auge, weil der Führer sich nicht aus dem Mittagsschlaf wecken lassen will. Major Werner Pluskat (Hans Christian Blech) sieht, wie sich die gigantische Armada der Alliierten aus dem Morgennebel schält, hat aber einen ungläubigen Oberstleutnant Ocker (Peter van Eyck) am Apparat. Oberst Josef Priller (Heinz Reincke) ist einer von zwei in der Normandie verbliebenen Piloten, der nun mit seinem Kollegen einen einzigen verzweifelten Angriff auf die Invasionsstreitkräfte fliegen muss. Eine Gruppe von Nonnen marschiert unbeirrt mitten durch ein tobendes Gefecht, um sich um ein paar Verletzte zu kümmern. Und ein altes französisches Ehepaar feiert fähnchenschwenkend die Ankunft der Befreier, obwohl unter deren Geschützfeuer auch das eigene kleine Häuschen dem Erdboden gleichgemacht wird.

THE LONGEST DAY liefert so einerseits einen recht  detaillierten Einblick in die Geschehnisse jenes Tages: Anders als in BATTLE OF BRITAIN wird die menschliche Seite des Konflikts nicht ausgespart. Bei aller Kürze, in der die einzelnen Figuren abgehandelt werden, sind ihre Episoden prägnant genug, um sie lebendig werden zu lassen. Jeder einzelne ist mehr als eine Nummer, mehr als ein Körper, der bloß als Material in die Schlacht geworfen wird. THE LONGEST DAY ist menschlicher als Guy Hamiltons Film. Dann sind da der immense technische Aufwand, der betrieben wurde, um eine Ahnung von der Dimension zu vermitteln (aber wohl auch, um die eigene finanzielle Potenz zu feiern) und die fantastische Fotografie: Vor allem die zahlreichen Totalen und Plansequenzen sind überwältigend. Man erhält einen Eindruck davon, wie sich die Gefechte abgespielt haben könnten, oder allgemeiner, wie Krieg generell wohl aussehen mag. Andererseits kann man den Grad der Authentizität des Films aus der zeitlichen und räumlichen Distanz kaum angemessen beurteilen. Es kursiert die Geschichte, dass Präsident Dwight D. Eisenhower die Vorführung des Films vorzeitig verlassen habe, verärgert über die historische Ungenauigkeit des Gezeigten. Nun ist diese Genauigkeit eigentlich kein zwingendes Kriterium zur Bewertung eines Films, aber wenn der unter der Vorgabe inszeniert wurde, ein möglichst genaues Abbild der realen Vorgänge zu liefern, sieht das natürlich anders aus. Aber wie gesagt, ich kann das nicht beurteilen und es interessiert mich auch nicht besonders, ob die richtigen Waffen zum Einsatz kamen, dieser oder jener Akteur den falschen Helm aufhat, die Invasion eigentlich 500 Meter weiter rechts hätte stattfinden müssen. Das ist nicht das, worum es mir bei Film geht. Was mir, der sich für Militärgeschichte also rein gar nicht interessiert, aber wirklich etwas sauer aufgestoßen ist, ist eben dieses erwähnte Streben des Films nach Neutralität. So lobenswert es auch ist, dass die Vertreter des nationalsozialistischen Deutschlands nicht als augenrollende Dämonen gezeichnet werden, wie es in vielen anderen Kriegsfilmen der Fall ist (das berühmte „Heil Hitler!“ fällt tatsächlich kein einziges Mal, man sieht es lediglich einmal an eine Häuserwand gekritzelt), mutet der ökumenische Ansatz des Filmes doch kaum weniger merkwürdig an. Der Zweite Weltkrieg, wie er in THE LONGEST DAY dargestellt wird, war eine fast sportliche Angelegenheit von Menschen, die doch alle nichts Böses wollten. Und um diesem großen Sandkastenspiel ein Denkmal zu setzen, vereinen sich die Gegner von einst nun noch einmal und spielen alles für ein neugieriges Publikum vor einer Kamera nach. Man muss niemandem der Beteiligten unbedingt den ideologischen Knüppel zwischen die Beine werfen, aber irgendwie ist es schon befremdlich, dass man nur 15 Jahre nach dem Ende des Kriegs das Bedürfnis hatte, einen Film zu drehen, der den Horror jenes Tages mit der Abgeklärtheit und Distanz eines Mannes ins Bild setzt, der im Keller seine Modelleisenbahnen zusammenprallen lässt. In der ganzen Akribie und Megalomanie, mit der Zanuck die Landung in der Normandie nachzeichnet, kommt eine sachliche Bewunderung zum Ausdruck, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt, je länger ich darüber nachdenke. Und ich glaube, es ist falsch, Krieg so dazustellen, völlig befreit von Emotionen und, ja, natürlich auch: Hass. Auch wenn die Feststellung, dass unter den Nationalsozialisten nicht jeder ein hitlerverehrendes Monster war, sicherlich richtig ist, und mancher Soldat der Alliierten den Einsatz ganz professionell gesehen haben mag, so glaube ich nicht, dass die Neutralität des Films repräsentativ für das ist, was Tausende der Beteiligten gedacht und gefühlt haben mögen. Inmitten des um sie herum tobenden Irrsinns rastet keiner aus, bricht keine schreiend zusammen, rennt keiner einfach weg. So kann das nicht gewesen sein.

Ich beginne wieder mit einer kleinen Geschichtsstunde: Als „Merrills Marodeure“ wurde eine Spezialeinheit der US-Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs bezeichnet, der 1944 unter der Leitung von Brigadiergeneral Frank Merrill die Aufgabe zukam, das an Japan gefallene Burma zurückzuerobern und so den Zusammenschluss deutscher und japanischer Armeen zu verhindern. Die zu Beginn der Mission ca. 3.000 Mann starke Einheit operierte in schwierigstem Urwaldgelände und hinter feindlichen Linien, legte rund 1.000 Meilen zu Fuß zurück und erzielte trotz vergleichsweise leichter Bewaffnung große und strategisch wichtige Erfolge. Als die Einheit schließlich aufgelöst wurde, waren nur noch 250 Männer übrig geblieben.

Samuel Fullers Film ist eine Verbeugung vor der übermenschlichen Leistung der „Marauders“ – so wie Guy Hamiltons BATTLE OF BRITAIN eine Verbeugung vor den Piloten der britischen Luftwaffe war. Dennoch unterscheidet er sich in Haltung und Umsetzung gewaltig von diesem. MERRILL’S MARAUDERS basiert auf dem Erlebnisbericht „The Marauders“ von Charlton Ogburn, jr., der als Kommunikationsoffizier Bestandteil der Spezialeinheit war, und diese Innenperspektive prägt den Film, der mehr an den Strapazen interessiert ist, die die Soldaten zu durchleiden hatten, als an militärstrategischen Erwägungen. Zu dem psychischen Stress, dem sie ausgesetzt sind, weil sie in dem unwegsamen Terrain ständig mit Feindkontakt, der Gefahr, entdeckt zu werden, rechnen müssen, kommt die immense physische Belastung hinzu. Verpflegung und medizinische Versorgung sind streng rationiert, Malaria, Diphterie und andere Krankheiten nagen an ihrer Substanz, dennoch gibt es für sie keine Ruhepause. Als sie ihre erste Mission erfüllt haben, erhalten sie prompt die zweite, der dann die dritte folgt. Am Ende ihrer Kräfte schleppen sie sich durch den Urwald und über Bergkämme, verlieren immer mehr ihrer Kameraden und fallen in fiebrigen Wahn. In einer Szene bricht ihr Maultier zusammen, doch weil der für das Tier zuständige Soldat nicht will, dass es erschossen wird, beschließt er stattdessen das Gepäck zu tragen. Er bricht schließlich unter der Last zusammen und stirbt. Der emotional eindrucksvollste Moment ereignet sich während einer kurzen Rast in einem Dorf. Die Männer werden von den Einheimischen verpflegt, genießen die Gesellschaft von normalen Menschen, die sich rührend um die Fremden kümmern, die doch noch nicht einmal ihre Sprache sprechen. Sergeant Kolowicz (Claude Akins) sitzt mit einigen von ihnen zusammen, isst etwas Reis, den sie ihm zubereitet haben, als er ganz plötzlich und ohne Grund anfängt zu weinen. In seinen Tränen äußert sich der ganze Wahnsinn des Krieges. Sie sind eine Mischung aus Angst, Stress, Scham, Resignation, aber auch Zeichen der Freude darüber, diesen kurzen Moment des Friedens genießen zu können. Nur dass diese Freude längst nicht mehr unbelastet ist, vielmehr von der Gewissheit geprägt, dass das Leben seine Unschuld für immer verloren hat. Am Ende, nach einem Feuergefecht, dass die Truppe weiter dezimiert hat, liegen die Männer völlig zerschlagen am Boden, starren mit leerem Blick ins Nichts. Aber es gibt einen weiteren Marschbefehl. Nur Merrill, selbst seit Wochen am Rande eines Herzinfarkts stehend, ist noch auf den Beinen, fordert seine Männer auf, aufzustehen und weiterzumachen. Ungerührt schauen sie ihm nach, unfähig, seinem Befehl noch zu folgen. Dann bricht er schließlich selbst zusammen, fällt vornüber in den Schlamm. Wie von Fäden gezogen erheben sich die „Marauders“, dem Vorbild des Generals folgend. Sie helfen ihm auf und setzen ihren Marsch fort wie Zombies. Der Film endet an dieser Stelle, ein Voice-over-Kommentar klärt uns darüber auf, dass auch die letzte Schlacht noch von ihnen geschlagen wurde, die Einheit für ihre Leistungen bis heute geehrt wird.

Man merkt dem Film Fullers Involvierung in den Zweiten Weltkrieg an, er sympathisiert mit den einfachen Soldaten, aber er hat auch sichtbaren Respekt vor Merrill, diesem Mann, der Pflichterfüllung bis zur Selbstaufgabe verkörpert. Dennoch ist MERRILL’S MARAUDERS nur eine seiner eher seltenen Auftragsarbeiten: Er wurde mit dem Versprechen geködert, im Anschluss sein Traumprojekt THE BIG RED ONE inszenieren zu dürfen. Das pathetische Ende mit dem Voice-over und dem Archivmaterial stammte nicht von Fuller und wurde gegen seinen Willen eingefügt, andere Szenen, die dem Studio zu expressiv waren, wurden vom 2nd Unit Director nachgedreht. Der daraus resultierende Streit bedeutete auch das Ende der ursprünglichen Abmachung: Fuller musste noch weitere 20 Jahre warten, bevor er seinen wohl persönlichsten Film endlich realisieren durfte. MERRILL’S MARAUDERS – auf den Philippinen gedreht –  ist zwar erfolgreich in seinem Unterfangen, für einen Fuller-Film aber auch etwas finessenarm. Den Fuller-typischen knalligen Auftakt, der einen wie eine Tabloid-Headline sofort ins Geschehen zieht, sucht man hier vergebens. Auch sonst ist der Film in seinem Bemühen um Authentizität etwas eindimensional. 90 Minuten lang sieht man den „Marauders“ dabei zu, wie sie durch den Busch taumeln, hier und da in eine Schießerei geraten, nach und nach zusammenbrechen und sich doch immer wieder aufraffen, gegen jede Vernunft und jede Wahrscheinlichkeit. Merrill muss immer wieder die unangenehme Entscheidung treffen, ob er seine Männer schonen und damit eine gefährliche Wendung der Kriegshergänge riskieren will oder ob er sie weiter antreibt, in dem Wissen, dass die meisten von ihnen dies nicht überleben werden. In gewisser Hinsicht ist es konsequent, den Film als eine endlose Folge des Immergleichen zu inszenieren, aber es ist eben nicht besonders aufregend. Dass man doch bis zum Ende dabei bleibt und Anteil am Geschehen nimmt, liegt nicht zuletzt an der aufopferungsvollen Darstellung von Jeff Chandler als Merrill, auch wenn seine überzeugende Leistung nicht allein auf seine Schauspielkunst zurückzuführen war. Während einer Drehpause verletzte er sich bei einem Basketballspiel mit der Crew am Rücken und konnte infolgedessen nur noch unter starken Schmerzen agieren, die man ihm deutlich ansieht. Gerade in der zweiten Hälfte des Films merkt man, dass dem Mann jede Bewegung große Qualen bereitete. Sein Kampfgeist kostete ihm letztlich das Leben: Nachdem die Dreharbeiten beendet waren, musste er sich einer Bandscheibenoperation unterziehen, bei der es Komplikationen gab. Gerade einmal 43-jährig verstarb er an den Folgen einer Blutvergiftung nur vier Tage nach der US-Kinopremiere von MERRILL’S MARAUDERS. Sein Name ist heute nicht mehr sonderlich geläufig, obwohl er in den Fünfzigerjahren einer der populärsten Schauspieler von Universal war. Aufgrund seines prägnanten Gesichts und seines dunklen Teints spielte er oft Indianer – seine bekannteste Rolle hatte er als Indianerhäutling Cochise in Delmer Daves‘ BROKEN ARROW – und seine schon früh vollständig ergrauten Haare waren ein weiteres markantes Merkmal, das ihn von anderen abhob. Auf seiner englischsprachigen Wikipedia-Seite habe ich ein schönes Zitat des Filmhistorikers David Shipman über ihn gefunden, das ich hier kurz wiedergeben möchte:

„Jeff Chandler looked as though he had been dreamed up by one of those artists who specialise in male physique studies, or, a mite further up the artistic scale, he might have been plucked bodily from some modern mural on a biblical subject. For that he had the requisite Jewishness (of which he was very proud) – and he was not quite real. Above all, he was impossibly handsome. He would never have been lost in a crowd, with that big, square, sculpted 20th-century face and his prematurely grey wavy hair. If the movies hadn’t found him the advertising agencies would have done – and in fact, whenever you saw a still of him you looked at his wrist-watch or pipe before realising that he wasn’t promoting something. In the coloured stills and on posters his studio always showed his hair as blue, heightening the unreality. His real name was Ira Grossel and his film-name was exactly right; his films were mainly dreams spun by idiots. It’s hard to believe he really existed.“

Vielleicht hat ja jemand Lust, Jeff Chandler zu entdecken und mit ihm zu träumen. MERRILL’S MARAUDERS oder auch Aldrichs TEN SECONDS TO HELL sind gute Einstiegspunkte.

Weil ich weder Historiker noch Weltkriegsexperte bin, begnüge ich mich für den Einstieg mit ein paar kurzen (von Wikipedia geborgten) Notizen zum geschichtlichen Hintergrund, um Hamiltons BATTLE OF BRITAIN einzuordnen: Die „Luftschlacht um England“, auf der der Film basiert, ereignete sich im Sommer und Herbst des Jahres 1940, unmittelbar nachdem die Deutschen Frankreich zur Kapitulation gezwungen hatten. Der Angriff der von Göring befehligten Luftwaffe auf Großbritannien sollte den Auftakt zur Invasion der Insel bilden. Doch trotz zahlenmäßiger Überlegenheit und höchster Siegesgewissheit scheiterte der Plan Hitlers, mit dem Sieg der deutschen Luftwaffe über die RAF den Grundstein für die folgende Eroberung Großbritanniens zu legen. Als Ursache für die Niederlage, die von vielen als vorentscheidend für die spätere Kapitulation Deutschlands angesehen wird, gilt unter anderem die deutsche Überschätzung der Bedeutung von Bombergeschwadern: Weil die britische Luftabwehr unter Churchill großes Vertrauen in Radarerkennung setzte, konnten wendige, schnelle britische Kampfflugzeuge den behäbigen Bomberstaffeln große Schäden zufügen, bevor diese ihr Ziel überhaupt erreicht hatten. Im Oktober endeten die deutschen Luftangriffe gegen Großbritannien nach vernichtenden Verlusten, der Plan zur Invasion wurde verschoben bzw.: aufgegeben.

Guy Hamilton, bekannt vor allem als Regisseur von GOLDFINGER sowie der späteren Bond-Filme DIAMONDS ARE FOREVER, LIVE AND LET DIE und THE MAN WITH THE GOLDEN GUN, fiel unter Bond-Produzent Harry Saltzman die Aufgabe zu, den Triumph der tapferen Briten über die Deutschen, der vielleicht sogar die Welt, wie wir sie kennen, rettete, angemessen ins Bild zu setzen. BATTLE OF BRITAIN ist zweierlei: filmgewordene Huldigung und Materialschlacht. Der Film schließt mit mehreren Schrifttafeln, die als Danksagung fungieren und haarklein die Statistiken des Kampfes aufführen, Opfer beider Seiten gegeneinander aufrechnen und verdeutlichen, welcher materielle und personelle Aufwand betrieben wurde, um die Invasion zu verhindern. Um dieser Leistung gerecht zu werden, wiederholte man sie für den Film so gut es ging: Über 100 Original-Kampfflugzeuge wurden aus ganz Europa zusammengesucht und wieder flugtüchtig gemacht, etliche davon kamen in den aufwändigen Luftkampf-Sequenzen zum Einsatz. Die auf Hochtouren laufende Werbemaschine sprach angesichts dieser Armada stolz von der 35.-größten Luftwaffe der Welt. Natürlich waren auch nur die größten britischen Stars gut genug, den Rettern der Menschheit Tribut zu zollen. Dem musealen Charakter des Films entsprechend absolvieren Schauspieler wie Michael Caine, Christopher Plummer, Trevor Howard, Ian McShane, Laurence Olivier, Ralph Richardson, Kenneth More,  Robert Shaw, Edward Fox oder Michael Redgrave pflichtschuldigst ihre Auftritte, ganz egal, ob ihre Rolle den großen Namen überhaupt rechtfertigt. Wie ihre Väter und Großväter knapp 30 Jahre zuvor leisten sie mit ihrer Teilnahme an BATTLE OF BRITAIN ihren Dienst fürs Vaterland. Natürlich mussten sie nicht ihr Leben riskieren – und besser bezahlt wurden sie wahrscheinlich auch. Während die Briten so also eine filmische Ehrenrunde drehen dürfen, dabei nüchterne Vernunft, ehrliche Arbeit und tapferes Abenteurertum verkörpern, müssen die Deutschen selbstverständlich noch einmal Buße tun für ihre Sünden: Die Nazis werden allesamt von deutschen Schauspielern verkörpert (Curd Jürgens ist der bekannteste von ihnen), die ihre Schurkenrollen mit öligem Musterschülertum, eitler Herrenmenschelei, aristokratischer Arroganz, popanziger Aufgeblasenheit (Göring!) oder hasserfüllter, geradezu wahnsinniger Verblendung (während einer Rede Hitlers nach den Bombenangriffen auf Berlin) interpretieren. Der Film, dem es sonst so sehr an Objektivität und Faktentreue gelegen ist, schrammt in diesen Szenen haarscharf an der Karikatur vorbei (auch wenn er wahrscheinlich nicht komplett danebenliegt).

Trotzdem wird BATTLE OF BRITAIN, wie etwa Richard Fleischers, Kinji Fukasakus und Toshio Masudas TORA! TORA! TORA!, von seinen Fürsprechern wegen seiner historischen Akkuratesse gelobt. Beide Filme sind sich in der Tat sehr ähnlich darin, nicht Menschen, sondern geschichtliche Vorgänge in den Mittelpunkt zu rücken, die dann nur noch von Schauspielern (re)präsentiert werden. Das ist dann auch das Problem beider Filme, zuerst ein dramaturgisches, dann aber auch ein ideologisches. BATTLE OF BRITAIN ist nämlich allen Aufwands zum Trotz ein ausgesprochen träger Film. Spätestens nach dem dritten breit ausgewalzten Luftgefecht, bei dem Piloten brennend vom Himmel stürzen, deren Tod einen nicht tangiert, weil sich keine Charaktere hinter den Gesichtern verbergen, macht sich die Langeweile breit. Die Versuche Hamiltons, zumindest einigen der zahlreichen Protagonisten so etwas wie Leben einzuhauchen, scheitern an der Formelhaftigkeit des Drehbuchs, dem nichts Spezifisches einfallen mag, das stattdessen nur Klischees parat hält. Squadron Leader Colin Harvey (Christopher Plummer) hat Beziehungsprobleme mit der tapferen Militärkrankenschwester Maggie Harvey (Susannah York), weil er meint, seine Frau gehöre nicht in eine Uniform. Hach. Squadron Leader Canfield (Michael Caine) hat einen Hund, der nach dem Tod des Herrchens traurig gen Himmel blicken darf. Heul. Sergeant Pilot Andy (Ian McShane) muss seine Familie in einer Kirche zurücklassen, kaum dass er sie wiedergefunden hat, um in den Trümmern eines Hauses nach Überlebenden zu suchen. Schluchz. Der junge Pilot, der nach nur wenigen Flugstunden in die Schlacht geworfen wird, stirbt gleich bei seinem ersten Kampfeinsatz. Schnarch. Aber es ist eben nicht nur die Tatsache, dass der Film logischerweise Probleme damit hat, seinen quasi-dokumentarischen Anspruch mit dem Bedürfnis des Zuschauers nach einer gewissen menschlichen Wärme zu versöhnen, die BATTLE OF BRITAIN so problematisch macht. Er verkörpert mit seiner Megalomanie in gewisser Weise selbst die unmenschliche Technokratie, die er seinen Antagonisten vorwirft. Der Sieg der Briten ist nur der Vorgabe nach ein Sieg von Individuen. Hamilton unterwirft jeden einzelnen gnadenlos der Maschine. Die Menschen sind nur das Material, mit dem man diese Maschine füttern muss, um sie am Laufen zu halten. Dass es dem Regisseur nicht gelingt, diese Wahrheit über den Krieg zu verbergen, BATTLE OF BRITAIN selbst Ergebnis dieser unmenschlichen Ökonomie ist, ist wahrscheinlich das Positivste, das man über ihn sagen kann.

Ansonsten kann man nur darüber staunen, wie sehr sich die Welt in den 40 Jahren, die seit seiner Entstehung vergangen sind, verändert hat. Propagandistische, ideologisch fragwürdige Kriegsfilme gibt es immer noch. Aber nur noch wenige stellen ihre Agenda derart unverhohlen zur Schau, ohne zu bemerken, dass sie eine Agenda haben.

THE LAST SUNSET ist der erste Farbfilm von Robert Aldrich seit VERA CRUZ und auch der erste Film seit diesem, der – wie es für den Western typisch ist – Räume und Blicke öffnet, anstatt sie zu beschränken. Dominierten in den vorangegangenen Schwarzweiß-Filmen dräuende Schatten und Innenräume das Bild, sind es hier die Sonne, das strahlende Blau des Himmels und die Weite der Landschaft. Thematisch bleibt sich Aldrich treu: Dennoch kann man kaum verhehlen, dass THE LAST SUNSET auf einer versöhnlicheren Note endet, als die Filme zuvor. Für einen der Protagonisten ist die Sonne zwar soeben zum letzten Mal untergegangen, aber sie wird am nächsten Tag wieder am Himmel stehen und mit ihrem wärmenden Licht auf das Leben der Verbliebenen scheinen. Natürlich trägt auch das Sujet dazu bei, dass man diesen Film als warm, melancholisch und sentimental zwar, aber eben doch als hoffnungsfroh empfindet. Die Ruinenlandschaften und die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs liegen in weiter Ferne und mit ihnen auch konkretes menschliches Leid. In der texanischen Prärie kann der Mensch sich hier wieder einer besseren Zukunft entgegenträumen, die hinter dem Horizont liegt. Doch dafür muss er erst die Vergangenheit ad acta legen.

In THE LAST SUNSET stehen sich erneut zwei Männer als Rivalen gegenüber. Wie auch schon in VERA CRUZ oder TEN SECONDS TO HELL verhalten sich diese Rivalen zueinander jedoch nicht wie Licht und Schatten, sondern eher wie Spiegelbilder. Beide teilen eine Obsession, die sich jedoch jeweils etwas anders äußert. Kirk Douglas ist Brendan O’Malley, ein Draufgänger und Abenteurer und die Jugendliebe von Belle Breckenridge (Dorothy Malone), die nun zusammen mit dem Alkoholiker John (Joseph Cotten) und ihrer Tochter Melissa (Carol Lynley) auf einer Ranch lebt. Brendan wird vom unwissenden John angeheuert, um beim bevorstehenden Viehtreck zu helfen – und gesteht dem Mann unumwunden, dass er ihm dessen Frau nehmen wird, die er seit damals nie vergessen hat. Bei diesem Plan kommt ihm jedoch Dana Stribling (Rock Hudson) in die Quere. Er ist auf der Suche nach Brendan, weil dieser seinen Schwager erschossen hat. Er lässt sich von ihm überreden, beim Treck zu helfen, aber keinen Zweifel daran, dass er ihn, am Ziel angelangt, umbringen wird. Als auch er sich in Belle verliebt, hat er noch einen Grund mehr, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sowohl O’Malley wie auch Stribling klammern sich an die Vergangenheit, doch während ersterer sie wieder aufleben lassen möchte, muss Stribling sie abschließen, um neu anfangen zu können. Und dabei steht ihm eben O’Malley im Weg – in doppelter Hinsicht. Letzten Endes erkennt O’Malley selbst, dass er für die Zukunft verloren ist. Er geht in das Duell mit Stribling, wissend, dass er verlieren muss, um den Menschen, die ihm etwas bedeuten, einen neuen Sonnenaufgang zu bescheren.

THE LAST SUNSET ist wunderbar. Er kreuzt die Abenteuer- und Westernelemente von VERA CRUZ mit dem Melodram von AUTUMN LEAVES, den Aldrich ja als „classy soap opera“ bezeichnete, scheut nicht vor Romantik oder gar Kitsch zurück, triumphiert aber, weil alles durch Struktur und Charaktere zusammengehalten wird. Vor allem Kirk Douglas ist herausragend. Die Figur des aufbrausenden, leidenschaftlichen Arschlochs O’Malley formt er zu einem Charakter aus Fleisch und Blut, den der Zuschauer im Verlauf des Filmes – gerade wegen seiner Zerrissenheit – immer mehr ins Herz schließt. Um ehrlich zu sein: Douglas‘ Performance und O’Malleys Schicksal haben mich beinahe zu Tränen gerührt. Der Moment, in dem er realisiert, dass sein Glück nur auf Kosten von Leid und Schmerz für die anderen erkauft werden kann und die Konsequenz daraus zieht, ist ebenso heroisch wie tragisch. Es ist kein Moment des großen pathetischen Überschwangs: Erkenntnis und Entscheidung zeichnen sich einzig und allein in seinem Gesicht ab, sind dabei so deutlich lesbar, als würden sie ausgesprochen werden. Im Grunde genommen ist O’Malley ein Spätwesternheld: Im Gestern lebend, ist seine Zeit längst abgelaufen. Sein Typus ist nicht mehr gefragt, er ist ein wandelnder Anachronismus, der der Geschichte im Weg steht. Doch anders als etwa Peckinpah in THE WILD BUNCH macht Aldrich den Umbruch nicht historisch fest. Das Überkommen-Sein ist bei ihm keine Frage des Zeitenwandels, sondern der Psychologie. Für O’Malley gibt es kein Morgen, er hat sich mit Haut und Haaren der Vergangenheit verschrieben, die sich nicht wiederholen lässt. Rock Hudson muss als etwas langweiliger Stribling gegenüber Douglas verblassen, aber seine Darbeitung ist nicht etwa eine Fehlleistung, vielmehr stellt er sich in den Dienst des Films, der neben O’Malley keine zweite Figur verträgt, die die Leinwand ähnlich füllen würde. Douglas ist als O’Malley brennende Leidenschaft, glühender Zorn und innere Aufruhr. Stribling ist die Klarheit, Nüchternheit, Vernunft. Er ist nicht der Typ, dem man stundenlang zuhören möchte, aber der, auf den man sich immer hundertprozentig verlassen kann.

Wie VERA CRUZ ist auch THE LAST SUNSET ein Film der Spiegelungen, Dopplungen und Kreisbewegungen: O’Malleys Ankündigung, Breckenridge die Frau nehmen zu wollen, findet ein Echo, wenn Stribling Belle förmlich androht, dass er sie zur Frau nehmen werde. Belle, die als junge Frau im gelben Kleid O’Malleys Erinnerungen erfüllt, wird später durch ihre Tochter Melissa ersetzt, die sich dem älteren Mann im selben Kleid anbietet und ihm ihre Liebe gesteht. Und in dieser jungen, aufkeimenden Liebe zwischen dem jungen Mädchen und dem älteren Mann spiegelt sich schließlich, was Belle O’Malley auf dessen Avancen erwiderte: dass er nicht sie liebe, sondern das junge Mädchen, an das er sich erinnert. Er rennt einem Bild hinterher. Und weil dieses immer mehr verblasst, will er es mit neuem Leben füllen. Weil Belle sich verweigert, soll Melissa die klaffende Lücke füllen. Doch dann offenbart sich ihm auf die denkbar deutlichste Art und Weise, dass er sich im Kreis dreht. Vergangenheit und Gegenwart sind in THE LAST SUNSET unentwirrbar verwoben. Seine Protagonisten zahlen immer noch die Schulden ab, die sie in der Vergangenheit angehäuft haben. Das Konto muss ausgeglichen werden, damit Platz für die Zukunft ist. Am Ende liegt der eine tot im Staub, seine Geliebte kniet trauernd über ihm, während der andere nun seine Liebe in die Arme schließen kann. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass O’Malley, wie er da so mit ausgebreiteten Armen und einem abgewinkelten Bein daliegt, ein wenig an Jesus am Kreuz erinnert.

Die Nazis dringen unter der Führung von Gestapo-Mann Heisler (Stanley Baker) in ein griechisches Bergdorf ein, dessen Bewohner – einfache Bauern und Arbeiter – zum Teil der Widerstandsbewegung angehören. Bei einem missglückten Überfall der Partisanen auf ein Waffenlager der Nazis sind bereits etliche von ihnen gefallen. Nun wollen die Deutschen ein weiteres Exempel statuieren. Aus der Schar der übrig gebliebenen Männer sollen zehn hingerichtet werden. Der erste Name wird aufgerufen. Der Mann beteuert, nicht dem Widerstand anzugehören, ein Kollaborateur zu sein. Doch das hilft ihm nicht. „Da siehst du, was du angerichtet hast“, sagt einer der Dorfbewohner. „Wir mögen dich nicht und sie mögen dich auch nicht.“ Eine Gewehrsalve zerreißt den Mann, er fällt tot zu Boden. Der nächste Name wird aufgerufen. Der nächste tödliche Schuss hallt durch die Nacht. Eleftheria (Gia Scala), eine junge Frau aus dem Dorf und Schwester eines der Widerstandskämpfer, wendet sich weinend und voller seelischer Qual ab. Der nächste Name, der nächste Schuss …

Es ist diese Szene, in der es Aldrich gelingt, die Unbarmherzigkeit, zu der Menschen im Krieg fähig sind, das Leid, das sie anderen zufügen, ohne auch nur das geringste Zeichen von Mitgefühl oder Gnade – Menschlichkeit eben – bloßzulegen. Sie erinnert sofort an seine großen Schmerzdarstellungen: Nalinles zerschundene Füße in APACHE, eine Vielzahl von Verletzungen und schmerzverzerrter Gesichter in KISS ME DEADLY, Burt Hansons sich unter der Elektroschocktherapie aufbäumender Körper in AUTUMN LEAVES, die Schreie von Joe Costa in ATTACK!, als ihm ein Panzer über den Arm  rollt. Bei Aldrich verbergen sich hinter äußeren Narben immer auch seelische Wunden: Im Schmerz ist der Mensch bei Aldrich als Ganzes erfasst, man kann sich nicht mehr an ihm versündigen, als ihn zu foltern – die Schäden sind irreparabel. Aber Aldrichs Schmerzensbilder sind auch die grafische Kulmination des inneren Ringkampfs, den seine Protagonisten austragen; ein Ringkampf, der seinerseits Ausdruck sozialer und historischer Verwerfungen ist. Da fällt einem dann auf, wie viele von Aldrichs Filmen zu Zeiten der Krise und der Unsicherheit spielen, vor dem Hintergrund von kriegerischen Auseinandersetzungen und großer sozialer Umbrüche. Die äußeren Umstände erfassen den Menschen, zerreißen ihn, perpetuieren den Status quo oder schaffen die Zäsur, die zur Überwindung führt. Aldrichs Protagonisten stehen vor der Wahl: Weitermachen wie bisher, sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren und materiell davon zu profitieren, aber dabei moralisch zu verarmen, oder aber sich aufzulehnen, auch auf die Gefahr hin, dabei unterzugehen.

In THE ANGRY HILLS ist es der amerikanische Kriegsberichterstatter Mike Morrison (Robert Mitchum), der sich entscheiden muss: Will er nur der unbeteiligte Mitläufer sein, der den Krieg, in dem Millionen von Menschen ihr Leben lassen, zum Anlass nimmt, herumzureisen, sich zu betrinken und Frauen unterschiedlichster Herkunft kennenzulernen? Oder will er tatsächlich etwas dazu beitragen, Menschenleben zu schützen und dem Guten – oder zumindest dem, was er dafür hält – zum Sieg zu verhelfen? Zu Beginn ist er kaum mehr als ein Tourist, der die Orte des Sterbens besucht. Als er einen alten Bekannten trifft und diesem lapidar vom Tod eines gemeinsamen Freundes erzählt, steht er dessen sichtlichem Schock geradezu ratlos gegenüber. Schließlich ist Krieg, da sterben nunmal Menschen – so einfach ist das für ihn. Eigentlich will er nur schnellstmöglich in eine Taverne und eine hübsche Griechin auftun, doch dann wird ihm gegen seinen Willen eine Liste zugespielt, die die Namen von 16 griechischen Nazi-Kollaborateuren enthält. Seine Aufgabe besteht darin, die Liste nach England und damit aus der Reichweite der Nazis und ihrer griechischen Helfer zu bringen, die sich ihm sofort an die Fersen heften. Auf der Flucht landet Morrison in einem kleinen Dorf in den Bergen, wo eine Gruppe unerschrockener, aber chancenloser Partisanen den Widerstand probt. Für ihn ist der Überfall auf das Waffenlager zuerst ein Abenteuer, und um sich den Hauch von Autorität und Kompetenz zu verleihen, gibt er sich als Soldat aus. In Wahrheit gehört er nicht dazu, es ist nicht sein Land, dessen Autonomie bedroht ist. Wenn der Krieg vorbei ist, wird er zurück nach Amerika reisen. Eleftheria ist schockiert davon, wie er den Überfall mitplant und über das Leben der Männer verfügt, die ihm doch völlig fremd sind. Wie er plötzlich auftritt, als habe man nur auf ihn gewartet, und sich ganz selbstverständlich in die Rolle des Messias aus dem gelobten Land einfindet, obwohl er doch ein blutiger Amateur ist (was sie nicht weiß). Als es Ernst wird, erkennt er, was es bedeutet, mit Haut und Haaren involviert zu sein. Er hat Angst. Dieses Eingeständnis Mitchums dürfte eine ziemlich ungewöhnliche Dialogzeile für einen amerikanischen Helden in einem Kriegsfilm der Fünfzigerjahre gewesen sein. Mir hat es sich sofort eingebrannt, fast genauso wie das leidende Gesicht der trauernden Eleftheria, als ihre Mitbürger hingerichtet werden. Ein Robert Mitchum, der seine Angst eingesteht: Könnte es etwas geben, was den Wahnsinn des Krieges pointierter darstellt?

Nach dem vereitelten Überfall gibt es einen Bruch in THE ANGRY HILLS. Die „wütenden Berge“ werden verlassen, das Geschehen verlagert sich zurück in die Stadt, die Partisanen und Eleftheria, Morrisons Love Interest, werden zurückgelassen. Nun rückt eine andere Frau in den Mittelpunkt: Lisa Kyriakides (Elisabeth Müller), die Morrison helfen soll, in Wahrheit aber im Auftrag von Heisler handelt. Er ist ihr ehemaliger Ehemann und hat mit ihr zwei Kinder, die er als Druckmittel gegen sie einsetzt: Wenn sie Morrison nicht ausliefert, will er ihre gemeinsamen Kinder töten. Lisa weiß nicht, was sie erschrekcender finden soll: Die Tatsache, dass das Leben ihrer Kinder von einer Entscheidung abhängt, die sie nicht treffen will, oder davon, dass Heisler sein eigen Fleisch und Blut so völlig skrupellos einsetzt wie Chips in einem Kartenspiel. Lisa bleibt eigentlich keine Wahl. Man könnte es ihr nicht übelnehmen, ließe sie Morrison über die Klinge springen. Doch sie ist nicht in der Lage, ein Leben im Austausch für zwei andere zu opfern, auch nicht, wenn es um das Leben ihrer Kinder geht und das Opfer ein Fremder ist. Sie bricht das Spiel ab, schafft die Zäsur. Bevor Morrison unwissend in die Falle tappt, warnt sie ihn. Damit verändert sie die ganze Situation, zwingt die Involvierten zum Innehalten. Morrison ist nun längst nicht mehr nur der unfreiwillig Hineingezogene, der lediglich bemüht ist, seine Haut in Sicherheit zu bringen. Er will Lisas Kinder um jeden Preis retten und die Liste  nach England bringen. Was erstaunlich ist: Je mehr er zum aktiv Handelnden wird, umso mehr verlagert Aldrich sein Interesse zugunsten Heislers. Denn nun ist es an diesem, einen Gesinnungswandel zu vollführen. Ist er wirklich bereit, für den „Endsieg“ seine eigenen Kinder zu opfern?

THE ANGRY HILLS, der auf einem Roman von Leon Uris basiert, ist ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswerter Film. Zum oben erwähnten ängstlichen Mitchum gesellt sich am Schluss auch noch der menschliche Nazi, der in den Fünfzigerjahren wohl eher selten gesehen war und es ja auch heute noch ist. Aldrich glaubt nicht an apriorische Gut-Böse-Zuschreibungen. Der Mensch zeichnet sich durch das aus, was er tut, durch die Entscheidungen, die er trifft. Und jeder hat zu jeder Sekunde die Gelegenheit, sein Handeln zu überdenken, und den Kurs zu wechseln. Wie Sartre das einmal treffend formulierte: Man hat immer die Wahl. Und wenn es der Selbstmord ist. Leider ist THE ANGRY HILLS aber auch sehr zerfahren. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass das Studio diverse Schnitte auferlegte, die den zweistündigen Film auf knapp 105 Minuten herunterkürzten. Welche Passagen und Szenen tatsächlich der Schere zum Opfer fielen, kann ich nicht nachhalten, aber einige Handlungssprünge muten tatsächlich viel zu ungelenk an, als man sie Aldrichs Regie zuschreiben wollen würde. Lisa tritt ohne echte Einführung in den Film (sie wird nur einmal in einem Gespräch erwähnt), wird von Morrison aber schon erwartet. Der Schauplatzwechsel überrascht nicht nur, weil der Film doch THE ANGRY HILLS heißt. Und später erfährt Morrison dann noch sehr beiläufig vom Tod Eleftherias: Auch diese Entscheidung mutet angesichts der Bedeutung, die dieser Figur zuvor beigemessen wurde, rätselhaft an. Diese Sprünge machen es mitunter schwer, dem Geschehen zu folgen. Und so vermute ich, dass man in der Postproduction kurzerhand einige „Bindeglieder“ entfernte, die einen weicheren Übergang zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Films geschaffen hätten. THE ANGRY HILLS ist daher nicht ganz einfach – und schon gar nicht fair – zu bewerten. Was man sieht, zeugt von der Meisterschaft und dem Humanismus Aldrichs. Das große erzählerische Talent, das etwa aus VERA CRUZ einen so meisterhaft strukturierten und konstruierten Western machte, scheint hier jedoch zumindest streckenweise ausgehebelt.

Robert Aldrich inszenierte WORLD FOR RANSOM, seinen zweiten Spielfilm, inkognito: Der ganze Film muss ohne einen Regie-Credit auskommen. Wahrscheinlich „enterbte“ Aldrich den Film, weil er nur eine eher herzlos heruntergekurbelte Auftragsarbeit war: Je nachdem, welcher Quelle man glauben schenkt, wurde WORLD FOR RANSOM in nur 10 oder 11 Tagen abgedreht. Er basiert auf der Serie CHINA SMITH, von der zwischen 1952 und 1955 insgesamt 56 Folgen produziert wurden. Die Serie dreht sich um den in Singapur lebenden Söldner China Smith, der allerlei Abenteuer zu bestehen hat. Der Film – vom Produktionsteam der Serie in denselben Settings fertiggestellt – übernimmt sowohl das zentrale Konzept als auch die wichtigsten handelnden Figuren und ihre Darsteller mit nur einer kleineren kosmetischen Änderung: Aus dem Söldner China Smith wird in WORLD FOR RANSOM der Privatdetektiv Mike Callahan.

Eben dieser Callahan (Dan Duryea) wird von dem zwielichtigen Geschäftsmann Johnny Chan (Clarence Lung) zum Gespräch gebeten: Die Schergen des Konkurrenten Alexis Pederas (Calvin Lockhart) haben ihm ein Geschäft vermasselt und er möchte wissen, was dahintersteckt. Weil Chan weiß, dass Callahan gut mit Julian March (Patric Knowles) befreundet ist, der in letzter Zeit wiederum häufiger zusammen mit Pederas gesichtet wurde, bittet er den Detektiv, seine Kontakte zu nutzen. Und so kommt Callahan einem groß angelegten Coup auf die Schliche: Pederas hat einen Nuklearwissenschaftler entführt und droht der Welt nun mit der Zündung einer Atombombe. Sein alter Freund – nebenbei Ehemann von Callahans alter Flamme Frennessy (Marian Carr) – steckt mittendrin …

Man sieht die pulpigen Cliffhanger-Episoden bei Betrachtung von WORLD FOR RANSOM förmlich vor sich: Der zerknautschte Callahan streunt durch die Straßen des exotischen Singapurs bzw. die eine Kulisse, die als Stand-in dient, trifft dubiose Charaktere, verschlagene Ganoven und verführerische Frauen in verrauchten Bars, Büros und Hinterzimmern. Es gibt einen hanebüchenen Plot – eine Militäruniform aus dem Kostümladen und eine falsche Durchsage am Flughafen reichen aus, um einen Top-Wissenschaftler aus den Händen des britischen Militärs zu entführen – und am Schluss, nach 70 eher trägen Minuten, etwas Krach-Bumm-Peng. Was sich auf dem Papier ganz putzig und unterhaltsam liest, lässt sich von Angesicht zu Angesicht nur schwer goutieren. WORLD FOR RANSOM kann nie verhehlen, dass er kaum mehr als eine verkappte und zudem reichlich angestaubte Fernsehserien-Episode ist. Was Robert Aldrich mit seinem untrüglichen Gespür für spannungsreiche Bildkompositionen – man achte darauf, wie er vor allem die Vordergründe gestaltet – aufbaut, das verpufft durch den generischen, biederen Handlungsverlauf. Auch wenn man die Handschrift des Meisters hier und dort also durchaus erkennt, in der zum Ausdruck kommenden Atomparanoia eine Ahnung von KISS ME DEADLY heraufziehen sieht und im ernüchternden Ende den Happy-End-resistenten Beziehungsrealisten entdeckt, sollte man Aldrich doch den Gefallen tun, mit WORLD FOR RANSOM genau so zu verfahren, wie er es selbst tat: Ihn aus seinem Vermächtnis streichen.

Jahr für Jahr folgen Hunderte von amerikanischen Jugendlichen dem Ruf der großen Baseballteams: In Trainingslagern in Florida messen sie sich miteinander in der Hoffnung, nach ein paar Wochen einen Profivertrag in der Tasche zu haben. BIG LEAGUER folgt einer Handvoll dieser jungen Männer in ein Camp der New York Giants. Unter der Beobachtung und Anweisung von Trainer „Hans“ Lobert (Edward G. Robinson) versuchen sie, sich den Traum eines jeden Jungen zu erfüllen. Unter ihnen befinden sich der hochmotivierte Pitcher Bobby Bronson (Richard Jaeckel), die New Yorker Labertasche Julie Davis (William Campbell), Tippy Mitchell, der weniger begnadete Sohn des ehemaligen, verehrten First Baseman Wally Mitchell, der kubanische Immigrant Chuy sowie Adam Polachuk (Jeff Richards), ein Supertalent an Third Base, dessen strenger Vater für ihn allerdings eine schnöde Juristenkarriere vorgesehen hat …

Robert Aldrichs Spielfilmdebüt – zuvor hatte er bereits einige Male fürs Fernsehen gearbeitet – ist eine hoffnungslos sentimentale, leichtfüßige und liebenswerte, aber eben auch durchweg harmlose und flüchtige Angelegenheit. Ein Journalist fungiert als Erzähler, tritt aber sonst nicht in Erscheinung. Seine Stimme untermauert lediglich den Anspruch des Films, ein möglichst authentisches Abbild dessen zu liefern, was sich Jahr für Jahr wieder ereignet. Und wie es sich für einen Baseballfilm gehört, wird dieses sich regelmäßig wiederholende Schauspiel mythisch verklärt: Im Baseballsport zeigt sich die amerikanische Seele in ihrer reinsten Form, und die Major League ist gleichsam die Kathedrale, in der sich das Beste und Höchste des Landes versammelt, um dem American Dream zu huldigen. Die Bemühungen der Jungen, Eingang zu dieser Kathedrale zu erhalten, ist so zu gleichen Teilen der Stoff, aus dem die Heldengeschichten wie auch die großen Tragödien gestrickt sind. Das Große, Edle trifft direkt auf das Kleine, Banale, Glück und Enttäuschung liegen eng beeinander. Aber es ist eben auch dieses Nebeneinander, das die Schönheit des Ganzen ausmacht. In ihrem Traum sind alle miteinander vereint, ganz egal, ob er sich nun verwirklicht oder verpufft. So treffen sich All-American Boys, Immigranten, die kein Wort Englisch sprechen, und die Söhne von Einwanderern aus Europa, Jungs vom Land oder aus den Großstädten, Großmäuler und Schüchterne, Arme und Reiche und sind für die Dauer ihres Campaufenthalts gleich. Das kennt man aus zahlreichen Sportfilmen, oder, wenn der Tellerrand beim deutschen Fernsehprogramm aufhört, aus der grausamen Integrationskampagne des DFB, in der sich die Eltern unserer multikulturellen Nationalmannschaft zum Fußballgucken treffen. In Aldrichs Film ist es aber natürlich etwas schöner, wärmer und herzlicher. Und eben mit Baseball, was selbstverständlich der größte Pluspunkt ist.

Ich habe eben erst bei der Bildersuche festgestellt, dass BIG LEAGUER über die Warner Archive Collection auch auf DVD verfügbar ist. Ob man sich diese in den Schrank stellen muss, sei aber nicht nur deshalb dahingestellt, weil man ihn sich auch in akzeptabler Qualität auf Youtube anschauen kann: Wäre er nicht von Aldrich, wäre er kaum der Rede wert. Das heißt nicht, dass BIG LEAGUER schlecht ist, aber er ist eben nicht mehr als eine von unzähligen kleinen B-Produktionen aus jener Zeit, die zwar über einen vor allem dem nostalgischen Blick des heutigen Betrachters geschuldeten, unleugbaren Charme verfügen, aber eben auch komplett austauschbar und enorm schnell wieder vergessen sind. Das Drehbuch begnügt sich damit, einige grob skizzierte Figuren und Episödchen zu einer kurzweiligen, aber eben auch beliebigen Collage zusammenzufügen. Diese Beliebigkeit ist natürlich irgendwie auch der point an BIG LEAGUER, der ja nichts anderes will, als das Allgemeine abzubilden. Aber ein bisschen mehr Stringenz hätte nicht geschadet. Das als Höhepunkt gedachte Trainingsspiel gegen das Konkurrenzteam der Dodgers rundet den Film zwar ab, sorgt aber kaum für Herzklopfen. Dazu bleiben die Charaktere einfach zu unspezifisch. Wirklich schön ist aber das Aufeinandertreffen zweier ungleicher Väter auf der Tribüne: Wally Mitchell, der ehemalige Profi, will sehen, wie sein Sohn es ihm gleichtut. Mr. Polachuk, der strenge Vater Adams, möchte seinen Sohn schnellstmöglich aus dem Camp holen, damit er einen anständigen Beruf ergreift. Während nun der eine sieht, dass sein Sohn zwar engagiert, aber eben einfach nicht talentiert genug ist, lernt der andere, dass sein Junge vielleicht das tun sollte, was er am besten kann: Baseballspielen. Er erkennt die Größe des Spiels, das er selbst nicht versteht, in den Reaktionen der um ihn herum sitzenden Zuschauer, versteht, dass es mitnichten Vergeudung ist, sein ganzes Engagement in dieses Spiel zu investieren (dass er nebenbei darüber aufgeklärt wird, dass man als Profi-Baseballer extrem gut bezahlt wird, trägt zu seiner Akzeptanz natürlich bei). Das Nebeneinander der beiden fremden, völlig verschiedenen Väter, die sich in diesem Moment auf der Tribüne begegnen und aufeinander Einfluss nehmen, bildet im Kleinen ab, was über die Gesamtlänge des Films durch eine Unzahl fragmentarisch bleibender Plotz verwässert wird. In diesem kleinen Abstecher erreicht der Film diee Intimität, die man sonst über weite Strecken vermisst.

Wer sich den Film auf Youtube anschauen möchte – man kann 70 Minuten sehr viel besser, aber ganz sicher noch bedeutend schlechter verbringen – der tue dies hier:

Der im vorangegangenen Text zu THE GARMENT JUNGLE erwähnte Streit mit Harry Cohn, der dazu führte, dass Aldrich als Regisseur entlassen und durch Vincent Sherman ersetzt wurde, bedeutete eine Zäsur in Aldrichs Karriere: War er zuvor mit zwei Filmen pro Jahr überaus produktiv gewesen, dauerte es nun ganze zwei Jahre, bis er mit TEN SECONDS TO HELL seine nächste Regiearbeit vorlegte, für die er zum ersten Mal auch offiziell als Drehbuchautor verantwortlich zeichnete. Gedreht wurde der Film in Berlin und als Produzent fungierte Michael Carreras, der zu jener Zeit die Geschicke der florierenden britischen Hammer Studios lenkte. Die Zuschreibung des Produktionslandes gestaltet sich dann auch als schwierig: Die IMDb weist den Film als Koproduktion zwischen Großbritannien und den USA aus, die OFDb als amerikanische und Wikipedia wiederum als deutsch-britische Produktion. Die Versionen der OFDb und der Wikipedia sind mit Sicherheit auszuschließen – sowohl die britischen Hammer Studios als auch die US-amerikanischen Produktionsfirmen Seven Arts und United Artists waren definitiv beteiligt –, denkbar ist aber, dass die deutsche UFA eine tragende Rolle in der Finanzierung spielte: Immerhin stellte sie ihre Studios für die Dreharbeiten zur Verfügung. Wie dem auch sei: TEN SECONDS TO HELL ist keiner der ganz großen Filme in Aldrichs Werk, aber eben unverkennbar Aldrich. Es spricht einiges dafür, den Film als „Re-Imagining“ seines großen Klassikers VERA CRUZ zu betrachten, dem er in wesentlichen Aspekten ähnelt.

Die deutschen Soldaten Erik Koertner (Jack Palance), Karl Wirtz (Jeff Chandler), Franz Löffler (Robert Cornthwaite), Peter Thiele (Dave Willock), Wolfgang Schultz (Wesley Addy) und Hans Köpcke (James Goodwin) – die Rollennamen weichen in der Originalfassung von der deutschen Synchronversion,  die mir vorlag, ab – kehren als Bomben-Räumkommando ins zerstörte Berlin zurück und finden dort schnell eine Anstellung bei guter Bezahlung für die lebensgefährliche Arbeit. Im Gespräch gestehen die beiden Freunde/Rivalen Koertner und Wirtz, dass sie eine makabre Wette abgeschlossen haben: Sie zahlen ihre Gewinne auf ein Konto ein, dessen Inhalt dem ausgezahlt wird, der den anderen überlebt. Weil es in den beschwerlichen Nachkriegsjahren nur wenig Hoffnung gibt, ans große Geld zu kommen, und die Männer wissen, dass einige von ihnen in Ausübung ihres Berufs sterben werden, klinken sie sich in die Wette der beiden ein. Nach drei Monaten soll das Gesparte unter den Überlebenden aufgeteilt werden. Als mit einem unbekannten Zünder ausgestattete britische Bomben die Kameraden dezimieren, entpuppt sich Wirtz immer mehr als rücksichtsloser Egoist …

Das von Bürgerkriegsunruhen zerrissene Mexiko aus VERA CRUZ weicht in TEN SECONDS TO HELL in einem Schwebezustand zwischen Depression und Neuanfang befindlichen, in Trümmern liegenden Berlin; der Veteran Ben Trane dem nach Jahren des Tumults müde gewordenen, reuigen Koertner, der tollkühne, zynische Materialist Joe Erin dem egomanischen Wirtz. Statt eines Goldschatzes geht es nun um den Inhalt eines Kontos, auf das die Männer einen Anteil ihres monatlichen Gehalts einzahlen, und die Rolle der mexikanischen Freiheitskämpferin Nina, die Trane auf den rechten Pfad zurückführt, fällt hier der französischen Emigrantin Margot (Matine Carol) zu, die Koertner dazu ermahnt, sein Leben nicht allzu leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Sogar die unsichtbare Instanz, die das zentrale moralische Dilemma von VERA CRUZ philosophisch unterfütterte, taucht in TEN SECONDS TO HELL wieder auf: Berichtete Joe Erin im Westernklassiker von Ace Hannah, dem Mörder seines Vaters, der ihn dann aus Mitleid unter die Fittiche nahm, und von dem Einfluss, den dieser auf ihn hatte, so erzählt Wirtz von seinem Onkel Oskar, der ihn maßgeblich prägte. Sowohl Joe Erin als auch Wirtz wurden von ihren Ziehvätern zu gnadenlosen Egoisten gedrillt: Wer es zu etwas bringen wolle, müsse zunächst an sich selbst denken. Jeder, der etwas anderes sage, sei ein Dummkopf. Wie gut ihre Schüler ihre Lehren verinnerlicht hatten, mussten beide Mentoren ironischerweise am eigenen Leib erfahren: Hannah wurde von Erin aus Rache für den Mord an seinem Vater erschossen, als der für den älteren Mann keine Verwendung mehr hatte, Onkel Oskar wurde von seinem Neffen der Zugang zum rettenden Bunker während eines Bombenangriffs verwehrt. Es zeigt sich sowohl in VERA CRUZ als auch in TEN SECONDS TO HELL, dass der krasse Egoismus als Lebenskonzept nicht haltbar ist. Sein Erfolg gründet darauf, dass es immer jemanden gibt, der sich selbst nicht egoistisch verhält – und dass man diesen gegen jede Loyalität und Freundschaft gnadenlos hintergeht. Erin und Wirtz stehen am Ende völlig isoliert da: Für den materiellen Erfolg haben sie alles verraten, was das Leben eigentlich überhaupt erst lebenswert macht. Der Unterschied zwischen beiden ist, dass Wirtz seinen Fehler erkennt und die Konsequenzen zieht. Er geht sehenden Auges in den Tod und überlässt das Feld Koertner, dessen Blick in eine bessere Zukunft gerichtet ist.

Unmittelbar nach der Sichtung von TEN SECONDS TO HELL war ich geneigt, ihn als schwachen Film abzutun. Ich hatte den Eindruck, dass es Aldrich nicht gelungen ist, das volle Potenzial der eigentlich sehr spannenden Prämisse auszuschöpfen. Der Spannungsaufbau ist nicht vollständig geglückt, es gibt keinen stetigen Anstieg der Spannungskurve, vielmehr erreicht der Konflikt zwischen Koertner und Wirtz schon relativ früh einen kritischen Punkt, der dann bis zur finalen Auseinandersetzung nur noch „gehalten“ wird. Das Sterben der Kollegen entfaltet ebenfalls nicht die volle Wirkung, weil sie über den Status von Folien nicht hinauskommen. Ihre Tode sind nur die Stationen, die der Film notwendigerweise anlaufen muss, um zum eigentlichen Höhepunkt zu gelangen. TEN SECONDS TO HELL wird nie wirklich lebendig und bleibt seltsam leer. Als seien alle handelnden Personen bereits tot, ohne es zu wissen. Aber nach längerem Nachsinnen scheint mir das weniger Makel als eben das, was den Film auszeichnet. Ich habe die Nachkriegszeit zum Glück nicht miterlebt, aber ich kann mich im Moment an keinen Film erinnern, dem es ähnlich gut gelingt, die Härten jener Zeit körperlich fühlbar zu machen. Jedes Bild, jeder Dialog vermittelt eine niederdrückende Hoffnungslosigkeit, ein wie nasse Kälte in die Knochen ziehendes Gefühl der Lähmung. So muss es den damals lebenden Menschen gegangen sein, die sich inmitten der materiellen wie metaphorischen Trümmer mit dem ernüchternden Status quo und der Frage auseinandersetzen mussten, wie es nun weitergehen kann und soll. Mehr als unter Armut und Hunger, denen zu entrinnen natürlich die Hauptmotivation der Protagonisten von TEN SECONDS TO HELL ist, leiden diese an der spirituellen Leere: Es gibt nichts, was ihr Leben sinnvoll ausfüllen könnte. Alles, was sie tun, steht in direkter Verbindung zu dem Schrecken, der hinter ihnen liegt, sie aber noch voll umfangen hält. Das ist dann auch der große Unterschied zu Aldrichs VERA CRUZ: Drang die Erkenntnis, was für ein schrecklich zynisches Dasein Trane und Erin führen, nur ganz allmählich durch den farbenprächtigen Technicolor-Vordergrund, lässt der schwarzweiße Nachkriegsfilm von Beginn an gar nicht erst das Gefühl aufkommen, das Bombenentschärfergeschäft könne etwas anderes sein als ein grausamer Wettlauf mit dem Tod. Die eindrucksvollen Bilder nicht enden wollender Trümmerfelder und wie Saurierskelette in den bleichen Himmel ragender Häusergerüste sowie die schmutzige Schwarzweiß-Tristesse lassen Abenteuerlust oder Aufbruchsstimmung gar nicht erst aufkommen. Man will nur weg hier. Die Zuversicht, mit der der Voice-over-Kommentator am Schluss von jener besseren Zukunft spricht, deren Bestandteil ja nun auch wir sind, erscheint einem angesichts der vorangegangenen 90 Minuten wie Hohn. Der Krieg wird immer bleiben. Aldrich hatte Recht.

Für die Zurverfügungstellung dieses Films, den es noch nicht auf DVD gibt, danke ich meinem Leser Michael!