THE WILD BUNCH ist einer jener Filme, bei denen ich die unverstellte Perspektive all jener beneide, die ihn Ende der Sechzigerjahre im Kino sehen konnten, ohne schon zu wissen, was da auf sie zukommen würde. Wie muss dieses Finale gewirkt haben, wenn es einen vollkommen unerwartet traf? Das kann man sich heute kaum vorstellen. Als ich THE WILD BUNCH vor rund 20 Jahren zum ersten Mal sah, da war es eben auch dieses berühmte, viel besprochene Finale, dass mich dazu bewogen hatte, ihn mir anzuschauen. Kein Text über den Film kommt ja ohne Erwähnung dieses Shootouts aus, mit dem sich der „wilde Haufen“ um Pike Bishop (William Holden) blutig von der Welt verabschiedet – und dabei noch mehrere Dutzend mieser, dreckiger Schurken mitnimmt. Es ist das Element, auf das der Film meist reduziert wird, so wie man PSYCHO mit dem Duschmord assoziiert und BULLITT mit der Verfolgungsjagd. Ich weiß noch, wie ich in Erwartung der blutigen Ballerei vom Rest des 140-minütigen Films etwas gelangweilt war: THE WILD BUNCH ist ja sonst aufreizend langsam erzählt und die Action bündelt der Regisseur in drei Sequenzen, die er ökonomisch am Anfang, in der Mitte und am Ende platziert hat. Dieser Eindruck eines „ereignisarmen“ Films hat sich erst im Laufe der Jahre mit jeder weiteren Sichtung zerschlagen. Heute wäre ich so glücklich wie Deke Thornton (Robert Ryan), wenn ich einfach noch ein bisschen mehr Zeit mit Pike, Dutch (Ernest Borgnine), Sykes (Edmond O’Brien), Lyle (Warren Oates), Tector (Ben Johnson) und Angel (Jaime Sanchez) verbringen könnte; Teil ihrer Gang zu sein, mit ihnen zu reiten, zu wissen, dass ich mich zu 120 % auf sie verlassen kann, sofern ich mich an ihren schmalen, aber gewichtigen Regeldkodex halte. Ihnen einfach zuzuhören, zuzusehen.
THE WILD BUNCH ist ein warmer, über weite Strecken sogar heiterer Film. Geprägt wird er von den wettergegerbten, zerfurchten Gesichtern seiner Helden, von ihrer Kameradschaft, ihren Erinnerungen an bessere Tage – aber auch ihrem täglichen Kampf darum, sich selbst treu zu bleiben, nicht vom Weg abzukommen, auch wenn es vielleicht bequemer wäre. Wenn man den Film ein paarmal gesehen hat, dann sind es nicht der gescheiterte Banküberfall, auch nicht die Entführung eines Zuges oder eben jenes Massaker am Ende, die die stärkste Wirkung hinterlassen, sondern vielmehr diese ruhigen Szenen und kurzen Augenblicke, in denen das unsichtbare Band zwischen den Protagonisten sichtbar wird, man einen Einblick in ihre Überzeugungen und ihren Schmerz erhält. Gibt es einen entspannteren Moment in der Filmgeschichte als jenen, in dem die Männer um Pike nach kurzem Zorn darüber, dass sie ihr Leben für mehrere Säcke wertlosen Metalls riskiert haben, in befreites Gelächter ausbrechen? Einen romantischeren als jenes kurze, intime Zwiegespräch zwischen Pike und Dutch am Lagerfeuer, kurz vor dem Einschlafen? Wie sich beide eine Flasche Whiskey teilen und sich gegenseitig versichern, dass sie es trotz aller Härten und Rückschläge „wouldn’t have it any other way“? Gibt es einen traurigeren Charakter als Deke, dessen Mimik und Körpersprache zu jeder Sekunde unmissverständlich zeigen, dass er alles dafür geben würde, die Seiten wechseln zu können, Seite an Seite mit seinem Freund Pike zu reiten, statt ihn zusammen mit ein paar ehrlosen, vertierten Gaunern (wunderbar verkommen: Strother Martin und L. Q. Jones) jagen zu müssen? Schließlich eine Szene, die deutlicher machen würde, wie bedingungslos Freundschaft interpretiert werden muss, wie verpflichtend sie ist, als jene stillschweigenden Minuten vor Pikes wortlosem Befehl „Let’s go!“ – der dann auch keiner weiteren Interpretation mehr bedarf? Der alles sagt, was gesagt werden muss? Ein humanistischeres Ende als die völlig selbstverständliche Versöhnung zwischen Deke und Sykes, die das Erbe Pikes gemeinsam fortsetzen werden, egal was zuvor war? Dafür, dass THE WILD BUNCH ganz buchstäblich in einer Explosion endet, ist es ein unglaublich nuancierter Film: Man beachte etwa das Gesicht Pikes, wenn er dabei zusieht, wie die Verfolger auf eine Brücke reiten, die er und seine Männer mit Sprengsätzen versehen haben, und mit einem Mal jeder Anflug von Überlegenheit und Schadenfreude aus seinem Blick weicht, als ihm klar wird, dass er möglicherweise dem Tod seines Freundes Deke zusieht.
So verehrt und geachtet Peckinpah für sein kompromissloses Werk auch ist, irgendwann in den Siebzigerjahren beginnen seine Filme auf eine Art und Weise abgezockt, resignativ und zynisch zu werden, die es einem bei aller Brillanz schwermacht, sie wirklich zu lieben (ich denke da vor allem an Filme wie STRAW DOGS, THE KILLER ELITE oder THE OSTERMAN WEEKEND). THE WILD BUNCH handelt zwar auch davon, wie sich die Welt (zum Schlechten) verändert, für Ritter wie Pike und seine Kameraden kein Platz mehr bleibt, das Paradigma der Ökonomie alles verschlingt und keinen Platz mehr für „Sentimentalitäten“ wie Freundschaft und Ehre lässt: Aber mehr als im Zorn darüber zu vergehen, ist Peckinpah bestrebt, seinen Helden einen guten Abgang zu ermöglichen. Bei aller Trauer über den Tod des „wilden Haufens“: Man weiß, dass sie nach ihren eigenen Bedingungen abgetreten sind. They wouldn’t have it any other way.