Archiv für Mai, 2013

Der Freier (Eb Lottimer) des 16-jährigen Straßenmädchens Dawn (Christina Applegate) entpuppt sich als Psychopath. In letzter Sekunde wird sie vom jungen Sy (David Mendenhall) gerettet, der sich in L.A. als Musiker verdingen will. Die beiden kommen sich infolgedessen näher und der aus behüteten Verhältnissen stammende Sy erhält Einblick wie es auch sein könnte: Dawn wurde von ihrer Mutter, einer Prostituierten, sitzengelassen und lebt nun mit zahlreichen anderen jugendlichen Obdachlosen in einem Abwasserkanal. Die einzige Aufheiterung ist der Fix, für den sie ihr weniges Geld ausgibt. Aber auch für dieses Leben lohnt es sich zu kämpfen: Denn der Killer vom Anfang will seine Niederlage nicht so auf sich sitzen lassen. Und dass er ein Polizist ist, macht es nicht einfacher …

STREETS, auf den ersten Blick ein Nachfolger eher exploitativer Babystrich-Filme wie ANGEL, entpuppt sich auf den zweiten als durchaus ernstes, gut gespieltes Drama. Christina Applegate und David Mendenhall – Stallones Sohn aus OVER THE TOP – geben ein sympathisches ungleiches Pärchen ab, die gleichzeitig sonnendurchfluteten wie tristen Bilder von Venice Beach bieten eine stimmungsvolle Kulisse für den Blick auf die Schattenseiten der kalifornischen Metropole. Zwar bleibt STREETS etwas zu konventionell und brav, um wirklich zu schockieren oder zu bewegen, dennoch sind seine Bemühungen aller Ehren wert. Die potenzielle Wirkung der Corman-Produktion wird in erster Linie durch den reichlich generischen Serienmörder-Subplot gemindert: Zwar liefert der einige heftige Bilder und Effekte – die Erschießung einer in eine Mülltonne gesteckten Elfjährigen etwa –, aber er rückt den sehr aufrichtigen Film (nie gleitet er in den Sleaze ab, in dem vergleichbare Prostitutionsdramen so gern aufhalten) auch unweigerlich in Richtung Kintopp. Man kennt das aus unzähligen anderen Werken: die Parallelmontagen nichts Böses ahnender Opfer und des ihnen immer näher kommenden Killers, die Morde an den Freunden, denen der Schurke die Hinweise auf den Verbleib der Gesuchten abringt, die Trennung der Protagonisten just in dem Moment, in dem sie ihre gegenseitige Unterstützung am meisten brauchen, dann schließlich ihre Wiedervereinigung und der Triumph über den Widersacher. Das ist, wie gesagt, immer sauber gemacht – auch wenn die Tatsache, dasss der Killer Polizist ist, den Film kein Stück weiterbringt –, lenkt aber eben auch von den interessanteren, gewichtigeren Aspekten des Films ab. Dass das Herz dennoch auf dem rechten Fleck sitzt, das Schicksal Dawns nicht bloß den sensationalistischen Stoff für zynische Zuschauermanipulation bietet, beweist das tolle, traurige Ende, das dem Friede-Freude-Eierkuchen und der Gefühlsduselei, das etwa Fernsehproduktionen auszeichnet, die sich dieses Themas annehmen, eine saftige Absage und STREETS mit seinem Schlussbild im Gedächtnis verankert.

Kann man gucken.

Immer wieder erstaunlich, wie sich Filme über die Jahre und mit wiederholten Sichtungen verändern. MANIAC war für mich immer unglaublich brutal, unbarmherzig, furchteinflößend und deprimierend. Verantwortlich dafür waren vor die realistischen und detaillierten Splattereffekte von Tom Savini, aber natürlich auch andere Aspekte: das glaubwürdige Spiel Joe Spinells, der gleichermaßen kalte wie tmelancholische Score von Jay Chattaway, Lustigs effiziente, suggestive Inszenierung sowie Details wie etwa das brillante Set-Design. Das alles summierte sich zu einem Film, der auf Plot weitestgehend verzichtete, um stattdessen einen unverstellten Blick auf „Leben und Werk“ eines psychopathischen Serienmörders zu gewähren. Ein unangenehmer, schmerzhafter Blick.

Nun, vor allem die Wirkung der Effekte hat sich über die Jahre dann doch etwas abgeschliffen. Zu viel habe ich schon gesehen, zu durchsichtig ist aus heutiger Sicht ihre Technik, als dass sie noch so unmittelbar wirken könnten, wie sie dies taten, als ich den Film mit 18, 19 Jahren zum ersten Mal sah und er mir einen heftigen Hieb in die Magengrube verpasste. Und die meisterliche Suspense-Sequenz um die Krankenschwester, für mich immer noch eine der bestinszenierten und effektivsten der Horrorgeschichte (die Alexandre Aja dann auch in HAUTE TENSION referenzierte), kenne ich mittlerweile einfach zu gut, um noch wie damals die Panik des verfolgten Opfers 1:1 nachvollziehen zu können, vor dem Fernseher ähnliche Ängste auszustehen wie die junge Frau, die sich in einer Bahnhofstoilette versteckt und verzweifelt versucht, keinen Laut von ishc zu geben, während sie fast wahnsinnig wird. Aber es ist längst nicht nur eine gewisse Abnutzung, die dafür sorgte, dass ich MANIAC diesmal ganz anders gesehen habe als bei den vergangenen Sichtungen.

Mehr als der reine Terroraspekt trat diesmal für mich die psychologische Ebene des Films in den Vordergrund, die Zeichnung von Frank Zito, Joe Spinells Serienmörder, und damit vor allem die Tragik, die diesen Charakter umgibt. Dass der sehr differenziert gezeichnet wird, war mir zwar auch schon vorher aufgefallen, aber das hatte bislang nie ausgereicht, um meine Aufmerksamkeit ganz einzufangen. Das beginnt schon mit der Szene gleich nach dem Auftakt-Doppelmord am Strand, in der Zito aufsteht und im Spiegel die Narben an seiner Brust begutachtet: Später wird er eine Zigarette an der Brust einer seiner Schaufenster-Puppen ausdrücken, während er Zwiesprache mit seiner Mutter hält. Spätestens da ist dann klar, dass dieser Mann als Kind von seiner Mutter brutal misshandelt wurde. Es gibt aber noch  einen sehr deutlichen Hinweis, der mir seltsamerweise nie zuvor aufgefallen ist – möglicherweise, weil die bisherigen Fassungen immer deutlich dunkler waren als die Bluray-Disc: Als Zito die Prostituierte erdrosselt, zeigen einige kurze Aufnahmen nicht ihr Gesicht, sondern das seiner Mutter, die man vorher auf einem Foto in seiner Wohnung gesehen hat. Jeder Mord ist eine Rache an der Frau, die ihn zu dem machte, was er heute ist. Eine Rache, die natürlich folgenlos bleiben muss: Zito wird seine Mutter niemals loswerden, egal wie oft er sie auch umbringt.

Dieses Schicksal ist umso trauriger, als man in seinen Szenen mit der Fotografin Anna D’Antoni (Caroline Munro) sieht, dass er eigentlich ein sehr liebenswerter Mann sein könnte – wie er da im Anzug und mit gestriegeltem Haar in ihrem Fotostudio sitzt, auf dem Schoß den Teddybären, den er ihr als Geschenk mitgebracht hat, möchte man ihn fast in den Arm nehmen. Das ist übrigens noch so etwas, das mir aufgefallen ist: Wie streng Lustig seinen Film in zwei Hälften gliedert, die vom Ton sehr unterschiedlich sind. In der ersten zeigt er den Killer auf der Jagd, reiht mehrere Morde aneinander, konzentriert sich auf das „Monster“, in der zweiten lässt er die Frau auftreten, die die Bestie vorübergehend zu bändigen in der Lage zu sein scheint. Er entwirft eine Art Utopie, weckt die Hoffnung auf eine mögliche „Heilung“, deren letztlich zwangsläufiges und unabwendbares Platzen die unauflösbare Gefangenheit seines Protagonisten erst greifbar macht – und Zitos Freitod mithin unumgänglich. Diese Entwicklung, der Übergang von der nummernhaften Dramaturgie der ersten 40 Minuten, die die Zwänge aufzeigt, denen Zito unterliegt, zu einer „erzählerischen“ zweiten Hälfte, die jedoch ins Leere laufen muss, ist der eigentliche Geniestreich Lustigs: Ein normales Leben ist für Zito nicht möglich. Es gibt keine „Erzählung“ für ihn jenseits der endlosen Abfolge austauschbarer Nächte und Morde. Murmeltiertage für den Maniac.

Um über Filme wie diesen zu schreiben, habe ich dieses Blog eröffnet.

Ich bin total unvorbereitet an THE LEGEND OF LYLAH CLARE herangegangen, hatte vom Klappentext eine vage Vorstellung, worum es in dem Film geht, sonst aber nichts über ihn gelesen. Ich war sehr gespannt auf den Film (nicht zuletzt, weil ich ihn irgendwie mit Aldrichs THE KILLING OF SISTER GEORGE verwechselt habe, der als sein persönlichstes Werk gilt), doch die Sichtung gestaltete sich dann als etwas schwierig: Die im Rahmen der Warner Archive Collection erschienene DVD-R hat keine Untertitelspur, das Verständnis war also leicht beeinträchtigt, das langsame Tempo des Films und meine Feierabendmüdigkeit zwangen mich zudem dazu, ihn zweimal abzubrechen. Nicht ideal. Bis zu diesem Zeitpunkt empfand ich den Film zwar als merkwürdig, ohne jedoch wirklich benennen zu können, warum, aber keinesfalls auf eine besonders auf- oder gar ausfällige Art und Weise. Weil mich der nur halb gesehene Film nicht losließ, begann ich, die Trivia-Bits und Nutzerrezensionen auf der IMDb zu lesen – und war verblüfft. THE LEGEND OF LYLAH CLARE wurde von Aldrich selbst für seine nach dem großen Erfolg von THE DIRTY DOZEN gegründete Produktionsgesellschaft produziert: Er genoss gewissermaßen Narrenfreiheit. Der fertige Film „begeisterte“ die MGM so sehr, dass sie ihn als Camp-Film vermarkteten und sein Schicksal an der Kinokasse besiegelten. Heute genießt THE LEGEND OF LYLAH CLARE in den USA den Ruf eines Camp-Klassikers aus der Sparte „So bad it’s good“: Hartnäckig wird behauptet, der Film habe die Karriere von Kim Novak ruiniert (die gerade eine dreijährige Leinwandpause hinter sich gebracht hatte), zeichne sich durch lachhafte Dialoge, maßloses Overacting seiner Stars und missratene Kostüme und Make-up sowie fragwürdige Regieentscheidungen aus. Tatsächlich gab es während der Produktion einige Schwierigkeiten: Aldrich entschied sich in der Postproduction dazu, seine Hauptdarstellerin – ohne ihr Wissen – in jenen Passagen, in denen ihre Elsa Campbell in die Rolle Lylah Clares schlüpft, von einer anderen Darstellerin synchronisieren zu lassen und verleiht den Vorgängen so eine entschieden übersinnliche, surreale Note: Elsa scheint förmlich von Lylahs Geist besessen zu sein. Ein Aspekt, der aber auf der Handlungsebene nicht weiter thematisiert wird. Es sind solche Lücken, unbeantwortete Fragen und Ellipsen, die THE LEGEND OF LYLAH CLARE auszeichnen, ihm seinen eigentümlichen Reiz verleihen. Man kann diese Eigenschaft des Films – einen starren, unflexiblen Kunstbegriff vorausgesetzt – als Verfehlung, als Makel betrachten. Ich werde diese Haltung, mit der man einen Film, den man als absolut einzigartig erkannt hat, als „Trash“ bewerten kann, weil man ihn an irgendwelchen wie in Stein gemeißelten, apriorischen Standards misst, niemals begreifen. Steckt da eigentlich Masochismus dahinter, wenn man sein instinktives Gefallen mittels vorgeschobener Rationalisierungen schlechtredet? Aber zurück zu Film.

Der totkranke Produzent Bart Langner (Milton Selzer) hat eine Schauspielerin namens Elsa Brinkmann (Kim Novak) ausfindig gemacht, die der vor 20 Jahren unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommenen Leinwandlegende Lylah Clare (Kim Novak) zum Verwechseln ähnlich sieht. Gemeinsam mit dem Regisseur Lewis Zarken (Peter Finch), der Lylah zum Star gemacht und sie geheiratet hatte und nun schon seit Jahren auf einen Erfolgsfilm wartet, plant er ein Biopic über die Verblichene. Zarken, dessen Haus mit zahlreichen Porträts Lylahs und ihrem seit ihrem Tod – ausgerechnet in der Hochzeitsnacht! – unverändert gebliebenen Schlafgemach an ein Museum erinnert, ist zunächst nicht begeistert, bis er Elsa kennenlernt und sie plötzlich mit der Stimme Lylahs spricht. Er nimmt die schüchterne junge Frau unter seine Fittiche, quartiert sie bei sich ein und unterweist sie darin, ein Ebenbild Lylahs zu werden. Nachdem er die Doppelgängerin einer neugierigen Meute von Presse- und Filmleuten vorgestellt und dabei einen öffentlichkeitswirksamen Eklat mit der mächtigen Klatschreporterin Molly Luther (Coral Browne) erzeugt hat, kann Zarken schließlich den cholerischen Produzenten Barney Sheean (Ernest Borgnine) als Geldgeber gewinnen. In sechs Monaten soll „Lylah Clare: Film Star“ in die Kinos gelangen. Doch ausgerechnet bei der so wichtigen Todesszene versagt Elsa und zwingt Zarken zur Improvisation …

THE LEGEND OF LYLAH CLARE basiert auf dem gleichnamigen Fernsehfilm, den Franklin J. Schaffner 1963 mit Tuesday Weld in der Doppelrolle der Elsa/Lylah inszeniert hatte, und knüpft in vielerlei Hinsicht an Aldrichs THE BIG KNIFE an. Beide Filme sind eine bittere Abrechnung mit dem Studiosystem und der Starmaschine Hollywoods, in beiden wird ein Schauspieler in den Tod getrieben, in beiden gehören eine Klatschreporterin und ein größenwahnsinniger Produzent zum Figureninventar und beide spielen über weite Strecken in einem ebenso luxuriösen wie gefängnisartigen Haus. Doch während THE BIG KNIFE ein dramaturgisch ebenso sauberer wie vorhersehbarer Film war, der seine Theaterursprünge kaum verbergen konnte, den Zorn seines Regisseurs quasi in Ketten schlug und ihn in geordnete Bahnen lenkte, ist LYLAH CLARE von Gift und Galle infiziert. Es ist ein düsterer, kalter, exzessiver, dann und wann berückend hässlicher Film. Er ist schwer und träge, leblos, tot beinahe, nur um sich dann wieder aufzuraffen und in bizarre Zuckungen zu verfallen wie Frankensteins Monster nach dem Blitzeinschlag. Er ist künstlich, gespreizt, fürchterlich melodramatisch, pompös und aufdringlich wie das bis in den letzten Winkel mit Abscheulichkeiten und verstaubten Erinnerungsstücken vollgestellte Haus einer alten Dame. Dann erinnert er wieder an das Notizbuch eines fleißigen und ambitionierten, aber nur mäßig talentierten und vor allem maßlosen Dichters: Das Geniale steht neben dem Bodenlosen, schlechte Einfälle rauben den guten den Platz, gute brechen durch die schlechten wie der Sonnenschein durch eine dunkle Front von Gewitterwolken, hier und da steht ein Kritzelei, die von jemand völlig anderem zu stammen scheint, als habe der Besitzer sein Büchlein mal kurz unbeaufsichtigt gelassen und ein Scherzbold sich darin verewigt. Doch man hat dabei seltsamerweise nie den Eindruck, Zeuge einer Zugentgleisung zu werden, eines Debakels, das nicht nur keiner zu verhindern wusste, sondern im Gegenteil durch übereifrige Mithilfe überhaupt erst verursacht wurde. Vielmehr ist das Chaos hier mit größter Perfidität und brutaler Gerissenheit initiiert: Aldrich inszeniert es mit der ruhigen Hand eines akribischen Komponisten, wiegt seine Schauspieler in Sicherheit, während er sie brutal auflaufen lässt, ringt der Kamera traumhafte Bilder unbeholfener Szenenabläufe ab, kleistert die Rückblenden in jene tragische Nacht mit unbeholfenen visuellen Effekten zu und beendet die Geschichte der Doppelgängerin in einer trotzigen Verweigerungsgeste, die auch nach mehr als 40 Jahren  noch ziemlich beispiellos für eine Hollywood-Produktion ist. Und zu alledem dudelt der Score von DeVol, als befände man sich hier nicht 130 Minuten lang im freien Fall, sondern in einer besonders gefälligen Folge von LOVE BOAT. Aldrich tut alles, um zu verhindern, dass man als Zuschauer vergessen könnte, nur in einem Film zu sitzen. THE LEGEND OF LYLAH CLARE ist wie ein lästiger Stein in einem sehr bequemen Schuh.

Und außerdem ein einziger Stilbruch: Nichts stimmt, aber alles ist richtig. Die überforderte Kim Novak in der Titel-Doppelrolle, die natürlich Erinnerungen an VERTIGO wecken soll, der für seine Rolle zu junge Peter Finch mit dem für die Rückblenden angeklebten Bart, mit dem er aussieht wie jener drittklassige Magier, dem sein Zarken den Nachnamen geklaut hat, die fleischgewordene Durchschnittlichkeit von Milton Selzer, dem man weder eine Alkoholsucht noch den Beruf des Produzenten, wohl aber einen Arbeitsplatz im Finanzamt zutraut. Die Figur der Lylah Clare, einer Amalgamierung zahlreicher Hollywood-Stars, die mit ihrem deutschen Akzent und der rauchigen Stimme vor allem an Marlene Dietrich erinnert und sich in den merkwürdigen Rückblenden als komplett wahnsinnig erweist. Und ihre Wiederkehr in Gestalt Elsas, deren Outfit aber mit jenen Dreißigerjahren, in denen Lylah erfolgreich war, nur wenig zu tun hat. Dann natürlich ihre „Besessenheit“ – was hat es damit eigentlich auf sich? – und Zarkens „Rückfall“, seine rätselhafte Eingebung, den Film in einem Zirkus, mit Lylah als Trapez-Künstlerin, zu beenden und Elsa dafür sterben zu lassen. Schließlich die bereits mehrfach erwähnten Flashbacks: Aldrich fängt sie in einem wabernden, verschwommenen Schwarzweiß ein, umrahmt sie mit einem roten Kreis, der in einer Ecke noch Platz für das Gesicht Elsas lässt, als deren Vorstellung wir das Gesehene begreifen müssen. Der Ton wird heruntergepitcht, das Spiel der Akteure weckt Assoziationen zu alten Slapstickfilmen der Stummfilmzeit und der Tod Lylahs wird begleitet von einem comicartigen Blutklecks-Effekt, der mitten in der größten Tragik wie ein Furzgeräusch daherkommt. Am merkwürdigsten ist aber der Ton des Ganzen: THE LEGEND OF LYLAH CLARE mutet seltsam selbstzufrieden und gelähmt an, ganz im Kontrast zu der giftigen Aussage Aldrichs. Der Film verströmt eine dekadente Atmosphäre, die längst nicht nur in seinem Sujet begründet liegt. Es wird nie ganz klar, ob man das Geschehen lustig, tragisch, fremdartig oder erschreckend finden soll: Meist ist THE LEGEND OF LYLAH CLARE alles auf einmal, sodass sich die Empfindungen völlig neutralisieren. Man schaut dem Treiben zu, man erkennt die Strukturen, die Motive, die Kritik, aber dennoch bleibt das alles fremd. Begünstigt wird das durch eine morbide Aus-der-Zeit-Gefallenheit: Sein Titelheld ist ein Star aus dem „Golden Hollywood“, die Handlung selbst 20 Jahre später, also mutmaßlich in den Fünfzigerjahren, angesiedelt, doch er spielt unverkennbar in den Sechzigern, einer Zeit, in der das Hollywood, das Aldrich porträtiert, eigentlich schon am Boden lag. Ein wenig erinnert LYLAH CLARE mit seinen vordergründig reichen und schönen Charakteren, dem leeren Luxus, mit dem sie sich umgeben, und ihren schwülstigen Dialogen an die überbordenden Melodramen eines Douglas Sirk, aber von denen ist nur noch das Gerüst geblieben, jede Emotion, die sie mit Bedeutung und Wärme auflud, ist einer resignierten Geste, der Kopie der Kopie von Gefühlen gewichen. Es gibt keine Liebe, noch nicht einmal Hass, nur Selbstbezogenheit und Gleichgültigkeit. Alle sterben, wenn sie nicht schon tot sind, obwohl sie gar nie lebendig waren. Furchteinflößend ist selbst die Hundefutterreklame, die den Film zum Schluss unterbricht: Nicht einmal die braven Vierbeiner  möchten niedlich in die Kamera jaulen, sondern blecken die Zähne und kläffen. Aldrich muss bei seinen Erfolgsfilmen in den Jahren zuvor wahrlich gelitten haben.

Und da sind wir dann wieder bei den Vorwürfen der IMDBler mit ihren genormten Vorstellungen davon, wie „gutes“ Kino auszusehen habe. „Gutes“ Kino: Das ist genau das, was Aldrich hier eben nicht machen wollte. Sein Film ist eine fulminante Abrechnung mit den stromlinienförmigen, massentauglichen, runtergedummten „Qualitätsfilmen“, die nur dazu da sind, von einer zahlungswilligen Masse im Halbschlaf wegkonsumiert zu werden, vorgefasste Ansichten zu bestätigen und zu zementieren. „,Films?‘ ,Films?‘ What the hell ever happened to movies? What do you think you’re in, the art business? I make movies, not films!“, sagt Sheean einmal, damit sehr deutlich zum Ausdruck bringend, wo seine Prioritäten liegen. THE LEGEND OF LYLAH CLARE behandelt die Unmenschlichkeit und Kunstferne Hollywoods nicht nur auf der Handlungsebene, er fordert seine Zuschauer geradezu dazu auf, aus dem oktroyierten Schubladendenken auszubrechen. Und dazu sprengt er jeden Bezugsrahmen. Nichts ist hier mehr sicher, nicht mal mehr die eigene Haltung zum Gesehenen. Vielleicht ist THE LEGEND OF LYLAH CLARE tatsächlich totale Scheiße, fehlgeleitet und misslungen. Vielleicht stimmt aber auch etwas mit unserer Wahrnehmung nicht mehr. Dann muss man darüber nachdenken, sich die Augen rauszureißen.

Wenn es um SPARTACUS geht, kommt man für gewöhnlich recht schnell auf das Arbeitsverhältnis zwischen Stanley Kubrick und dem Produzenten und Hauptdarsteller Kirk Douglas. Eine andere Personalie schien mir bei dieser Sichtung aber interessanter und wichtiger: Für seinen Film über die vom Leibeigenen Spartacus geführte Sklavenarmee und ihren Aufstand gegen das römische Imperium engagierte Kirk Douglas nämlich Dalton Trumbo als Drehbuchautor. Der war 1947 als Mitglied der CPUSA, der American Communist Party, auf der berühmten „Schwarzen Liste“ gelandet und hatte seitdem nur unter Pseudonym oder mithilfe eines Strohmanns arbeiten können. Douglas‘ Einsatz für Trumbo (und den gleichfalls gelisteten Nebendarsteller Peter Brocco) brachte ihm zwar eine Tirade von Hollywoods Vorzeige-Reaktionär John Wayne ein, der SPARTACUS als „marxist propaganda“ verbrämte, bedeutete letztlich aber den Todesstoß für McCarthys Kommunistenhetze. Trumbos politische Überzeugungen merkt man SPARTACUS tatsächlich deutlich an: Es braucht nicht viel Fantasie, um im Kampf der Unterprivilegierten gegen den römischen Adel den marxistischen Proletarieraufstand zu sehen. Trumbos Einfluss prägt den Film dann auch stärker als der damals noch junge wilde Regisseur Kubrick. Die unbefriedigende Arbeit unter dem schwierigen Douglas bekräftigte letzteren letztlich darin, bei künftigen Regiearbeiten auf volle künstlerische Kontrolle zu bestehen. Dennoch hinterlässt auch er seinen Stempel: Vor allem jene Szenen, in denen das Sehen thematisiert wird – etwa wenn Spartacus und sein Gladiatoren-Kollege Draba (Woody Strode) durch die schmalen Sehschlitze des Kastens, in dem sie auf ihren Einsatz warten, den Todeskampf ihrer Kameraden beobachten – lassen Kubricks Handschrift erkennen, einige symmetrische Bildkompositionen möchte man ebenfalls ihm zuschreiben. Darunter auch jene während der vielleicht gewagtesten Szene des Films, die vor dem Start des Films der Zensur zum Opfer fiel und erst für die restaurierte Fassung von 1991 wieder integriert wurde: Sie zeigt den Römer Crassus in seinem Bad, wie er sich von seinem Sklaven Antoninus (Tony Curtis) abwaschen und trocknen lässt und diesen in ein Gespräch über seine kulinarischen Vorlieben verwickelt. Hinter Crassus‘ Frage, ob Antoninus sowohl Austern wie auch Schnecken äße, verbirgt sich letztlich ein eindeutiges sexuelles Angebot. Die ganze Szene gründet natürlich auf einer damals noch weiter als heute verbreiteten Homophobie, die Dekadenz kurzerhand mit Homophilie gleichsetzte. Crassus, der römische Intrigant, versucht kraft seiner Eloquenz den moralisch reinen Antoninus zu verführen. Und der quittiert die Avancen sofort mit der erfolgreichen Flucht. „Mein Arsch bleibt Jungfrau!“, hätte er noch ausrufen können. (Interessanter Trivia-Happen: Olivier wird in der re-integrierten Szene von Anthony Hopkins synchronisiert, weil die Original-Tonspur nicht mehr verfügbar war. Und von den Zensoren wurde angeblich der Vorschlag gemacht, die Szene zu entschärfen, indem statt von Austern und Schnecken von Artischocken und Trüffeln gesprochen werde. No shit.)

Die Kritik an dieser (aller ideologischen Bedenken zum Trotz ziemlich tollen) Szene soll keinesfalls den Film als Ganzes in Misskredit bringen. Es ist die Verbindung der beiden Visionäre Trumbo und Kubrick mit Douglas‘ flammendem Ehrgeiz – es heißt, er habe Wyler, der ihn als Hauptdarsteller von BEN-HUR abgelehnt hatte, beweisen wollen, in der Lage zu sein, den besseren Monumentalfilm zu drehen – die SPARTACUS einen heute noch spürbaren Drive und eine beeindruckende Unmittelbarkeit verleihen, die nur wenige Historien- und Bibelschinken aus jener Zeit für sich beanspruchen können. Erscheinen jene aus heutiger Perspektive oft nämlich unnötig dialoglastig, theaterhaft, dramaturgisch steif und trotz ihrer aufwändigen Bauten und Kostüme geradezu unfilmisch, lediglich ein paar Nullen vor dem Komma entfernt von Bad Segeberg, umschifft SPARTACUS diese Untiefen weitestgehend, lässt tatsächlich Bilder und Aktionen sprechen und macht das Schicksal seiner Figuren als menschliches Schicksal greifbar. Es sind nicht zuletzt die ungewohnt körnigen und ungekünstelten Aufnahmen der namenlosen Gesichter, greisenhafter wie blutjunger, wie sie im Gefolge Spartacus‘ die Entbehrungen einer langen Wanderung in die erträumte Freiheit auf sich nehmen, die sich einbrennen und den Film von jener Romantisierung befreien, die die eher typischen Auftritte der Protagonistenschar auszeichnet. Auch in diesen kommt aber ein größeres filmisches Gespür zum Ausdruck: Bis zum Ausbruch der Sklavenrevolte nach ca. einer Stunde ist SPARTACUS von ausgesprochener Ökonomie und Stringenz geprägt und auffallend dialogarm. Erst im letzten Drittel franst der dreistündige Film etwas aus: Es ist das Schicksal des Sklavenanführers und seiner Armee, das den Betrachter fesselt; die immer mehr in den Fokus rückenden politischen Ränkespiele des schurkischen Crassus (Laurence Olivier) und die Schachzüge des römischen Senats entfalten hingegen nicht diese direkte Wirkung und lenken vom Wesentlichen ab.

Aus Trumbos Sicht macht diese Entwicklung, die Abwendung von Spartacus, natürlich Sinn: Die so mächtig gen Ufer wogende Flut der Revolution bricht sich letztlich am felsigen Ufer, ohne dort nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Die Macht des Kapitals hat sich als stärker und ausdauernder erwiesen als der gerechte Zorn der Underdogs. Nachdem sich Rom eine Weile hat auf der Nase rumtanzen lassen – auch, weil es die drohende Gefahr unterschätzt hatte –, beendet es den Zwergenaufstand just in dem Moment, als es sein ganzes zur Verfügung stehendes Potenzial nutzt. Der Traum der Sklaven von einem Leben in Freiheit zerbröckelt: Die Welt ist schon zu komplex geworden, als dass sie David einen weiteren Triumph über Goliath erlauben würde. Die Piraten, deren Schiffe Spartacus zur Flucht gekauft hatte, ziehen sie gegen eine höhere Summe aus den Händen der Römer einfach wieder ab. Im Kampf gegen die vereinten Armee Roms haben die Sklaven keine Chance. Als Mahnung für künftige Aufständige werden sie an den Straßen, die nach Rom führen gekreuzigt. Was am Ende als einziges bleibt ist der Blick in die Zukunft: Spartacus‘ Frau Varinia (Jean Simmons) wird in die Freiheit entlassen, gemeinsam mit seinem Sohn. Er wird kein Sklave mehr sein.

In meinem Text zu Raimis ARMY OF DARKNESS hatte ich angekündigt, mich in Kürze zum EVIL DEAD-Remake äußern zu wollen. Das habe ich mittlerweile getan und zwar auf Hard Sensations. So viel vorab: Der Film ist mitnichten die Sensation, die manche in ihm sehen wollen, aber er ist schon eine recht, ähem, erfreuliche Angelegenheit geworden. Sofern man das so über einen Film sagen kann, in dem Amputationen, Selbstvertümmelungen und andere Nettigkeiten in all ihrer blutigen Pracht auf der Leinwand zu sehen sind und das Wort „Fotze“ eine tragende Rolle spielt. Mehr zum Thema gibt’s hier.

army of darkness (sam raimi, usa 1992)

Veröffentlicht: Mai 20, 2013 in Film
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Raimis Debüt THE EVIL DEAD ist ein Klassiker des modernen Horror- und Splatterfilms. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die naheliegende Genrezuschreibung verdeckt die viel fundamentalere Erkenntnis, dass er absolut singulär ist (in Kürze mehr dazu anlässlich meines Textes zum aktuellen Remake). Das zeigt sich unter anderem auch in seinem Sequel ARMY OF DARKNESS, einer im Mittelalter angesiedelten Fantasy-Slapstick-Komödie, die nicht nur eine konsequente Fortschreibung der beiden vorangegangenen Teile darstellt, sondern selbst von den höchst konservativen Horrorfans akzeptiert wurde, obwohl er denkbar weit vom ersten Teil entfernt ist.

So sehr Raimi in THE EVIL DEAD und dessen zweitem Teil EVIL DEAD 2: DEAD BY DAWN – eher ein Remake als eine Fortsetzung – auch durch die Motivgeschichte des Horrorfilms wilderte, sich beim Spukhaus-, Backwood-, Zombie-, Besessenheits- und Slasherfilm bediente und dazu heftige Bilder körperlicher Verstümmelungen lieferte: Sein Protagonist Ash (Bruce Campbell) setzte sich mit dem ganzen Körper vor allem dafür ein, dass die Zuschauer den Schrecken auf der Leinwand hemmungslos weglachen konnten. Raimis viel zitierte Einflüsse vom Slapstick der THREE STOOGES über die Cartoons von Tex Avery bestimmen den Ton und überlagern die Splatter-Schweinereien. Lineare Narration tritt zugunsten einer episodischen, nummernhaften Struktur in den Hintergrund: Die EVIL DEAD-Filme gliedern sich in Set Pieces, die meist auf einer einzigen visuellen Idee basieren. So konnte Raimi mit EVIL DEAD 2 ein als Meisterwerk gefeiertes Sequel inszenieren, das noch einmal dieselbe Geschichte erzählte: Er erfand einfach neue visuelle Gags, erhöhte noch einmal das Tempo und polierte die rohe Oberfläches des Originals mit den Mitteln eines höheren Budgets. ARMY OF DARKNESS ist eine konsequente Weiterentwicklung: Zwar erzählt er die Geschichte des großmäuligen Helden wider Willen nun weiter, doch vor allem geht es darum, ein neues Setting für Raimis wüste Ideen und Campbells Verrenkungen zu liefern. Der Regisseur geht ein absurd hohes Tempo, scheißt auf die Regeln herkömmlicher Dramaturgie und die Konstruktion eines gleichmäßigen Spannungsbogens. Es gibt keine Exposition, ledigliche eine kurze, pointierte Rekapitulation der vorangegangenen Ereignisse, dann landet der Zuschauer gemeinsam mit Ash auch schon in medias res, von wo aus es auf schnellstem Weg und ohne Atempause dem Showodown entgegengeht.

ARMY OF DARKNESS ist – wie schon EVIL DEAD 2 – ein bunter Comic Strip mit überbordenden Panels und einem Protagonisten, der mit seiner unwiderstehlichen Mischung aus Dummheit und Maulheldentum eine wunderbare Projektionsfläche für den Zuschauer bietet. Man kann diesen Ash gleichermaßen aus- wie mit ihm lachen, ihm zujubeln, seine Chuzpe beklatschen, sich für ihn schämen und sich ob seiner Verfehlungen mit der flachen Hand vor die Strin schlagen. Man fühlt sich ein wenig wie ein kleines Kind im Kasperletheater ständig dazu berufen, ihn entweder anzufeuern oder zu warnen. Mit ihm wird ARMY OF DARKNESS zur emotionalen Achterbahnfahrt und zum hysterischen Spektakel. Ash ist der Fremdenführer, der den Zuschauer durch das Chaos von Raimis Popkultur-Museum geleitet. Hier wird die Dorothy aus THE WIZARD OF OZ wiedergeboren als Supermarktverkäufer mit delusions of grandeur, der Mittelalter-Schönheiten mit Machosprech aus dem Phrasenbuch von Humphrey Bogart begegnet, aber Schwierigkeiten hat, sich die Formel aus THE DAY THE EARTH STOOD STILL zu merken. Die Dämonen, die er weckt, materialisieren sich als Harryhausen’sche Skelette, die ihren Sinn für Humor den drei Stooges verdanken, Ash auch schon einmal als miniaturisierte Doppelgänger angreifen und ihm die Gulliver-Spezialbehandlung angedeihen lassen, bevor er wie einst Marty McFly zurück in die Zukunft reisen kann. Das ganze endet wie ein Monumentalfilm mit einer gewaltigen Schlacht, bei der Ash die knöchernen Horden mit einem umgebauten Auto ähnlich kompromisslos wegmetzelt wie sein neuseeländischer Kollege Lionel in Peter Jacksons BRAINDEAD aus dem selben Jahr, wenn er sich nicht gerade als prolliger Nachfahre von Errol Flynn gebärdet.

Zusammengehalten wird das von Raimis visuellem Erfindungsreichtum und der erwähnten breakneck speed, die verhindert, dass man sich hier allzuviele Gedanken machen kann. Wer einmal zwinkert, hat bereits etwas verpasst und läuft Gefahr, aus der Kurve zu fliegen. Vor kurzem vernahm ich das Raunen, der Film sei nicht gut gealtert: Klar, einige Effekte wirken heute etwas fadenscheinig und preiswert, die mit Stop Motion realisierte Skelettarmee kommt deutlich weniger zum Einsatz als ich das in Erinnerung hatte und der ganze Film ist ob seiner Anlage superflüchtig und kaum nachhaltig. Aber in den 80 Minuten, die er dauert, bietet er grandioses Entertainment, das ohne Vergleich ist. Heute ist Sam Raimi ja leider sehr im Mainstream angekommen, der seine Ecken und Kanten zugunsten größerer Massentauglichkeit weitestgehend abgeschliffen hat. Was für ein einzigartiger Filmemacher er ist/war, sieht man in den Filmen, die er in den ersten zehn Jahren seiner Karriere zwischen 1981 und 1992 gedreht hat. Damals gab es keinen einzigen Regisseur, der mit ihm vergleichbar gewesen wäre. Und was genau das bedeutet sieht man in ARMY OF DARKNESS, der einen schönen Schlussstrich unter diese  Frühphase setzt. Danach ging es auf zu größeren Aufgaben.

Ein junger Mann in Uniform wird zu seiner Hinrichtung geführt. Die Gefangenen, an deren Zellen er vorbeigeht, erweisen ihm ihren Respekt, indem sie mit Metalltellern gegen die Gitterstäbe schlagen. Einige rufen ihm aufmunternde Worte zu, doch der junge Mann ist einfach nur irritiert, völlig überfordert damit, auch nur annähernd zu begreifen, was gerade mit ihm geschieht. Er hat das Gesicht eines Jungen, es scheint völlig undenkbar, dass er etwas getan hat, was seine Bestrafung rechtfertigt. Die ihn umgebenden Offiziere und Wachen, die seine Exekution sicherstellen sollen, sind völlig desinteressiert an seiner Lage: Ohne jede Empathie, ohne auch nur einen Blick für ihn walten sie ihres Amtes und leiten ihn schließlich in jenen Raum, von dessen Decke die Schlinge baumelt, an der er seinen Tod finden soll. „Haben Sie noch etwas zu sagen?“, wird er gefragt, nachdem man ihm schon eine schwarze Kapuze übergestülpt und ihm die Schlinge um den Hals gelegt hat. Und wie ein kleiner Junge fängt er nun unter dem schwarzen Stoff an zu wimmern: „Ich habe das doch nicht gewollt. Es war doch keine Absicht.“ Seine Beteuerungen helfen nicht, es war ja nie vorgesehen, dass seine Worte etwas ändern könnten. Fast scheinen die Anwesenden etwas empört darüber, dass der Verurteilte ihnen nun auch noch ein schlechtes Gefühl beschert. Ein Hebel wird umgelegt, der Mann stürzt durch eine Falltür, bevor das Seil ihm mit einem Krachen das Genick bricht. Major Reisman (Lee Marvin) hat das alles aus dem Hintergrund mit versteinertem Gesicht und eben noch zurückgehaltenem Zorn und Ekel beobachtet. Nun hat er genug gesehen. Er dreht sich um und geht.

Die Szene ist inhaltlich nur von tangentialer Bedeutung für THE DIRTY DOZEN, dient vor allem als Einführung Reismans als unbequemem, hartem, aber menschlich gebliebenem Soldaten, der den Entscheidungen der Vorgesetzten kritisch gegenübersteht und seinem Missfallen auch ungeschönten Ausdruck verleiht. Und sie dient als Anschauungsmaterial dafür, was den zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Titelhelden, dem „dreckigen Dutzend“, blüht. Viele von ihnen sind zum Tode verurteilt, andere sehen einem Leben hinter Gittern entgegen. Wichtiger aber ist dieser Prolog, um eine gewisse Stimmung zu etablieren, ein Bild im Gedächtnis der Zuschauer zu implantieren, das auch in den folgenden heitereren Momenten des Films nie ganz verblasst. THE DIRTY DOZEN erscheint nämlich streckenweise – konträr zu seiner Thematik – wie ein freundlicher Abenteuerfilm: Er erzählt, wie eine Gruppe von Outcasts über einer gemeinsamen Aufgabe zusammenwächst – ähnlich wie in Aldrichs vorangegangenem THE FLIGHT OF THE PHOENIX –, beschwört dabei Teamgeist, bedient sich einer gewissen Außenseiterromantik und zeichnet die Mission der Titelhelden – den Überfall auf ein mit ranghohen Nazis besetztes Schloss – als tollkühnes Abenteuer. Es ist diese Auftaktszene, die den Film erdet. Hier sterben keine charismatischen Raubeine den Heldentod: Hier werden Männer ohne jede Chance berechnend und mitleidlos in den Tod gehetzt. Sie bekommen eine Chance, die keine ist, und müssen das Beste daraus machen.

Das Nebeneinander ausgelassener und überaus grausamer Szenen hat dem Klassiker durchaus einige kritische Stimmen eingebracht. Dass Soldaten als kernige Recken dargestellt werden, der Krieg als Abenteuer gilt spätestens seit den 1970er-Jahren, in denen der Kriegsfilm als Antikriegsfilm „wiedererfunden“ wurde, als verpönt. Seitdem sind wir es gewöhnt, den Armeealltag als stumpfsinnig und unmenschlich zu sehen, Kriegseinsätze als grausam und sinnlos. Aldrich spart diese Seite nicht aus, aber es ist nicht die einzige, die er zeigt. Wenn das „dreckige Dutzend“ sich gegenüber den  verbohrten, peniblen und arroganten Paragrafenreitern Breed (Robert Ryan) und Denton (Robert Webber) beweisen muss, indem es ein Manöver für sich entscheidet, ist jedes Grauen weit weg, erreichen der Film und seine Protagonisten eine ungeahnte Leichtfüßigkeit. Die 12 Lumpen haben sich zusammengerauft, sie zeigen, was sie gelernt haben und bescheren den Männern, die immer nur verächtlich auf sie herabgeblickt haben, eine schallende Ohrfeige. Wie schwungvoll, herzlich und einnehmend THE DIRTY DOZEN in dieser Sequenz ist, erkennt man auch an seinem Erbe: Unzählige High-School- und Sportkomödien haben die Dynamik, die sich Adrich hier zunutze macht, eins zu eins kopiert: das Team der gedemütigten Underdogs gegen die Bessergestellten. Aber auch diese Momente der Unbeschwertheit dienen letztlich dazu, Fallhöhe zu schaffen. Seinen grausamen Höhepunkt erreicht der Film, wenn die Männer um Reisman ihre Mission erfüllen: Die in einem Luftschutzkeller eingepferchten Nazi-Offiziere und ihre Frauen werden von den „Helden“ buchstsäblich ausgeräuchert. Die Szene, in der die Todgeweihten hilf- und zwecklos versuchen, die Handgranaten, die ihren Tod bedeuten werden, „abzublocken“, vor Angst schreiend, außer sich vor Panik, verwischt jede bestehende Grenze zwischen den „guten“ Alliierten und den „bösen“ Nazis. Aldrich zielt mit seiner Kritik weniger auf den Krieg allgemein ab – wahrscheinlich, weil er zu sehr Realist ist, um eine Welt ohne Kriege fordern zu können: Krieg ist nicht zu verurteilen, weil er Menschenleben kostet, sondern weil er Menschen dazu zwingt, anderen das Leben zu nehmen, sie in eine solch radikale Grenzsituation zu werfen, in der sie nicht anders können, als sich über ihren „Gegner“ zu stellen. Die armen Schweine des Dutzends haben ja keine Wahl. Am Ende der Mission wird nur einer von ihnen überlebt und sich mit seinem Einsatz ironischerweise nicht die Freiheit, sondern eine Zukunft in den Diensten des Militärs „verdient“ haben. Es ist ganz klar, wen Aldrich als die eigentlichen Übeltäter ausgemacht hat: Wladislaws (Charles Bronson) letzter Satz lautet: „Killin‘ generals could get to be a habit with me.“

Die moralische Anrüchigkeit von THE DIRTY DOZEN ist eigentlich Ausdruck seiner immensen Pointierung. Das Überleben der einen ist an den Tod der anderen geknüpft. Die Verbrecher erhalten Absolution, wenn sie sich als besonders effektive Mörder erweisen. Den Wert des Lebens lernen die Mitglieder des Dutzends kennen, als ihr eigenes keinen mehr hat: in einer kurzen Schonfrist, die ihnen gegeben wird. Ihre Situation erinnert natürlich an jene der Absturzopfer von THE FLIGHT OF THE PHOENIX: Anstatt auf den sicheren Tod zu warten, ergreifen sie den Strohhalm, der sich ihnen bietet und finden in der „Arbeit“ einen neuen Sinn. Umso grausamer ist es, dass sie ihr Schicksal nur ein Stück hinauszögern können. Dass es für sie keine Chance gibt, wird spätestens klar, als Aldrich ihr letztes gemeinsames Zusammentreffen vor ihrer Mission als letztes Abendmahl mit Reisman als Jesus ins Bild setzt. Eine wunderbare Blasphemie ist es außerdem.

THE DIRTY DOZEN ist für mich untrennbar mit Sturges‘ THE MAGNIFICENT SEVEN und THE GREAT ESCAPE verbunden. Alle drei Filme sind großes Abenteuerkino mit einer Darstellerriege, die einem erst das Wasser im Mund zusammenlaufen und dann die KInnlade runterklappen lässt. Alle drei sind episch, decken ein ganzes Spektrum von Emotionen ab, bieten großes Hollywood-Entertainment, das sich einfach nicht abnutzt. Und natürlich spielt in allen dreien Charles Bronson mit. THE DIRTY DOZEN hatte ich beim ersten Mal als „lustigen“ Actionfilm gesehen. Beim letzten Mal war ich schockiert über seine Härten. Diesmal ist diese Irritation der Erkenntnis gewichen, dass Aldrichs Film nicht vom Krieg, sondern vom Leben handelt. Und dasb betrachtet er mit dem Blick des unsentimentalen Realisten und dem Herzen eines Philanthropen.

Ein klappriges Flugzeug, ein ausgebrannter Pilot und sein trunksüchtiger Navigator, eine bunt gemischte Passagierliste. Ein Sandsturm, der Absturz in der Wüste. Geringer Proviant, keine Hoffnung auf Rettung. Bis ein Mann mit der Behauptung aufwartet, man könne aus den Trümmern ein funktionstüchtiges neues Flugzeug bauen …

Nachdem Aldrichs vorangegangene Erfolgsfilme WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? und HUSH … HUSH, SWEET CHARLOTTE um weibliche Protagonistinnen zentriert waren, bietet er für THE FLIGHT OF THE PHOENIX eine (bis auf eine kleine, kurze Ausnahme) rein männliche Darstellerriege auf. Gleichzeitig vollzieht er einen Wandel von der sehr konkreten Kritik an der US-amerikanischen Gesellschaft seiner Zeit zu universelleren, grundlegend menschlichen Problemen. Schon der Schauplatz des Films spricht Bände: THE FLIGHT OF THE PHOENIX spielt in der Wüste, im buchstäblichen Nichts, in das seine Charaktere vom Himmel herabgestürzt sind und dort nun schlicht und ergreifend um ihre nackte, biologische Existenz kämpfen müssen. Dabei setzen ihnen nicht nur die erbarmungslosen Umstände zu – die unerbittlich brennende Sonne, zur Neige gehendes Wasser, schwindende Hoffnung auf Rettung –, sie machen sich auch gegenseitig das Leben schwer. Das Schicksal hat eine heterogene Gruppe äußerst schwieriger Charaktere versammelt, die nicht zuletzt sich selbst überwinden müssen, um wie der titelgebende Phönix aus der Asche ins Leben zurückkehren zu können.

Da ist zuerst der Pilot Frank Towns (James Stewart): ein alternder Haudegen, einer von altem Schrot und Korn, und in der modernen Welt ein wandernder Anachronismus. Weil er das weiß, verdingt er sich als Pilot einer zweimotorigen Schrottmühle in Afrika. Hier hat er seine Ruhe und muss sich nicht mit der nagenden Selbsterkenntnis, dass er nicht der beste Pilot der Welt ist, auseinandersetzen. Sein Navigator ist Lew Moran (Richard Attenborough), ein Alkoholiker und brüderlicher Freund von Towns. Die beiden mögen sich auch, weil sie sich in ihren Stärken bekräftigen und das stille Abkommen getroffen haben, die Schwächen des jeweils anderen nicht anzusprechen. Der Deutsche Heinrich Dorfmann (Hardy Krüger) verkörpert eben jene Moderne, mit der Towns auf Kriegsfuß steht: ein Intellektueller, kein „Anpacker“, sondern ein Kopfmensch. Der Konflikt zwischen den beiden ist auch ein Konflikt zwischen Geist und Körper – und weil keiner bereit ist, gegenüber dem anderen zurückzustecken, droht die Gemeinschaft insgesamt unterzugehen. Towns muss vor dem „Emporkömmling“, den deutschen „Grünschnabel“ und „Schreibtischtäter“ erst kapitulieren, um ihr aller Überleben zu sichern. Und mit dieser Kapitulation überwindet er auch seine eigenen Dämonen: Er gesteht ein, dass die Welt für Arbeiter wie ihn zu komplex geworden ist. Aber ganz ohne Typen wie ihn geht es auch nicht. Seine Stunde schlägt später.

Dorfmann ist wohl die interessanteste und auch enigmatischste Figur des Films. Er verkörpert perfekt die Dialektik Aldrichs, dessen Helden nur ganz selten ausschließlich heldenhaft und dessen Schurken niemals nur böse sind. Dorfmann trägt viele Zeichen des Bösen: Er ist ein Deutscher, er ist undurchsichtig – während der ersten Hälfte des Films tritt er kaum in Erscheinung, läuft im Bildhintergrund schwer beschäftigt und hoch konzentriert mit seinem Notizbuch um das Flugzeugwrack, während die anderen in heller Aufruhr sind –, ein intellektueller Kopfmensch unter lauter Machos, Arbeitern und Soldaten. Trotzdem schockiert er diese Männer mit seiner harten und mitleidlosen Art, die Dinge beim Namen zu nennen. Dem heroischen Idealismus von Towns und Konsorten setzt er einen knallharten Utilitarismus entgegen: Wenn man überleben will, muss man sich von falschen Sentimentalitäten verabschieden. Über die Abmachung, den Wasservorrat unter allen gerecht aufzuteilen, setzt er sich hinweg, weil er laut eigenem Bekunden mehr arbeitet und deshalb auch mehr verdient. Während der US-amerikanische Held meist ein Teamplayer ist, ein Altruist, ist Dorfmann ein selbstherrlicher Egozentriker. Aber es zeigt sich, dass er Recht hat, die Kontrolle an sich zu reißen. Er ist es, der sie aus ihrer misslichen Lage befreit, ihr Leben rettet. Doch er tut dies nicht aus Nächstenliebe. Die ganze Situation scheint für ihn fast ein Spiel zu sein, eine Aufgabe, ein Rätsel, das es zu lösen gilt. Es ist für ihn eine willkommene Gelegenheit, seinen Scharfsinn zu beweisen. Dass der selbsternannte „Airplane Designer“ sich als Konstrukteur von Modellflugzeugen erweist, unterstreicht den spielerischen Charakter seines Unterfangens noch. Das Flugzeug ist sein Modellbausatz, die Wüste seine Werkbank, seine Leidensgenossen besseres Werkzeug. Und dass Towns – verkörpert von einem der uramerikanischsten Helden überhaupt, James Stewart – so zum läppischen Gehilfen im Plan eines Masterminds verkommt, passt ihm sichtlich nicht. Er ist es gewohnt, die Last der Welt auf seine Schultern zu tragen, ganz selbstverständlich nimmt er die Schuld für die diversen Todesfälle auf sich. THE FLIGHT OF THE PHOENIX ist auch eine Abrechnung mit amerikanischen Heldenbildern, deren Zeit langsam, aber sicher abläuft. Anstatt voranzugehen, den Ton anzugeben, gilt es nun sich einzureihen, sich unterzuordnen, bis zu dem Zeitpunkt, an dem man seine tatsächlichen Stärken einbringen kann. Zum Helden wird man nicht qua Berufung, Persönlichkeit oder Charisma, sondern allein durch Fähigkeiten. Aldrich erzählt von einer Zeitenwende, ähnlich wie der Spätwestern – und wie dieser auch einfach vom Altwerden, davon, dass man irgendwann vor der bitteren Erkenntnis steht, zum alten Eisen zu gehören und jüngeren, frischen Kräften das Feld überlassen zu müssen.

Ergänzt wird das Triumvirat von Towns, Moran und Dorfmann durch eine illustre Schar von Nebenfiguren, die nicht minder kompliziert sind als diese drei: Der Arbeiter Cobb (Ernest Borgnine) leidet an dem, was man heute als Burn-out bezeichnen würde, Crow (Ian Bannen) ist ein großmäuliger Zyniker, Standish (Dan Duryea) ein blässlicher Hänfling. Besonders spannend und rätselhaft ist das Verhältnis der beiden Soldaten Captain Harris (Peter Finch) und Sergeant Watson (Ronald Fraser). Es erinnert an die dysfunktionalen Eltern-Kind-Beziehungen, die  Aldrich bis zu diesem Zeitpunkt so häufig beleuchtet hat. Harris sieht sich in der Verantwortung, etwas zur Lösung der aussichtslosen Situation beizutragen und natürlich erwartet er von Watson Unterstützung und unbedingten Gehorsam. Doch der Untergebene denkt gar nicht daran, dem Folge zu leisten. Erst drückt er sich nur durch Vortäuschung einer Verletzung, später versucht er, den unliebsamen Vorgesetzten durch unterlassene Hilfeleistung loszuwerden und als der dann letztendlich tatsächlich ums Leben kommt, kann er seine Freude kaum verbergen. Man ahnt hier, welche Demütigungen der Mann in der Armee erlitten hat, wie wenig er in der Lage ist, den Militärdeinst mit dem Stolz Harris‘ abzuleisten. Was ihn letztendlich dazu bewegt, den Tod Harris‘ herbeizusehnen, entzieht sich dem Betrachter. Auch hier bleibt vor allem ein Eindruck von Aldrichs Weigerung, in Schwarz und Weiß zu denken. Im Tagtraum Watsons, dem Tanz einer exotischen Schönheit im Wüstensand – der einzige Auftritt einer Frau im ganzen Film – kommt der Wunsch zum Ausdruck, aus der bestehenden Existenz auszubrechen, neu anzufangen, den Zwängen des Militärs den Rücken zuzukehren. Die tanzende Frau ist nur das Bild der Verheißung, die alle diese Männer insgeheim antreibt. Die Vorstellung eines Ideals, das sie anstreben, das ihnen Hoffnung gibt, ihnen die Kraft verleiht, ein Flugzeug durch den Wüstensand zu zerren und dem sicheren Tod zu entfliehen.

In einer alten Splatting Image, ich glaube es war das Heft mit den Lieblingsszenen zum 100-jährigen Geburtstag des Kinos im Jahr 1994, bezeichnete einer der Redakteure Don Siegels ESCAPE FROM ALCATRAZ als „größten existenzialistischen Film aller Zeiten“. So sehr ich als Verehrer von Siegels Kino mit dieser Behauptung sympathisiere: Ich glaube, diese Ehre gebührt THE FLIGHT OF THE PHOENIX. Das Drama der in der Wüste abgestürzten Männer ist nichts anderes als eine Allegorie auf das Leben. Im Nichts, mit der Aussicht eines bevorstehenden Todes, seinen Mut zusammenzunehmen und etwas zu tun, sich aktiv in die Zukunft werfen und den Gesetzen des Kosmos ein Schnippchen zu schlagen, darum geht es hier. Als Towns, Moran und die anderen beratschlagen, ob sie auf Dorfmanns irrwitzigen Vorschläge, aus dem Wrack ein neues, funktionierendes Flugzeug zu bauen, eingehen sollen, mischt sich der Arzt Dr. Renaud (Christian Marquand) mit der Bemerkung ein, eine Beschäftigung würde die Moral der Männer erheblich verbessern, ihnen Hoffnung geben. Ich musste sofort an Hannah Arendts „Vita Activa oder Vom tätigen Leben “ denken. Es ist nach Arendt die Aufgabe des Menschen, sein Leben und die Welt aktiv zu gestalten. Arbeit ist eben ein Schritt zu diesem „tätigen Leben“ und einer gestalteten Welt. Beides ist Voraussetzung dafür, Glück zu empfinden. Das zeigt sich dann auch im weiteren Verlauf des Films, in dem sich Dorfmann, der Mann mit den Ideen, gegen die Apologeten des Machbaren durchsetzt.

Es ist ein großer, großer Kinomoment, wenn der Motor des „neuen“ Flugzeugs angeworfen wird und die Männer mit zum Zerreißen gespannten Nerven – aber trotz ihrer Not auch einer fast kindlichen Vorfreude – hoffen, dass er anspringt. Ich hatte THE FLIGHT OF THE PHOENIX mal in meiner Kindheit gesehen, konnte mich nur noch sehr rudimentär an ihn erinnern, aber das Bild des nervös von einem Bein aufs andere hüpfenden Watson, des zur Anfeuerung ungelenk in die Hände klatschenden Bellamy (George Kennedy), des mit jedem Fehlstart mehr in Panik geratenden Dorfmann und des cool und entschlossen bleibenden Towns habe ich dann sofort wiedererkannt, so wie man nur ganz große, ikonische Bilder wiederzeuerkennen pflegt. Es ist ein wunderschöner, aber auch brutal spannender Moment, in einem nahezu perfekten Film, der ein schier unglaubliches emotionales Spektrum abdeckt, der ergreifend, bewegend, schockierend, lustig, traurig, aufwühlend zugleich ist, glücklich und zornig macht, perfekt unterhält, aber auch den Intellekt stimuliert. Ein Meisterwerk, pitch perfect besetzt.

Nach dem großen Erfolg von WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? war das Interesse an einem weiteren „Psycho-biddy“ – einem Horrordrama um alternde Frauen (heute gern auch als „hag horror“ umschrieben) – aus Aldrichs Händen groß. Henry Farrell, von dem schon die Romanvorlage zum Vorgänger stammte, adaptierte gemeinsam mit BABY JANE-Drehbuchautor Lukas Heller seine unveröffentlichte Kurzgeschichte „What ever happened to cousin Charlotte?“ (der Titel wurde dann später geändert). Flugs wurden Bette Davis und Joan Crawford als Hauptdarstellerinnen engagiert. Als Crawford nach wenigen Drehtagen mit der Behauptung absprang, sie sei krank, drohte Aldrichs Film zu platzen. Unter den Kandidatinnen, die er als Ersatz für den geschiedenen Star einstellen wollte, befanden sich u. a. Katharine Hepburn, Barbara Stanwyck und Vivien Leigh, die jedoch kein Interesse hatten – letztere sagte angeblich mit den unsterblichen Worten ab: „No, thank you. I can just about stand looking at Joan Crawford’s face at six o’clock in the morning, but not Bette Davis‘.“ Schließlich gelang es ihm, Olivia de Havilland zu überzeugen, die Rolle der Crawford als Bette Davis‘ Gegenspielerin anzunehmen. Ein interessanter Schachzug, hatte die doch in GONE WITH THE WIND eine nahezu diametral entgegengesetzte Rolle gespielt.

Dramaturgisch, motivisch und stilistisch sind sich WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? und HUSH … HUSH, SWEET CHARLOTTE tatsächlich sehr ähnlich: Beide beginnen mit einem Rückblick in die Vergangenheit und ein in dieser liegendes, schicksalhaftes Ereignis, dessen Folgen sich bis in die Gegenwart erstrecken.  Beide spielen überwiegend in einem dunklen Haus, dessen Räumlichkeiten gefängnisartige Züge für ihre Bewohnerin(nen) angenommen haben. Beide Filme handeln von der Macht traumatischer Ereignisse über den Betroffenen, und von Menschen, die sich diese Macht zunutze machen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Schließlich handeln sie vom Altern und von der Einsamkeit, davon wie Menschen geistig ganz in der Vergangenheit leben, geradezu obsessiv immer und immer wieder jene Ereignisse durchleben, die sie einst aus der Bahn warfen, unfähig, einen Schlussstrich zu ziehen. In beiden Filmen wird der Zuschauer zum Leidensgenossen der Hauptfigur, bis die Auflösung ihn gemeinsam mit ihr „erlöst“. Beide Filme bedienen sich einer vom Gothic Horror und vom deutschen Expressionismus inspirierten Fotografie mit harten Kontrasten zwischen dräuenden Schatten und hellen Flächen sowie maskenhaft verzerrten Gesichtern, wenden diese Einflüsse aber zu einer modernen Abrechnung mit uramerikanischen Idealen: Familie, Erfolg, Geld. Die feine Gesellschaft zeigt in beiden Filmen ihr hässlichstes Gesicht.

Aber es gibt auch Unterschiede zwischen den beiden Filmen. HUSH … HUSH, SWEET CHARLOTTE ist deutlich mehr Genrefilm als es der Vorgänger war. Aldrich bedient sich beim Spukhausfilm, spielt mit dem geliebten amerikanischen Brauch von Gruselgeschichten und Urban Legends, startet mit einem handfesten Splattereffekt, der anno ’64 ziemlich mutig gewesen sein dürfte, und ist sehr viel stärker auf Thrill ausgerichtet als WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE?, der mit mindestens einem Bein noch fest im Melodram verwurzelt war. Auch mit der finalen Enthüllung bleibt Aldrich voll im Rahmen der Mystery-Tradition. HUSH … HUSH, SWEET CHARLOTTE ist nicht halb so niederschmetternd und tragisch wie WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE?, auch wenn Aldrich für seine Protagonistin ein sehr ähnliches Schicksal bereithält. Aber da er dieses mehr in den Dienst einer klassischen Spannungsdramaturgie stellt, anstatt die Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, entfaltet es nicht die nachhaltige Wirkung des Vorgängers. HUSH … HUSH ist dennoch ein bärenstarker Film, spielt im Bereich filmischer American Gothic eine Schlüsselrolle: Seine stimmungsvolle Fotografie und das fantastische Spiel vor allem von Olivia de Havilland und der Oscar-prämierten Agnes Moorehead (neben der effektiven Over-the-Top-Darbietung von Bette Davis) verfehlen ihre Wirkung nicht. Und Aldrichs Sympathie für die Opfer gesellschaftlicher Stigmatisierung ist auch hier wieder aufrichtig und jederzeit spürbar. Somit ist sein Film lediglich ein frühes Beispiel für die heute wesentlich weiter verbreitete Sequelitis: Nach WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? geschaut, kann man den Déjà-vu-Effekt kaum verleugnen. Anstatt mit Haut und Haar mitgenommen zu werden, erkennt man hier nun die Mechanismen, die im Hintergrund ablaufen. Das lässt sich aber durchaus umkehren: Welchen Film der beiden für sich genommen ausgezeichneten Aldrich’schen Psycho-biddys man besser findet, hängt nicht zuletzt von der Reihenfolge ab, in der man sie sieht. Hab’s ausprobiert.

Es gibt gute und schlechte Ideen. Und manche vermeintlich gute Idee entpuppt sich im Nachhinein doch als ziemlich schlecht. CASA DE MI PADRE ist genau so ein Fall:  ein Films, dessen Prämisse auf dem Papier sehr verlockend klingt, der sich dann aber eben wegen dieser Prämisse als ziemlicher Reinfall entpuppt. Will Ferrell zum Spanisch sprechenden Star eines ganz auf Spanisch gedrehten Films zu machen, der vorgibt aus Mexiko zu stammen, in Wahrheit aber nur die theatralische Art des mexikanischen Kinos persifliert, ist sicherlich einer der originelleren Einfälle, die in den vergangenen Jahren aus Hollywood kamen. Leider wird die Idee nicht nur schlecht umgesetzt, CASA DE MI PADRE zeigt auch deutlich, dass einem so ein Konzept auch ziemlich im Weg stehen kann.

Armando Alvarez (Will Ferrell) ist ein einfacher Ranchero und als solcher die personifizierte Enttäuschung für seinen Vater (Pedro Armendariz, jr.). Ganz anders als Armandos Bruder, Raul (Diego Luna), der mit dickem Auto und wunderschöner Verlobter Sonia (Genesis Rodriguez) nach Hause kommt, um die Nachricht zu verkünden, dass er heiraten wird. Aber er hat seinen Erfolg mit Drogengeschäften erreicht, weshalb es zu einer blutigen Auseinandersetzung mit dem Drogenbaron La Onza (Gael Garcia Bernal) kommt, bei der der Papa das Leben lässt. Nun ist es an Armando zu beweisen, dass er ein echter Mann ist …

Piedmonts Film hat zwei ganz große Probleme: 30 Jahre, nachdem Zucker/Abrahams/Zucker mit ihren Spoofs Filmgeschichte schrieben, haftet diesem Genre heute immer etwas Herablassendes an. Vor allem, wenn es sich, wie hier, den vermeintlich urkomischen Charakteristika fremdländischer Filme annimmt – die zudem eher unterstellt als real existierend sind. Da kann man sich noch so sehr darauf rausreden, eine „liebevolle Hommage“ im Sinn zu haben, oder am Ende gar suggerieren, man wolle eigentlich für Toleranz und den Abbau von Vorurteilen werben: Wenn man 90 Minuten lang jedes dieser Vorurteile genüsslich breitgetreten hat – Mexikaner sind dumm, kriminell und schmierig, außerdem hoffnungslose Muttersöhnchen im Gewand des Machos –, ist die Kehrtwende am Ende, so ernst sie auch gemeint sein mag, einfach unglaubwürdig und billig. Die „Unique selling proposition“ von CASA DE MI PADRE, seine komplett spanischen Dialoge, erweisen sich als weiterer Stolperstein, weil sie Ferrell seiner Stärke berauben, absurde Zeilen zu improvisieren. Wenn der initiale Überraschungseffekt weg ist, bleibt eben ein Film auf Spanisch, der auf Englisch genauso gut funktioniert hätte, aber wahrscheinlich witziger gewesen wäre. Wie fehlgeleitet CASA DE MI PADRE tatsächlich ist, zeigt sich daran, dass ich mit zunehmender Laufzeit immer mehr Lust auf einen jener mexikanischen Exploiter bekam, die her vorgeblich verarscht werden. Da hat Piedmonts Film ziemlich viel mit dem fürchterlichen MACHETE gemeinsam, dessen Macher ja auch nicht aufgefallen ist, dass die Filme, die er da angeblich referenziert, alle ganz anders aussehen und zudem viel liebevoller und aufrichtiger sind.

Es bleiben ein paar gelungene Gags, viele schlechte und etliche, die man schon aus besseren Parodien kennt. Als einsame Höhepunkte bleiben die atemberaubend hübsche Genesis Rodriguez und die saftig-blutigen Einschüsse, die an bessere Zeiten erinnern. Umso mehr wünscht man sich, CASA DE MI PADRE sei the real deal, statt fürchterlich sicherer, letztlich kreuzbiederer Spoof.