Archiv für Juni, 2013

Um den Lebensunterhalt für sich und ihren behinderten Bruder Robby (Jason Oliver) zu verdienen, nachdem sie ihrem dysfunktionalen Elternhaus entflohen sind, geht die attraktive Mickie auf den Straßen Hollywoods anschaffen. Ihr Zuhälter ist Sharkey (Jeffrey Dean Morgan), ein unberechenbarer Charakter, zu dem sich Mickie aber aus unerfindlichen Gründen hingezogen fühlt. Als Sharkey sich mit einem Konkurrenten anlegt und in der Folge eines seiner Mädchen halbtot prügelt, geben Mickie und ihre Freundinnen die Verbindung zu ihm auf. Doch der sich geprellt fühlende Zuhälter sinnt auf Rache …

Ich mag das kleine exploitative Subgenre des Nuttendramas. Im Idealfall, etwa beim formidablen ANGEL, gelingt die Melange aus Exploitation und Sozialdrama so gut, dass beide eigentlich unvereinbaren Seiten sich gegenseitig stärken und aus der Verbindung etwas Großes entsteht. Im Normalfall verbirgt sich hinter der Fassade des TV-Dramas immerhin eine grelle Geschichte um Sex und Gewalt mit willkommenen Bildern städtischer Verwahrlosung. Im schlimmsten sind diese grellen Geschichten allerdings hochgradig langweilig und uninvolvierend. Und genau das ist der Fall  bei der Corman-Produktion ANGEL IN RED, die auch unter dem Titel UNCAGED bekannt ist. Wie schlecht der Film tatsächlich ist, zeigt sich vor allem im direkten Vergleich mit dem ungleich besseren STREETWALKIN‘, 1985 ebenfalls unter Cormans Ägide entstanden, von dem ANGEL IN RED ein kaum verhohlenes Remake ist. Die Story wird – wenn ich mich recht erinnere – teilweise einstellungsgleich und nur mit geringfügigen Variationen (den Bruder gab es im älteren Film nicht) wiedergekäut, ohne dass sie dabei eine auch nur annähernd ähnliche Wirkung erzielen würde. ANGEL IN RED ist nicht nur nicht spannend, er ist so unbeholfen inszeniert und gespielt, dass man kaum mitbekommt, welche Geschichte er eigentlich erzählen will. ANGEL IN RED fehlt vor allem eine schlüssige Exposition. Das Schicksal Mickies und ihres Bruders wird nicht transparent, man nimmt ihr weder die Prostituierte ab noch begreift man, was sie eigentlich an Sharkey findet, der von Anfang an überaus psychotisch agiert. Die stattfindende Eskalation der Ereignisse schlägt sich im Ton des Films kaum nieder: Der operiert die ganze Zeit auf einem überaus mäßigen Erregungsniveau, egal ob nun gerade heile Welt auf dem Strich herrscht oder die Nutten in Lebensgefahr schweben. Das liegt wohl auch darin begründet, dass deren Alltag sehr diffus gezeichnet wird. Mickie geht ihrem Job mit dem Enthusiasmus eines hochmotivierten Berufsanfängers nach und auch ihre Kolleginnen lassen sich die gute Laune nicht von den üblichen Problemen verderben. Auch die obligatorische Maßregelung durch aggressive Pimps hinterlässt kaum Eindruck bei ihnen. Man könnte meinen, Prostitution sei ein szeniger Traumjob, getrübt durch die kleinen Unwägbarkeiten, die es schließlich auch im Büro gibt. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt durch die überaus schnuckelige Hauptdarstellerin Leslie Bega bekräftigt, die mit unerschütterlich guter Laune ihren Latina-Prachtkörper ins Geschäft wirft und nie um Aufmunterung für eine weniger vom Glück geküsste Kollegin oder einen verschüchterten Freier verlegen ist. Wenn sie am Ende des Films, während der Schlusscredits, in einer Art Fast-Forward als abgeschrabbelte Bordsteinschwalbe auf dem Boden jener Prostitutionstatsachen angekommen ist, die der Film in dieser Schärfe ins Licht zu rücken zuvor versäumt hat, ist das der einzige echte, dafür dann sehr heftige Schockmoment. Vorausgesetzt, man hüllt den Mantel des Schweigens über den grauenerregenden Pop-Score. Vorgetragen von einer grotesk untalentierten Sängerin mit dünnem Stimmchen, verursachen die dissonanten „Melodien“ akuten Ohrenkrebs, während sich das Hirn angesichts schwachbrüstiger Versuche erotischer Lyrics („I am your love salvation“) in Stand-by-Modus begibt. Einziges Lichtlein im trüben Grau des Films sind die Performance von Jeffrey Dean Morgan und eben die hübschen Brüste der Hauptdarstellerin. Ersteren schaut man sich lieber in TEXAS KILLING FIELDS an, über letztere verfügen zum Glück auch noch andere, ähnlich attraktive Frauen.

Von allen großen Actiondarstellern der Achtzigerjahre war Arnold Schwarzenegger der modernste. Während Kollegen wie Sylvester Stallone oder Chuck Norris mit heiligem Ernst und stoischer Miene ihren Dienst verrichteten und dabei an wiedergeborene Helden der Antike erinnerten, da positionierte sich „Arnie“ schon früh in ironischer Distanz zu sich selbst. Was zu Beginn aus der Not geboren war – als Quereinsteiger aus Österreich mit entsprechendem Akzent brachte er nicht die Mittel mit, um als Schauspieler wirklich ernstgenommen zu werden –, entwickelte sich bald zum Markenzeichen. Arnie war immer Arnie, ob er nun Conan, T-100, John Matrix oder Dutch hieß. Anders als Stallone, dessen Persona gewissermaßen ihre Apotheose in Rocky Balboa und John Rambo fand, verschwanden Schwarzeneggers Figuren hinter ihrem Star. So konnte Schwarzenegger auch außerhalb des Actionfilms erfolgreich sein (TWINS markiert den Komödienhit, um den sich Stallone umsonst bemühte) und seine Karriere in die Neunzigerjahre hinüberretten, das Jahrzehnt der Ironie, in dem seine einstigen Konkurrenten entweder gänzlich von der Bildfläch verschwanden oder aber deutlich an Popularität einbüßten.

Für seine Rückkehr auf die Leinwand nach rund zehnjähriger Abwesenheit (ein paar Nebenrollen und Cameos nicht mitgerechnet) durfte Schwarzeneggers Hang zur Selbst-Darstellung durchaus skeptisch stimmen: Im fürchterlichen THE EXPENDABLES 2 waren Schwarzeneggers Auftritte am schmerzhaftesten, zeigten die schlimmsten Auswüchse seiner Selbst-Ironisierung und -Mythologisierung. Ein ganzer Film davon wäre kaum zu ertragen gewesen. Erstaunlicherweise ist THE LAST STAND, der auch Kim Jee-Woons Hollywood-Debüt darstellt, keineswegs das Zeugnis einer triumphalen Rückkehr nach langer Abwesenheit, selbstbewusste Zelebrierung einer Leinwandlegende zu Lebzeiten oder Hollywoods kulturelle Hegemonie demonstrierender Event-Overkill, sondern vergleichsweise unaufgeregt und ruhig. Noch nicht einmal aus dem stattlichen Alter des Hauptdarstellers, das in den jüngsten Werken seiner ehemaligen Mitstreiter stets mitthematisiert wurde, möchte er eine große Sache machen. Und so verlässt sich der immer schon bildgewaltig inszenierende Kim Jee-Woon ganz auf seinen ikonischen Helden: Es reicht, Schwarzenegger im Sheriff-Outfit vor der Wüstenkulisse zu sehen, um die richtigen Assoziationen zu wecken. Beispielsweise: Western, Wayne, THE WILD BUNCH. Leben, Sterben, letzter Kampf. THE LAST STAND eben.

Ein bisschen mehr Aufregung hätte es dann aber doch ruhig sein dürfen. In den ersten beiden Dritteln, in denen letztlich bloß alle Parteien für den Showdown in Position gebracht werden, ist THE LAST STAND richtiggehend leer und damit auch ziemlich beliebig und langweilig. Summerton, das Provinznest in der Einöde, in dem Sheriff Ray Owens (Schwarzenegger) seinem verdienten Ruhestand entgegensieht, wird nie lebendig, nie entsteht diese symbiotische Bindung zwischen dem Ort und dem Protagonisten, die doch so wichtig wäre (und die beispielsweise in Mangolds COP LAND so wunderbar aufgebaut wird). Alle Nebenfiguren sind Klischees, die nicht mehr groß erklärt werden müssen, aber hier erfüllen sie kaum noch ihre Funktion als Klischees. Der Schurke schließlich ein Schurke nur seiner Reputation nach. In THE LAST STAND tut er eigentlich nicht mehr als wegzulaufen und sich den falschen Ort für die Grenzüberquerung nach Mexiko auszusuchen. Er hat keinerlei Präsenz, wohl auch, weil er fast den ganzen Film über in Bewegung ist. Wie er da in einem superschnellen Sportwagen seinem Ziel entgegenrast, an dem Sheriff Owens und Partner die Vorbereitungen zur Verteidigung treffen, weckt natürlich Erinnerungen an HIGH NOON. (Die nur sporadisch eingesetzten und deswegen wirkungslos verpuffenden Zeiteinblendungen tun ihr Übriges.) Aber viel eher illustriert seine Abhängigkeit von einer PS-Schleuder, dass er seinem Gegner, dieser Verkörperung unverrückbarer Gegenwart, nicht gewachsen sein wird.

All dieser schwerwiegenden Probleme zum Trotz findet THE LAST STAND im Showdown dann doch noch wie durch ein Wunder zu sich. Kim Jee-Woons bis dahin unauffällig im Dienste der Plotabwicklung stehende Regie trägt entscheidend dazu bei. Insgesamt mag sein Film flüchtig wirken, leicht und vergänglich, aber im Explodieren der Schüsse und dem Krachen ihrer Einschläge entwickelt er eine ungemeine Physis, eine Unmittelbarkeit, die nach dem beliebigen Auftakt fast erschreckt. Statt elaborierter Stunts und überdrehter Set Pieces setzt es einen furztrockenen Shootout nach dem anderen, keine durchchoreografierten Bullet Ballets, sondern kurze, heftige Duelle. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist die Gerade. Bumm, zack, another one bites the dust. Da merkt man dann auch, dass THE LAST STAND richtig toll aussieht. Supercrisp brennt die Sonne vom endlos blauen Himmel, macht die Konturen so scharf, dass es in den Augen schmerzt. Das Maisfeld, in dem sich die Boliden belauern, eine schöne Enturbanisierung des Finales von Walter Hills großartigem THE DRIVER. Und am Schluss, als sich der Drogenbaron Gabriel Cortez und Ray Ownes schließlich gegenüberstehen, auf einer provisorischen Brücke, die die Henchmen des Bösewichts für seine Flucht aus dem Boden gestampft haben, da sehen sie aus, wie in einen alten Western-Screenshot hineinretuschiert. Aber nur einer fühlt sich hier zu Hause. Das Zeug zum John Wayne hat Arnie, jetzt muss er nur noch seinen THE SEARCHERS machen (bis zu THE SHOOTIST hat er ja noch Zeit). THE LAST STAND ist eher TRUE GRIT, aber immerhin.

Der gewaltige Erfolg von THE DIRTY DOZEN hatte es Aldrich ermöglicht, seine eigene Produktionsfirma und sogar sein eigenes Filmstudio zu gründen, die erwartbar benannten „Aldrich Studios“. Die so erlangte finanzielle Unabhängigkeit sollte sich auch in einer größeren künstlerischen Freiheit niederschlagen: Mit THE LEGEND OF LYLAH CLARE und THE KILLING OF SISTER GEORGE entstanden zwei hochgradig eigenständige, mutige Filme, die in dieser Form unter der Ägide eines großen Studios nicht möglich gewesen wären. Leider waren sie, wie auch der nachfolgende  Kriegsfilm TOO LATE THE HERO, finanzielle Flops. Mit THE GRISSOM GANG war Aldrich gewissermaßen zum Erfolg verdammt, doch leider fand auch dieser Film sein Publikum nicht. Nach nur vier Jahren und ebenso vielen Filmen mussten die Aldrich Studios ihre Pforten bereits wieder schließen, Aldrich sein Heil erneut als Regisseur von Studiofilmen suchen. Schade, denn so endete eine immens spannende Phase in Aldrichs Schaffen, die andeutete, was für ungewöhnliche Filme man noch von ihm hätte erwarten können. (Er machte aber auch in den folgenden Jahren das Beste aus seiner Abhängigkeit und etwa mit ULZANA’S RAID und THE CHOIR BOYS mutige, radikale und seltsame Filme.) Dass THE GRISSOM GANG an den Kinokassen durchfiel, ist auf der einen Seite verständlich: Der Film konnte keinen zugkräftigen Namen vorweisen, irritiert mit den von Aldrich gewohnten Unschärfen, die im Kontrast zur sonstigen Schwarzweiß-Malerei des Genres stehen, bietet eine psychologisch überaus komplexe Story im Rahmen einer Räuberpistole – und lässt darüber hinaus die finanziellen Engpässe, mit denen Aldrich damals zu kämpfen hatte, überdeutlich erkennen. Andererseits schrieb man gerade das Jahr 1971: New Hollywood stand in voller Blüte, nachdem Arthur Penn und Warren Beatty nur drei Jahre zuvor mit dem seinerseits hochgradig eigenen BONNIE & CLYDE einen Überraschungserfolg produziert und eine neue Ära eingeläutet hatten. Man sollte meinen, das Publikum, das in jenen Jahren eine wahre Flut von Depression-Era-Gangster-Pics über sich hereinbrechen sah, war bereit für THE GRISSOM GANG, doch die Geschichte beweist leider das Gegenteil.

Drei kleine Amateurgangster kommen auf die Idee, Millionärstochter und Society-Girl Barbara Blandish (Kim Darby) ihrer Diamantenhalskette zu berauben. Bei dem Überfall auf die junge Frau und ihren Begleiter fällt letzterer dummerweise im Gefecht einer Kugel zum Opfer, sodass die Räuber erst zu Mördern und dann schließlich zu Kidnappern werden. Als ihnen der gerissene Eddie Hagan (Tony Musante), Mitglied der von Gladys Grissom (Irene Dailey) angeführten Grissom-Gangsterfamilie, über den Weg läuft und die Berichte über das Verschwinden der Blandish-Tochter hört, zählt er eins und eins zusammen: Mit seinen Kompagnons überrascht er die Kleinganoven in ihrem Versteck, bringt sie um und nimmt ihnen die kostbare Beute ab. Von Barbaras Vater fordern die Grissoms ein Lösegeld von einer Million Dollar, doch auch als er bezahlt, können sie sich von ihrer Geisel nicht trennen: Dummerweise hat sich der jüngster Spross der Familie, der geistig minderbemittelte Slim (Scott Wilson), nämlich in sie verliebt. Es beginnt ein gnadenloses Ringen um die junge Frau, nach der nun auch der Privatdetektiv Fenner (Robert Lansing) sucht …

Am Inhalt oder auch an seiner Oberfläche lässt sich kaum ausmachen, was Aldrichs Film von anderen populären Gangsterfilmen jener Zeit – Arthur Penns BONNIE & CLYDE wurde schon erwähnt, Milius‘ DILLINGER, Altmans THIEVES LIKE US, Cormans BLOODY MAMA oder Nachzieher wie CRAZY MAMA fallen spontan noch ein – abhob und sein Publikum verprellte. Die Protagonisten sind mit großer Mehrheit Gauner, Mörder und Halsabschneider, aber eben gleichzeitig Opfer der Depression, Underdogs, die sich mit ihren beschränkten Mitteln gegen die herrschenden Zustände auflehnen. Der Film ist im eher provinziellen Kansas City angesiedelt, neben den typischen Schlupflöchern, Hotelzimmern, Gin Joints und Jazzclubs spielt sich das Geschehen auch immer wieder in ländlichen Gefilden ab. Maschinenpistolen, Anzüge, Fedoras und schicke Autos sind unverzichtbare Requisiten, es wird viel geschwitzt, die Vokale in breitestem Südstaatenslang langgezogen, das Blut ist rot wie Ketchup. Der Entführungsplot schlägt via Stockholm-Syndrom um in eine Liebesgeschichte, die vom selben juvenilen Drang nach Rebellion und Selbstbestimmung getrieben wird wie etwa Terrence Malicks BADLANDS. (Wer will, der erkennt in Aldrichs Film vielleicht sogar die unverzerrte Vorlage für Tobe Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, im von moderner Technologie in die Arbeitslosigkeit getriebenen Schlachterclan der Sawyers ein Echo der Grissoms, die in Mord und Totschlag eine Möglichkeit entdeckt haben, sich ihren sonst ungewissen Lebensunterhalt zu sichern.) Aber diese Elemente sind nicht das, was den Film auszeichnet, der weitaus weniger geordnet und klar ist als es eine Inhaltsangabe vielleicht vermuten lässt.

Die Handlung von THE GRISSOM GANG bewegt sich nicht stringent voran, sie erzählt von der Entführung nicht wie von einem sauber und geordnet ablaufenden Coup, von der gesellschaftliche Barrieren überwindenden Liebesgeschichte nicht mit dem Pathos des Romantikers und Sozialutopisten, von der Jagd des Detektivs nicht als Kampf des Helden gegen eine bösartige Übermacht. Und überhaupt trennt Aldrich diese einzelnen Aspekte seiner Geschichte nicht so sauber, wie ich es hier tue, sondern lässt sie im Chaos des Zufalls, in der Unbeständigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen, der Undurchsichtigkeit der Motivationen und dem Brennen der Emotionen ineinanderlaufen. Der Fortgang des Films ist nicht einer Abfolge von bewussten oder gar geplanten Handlungen geschuldet, sondern einer Kettenreaktion unvorhersehbarer Fuck-ups und Zufälle, die nicht zuletzt daher rühren, dass jeder jeden kennt, es keine Geheimnisse in der Welt des Verbrechens gibt. THE GRISSOM GANG ist ein einziger Tumult, den Aldrich aber mit der gewohnt ruhigen Hand des unbeteiligten Chronisten inszeniert. Eines überaus zynischen Chronisten wohlgemerkt. Es ist längst ein abgegriffenes Klischee, dass die „Grenze zwischen Gut & Böse verwischt“: Gangster können Helden sein und Polizisten Schurken, big deal. In Aldrichs Film geht das aber so weit, dass die Kategorien von Gut und Böse vollkommen hinfällig sind. Jeder tut, was er kann, tun muss, wozu er keine Alternative hat. Einmal fragt der Detektiv Fenner Hagans Freundin Anna (Connie Stevens) aus, die etwas dümmliche Sängerin im Club der Grissoms, unter dem Vorwand, sie für ein Broadway-Musical engagieren zu wollen. Die Arme kann ihr Glück kaum fassen und gibt ihm bereitwillig Auskunft zu jeder seiner Fragen, als Hagan wieder auftaucht. Fenner kommt unbeschadet aus der Situation, schlägt den Gangster nieder und verabschiedet sich von der Betrogenen hämisch mit den Worten „Grüß mir den Broadway“, bevor er sie und Hagan allein zurücklässt. Er bekommt nicht mehr mit, dass sie für ihren Verrat kaltblütig erschossen wird, aber ihm muss diese Konsequenz seines Handelns natürlich bewusst sein. Er hat sie bereitwillig in Kauf genommen und nun keine Zeit, sich dafür Vorwürfe zu machen. Das verwöhnte Balg Barbara lernt, was es bedeutet, sich mit aller Kraft an das Leben zu krallen, so sehr um seine Existenz zu bangen, dass man dafür bereit ist, alles zu tun, und dann, dass man das vermeintlich Falsche sogar lieben lernen kann, während sich das Richtige – der eigene Vater – als abgrundtief verkommen entpuppt. Der Einfaltspinsel Slim schließlich, das Mamasöhnchen zu Barbaras Papa’s Girl, ewiger Prügelknabe und willkommene Zielscheibe des Spotts seiner Gangkameraden, ist der brutalste Mörder unter ihnen und völlig unberechenbar in seinen Gefühlswallungen, aber gleichzeitig auch der einzige, der am Ende zu einer gesunden Einschätzung seiner Selbst und seiner Taten gelangt, Einsicht in die Konsequenz seines Tuns erlangt – und die Verantwortung dafür übernimmt. Ein Monster, ja, aber eines mit Gewissen. Ein Mensch letztlich.

THE GRISSOM GANG ist ein bleicher Film und seine Komik lässt sich nur als Galgenhumor begreifen. Es liegt weder Glamour im Outsider-Dasein der Grissoms, einem Haufen räudiger Asozialer, noch in den Taten Fenners, der auch nur ein besserer Kopfgeldjäger ist. Wenn am Ende eine Verfolgungsjagd in den Straßen Kansas Citys tobt und man die aufgeräumten Settings deutlich als Kulissenstadt identifizieren kann, liegt darin eine gewisse Konsequenz. Die Protagonisten von Aldrichs Film merken nicht, dass die Welt, die sie um sich herum entworfen haben, längst nicht mehr lebbar ist, sondern nur noch Pappszenario für ihren tosenden Massen- und Selbstmord.

1898 erschien Henry James‘ Novelle „The Turn of the Screw“: nicht nur eine der berühmtesten Geistergeschichten, sondern auch eine, die formal neue Maßstäbe setzte. Bei der Geschichte, die den Hauptanteil der Novelle ausmacht, handelt es sich um den Erlebnisbericht einer namenlos bleibenden Erzieherin, der einem Mann in der Gegenwart der Erzählung am Kamin vorgelesen wird. Sie wird von dem Vormund zweier Waisenkinder dazu eingestellt, in seiner Abwesenheit für ihre Erziehung und Bildung zu sorgen. Von der Haushälterin Mrs. Grose erfährt sie, dass die Kinder eine enge Bindung zum ehemaligen, unter mysteriösen Umständen verschwundenen Gärtner Mr. Quint hatten – und dass dieser wiederum ihrer Vorgängerin Mrs. Jessel in unmoralischer Art zugetan war. Bald hat die leicht beeinflussbare junge Frau Erscheinungen, die sie glauben lassen, dass die Geister von Mr. Quint und Mrs. Jessel umherspuken und Besitz von den beiden Kindern genommen haben. Die mysteriösen Vorgänge, die die Frau schildert, für die sie eine Erklärung zu finden sucht, werden jedoch durch die Subjektivität des Textes mit einem weiteren Fragezeichen versehen: Es stellt sich die Frage, ob der Spuk, den sie zu beobachten glaubt, nicht bloß die Autosuggestion einer repressiv erzogenen Frau ist, die sich in der Einsamkeit ihres neuen Arbeitsplatzes mit ihr vollkommen neuen, unbegreiflichen Empfindungen konfrontiert sieht, die sie nur als schockierend und böse empfinden kann – und daher auf die Kinder, die ihr zur Betreuung überantwortet wurden, projizieren muss. James war nicht der erste Schriftsteller, der sich den „unzuverlässigen Erzähler“ zunutze machte (sofort fallen einem die Lügengeschichten des Baron Münchhausen ein), aber wahrscheinlich der erste, der ihn auf so subtile, psychologisch fundierte Art und Weise einsetzte. Im Gewand einer Geistergeschichte verbirgt sich eine kritische Auseinandersetzung mit den Auswüchsen und Folgen des Puritanismus, mit sexueller Repression und kindlicher Sexualität – Themen, die zu seiner Zeit noch weitaus mehr als heute tabuisiert waren. 1961 inszenierte Jack Clayton mit THE INNOCENTS eine kongeniale Film-Adaption, die nicht nur als einer der unheimlichsten Gruselfilme, sondern auch als eine der besten Literaturverfilmungen in Erinnerung bleiben wird. Und 1971 versuchte sich Michael Winner an einem heute längst zum Standard des Kommerzkino gewordenen, damals aber noch sehr ungewöhnlichen Kniff: Mit THE NIGHTCOMERS erzählte er die Vorgeschichte zu Henry James Novelle, ging er der Frage nach, was zwischen Mr. Quint und Mrs. Jessel eigentlich geschah und wie sie auf die beiden Kinder Einfluss nahmen. Kurz: Er drehte ein Prequel.

Nach dem Unfalltod ihrer Eltern überlässt ihr Vormund (Harry Andrews) die ihm anvertrauten Waisenkinder Flora (Verna Harvey) und Miles (Christopher Ellis) der Obhut der Haushälterin Mrs. Grose (Thora Hird) und der Erzieherin Ms. Jessel (Stephanie Beacham). Den größten Einfluss auf sie hat jedoch der eigenbrötlerische, ebenso fantasievolle wie ungebildete Gärtner Mr. Quint (Marlon Brando). Seine philosophisch fragwürdigen Einschätzungen zum Tod und zur Liebe – Tote führen ihre Existenz im Totenreich weiter, Liebende begegnen sich dort wieder, Hass und Liebe sind zwei Seiten einer Medaille und Mord aus Leidenschaft ist legitim – fallen bei den beiden Kindern auf fruchtbaren Boden und tragen verhängnisvolle Früchte. Als die Kinder Quint und Jessel beim sadomasochistischen Liebesspiel beobachten und das Gesehen nachstellen, schellen bei Mrs. Grose die Alarmglocken: Sie verweist Quint des Hauses und trennt die beiden sich verhängnisvoll Liebenden, stellt eine Kündigung in Aussicht. Doch Flora und Miles wissen ja, wie sie die Beziehung von Quint und Jessel für immer sicherstellen können …

Welche Haltung man zu THE NIGHTCOMERS einnimmt, hängt entscheidend von der Frage ab, wie man zu seiner Grundidee eines Prequels steht. Beziehungsweise, inwiefern man dazu in der Lage ist, beide Werke trotz ihrer inhaltlichen Verbindung als getrennte Werke zu betrachten, THE NIGHTCOMERS als eine Art What-if-Gedankenspiel zu begreifen. Kritiker von Winners Film werfen ihm vor, die Ambiguität von James‘ Novelle zu unterwandern, etwas zu konkretisieren, was nie konkretisiert werden, sondern im Vagen verbleiben sollte. Bezog James die Spannung gerade daraus, dass letztlich unbeantwortet bleibt, ob der Spuk und damit die Besessenheit der Kinder real sind oder nur der Einbildung seiner Hauptfigur entspringen, beantwortet Winner diese Frage nun relativ eindeutig: In Flora und Miles sprießt die Saat von Quints Gedanken und manifestiert sich in teuflischen Handlungen, die aber nicht etwa unmoralisch, sondern eher außermoralisch sind: Weil die Erwachsenen ihnen jeden zuverlässigen moralischen Bezugsrahmen vorenthalten, sind sie nicht in der Lage, gute von bösen Taten zu unterscheiden. Winners Film mag die Subtilität von James‘ Novelle (und Claytons Adaption) vermissen lassen, seine Kritik an puritanischer Kindererziehung, dem britischen Klassensystem (Quint ist ein einfacher, ungebildeter Arbeiter, Sohn eines Tagelöhners, der ihn nach einem misslungenen Betrugsversuch fluchtartig verlassen musste) und rigider Sexualmoral ist dieselbe.

Angesichts der Originalität von THE NIGHTCOMERS, der Elemente des Dramas, des Historien-, Sex-, Geisterfilms und Psychogramms zu einer ungewöhnlichen Melange verbindet, scheint die oben wiedergegebene Kritik, die ihn lediglich in Verteidigung seiner Inspirationsquelle angreift, seltsam engstirnig. Zu allen Zeiten war es eine Funktion von Fiktion, die Fantasie ihrer Rezipienten anzuregen, sie dazu einzuladen, über den Rahmen des einzelnen Werks hinaus zu denken. Nichts anderes tut Winner (nach einem Drehbuch von Michael Hastings) hier. Der Vorwurf, eigene Ideenlosigkeit durch das Anhängen an ein erfolgreiches Werk zu kaschieren oder die Kulturtechnik des Geschichtenerzählens zur reinen Warenerzeugung verkommen zu lassen, der angesichts des aktuellen Hollywood-Trends zur kundenbindenden Franchisebildung mehr als angebracht ist, greift bei THE NIGHTCOMERS einfach nicht. Zum einen, weil er sich nicht explizit an einem Film, sondern einem literarischen Werk orientiert, zudem einem, das 1971 bereits über 70 Jahre alt war und sicherlich nicht mehr im Verdacht stand, besonders kassenträchtig zu sein. Zum anderen aber vor allem, weil Winner wirklich etwas zu erzählen hat.

Im Zentrum steht natürlich Marlon Brando als enigmatischer Mr. Quint. Im Jahr von THE GODFATHER überzeugt er in einer überaus ambivalenten Rolle, evoziert gleichermaßen Befremden, Abscheu, Sympathie und Mitleid. Die Faszination, die er auf die Kinder ausübt, überträgt sich ungebrochen auf den Zuschauer, der verzweifelt versucht, ihn zu fassen zu bekommen. Seine blecherne, fast schwache Stimme mit dem (kruden) irischen Akzent steht in krassem Widerspruch zu seinem kräftigen, in den Sexszenen beängstigenden Körper, seine Neigung zu Philosophie und Introversion kollidiert mit seiner grobschlächtigen und ordinären Art, die Zärtlichkeit im Umgang mit den Kindern findet ihr Gegenteil in der tierischen Brutalität, mit der er Ms. Jessel überfällt. Die Arglosigkeit, mit der er die Kinder an seiner Weltsicht teilhaben lässt, wirft die Frage auf, ob er sehr rücksichtslos, sehr dumm oder aber bösartig ist. Wahrscheinlich fehlte ihm selbst der moralische Kompass in Form einer verantwortungsvollen Vaterfigur. So ist Brandos Quint ein entfernter Verwandter von Büchners Woyzeck, ein Opfer gesellschaftlicher Umstände, ein aus Armut und sozialer Kälte geborenes Monstrum, das alles, was es anfasst, zerstören muss, um dann weinend und bibbernd über den Scherben seines Tuns zu stehen.

EDIT 26.06.2013: Auffällig sind die Parallelen zu Mario Bavas REAZIONE A CATENA vielleicht nur, weil ich den kürzlich gesehen habe. Ich denke aber, dass die Gemeinsamkeiten beider Filme mit ihren von den Erwachsenen erst vergessenen oder missverstandenen, dann durch ihr Tun negativ beeinflussten, zu Mördern verzogenen Kindern, auch anderen aufmerksamen Betrachtern ins Auge stechen sollten.

Zwei New Yorker Cops, zwei Partner. Der eine, Nick Conklin (Michael Douglas) ungezügelt, ungebändigt, möglicherweise korrupt. Der andere, jüngere, Charlie Vincent (Andy Garcia), attraktiv, humorvoll, schlagfertig, sauber. Einer wird im Verlauf des Films, der die beiden amerikanischen Bullen nach Japan führt, sterben, der andere ihn rächen. Dabei zur Seite steht ihm ein japanischer Polizeibeamter, der von seinem Kollegen aus Übersee lernt, die Dinge etwas lockerer zu sehen, diesem im Gegenzug beibringt, was Pflicht und Ehre bedeuten. BLACK RAIN teilt mit Scotts epochemachendem BLADE RUNNER nicht nur eine lautliche Gemeinsamkeit des Titels. Der Wanderer zwischen den Welten, entlang der Demarkationslinie zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz, ist hier zum Wanderer zwischen den Kulturen geworden, auf der Suche nach der amerikanischen Identität. Das nächtliche Tokio funkelt im Neonlicht der Reklametafeln, vom Soundtrack pluckert es synthetisch, das drohende Unheil ist seltsam schön in all seiner Fremdheit – und einlullend.

Das ist es dann aber auch schon mit den Parallelen. In den knapp sieben Jahren, die bis hierhin seit BLADE RUNNER vergangen sind, ist Scott vom Regiewunderkind auf normalsterbliches Maß geschrumpft. BLACK RAIN zeigt ihn schon mitten im MIttelmaß angekommen, im hohlen Kintopp, der mit geleckten Bildern Substanz vorgaukelt, die gar nicht mehr da ist. Bei aller formalästhetischen Gefallsucht ist sein Polizeifilm schmerzhafter Beweis dafür, dass Ridley Scott kaum mehr als ein Einfaltspinsel ist, ein Chauvie im Körper eines Pseudointellektuellen. Wenn die Auseinandersetzung des Polizeifilms mit als typisch männlich apostrophierten Rollenklischees und Handlungen diese oft genug als eigentliches Übel enttarnt, geht Scott bei der Zeichnung seiner Protagonisten als schwanzgesteuerter Prolos sichtlich einer ab. Nur bei ihm ist es möglich, dass der „sympathische“ Sidekick den vermeintlich gemütlichen Teil seines Tokio-Aufenthalts mit den Worten „I’m gonna be in and out of geishas like a Times Square pickpocket“ begeht, ohne dass die sich beim Zuschauer einstellende Fremdscham beabsichtigt wäre. Das hier ist der Film, in dem der verbissen-unangenehme Held – Michael Douglas in einer seiner typischen Arschloch-Rollen eben – der amerikanischen Edelbordellbesitzerin (Kate Capshaw, die die Emanzipation ja schon mit ihrer Rolle in INDIANA JONES AND THE TEMPLE OF DOOM um Jahre zurückgeworfen hatte) am Schluss noch einen schmierigen Zungenkuss aufdrücken muss, einfach, weil das im Film bisher noch fehlte. Und auch wenn der Film, dessen Titel auf den schwarzen Regen verweist, der nach dem Abwurf der Atombombe auf Japan niederging, vielleicht als Kritik an eben jener amerikanischen Großmannssucht gedacht war, die Douglas und Garcia verkörpern: Scott planiert jeden Ansatz dieser Kritik restlos. Am Schluss überreicht der nach Hause in eine ungewisse Zukunft abreisende Conklin seinem japanischen Kollegen die Beute, um die während des Films ein mörderischer Bandenkrieg entbrannt war: Was wohl Ausdruck seiner rebellischen, antiautoritären Ader sein soll, ist nach den vorangegangenen Gesprächen über Ehrlichkeit und Gesetzestreue, in die ihn der Japaner verstrickt hatte, ein Zeichen absoluter Respektlosigkeit gegenüber dessen Wertvorstellungen und Überzeugungen. Es ist der Moment, in dem Scott die ganze Fadenscheinigkeit seines Filmchens bloßlegt. Es geht ihm nicht um interkulturelle Verständigung und Versöhnung, nicht darum, im Kontakt mit anderen Wertvorstellungen Demut zu lernen, sondern doch wieder nur um Kulturimperialismus. Am amerikanischen Wesen soll die Welt genesen. Eklig.

Dass ich trotzdem einigermaßen mit BLACK RAIN klar gekommen bin, liegt einzig und allein an der Achtzigernostalgie, mit der er den Betrachter infiziert. Wenn zu Beginn eine männliche Reibeisenstimme zu überproduziertem AOR erklingt, dazu der Dampf aus den New Yorker Gullideckeln steigt, als würde in der Kanalisation ein Freudenfeuer abgebrannt, dann finde ich das ganz einfach schön. Eine Empfindung, die sich über 120 Minuten Scott’scher Chauviekacke allerdings deutlich relativiert.

Wie bei den meisten Parodien – die ja immer eine spezielle Art der Referenzwerweisung sind – gibt es auch über DEAD MEN DON’T WEAR PLAID nicht wahnsinnig viel zu sagen: Der Stil der alten Noir-Klassiker wird von allen Beteiligten vor und hinter der Kamera perfekt eingefangen. Wohl auch, weil einige der Mitwirkenden bereits den in Wort und Bild zitierten Werken ihren unverwechselbaren Stempel aufgedrückt hatten. Miklós Rósza steuerte den letzten Score seines bis 1938 zurückreichenden Werkes bei, Kostümbildnerin Edith Head, die den Look zahlreicher klassischer Leinwand-Diven und -Helden geprägt hatte, noch einmal ihre unnachahmlichen Kostüme und Anzüge.

Dass DEAD MEN DON’T WEAR PLAID näher dran ist am Original als viele andere Filme, die sich am Noir versuchten, liegt aber in erster Linie natürlich daran, dass er in gewisser Hinsicht um eben diese Originale drum herum konstruiert wurde. So interagiert der Protagonist Rigby Reardon (Steve Martin), ein Kollege von Philip Marlowe, Mike Hammer oder Sam Spade, direkt mit den Akteuren von damals. Der geschickte Schnitt lässt ihn auf Veronica Lake, Humphrey Bogart, Bette Davis, Kirk Douglas, Alan Ladd, Ingrid Bergman, Charles Laughton, Lana Turner, James Cagney, Joan Crawford, Ray Milland, Barbara Stanwyck, Ava Gardner, Burt Lancaster, Fred MacMurray oder Cary Grant treffen, setzt Szenen aus den alten Klassikern in neuen, komischen Kontext. Auffallend dabei, dass Reiner gerade nicht die berühmten, ikonischen Szenen verwendet, sondern meist kleine, eher unauffällige Momente. Die viel beschworene „Magie“, die jene Filme aus der Vergangenheit über den heutigen Betrachter ausüben, die Aura des Unantastbaren, Kultischen und Heiligen, wird so wunderbar unterwandert. Am auffälligsten wird diese Strategie im Zusammentreffen Reardons mit der schönen Veronica Lake in einer Szene aus THE GLASS KEY: Nachdem er via typischem Voice-over in bewährt machohafter Art verkündet hat, dass er sie (bzw. ihren Charakter) so schätze, weil die Worte „I can’t“ sich nicht in ihrem Vokabular befänden, antwortet sie ihm auf die kurze Frage, ob sie ihm helfen könne, genau so: „I can’t“. Die bedeutungsschwer aufgebaute Szene endet abrupt, Veronica Lake sieht man nicht mehr wieder und Reardon bleibt nichts anderes übrig, als resigniert festzustellen, dass sie seit ihrem letzten Treffen etwas dazugelernt habe.

Im Kleinen spiegelt sich so die Strategie des Großen wider: Zum Lachen ist weniger der konkrete Witz selbst, sondern der Aufwand, der betrieben wird, ihn aufzubauen. So wird Reardon ein Trauma angedichtet, dass ihn Tobuschtsanfälle erleiden lässt, sobald er das Wort „cleaning woman“ vernimmt, nur um einen Grund dafür zu finden, ihn Bette Davis würgen zu lassen. Es sind auch diese absurden Schleifen und Winkelzüge, die DEAD MEN DON’T WEAR PLAID auszeichnen.

Der Titel gibt aufgrund des fehlenden Prädikats ja erst einmal Rätsel auf. Mehrere Bedeutungen sind möglich: Kam der Held zu spät (und wenn ja, was machte ihn dann zum Helden?), wurde eine Person zu spät zum Helden (Zu spät für was? Und wie konnte er dann überhaupt zum Helden werden?) oder ist es etwa ganz zu spät für Helden? Aldrich gibt keine endgültige Antwort auf diese Frage, lässt alle Interpretationen zu und nimmt den Zuschauer in die Verantwortung, eine Position zum Krieg und zm Gezeigten einzunehmen. Er macht es ihm dabei nicht einfach und egal zu welcher Entscheidung der Betrachter auch gelangt, es bleiben nagende Zweifel.

Lieutenant Sam Lawson (Cliff Robertson) lässt es sich während des Zweiten Weltkriegs irgendwo im Pazifik gutgehen. Als Kommunikationsspezialist mit der Aussicht auf eine steile Karriere und darauf, eine ruhige Kugel zu schieben, in die Armee eingetreten, wird er jäh aus seinem Lotterleben geweckt: Die Briten brauchen für eine Mission jemanden, der Japanisch spricht, und die Wahl von Captain Nolan (Henry Fonda) fällt zu dessen Entsetzen auf Lawson, der doch nie damit gerechnet hat, jemals in Kriegshandlungen verwickelt zu werden. Auf einer kleinen Insel im Südpazifik soll er einer dezimierten britischen Einheit bei einem wahren Himmelfahrtskommando helfen: ein Lager der Japaner überfallen, ihre Funkstation zerstören und einen falschen Funkspruch auf Japanisch absetzen. Doch alles geht schief und so werden Lawson und die Engländet um den aufmüpfigen Priavte Tosh Hearne (Michael Caine) plötzlich von einer japanischen Übermacht durch den Urwald gejagt …

TOO LATE THE HERO zählt zu den weniger besungenen Filmen Aldrichs, scheiterte zu seiner Zeit auch an den Kinokassen und konnte sein Budget in den USA nicht annähernd einspielen. Nach dem persönlichen THE KILLING OF SISTER GEORGE und dem eigenwilligen THE LEGEND OF LYLAH CLARE stellt er vordergründig eine Rückkehr zu den großen publikumswirksamen Abenteuerstoffen à la THE DIRTY DOZEN oder THE FLIGHT OF THE PHOENIX dar, doch der Schein trügt, noch stärker als bei jenen bricht hier der Zyniker und Realist durch. Lawson ist ein egozentrischer Opportunist: Er benutzt den Krieg, um voranzukommen, ohne dabei etwas zu riskieren. Er liegt den lieben langen Tag besoffen am Strand einer Pazifik-Trauminsel, während andere Amerikaner im Krieg ihr Leben lassen. Es ist offenkundig Vitamin B, das ihm diese privilegierte Position verschafft hat: Seinen Vorgesetzten adressiert er informell mit einem vertrauten „Du“, und als dieser ihm dann wirklich einmal als Befehlshaber gegenübertritt, kann Lawson es kaum glauben. Seine schöne Welt des Müßiggangs und der Verantwortungslosigkeit fällt in Sekundenbruchteilen in sich zusammen. Nun soll er tatsächlich an einem Kampfeinsatz teilnehmen, von dem er glaubt, dass er dem minderen Fußvolk vorbehalten ist.

Am Ziel angekommen, sieht er sich mit der bitteren Realität des Kriegs konfrontiert. Die britischen Streitkräfte sind zermürbt und entkräftet. Die Position ihres Camps im Süden einer Insel ist strategisch überaus ungünstig: im Norden angrenzend an eine riesige freie Fläche, die keinerlei Deckung bietet, wird jeder von dort aus gestartete Vorstoß zu einem Himmelfahrtskommando. Die hoffnungslose Lage, gepaart mit der Gewissheit, bei entsprechendem Marschbefehl der Gnade des Schicksals ausgesetzt zu sein, führt zu Ungehorsam und Disziplinlosigkeit. Die Soldaten begegnen ihren Vorgesetzten mit unverhohlener Verachtung. Lawson sieht sich in seiner egoistischen Haltung noch bestärkt, doch glaubt er noch daran, die Situation mit entsprechendem Professionalismus bewältigen zu können. Seine Beharren auf dem „Lehrbuch“ führt während des Einsatzes jedoch zum Tod von Captain Hornsby (Denholm Elliott). Von diesem Zeitpunkt an ändert sich seine Haltung: Er will die Mission so gut es geht zum Ende bringen, auch wenn er dabei selbst auf der Strecke bleibt.

Aldrich spielt zwei Haltungen gegeneinander aus: Zum einen den Glauben daran, während des Krieges das „Richtige“ tun zu können. Dieses „Richtige“ beinhaltet das Zurückstellen eigener Interessen zugunsten des Kollektivs und des übergeordneten Zwecks. Es kann bedeuten, in den Tod geschickt zu werden oder Dinge zu tun, die man für falsch hält – etwa, weil man die größeren Zusammenhänge nicht überblickt. Zum anderen die Verweigerung, den Protest, die Meuterei gegen die Befehlskette, die von oben nach unten führt und keine Rücksicht auf Einzelinteressen nehmen kann. Beide kollidieren im Verlauf des Films heftig. Die einfachen Soldaten sehen sich gegängelt, als Kanonenfutter verheizt in einem Konflikt, der sie als Individuen gar nicht betrifft. Doch müssen sie sich nicht an die Spielregeln halten, wenn sie schon am Spiel teilnehmen? Aldrich glaubt, dass es eine Pflicht gibt, die mit der Teilnahme am Krieg einhergeht. Wer sich dazu bereiterklärt, die Uniform zu tragen, der muss bestimmte Konsequenzen in Kauf nehmen. Wer seine eigenen Interessen über die der anderen oder der Sache stellt, riskiert ebenso Leben, wie der Offizier, der den Befehl zu einem Himmelfahrtsunternehmen gibt. TOO LATE THE HERO: Die Frage nach Heldentum stellt sich gar nicht. Im Krieg hat jeder seine Aufgabe zu erfüllen. Es gibt keine Gelegenheit sich auszuzeichnen, nur eine, zu versagen und zu sterben.

Britisches Horrorkino aus den Siebzigern: ein bisschen, wie in einem unscheinbaren Haus an einer unscheinbaren Straße in einem unscheinbaren Stadtteil einer wenig bemerkenswerten Stadt auf ein Geschäft zu stoßen, das nur für DICH dort zu existieren scheint. Ein Zeitschriftenantiquariat vielleicht, erfüllt von dem Geruch alten Papiers und Staubs, die Regale bis unter die Decke vollgestopft mit Trivialmüll vergangener Jahrzehnte: Groschenromane, Horrorcomics, Krimis, Filmzeitschriften, Perry-Rhodan-Bände, Pornomagazine und anderer Kram, der für manche Menschen Müll sein mag, für andere aber gleichzusetzen ist mit einer geborgenen Grabkammer. THE ASPHYX ist auch so ein Film: Klein, billig, rührend naiv und mit seiner Frankenstein-Variation um beanzugte Wissenschaftler im ausgehenden 19. Jahrhundert 1973 bereits hoffnungslos überkommen. Die Hammer-Studios, deren von Kostüm- und Historienfilm beatmete Horrorschinken unübersehbares Vorbild für THE ASPHYX wareb, ließen den Blick zu jener Zeit bereits nach Hongkong schweifen oder Dracula in der Gegenwart seine Opfer suchen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Peter Newbrook schert sich wenig um solche Modernisierungsversuche und lässt sich auch nicht davon bremsen, dass er nicht auf die üppige Requisite zurückgreifen kann, die die Hammer-Filme auszeichnete. Sein Film bleibt klein und angestaubt, aber es ist auch diese Schmuddeligkeit, die ihn funktionieren lässt. Kein guter Film, mehr als einmal unfreiwillig komisch, aber auf seine ihm eigene krude Art seltsam effektiv.

Der Wissenschaftler Sir Hugo Cunningham (Robert Stephens) ist auf ein merkwürdiges Phänomen auf mehreren Fotos Sterbender gestoßen. Der schwarze Fleck, den er auf allen diesen Fotos ausfindig gemacht hat, ist mitnichten die Seele, die die sterbenden Körper verlässt, sondern der „Asphyx“: ein Geist, der die Angst Sterbender aufspürt und letztlich für das Eintreten des Todes zuständig ist. Nachdem er dem Asphyx dabei zusehen musste, wie er ihm seinen Sohn und seine Schwiegertochter raubte, ist er dazu entschlossen, den Plagegeist einzufangen: Seiner Meinung nach der Schlüssel zur Unsterblichkeit. Das Experiment gelingt bei einem Meerschweinchen. Die Probleme fangen an, als es darum geht, einen Menschen unsterblich zu machen …

THE ASPHYX behandelt natürlich ein in Horrorliteratur und -film gängiges Thema: die Frage, inwieweit der Mensch sich über Leben und Sterben erheben darf, aber auch, ob der Tod – bei aller Angst, die wir vor ihm haben – nicht auch etwas Erlösendes ist. Newbrook gibt die erwartbaren Antworten auf diese Fragen. Wer sich neue Erkenntnisse erhofft (welche sollten das sein?) sieht sich wahrscheinlich enttäuscht, aber die Art und Weise, wie sich Newbrook damit auseinandersetzt, ist schon mehr als amüsant. THE ASPHYX erinnert mit seiner „Moral von der Geschicht“ ohne Frage an die alten EC-Comics, strapaziert die Logik aber so über Gebühr, dass der moralische Impetus selbst wie ein schlechter Scherz wirkt. Die Wissenschaftler – Cunningham erhält Hilfe von seinem Stiefsohn Giles (Robert Powell) – stellen sich bei ihren Versuchen mehr als dumm an, machen es dem Asphyx ziemlich leicht: Man sollte annehmen, dass es bessere und vor allem sicherere Methoden gibt als eine Guillotine, wenn man eine Person in Todesgefahr bringen möchte, ohne sie tatsächlich umzubringen. Dass dem armen, fiepsenden Meerschweinchen im weiteren Verlauf des Films eine ganz entscheidende Rolle bei der Eskalation der Ereignisse zukommt, ist wirklich herzallerliebst. Der finale „Twist“ wird von einem miserablen Make-up-Effekt torpediert, der aber – das meinte ich mit „krude“ – gerade wieder zum Gelingen des Ganzen beiträgt. Und dann ist da der Asphyx selbst, der ein bisschen wie eine holographierte Kermit-Mumie aussieht …

Kein großer Film, auch nicht unbedingt einer, den man als unverzichtbaren Geheimtipp bezeichnen müsste, aber einer, der auf eine sehr eigene, individuelle Art halbmisslungen ist. Kein Vergleich mit US-Schund aus derselben Epoche und deshalb unbedingt liebens- und bewahrenswert. Irgendwo in einem rammeligen Regal zwischen Dutzenden anderer abgenudelter und vergessener Filme vielleicht.

„Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert.“ – So weiß es eine deutsche Redensart, die wunderbar auf das mittlerweile zweite Sequel des TEXAS CHAINSAW MASSACRE-Remakes passt. Wobei das eigentlich ungenau ist, denn der letzte Film, durch den sich Leatherface mit seiner Kettensäge schlachtete, war ja bekanntlich ein Prequel zu diesem Remake. Und Luessenhop schließt zeitlich zwar wieder an die Ereignisse des ersten Teils, also des Remakes, an, orientiert sich dabei aber weniger an Nispels Neubearbeitung, sondern an Hoopers Original von 1974 – womit sich eine weitere Paradoxie eröffnet, denn dessen Geschichte war ja bereits in THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE PART 2 und in LEATHERFACE weitererzählt worden, die Luessenhop aber geflissentlich ignoriert. Wer den Faden jetzt noch nicht verloren hat, wird wissen wollen, was die zu Beginn dieses Sermons zitierte deutsche Redensart mit TEXAS CHAINSAW zu tun hat. Folgendes: Nach Nispels zwar okayem, aber doch nur eine Existenz als Parasit am Arsch des epochalen, unerreichten Originals von Tobe Hooper fristendem Remake war das Kettensägen-Franchise mit Jonathan Liebesmans unterirdischem THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE: THE BEGINNING mit einem dumpfen, Inhaltsleere und mürbe Konsistenz verratenden, „Pof“ auf dem Boden der Tatsachen aufgeschlagen. Die vielleicht – bei besonders hartnäckigen und optimistischen Gesellen – noch in mikroskopischen Spurenelementen übrig gebliebene Hoffnung, ein weiterer Teil könne annähernd die Klasse und Wirkung des Originals erreichen, sollte spätestens nach dieser filmgewordenen Arschgeburt der Resignation gewichen sein. Alle weiteren Sequels, von denen Hollywood natürlich dennoch nicht ablassen werden würde, könnte man nun mit gesunder „Scheiß drauf!“-Mentalität als das nehmen, was sie sind: Von der Popkultur ausgespieenes Fast Food, für dankbare Konsumkälber zum gedankenlosen Wiederkäuen gedacht. Keine „Filmkunst“ mit irgendwelchen komischen ernsthaften Ambitionen, sondern Ware halt. Und siehe da: Diese Einstellung führte bei mir glatt dazu, dass ich mit Luessenhops Film einen Spaß hatte, wie seit Jahren bei keinem Popcorn-Horrorfilm mehr.

Der Film beginnt schon einmal wie einer der besten aller Zeiten: Die Credits sind mit Szenen aus Hoopers Original unterlegt. Dass der Anschluss an diese Szenen – TEXAS CHAINSAW fängt mit einer Rückblende an – rein bildlich nicht recht gelingen mag, verleiht TEXAS CHAINSAW vom Start weg einen gewissen naiven Charme und eine dem aktuellen Blockbuster-Horror sonst vollkommen abgehende Unbedarftheit. Luessenhops Film ist damit schon einmal wesentlich sympathischer als seine Vorgänger, die Nispel und Liebesman wie humorlose Misanthropen voller Ingrimm und mit abgeschmackten Bildern in Szene setzten, statt Schrecken aber nur Kitsch produzierten. Im Folgenden geht Luessenhop dann endgültig den Weg, den einzuschlagen man sich bei allen Versuchen zuvor aufgrund des großen Erbes nicht getraut hatte: TEXAS CHAINSAW ist ein Slasher, der seine Protagonistenschar zur schnellen Entsorgung im Schoß des Bösen ablädt und sein Monster endgültig zum Star ernennt. Verkam Liebesmans Prequel über dem Versuch, Leatherface via Psychologisierung und Biographisierung zu einer tragischen Figur zu machen, noch zu einem unsäglich banalen Ammenmärchen (der Arme war während der Schulzeit gehänselt worden, buhuuu), ist Luessenhop mit viel einfacheren Mitteln erfolgreich: Er dreht die Verhältnisse von Gut und Böse einfach konsequent um. Der von THE EMPIRE STRIKES BACK geklaute Twist mag sich auf dem Papier wie eine saublöde Idee lesen, tatsächlich finde ich ihn cleverer als das meiste, was einem Hollywood heute so als clever zu verkaufen sucht. Leatherface wird am Ende wirklich zum tragischen Helden, zum geprügelten Hund, der sich gegen seine Unterdrücker erhebt. Und bei diesen Unterdrückern handelt es sich im weitesten Sinne um das Establishment, also jene Leute, die ja schon in Hoopers Film maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass es mit dem Kannibalen-Clan wirtschaftlich so bergab gegangen war. Prallten diese Underdogs 1974 noch ganz unvermittelt auf die ins Heartland reisende arrogante Studentenschar, die dem sich darbietenden Grauen nur mit Fassungslosigkeit begegnen konnten, da probt die Protagonistin von TEXAS CHAINSAW den Schulterschluss, zeigt Solidarität mit den Unterprivilegierten. Das Schöne an Luessenhops Film: Man kann über die Implikationen dieser Storyentwicklung nachdenken und schwadronieren, ohne dem Film dabei besondere Subversivität oder Intelligenz unterstellen zu müssen. Er drängt sich nicht auf mit seinen Ideen, hat erst einmal nicht mehr im Sinn, als eine gute Show abzuliefern. Ohne aufgesetzten Anspruch wird das Zehn-Kleine-Negerlein vorangetrieben, mit sparsam eingesetzten, aber überdurchschnittlich gut gelungenen Referenzen, Gags und Überraschungen. Da taucht ein Anhalter auf, der dann eben doch kein Mitglied der Familie ist, quietscht ein Tor mit dem berühmten Soundtrack-Geräusch aus Hoopers Film, hält ein anderes dem dagegenfahrenden Auto endlich einmal Stand, anstatt wie sonst aus den Angeln zu fliegen. Die unabdingbare Blödheit der Opferschar, die man ja seit den Achtzigerjahren eigentlich ins Herz geschlossen hat, obwohl man sich in doofen Nerdforen immer wieder darüber beschwert, treibt hier neue, wunderschöne Blüten und beschert dem Film zahlreiche auflockernde Lacher, die so ein Film braucht. Und dass die doch recht knackige Hauptdarstellerin Alexandra Daddario scheinbar eine Krankheit hat, die es ihr verbietet, ihren Bauch zu bedecken, ist angesichts ihrer prächtigen ausgebildeten Anatomie sicherlich auch kein Beinbruch.

Mehr als zahlreiche andere Horrorfilme, die in den letzten 20 Jahren mit dem ausgewiesenen Anspruch antraten, in Retro-Horror zu machen (und die meinten, es reiche, dazu die Stars von einst zu reaktivieren oder die entsprechenden Songs auf dem Soundtrack zu versammeln), wirkt TEXAS CHAINSAW tatsächlich wie aus den seligen Achtzigerjahren rübergebeamt, als Horrorfilme vor allem dazu da waren, seine Angebetete im Kino in den Arm nehmen zu können (oder sich vom Angebeteten in den Arm nehmen zu lassen). Monster waren die eigentlichen Helden und wurden bejubelt wie Popstars, die Bösen, das waren Bürgermeister, Polizisten, Wissenschaftler und andere erwachsene Autoritätspersonen. Am Ende bekamen sie einen auf die Zwölf und wenn auf dem Weg dahin auch ein paar Kids hatten verenden müssen, so hatten diese das Leben bis dahin wenigstens in vollen Zügen genossen. Der – überaus passend, dieser Tage – antiautoritäre, aufbegehrende Habitus von TEXAS CHAINSAW ist eigentlich kaum zu übersehen und wer es dennoch nicht mitbekommen hat, für den hat Luessenhop nach den Credits eine kleine Überraschung eingebaut, für die ich seinen Film jetzt schon sehr liebe. Jetzt weiß ich nicht, was überwiegt: Die Freude darüber, dass mir dieser Film wider Erwarten ausgezeichnet gefallen hat, oder die Gewissheit, dass der nächste Teil dagegen eigentlich wieder nur abstinken kann. Ich befürchte ja, dass man für die schon anberaumte Fortsetzung „zurück zu den Wurzeln“ strebt, nachdem Luessenhops Film eher nicht so erfolgreich war und wappne mich schon einmal für TEXAS CHAINSAW MASSCRE: THE RETURN, inszeniert von Darren Lynn Bousman oder einem ähnlichen Kaliber.

 

Der Archäologe Prof. George Hacker (Christopher Connelly) bereist mit seiner Gattin Emily (Laura Lenzi) und Töchterchen Susie (Brigitta Boccoli) das schöne Ägypten. Während sich die beiden Damen auf Sightseeing-Tour rund um die Pyramiden begeben, besteigt der Papa gemeinsam mit einem Assistenten eine alte Grabkammer, die natürlich finstere Geheimnisse, tödliche Fallen und einen bösen Fluch beherbergt. Der Assistent kommt ums Leben, Papa erblindet und draußen bekommt die Tochter von einem alten Mütterchen ein Amulett in die Hand gedrückt. Wieder zu Hause in New York ereignen sich merwürdige Dinge: Susie entwickelt seherische Fähigkeiten, Menschen verschwinden. Es verdichten sich die Hinweise, dass Susie von einem alten Geist besessen ist …

Fulcis unmittelbar nach LO SQUARTATORE DI NEW YORK gedrehter Horrorfilm teilt mit dem Vorgänger den Schauplatz, aber sonst nicht viel. Statt Sexploitation, derben Effekten und dummdreister Geschichte stellt MANHATTAN BABY den nicht wirklich gelungenen Versuch Fulcis dar, in klassischem, weitestgehend familientauglichem Grusel zu machen. Sein Okkultschocker steht eindeutig in der Tradition, die Filme wie Friedkins THE EXORCIST oder Richard Donners THE OMEN im Vorjahrzehnt begründet hatten. Eine Spätfolge dieses Trends war auch Mike Newells Heuler THE AWAKENING gewesen, der schon zwei Jahre zuvor auf die Idee gekommen war, einen amerikanischen Archäologen mit einem Pharaonenfluch für die Tochter nach Hause kommen zu lassen (und dafür Charlton Heston in der Connelly-Rolle aufbot). Grundsätzlich finde ich die Prämisse ja sehr schön: Der Trip nach Nordafrika bringt Schauwerte und Exotismus, die Idee, ein seit Jahrtausenden eingeschlossenes Übel aus den Pyramiden entweichen zu lassen, ist einfach wunderbar altmodisch, abergläubisch und charmant.

Fulci gelingen auch ohne Frage ein paar schöne Bilder, MANHATTAN BABY sieht sorgfältig und, ja, beinahe teuer aus. Mit einem Auge mag der Regisseur vielleicht sogar Richtung Spielberg geschielt haben: Das Miteinander der Familie Hacker, zu der sich in New York auch noch Sohnemann Tommy (Giovanni Frezza) hinzugesellt, sowie diverse Einfälle wie jener, ihn kurz im Fernseher verschwinden zu lassen, erinnern ohne Zweifel an POLTERGEIST aus demselben Jahr. Aber es ist natürlich klar, dass Fulci mit dem großen Vorbild nicht mithalten kann. Letzten Endes überwiegen italienisches Improvisationstalent und Make-believe, müssen die großen Ambitionen der Realität weichen. Grundsätzlich kein Problem, wenn  MANHATTAN BABY seine Defizite irgendwie positiv umzudeuten wüsste. Aber Pustekuchen, der Film kommt einfach nicht aus den Puschen. Er arbeitet langsam auf eine Entladung hin, auf die man dann jedoch vergeblich wartet. Man erkennt hier und da den Regisseur, dessen vielfach zu Unrecht auf ihre Splattereinlagen reduzierten Wunderwerke L’ALDILA oder PAURA DELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI einen großen Surrealisten und Poeten am Werk zeigten: Etwa in der wirklich unheimlichen Szene, in der Emilys Arbeitskollege Luke (Carlo De Mejo) in ein Zimmer ihrer Wohnung geht und sie später dort statt seiner nur noch einen Fußboden voller Wüstensand vorfindet. Er taucht nie wieder auf, nur der Zuschauer erhascht später noch einen Blick auf seinen Leichnam, ausgetrocknet unter der sengenden Sonne der afrikanischen Wüste, mit einem Blick, der erahnen lässt, wie es sich anfühlen mag, wenn das menschliche Urvertrauen in Ratio und Empirie zerschmettert wird. Eindeutig der Höhepunkt eines Films, der mehr davon vertragen und gebraucht hätte. Zumeist kommen Fulci bei der Umsetzung seiner Ideen aber das moderne Setting und der allzu generische Plotverlauf in die Quere, der ihm nur wenig Raum lässt. Der Film wirkt gehemmt, es fehlt der letzte Kick, der Wille zum Wahnsinn, das Gefühl, das alle Regeln außer Kraft gesetzt sind, das die oben genanten Filme auszeichnete. So schleppt sich MANHATTAN BABY brav seinem Finale entgegen, bei dem Fulci dann als Höhepunkt einen derben Splattereffekt bereithält, der – so gelungen er für sich genommen auch ist – hier einfach deplatziert und wie ein Eingeständnis des Scheiterns wirkt. Es ist, als hätte Fulci am Ende gemerkt, dass er für sanften Grusel einfach nicht gemacht ist, und gesagt: „Fuck it. Wo ist das Kunstblut?“ Wie die zu zombiehaftem Leben erwachten ausgestopften Vögel den Okkultismus-Experten zerhacken ist eine Schau, überzeugender als manches, was man in seinen berühmteren Filmen gesehen hat. Aber hier ist es einfach falsch.