Archiv für Juli, 2013

Marvin Mange (Rob Schneider) ist ein freundlicher Versager. Allzu gern würde er seinem verstorbenen Vater, einem ehemaligen, mehrfach geehrten Polizisten, nacheifern, doch Jahr für Jahr scheitert er aufgrund mangelnder Fitness an der Aufnahmeprüfung. So fristet er ein trauriges Dasein in der Asservatenkammer, wo er dem Spott kleiner Kinder auf Berufserkundung und Sergeant Sisk (John C. McGinley) ausgesetzt ist. Alles ändert sich, als Marvin einen schweren Unfall erleidet und von einem freundlichen Mad Scientist (Michael Caton) mit Tierorganen zusammengeflickt wird. Plötzlich hat er einen unerschöpfliche Ausdauer, immense Kraft sowie geschärfte Geruchs- und Gehörsinne – leider aber auch einen unkontrollierbaren Hunger und Sexualtrieb. Das erschwert nicht nur seine Annäherungsversuche an die Tierpflegerin Rianna (Colleen Haskell), sondern scheint ihn des Nachts auch in eine reißende Bestie zu verwandeln. Bald wird ein Mob auf ihn angesetzt …

Man verzeihe mir meinen derzeitigen Hang zum Klamauk, aber für meine derzeitige Verfassung sind solche leichten Filme einfach ideal. Bei denen ist es auch nicht so schlimm, wenn die Müdigkeit zuschlägt und ich nach einer Stunde abbrechen und am nächsten Tag weitergucken muss. Dass ich ein Faible für Klamauk habe, ist Lesern meines Blogs wahrscheinlich auch nicht entgangen. Und Rob Schneider, ein viel geschmähter Komiker aus dem Sandler- und SNL-Umfeld, ist tatsächlich sehr viel lustiger als sein Ruf. Für diese etwas seltsamen, tolpatschigen Underdogs, die unermüdlich davon träumen, einmal auf der Siegerseite des Schicksals zu stehen, ist er wie gemacht. Auch der ihm auf den Leib geschriebene THE ANIMAL, sein zweiter „großer“ Film nach etlichen Nebenrollen, nutzt Schneiders glubschäugiges Gesicht, seine störrische Wuschelmähne und seine linkische Verletzlichkeit zu größtmöglichem Effekt. Das Drehbuch von Tom Brady und Schneider himself etabliert den bemitleidenswerten Sonderling als tragisches Stehaufmännchen, bevor es ihm seine Triumphe gönnt und melkt die absurde Prämisse dabei bis auf den letzten Tropfen. Marvin erliegt einem Fressrausch in einer Metzgerei, Marvin wiehert beim Anblick einer schönen Frau wie ein Pferd und vergeht sich schnaufend an einem Briefkasten, Marvin markiert sein Revier, Marvin verführt eine läufige Ziege, Marvin prügelt sich mit einem Orang-Utan, Marvin leckt sich den eigenen Schritt. Es sind erwartbare Zoten, die der Film mit Gusto reißt, aber weil das Timing stimmt und Schneider so wunderbar den gedemütigten Trottel geben kann, funktionieren sie fast alle. Es gibt außerdem noch einen schönen Subplot um Marvins schwarzen Kumpel Miles (Guy Torry), der überall, wo man freundlich und zuvorkommend zu ihm ist, Reverse Racism vermutet – und was zunächst eine paranoide Marotte zu sein scheint, erweist sich bald als zutreffend. Es ist ein für die eigentliche Handlung unwichtiger Nebenstrang, aber er wertet THE ANIMAL gehörig auf, weil er jene Intelligenz erkennen lässt, die man angesichts der Vielzahl an ordinären Herrenwitzen eher nicht vermuten würde.

Dass THE ANIMAL dennoch kein vergessener Klassiker der Low-Brow-Comedy, sondern nur ein guter Vertreter dieser verfemten Gattung ist, liegt vor allem daran, dass der Übergang von der reinen Gagparade zum eher dramatischen, erzählerischen Teil des Films nicht funktioniert bzw. reichlich holprig vonstatten geht. Der Konflikt des Films wirkt reichlich aufgesetzt, wird dann in Windeseile zwischen Tür und Angel aufgelöst. Die Idee, Marvin auf Werwolf-artige nächtliche Raubzüge zu schicken, ist ja eigentlich sehr naheliegend und komisch, aber das Drehbuch etabliert diesen Strang erst überaus nachlässig, lässt die Auflösung dann schlagartig vom Himmel fallen. Man merkt, dass sich niemand wirklich für diesen Teil des Films interessiert hat und das Hauptaugenmerk der Autoren darauf lag, sich lustige Situationen für den tierischen Helden auszudenken. Durchaus verständlich, wie ich finde. Aber es ist ja ein bekanntes Problem, dass moderne Komödien sich schwer damit tun, eine Geschichte zu erzählen, die nicht wie ein notwendiges Übel erscheint. Und nicht alle Filmemacher haben den Mut, konsequenterweise ganz auf einen Plot zu verzichten – so wie Dennis Dugan das in GROWN UPS erfolgreich exerziert hat. Und die genretypische Love Story von THE ANIMAL kommt nicht zuletzt daher so schrecklich schematisch rüber, weil Marvins Love Interest fürchterlich gesichtslos bleibt und ihre Darstellerin mit ihrem zuckersüßen Mauselächeln vor allem Aggressionen weckt. Die Liebe, die sich in THE HOT CHICK zwischen den beiden besten Freundinnen anbahnt, ist um ein Vielfaches lebendiger, echter und sympathischer, als die Spießerliebe, die sich in THE ANIMAL anbahnt. Aber wie ich schon sagte: Der Schwerpunkt des Films liegt woanders und wer Spaß an wildem Klamauk hat, der wird hier durchaus fündig werden. Meine Frau und ich haben jedenfalls herzhaft gelacht. Nuff said.

Chazz (Brendan Fraser), Rex (Steve Buscemi) und Pip (Adam Sandler) sind „The Lone Rangers“, eine Rockband, die verzweifelt versucht, Aufmerksamkeit zu erlangen. Weil das bisher kläglich an der mangelnden Bereitschaft der Plattenfirmen, sich ein Demotape anzuhören, gescheitert ist, ergreifen die Drei die letzte Chance: Sie brechen in der Rock-Radiostation KPPX  ein, um DJ Ian (Joe Mantegna) dazu zu bringen, in seiner Sendung einen Song von ihnen zu spielen. Natürlich kommt es zu einer Streiterei, in deren Folge die Lone Rangers zu Geiselnehmern werden. Es gilt, die verbleibende Zeit zu nutzen, um irgendwie bekannt zu werden, bevor sie unweigerlich in den Knast wandern. Der Plan scheint aufzugehen, denn draußen sammeln sich die Menschenmassen, die den Underdogs frenetisch zujubeln …

Als AIRHEADS rauskam, da kannte ich tatsächlich keinen einzigen seiner drei Hauptdarsteller. Heute war nicht zuletzt Adam Sandler einer der Hauptgründe für mich, mir den Film anzuschauen, aber die eigentliche Schau ist Steve Buscemi als Macho-Rocker mit Chris-Cornell-Bart, langen Haaren, Schweißbändern und Röhrenjeans. Angesichts seiner nach diesem Film entwickelten Filmpersona ist seine Rolle hier geradezu bizarr – zumal er absolut überzeugend agiert. Es sind dann auch solche kleinen inspirierten Besetzungscoups, die den Film aus der Masse herausheben: Judd Nelson gibt den schmierigen Plattenfirmen-Mann, Michael McKean (THIS IS SPINAL TAP) den opportunistischen Radiochef, Joe Mantegna den Althippie Ian, Ernie Hudson den um Deeskalation bemühten Polizisten, Michael Richards (SEINFELD) den Feigling, der der Polizei seine Hilfe anbietet, und Harold Ramis als Kriminalbeamter. In kleineren, auf Comic Relief angelegten Nebenrollen agieren Chris Farley als trotteliger Polizist und David Arquette als bekiffter Radio-Mitarbeiter. Gastauftritte von Lemmy Kilmister, MTV-Moderator Kurt Loder und White Zombie verleihen AIRHEADS schließlich die nötige Credibility, ohne ihn zur Nummernrevue verkommen zu lassen. Die Story von AIRHEADS mag nicht besonders reich an Überraschungen sein, er lebt auch nicht – wie ich das eigentlich erwartet hatte – von schreiendem Klamauk und markigen Sprüchen (jedenfalls nicht im Originalton), sondern zeichnet sich in erster Linie durch sein großes Herz aus. Regisseur Lehmann hatte schon mit dem formidablen HEATHERS bewiesen, dass er Jugend und Jugendkultur versteht und ernstnimmt und das zeigt sich auch hier, wenn er geldgeile, aber ahnungslose Plattenfirmen-Manager oder Radiochefs aufs Korn nimmt, und den subversiven, rebellischen und agitatorischen Charakter guter Rockmusik feiert. Mehr als die im Titel suggerierten Luftpumpen sind Chazz, Rex und Pip engagierte, leidenschaftliche und ehrliche Typen, die keinen Bock auf die Maskerade haben, die die Leistungsgsellschaft zunehmend von ihnen erwartet. Sie wollen Erfolg, ja, aber nicht um jeden Preis. Eine Wohltat in Zeiten, in denen jeder Hannebambel meint, er könne die Qualifikation zum Superstar im Privatfernsehen erwerben. Keine Granate, aber ein unerwartet warmer, liebenswerter Film.

escalofrío (carlos puerto, spanien 1978)

Veröffentlicht: Juli 30, 2013 in Film
Schlagwörter:, , ,

Das brave Ehepärchen Ana (Mariana Karr) und Andres (José Maria Guillén) – sie erwartet das erste Kind von ihm – wird bei einem Ausflug von einem anderen Pärchen – Bruno (Ángel Aranda) und Berta (Sandra Alberti) – angesprochen. Bruno behauptet felsenfest, mit Andres auf die Klosterschule gegangen zu sein und besteht darauf, dass er sie zusammen mit seiner Frau nach Hause begleitet. Andres kann sich zwar überhaupt nicht an Bruno erinnern, willigt aber ein. Ein Fehler, denn in dem alten Haus des Pärchens mitten in der spanischen Einöde entpuppen die beiden sich als Satanisten. Und sie führen irgendetwas im Schilde …

Redemption vermarkten ESCALOFRÍO unter dem reißerischen Titel SATAN’S BLOOD als Horrorfilm mit eindeutig sexploitativem Einschlag. Das DVD-Cover ziert ein Screenshot sich betastender nackter und verschwitzter Menschen, dazu wird DVDManiacs.com mit „oodles of sex and violence“ zitiert und hinten erwähnt die Inhaltsangabe „psychopathic Satanists with a liking for group sex“. Alles nicht falsch, doch ist ESCALOFRÍO dann doch deutlich zahmer, als es die Verpackung einem weismachen möchte. Die eine kurze Sexszene ist zwar einigermaßen schwül und lüstern inszeniert, doch ist Puertos Film sonst deutlich weniger vordergründig. Im Grunde erzählt er eine Geschichte, die prädestiniert scheint für eine Umsetzung innerhalb eines Episodenfilms. Der Ausgang zeichnet sich lang ab und erinnert etwas an andere Okkultismus-Schocker wie ROSEMARY’S BABY oder THE SENTINEL (es gibt noch weitere Beispiele, die mir blöderweise allesamt nicht einfallen wollen). Hinter dem Treiben Brunos und Bertas steckt ein böser Plan, dessen Erfolg bereits in dem Moment besiegelt ist, in dem Ana und Andres sich von ihnen zum Mitkommen überreden lassen. Von da an beschleunigen sich die Ereignisse für das bieder-naive Ehepaar in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale, und mit jedem ihrer Versuche, sich aus der ausweglosen SItuation zu befreien, erfüllen sie wieder nur den Plan der Satanisten.

Puertos Film ist recht atmosphärisch mit seinen bescheidenen Mitteln und so herrlich trüb und trist, wie es lustigerweise ausgerechnet die Horrorfilme aus des Deutschen liebstem Urlaubsland sind. Kein Stück blauen Himmels gibt es zu sehen, keinen Sonnenstrahl, keinen Strand und schon gar keine Palmen. Hier ist alles schwarz, grau, braun, im besten Fall mal beige. Die beiden Protagonisten sind leidlich sympathisch in ihrer bieder-durchschnittlichen Art und der Gutgläubigkeit, mit der sie sich den Fremden anvertrauen, aber gerade weil sie so völlig eigenschaftslos und jämmerlich sind, tun sie einem Leid. Wie wurstig sie sind, zeigt sich auch daran, wie bereitwillig sie plötzlich zum Äußersten greifen und diesen ihrerseitigen Gesetzesverstoß vor sich selbst rechtfertigen. Ein bisschen Gläserrücken und ein flotter Vierer werfen sie schon völlig aus der Bahn, zerstören alle ihre zuvor noch so hochgehaltenen moralischen Grundüberzeugungen. Wenn sich die Satanisten danach nicht ihrer angenommen hätten, sie hätten nach so viel Sünde beim Leibhaftigen wahrscheinlich Selbstanzeige erstattet.

Zu Beginn interviewt ein Fernsehmann eine Frau, die er als „Catherin Miles“ anspricht und die man nur von hinten sieht, auf dem Trafalgar Square in London. Man erfährt nur, dass sie Schreckliches erlebt hat, eine Gerichtsverhandlung hinter sich bringen musste, in der sie wegen zweifachen Mordes angeklagt war. Der Film blendet sogleich zurück in jene Gerichtsverhandlung irgendwo in Südamerika. Catherine Miles (Elvire Audray) entpuppt sich nun als junges, ca. 18-jähriges Mädchen, dessen Gesichtszüge Zeichen großer Belastung und Müdigkeit zeigen. Ein Anwalt stellt seine Fragen, das Mädchen erzählt. Alle begann am Amazonas, wo Catherin aufwuchs und auch heute noch immer hinfährt, wenn Schulferien sind. Ihre Geschichte ist unglaublich: Ihre Eltern wurden von eingeborenen Kopfjägern ermordet und enthauptet, sie selbst verschleppt und „eingemeindet“ …

Der von MONDO CANE-Miterfinder Franco Prosperi gescriptete SCHIAVE BIANCHE: VIOLENZA IN AMAZZONIA markiert zusammen mit Deodatos INFERNO IN DIRETTA so etwas wie den Schlusspunkt des Kannibalenfilms. Was einst als Ableger des Mondo-Films begonnen hatte und nach der provokanten Zuschauerkonfrontation eines CANNIBAL HOLOCAUST ohne weitere Umwege in den tumben Splatterspaß für Unverdrossene gemündet war, präsentierte sich in diesen beiden Werken weitestgehend geglättet und für die Bedürfnisse eines breiteren Publikums – das dann aber doch einen weiten Bogen um beide machte – aufbereitet. SCHIAVE BIANCHE ist aber noch näher am pseudodokumentarischen Stil, in dem der Kannibalenfilm seinen Ursprung hatte: Während Deodato für seinen eigenen INFERNO IN DIRETTA lediglich eine Reporterin zur Protagoistin macht, inszeniert Gariazzo seinen Film – recht unbeholfen und inkonsequent – als Dokumentarfilm über das Schicksal der fiktiven Catherine Miles, die ein Jahr lang unter Kopfjägern leben musste. Anstatt alle Register der Fake Documentary zu ziehen, sind es bei ihm lediglich ein Voice over und die genannten Szenen mit einem Reporter, die die Geschichte authentifizieren sollen. Es gibt kein Found Footage (von wem sollte das auch stammen?), die Bilder, die wir sehen, stellen ein „objektives“ Abbild der Ereignisse dar, das durch Catherines Aussagen kommentiert und bestätigt wird. Der Schachzug geht natürlich ziemlich in die Hose, weil man von Anfang an weiß, dass Catherine überleben wird und sich keine echte Spannung entfalten mag. Um das aufzufangen, bieten Gariazzo und Prosperi einen putzigen Plottwist und ein stimmungsmäßiges Umschwenken des Films auf. Da steht SCHIAVE BIANCHE dann wieder im Einklang mit der Zivilisationsskepsis eines CANNIBAL HOLOCAUST, auch wenn das hier eher der Konvention als der Überzeugung der Macher geschuldet ist.

Zwischen all dem irgendwie infantilen Splatter, dem die „transgressive“ Wirkung der auch schon dummen Lenzi-Schwarten völlig abgeht, den aus Archivmaterial zusammengesetzten Expeditionen ins Tierreich und dem Exotismus aus der Riefenstahl-Doku mutet der melodramatische Ton, den der Film erst zaghaft, dann immer stärker anschlägt, unglaublich rührend an. Man fühlt sich in alte Tarzan-Filme verschlagen, wenn Catherine und ihr Entführer Umukai (Will Gonzales) sich ineinander verlieben, die Hormone des blonden Teeniegirls beim Anblick des tumben Kopfjägers mit dem stieren Blick und dem schlecht sitzenden Haarteil in Wallung geraten, sie sowohl dem Stockholm-Syndrom als auch dem Klischee des Noble Savage erliegt und ihr älteres Selbst von der Tonspur das Offensichtliche in platte Phrasen kleidet. Die traute Zweisamkeit kann natürlich nicht nur keinen Bestand haben, sie muss auch tragisch enden, und weil wir ja schon wissen, dass Catherine ihr Abenteuer heil übersteht, ist auch klar, dass es der brave Umukai ist, der das Zeitliche segnet. Am Ende, und da schließt sich dann der Kreis, wird Catherine nämlich zur Mörderin. Es waren natürlich nicht die Kopfjäger, die ihre Eltern töteten, sondern geldgierige Verwandte, die nun die grausame Rache Catherines zu spüren bekommen. Das wiederum kann Umukai nur schlecht verknusen, denn keine Frau darf ihre Hände mit dem Blut von Menschen beschmutzen. Traurig blickt er sie an, bevor er aus dem Paddelbötchen in den nassen Freitod hüpft, sie ganz allein ohne die Liebe ihres noch jungen Backfischlebens zurücklässt. Auch heute noch denkt Catherine oft an ihren braungebrannten Dschungelkrieger, etwa wenn ihrem Sohn das Spielzeugschiff im Teich umkippt und sie gedankenverloren ins Wasser starrt. Jaja, man ahnt es nicht, was es mit einem jungen Menschen anrichtet, wenn er dem gewaltsamen Tod der Eltern mit anschließender Enthauptung beiwohnt, wenn er von Kopfjägern entführt wird, monatelang ohne Aussicht auf Rettung unter Wilden im Urwald leben muss und in heidnischen Ritualen entjungfert wird. Dieser Film zeigt, dass das kein Zuckerschlecken ist. Sollte man gesehen haben, um dieses oft unterschlagene Gegenwartsproblem endlich mit der ihm gebührenden Aufmerksamkeit zu bedenken und vielleicht ein längst überfälliges Spendenkonto einzurichten.

Wahrscheinlich war es Luchino Visconti, der 1969 mit LA CADUTA DEGLI DEI den ursächlichen Windstoß für die kurze, aber heftige Welle dessen lieferte, was heute allgemein als „Naziploitation“ bezeichnet wird. Pier Paolo Pasolinis SALÒ, Liliana Cavanis IL PORTIERE DI NOTTE und Tinto Brass‘ SALON KITTY bedeuteten danach eine mutige Verschiebung der Grenzen dessen, was innerhalb des intellektuellen Kunstfilms noch eben so akzeptabel war. Ihnen konnten dann nur noch die  offen pornografischen Tabuverletzungen von Bruno Mattei, Sergio Garrone und Konsorten folgen, die die einst künstlerisch-kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte gegen geschmacklose Schweineigeleien tauschten. Wobei man der Fairness halber sagen muss, dass sie dabei bildlich nicht allzu weit von dem abgewichen waren, was speziell Pasolini und Brass vorgelegt hatten. Sie hatten als Ursache hinter dem Nationalsozialismus einen gefährlichen Narzissmus, die Kompensierung von Minderwertigkeitskomplexen durch sexuelle Aggression und Fetischismus ausgemacht. Mattei und seine Kollegen bedienten mit ihren Filmen letztlich ganz ähnliche Bedürfnisse, allerdings weitestgehend unreflektiert. Brass erkennt in den sexuellen Ausschweifungen der Nazis die Sehnsucht nach einer Liebe, zu der sie unfähig sind, und in ihrem Drang, alles zu zerstören, was ihnen widersteht, die Reaktion auf diesen emotionalen Mangel. Der Nazi sieht alles in Machtrelationen. Weil Liebe aber im Kern demokratisch ist, muss sie ihm verwehrt bleiben.

Der stramme Nazi Wallenberg (Helmut Berger) erhält den Auftrag, systemtreue Frauen als Prostituierte auszubilden. Im Nobel-Bordell von Kitty (Ingrd Thulin) sollen sie künftig ihrer neuen Aufgabe nachgehen. Doch natürlich verfolgen die Nazis damit einen geheimen Plan: Die Prostituierten fungieren als Spitzel. Nicht nur sollen sie über jeden ihrer Kunden ein Protokoll anfertigen, ihre gemeinsamen Schäferstündchen werden ebenfalls abgehört. So bekommen die Nazis Wind von den Desertationsplänen des Piloten Hans Reiter (Bekim Femiu) und exekutieren ihn. Als Margharete (Teresa Ann Savoy) davon erfährt, die Prostituierte, die mit ihm verkehrte und sich in ihn verliebt hatte, setzt sie mit Kitty alle Hebel in Bewegung, um Wallenberg mit seinen eigenen Waffen zu schlagen …

SALON KITTY kann Brass‘ Fellini-Einfluss nicht verleugnen: Der Film ist opulent, lustvoll, prall, ausschweifend, schwelgerisch und musikalisch, bestimmt von ausdrucksstarken Gesichtern. Und natürlich körperlich: Gleich zu Beginn zeigt er in schneller Abfolge den Vortrag eines Nazi-Pathologen über Rassentheorie anhand einer Leiche, Übelkeit auslösende Bilder aus einem Schlachthaus, zwischen dessen Schweinehälften sich fette Metzger und Metzgerinnen verlustieren, schließlich die Leibesertüchtigungen der Nazi-Prostituierten und ihre anschließende Prüfung im Liebesspiel mit Lilliputanern, Krüppeln und Greisen. Es ist ein schwer zu ertragender, rauschhafter Beginn, der einen sprichwörtlich penetriert. Die Deckung ist geöffnet nach diesem Beginn, die Beine des Zuschauer sozusagen gespreizt, das Jungfernhäutchen durchstoßen. Doch die Vergewaltigung, die man erwartet, bleibt aus. Anstatt Gewalt besingt Brass im Folgenden die Freuden der körperlich-geistigen Befreiung im Sex – und im Idealfall der Liebe. Doch dieses Gefühl schlägt kaum durch. Bestimmender und prägender als die Lust, die Margarethe und Hans empfinden, die Liebe, die die Prostituierte den schrecklichen Irrtum hinter der Nazi-Ideologie erkennen lässt, ist der Blick von Wallenberg, in dem sich eine Lust spiegelt, die keine Erfüllung finden kann. SALON KITTY ist der Film über die Suche nach der Befreiung, über die Grenzen, die dabei überschritten werden, und die Hindernisse, an denen sie abprallt. In Kittys Bordell bleibt kein noch so ausgefallener Wunsch unerfüllt. Doch Befriedigung und Befriedung wollen sich nicht einstellen. Der Nazi projiziert so lange den Film einer Hitlerrede auf „seine“ Prostituierte, bis sie einen epileptischen Anfall erleidet. Wallenberg ist so besessen nach Macht, dass er seine Frau und seine Familie dafür verrät und mitleidlos Todesurteile ausspricht. Man ahnt, dass es ihm nie genug sein wird, dass er verzweifelt einem Gefühl hinterherrennt, das für ihn unerreichbar ist. SALON KITTY handelt von der totalen Entfremdung, der Entkernung des Menschen. Um sich selbst zu spüren, muss alles andere zerstört werden.

Und dann ist da noch dieses unbeschreibliche Gesicht von Teresa Ann Savoy, dominant, unterwürfig, verrucht und mädchenhaft zugleich, die perfekte Projektionsfläche für dunkelste Fantasien wie romantische Träumereien …

Es ist mir nicht möglich, unserem alten Himmelhunde-Text, der nunmehr auch schön fünf Jahre alt ist, noch Wesentliches hinzuzufügen. Ich beschränke mich deshalb auf ein paar persönliche Eindrücke.

Zunächst mal: Beeindruckend, wie Camerons Film einer ähnlich gut geölten, unaufhaltsamen Maschine gleicht, wie sie auch der titelgebende Terminator in der Darstellung Schwarzeneggers ist. Das ganze erste Drittel, in dem die drei Protagonisten strategisch in Stellung gebracht werden, ist ein Musterbeispiel ökonomischer Inszenierung. Keine Szene, kein Bild ist hier überflüssig. Wie es Cameron unter fast vollständigem Verzicht auf erklärende Dialoge gelingt, die Mission des Terminators sowie die drohende Gefahr für Sarah Connor für den Zuschauer greif- und nachvollziehbar zu machen, ist schlicht meisterlich. Weil er zwischen den beiden Konfliktparteien hin- und herschneidet, ist der Zuschauer dem Geschehen immer einen Schritt voraus. Bis zum ersten Aufeinandertreffen von Sarah, Kyle und dem Terminator steigert sich die Spannung stetig und mit eisiger Präzision. Das passt zu einem Film, der sich der dramaturgisch eigentlich undankbaren Aufgabe stellt, seine eigene inhaltliche Ausgangslage zu ermöglichen, indem er genau das erfüllt, was von Anfang an Status quo ist. „Du redest über Dinge, die ich noch nicht getan habe, in der Vergangenheit!“, sagt Sarah einmal zu Reese und bringt das Dilemma der Heldin damit auf den Punkt. Zeichnet sich der Held im klassischen Verständnis dadurch aus, dass er sich den Gegebenheiten widersetzt, sie umkehrt, selbst Geschichte, Schicksal schreibt, muss Sarah Connor lernen, das zu werden, was schon vorgezeichnet ist. Es gibt keine Freiheit für sie. Und doch vollzieht sich das Unabdingbare in THE TERMINATOR stets spontan.

Camerons Film ist supereinflussreich gewesen, seine Nachbeben spürt man noch heute im apokalyptischen Film, er prägte Schwarzeneggers Karriere wahrscheinlich wie kein anderer und erfand mit „Tech Noir“ gleich noch den Begriff, mit dem man die Verbindung von düsterer Noir-Metaphorik und High-Tech-Science-Fiction bezeichnet. Was für mich aber mehr als seine Maschinenästhetik den Geist des Films ausmacht, ist die Liebesszene zwischen Sarah und Kyle. Sie ist der Knotenpunkt, in dem die Zeitachsen zusammenlaufen, in dem der Film vom reinen Actioner zur tragisch-existenziellen Bestandsaufnahme wird. Und wenn sich der Zirkel am Schluss mit der Entstehung jenes Fotos, aufgrund dessen Kyle Reese sich in Sarah verliebt, schließt, ist das pure Magie. Ja, eigentlich ist THE TERMINATOR der Film über eine die Gesetze von Zeit und Raum aufhebende und überschreitende Liebe; eine Liebe, die ihre eigene Verwirklichung gegen jede naturwissenschaftliche Wahrscheinlichkeit erzwingt und im Vollzug die Grundlage für ihre eigene Existenz erneut schafft. In dem Moment, in dem Sarah und Kyle sich in der Gegenwart vereinigen und ihren Sohn zeugen, gewährleisten sie, dass sie sich „wiedertreffen“ (weil John Kyle ja aus der Zukunft in die Vergangenheit – Sarahs Gegenwart – schickt). In einer Zeitschleife erleben sie jene kurzen friedlichen Stunden der Intimität, in denen sie allein sind und der Terminator noch weit weg, in denen sie ihr Schicksal annehmen und die ihnen zugedachte Aufgabe erfüllen, bis in alle Ewigkeit.

Mit Adam Sandler widme ich mich derzeit einem Komödianten, der in den USA viel Häme und Verachtung für seine Filme erntet. Noch deutlich schlechter kommt sein ehemaliger Stand-up-Kollege und Freund Rob Schneider weg. Zugegeben: Der glubschäugige Schneider hat mit Komödie wie DEUCE BIGALOW, THE ANIMAL, DEUCE BIGALOW: EUROPEAN GIGOLO, THE HOT CHICK oder BIG STAN nicht gerade High Art fabriziert, sondern sich immer wieder mit Lust und Verve in die von Zoten, Pimmel- und Herrenwitzen durchsetzten Comedyniederungen begeben (wenn er nicht gerade den nervenden Comic Relief in Actionfilmen wie JUDGE DREDD oder KNOCK OFF gegeben hat), aber ich kann daran noch nichts per se Verwerfliches finden. Am Ende zählt meiner Meinung nach einzig und allein das Ergebnis und über THE HOT CHICK kann ich nur sagen, dass ich einige Male herzhaft gelacht habe, Rob Schneiders Darbietung als zickiges It-Girl wunderbar fand und den Film keineswegs so dumm, wie man anhand der Prämisse vielleicht vermuten durfte. Wie die Sandler-Filme auch ist THE HOT CHICK keineswegs ein Film, der mit dem Finger auf Minderheiten zeigt und sich wegschreit, sondern einer, der die ganze Blödheit von Heteronormativität und Spießertum bloßstellt.

Jessica (Rachel McAdams) ist eine typische High-School-Königin: Blond, hübsch (aber enthaltsam), Cheerleaderin und Anführerin ihrer Clique, heiße Kandidatin für den Titel der Prom-Queen, beliebt bei denen, die sich in ihrem Licht baden können, aber mit Inbrunst verachtet von allen anderen. Durch ein Missgeschick mit einem magischen Ohrring findet sie sich eines morgens unversehens im Körper einen nichtsnutzigen Kleinkriminellen (Rob Schneider) wieder, während der fortan im Körper der attraktiven Blondine die Straßen unsicher macht. Für Jessica geht es nun darum, herauszufinden, wie es zu ihrem „Missgeschick“ kommen konnte, um so einen Weg zurück in ihren echten Körper zu finden. Währenddessen findet ihre beste Freundin April Gefallen am neuen Aussehen von Jessica …

Körpertausch-Komödien haben immer einen „transgressiven“ Charakter: Die Tauschenden sind unterschiedlichen Alters, Geschlechts oder sozialer Herkunft und dürfen für kurze Zeit die andere Seite der Medaille kennenlernen. Am Ende haben sie dann ihr Spektrum erweitert, gelernt, dass das Gras auf der anderen Seite auch nicht grüner ist, und herrschende Vorurteile abgebaut. Die zuvor noch unvereinbar gegenüberstehenden Gegensätze sind sich ein Stück näher gekommen. Das ist aber nicht das, was in THE HOT CHICK passiert, denn er konzentriert sich ausschließlich auf die Frau im Mannskörper und darauf, wie die mit der neuen Situation umgeht. Es geht nicht darum, Männer und Frauen miteinander zu versöhnen, sondern sie mit Homosexualität zu konfrontieren. Natürlich bietet The HOT CHICK in erster Linie Rob Schneider eine Plattform für seine Albereien, nutzt begeistert die Gelegenheit, ihn in superenge pinkfarbene T-Shirts zu stecken, ihn im Girlie-Slang reden oder verweichlichte Gesichter ziehen zu lassen. Und weil Schneider viel Spaß daran zu haben scheint, diese Drehbucheinfälle in die Tat umzusetzen, er einfach eine umwerfend komische Figur als Frau macht, trifft THE HOT CHICK meist mitten ins Schwarze. Aber hinter der grellen Wackiness verbirgt sich ein durchaus aufklärerischer Impetus. So sehr der Film seine Lacher daraus bezieht, dass sich ein Mann, der noch dazu ausieht wie Rob Schneider eben aussieht, benimmt wie ein It-Girl: Letztlich gehen die Lacher nicht auf Kosten der Gayness, sondern auf Kosten jener, die sich von ihr angegriffen oder irritiert fühlen. Klassische Männlichkeitsideale werden umgeworfen: Die ganzen harten Heteros kriegen ihren Denkzettel, klassische Beziehungsbilder und Rollen werden über den Haufen geworfen. Das kulminiert am Ende darin, dass April mit Jessica zum Abschlussball geht, ihrer besten Freundin – die nun den passenden mänlichen Körper hat – ihre Liebe gesteht und ihr eine Beziehung anbietet. So viel Gender-Progressivität hatte ich von einem Rob-Schneider-Film definitiv nicht erwartet. Super!

billy madison (tamra davis, usa 1995)

Veröffentlicht: Juli 24, 2013 in Film
Schlagwörter:, , ,

Mit BILLY MADISON begann die Kinokarriere Adam Sandlers, auch wenn es nicht sein erster Film und noch nicht einmal seine erste Hauptrolle war. Bereits 1989 agierte er als Hauptdarsteller in GOING OVERBOARD, nachdem er zuvor zwei Jahre lang zur Besetzung der COSBY SHOW gehört hatte. (GOING OVERBOARD wird auf der IMDb mit desaströsen 1,9 Punkten abgespeist, klingt aber für mich allein schon deshalb interessant, weil er Burt Young als „General Noriega“ aufbietet.) Über den Umweg als Stand-Up-Comedian und ein Engagement bei Saturday Night Live, zu dessen Ensemble er von 1990 bis 1996 gehörte, landete er schließlich doch noch in Hollywood. Mit diversen Gastauftritten und Nebenrollen in Filmen wie SHAKES THE CLOWN, THE CONEHEADS, AIRHEADS oder MIXED NUTS erarbeitete er sich die Chance auf einen weiteren Film, BILLY MADISON eben, der ihm den Weg als  gleichermaßen erfolgreicher wie auch umstrittener Komödiant ebnen sollte.

Billy Madison ist der einzige Sohn eines millionenschweren Hotelbesitzers und als solcher konnte er sich stets ohne echte Anstrengung durchs Leben mogeln. Wann immer es Probleme gab, ließ der Papa seine Beziehungen spielen, in der Hoffnung, sein Sohn möge irgendwann lernen, selbst die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. In der Gegenwart erweist sich diese Hoffnung als vergebens: Billy gammelt den lieben langen Tag herum, säuft und genießt es, anderen Menschen mit seinem eigenartigen vor den Kopf zu stoßen. Als es für den Vater an der Zeit ist, seinen Nachfolger anzulernen, fällt seine Wahl demzufolge nicht auf Billy, sondern den schmierigen Eric (Bradley Whitford). Weil Billy seinem Vater beweisen will, dass er nicht vollkommen nutzlos ist, schlägt er ihm einen Deal vor: Wenn es ihm gelingt in 12 Wochen alle Schulklassen bis zum High-School-Abschluss zu durchlaufen, wird er sein Nachfolger …

Wie es bei Debüts – als solches werte ich den Film jetzt einfach mal – nicht ganz unüblich ist, verfügt BILLY MADISON noch über einige unschöne Ecken und Kanten, die in der Folge sauber abgeschliffen werden sollten, beinhaltet aber bereits zahlreiche Elemente der später weiter verfeinerten Sandler-Persona. Wie auch die nachfolgenden HAPPY GILMORE, THE WATERBOY und LITTLE NICKY trägt BILLY MADISON stärker als spätere Sandler-Filme noch die Zeichen eines SNL-Spin-offs. In ihrem Zentrum steht jeweils eine exzentrische Figur, die Sandler mit seinen typischen Manierismen verkörpert. Der Plot bietet immer wieder Raum für kleine Improvisationen und „Nummern“, kurze Sketche, die den Flow des Films je nach Perspektive auflockern oder hemmen. BILLY MADISON wird so zum Hit-and-Miss von gelungenen und missratenen Einfällen. Zusammengehalten wird es aber von Sandlers kindlichem Gemüt, seinem großen Herz und seinem rebellischen, aufmüpfigen Impetus. Vor allem in diesen frühen Filmen schwankt Sandler stetig zwischen extremen Gegensätzen: „Asozialer“ Prolet – im Sinne eines ungebändigten, von gesellschaftlichen Normen nicht tangierten Individualisten – auf der einen, gutmütiger Gefühlsmensch auf der anderen Seite. Sandlers Methode lässt sich mit der eines Hofnarren vergleichen: Dem ernsten, sachlichen Gebaren der „Erwachsenen“ setzt er Chaos und Anarchie entgegen und erinnert sie so an an die Absurdität ihres Treibens. Gleichzeitig verbündet er sich mit den Schwachen und Machtlosen, bestärkt sie in ihren Eigenschaften und fordert sie zum Individualismus heraus. Natürlich muss auch Sandler in jedem Flm etwas lernen, er darf nicht einfach nur Chaot bleiben, sondern seine Qualitäten sinnvoll einzusetzen lernen. Er muss seine zersetzerische Kraft in geordnete Bahnen lenken, um ihre Wirkung zu potenzieren. So ist der Ausgang des Film zwar sehr erwartbar und nur wenig überraschend, folgt er doch sklavisch dem Muster der Hollywood-Komödie, die ihre Protagonisten am Schluss als geläutert zeigen muss. Die Fronten sind klar: der kindliche, gutmütige Billy gegen den karrieristischen Eric, der am Ende im Kräftemessen gegen den Konkurrenten ausgerechnet im Fach Wirtschaftsethik scheitern muss, während Billy das Erbe und die heiße Grundschullehrerin einstreicht. Und was er gelernt hat, das wird nicht nur MIttel zum Zweck gewesen sein, sondern selbst der Zweck: Sein Wissen will Billy künftig als Lherer vermitteln.

Das liest sich auf dem Papier womöglich schrecklich, doch BILLY MADISON ist trotz genannter Unebenheiten ein sehr schöner Film. Das Herz Sandlers schlägt für die Underdogs und selbst wenn sie am Ende in die gesellschaftliche Normalität überführt werden, ihnen ein Stück ihrer Sorglosigkeit genommen wird, so dürfen sie im Kern doch sie selbst bleiben. Das gilt für Billy Madison wie für Sandler, der seit diesem Film vor allem ein Stück erwachsener geworden ist. Hier wird noch kräftig gesoffen, in GROWN UPS erlaubt er sich nur ein zaghaftes Bier, schließlich warten am nächsten Morgen die Kinder. Sandler-Verächter werden die Stirn runzeln, aber das ist an seinem Schaffen wirklich beeindruckend und bemerkenswert: Wie er über 20 Jahre eine Figur dermaßen kontinuierlich entwickelt hat, sodass seine Filme wie Momentaufnahmen eines Lebens erscheinen.

O! say can you see
by the dawn’s early light,
What so proudly we hailed
at the twilight’s last gleaming,
Whose broad stripes and bright stars
through the perilous fight,
O’er the ramparts we watched,
were so gallantly streaming?
And the rockets’ red glare,
the bombs bursting in air,
Gave proof through the night
that our flag was still there;
O! say does that star-spangled
banner yet wave,
O’er the land of the free
and the home of the brave?

So lautet die erste Strophe der US-amerikanischen Nationalhymne, „The Star-Spangled Banner“, die Thomas Scott Key im Jahre 1814 verfasste. Bei den Kriegshandlungen, die er mit so seltsam blumigen Worten beschreibt, handelt es sich um den Britisch-Amerikanischen Krieg, der von 1812 bis 1814 tobte. Genauer bezieht er sich auf die Nacht vom 13. auf den 14. September, als die britische Marine Fort McHenry im Hafen Baltimores unter schweren Beschuss nahm. Seine Ode an die amerikanische Flagge, jenen Star-spangled Banner eben, drückt die Freude des Dichters darüber aus, dass eben jene am Morgen nach den beschriebenen Angriffen noch immer über dem Fort wehte, die USA also nicht vor den Briten kapituliert hatten. Die Formulierung „Twilight’s last gleaming“, der Aldrichs Film seinen Titel verdakt, bezieht sich im Kontext der Hymne zunächst auf nichts anderes als den vorangegangenen Abend: Am Vorabend wehte die Flagge noch, aber auch im Morgengrauen („The dawn’s early light“) ist sie noch zu sehen. Als Titel von Aldrichs Film nimmt sie natürlich eine weitere, apokalyptischere Ebene an: Nicht bloß die vergangene Dämmerung ist gemeint, jene Dämmerung also, in der mit den USA noch alles in bester Ordnung war, seine Werte noch Bestand hatten, noch kein Fremder sie korrumpiert hatte, sondern tatsächlich die letzte Dämmerung, in der also die Welt, so wie wir sie kennen, untergehen wird. Beide Lesarten verschränken sich in Aldrichs Film zu einer wenig freudigen Bestandsaufnahme.

Der in Ungnade gefallene Ex-General Lawrence Dell (Burt Lancaster) bricht mit drei Häftlingen aus dem Gefängnis aus und erobert ein Atomraketensilo in Montana, an dessen Konstruktion er selbst beteiligt war. Er bringt die Raketen, die allesamt auf Ziele in der Sowjetunion gerichtet sind, in seine Gewalt und wendet sich mit seinen Forderungen an den US-Präsidenten Stevens (Charles Durning), einen volksnahen Mann. Er will nicht nur 10 Millionen Dollar, sondern auch die Veröffentlichung von Geheiminformationen über den Vietnamkrieg aus einer Sitzung, an der Dell einst selbst beteiligt war. Das Volk soll über die wahren Hintergründe des Krieges aufgeklärt und nicht länger getäuscht werden …

Dell nimmt in Aldrichs Film gewissermaßen die Rolle des Patrioten Thomas Scott Key ein. Doch dessen unbändige Freude über das Wehen der amerikanischen Flagge ist bei Dell der Ettäuschung darüber gewichen, dass die Werte, die sie einst repräsentierte, bereits hoffnungslos augehöhlt sind. Das Volk wird belogen und mutwillig getäuscht, die Politik verfolgt nur noch die eigenen schmutzigen Ziele, Idealisten wie er werden aus dem Weg geräumt und öffentlich zerstört. Wenn das Land sowieso schon ruiniert ist, es sein „last gleaming“ eigentlich bereits erlebt hat, dann kann man es auch ganz zerstören, es in einem grellen Feuerball – ebenfalls einem „letzten Glimmen“ also – untergehen lassen. Oder ihm eben mit diesem Ende drohen, um es wieder zur Besinnung zu bringen. Tatsächlich findet Dell in Präsident Stevens einen Verbündeten, der nach dem Studium jener Geheimakten, deren Inhalt Dell veröffentlicht sehen will, beschließt, dass die Zeit für einen Paradigmenwechsel in der Politik gekommen ist, sie sich wieder als Diener des Volkes begreifen muss, nicht als sein Gegner. Doch weder Dell noch Stevens haben damit gerechnet, dass solche Entscheidungen längst nicht mehr von einzelnen Personen abhängen. Dass auch der Präsident nur noch eine Sockenpuppe ist, die gegebenenfalls aus dem Weg geräumt wird, wenn sie das Spiel, über dessen Regeln stillschweigende Einigkeit besteht, nicht mehr mitspielen will. „Twilight’s Last Gleaming“, das Ende der Welt, bleibt am Ende aus. Aber jenes andere letzte Glimmen, jenes, das vom Ende Amerikas als einem freiheitlichen Staat des Volkes kündet, ist nicht mehr zu leugnen.

TWILIGHT’S LAST GLEAMING erschien in Deutschland in einer rund 25 Minuten kürzeren Schnittfassung, die seit einiger Zeit auch auf Blu-Ray erhältlich ist. Es handelt sich nicht im eigentlichen Sinne um eine geschnittene, sondern lediglich um eine alternative Fassung, dennoch meine ich, dass man dem Film die fehlenden Passagen ungut anmerkt. Es mag vielleicht auch daran liegen, dass ich TWILIGHT’S LAST GLEAMING wieder einmal in zwei Etappen geschaut habe, aber ich meine, dass sein Rhythmus einfach nicht stimmt: Nach überproportional viel Aufbau und einem nur kurzen Mittelteil folgt dann recht abrupt das Finale. Die Motivationen der beiden Protagonisten bleiben dabei leider etwas schwammig. Sie verkommen zu Sprachrohren einer Botschaft, werden als Menschen nicht wirklich greifbar. Hinzu kommt die Statik des Films. Aldrich kehrt zu der kammerspielartigen Form von THE BIG KNIFE, THE LEGEND OF LYLAH CLARE oder auch THE KILLING OF SISTER GEORGE zurück, siedelt die Handlung bis auf wenige Ausnahmen in zwei abgeriegelten Innenräumen ab. Das ist insofern konsequent, als es ja gerade darum geht, dass global bedeutende Entscheidungen unter völligem Ausschluss jener Öffentlichkeit, die von ihnen in erster Linie betroffen ist, gefällt werden. Dass Aldrich diese Statik dann aber durch den Einsatz von Splitscreens auflöst, ist ein zweifelhafter Schachzug und im Gegensatz zu THE LONGEST YARD auch ästhetisch nur mäßig überzeugend gelungen. Lediglich in einer Sequenz, als eine Zündung der Raketen erst in letzter Sekunde abgewendet wird, erfüllt sie eine erzählerische Funktion, bietet sie einen echten Mehrwert. Ansonsten scheint sie lediglich ein gimmickhafter Ersatz für die ungleich weniger Aufmerksamkeit heischende Paralellmontage. Nein, ich fand TWILIGHT’S LAST GLEAMING unangenehm steif, unelegant und irgendwie leer. Vielleicht revidiere ich meine Meinung nach einer weiteren Sichtung (dann am Stück). Bis dahin behalte ich ihn vor allem wegen seines deprimierenden Endes, der kreativen Titelgebung und der schönen Besetzung – neben den Genannten agieren Richard Widmark, Joseph Cotten, Melvyn Douglas, Paul Winfield, Burt Young, Aldrich-Regular Richard Jaeckel sowie William Smith und BLACULA-Hauptdarsteller William Marshall – in einigermaßen guter Erinnerung. Schade, ich hatte mich so auf den Film gefreut.

Um den Text zu diesem Film drücke ich mich jetzt seit einigen Tagen. Das hat etwas mit der derzeit herrschenden Hitze zu tun, die jede kontemplative Tätigkeit zu einem wenig befriedigenden Unternehmen macht, aber auch damit, dass ich nicht so recht weiß, wie ich TINKER TAILOR SOLDIER SPY anfassen soll. Auf Facebook habe ich mich via Verweis auf Rajko Burchardt zum Urteil „Meisterwerk“ hinreißen lassen – blöderweise noch bevor ich den Film tatsächlich zu Ende gesehen hatte. Nicht, dass ich ihn nicht immer noch ausgezeichnet fände; aber die ganz große Begeisterung, die die erste Dreiviertelstunde bei mir ausgelöst hatte, ist durch das leicht erklärbärige letzte Drittel des Films etwas abgeschwächt worden. TINKER TAILOR SOLDIER SPY ist klassisches Erzählkino. Darin ist er zwar weitaus besser, weil subtiler, geschmackvoller und stilsicherer, als andere Filme dieses eher konservativen Schlags, aber leider lässt er den Mut, dramaturgische Zwänge und narrative Klischees zugunsten einer neuen, befreiteren Perspektive aufzugeben, den er zunächst noch aufbringt, am Ende vermissen.

TINKER TAILOR SOLDIER SPY ist ein in den Siebzgerjahren – mitten im Kalten Krieg also – angesiedelter Agentenfilm. Er handelt von britischen Geheimagenten, von ihren Versuchen, Informationen über die Unternehmungen der Russen zu gewinnen, um mit diesen Informationen wiederum die Amerikaner zu ködern. Und er handelt von den sich unweigerlich einstellenden Problemen: von Doppelagenten, gescheiterten Missionen, unbekannten Maulwürfen, Deserteuren und Verrätern, von Akten, angeblichen – möglicherweise gefälschten? – Beweisen und Verhören, von strategischen Täuschungsmanövern, internen Machtkämpfen, persönlichen Eitelkeiten und Karriereplänen. Und letztlich von einer enorm paranoiden, klaustrophobischen Zeit, in der Menschen ihre Identität für ein abstraktes Konzept von Staat, Nation und den damit assoziierten Werten vollkommen aufgaben – und damit anscheinend sogar glücklich waren. Anscheinend.

Tomas Alfredson, der zuvor den tollen LÅT DEN RÄTTE KOMMA IN gedreht hatte, eine unterkühlte skandinavische Alternative zum etwas später zu Popularität gelangten TWILIGHT-Franchise, fängt in graubraunen Bildern die Tristesse eines Jobs ein, der sonst üblicherweise in schillernden Farben gezeichnet wird. Die Bondfilme und ihre Epigonen stilisierten den Geheimagenten zum mondänen, virilen Superhelden im feinen Zwirn, der Superschurken mit Weltbeherrschungsfantasien zur Strecke bringt und dazu exotische Schauplätze bereist, an denen ihn alkoholische Drinks en masse und willige Frauen mit Luxuskörpern erwarten. Aber selbst in der etwas realistischeren Variante ist er immer noch ein fescher Kerl mit Superausbildung, sein Job ein Abenteuer weit jenseits dessen, was man sich als „Alltag“ vorstellt. In TINKER TAILOR SOLDIER SPY hingegen streiten sich ältere Herren mit angegrauten Haaren und eingefallenen Gesichtszügen in tristen Büros darüber, welcher Information man wieviel Glauben beimessen sollte. Sie schicken Männer für Daten in den Tod, deren Inhalt sich dem Zugriff entzieht. Und die Spione, die in Istanbul, Budapest, Paris oder Moskau eingesetzt werden, sind die unzuverlässigen Sonderlinge, immer in Gefahr, bei einem lukrativen Angebot zum Überläufer zu werden: die Lohnarbeiter des Geheimdienstes. Seine Seele wohnt in einem unscheinbaren, als Lagerhau getarnten Gebäude und die Gehirne hinter jenen Operationen, an denen der Weltfrieden hängt, sind Beamte, durch und durch britisch und mit Leib und Seele dem Erhalt dessen verpflichtet, was sich hinter diesem Attribut ihrer Meinung nach verbirgt. Es ist ein spießiges, freudloses Milieu.

Die Nostalgie, die der „Zeitenwendenfilm“ sonst aufbringt, weil er ahnt, dass das Neue nicht unbeidngt besser sein wird, erhält hier einen dezidiert konservativ-reaktionären Einschlag. Der reaktivierte Geheimdienstler George Smiley (Gary Oldman), der einen Maulwurf in den eigenen Reihen ausfindig machen soll und dafür gegen seine alten Kollegen, die ihn aus dem Job gedrängt hatten, ermittelt, wacht morgens in seiner geschmackvoll eingerichteten, aber auch dunklen und düsteren britschen Wohnung auf. Er ist ein zurückhaltender, stiller Mann, unscheinbar und grau, ein perfekter Staatsdiener. Und als solcher steht er in krassem Kontrast zu den karrieristischen Konkurrenten, die immer wieder beschwören, dass sich die Zeiten nun einmal geändert haben, dass kein Platz mehr für Männer wie Smiley ist. Es fügt sich nahtlos ins Bild, dass die Homosexualität zweier Agenten am Ende den Fehler im System erzeugt. Für ein Privatleben ist kein Platz und für eines neben der Norm schon gar nicht. Der Triumph Smileys, des akribischen Denkers, der am Ende mit zufriedenem Lächeln an der Spitze des „Circus“ , des britischen Geheimdienstes, Platz nehmen darf, nachdem er zuvor aussortiert worden war, ist ein Sieg des Patriotismus über den Opportunismus, einer der Werte über die bloße Ökonomie, aber so richtig freuen mag sich der Zuschauer darüber nicht. Zu verschlossen, zu zynisch, zu abgebrüht und emotionsarm ist seine Branche, als dass man ihr etwas Positives abgewinnen könnte. „It was a good time back then.“, sagt eine ebenfalls entlassene Kollegin Smileys bei der Betrachtung alter Erinnerungsstücke aus vergangenen Tagen verträumt. „It was a war, Connie.“, antwortet Smiley, die rätselhaften Wege der Nostalgie bloßlegend. Der Kalte Krieg hat die klare Zuordnung von Werten unmöglich gemacht und die Frontlinie, an der die Geheimdienste angeblich kämpfen, ist durchlässig geworden. Mit ihrem an ein Kinderspiel erinnernden Geheimjargon – der Feind, der KGB, heißt nur „Karla“ – und dem Ringen um Informationen, deren Gehalt genauso unbestimmt bleibt wie ihr Zweck im Gesamtzusammenhang, präsentiert sich der Geheimdienst als hermetisch abgeriegeltes System, das vor allem einem Zweck dient: Männer zu beschäftigen, die für die normale Welt verloren sind.

TINKER TAILOR SOLDIER SPY ist erlesen fotografiert und ausgestattet wie ein Historienfilm. Er macht die Zeit, in der die Angst vor dem Feind ungleich größer war als die tatsächliche Bedrohung, in freudlos symmetrischen Bildern greifbar und untermalt sie mit gediegenem Jazz, der die disziplinierte Präzision aller Handlungen akzentuiert. Die Darsteller verbergen ihre Gesichter hinter grauen Masken: Sie spielen zwanghafte Charaktere, die es gelernt haben, sich hinter einer Fassade der Stärke und Unnahbarkeit zu verstecken. Sie sind alleamt perfekt besetzt, aber es ist wieder einmal Gary Oldman, der allen die Schau stiehlt. Das ist man von ihm seit den Neunzigerjahren, als er der Liebelingsakteur für grelle Bösewicter war, zwar gewöhnt, doch heute gelingt ihm das mit auffallend unspektakulären Rollen, die eine Facette an ihm zeigen, die man ihm nicht zugetraut hatte. Man vergleiche seinen George Smiley (oder seinen Commissioner Gordon aus THE DARK KNIGHT und THE DARK KNIGHT RISES) mit dem bedreadlockten Zuhälter aus TRUE ROMANCE und mache sich klar, dass es sich hier tatsächlich um ein und denselben Schauspieler handelt. Die ausgesprochene Kultiviertheit der Oberfläche von TINKER TAILOR SOLDIER SPY lädt aber auch zur Kritik ein. Alfredsons Film ist vielleicht ein wenig selbstverliebt, zu berauscht von seiner eigenen Kunstfertigkeit, zu bemüht darin, immer wieder neue elegante Bilder der Tristesse zu malen. Der Film ist ein wenig zu streng und erliegt dann am Schluss, wie schon erwähnt, den Anforderungen der Handlung, anstatt einfach nur Stimmungsbild zu sein. Dann aber handelt er natürlich genau davon: Von Menschen, die in ein Korsett gezwängt werden, in dem sie sich erstaunlich wohl fühlen …