Dieses Blog ist oft ein Ort der Klage: über das zeitgenössische Kino, das kein Ort der Magie mehr ist, über Hollywood-Filme, die nur noch Produkte sind, über ein Publikum, das sich nicht mehr verzaubern, sondern nur noch bedienen lassen will. Und nimmt man diese Klagen zusammen, so kommt man schnell zu dem Schluss: Unsere Zeit ist schlecht. Diese Haltung hat ihre Berechtigung, aber sie verkennt auch, dass sich dem Filmfreund heute immer noch Möglichkeiten bieten, die aufgrund ihrer Seltenheit umso schöner, und Menschen, die diese Möglichkeiten suchen, grundsätzlich liebenswert sind.
Als Sebastian Selig, seinerseits ein geschätzter Kollege, vor ein paar Wochen über Facebook den Termin einer 3D-Vorführung von ANDY WARHOLS FRANKENSTEIN in Zürich verbreitete, war mein spontaner Gedanke: Da muss ich hin. Über meine persönliche Beziehung zu und meine Liebe für den Film habe ich schon einmal geschrieben, die Vorstellung, ihn in einer 3D-Kopie auf der Leinwand zu sehen, war verlockend – zumal nicht klar ist, wie oft sich diese Gelegenheit noch bieten wird. Und dafür knapp 600 Kilometer nach Zürich zu fahren, trug zum Reiz nicht unerheblich bei. „Lass uns mal was Bescheuertes machen“, eröffnete ich meiner Gattin das Angebot, das sie hoffentlich nicht ablehnen würde: am Freitag nach der Arbeit nach Zürich zu fliegen, am Samstagabend ins Kino zu gehen und am Sonntag die Heimreise anzutreten. Und weil sie die Idee zum Glück genauso gut fand wie ich, waren wir kurze Zeit später im Besitz der Flugtickets, eines Hotelzimmers und der Kinokarten. Die Freude potenzierte sich, als wir erfuhren, dass einige Bekannte ähnlich viel Lust hatten, nach Zürich zu fahren und dafür ähnlich viel Aufwand zu betreiben bereit waren.
Das Schöne am Bloggerleben ist ja nicht zuletzt, dass man darüber unweigerlich mit Gleichgesinnten zusammenkommt. Menschen, die man nicht kennt, werden plötzlich zu Bekannten, mit denen man sich schriftlich austauscht und die mit zunehmender Zeit immer wichtiger werden. Auch wenn man manchmal keine Ahnung hat, wie diese Menschen aussehen, wie sich ihre Stimmen anhören oder was sie abseits ihrer virtuellen Persönlichkeit sonst noch so umtreibt, sind sie doch so etwas wie Freunde. Es ist ein Klischee geworden, sich über Facebook aufzuregen, darüber zu lästern, das dort nur Unsinn und Banalitäten gepostet werden. Ich für meinen Teil stehe über Facebook in Kontakt zu tollen Menschen, die viel Energie und Leidenschaft in ihre große Liebe „Film“ stecken und dabei spannende Projekte anstoßen – an denen ich dann manchmal sogar teilhaben darf. Ich wollte nie wirklich Teil einer Jugendbewegung sein, aber seit einigen Monaten habe ich wirklich das Gefühl, mit dem, was ich hier seit ein paar Jahren mache, irgendwo hin zu kommen, zu einer lebendigen und wertvollen „Szene“ zu gehören, zu der ich mit meiner Stimme etwas beitragen kann. Und es wäre krass gelogen, wenn ich behauptete, das nicht zu genießen. Als ich anfing, mein Filmtagebuch erst bei Filmforen und dann hier zu führen, habe ich das in erster Linie für mich gemacht, weil ich Spaß an Filmen und am Schreiben habe, aber natürlich wollte ich gelesen und gemocht und am besten reich und berühmt werden. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal Essays zu Büchern würde beisteuern können, oder dass Menschen, die mich gar nicht kennen, meine Texte lesen, weil es meine Texte sind und dann auch noch sagen, dass ich ihnen eine Zugang eröffnet, ihre Sichtweise geprägt oder ihnen einen Film nahegebracht hätte. Das ist ein Traum, ganz ehrlich.

Deutsche Filmliebhaber unter sich: Hofbauer-Kommandanten, eskalierende Träume und der Bloginhaber diskutieren in der Bildmitte angeregt über das soeben Gesehene. Im HIntergrund das xenix-Kino in Zürich.
Lange Rede, kurzer Sinn. Neben dem Initiator Sebastian Selig kündigten sich auch einige der Köpfe hinter dem Blog Eskalierende Träume an, die zuletzt mit der Ausrichtung des Hofbauer-Kongresses für seismologisches Aufsehen unter den Freunden des außergewöhnlichen Films gesorgt haben (ich habe mir erklären lassen, dass die Gleichsetzung des Blogs mit dem Kongress so nicht haltbar ist, aber das soll hier nicht der Ort für konplizierte Origin-Storys sein). Und so wurde die Privatreise nach Zürich im Wortsinn zu einer kleinen deutsch-cineastischen Grenzüberschreitung und Kontaktaufnahme, mit dem Resultat, dass die schon virtuell vorhandene Sympathie auch von Angesicht zu Angesicht Bestand hatte. (Wer das noch nie gemacht hat: Es ist immer auch etwas unheimlich, Menschen, die man zuvor nur als Buchstaben neben einem Profilfoto erlebt hat, plötzlich leibhaftig gegenüberzustehen. Aber bislang habe ich eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht.) So brachte der Abend auch die Erkenntnis, dass jemand, der Hunderte von Kilometern zurücklegt, um eine vierzig Jahre alte italienische Splattersexhorrorkomödie zu sehen, per se kein schlechter Mensch sein kann.
Zum Film habe ich ja schon einmal ausführlich geschrieben. Ich will heute nur noch zufügen, dass mir das 3D dabei geholfen hat, zu erkennen, wie wunderschön er tatsächlich ist. Natürlich lebt er nicht unerheblich von Udo Kiers und Arno Juergings ungalublichem Overacting, dem grellen Humor und den superkruden Splattereffekten. Aber Paul Morrissey ist es außerdem gelungen, eine einzigartige Atmosphäre der Dekadenz und der sexuellen Repression zu kreieren, die schlicht perfekt für den bekannten Stoff ist. Der perverse Charakter von Frankensteins Experimenten ist vielleicht nie so gut wie hier herausgearbeitet worden und das Laborsetting halte ich ebenfalls für kongenial. Dabei erhält der Film durch die Integration der beiden Kinder Frankensteins eine unleugbar tragische Ebene, die durch den wunderschönen Score von Claudio Gizzi noch untermalt wird. Für mich ohne Frage ein 10-Punkte-Film. Und ich glaube, das sahen alle Beteiligten ganz genauso.
Ich danke Christoph, Andreas, Sano, Marian und Benjamin für einen schönen Abend und meiner Gattin dafür, dass sie den Spaß mitgemacht hat (sowie der netten Kassiererin, die den betriebenen Aufwand mit der Berechnung des Studententarifs belohnt hat). Außerdem hoffe ich, dass Sebastian, der leider in letzter Sekunde die Segel streichen musste, den Schmerz verkraften wird. Ich freue mich darauf, euch hoffentlich alle im September wiederzusehen!
Und sonst: Zürich ist eine wunderschöne Stadt, die man besuchen sollte, wenn man die Gelegenheit hat. Meine Befürchtung, es sei dort spießig und furchtbar langweilig, warvollkommen unbegründet: Überall tummelten sich junge Leute in zahlreichen netten Restaurants, Cafés und Kneipen, die Atmosphäre war ungezwungen und locker. Etwas weniger schön sind allerdings die Schweizer Preise: Wenn man Essen gehen will, muss man ungefähr das Doppelte von dem bezahlen, was man hierzulande berappen würde. Und selbst wenn man sich mit einem Döner auf die Kralle begnügt, legt man dafür umgerechnet noch locker 10 Euro hin. Unser kleines Abenteuer war mithin auch ein recht kostspieliges. Aber wer will nach einem solchen Erlebnis wirklich über Geld reden?