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final exam (jimmy huston, usa 1981)

Veröffentlicht: September 30, 2013 in Film
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Ich weiß nicht, warum ich Slasherfilme so mag. Das heißt: Eigentlich weiß ich schon, warum ich sie mag. Was ich weniger verstehe ist, warum ich sie mir anschaue – mit 37 Jahren immer noch und vor allem immer wieder. Einst, in den unschuldigen Teenagerjahren, da verhießen die FRIDAY THE 13TH-Filme, die ich erst aus ausladenden Schulhofberichten hartgesottener Schulkameraden, die diese in meiner Vorstellung unübertrefflich furchteinflößenden Machwerke sehen durften und konnten, und dann aus den umfangreichen Reportagen in der Fangoria im örtlichen Comicladen kannte, Nervenkitzel, Tabubrüche (die ich so natürlich noch nicht benannte), Verbotenes. Die ersten Sichtungen waren beinahe Mutproben, bei denen ich mir richtig verwegen vorkam, auch wenn nur die deutschen, zum Teil geschnittenen Versionen zur Hand waren – oder, im Falle von Teil 3 und 4, auch nicht. Danach war ich dann Slasherfan, weil die Filme ohne Umwege das zusammenbrachten, was mich interessierte: einen coolen Killer mit fieser Maske und großem, die Kreativität anregenden Waffenarsenal, blutige Morde und ein bisschen Sex. Die unschuldige Begeisterung für das zynische Konzept ist geblieben, aber sie wird heute immer häufiger durch die Filme getrübt. Die Sorgen und Nöte der jugendlichen Opferschar gehen mir mittlerweile meilenweit am Arsch vorbei, die 13.459te Enthauptung ist einfach nicht mehr so schön wie die ersten 100. Der Arbeitsalltag, die Tochter und die sich durch diese Kombination ergebende Müdigkeit lassen am Abend Platz für einen Film, während ich früher von Schulschluss bis Zubettgehen durchglotzen konnte, und ein Langweiler stößt demzufolge nicht mehr auf ganz so viel Gnade wie früher. Aber auch, wenn ich mit FINAL EXAM – einem „slasher classic“ wie das DVD-Cover verheißt – nach GRADUATION DAY nun schon den zweiten veritablen Stinker gesehen habe, freue ich mich diebisch darauf, heute Abend NEW YEAR’S EVIL nachlegen zu können. FINAL EXAM ist dabei ein ganz gutes Beispiel, die oben aufgetane Differenz zwischen „Konzept“ und „Film“ zu illustrieren: Strukturell betrachtet, sind seine zahlreichen Verfehlungen irgendwie interessant, aber das überträgt sich einfach nicht auf die Sichtung, bei der ich zum Ende, vom Sekundenschlaf gepeinigt, immer häufiger auf die Uhr geschaut habe. Wer nicht ganz zu Unrecht meint, Slasherfilme erzählten keine Geschichte, sondern reihten nur Morde aneinander, der wird nach FINAL EXAM die kunstvollen Drehbuchwendungen und psychologisch ausgefeilten Motivationen der handelnden Figuren in FRIDAY THE 13TH, THE PROWLER, PROM NIGHT, TERROR TRAIN, SLAUGHTER HIGH, HIDE AND GO SHRIEK, DR. GIGGLES, DON’T GO IN THE WOODS … ALONE, THE INITIATION, MADMAN, FINAL TERROR, INTRUDER, JUST BEFORE DAWN oder HUMONGOUS lobpreisen.

An einem ländlichen College werden zwei Studenten beim Schäferstündchen in ihrem Auto gekillt. An einem anderen College bereiten sich die Studenten derweil auf ihre Semester-Abschlussprüfungen vor. Um dem Fraternity-Anführer Mark (John Fallon) das Pfuschen und somit Bestehen zu ermöglichen, simulieren seine Untergebenen einen Terroranschlag als Ablenkungsmanöver: Mit Skimasken getarnt und Maschinenpistolen bewaffnet fahren sie in einem VW-Bus auf den Campus, springen aus dem Wagen und eröffnen das Feuer auf die umstehenden Studenten, die blutüberströmt zu Boden gehen und anschließend entführt (?) werden. Die ganze Aktion stellt sich wenig später als ziemlich geschmacksunsicherer Scherz hinaus, der aber ohne Folgen bleibt, weil die Lehrerschaft ihn selbst ganz witzig findet und der Sheriff zu faul ist. Doch das Schicksal hat dann doch eine Strafe für die Beteiligten und einige weitere Protagonisten vorgesehen: Denn der Killer vom Beginn des Films sucht bald auch dieses College heim und zieht eine Blutspur über den Campus …

… und wer nun glaubt, zwischen dem Serienkiller und dem Streich gäbe es irgendeinen Zusammenhang oder die Identität des Mörders hätte sonst irgendeine Bewandnis, der sieht sich bitter enttäuscht. FINAL EXAM endet ohne weitere Erklärung unmittelbar, nachdem der Mörder vom final girl um die Ecke gebracht wurde, und lässt den Zuschauer mit einigen Fragezeichen über dem Kopf zurück: Sollte der Film mit seinem nachlässig, nämlich gar nicht entwickelten Universitäts- und Abschlussprüfungssujet etwa eine Parabel sein, die jungen Leuten die Kürze des Daseins vor Augen führt? Sollte das spielerische Morden, wie es die Studenten in ihrem Scherz ausüben, mit der Grausamkeit echten Sterbens kontrastiert werden? Sollte der namen-, masken- und identitätslose Killer (der mit seiner Topffrisur ein bisschen wie ein kantiger Dario Argento aussieht) gar die Härte des echten Lebens jenseits des behüteten College-Alltags symbolisieren? Keine dieser Fragen kann oder möchte man nach FINAL EXAM mit einem entschiedenen „Ja!“ beantworten, auch wenn das die einzig denkbare Erklärung für Hustons Film lieferte. In der linguistischen Pragmatik gibt es die sogenannte Aufrichtigkeitsbedingung: In der Kommunikation gehen wir grundsätzlich davon aus, dass das von unserem Gegenüber Gesagte auch so gemeint ist (was Ironie und ähnliche stilistische Mitte ausdrücklich miteinschließt); dass er uns nicht hinters Licht führen will, dass seine Aussagen mit seinem Weltbild und dem gemeinsamen Kenntnisstand sowie den regionalen Gepflogenheiten übereinstimmen. Kurz: Dass er uns nicht anlügt und uns keinen Unsinn erzählt.  Angewendet auf FINAL EXAM bedeutet die Aufrichtigkeitsbedingung, dass wir damit rechnen, dass das Gezeigte in irgendeiner Form sinnhaft ist. Als Zuschauer stellt man daher unweigerlich eine Verbindung zwischen dem Studentenscherz und der Mordserie her, aber nichts in Hustons Inszenierung lässt erkennen, dass die beiden tatsächlich miteinander verbunden sind. So plätschert FINAL EXAM vollkommen ziellos dahin, tatsächlich nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Szenen, als die man den Slasherfilm ja eh immer schon definiert hat. Zu Unrecht, denn meist erzählen diese Film lediglich auf besonders anschauliche elliptische und repetitive Art und Weise von der Jugend, vom ersten Sex, von Scham, Schuld, Angst und Tod. Bei FINAL EXAM tue ich mich aber schwer damit, zu behaupten, er erzähle etwas, weil Erzählen eben Sinnstiftung und Verdichtung bedeutet. Hier ergibt nichts einen erkennbaren Sinn, es stellt sich kein Zusammenhang oder auch nur eine noch so lapidare Erkenntnis ein und von Dichte mag man angesichts der epischen Breite, auf die vollkommen folgenlos bleibende Nicht-Ereignisse ausgewalzt werden, auch nicht sprechen. Das ist alles sehr rätselhaft, zumal Huston wenn schon nicht besonders kunstvoll, so doch in positivem Sinne routiniert inszeniert. FINAL EXAM wirkt wie ein durchschnittlicher, nach den Regeln spielender Slasherfilm. Aber er ist keiner. Er kennt nicht nur diese Regeln nicht, er scheint gar nicht zu wissen, dass überhaupt welche existieren.

Dann sind da noch die eher typischen Unzulänglichkeiten, für die man das Genre wahlweise liebt oder hasst: Den unfassbar geschmacklosen „Scherz“ habe ich bereits gewürdigt. In einer Liste der geschmacklosen Scherze in Slasherfilmen muss er nur SLAUGHTER HIGH den Vortritt lassen. Kaum weniger geschmacklos ist aber die Reaktion des Gesetzes auf das vermeintliche Massaker: Erst Stunden später kommt der sichtlich genervte Sheriff in aller Seelenruhe angerollt und anstatt erleichtert darüber zu sein, dass alles nur ein Streich war, ist er sauer, dass man ihn umsonst gerufen hat. Dann die Fraternity-Proleten: Anführer Mark trägt eine schlimme Mittelscheitel-Helmfrisur spazieren, sein enforcer  Wildman (Ralph Brown) ist ein übler, auch im Unterricht rülpsender Prolet mit menschenaffenhaftem Gebaren (einmal sprüht er sich Deo in den Mund, gurgelt mit einem Schluck Schnaps und spuckt diesen dann mitten in sein Zimmer). Beide hausen wie die Schweine zwischen Müllbergen, Nacktpostern und weiblichen Kleidungsstücken, was wohl als Ausweis besonderer Männlichkeit gelten darf. Und sie sind noch nicht einmal unbeliebt, noch nicht einmal bei den „Normalen“ oder gar dem obligatorischen Nerd und Schlaumeier. Das bringt mich zur bizarrsten Gestalt des Films, dem lockenköpfige Spargeltarzan Radish (Joel S. Rice), der ständig seine Brillanz betont, wenn er mal wieder als erster seinen Test abgibt: Ich würde mal behaupten, dass Rice (er fungiert heute fast ausschließlich als Produzent von Fernsehfilmen) homosexuell ist, aber er wird als heterosexuell inszeniert und darf sogar einen Crush für das final girl Courtney (Cecile Bagdardi) entwickeln, was einfach hinten und vorne nicht passt. Nachdem er ihr auf die denkbar unbeholfene und unglaubwürdige Art und Weise sein Gefallen geäußert hat, kommentiert er zu sich selbst „I can’t believe I just said that!“ und seine Worte wirken beinahe wie ein In-Joke. Nicht nur das, sein verzückter Gesichtsausdruck lässt es für einen Moment als absolut denkbar und konsequent erscheinen, dass er aus dem Stand in eine schwelgerisch-ausladende Musicalnummer verfällt.

Wie gesagt: Irgendwie ist FINAL EXAM schon ganz interessant auf seine ihm eigene Art. Sicherlich viel interessanter als der zuletzt ertragene GRADUATION DAY, der lediglich ganz normal schlecht und öd (dabei aber schön trist und trüb) war. Spannender oder unterhaltsamer ist er aber auch nicht. Huston, dessen vierter Film das war, drehte sechs Jahre später noch eine Vampirkomödie, seitdem beschränkt sich seine Filmografie auf zwei Fernseharbeiten. Sein größter Wurf ist wohl das Drehbuch zu Peter Hyams tollem RUNNING SCARED. Er war offensichtlich nicht völlig planlos, was das Mysterium namens FINAL EXAM nicht gerade kleiner macht. Wenigstens eine Sache habe ich aber gelernt: Wenn auf dem DVD-Klappentext eines angeblichen „slasher classics“ dessen Lichtsetzung und Musik besonders hervorgehoben werden, ist Vorsicht geboten. Es handelt sich möglicherweise um Code für „spannungsarmer Slasher mit unblutigen Morden“.

Nachdem sie unter den Anfeuerungen ihres Trainers George Michaels (Christopher George) den Rekord in einem Kurzstreckenrennen gebrochen hat, bricht die Highschool-Leichtathletin Laura tot zusammen. Zeitgleich mit der Ankunft ihrer älteren Schwester Anne (Patch Mackenzie), einer in Guam stationierte Navy-Soldatin, die für die Trauerfeier gekommen ist, beginnt auch ein Mörder sein Unwesen zu treiben, der es auf die Teammitglieder der Toten abgesehen hat …

Zuerst die historischen Fakten: GRADUATION DAY wurde von Troma für ein Budget von ca. 250.000 Dollar gedreht und spielte satte 23 Millionen ein, wenn man Wikipedia Glauben schenken mag. Der Plan, am Slasher-Hype jener Tage zu partizipieren, ging also voll auf. Wie vor allem für die frühen Epigonen typisch, geht es hier noch nicht so sehr darum, einen maskierten Killer die Freuden des creative killing demonstrieren zu lassen und dabei mit blutigen Effekten aufzutrumpfen, sondern in bester (oder eher schlechtester) Whodunit-Manier darum, eine Murder Mystery mit zahlreichen Verdächtigen zu spinnen. Um zum Punkt zu kommen: GRADUATION DAY ist in 85 von seinen 95 Minuten schrecklich langweilig, vollgestopft mit uninteressanten Versuchen, noch uninteressantere Figuren zu den Verdächtigen in einer uninteressanten Mordserie zu stempeln. Dass das vor allem ermüdend ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die kreativen Köpfe leider versäumt haben, ihre Geschichte mit einem echten Protagonisten auszustatten: Die Schwester des Opfers, die zunächst die Identifikationsfigur zu sein scheint, muss ebenfalls als potenzielle Mörderin herhalten, benimmt sicht daher überaus seltsam und verschwindet auch mal für längere Strecken gänzlich aus dem Film, den Zuschauer einer nicht enden wollenden Reihe belangloser Szenen aussetzend. Die Laufzeit mit nichtigem Füllstoff auszukleiden gehörte quasi zum guten Ton des Slasherfilms, weshalb es in der Mitte auch eine laaaaange Sequenz in einer Rollschuhdisco gibt, die von der Band „Felony“ mit einer seltsamen Melange aus New Wave und Cock Rock untermalt wird.

Trotz bester Vorsätze habe ich es nicht geschafft, GRADUATION DAY mit meiner ungeteilten Aufmerksamkeit zu belohnen, zu öde und im schlechtesten Sinn des Wortes trist (nach dem Hofbauer Kongress bedarf das Wort dieses ungelenken Zusatzes, will man es negativ verwenden) ist die ganze Chose. Erst ganz zum Schluss, während des Finales, entwickelt Freed so etwas wie Zug zum Tor: Endlich merkt man dann auch mal, dass GRADUATION DAY tatsächlich ein Horrorfilm und kein fehlgeleiteter Krimi ohne Ermittler sein soll. Auch der Finalschock ist hübsch geworden und lässt vermuten, dass Freed durchaus gekonnt hätte, hätte er denn wirklich gewollt (in der Montage und im Sounddesign sind ihm ein paar ganz schöne Momente gelungen). Dass es sich dafür lohnen würde, 95 Minuten seines Lebens zu opfern, kann ich aber beim besten Willen nicht behaupten. GRADUATION DAY ist heute eigentlich nur noch als historisches Dokument und für Slasher-Enthusiasten wie mich halbwegs von Interesse, die sich vorgenommen haben, irgendwann mal jeden Vertreter diese Subgenres gesehen zu haben. Eine Aufgabe, die sich dank Schlaftabletten wie dieser geradezu herkulisch ausnimmt.

Die „Dagger Debs“, eine von der jungen, zu allem entschlossenen Lace (Robbie Lee) angeführte Mädchengang, machen gemeinsame Sache mit den „Daggers“, einer Bande von Jungs, die ihrerseits von Lace‘ Lover Dominic (Asher Brauner) geleitet werden. Als die toughe Einzelgängerin Maggie (Joanne Nail) zu den Dagger Debs stößt, wirft Dominic sofort ein Auge auf sie. Maggie wehrt sich zwar aus Loyalität gegenüber Lace gegen die Annäherungsversuche, doch die intrigante Patch (Monica Gayle) hat schon die Saat des Misstrauens gesät. Als die Debs gemeinsam mit den Daggers gegen Konkurrent Crabs (Chase Newhart) und seine Leute ins Feld ziehen, lässt Dominic sein Leben. Jemand hat dem Feind einen Tipp gegeben …

THE SWITCHBLADE SISTERS (auch unter dem Titel THE JEZEBELS bekannt), ein prototypischer Seventies-Exploiter, der unter der kompetenten Regie vom einstigen Corman-Schüler Jack Hill entstand, erhielt Mitte der Neunzigerjahre einen späten Popularitätsschub, als Quentin Tarantino ihn unter dem Label „Rolling Thunder Pictures“ wiederveröffentlichte. Wie so oft hatte der Movie Nerd Geschmack bewiesen: THE SWITCHBLADE SISTERS braucht keine Gimmicks (von denen etwa Robert Rodriguez fälschlicherweise glaubt, dass sie das Exploitatonkino ausmachen, wenn man MACHETE als Anhaltspunkt nimmt), er überzeugt vollends durch gutes Storytelling, lebendige Charaktere und einen ungeschliffenen visuellen Stil. Bereits mit Beginn der Title-Sequenz, als der unnachahmliche Soundtrack zu Schwarzweiß-Standbildern von Großstadt-Tristesse und Streetfights einsetzte, war ich verloren und das änderte sich auch während der folgenden 90 Minuten nicht. Die weitestgehend unbekannten Akteure beatmen ihre markigen, aber niemals platten Figuren mit viel Seele, der Handlungsverlauf verkommt niemals zum bloß routinierten Zitieren von Versatzstücken, sondernbleibt stets überraschend. Jack Hill gelingt es ausgezeichnet das aufrührerische Element des Juvenile-Delinquents-Films der Fünfzigerjahre mit dem ruppigen Stil der Siebziger zu vermählen; er liefert weniger sozialrealistisches Außenseiterdrama als jugendliches Wish Fulfillment im feministischen Gewand. Die Daggers mögen die muskulöseren Typen stellen, doch gegen den Zorn ihrer weiblichen Kompagnons müssen sie verblassen. Das anonym bleibende Los Angeles des Films – in Deutschland wurde Hills Film sehr bezeichnen als DIE BRONX-KATZEN vermarktet – bietet die Bühne für die von jeder konkreten historischen Realität abgelösten Kämpfe und im Finale wähnt man sich beinahe im Chicago der Prohibition.

Es ist schade, dass ich den Film nicht einige Jahre früher entdeckt habe: Ich denke, dass er mit mehreren Sichtungen noch dazugewinnt, wenn man die Charaktere besser kennengelernt hat und bei Erstsichtung noch unsichtbar bleibende Details ihrer Interaktion erkennt. Kaum auszudenken, welche Wirkung THE SWITCHBLADE SISTERS wahrscheinlich hinterlassen hätte, wenn ich ihn in meiner Jugend gesehen hätte. So bleibt am Ende dieses Textes lediglich eine – gemessen an meinen sonstigen Ergüssen – etwas wortkarge Begeisterung. Die ist aber sehr ehrlich und steht dem Geist des Films eigentlich ganz gut zu Gesicht. Man muss um THE SWITCHBLADE SISTERS keine großen Reden schwingen. Sie lassen schließlich selbst am liebsten Taten sprechen.

Beim Fantasy Filmfest 2007 (so lang ist das schon her?) zählte WΔZ zu meinen Favoriten. Die Sichtungssituation trug dabei nicht unwesentlich zum Erfolg des Films bei: Ich erwartete wenig, um nicht zu sagen nichts von Shanklands Debüt, doch in der späten Schiene nach einem vollgepackten Filmtag traf er mich mit der massigen Wucht eines ins Kreuz geworfenen Kantholzes. Ich war leicht übermüdet, hatte gegen den Schlaf anzukämpfen und wurde vom brachialen Sounddesign des Films – nuschelig-leise eingesprochene Dialoge werden von übersteuert-lauten Geräuschen zerrissen – immer wieder brutal daran gehindert einzunicken. Den Details des Plots konnte ich mangels Untertiteln nur bedingt folgen, aber wichtiger war eh die Vision einer Welt, die nur noch von einem alles verschlingenden Feuer gerettet werden kann – oder vom Liebesopfer eines Märtyrers. WΔZ ist ganz eindeutig ein später Nachzieher von Finchers SE7EN, aber er treibt der schon düsteren Vorlage auch noch den letzten Rest an Hollywood-Konvention aus und gibt den Blick frei auf die sprichwörtliche Hölle auf Erden.

Cop Eddie Argo (Stellan Skarsgård) ermittelt mit seiner Partnerin Helen Westcott (Melissa George) in einer bizarren Mordserie: Es werden immer zwei meist über eine emotionale Bindung zueinander verfügende Menschen tot aufgefunden, einer von ihnen jeweils brutal verstümmelt und mit verbrannter Zeigefingerkuppe, der andere durch Stromstöße umgekommen und die mathematische Formel „WΔZ“ in den Leib geritzt. Ein Verhaltensforscher erklärt, dass es sich dabei um die Price-Gleichung handelt, die – verkürzt gesagt – (tierischen) Altruismus als genetisch prädisponiert zeigt. Offensichtlich versucht der Täter die Gleichung auch für den Menschen zu belegen: Er foltert dazu eines seiner Opfer solange, bis dieses sich seine Verschonung und sein Leben durch den Mord des geliebten Gegenübers sichert oder aber selbst stirbt. Hinter dem grausamen Experment steckt das Vergewaltigungsopfer Jean Lerner (Selma Blair), die ihren Schändern einst selbst den Tod der Mutter befahl, um sich selbst zu retten. Ermittelnder Beamter im damaligen Fall war niemand geringerer als Eddie Argo …

Meine unmittelbare Reaktion nach dem Ende von WΔZ waren die Worte „Was für ein Brett“. Tatsächlich ist Shanklands Film nicht nur unglaublich düster und brutal, sondern auch wahnsinning dicht und druckvoll inszeniert. Triste Ansichten urbanen Verfalls bestimmen das Bild, Dunkelheit, Schmutz und Schuld sind nicht mehr wegzuwaschen. Wie ein Schlafwandler schlurft Argo durch den Fall, seine Arbeit hat jeden falschen Enthusiasmus längst getilgt. Die Menschen, die ihm begegnen, sind Treibgut der Nacht, Verlorene, Junkies, Kleinkriminelle, Mörder, Stricher und Huren, die sich wie Geister durchs Limbo treiben lassen. Der totale Nihilismus wird zwar am Ende aufgelöst, im verkarsteten Herzen von WΔZ haust ein verbliebener Kern des Humanismus, doch nimmt sich sein mattes Glimmen gegenüber der alles erstickenden Hoffnungslosigkeit geradezu lächerlich aus. Argos finales Liebesopfer rettet die Mörderin Lerner vor dem totalen transzendentalen Niedergang, aber seine Tat muss in einer dem Untergang geweihten Welt singulär bleiben.

Shankland inszeniert seine Serienkiller-Geschichte als universelle Untergangsparabel. Sein Film spielt in New York, aber erst ganz zum Schluss erkennt man in einigen Totalen die typischen Landmarks, die helfen, das Geschehen zu verorten. Und dann wirkt es weniger gewollt, als vielmehr so, als habe es sich nicht vermeiden lassen. Es ist nicht zuletzt auch die bestimmt nicht zufällig interationale Besetzung – der Schwede Skarsgård, der Brite Tom Hardy, die Australierin Melissa George, die Amerikanerin Selma Blair – die jede konkrete geografische Zuschreibung erschwert. In seiner trostlosen Zeichnung städtischer Tristesse erinnert WΔZ an den britischen sozialen Realismus (wie real dieser „Realismus“ ist, sei dahingestellt), doch keinerlei Dialekt oder sprachlicher Verweis deutet auf den Schauplatz hin, alles bleibt vage, allgemeingültig. WΔZ ist reiner Kafka, kurzgeschlossen mit der frappierenden Nüchternheit Celines. Hier werden keine konkreten, irgendwie „sozialen“ Missstände mehr verhandelt, sondern der Status quo menschlichen Daseins per se. Das ist es, mehr als jeder grafische oder formaler Angriff, der WΔZ zu einem gleichermaßen niederschmetternden wie faszinierenden Erlebnis machen: Seiner Vision kann man nicht entfliehen, sie ist total.

Das kalifornische Kleinstädtchen Chestnut Hills wird von einer Mordserie erschüttert. Der ambitionierte, aber naive Journalist Richard Clark (Donald Grant) wird an den Ort der Verbrechen geschickt ­– vor allem, um ihn in seinem Flehen nach einer Chance ruhigzustellen.  Doch er kommt einer Sensation auf die Spur: Ein Monster geht um, stürzt sich aus den Wandschränken der Wohnhäuser auf seine nichts Böses ahnenden Opfer. Der Wissenschaftler Dr. Pennyworth (Henry Gibson) vermutet eine außerirdische Intelligenz hinter dem Ungetüm, doch sein Versuch der Kontaktaufnahme endet mit seinem Tod, und auch die Waffen der Armee können nichts ausrichten. Die USA gehen vor dem Monster auf die Knie, alle Hoffnung scheint vergebens, doch dann richtet die tapfere Diane (Denise DuBarry) via Fernsehen die entscheidenden Worte an die Nation: „Destroy all closets!“ …

Um das putzige Videocover des Films, der in Deutschland ÜBERFALL IM WANDSCHRANK hieß, vollführte ich in meiner Jugend das ein oder andere Tänzchen. Dass ich mir den Film nie ausgeliehen habe, obwohl ich ihn in „meiner“ ersten Videothek (Gott habe sie selig) ständig Pro und Contra abwägend in der Hand hielt, war wohl seiner wenig verlockenden 16er-Freigabe geschuldet. Mein damaliges Bedürfnis nach echtem Horror hätte MONSTER IN THE CLOSET wohl tatsächlich nicht gestillt, aber ich vermute, dass ich ihn trotzdem geliebt hätte: Die Troma-Produktion ist eine lupenreine Parodie auf die Monsterfilme der Fünfzigerjahre und erinnert in ihrem Humor manchmal an die damals noch ungebrochen populären ZAZ-Filme. An der inszenatorischen Ungeschliffenheit erkennt man die Handschrift der Produktionsfirma aus New Jersey, doch glücklicherweise verzichtet Regisseur Dahlin auf das an diesen oft nervende Dauerfeuerwerk infantiler Tabubrüche. MONSTER IN THE CLOSET ist den Vorbildern angemessen eher naiv und brav, bemüht sich erfolgreich, das Bild eines Amerikas zu zeichnen, das durch die Gefahr eines tapsig umherstolpernden Monsters aus dem Wandschrank vereint wird.

Schon die inspirierte Besetzung zeigt die Liebe der Beteiligten: Der immer gern gesehene Henry Gibson gibt den Wissenschaftler als zerstreutes Albert-Einstein-Lookalike, der ledergesichtige Claude Akins spielt den stets Kautabak in das nächste verfügbare Gefäß rotzenden Sheriff, Donald Moffat hat offensichtlich großen Spaß an seinem wüst fluchenden Armeechef, kleinere Opferrollen werden von John Carradine, Stella Stevens (standesgemäß oben ohne) und Altman-Regular Paul Dooley veredelt. Hauptdarsteller Grant ist mit seiner Achtzigerjahre-Hornbrille ein denkbar glattes Love Interest, weshalb der Schlussgag – „It was beauty killed the beast“ – als besonderer Geniestreich angesehen werden muss. Der Witz des Films ist zugegebenermaßen nur selten wirklich einfallsreich und schon gar nicht brillant – ein Running Gag sind die Datums- und Zeiteinblendungen, die sich nie auf ein Format einigen können –, aber immer auf sehr sympathische Art und Weise quirky: Er passt einfach zum hingeworfenen Charme des Films. MONSTER IN THE CLOSET ist guter Stoff für zwischendurch: Wenn man keine Sensation erwartet, ist er eine positive Überraschung. So wie der Auftritt des FAST & FURIOUS-Beaus Paul Walker, der hier als bebrillter und akkurat gescheitelter, ca. 13-jähriger Physik-Streber namens „Professor“ zu sehen ist.

Schon komisch: Stanley Kramers Film aus dem Jahr 1959 dürfte wohl noch bis in die Achtzigerjahre hinein als „aktuell“ gegolten haben. Der kalte Krieg befand sich damals noch einmal auf einem späten Höhepunkt, der Begriff „Wettrüsten“ gehörte zum alltäglichen Sprachgebrauch, Reagan dachte über das Star-Wars-Programm S.D.I. nach, Sting sang flehend „I hope the russians love their children, too“ und im Fernsehen zeigte THE DAY AFTER, wie es uns nach einer wahrscheinlich drohenden Atombombenexplosion mit uns zu Ende gehen würde. Wer die Achtzigerjahre aktiv miterlebt hat (ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern), der weiß, dass die Angst vor dem Dritten Weltkrieg vielleicht nicht unbedingt den Alltag bestimmte, aber dennoch stets präsent war. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zum Ende des Jahrzehnts fand diese Zeit latenter Angst ein unerwartetes Ende. Und Stanley Kramers ON THE BEACH, der fast 30 Jahre lang nicht von der Zeit überholt worden war, war plötzlich eine naiv anmutende Geschichtsstunde.

Nach einem verheerenden Weltkrieg steht die Menschheit vor dem Ende. Die nukleare Katastrophe hat die Kontinente entvölkert und unbewohnbar gemacht. In Australien versammeln sich die letzten Überlebenden: die Australier, die das Glück hatten, am richtigen Ort zu leben, sowie einige Marinesoldaten, die sich dorthin fliehen konnten. Doch dort bereitet man sich nicht etwa auf einen Neuanfang, sondern ebenfalls auf das Ende vor: Jeden Tag erwartet man die Wolke, die den tödlichen radioaktiven Niederschlag bringen wird. Es ist ein Sterben auf Zeit, mit dem sich die Menschen, die noch immer nicht begreifen, was mit ihnen geschehen ist, abfinden müssen. Eine letzte U-Boot-Mission soll noch einmal erkunden, ob es weit im Norden möglicherweise doch bewohnbare Gebiete gibt, und herausfinden, was es mit den rätselhaften Funksignalen aus San Diego auf sich hat. Der U-Boot-Kommandant Dwight Lionel Towers (Gregory Peck), noch einmal frisch verliebt in die alkoholsüchtige Australierin Moira (Ava Gardner), leitet die Expedition, zu seinen Männern gehören der junge Vater Peter Holmes (Anthony Perkins), der sich mit der unbeantwortbaren Frage herumschlägt, wie man seiner Frau ein paar Selbstmordpillen für sich und das Baby überreicht, sowie der Wissenschaftler Julian Osborne (Fred Astaire), der die schreckliche Konsequenz seiner Arbeit am eigenen Leib erfahren muss.

Stanley Kramer gilt als einer der großen Liberalen und Aufklärer des Hollywood-Kinos. ON THE BEACH ist seine manchmal sehr explizite Warnung vor dem Irrsinn des Wettrüstens und der Atombombe: Seinen Wissenschaftler lässt er einmal eine flammende Ansprache halten, der Film endet schließlich mit dem Blick auf menschenleere, ausgestorbene Straßenzüge und einem prophetisch die Worte „There is still time“ verkündenden Banner. Die darin zum Ausdruck kommende Dringlichkeit ist aus der Zeit heraus zu verstehen, aber auch das Manko eines Films, der immer dann am stärksten ist, wenn er seine Protagonisten angesichts des Unbegreiflichen um Worte ringen lässt, anstatt ihnen mit wohlfeilen Botschaften gefüllte Sprechblasen in den Mud zu legen. Momente wie jener, in dem Holmes seiner jungen Frau zu erklären versucht, was es mit den Tabletten auf sich hat, die er ihr vor seiner Expedition überreichen möchte, bündeln das ganze Grauen eines schrecklichen, gewissen und unaufhaltsamen Todes. Der Dialog zweier alter Herren, die darüber trauern, dass die verbleibende Lebenszeit zu kurz ist, um die 400 Flaschen Portwein, die im Offiziersheim gelagert sind, auszutrinken (und die Gedankenlosigkeit der Organisation kritisieren, die diese Verschwendung erst zuließ), fasst die ganze Absurdität zusammen, die der Selbstmord einer so weit zivilisierten, sich selbst als „überlegen“ bezeichnenden Rasse wie der Menschheit bedeutet. Dem können die tränenreichen Abschiedsszenen, die ON THE BEACH auf 130 überlange Minuten bringen, nachdem mehrere gute Schluss-Gelegenheiten verpasst wurden, nichts hinzufügen. Gregory Peck und Ava Gardner zeigen beide mitreißende Darbietungen mit herausragenden Szenen, aber sie können nicht verhindern, dass man in ihrer Leinwandbeziehung vor allem ein Zugeständnis an die damaligen Sehgewohnheiten bzw. die Hollywood-Konvention sieht.

black shampoo (greydon clark, usa 1976)

Veröffentlicht: September 27, 2013 in Film
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SHAMPOO, von Warren Beatty produziert, Robert Towne geschrieben und Hal Ashby inszeniert, war ein veritabler Hit, für Hollywood-Beau Beatty zudem absolut imageprägend und thematisch prädestiniert für die Annektierung durch Exploitation-Filmer. Die Blaxploitationifizierung lag besonders nahe: Das Subgenre warf Mitte der Siebzigerjahre immer noch verlässliche Gewinne ab und die Geschichte eines seine reiche weibliche Kundschaft in doppelter Hinsicht befriedigenden Friseurs ließ sich ideal für die Mischung aus weißer Mittelklassen-Angst vor dem potenten schwarzen Mann und schwarzem Empowerment adaptieren, der das Genre seine Sprengkraft verdankte. Greydon Clark, nie darum verlegen, eine gewinnträchtige Idee schnellstmöglich umzusetzen, sah das Potenzial und schraubte BLACK SHAMPOO auf seine ihm eigenen Art zusammen.

Der schwarze Muskelprotz Mr. Jonathan (John Daniels) betreibt einen feinen Friseursalon in Hollywood. Die Kundinnen legen ihm nicht nur ihre Frisuren vertrauensvoll in die Hände, sondern auch ihre Libido. Und Mr. Jonathan enttäuscht nie. Ein bisschen neidisch, vor allem aber neugierig-erregt verfolgt seine neue Rezeptionistin Brenda (Tanya Boyd) seine sexuellen Eskapaden. Sie war bis vor kurzem das Betthäschen des lokalen Gangsterbosses Mr. WIlson (Joseph Carlo), machte sich dann aber aus dem Staub, um schließlich Zuflucht bei Jonathan zu finden. Zwischen ihr und ihrem neuen Chef bahnt sich eine Romanze an, die jedoch von ihrem eifer- und rachsüchtigen Ex unterbunden wird: Er schickt seine Schläger, um Jonathans Salon kurz und klein zu hauen und sie zu entführen. Es kommt zum blutigen Showdown in Jonathans Refugium in den Bergen …

Clark ist keiner der inspirierteren Low-Budget-Trashfilmer aus den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren, die Freunden des ungewöhnlichen Films noch heute viele schöne Stunden bescheren. Er ist immer sehr abhängig von seinen Stoffen, sein Werk zwar sympathisch und liebenswert, aber weitestgehend hit & miss (ich verbürge mich hier ausdrücklich für seinen Neonazi-Actioner SKINHEADS, seine Achtziger-Sexkomödie JOYSTICKS und den Katzensplatter UNINVITED). Sein größtes Manko ist sein eher unkreativer Szenenaufbau: Auch BLACK SHAMPOO wirkt sehr statisch, fast theaterhaft in seiner Szenenfolge, was durch die verfremdeten Standbilder, die jede einzelne Szene einleiten, noch unterstrichen wird. Richtigen Schwung entfaltet sein Blaxploiter trotz eines standesgemäß exzellenten Soul- und Funk-Soundtracks nicht, vor allem weil er seinen Plot sehr fahrlässig entwickelt. Am spaßigsten ist BLACK SHAMPOO in der Exposition, die sich Jonathans erotischen Ekapaden widmet, und im erstaunlich blutigen Finale: Die Titlesequenz zeigt eine sich unter Jonathans Haarwaschtechnik lustvoll windende Kundin, in einer späteren Szene wird der Friseur bei einem Hausbesuch (!) erst von zwei lüsternen Teens empfangen („Oh my god!“) und dann von deren Mutter „übernommen“, die ihren staunenden Töchtern mal zeigt, wie das wirklich funktioniert. Im Schlussfight kommen dann nicht weniger nachdrücklich und phallisch eine Kettensäge, ein Beil und eine Billardqueue als Mordwaffen zum Einsatz. Diese Entschlossenheit hätte man sich auch für den restlichen Film gewünscht, der leider wenig mehr als gepflegte Langeweile produziert, die durch die ausgesprochen ansehnliche Physis von Tanya Boyd und etwas Seventies-Nostalgie nur überaus unzureichend aufgewogen wird.

 

Unter dem Namen „Frank Cadillac“ verdingt sich Cris Johnson (Nicolas Cage) als zweitklassiger Illusionist in Las Vegas. Mit billigem Tingeltangel verbirgt er ein echtes übersinnliches Talent, das den Kern seiner Show bildet: Cris kann zwei Minuten weit in seine Zukunft sehen. Diese Fähigkeit ist dem CIA nicht verborgen geblieben: Um eine von Terrorist „Mr. Smith“ (Thomas Kretschmann) gestohlene Atombombe zu finden, will sich Agentin Callie Ferris (Julianne Moore)  seiner Dienste versichern. Doch vor dem Retten der Welt hat für Cris etwas anderes Priorität: Er will seine Traumfrau Liz (Jessica Biel) erobern  …

Zwar muss NEXT weitestgehend ohne Kostproben von Cages Megaacting auskommen, trotzdem scheint der auf einer Erzählung von Philip K. Dick basierende Film ihm förmlich auf den Leib geschneidert und mit einem anderen Darsteller kaum denkbar. Als routinierter Mittelklasse-Actioner von Lee Tamahori inszeniert – der nicht lang gebraucht hat, um nach dem zupackenden neuseeländischen Ehedrama ONCE WERE WARRIORS in der totalen Hollywood-Beliebigkeit zu enden (eine einsame Ausnahme wie der tolle DEVIL’S DOUBLE bestätigt nur die Regel) – ist er einerseits zu unspektakulär, um als ganz großes Eventkino gelten zu können, andererseits aber auch zu blöd, um den Respekt anspruchsvollerer Filmfreunde zu ernten. NEXT ist – bei aller Biederkeit – eine Kuriosum: als Blockbuster-Anwärter rund 10 Jahre zu spät, als DTV-Kulthit zu aufgeblasen. Das Herz des aufgeschlossenen Filmsehers erfreut er dann auch gerade in seinem leichtfertigen Nichtgelingen und in seiner strukturellen Verweigerungshaltung.

Zuerst mal zerreißt da ein unüberwindbares Plothole den Film: Auf der Suche nach mit einer Atombombe bewaffneten und zu allem entschlossenen Terroristen macht das CIA den Umweg über einen psychisch begabten Magier, der die einzige Chance sein soll, die Bösewichte dingfest zu machen? Doch selbst wenn man bereit ist, den sich unweigerlich zuschnürenden Hirnknoten zu ignorieren: Wie haben die Staatsbeamten Cris überhaupt ausfindig gemacht? Haben sie sich gedacht, dass sie für ihre Ermittlungen gut einen Wahrsager gebrauchen könnten und sich dann auf die Suche nach einem gemacht? (Und wenn ja: Konnten sie wirklich keinen finden, dessen Zeitfester größer als zwei Minuten ist?) Oder kannte einer der Agenten Cris bereits und kam dann ausgerechnet in diesem Fall existenzieller Bedeutung auf die Idee, ihn für die eigenen Zwecke zu rekrutieren? Wie dem auch sei: Angesichts der Größe der Bedrohung und der gebotenen Dringlichkeit ist der Umweg über Cris eigentlich nicht zu rechtfertigen. Könnte man die Zeit und Mühe, die es kostet, den unwilligen und wendigen Cris zu stellen, in der vagen Hoffnung, seine Fähigkeiten könnten helfen, nicht gleich genutzt werden, um die Verbrecher zu stellen, die immerhin eine Atombombe mit sich rumschleppen?

Dann ist da Cris: einer der typischen Cage-Antihelden, die sich in einer Mischung aus souveräner Belustigung über die Welt, niederdrückender Müdigkeit und aufreizender Scheißegal-Haltung durch die Welt treiben lassen. Ein desillusionierter Romantiker auf der fast hoffnungslosen Suche nach der einen Frau, die ihn noch retten kann. Er hat sie gegen die Logik seiner Zwei-Minuten-Beschränkung gesehen, wie sie an einem ungenannten Tag um 8:09 Uhr ein Diner in Las Vegas betritt. Seitdem wartet er dort jeden Tag in der Hoffnung, dass sie auftauchen möge. Als er sie endlich gefunden hat, hat er verständlicherweise keine Lust, den Weltenretter zu mimen und dabei sein Leben und sein junges Liebesglück aufs Spiel zu setzen. Das ist eine ungewöhnliche und zudem ziemlich sympathische, ja, beinahe subversive Drehbuchentscheidung: Wo der Hollywood-Protagonist sonst alles stehen und liegen zu lassen pflegt, wenn der Staat ruft und die Unsterblichkeit lockt, da hat Cris einfach keinen Bock. Seine Fähigkeiten stellt er demzufolge eben nicht in den Dienst der Sache, sondern in den Dienst, der Sache zu entgehen. Es ist zwar schade, aber eben auch erwartbar, dass NEXT das so nicht durchziehen kann: Cris’ große Liebe wird von den Bösewichtern gekidnappt und ihm die Entscheidung mehr oder weniger abgenommen. And now it’s personal …

Aber das Finale rettet den Film dann doch noch. Nicht, weil die Actioneinlagen so begeisternd wären, denn dafür ist Tamahori zu bieder und die CGI zu wenig überzeugend, sondern weil NEXT in letzter Sekunde den alten, abgegeriffenen „Alles war nur ein Traum“-Kniff zu größtmöglichem Effekt einsetzt und damit endgültig den Eindruck festigt, dass in NEXT eigentlich gar nichts passiert. Alles ist reine Potenzialität und Latenz. Wie die Geschichte um Cris, Liz und die Atombombe wirklich ausgeht, das muss ein anderer Film erzählen. Schön (blöd).

 

emanuelle_e_gli_ultimi_cannibali_laura_gemser_joe_damato_001_jpg_iprrDie schönste Szene des Films ereignet sich nach ca. einer halben Stunde: Die Journalistin Emanuelle (Laura Gemser) tummelt sich mit der blonden Schönen Isabelle (Mónica Zanchi) in einem malerischen See im tiefsten Urwald des Amazonas. Liebevoll widmen sich die beiden den Brüsten der jeweils anderen, waschen diese zärtlich und voller Liebkosungen. Plötzlich erscheint ein Schimpanse am Ufer des Sees, lässt sich nieder und genießt – wie wohl ein Großteil der männlichen Zuschauer – die Aussicht, während er aus einem der neben ihm liegenden Kleiderhaufen eine Schachtel Zigaretten birgt. Er fingert eine aus der Schachtel und steckt sie sich in den Mund. Emanuelle und Isabelle sehen schließlich, dass sie beobachtet werden, und brechen in befreites Gelächter aus.

Die Szene ist zum einen der Gipfelpunkt des Selbstzwecks, der D’Amatos Film von vorn bis hinten auszeichnet, zum anderen auch der Moment, in dem eine Art Selbstreflexion stattfindet. Gerade in der ersten Hälfte des Films reiht sich eine mehr oder weniger motivierte Sexszene an die nächste: Ihre Herleitung ist manchmal konstruiert, meist jedoch passieren sie einfach. Sex (oder Masturbation) scheint einfach immer eine geeignete Handlungsalternative zu sein, universell einsetzbar, stets im Rahmen des körperlich Möglichen und allein deshalb niemals ganz abwegig.  Emanuelle und Isabelle werden intim, weil beide attraktiv und am selben Ort sind: Das reicht als Erklärung. Die reichlich unwahrscheinliche Anwesenheit des Schimpansen – der ja eigentlich in Afrika beheimatet ist und nicht in Südamerika, wo EMANUELLE E GLI ULTIMI CANNIBALI spielt – zeigt jedoch, dass D’Amato sich der absurden Selbstzweckhaftigkeit seines Films bewusst ist, er inszeniert sie hier ganz offensiv und reißt den männlichen Zuschauer, der sich in einem Affen gespiegelt sehen muss, aus seiner sexuellen Meditation. Ein hübscher, beinahe subversiver Moment. Der Fairness halber muss aber gesagt werden, dass es auch der einzige das Films ist, über den es sich lohnt, länger zu sprechen.

D’Amatos Film ist zwar ein relativ früher Vertreter des kurzlebigen Kannibalenfilm-Subgenres, aber bereits so durchnormiert, dass man ihn eigentlich viel später im Zyklus einordnen würde. Die Kannibalen tauchen erst sehr spät auf, doch Spannung erzeugt ihre Abwesenheit kaum, dafür sind die Protagonisten viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Erst im letzten Drittel gibt es die genreüblichen Splatterszenen, bevor Emanuelle dann die entscheidende Idee hat, wie sie Isabelle davor bewahren kann, von den Kannibalen geopfert zu werden. Wer die bekannten Vertreter des Kannibalenfilms kennt, für den hält D’Amatos Film kaum noch Überraschungen bereit: Die Handlungsprämisse klaute Girolami zwei Jahre später für ZOMBI HOLOCAUST nahezu eins zu eins, die aus Journalisten, Anthropologen, Abenteurern und einheimischen Arbeitern zusammengesetzte Protagonistenschar ist Genrestandard, genauso wie der augenfällige Rassismus, die Verwendung von Stock Footage und die happigen Bilder von Ausweidungen und Genitalbeschneidungen. Im Gegensatz zu den Filmen Deodatos oder Lenzis, die – mal mehr, mal weniger ernstzunehmen – ihre Bilder primitiver Riten als Allegorie auf spätkapitalistischen Wirtschaftskannibalismus verstanden wissen wollten, ist EMANUELLE E GLI ULTIMI CANNIBALI wie auch Sergio Martinos LA MONTAGNA DEL DIO CANNIBALE eher dem Abenteuerfilm verpflichtet. Doch wo Martino sich wenigstens bemüht, eine gewisse Seriosität herzustellen, greift D’Amato mit beiden ungewaschenen Händen voll in die Soße. Er sucht noch nicht einmal nach der Schöpfkelle.

Superjournalistin Emanuelle recherchiert als Patientin getarnt in einer Heilanstalt und bekommt mit, wie eine Insassin einer Krankenschwester die Titte abbeißt. Sie schleicht sich in das Zimmer der offenkundig geistig Zerrütteten und schiebt ihr als erstes den Finger in den Schritt. Als sie Kontakt zum Anthropologen (Gabriele Tinti) aufnimmt, landen die beiden nur wenig später im Bett. Seine Mithilfe bei der Expedition ist damit unter Dach und Fach, akribische Vorbereitungen sind nicht nötig, in zwei Tagen geht es los. Immerhin bleibt noch Zeit für Emanuelle, sich von ihrem Freund zu verabschieden und ihn an einem lauschigen Plätzchen am Brooklyner Ufer des Hudson River im Stehen zu vögeln. In diesem Orgeltempo geht das weiter: Die Abenteurerin Maggie (Nieves Navarro) stellt dem muskulösen schwarzen Helfer nach, weil sie von ihrem impotenten Mann (Donal O’Brien) gelangweilt ist, doch der findet seine Manneskraft just in dem Moment wieder, als er endlich den Diamantenschatz in den Händen hält, den er so lang gesucht hat. Und die arme Isabelle wird zwar von den Wilden unter Drogen gesetzt und dann reihum vergewaltigt, doch dem Happy End soll das nicht im Wege stehen. Solche dreiste Arglosigkeit nötigt dann schon einigen Respekt ab, auch wenn die 90 Minuten von EMANUELLE E GLI ULTIMI CANNIBALI mitunter recht lang werden.

Bud Eagle (Arch Hall jr.) kommt mit einem alten Koffer und seiner Gitarre nach Los Angeles, um im Musikbusiness Fuß zu fassen. Durch Zufall erhält er sofort die Chance, bei einem Talentwettbewerb aufzutreten und begeistert dabei nicht nur die Zuschauer, sondern auch den Plattenfirmenboss Mike McCauley (Arch Hall sr.). Er verspricht Bud eine große Karriere, hat jedoch in Wahrheit vor, diesen auszupressen wie eine heiße Zitrone, solange er Gewinn abwirft. Buds Interesse an der braven Tänzerin Vickie (Nancy Czar) ist McCauley ein Dorn im Auge, weshalb er alles tut, den Kontakt zu unterbinden. Bud hat bald schon die Schnauze voll vom Business, aber er fühlt sich dem miesen Geschäftemacher verpflichtet – bis er seinen „Vorgänger“ Don Proctor (Robert Crum) kennenlernt, der mittlerweile dem Alkohol verfallen ist …

Eigentlich habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, Filme, die ich mit Alex beim Live-Audiokommentar schaue, nicht in dieses Tagebuch aufzunehmen, einfach weil die Sichtungssituation sehr speziell ist. Für WILD GUITAR mache ich aber gern eine Ausnahme: Zum einen ist es schon einige Jahre her, dass ich ihn zum letzten Mal noch zu Filmforen-Tagebuch-Zeiten gesehen habe, zum anderen liebe ich ihn über alles und halte ihn für ein cineastisches Zauberwerk, das leider viel zu oft als Baddie-Gurke geringgeschätzt wird. Auch gestern versuchten Alex und ich mit nur durchwachsenem Erfolg, dem anwesenden Publikum die Augen für die Schönheit dieses Films zu öffnen. Ich kann die Probleme, die „normale“ Filmseher mit ihm haben schon nachvollziehen: Wer in erster Linie Hollywood-Professionalismus gewohnt ist und für den Maßstab für „gutes Kino“ hält, dem kann man nur schwer begreiflich machen, wo die Qualitäten von Ray Dennis Stecklers ungeschliffenem Juwel liegen. Dabei muss man eigentlich nur genau hinsehen: Niemand geringeres als Vilmos Zsigmond (hier als „William Zsigmond“ aufgeführt), später mit der Kameraarbeit für unter anderem MCCABE & MRS. MILLER, DELIVERANCE, CLOSE ENCOUNTES OF THE THIRD KIND, THE DEER HUNTER, HEAVEN’S GATE oder BLOW OUT zu Weltruhm gelangt , fungierte als Second-Unit-Photographer und half mit, dass WILD GUITAR voller zwar etwas roher, aber dennoch wunderschöner Bilder ist. Viele Zuschauer scheitern beim Versuch, WILD GUITAR ernstzunehmen, wahrscheinlich an der Performance von Arch Hall jr., der nun einmal – da gibt es nichts dran zu deuteln – kein Schauspieler ist: Aber auch er fügt sich mit seiner entwaffnenden Unbedarftheit und dem leicht tumben, treudoofen Habitus m. E. perfekt in den Film ein. Er ist einfach brillant besetzt als naives Landei, das in die große Stadt kommt, und Steckler weiß all seine Schwächen im Stile eines Meisterregisseurs positiv umzudeuten und einzusetzen (ganz ähnlich wie Verhoeven das mit Elizabeth Berkeley in SHOWGIRLS gelang). WILD GUITAR ist im besten Sinne naives Märchenkino, das die bewundernswerte Chuzpe aufbringt, sich seine Geschichte nicht von der Realität – sprich: einem lächerlich geringen Budget – kaputtmachen zu lassen. Das große glitzernde Popbusiness wirkt geradezu anrührend unglamourös, aber das macht WILD GUITAR nur noch liebenswerter. Und Steckler weiß einfach, wie man Humor inszeniert: Die drei unfähigen New Yorker Gauner, die Bud später entführen (und mit denen Steckler seiner Vorliebe für alte Fernsehserials der Dreißigerjahre huldigt), sind urkomisch, und Steckler selbst brilliert unter seinem Pseudonym „Cash Flagg“ als McCauleys mieser enforcer Steak. Man sieht in jeder Sekunde, wie viel Spaß er an seiner Rolle hatte und seine Improvisationen sind unbezahlbar.

Seine magische Sternstunde hat WILD GUITAR ungefähr in der Mitte des Films, in einer Liebesszene, als die bunte, karnevaleske Clownerie, der der Film sonst frönt, zugunsten ungebrochener Romantik weicht. Auf einer nächtlichen, nur karg beleuchteten Eisfläche vereinen sich Bud und Vickie zu einem innigen Kuss. Der schwofige Rock-n‘-Roll- und Garagensound verstummt und stattdessen ertönt ganz leise eine fragile, zärtliche Melodie. Im Sonnenaufgang schlendern beide danach durch Hollywood und alles ist gut. Es ist ein Moment zum Sterben oder zum Heulen, auf jeden Fall für die totale Hingabe gemacht, völlig authentisch und ohne jede Zurückhaltung gefilmt. Ehrlichster, tief empfundenster Kitsch, wunderschön und anührend. Es ist vielleicht einer meiner Film-Lieblingsmomente überhaupt und auch gestern wäre ich trotz anwesendem Publikum fast zerschmolzen. Die Szene legt Zeugnis davon ab, dass Steckler – wie auch Ed Wood jr. – ein Kinomagier war, der einfach in einer ganz eigenen Liga spielte. Mir ist es völlig latte, dass WILD GUITAR in der IMDb mit skandalösen 2,8 Punkten abgespeist wird. Die Menschen sind dumm und unfähig, wahre Schönheit zu erkennen. Sollen sie in ZIEMLICH BESTE FREUNDE und Konsorten rennen. Ich bin mit Arch Hall jr. und fühle mich sehr wohl dabei. Ihr solltet das auch tun.