Ich weiß nicht, warum ich Slasherfilme so mag. Das heißt: Eigentlich weiß ich schon, warum ich sie mag. Was ich weniger verstehe ist, warum ich sie mir anschaue – mit 37 Jahren immer noch und vor allem immer wieder. Einst, in den unschuldigen Teenagerjahren, da verhießen die FRIDAY THE 13TH-Filme, die ich erst aus ausladenden Schulhofberichten hartgesottener Schulkameraden, die diese in meiner Vorstellung unübertrefflich furchteinflößenden Machwerke sehen durften und konnten, und dann aus den umfangreichen Reportagen in der Fangoria im örtlichen Comicladen kannte, Nervenkitzel, Tabubrüche (die ich so natürlich noch nicht benannte), Verbotenes. Die ersten Sichtungen waren beinahe Mutproben, bei denen ich mir richtig verwegen vorkam, auch wenn nur die deutschen, zum Teil geschnittenen Versionen zur Hand waren – oder, im Falle von Teil 3 und 4, auch nicht. Danach war ich dann Slasherfan, weil die Filme ohne Umwege das zusammenbrachten, was mich interessierte: einen coolen Killer mit fieser Maske und großem, die Kreativität anregenden Waffenarsenal, blutige Morde und ein bisschen Sex. Die unschuldige Begeisterung für das zynische Konzept ist geblieben, aber sie wird heute immer häufiger durch die Filme getrübt. Die Sorgen und Nöte der jugendlichen Opferschar gehen mir mittlerweile meilenweit am Arsch vorbei, die 13.459te Enthauptung ist einfach nicht mehr so schön wie die ersten 100. Der Arbeitsalltag, die Tochter und die sich durch diese Kombination ergebende Müdigkeit lassen am Abend Platz für einen Film, während ich früher von Schulschluss bis Zubettgehen durchglotzen konnte, und ein Langweiler stößt demzufolge nicht mehr auf ganz so viel Gnade wie früher. Aber auch, wenn ich mit FINAL EXAM – einem „slasher classic“ wie das DVD-Cover verheißt – nach GRADUATION DAY nun schon den zweiten veritablen Stinker gesehen habe, freue ich mich diebisch darauf, heute Abend NEW YEAR’S EVIL nachlegen zu können. FINAL EXAM ist dabei ein ganz gutes Beispiel, die oben aufgetane Differenz zwischen „Konzept“ und „Film“ zu illustrieren: Strukturell betrachtet, sind seine zahlreichen Verfehlungen irgendwie interessant, aber das überträgt sich einfach nicht auf die Sichtung, bei der ich zum Ende, vom Sekundenschlaf gepeinigt, immer häufiger auf die Uhr geschaut habe. Wer nicht ganz zu Unrecht meint, Slasherfilme erzählten keine Geschichte, sondern reihten nur Morde aneinander, der wird nach FINAL EXAM die kunstvollen Drehbuchwendungen und psychologisch ausgefeilten Motivationen der handelnden Figuren in FRIDAY THE 13TH, THE PROWLER, PROM NIGHT, TERROR TRAIN, SLAUGHTER HIGH, HIDE AND GO SHRIEK, DR. GIGGLES, DON’T GO IN THE WOODS … ALONE, THE INITIATION, MADMAN, FINAL TERROR, INTRUDER, JUST BEFORE DAWN oder HUMONGOUS lobpreisen.
An einem ländlichen College werden zwei Studenten beim Schäferstündchen in ihrem Auto gekillt. An einem anderen College bereiten sich die Studenten derweil auf ihre Semester-Abschlussprüfungen vor. Um dem Fraternity-Anführer Mark (John Fallon) das Pfuschen und somit Bestehen zu ermöglichen, simulieren seine Untergebenen einen Terroranschlag als Ablenkungsmanöver: Mit Skimasken getarnt und Maschinenpistolen bewaffnet fahren sie in einem VW-Bus auf den Campus, springen aus dem Wagen und eröffnen das Feuer auf die umstehenden Studenten, die blutüberströmt zu Boden gehen und anschließend entführt (?) werden. Die ganze Aktion stellt sich wenig später als ziemlich geschmacksunsicherer Scherz hinaus, der aber ohne Folgen bleibt, weil die Lehrerschaft ihn selbst ganz witzig findet und der Sheriff zu faul ist. Doch das Schicksal hat dann doch eine Strafe für die Beteiligten und einige weitere Protagonisten vorgesehen: Denn der Killer vom Beginn des Films sucht bald auch dieses College heim und zieht eine Blutspur über den Campus …
… und wer nun glaubt, zwischen dem Serienkiller und dem Streich gäbe es irgendeinen Zusammenhang oder die Identität des Mörders hätte sonst irgendeine Bewandnis, der sieht sich bitter enttäuscht. FINAL EXAM endet ohne weitere Erklärung unmittelbar, nachdem der Mörder vom final girl um die Ecke gebracht wurde, und lässt den Zuschauer mit einigen Fragezeichen über dem Kopf zurück: Sollte der Film mit seinem nachlässig, nämlich gar nicht entwickelten Universitäts- und Abschlussprüfungssujet etwa eine Parabel sein, die jungen Leuten die Kürze des Daseins vor Augen führt? Sollte das spielerische Morden, wie es die Studenten in ihrem Scherz ausüben, mit der Grausamkeit echten Sterbens kontrastiert werden? Sollte der namen-, masken- und identitätslose Killer (der mit seiner Topffrisur ein bisschen wie ein kantiger Dario Argento aussieht) gar die Härte des echten Lebens jenseits des behüteten College-Alltags symbolisieren? Keine dieser Fragen kann oder möchte man nach FINAL EXAM mit einem entschiedenen „Ja!“ beantworten, auch wenn das die einzig denkbare Erklärung für Hustons Film lieferte. In der linguistischen Pragmatik gibt es die sogenannte Aufrichtigkeitsbedingung: In der Kommunikation gehen wir grundsätzlich davon aus, dass das von unserem Gegenüber Gesagte auch so gemeint ist (was Ironie und ähnliche stilistische Mitte ausdrücklich miteinschließt); dass er uns nicht hinters Licht führen will, dass seine Aussagen mit seinem Weltbild und dem gemeinsamen Kenntnisstand sowie den regionalen Gepflogenheiten übereinstimmen. Kurz: Dass er uns nicht anlügt und uns keinen Unsinn erzählt. Angewendet auf FINAL EXAM bedeutet die Aufrichtigkeitsbedingung, dass wir damit rechnen, dass das Gezeigte in irgendeiner Form sinnhaft ist. Als Zuschauer stellt man daher unweigerlich eine Verbindung zwischen dem Studentenscherz und der Mordserie her, aber nichts in Hustons Inszenierung lässt erkennen, dass die beiden tatsächlich miteinander verbunden sind. So plätschert FINAL EXAM vollkommen ziellos dahin, tatsächlich nicht mehr als eine Aneinanderreihung von Szenen, als die man den Slasherfilm ja eh immer schon definiert hat. Zu Unrecht, denn meist erzählen diese Film lediglich auf besonders anschauliche elliptische und repetitive Art und Weise von der Jugend, vom ersten Sex, von Scham, Schuld, Angst und Tod. Bei FINAL EXAM tue ich mich aber schwer damit, zu behaupten, er erzähle etwas, weil Erzählen eben Sinnstiftung und Verdichtung bedeutet. Hier ergibt nichts einen erkennbaren Sinn, es stellt sich kein Zusammenhang oder auch nur eine noch so lapidare Erkenntnis ein und von Dichte mag man angesichts der epischen Breite, auf die vollkommen folgenlos bleibende Nicht-Ereignisse ausgewalzt werden, auch nicht sprechen. Das ist alles sehr rätselhaft, zumal Huston wenn schon nicht besonders kunstvoll, so doch in positivem Sinne routiniert inszeniert. FINAL EXAM wirkt wie ein durchschnittlicher, nach den Regeln spielender Slasherfilm. Aber er ist keiner. Er kennt nicht nur diese Regeln nicht, er scheint gar nicht zu wissen, dass überhaupt welche existieren.
Dann sind da noch die eher typischen Unzulänglichkeiten, für die man das Genre wahlweise liebt oder hasst: Den unfassbar geschmacklosen „Scherz“ habe ich bereits gewürdigt. In einer Liste der geschmacklosen Scherze in Slasherfilmen muss er nur SLAUGHTER HIGH den Vortritt lassen. Kaum weniger geschmacklos ist aber die Reaktion des Gesetzes auf das vermeintliche Massaker: Erst Stunden später kommt der sichtlich genervte Sheriff in aller Seelenruhe angerollt und anstatt erleichtert darüber zu sein, dass alles nur ein Streich war, ist er sauer, dass man ihn umsonst gerufen hat. Dann die Fraternity-Proleten: Anführer Mark trägt eine schlimme Mittelscheitel-Helmfrisur spazieren, sein enforcer Wildman (Ralph Brown) ist ein übler, auch im Unterricht rülpsender Prolet mit menschenaffenhaftem Gebaren (einmal sprüht er sich Deo in den Mund, gurgelt mit einem Schluck Schnaps und spuckt diesen dann mitten in sein Zimmer). Beide hausen wie die Schweine zwischen Müllbergen, Nacktpostern und weiblichen Kleidungsstücken, was wohl als Ausweis besonderer Männlichkeit gelten darf. Und sie sind noch nicht einmal unbeliebt, noch nicht einmal bei den „Normalen“ oder gar dem obligatorischen Nerd und Schlaumeier. Das bringt mich zur bizarrsten Gestalt des Films, dem lockenköpfige Spargeltarzan Radish (Joel S. Rice), der ständig seine Brillanz betont, wenn er mal wieder als erster seinen Test abgibt: Ich würde mal behaupten, dass Rice (er fungiert heute fast ausschließlich als Produzent von Fernsehfilmen) homosexuell ist, aber er wird als heterosexuell inszeniert und darf sogar einen Crush für das final girl Courtney (Cecile Bagdardi) entwickeln, was einfach hinten und vorne nicht passt. Nachdem er ihr auf die denkbar unbeholfene und unglaubwürdige Art und Weise sein Gefallen geäußert hat, kommentiert er zu sich selbst „I can’t believe I just said that!“ und seine Worte wirken beinahe wie ein In-Joke. Nicht nur das, sein verzückter Gesichtsausdruck lässt es für einen Moment als absolut denkbar und konsequent erscheinen, dass er aus dem Stand in eine schwelgerisch-ausladende Musicalnummer verfällt.
Wie gesagt: Irgendwie ist FINAL EXAM schon ganz interessant auf seine ihm eigene Art. Sicherlich viel interessanter als der zuletzt ertragene GRADUATION DAY, der lediglich ganz normal schlecht und öd (dabei aber schön trist und trüb) war. Spannender oder unterhaltsamer ist er aber auch nicht. Huston, dessen vierter Film das war, drehte sechs Jahre später noch eine Vampirkomödie, seitdem beschränkt sich seine Filmografie auf zwei Fernseharbeiten. Sein größter Wurf ist wohl das Drehbuch zu Peter Hyams tollem RUNNING SCARED. Er war offensichtlich nicht völlig planlos, was das Mysterium namens FINAL EXAM nicht gerade kleiner macht. Wenigstens eine Sache habe ich aber gelernt: Wenn auf dem DVD-Klappentext eines angeblichen „slasher classics“ dessen Lichtsetzung und Musik besonders hervorgehoben werden, ist Vorsicht geboten. Es handelt sich möglicherweise um Code für „spannungsarmer Slasher mit unblutigen Morden“.