Archiv für November, 2013

Der schüchterne Tonino (Alfredo Pea) ist unsterblich in seine neue Literaturlehrerin Carla Moretti (Dagmar Lassander) verliebt. Aber weil sie zwischen den ganzen idiotischen Lehrergestalten wie eine Göttin anmutet, zieht sie nicht nur seine Aufmerksamkeit auf sich. Auch der schmierige, selbstverliebte Direktor Prof. Finocchiaro (Michele Gammino) und Alfredos übergriffiger Freund Salvatore (Gabriele Di Giulio) rechnen sich Chancen aus. Wie Tonino sich in tiefsten Liebeskummer vergräbt, kann ihm auch die hübsche Tante Tecla (Femi Benussi) keinen dauerhaften Trost spenden, weshalb sie mit Toninos Vater Felice (Mario Carotenuto), einem Verleger erotischer  Fotoromane, einen Plan schmiedet: Sie lassen Carla und Tonino entführen und zusammen in einer abgelegenen Gartenlaube einsperren. Dort kommen sich die zwei tatsächlich näher …

Auf seinem dem italienischen Film gewidmeten Blog L’Amore in Città hat sich der Kenner Udo Rotenberg kürzlich – sehr zu meinem Glück – mit zwei Beiträgen zum Genre der Commedia sexy all’italiana geäußert. Vor allem sein Text zu L’INSEGNANTE war sehr hilfreich für meinen anhaltenden Exkurs in die Welt zotiger mediterraner Schlüpfrigkeiten. Der genannte Film bildet nämlich so etwas wie die Blaupause für CLASSE MISTA: Auch dort verliebt sich ein Schüler – passenderweise ebenfalls gespielt von Alfredo Pea – in seine Lehrerin (Edwige Fenech) und geht am Ende sogar eine Beziehung mit ihr ein. (Der andere Text von Udo beschäftigt sich mit LA DOTTORESSA DEL DISTRETTO MILITARE, der das Erfolgsrezept von L’INSEGNANTE aufwärmt und ins Militärumfeld verlagert.) Wie Udo zu erklären weiß, hat die erotische Fantasie, sich von älteren Frauen in die Kunst der Liebe einweisen zu lassen, einen durchaus realen Hintergrund in den sozialen Gegebenheiten des Italien der Siebzigerjahre: Da Mädchen als Jungfrauen in die Ehe gehen sollten, blieb den Jungen meist nichts anderes übrig, als ihre ersten Erfahrungen bei älteren Frauen oder in Bordellen zu machen. Dass ausgerechnet Papa Felice dabei hilft, seinen Sohn mit der Lehrerin zusammenzubringen, mutet vor diesem Hintergrund gleich deutlich weniger unverantwortlich und bizarr an, auch wenn die Mittel, die er dafür wählt, nicht gerade konform gehen mit modernen Überzeugungen von Recht, Moral und Anstand. Die schöne Carla nimmt es zum Glück relativ gelassen, dass sie verschleppt und eingesperrt wurde, nur damit sich ein blasses Jüngelchen die Hörner an ihr abstoßen kann. Der Begriff „Lehrkörper“ bekommt da eine ganz neue Dimension. Am Ende kann sie Tonino aber davon überzeugen, dass eine dauerhafte Beziehung zwischen den beiden nicht das richtige wäre, er sich lieber eine gleichaltrige Freundin suchen solle. Die Trauer über die Abreise der nach Rom abberufenen Carla währt dann auch nicht allzu lang, denn die nächste heißblütige Lehrerinnenschönheit steht schon als Ersatz bereit.

CLASSE MISTA erschien 1976, ein Jahr nach L’INSEGNANTE, wie dieser produziert von Luciano Martino, seines Zeichens Bruder von Regisseur Sergio Martino und damaliger Lebensgefährte von Edwige Fenech, und mit nahezu identisch besetzten Hauptrollen. Alfredo Pea gibt erneut den blässlichen, schüchternen Jungen, der sich in die ältere Frau verliebt, Spaßvogel und Backpfeifengesicht Alvaro Vitali seinen munteren Freund Angelino, Gianfranco D’Angelo ist in einer seiner zahlreichen Deppenrollen zu sehen, diesmal als Hausmeister Ciccio, der sich seinerseits um die Eroberung der dickleibigen Lehrerin Prof.  Gina Zucca (Fiammetta Baralla) bemüht, und Mario Carotenuto brilliert als spießiger, scheinheiliger Patriarch mit Herz. Seine Dialoge sind auch dank der großartigen Synchronisation von Arnold Marquis einer der Höhepunkte eines Films, der mit dem Begriff „Formelkino“ zwar treffend beschrieben ist, aber Freunden jener speziellen italienischen Albernheiten dennoch hinreichend Amüsement bietet. In Deutschland erschien CLASSE MISTA 1979 mit einigen Jahren Verspätung und wurde mit dem deutschen Titel DIE FRECHEN TEENS DREH’N EIN NEUES DING in die erfolgreiche FLOTTE TEENS-Reihe eingemeindet. Es gab schon schlimmere Verbrechen: Mariano Laurenti zeichnete 1978, also ein Jahr zuvor, für FLOTTE TEENS – JETZT OHNE JEANS, den zweiten Teil der Reihe, verantwortlich (in dem ebenfalls Alvaro Vitali und Gianfranco D’Angelo in typischen Rollen zu sehen waren), und soweit ich das beurteilen kann, wurde zumindest für die Außenaufnahmen dasselbe (in Bari gelegene) Schulgebäude verwendet. Letzten Endes unterscheiden sich diese Filme eh nur marginal, warten immer wieder mit derselben Kombination aus etwas verhaltener Romantik, einer Prise Sex – sowohl Femi Benussi als auch Dagmar Lassander ziehen blank –, etwas gegen das bürgerliche Establishment gerichteter Satire und derbem Humor auf. Mir machen diese Filme derzeit erstaunlich viel Laune: Gleichermaßen unschuldige wie überdrehte Albernheiten wie hier findet man im zeitgenössischen Kino kaum noch. In Verbindung mit den frivolen Einlagen erinnern sie frappierend an Herrenwitz-Heftchen oder amerikanische Cartoon-Magazine wie „Sex to Sexty“ (das verlinkte Buch sei hiermit empfohlen), deren unverhohlene Schlüpfrigkeit heute, in einer Zeit, die sich ihrer angeblichen Abgeklärtheit und Tabufreiheit rühmt, vollkommen fremdartig anmutet. Um eine Dialogzeile des Films zu zitieren: „Da treibt es einem den Fußschweiß ins Gesicht.“

full.donovonsreef-1sh__02237.1383688233.1280.1280Wenn zwei gleichermaßen intelligente, in Persönlichkeit und Geschmack aber vollkommen unterschiedliche Menschen unabhängig voneinander zum selben Urteil über einen Film kommen, dann ist wahrscheinlich was dran: Der Welt bester DVD-Händler Robert beschrieb DONOVAN’S REEF mir gegenüber als geradezu ansteckend liebenswert, Kollege Lukas Foerster als „Meisterwerk“ und als „entspanntesten Film aller Zeiten“.  John Fords 136. und damit viertletzter Film markiert auch seine letzte Zusammenarbeit mit John Wayne und mutet nicht zuletzt dank der exotischen Kulisse Hawaiis an wie ein vollkommen sorgenfreier Urlaub im Kreise der Liebsten. Seine Handlung wird nicht rigide abgeklappert, sondern bietet eher eine mit Brotkrumen gelegte Spur, von der man auch ruhig mal abweichen darf, sofern man sie irgendwann wiederfindet. Das „Ziel“ scheint von Ford vor allem zur Selbstdisziplinierung ausgerufen worden zu sein, schließlich müssen die Dreharbeiten und mit ihnen der Film irgendwann mal abgeschlossen werden – aber man merkt, dass er eigentlich viel lieber zusammen mit „Guns“ Donovan (John Wayne), „Boats“ Gilhooley (Lee Marvin) in den Tag hineinleben würde, sich von dem überraschen lassen, was da kommt, und einfach das Leben genießen. Und für die 100 Minuten von DONOVAN’S REEF ermöglicht er es dem Zuschauer, genau dasselbe zu tun.

Auf der polynesischen Insel Haleakaloha lebt der Amerikaner Donovan, ein Weltkriegsveteran, der dort mit zwei Kameraden – „Boats“ Gilhooley und Dr. William Dedham (Jack Warden) – landete, als ihr Schiff vor der Küste von Japanern versenkt wurde. Sie befreiten das Eiland von den Besatzern und ließen sich dort, beeindruckt von der Gastfreundlichkeit ihrer Bewohner und der Schönheit der Natur nieder: Dedham ehelichte die einheimische Prinzessin und setzte mit ihr drei Kinder in die Welt, bevor sie verstarb, Donovan eröffnete eine Kneipe, in der er sich seit nunmehr 21 Jahren, pünktlich zu ihrem gemeinsamen Geburtstag, eine Schlägerei mit Gilhooley liefert. Große Aufregung erfasst alle Bewohner, als sich Dedhams amerikanische Tochter aus erster Ehe ankündigt, die schöne, aber etwas steife Amelia (Elizabeth Allen). Im Auftrag der Dedham Shipping Company soll sie ihren Vater, den rechtmäßigen Erben des Unternehmens, treffen – und nach Möglichkeit feststellen, dass eine Testamentsklausel auf ihn zutrifft, die besagt, dass jemand der sich „unmoralisch“ verhalten habe, nicht als Erbe infrage kommt. In weiser Voraussicht nimmt Donovan Dedhams Kinder unter seine Fittiche, um Amelia mit den Lebensumständen ihres leiblichen Vaters nicht zu überfordern – und gerät sofort mit ihr aneinander. Aber was sich neckt, liebt sich bekanntlich …

DONOVAN’S REEF beginnt mit dem als Arbeiter auf einem Schiff an Haleakaloha vorbeischippernden Gilhooley, der kurzerhand von Bord springt, um pünktlich zu seiner alljährlichen Geburtstagsschlägerei mit Donovan zu kommen. Donovan, sichtlich genervt von der „geliebten“ Tradition, setzt trotzdem alle Hebel in Bewegung, um den geliebten Feind in seiner Pinte zu empfangen. Natürlich helfen alle Bekundungen, diesmal keine Fäuste fliegen zu lassen, nichts, die beiden Männer – und vor allem der geradezu störrisch eindimensionale Gilhooley – kommen aus ihren angestammten Rollen einfach nicht raus. Aber im Grunde ist jeder Fausthieb eine Liebesbekundung, und am Ende, wenn beide erschöpft zu Boden sinken, wird die Jahrzehnte währende Freundschaft mit einem Bier begossen, der Streit bis zum nächsten Jahr begraben. „Donovan’s Reef“ ist dann auch kein Unternehmen im eigentlichen Sinne. Es geht in diesem Lokal nicht ums Geldverdienen, vielmehr ist der Ort ist das Wohnzimmer der beiden Haudegen, weil sie sich in einer Pinte nun einmal am wohlsten fühlen (und spiegelt damit im Kleinen die Funktion der Insel Haleakalhoa). Haupteinnahmequelle ist nicht der Getränkeausschank – das Bier nimmt man sich einfach –, sondern der seit Jahren defekte Spielautomat, der eine geradezu magische Anziehungskraft auf japanische Touristen ausübt. Schon dieser Auftakt von Fords Film nimmt einen mit seiner liebevollen und detailreichen Zeichnung der Charaktere und ihrer Lebensumstände ein: Die Zahl der Worte, die der ruppige Gilhooley im gesamten Film spricht, kann man wahrscheinlich an zwei Händen abzählen, trotzdem lässt Marvins Darstellung keinerlei Fragen offen. Da sitzt jede Bewegung, jeder Blick erzählt eine Geschichte, jede Gesichtsregung offenbart eine wenn auch vielleicht nicht gerade vielschichtige, so doch absolut authentische, gelebte Persönlichkeit. Das trifft auch auf den Handlungsort zu: Haleakaloha und seine Einwohner erscheinen als lebendiges Biotop, als realer Ort mit einer angestammten Kultur und einer gesellschaftlichen Ordnung, mit festen Riten, Beziehungen und Konflikten. Die Bewohner – egal woher sie kommen – kennen und respektieren sich, meistern das Leben mit- statt nur neben- oder gar gegeneinander, arbeiten als eingeschworenes Team zusammen, als sich plötzlich die „Fremde“ ankündigt. Es braucht nicht viele Worte zwischen den Menschen, die sich nahezu blind verstehen. Haleakaloha ist eine Utopie: Ein Ort, an dem Rassengrenzen gefallen sind, dessen Bewohner die vorherrschende Lebensrealität selbst geschaffen haben und sie jeden Tag bestätigen. Es ist also eigentlich klar, dass der aus dramaturgischer Sicht notwendige Konflikt nie wirklich einer werden darf: Die zu Beginn als entscheidend ausgewiesene Frage, wie Amelia den Lebenswandel ihres Vaters bewerten wird, ob sie ihn tatsächlich für „unmoralisch“ und damit als ungeeignet für die Übernahme des Familienunternehmens hält, wird nie wirklich gestellt. Ihr Vater erklärt sich ihr, bevor sie ihn auf den Prüfstand stellen kann, und weist auch die Möglichkeit einer Rückkehr ins europäisch-kapitalistische Boston von vornherein zurück. Das Leben, das ihn dort erwarten würde, stellt keine Verlockung mehr für ihn da, finanzieller und materieller Reichtum interessieren ihn nicht mehr. Und das Leben, das Amelia vorfindet, lässt ihr keine andere Wahl, als ihm zuzustimmen und ihrerseits die Brücken in ihre Heimat abzubrechen.

Man mag es hinter seiner sonnigen, leichtfüßigen Fassade nicht bemerken, aber DONOVAN’S REEF beinhaltet tatsächlich eine deutliche Kritik an unseren westlichen Zivilisationen und hält ihnen eine radikale Utopie entgegen. Ford verabschiedet sich vehement vom Glauben an eine gegebene nationale oder auch ethnische „Verbundenheit“. Dieser Glauben hält die Menschen in letzter Instanz lediglich davon ab, ihr Glück und ihre Bestimmung an ungeahnten Orten zu finden. Seine Protagonisten sind echte „Expatriates“: Sie haben ihr Land nicht nur als geografischen, sondern auch als sozialen und ideologischen Ort weit hinter sich gelassen, sind auf ihrer idyllischen Südseeinsel tatsächlich zu Hause und begründen dort eine neue „Nationalität“, eine, die sich nicht mehr aus vermeintlich biologischen Gemeinsamkeiten herleitet, sondern allein aus einer bestimmten Gesinnung und Lebenshaltung. Die Menschen, die die Insel bewohnen, haben sich für diesen Ort entschieden, weil er ihrem Wesen entspricht, sie dort sein können und ihm selbst etwas zu geben haben. Dem Gouverneur Marquis Andre de Lage (Cesar Romero), der selbst noch an den paradiesischen Zuständen zu mäkeln hat und sich nach Miami oder Hollywood wünscht, ist genauso wenig zu helfen, wie den steifen Bostonians, die sich in dunklen Zimmern abfrieren, während draußen der Schnee fällt, und die Rum als „West Indies Goods“ verkaufen, um sich selbst in die Tasche zu lügen. Wie viel einfacher und ehrlicher ist hingegen das Leben auf Haleakaloha: Hier prügelt man sich höchstens aus alter Tradition und Konflikte werden mit einem Handschlag beseitigt. Das Leben könnte so einfach sein. DONOVAN’S REEF macht es möglich, für anderthalb Stunden in diese Utopie einzusteigen. Könnte er doch nur ewig dauern!

Beim zweiten Anlauf, das Abitur zu machen, kommen Loredana (Gloria Guida) erneut romantische Irrungen in den Weg. Zwar ist sie immer noch irgendwie mit dem ekligen Billy (Rodolfo Bigotti) liiert, doch arbeitet der geckenhafte Professor Pinzarrone (Gianfranco D’Angelo) fieberhaft daran, sie mit seinem Sohn  Tonino (Sylvain Chamarande) zu verkuppeln – als verspätete Rache dafür, dass er selbst vor Jahrzehnten bei Loredanas Mutter abgeblitzt war. Nach einem Autounfall wird Tonino gezwungen, den sterbenden Schwan zu mimen, um so erst Schuldgefühle und Mitleid, dann schließlich wärmere Gefühle bei Loredana zu wecken. Billy ist natürlich gar nicht begeistert und sucht nach der richtigen Konterstrategie. Unterdessen wird die hoffnungslos überforderte Lehrerschar von den Schülern mit fiesen Streichen getriezt …

Die Fortsetzung – auf Deutsch FLOTTE TEENS – JETZT OHNE JEANS betitelt (und damit Erwartungen schürend, die nicht wirklich erfüllt werden) – teilt mit dem Vorgänger LA LICEALE nur noch oberflächliche Gemeinsamkeiten. Gloria Guidas Loredana ist hier vergleichsweise brav, nachdem sie zuvor noch als durchtriebene Lolita erwachsenen und heranwachsenden Männern gleich reihenweise den Kopf verdrehte. Sie behält dann auch bis kurz vor Schluss alle Klamotten an und bleibt – wohl auch, weil der Film offenkundig im Herbst gedreht wurde – meist überaus züchtig verhüllt. Überhaupt wird sie von der Handlung des Films über weite Strecken in die Passivität und somit an den Rand des Geschehens gedrängt. Gianfranco D’Angelo stiehlt ihr eindeutig die Schau als intriganter Popanz, der ständig mit Stiefeln und Reiterhose herumläuft und die Reitgerte schwingt. (In der deutschen Fassung wird erst sehr spät klar, was es mit seinem Outfit auf sich hat, als man nämlich einen Blick auf das Hitlerbild an seiner Wohnzimmerwand erhascht. Jeder Hinweis auf seine politische Ausrichtung wurde von der deutschen Synchronisation natürlich vorsorglich getilgt.) Mit dieser Akzentverlagerung verändert sich der ganze Film: Weg von der pubertierenden Softsexkomödie hin zur episodischen Comedia all’italiana mit ihren karikaturesk überzeichneten Spießerfiguren, zotigen Slapstickszenen und zielgenau auf die Region um die Gürtellinie gerichteten Witzen. Die deutsche Synchro steht der hemmungslosen Alberei in nichts nach und so hat mir LA LICEALE NELLA CLASSE DEI RIPETENTI deutlich mehr Spaß bereitet als der Vorgänger, der zwar mehr nackte Haut vorzuweisen hatte, aber sich zu sehr auf seine nur wenig aufregende Story konzentrierte.

Um einen Eindruck zu vermitteln, welche bizarren Kausalketten hier aufgespannt werden, nur um jemanden mit dem Kopf vor einen Schrank knallen oder nasse Füße bekommen zu lassen, ein besonders markantes Beispiel: Professor Pinzarrone besucht eines Abends seine Geliebte. Die ist gelangweilt von seinen Liebeskünsten und zwingt ihn dazu, mit einem Strumpf über dem Kopf in ihre Wohnung im ersten Stock einzusteigen, um sie dann als Dieb zu „vergewaltigen“. Bei seiner Fassadenkletterei beobachten ihn Billy und zwei Schulkameraden aus einer gegenüberliegenden Wohnung und zwar durch das Zielfernrohr eines Gewehrs (erstaunlicherweise wird im Folgenden niemandem in den Hintern geschossen, womit ich fest gerechnet hatte). Weil Pinzarrone sich beim ersten Anlauf blöd anstellt, schickt seine Geliebte ihn erneut auf die Straße. Dort wird er nun von den drei Schülern abgefangen, die ihren Lehrer sogleich in ein Gespräch über sein Idol Napoleon verwickeln und ihn von seinem eigentlichen Plan abhalten. Während er enthusiastisch referiert, klettert einer der Schüler nach dem anderen, ebenfalls mit Strumpfmaske verkleidet, in die Wohnung der wartenden Frau, um sie dort zu beschlafen. Die Gute ahnt nichts und ist nach der dritten „Vergewaltigung“ völlig k.o. Sehr zum Leidwesen von Pinzarrone, der nicht nur leer ausgeht, als er endlich wieder bei ihr ankommt, sondern auch noch als Einbrecher von der Polizei gestellt und in den Knast verfrachtet wird. Todmüde und übernächtigt – seine Zelle hatte kein Bett – tritt er am nächsten Morgen die Arbeit in der Schule an, wo er am Pult einschläft und sogleich zur Zielscheibe gemeiner Streiche wird. Die Situation kulminiert, als er sich auf die Toilette schleppt, die die Schüler zuvor vorsorglich verstopft haben, und am Urinal erneut einpennt, während das Wasser der Spülung läuft und läuft und läuft …

Aber es gibt noch weitaus mehr solch „elaborierter“ Späße: Eine schreckhafte Lehrerin fällt bei jedem lauten Geräusch vor Schreck aufs Kreuz und erzielt so schließlich den Hochsprung-Rekord beim Sportfest am Ende des Films. Der Direktor des Films ist schwerhörig und versteht daher alles falsch, was ihm gesagt wird. Immer wieder bekommen Leute die Reitgerte Pinzarrones ab. Das Auto des Musiklehrers Modesti (Alvaro Vitali) wird von den Schülern immer wieder auseinandergenommen und fällt am Ende – als es ausnahmsweise mal völlig intakt scheint – in seine Bestandteile zusammen, als er den Motor anlässt. Beim Sportfest tritt er darüber hinaus mit Perücke verkleidet in der Damen-Staffel an, weil Loredana überraschend ausfällt: Billy hat sich Toninos Strategie zu eigen gemacht und eine Verletzung beim Weitsprung vorgetäuscht. Nachdem er also rücklings in den Sand gefallen ist, markiert er den sterbenden Schwan, der schon fast das Licht am Ende des Tunnels sieht, ohne dass sich einer der Anwesenden darüber wundert. Unbedingt erwähnenswert ist auch Loredanas männlicher Vormund, Onkel Zenobio (Lino Banfi), der seine Glatze unter einem Toupet versteckt, um eine Frau aufzureißen. Sein amouröses Tête-à-Tête wird von Loredanas Freunden unterbunden, die eben noch eine Party gefeiert haben und sich nun hinter der Couch verstecken. In einem bemerkenswerten Tennismatch treten die beiden Turteltäubchen auch noch gegen den tauben Direktor und die schreckhafte Lehrerin an: Hilarity ensues so sicher wie das Amen in der Kirche.

Immer wenn man glaubt, das Niveau könne unmöglich unterboten werden, oder meint, wenigstens ein Standard des tumben Humors würde ausgelassen, wird man vom Gegenteil überzeugt und es kommt noch schlimmer. Aber ehrlich: Gerade das ist ja das Tolle an diesem Film, der heute wahlweise anmutet wie von einem anderen Planeten zu uns heruntergebeamt oder aber wie von einer Horde überdrehter Achtjähriger ohne jedes Talent zur Selbstbeschränkung erdacht. Die Albernheit des Films ist hochgradig ansteckend und mein Vergnügen verhielt sich direkt proportional zur Blödheit der Pointen. Es wird wirklich alles geboten, was man vor 25 bis 30 Jahren mit noch nicht voll entwickeltem Hirn für komisch hielt, und von den Darstellern in jener unnachahmlichen italienischen Art präsentiert. LA LICEALE NELLA CLASSE DEI RIPETENTI ist gewiss nicht für jedermann, aber mich hat die Sucht jetzt schon gepackt. Ich will mehr davon.

Nicolas Winding Refn hat sich in den letzten Jahren vom cineastischen Geheimtipp, der nur wenigen ein Begriff war, zum Kritikerdarling und In-Regisseur entwickelt, dessen Filme mit Spannung erwartet werden und den schwierigen Spagat zwischen Programmkino- und Multiplex-Publikum schaffen. Sein DRIVE avancierte – auch dank seines Soundtracks – zum stilprägenden Kultfilm, sein Hauptdarsteller vom eher unscheinbaren Schönling zum plötzlich gefragten Charakterdarsteller. Mit dem zunehmenden Erfolg des Dänen wurde aber – fast zwangsläufig – auch die Kritik an seinem typischen Stil lauter: der bekannte Style-over-Substance-Vorwurf, dem sich vor einigen Jahren auch schon Wes Anderson gegenübersah, hier noch verbunden mit einer ideologischen Kritik an den mitunter von heftigen Gewaltausbrüchen und einer nicht immer ganz durchschaubaren Männlichkeitsinszenierung durchzogenen Filmen. ONLY GOD FORGIVES, der direkte Nachfolger von DRIVE, ist vielleicht Refns wichtigster Film, gilt es doch sich vor einem gewachsenen Publikum zu beweisen, seine neue „Massentauglichkeit“ zu belegen und die Kritiker, die einen ungerechtfertigten Hype unterstellten, Lügen zu strafen. Dummerweise muss dies nun mir Refns vielleicht schwächstem Film gelingen, zumindest aber mit einem, der seinen Kritikern reichlich Öl ins Feuer gießt.

In Bangkok unterhält Julian (Ryan Gosling) gemeinsam mit seinem Bruder Billy (Tom Burke) eine Kickbox-Schule, die gleichzeitig als Front für ihre Drogengeschäfte dient. Als Billy eine Minderjährige vergewaltigt und umbringt, zieht er den Zorn des Polizisten Chang (Vithaya Pansringarm) auf sich, der dem Vater des Mädchens die Möglichkeit gibt, ihren Mörder zu töten. Nachdem Crystal (Kristin Scott-Thomas), die herrische Mutter Julians, in Bangkok eingetroffen ist, um ihren Sohn zu beerdigen, beauftragt sie Julian, sich mit der Rache für den Tod Billys bei ihr zu beweisen. Es beginnt ein Krieg der Killer …

Die wesentlichen Stilelemente des Vorgängers findet man auch in ONLY GOD FORGIVES in gesteigerter Form wieder: Für die gesamten Dialoge des Films benötigt man wahrscheinlich kaum mehr als zwei großzügig bedruckte DIN-A4-Seiten, die Figuren bewegen sich wie in Zeitlupe oder auch wie in Trance durch die symmetrisch komponierten und expressiv ausgeleuchteten Bilder (wenn sie sich überhaupt bewegen), der hypnotisch-dräuende Score von Cliff Martinez verleiht allem eine extrem albtraumhafte Qualität, die durch die elliptische, von Vorahnungen, Rückblenden und Gedankenbildern geprägte Erzählstruktur noch unterstützt wird. Man fühlt sich teilweise in ein modernes Theaterstück versetzt: Begünstigt wird dieser Eindruck durch den bühnenhaften Bildaufbau, der das Geschehen vor dem Zuschauer wie in einem Guckkasten entfaltet, und das wenig subtile, vielmehr breit ausgestellte Spiel der Akteure mit ihren archetypischen, nur flüchtig skizzierten Rollen. Sympathiefiguren gibt es eigentlich gar nicht mehr: Alle Protagonisten sind Psychopathen, psychisch zerrüttet, unfähig ihrem Leben einen Sinn zu geben. Julian sitzt über weite Strecken des Films wort- und reglos in einem Stripclub, wo er ein Mädchen dafür bezahlt, vor ihm zu masturbieren. Die Demütigungen und Beleidigungen seiner Mutter lässt er ohne Widerspruch über sich ergehen, im Kampf gegen Chang agiert er erst mit äußerster Badass-Coolness, nur um von diesem dann hoffnungslos verdroschen zu werden. Und der Cop, ein ausdruckloser Racheengel geht mit unerbittlicher Härte gegen das Verbrechen vor, nur um anschließend vor seinen Männern Karaokeschlager zu intonieren. Von Anfang an bewegt sich ONLY GOD FORGIVES auf sein unausweichliches, vorhersehbares Ende zu: Nur Gott vergibt, für keinen der Charaktere gibt es irgendeine Hoffnung auf dieser Welt und das in grellen Neonfarben flackernde Bangkok ist die Hölle auf Erden, die alles vertilgt.

Formal ist ONLY GOD FORGIVES ein reiches Erlebnis, das die Sinne verführt und eine einzigartige Stimmung entwirft. Der ganze Film wirkt wie die auf 90 Minuten gestreckte Hammerszene aus DRIVE mit ihrem hochstiliserten Bildaufbau, dem frappierenden Kontrast zwischen dem Was und dem Wie, dem Aufeinanderprallen inneren Tumults und äußerster Ruhe der Darstellung. Das fasziniert auch hier wieder, lädt dazu ein, an der Oberfläche der Bilder zu Kratzen, zu begreifen, was sich hinter ihnen verbirgt. So wie man in DRIVE eben wissen wollte, welcher Mensch hinter der ruhigen Fassade des Drivers steckte. Genau hier fangen jedoch die Probleme mit ONLY GOD FORGIVES an, der erschreckend wenig zu erzählen weiß. Das bedeutungsschwere Schweigen wirkt hier eben nicht mehr geheimnisvoll und einladend, nicht wie der Schutzmechanismus eines Verwundeten, der sich vor Fragen abschotten will, weil die Antworten zu grausam sind. Es ist einfach nur Schweigen. Goslings Julian ist kein charismatischer Außenseiter, dessen Wortkargheit mehr sagt als ausufernde Erklärungen, sondern einfach nur ein Feigling, ein Drückeberger. Er spricht nicht, weil er nichts zu sagen hat. Und irgendwie trifft das auch auf seinen Regisseur zu, der bei der kunstvollen Gestaltung seines Films, beim Kreieren dieser unnachahmlichen Atmosphäre irgendwann vergessen hat, was er eigentlich erzählen wollte. Ein Rachefilm muss gewiss keine großen dichterischen Volten schlagen, aber er sollte doch irgendwie über einen moralischen Standpunkt verfügen, ganz gleich, wie der nun genau aussieht. Ich weiß einfach nicht, was Refn mir mit ONLY GOD FORGIVES erzählen will. Alles, was ich aus dem Film herausziehe, finde ich erschreckend banal. Und das beeinträchtigt dann eben auch die Begeisterung für die formale Gestaltung, weil sie eben in keinerlei Verhältnis zum kargen Inhalt steht.

Ich hatte fast schon erwartet, dass mich ONLY GOD FORGIVES enttäuschen würde und konnte mich gestern noch nicht einmal wirklich darüber ärgern. Vieles, was mir bei der Betrachtung rätselhaft erschien, habe ich auch eben erst verstanden, nachdem ich Verns Review gelesen habe. Vielleicht wäre es am besten, ein abschließendes Urteil auf eine Zweitsichtung zu vertagen. Auch wenn ich befürchte, dass sich an meiner grundsätzlichen Haltung zum Film nichts Wesentliches ändern wird, lässt mich der Film noch nicht ganz los. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich nur sagen, dass ONLY GOD FORGIVES sicherlich sehenswert, aber leider auch sehr unbefriedigend ist. Und dass Refn doch nicht unfehlbar ist, was man ja durchaus auch als beruhigend empfinden kann.

PACIFIC RIM ist eine Übung in awesomeness: Seine Story lässt sich auf die visuelle Idee „Riesenroboter kämpfen gegen Riesenmonster“ runterbrechen; ein markiges Versprechen, das der Weltbevölkerung der Nerds wahrscheinlich kollektive Hirnorgasmen verschaffte. Der ganze Film lässt sich als Versuch verstehen, der ultimativen Nerdfantasie bildlich so nah wie möglich zu kommen, zwei der coolsten Dinge auf dem Planeten – Kampfroboter! Monster!! – auf kürzestem Wege zusammenzubringen und in unvergesslichen geilen Bildern abzulichten. Ich würde behaupten, der Versuch war ausgesprochen erfolgreich, aber ein Bisschen was fehlt dennoch. Del Toro gehört mit Leuten wie Quentin Tarantino, Robert Rodriguez, Alex de la Iglesia, Eli Roth oder auch Rob Zombie zu einer „neuen“ Generation von movie brats, Videonerds mit Vorliebe für Genrekino, Comics, Computerspiele und andere Aspekte der Trivialkultur. In seinem Werk pendelte der Mesikaner bislang zwischen künstlerisch anspruchsvolleren Genrefilmen wie CRONOS, EL ESPINAZO DEL DIABLO oder PAN’S LABYRINTH und kommerziellem Geek-Kult wie BLADE 2, HELLBOY oder HELLBOY II: THE GOLDEN ARMY und letzteres offenbarte in seinen besten Momenten immer Elemente des ersteren: HELLBOY war nicht nur eine verdammt spaßige und liebevolle Umsetzung der gleichnamigen Comics, er offenbarte Herz und eine für solche Stoffe sonst ungeahnte Tiefe. Letzteres vermisst man bei PACIFIC RIM, zumal man in jeder Sekunde das Riesenpotenzial der Geschichte für echte Epik erkennt. Während seiner rund 130-minütigen Spielzeit fällt dieser Mangel nicht ins Gewicht, zu sehr ist man damit beschäftigt, jedes einzelne Detail der überwältigenden Bilder aufzunehmen und das wie wild in der Brust hüpfende Jungenherz zu beruhigen. Doch wenn der Film zu Ende ist, dann ist da plötzlich auch das Gefühl einer gewissen Leere, die Del Toro nicht auszufüllen vermochte. Gerade dass er so an diesem einen Bild klebt, dem sprichwörtlichen Duell der Giganten, beraubt ihn einiger Möglichkeiten.

Die Geschichte von PACIFIC RIM ist eigentlich ein auf Spielfilmlänge ausgedehnter dritter Akt: In einer Art Prolog erzählt er von der ersten Attacke der „Kaiju“, von der Konstruktion der „Jaeger“, den ersten menschlichen Triumphen, dem scheinbaren Rückgewinn der Kontrolle und der überraschenden Verschärfung der Situation. Die folgenden zwei Stunden befassen sich mit der letzten Schlacht, die die Menschen zu schlagen haben, um die Kaiju engültig zurückzutreiben oder zu kapitulieren, und damit mit dem, was andere Filme sich für den Showdown aufbewahren. Das ist durchgehend unterhaltsam und so spektakulär bebildert, wie man es anhand der Prämisse erwarte durfte. Die Idee, des „drifts“, der neurologischen Kopplung der Jaeger-Piloten, sorgt für den nötigen human factor, und die ausufernden Fights stellen ein gelungenes technisches Update der Gummimonster-Balgereien aus den japanischen Kaiju Eiga dar, das wenig Wünsche offen lässt. Ja, ein paar Verbesserungsvorschläge hätte ich auch hier noch vorzubringen: Ich vermisste einen Kampf bei Tageslicht und ein etwas abwechslungsreicheres Monsterdesign, aber letztlich sind das Kleinigkeiten, Geschmäcklereien. Schwerer ins Gewicht fällt, dass PACIFIC RIM nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus einer ungemein großen Geschichte erzählt – und noch nicht einmal den interessantesten. Der angesprochene Prolog deutet in wenigen Bildern das riesige Potenzial an, dass ein mit dieser Technik ausgestatteter Monster-Invasionsfilm aus der Hand Del Toros hätte, evoziert eine ganze Palette an Emotionen, während der Film selbst vergleichsweise eindimensional bleibt. Diese ständig in Angst vor unvorhersehbaren Monsterattacken lebende Welt bleibt eine Chiffre in Del Toros Film, der, seinen gigantischen Protagonisten zum Trotz, einen enorm engen Fokus hat.

Wenn man das verschmerzen kann, wenn man den Zusammenprall von Riesen-Kampfrobotern und Monstern ebenfalls einfach nur awesome findet, Spaß an State-of-the-art-Effektkunst hat (allein wie das Regenwasser von diesen Giganten abperlt ist eine Augenweide) und sich daran erfreuen kann, dass eine solche nerdige Idee von jemandem umgesetzt wurde, der weiß, worauf es ankommt, der ist mit PACIFIC RIM gut bedient. Gewaltiger und beeindruckender wird dieses Jahr kein Science-Fiction-Film mehr werden (ich schätze, Cuarons GRAVITY spielt in einer ganz anderen Liga) und bei allem nitpicking sollte man für diesen Film wahrscheinlich einfach dankbar sein. Del Toro ist nicht angetreten, das Erzählkino zu revolutionieren, sondern unsere Augen übergehen zu lassen, uns zu überwältigen und uns zwei Stunden lang reuelosen Spaß zu bereiten. Das ist ihm meines Erachtens ausgezeichnet gelungen. Sein nächster Film wird dann auch wieder unsere grauen Zellen beschäftigen, da bin ich mir sicher.

 

Der vor allem in den USA erfolgreiche, aber von der Kritik viel gescholtene GROWN UPS war eine der entspanntesten Komödien der vergangenen Jahre; ein Film, dem die oft als erstrebenswertes Ideal angestrebte, aber allzu oft nur mäßige Ergebnisse zeitigende Prämisse, befreundete Komiker zusammenzustecken und sie einfach mal machen zu lassen, ohne Limitierungen durch ein einengendes Drehbuch, zu ungeahnter Lockerheit verhalf. Das Miteinander von Sandler, James, Rock, Spade und Schneider sowie der anhängenden Frauen fühlte sich so echt und privat an, das die halbherzigen Versuche des Scripts, im dritten Akt doch noch so etwas wie einen Plot zu installieren, umso bemühter wirkten. Es war eigentlich klar, dass der zweite Teil, der ja per se das Problem haben würde, etwas draufsetzen zu müssen und nicht ganz so selbstbewusst bei sich sein könnte.

So krankt GROWN UPS 2 gegenüber dem Vorgänger tatsächlich an einer gewissen Überfülle an Ideen und dem verzweifelten Bemühen, einen richtigen Ansatz zu finden. Versammelten sich die Jugendfreunde mit ihren Familien im ersten Teil nach der Exposition schnell an ihrem Häuschen am See, wo sie ihr gemeinsames Urlaubswochenende in Gegenwart des glücklichen Zuschauers verbringen sollten, ist das Sequel deutlich rastloser, unruhiger, auf der Suche nach jenem Rückzugsort, wo seine Protagonisten ganz sie selbst sein können (was sich auch auf der Handlungsebene spiegelt, etwa in Erics (Kevin James) heimlichen Ausflügen zu seiner Mutter, die ihn füttert und ihn bestätigt). GROWN UPS 2 findet sein Haus am See erst ganz zum Schluss in einer großen Achtzigerparty, auf der sich die versammelten Fortysomethings gegen eine Horde vor Kraft strotzender College-Bros zur Wehr setzen müssen. Insgeheim wünsche ich mir eine Alternativversion des Films, die nur an diesem Abend, nur auf dieser Party spielt, mal diesem, mal jenem Charakter folgt, sie wieder vereint, trennt und in unterschiedlichsten Konstellationen zusammenführt, dabei eine Vielzahl kleiner Episoden spinnt, die sich zum Bild eines wunderbaren Abends zusammensetzen, an dem die Zeit stilzustehen scheint. GROWN UPS 2 ist leider nicht dieser Film, aber er ist dennoch ein Vergnügen, wenn er auch den Erfolg des Vorgängers nicht wiederholen kann.

Die rastlose Suche des Films hat nämlich auch was. Es ist schon bemerkenswert, wie wenig er daran interessiert ist, sich von einer Dramaturgie bändigen zu lassen. Das Selbstbewusstsein, das es dafür braucht, eint ihn mit dem ersten Teil. GROWN UPS 2 bewegt sich mal hierhin, mal dorthin, probiert dieses und jenes, scheut in seinem Hit-and-Miss auch vor blöden Einfällen nicht zurück und findet so zu einer Authentizität, die gerade im Komödiengenre, das dramaturgisch sehr festgefahren und enorm von originellen Prämissen abhängig ist, außergewöhnlich ist. Nicht jeder Gag sitzt, ein paarmal verdreht man die Augen, dann wieder gibt es aber diese wunderbaren Momente und insgesamt reicht es vollkommen aus, weitere 100 Minuten mit diesen Charakteren und allen aus dem ersten Teil bekannten Nebenfiguren verbringen zu können. Rob Schneider, der gute Geist des Vorgängers, fehlt allerdings an allen Ecken und Enden als ruhendes Zentrum seiner Clique. Vielleicht ist das tatsächlich der entscheidende Unterschied.

THE DARK KNIGHT war in der zweiten Sichtung ein echtes Aha-Erlebnis, THE DARK KNIGHT RISES hatte es da etwas schwerer: In meinem Text anlässlich der Erstsichtung im vergangenen Jahr hatte ich noch geschrieben, dass er mir besser gefallen habe als sein Vorgänger. Gerade seine offensichtlichen Mängel waren für dieses Urteil verantwortlich: Nolan ist der Film offensichtlich entglitten, er hat ihn nicht in dem Maße „in den Griff bekommen“, wie das bei seinen Filmen sonst der Fall ist und sich dann in einer gewissen Rigidität äußert. Nolans Filme sind selten lebendig und locker, sondern immer sehr dicht, konstruiert und steif. THE DARK KNIGHT RISES, so behauptete ich damals, profitierte von seinem „Kontrollverlust“, weil er dem Film ein Stück von jener Lockerheit zurückgibt, die Comics eigentlich auszeichnet und die bei THE DARK KNIGHT vordergründig abwesend war. Grundsätzlich sehe ich das noch genauso: Die Geschichte um den gebrochenen Batman, der zurückkommt, nur um in dem Terroristen Bane (Tom Hardy) seinen Meister zu finden, von einer Stadt, die an den Rand des Abgrunds geführt wird und erst in letzter Sekunde durch einen Akt der Selbstüberwindung gerettet werden kann, ist eindeutig zu groß für Nolan. Er findet nie zu einem wirklich souveränen Umgang mit ihr, sie sprengt den Rahmen selbst noch des nicht gerade knapp bemessenen Rahmens von 160 Minuten. In jeder Sekunde spürt man, was für ein großes Drama sich da vor einem abspielt – THE DARK KNIGHT RISES ist nicht anders als als „episch“ zu bezeichnen –, doch dieses Gefühl wird durch den tatsächlichen Filmen eher untergraben. Der Zustand der Anarchie und Panik in Gotham wird nur sehr unzureichend abgebildet, nachdem sehr geduldig darauf hingearbeitet wurde, die Auflösung geht vergleichsweise „leicht“ vonstatten. Es fehlt die rechte Balance. Das ist verschmerzbar, weil auch hier wieder eine Menge für Augen, Herz, Bauch und Hirn geboten wird und es – wie gesagt – schwer sein dürfte, einen ähnlich breit angelegten, ambitionierten Superheldenfilm zu finden.

Ideologisch wurde THE DARK KNIGHT RISES oft vorgeworfen, dass er die Occupy-Bewegung dämonisiere. Banes Aufruf an „das Volk“ erinnert tatsächlich nicht wenig an die Reden von den „99 %“, die sich gegen die sie unterdrückende Minderheit der Banken durchsetzen sollen. Doch Banes Motive sind ja nur vorgetäuscht: Ihm geht es ja gar nicht darum, irgendwelchen „Unterdrückten“ zu mehr Macht zu verhelfen. Er will nicht die Verhältnisse ändern, sondern Gotham zerstören und auf dem Weg dahin möglichst viel Unordnung schaffen. Seine Aufwiegelei ist nur Mittel zum Zweck und er bedient sich dafür eben der Strategie, die er für besonders effektiv hält. Ich würde sagen, Nolan erkennt die Legitimität der Occupy-Kritik an, sieht vielmehr die Gefahr, dass auch diese Bewegung von ihr diametral entgegenstehenden Kräften instrumentalisiert, neutralisiert und in ihr Gegenteil verkehrt wird.

Ich will an dieser Stelle gar nicht mehr über den Film sagen. Man kann über Nolans Batman-Trilogie sicherlich sehr geteilter Meinung sein: Ich bin selbst hin und hegerissen zwischen absoluter Begeisterung und einem nur schwer zu erklärenden Gefühl der Distanz. Aber eines lässt sich meiner Meinung nach nicht wegdiskutieren: Nolan hat sich dem „Trivialkultur-Medium“ Comic mit bis hierhin völlig unbekannter Ernsthaftigkeit gewidmet und herausgekommen ist dabei etwas absolut Eigenständiges, etwas, über das es sich zu streiten und zu diskutieren lohnt, das sich abhebt von dem sonstigen Franchise-Eventkino-Einerlei. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch einmal sagen würde, aber ich finde es tatsächlich sehr schade, dass es keinen weiteren Nolan-Batman mehr geben wird.

Jetzt also die lange herausgezögerte Zweitsichtung von THE DARK KNIGHT. Schon in den ersten Sekunden des Films wird eines ganz klar: Stilistisch hat der zweite Teil von Nolans Batman-Trilogie rein gar nichts mehr mit dem unmittelbaren Vorgänger, aber auch nicht mit dem mittlerweile doch recht umfangreichen Subgenre des Comic-Superheldenfilms zu tun. Wie Vern es in seinem Text sagte: „This is squarely aimed at adults who don’t mind if the one guy happens to have bat ears. It never feels like they’re following a marketing plan or even a comic book movie formula. It honestly feels like it’s a story that’s about something, that happens to have a Batman in it, and not the other way around.“ War BATMAN BEGINS noch in einem Steampunk-Paralleluniversum angesiedelt, mit bizarren Schurkenfiguren mit größenwahnsinnigen Weltbeherrschungsplänen besetzt, vollzieht Nolan mit THE DARK KNIGHT den Wandel zum realistischen Großstadt-Crime-Drama oder Polizeifilm. Gotham City ist kein in dunklen Brauntönen dampfender Gothic-Moloch mehr, sondern eine gläsern glitzernde, moderne amerikanische Metropole in sterilem Graublau. Die ewige Nacht, die sich im Vorgänger über die Stadt gelegt zu haben schien, ist einem mitleidlos alle Gräueltaten bloßlegenden Sonnenschein gewichen. THE DARK KNIGHT spielt tatsächlich überwiegend bei Tageslicht und der Titelheld ist nur eine von zahlreichen gleichberechtigt auftretenden Figuren. Mehr als um die „Abenteuer“ Batmans geht es – wie schon im ersten Teil angedeutet – um die „Idee Batman“, um die Frage, wie und mit welchen Folgen sie umzusetzen und ob sie überhaupt wünschenswert ist.

THE DARK KNIGHT ist von daher sehr konzept- und themenschwer, für einen solchen Eventfilm ungemein komplex und ungewöhnlich strukturiert. Die verschiedenen Bemühungen unterschiedlicher Parteien, dem organisierten Verbrechen in Gotham City Einhalt zu gebieten, werden sehr detailliert und ausführlich geschildert, immer wieder gespiegelt, kontrastiert und neu bewertet. Auch die Figuren durchlaufen einen langen Entwicklungsprozess, der jedoch nicht in einem idealisierten Zustand der Allwissenheit mündet. THE DARK KNIGHT ist ein Film der Unsicherheit, des Zweifels und der Orientierungslosigkeit. In seinem nüchternen Realismus, der Strategie, in einem Schwebezustand zu enden, von dem aus alles neu aufgebaut werden muss, erinnert er tatsächlich stark an anspruchsvollere US-Fernsehserien mit ihren über Jahre entwickelten Handlungs- und Beziehungsgeflechten, Zwischenhochs und -tiefs, dem dialektischen Wechsel von Rückschlägen und Fortschritten, Niederlagen und Siegen. Am Ende fühlt man sich atemlos, aber nicht, weil man über 120 Minuten mit Effektgewalt bombardiert worden wäre, sondern weil THE DARK KNIGHT so enorm übervoll ist: mit Charakteren, mit Plots und Geschichten, mit Konzepten und Ideen. Die Frage, ob das Prinzip der Selbstjustiz, das Batman verkörpert, wünschenswert und vertretbar ist, steht natürlich im Zentrum des Films: Aber dass er auch nach 140 Minuten nicht in der Lage ist, sie eindeutig zu beantworten, ist für ein solches „Franchise“ schon sehr bemerkenswert.

Ich hatte im Text zum BATMAN BEGINS etwas voreilig und aus der Erinnerung heraus behauptet, dass THE DARK KNIGHT quasi „unmenschlich“ sei. Das stimmt so eigentlich nicht. Gerade dieses Zweifeln, Hadern, Abwägen, Probieren und Verwerfen, das die Handlung bestimmt, macht ihn sehr menschlich. Trotz der erwähnten Konzeptschwere hat man nie den Eindruck, die Figuren würden einem erzählerischen Zweck unterworfen. Alle offenbaren sie unterschiedlichste Facetten und keine von ihnen ist nur gut oder nur böse. Selbst der Joker, ein Psychopath wie er im Buche steht, hat manchmal einfach Recht mit seiner Verachtung für das System. Das macht den Film ebenso unvorhersehbar wie lebendig, ohne dass er dabei seine Kompaktheit aufgäbe und sich im Uferlosen verlöre. Man ahnt, welche akribische Arbeit hinter THE DARK KNIGHT steckt, dennoch wirkt er nicht überformt, sondern bei aller Geschliffenheit unkonstruiert und roh. Der Film ist voll von diesen Gegensätzen: Er ist gleichzeitig so dicht, dass man beinahe erstickt, wie offen: Die in Gotham City herrschende Panik vor der Herrschaft des Verbrechens etwa wird allein durch die Atmosphäre des Films greif- und nachvollziehbar: Es bedarf dafür keiner Massenszenen oder Bilder von bedrohten Zivilbürgern. Ich weiß nicht genau, wie Nolan das gelungen ist, einen so eng abgezirkelten Film zu drehen, der dabei dennoch nicht abgeriegelt wirkt. Und doch ist es wahrscheinlich am ehesten ihm anzulasten, dass man THE DARK KNIGHT als unangenehm, niederdrückend und, ja, irgendwie als böse empfindet. Die Atmosphäre des ganzen Films ist freudlos, keine Spur mehr von comichaftem Eskapismus, seine Charaktere allesamt völlig entkernt, leer, grüblerisch, oberflächlich oder schlichtweg psychotisch. Der hoffnungsvolle Fingerzeig am Ende, wenn sich die Menschen völlig überraschend als doch noch nicht völlig vertiert, sondern als empathiebefähigt herausstellen, verpufft inmitten des grimmigen Elends und der heiligen Ernsthaftigkeit, mit der diese dunkle Mär um Rache, Sadismus und alttestamentarische Gerechtigkeistvorstellungen dargeboten wird. Der sterile Perfektionismus Nolans treibt ihr jeden Spaß aus, wirkt rigide und niemals filigran, sondern inhuman und klobig. Die ideale Umsetzung des Namens „Gotham“: Ausdifferenziert, vielseitig, schillernd, komplex, aber eben auch düster, gewaltig, bedrohlich, monolithisch.

Wahrscheinlich ist es das, was mich damals und auch heute zögern lässt, diesem Film uneingeschränkt mein Herz zu schenken: Ich fand ihn diesmal, mehr als bei Erstsichtung, absolut faszinierend und hatte nach dem Ende nicht übel Lust, ihn gleich noch einmal zu schauen, weil er so viel bietet. Aber „liebhaben“ kann ich ihn einfach nicht. Ich fühlte mich ein bisschen bedrängt von THE DARK KNIGHT: Kleinlaut sitzt man in der Ecke, während sich der Film über einen beugt, einem jeden Ausweg versperrt, die Luft zum Atmen raubt und mit lauter, fester Stimme auf einen einredet. Man möchte sich dagegen wehren, aber man ist irgendwie wie gelähmt. Auch die Momente, in denen der Film anhebt und Befreiung verspricht, in seinen Actionszenen, bieten keine Entlastung. Viele waren hin und weg von seinen Actionszenen, bei mir hat keine einzige wirklich nachhaltig Wirkung gezeigt. Nein, dieser Batman ist nicht in der Bewegung zu Hause. Er will am liebsten nur noch Idee sein, Einschüchterung, Symbol. Mit Nolan hat er einen guten Propaganda-Arbeiter gefunden.

 

Warum jetzt BATMAN BEGINS? Nun, das seinerzeit mit Spannung erwartete „Reboot“ der mit Schumachers BATMAN & ROBIN übel auf Grund gelaufenen Batman-Reihe hatte mir damals, bei Erscheinen auf DVD ausgesprochen gut gefallen, auch wenn nicht wirklich viel davon hängengeblieben ist. Die Euphorie, die THE DARK KNIGHT ein paar Jahre später auslöste, konnte ich dann nur noch sehr bedingt teilen, und je länger ich über den Film nachdachte, umso weniger mochte ich ihn. Damals schrieb ich: „Wenn ich etwas mit Sicherheit weiß, dann dass THE DARK KNIGHT mehr als andere Filme die Möglichkeit offenbart, mit weiteren Sichtungen zu wachsen, sich zu entfalten. Für den Moment muss ich aber eingestehen, dass ich nicht weiß, was all die Menschen, die diesen Film schon jetzt zum Film des Jahres oder gar zum besten Film aller Zeiten küren, in ihm gesehen haben, das mir so komplett entgangen ist.“ Und im Grunde genommen ist es jene Ratlosigkeit, die mich jetzt dazu bewogen hat, mir die ganze, mittlerweile abgeschlossene, Trilogie noch einmal anzusehen; das und die Tatsache, dass ich von Banes Gebrumme in THE DARK KNIGHT RISES nur die Hälfte verstanden habe.

BATMAN BEGINS also. Man merkt dem Film an, dass Nolan noch nicht in der Form in Hollywood „angekommen“ war, wie das dann schon bei dem sehr selbstsicheren THE DARK KNIGHT (dem THE PRESTIGE vorausging) der Fall sein sollte. Bedenkt man dessen bahnbrechende Wirkung, die Radikalität, mit der bis dahin typische Elemente der Superhelden-Comicverfilmung über Bord geworfen wurden, den unverkennbar eigenen, monolithischen Stil Nolans, der den Film zu etwas Bösem, Urgewaltigen machte, mutet BATMAN BEGINS geradezu traditionalistisch an. Das liegt natürlich zum einen daran, dass Nolan und sein Drehbuchautor Goyer gezwungen waren, die „Origin Story“ des Rächers im Fledermauskostüm zu erzählen, BATMAN BEGINS strukturell fast zwangsläufig auf ausgetretenen Pfaden wandelt. Wie bei allen „ersten“ Superheldenfilmen gibt es auch hier merkbare Schwierigkeiten, von der (dem Zuschauer in der Regel bereits bekannten) Vergangenheit zur Gegenwart umzuschalten: Bis Bruce Wayne (Christian Bale) zum ersten Mal in sein Dress schlüpft, vergeht eine gute Stunde und zu diesem Zeitpunkt liegen schon so viele lose Plotfäden herum, dass die klimaktische Auseinandersetzung mit dem schurkischen Ra’s al Ghul (Liam Neeson), der gleichzeitig so etwas wie Waynes Mentor ist, wie ein Nachgedanke wirkt. Die starke Schurkenpersönlichkeit, die sowohl THE DARK KNIGHT wie auch THE DARK KNIGHT RISES aufzubieten haben, vermisst man hier.  Cillian Murphys Dr. Crane/Scarecrow kann diese Lücke nicht schließen. Die Figur scheint zu eindimensional und uninteressant und kommt über den Status einer Nebenfigur nie hinaus. Dann ist da die Beziehung zwischen Bruce Wayne und seiner Jugendfreundin Rachel Dawes (Katie Holmes): Sie ist durchaus wichtig für den Film, weil sie sozusagen die Folie bietet, an der sich das moralische Dilemma und der selbstauferlegte Außenseiterstatus Waynes abzeichnen, aber die Gefühle zwischen ihnen bleiben stets Plotkischee. Vieles an BATMAN BEGINS wirkt irgendwie unfertig, hingeworfen. Man wird beim Zuschauen den Verdacht nicht los, dass dies der Film ist, den Nolan und Goyer machen mussten, um zum eigentlich Interessanten vorzudringen. Er ist ein bisschen wie die Vorsuppe, die vor dem saftigen Braten serviert wird, auf den man sich schon seit Tagen freut: Man isst sie gern, sie schmeckt, aber es ist eben nur die Vorsuppe.

Verwundern muss aber, dass auch der mythologisch-philosophische Kern des Films und seiner Hauptfigur nicht richtig herausgearbeitet wird. Waynes Entscheidung, zum Rächer Gothams zu werden, hat ihren Ursprung in jener Nacht, in der er als Kind der Ermordung seiner Eltern durch einen kleinen Straßendieb beiwohnte. 20 Jahre später erscheint der mittlerweile erwachsene Wayne bei der Gerichtsverhandlung, bei der über eine vorzeitige Freilassung des Mörders entschieden werden soll, fest entschlossen, dessen Exekution vorzunehmen, sollte das Gericht ihn begnadigen, um so die ihn seit der Kindheit plagenden Dämonen zu besänftigen. Doch die Erschießung des Killers übernimmt jemand anderes für ihn, und Waynes „Lebensaufgabe“, sein Ventil ist dahin. Als er sich Rachel, die das Begnadigungsverfahren als Staatsanwältin mit begleitet hat, offenbart, ihr von seinen Plänen berichtet, hält sie ihm eine Standpauke: Er wisse nicht, was Leid sei, andere Menschen seien in Gotham tagtäglich mit dem Tod konfrontiert und hätten kein Millionenerbe, das Ihnen dabei helfe. Das Recht gehöre nicht in seine Hände, Rache sei etwas anderes als Gerechtigkeit. Wayne nimmt sich die Worte zu Herzen und beschließt nun, jene Schattenseiten des Lebens selbst kennenzulernen: Er lässt Gotham von einer Minute auf die nächste hinter sich, heuert auf einem Schiff an und wird am anderen Ende der Welt als Strauchdieb in ein Gefängnis gesteckt. Sein Weg führt ihn in die Hände von Ducard (Liam Neeson), der ihm eine Art Therapie anbietet: Er bildet ihn zum Mitglied der „League of Shadows“ aus, einer Art paramilitärischer Ninja-Sekte, die es sich zum Ziel gemacht hat, das Verbrechen auf der Welt mit radikalen Mitteln zu bekämpfen: Zur Erreichung dieses Ziels schreckt sie auch vor Mord nicht zurück. Doch als Wayne in seiner finalen Prüfung den Auftrag bekommt, einen Verbrecher hinzurichten, weigert er sich. Jeder Verbrecher habe das Recht auf eine Gerichtsverhandlung, ist plötzlich sein Credo, das ihn mit seinem Lehrer und der „League of Shadows“ entzweit – und so letztlich die folgenden Ereignisse des Films vorbestimmt. Dieser Wandel vom die alttestamentarische Philosophie „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ vertretenden Selbstjustizler hin zum die Rechtstaatlichkeit predigenden Schutzmann wird durch die den Film einfach nicht plausibel erläutert und wirkt wie ein Zugeständnis an den Mainstream, eine Entschärfung. Er bleibt genauso schemenhaft, wie Waynes Rückkehr nach sieben Jahren des Exils – als man ihn für Tod hielt – erstaunlich problemlos verläuft. Mitten im Himalaya empfängt ihn sein treuer Butler Alfred (Michael Caine) mit einem Privatjet auf einem einsamen Rollfeld, als seien Heimat und altes Leben stets nur einen Mobiltelefon-Anruf entfernt gewesen. Zu Hause angekommen, spaziert Wayne in das Firmengebäude, das seinen Namen trägt, verlangt einen Job und beginnt sich sofort aus dem Arsenal des aufs Abstellgleis geschobenen Erfinders Fox (Morgan Freeman) zu bedienen, der keinerlei Bedenken oder gar Misstrauen zeigt. Für einen Film, der sich bemüht, die Geschichte des bekannten Rächers „realistisch“ zu erzählen, sind das arg viele Abkürzungen, finde ich.

Aber BATMAN BEGINS ist, wie erwähnt, noch längst nicht so weit in diesen Bemühungen, wie THE DARK KNIGHT es dann sein sollte. Man sieht überall noch den Einfluss Tim Burtons, dessen BATMAN sich visuell dem Stil des Gothic Horror und dem deutschen Expressionismus annäherte. Das Braun von Nolans Film wirkt gegenüber dem bleichen, stählernen Blau und Grau der Fortsetzungen wie ein romantischer Anachronismus, Scarecrow hätte mit geringfügigen Variationen auch gut in Schumachers BATMAN FOREVER gepasst und der Showdown in der Monorail-Bahn ist reiner Kintopp, der sich mit der Nolan’schen Bleischwere, die sich auch dieses Films bemächtigt, nur bedingt verträgt. Das kann man aber gegenüber dem, was da kommen würde, auch als Stärke bewerten: Menschlichkeit und Wärme sind hier noch nicht vollständig dem nackten Zynismus und Defätismus gewichen, der die Fortsetzungen zu einem solch schwer zu schluckenden Brot macht, der Spaß – der in grauer Vorzeit einmal die maßgebliche Triebfeder hinter den Superheldencomics war – ist diesem Film noch nicht ganz entzogen. Auch Wayne und mit ihm Bale zeigen noch eine gewisse Unschuld, sind eben noch nicht zu jener „Idee“ geronnen, deren einziger Zweck es ist, Angst in den Herzen aller Übeltäter zu säen. BATMAN BEGINS ist noch nicht der makellos geschliffene, spiegelglatte und tiefschwarze Brocken, den Nolan den Zuschauern als nächstes vor die Füße werfen sollte, auf dass sie sich darin spiegeln oder an ihm abprallen. Das hier ist die Vorstufe, ein großer, organisch anmutender Lehmklumpen, in dessen Oberfläche sich noch die Fingerabdrücke eines menschlichen Handwerkers abzeichnen, der Risse und Unregelmäßigkeiten offenbart, der nachgibt, wenn man ihn berührt und dazu einlädt, ihn von allen Seiten zu begutachten, ihn zu drehen und zu wenden. Er ist höchst unperfekt und vielleicht auch nicht besonders schön. Aber er ist eben menschlich. Auch wenn diese Menschlichkeit bereits ein Rückzugsgefecht kämpft.

Als WORLD WAR Z diesen Sommer in die Kinos kam, da konnte man überall noch einmal von der bewegten Produktionsgeschichte des Films lesen, die alle Elemente legendärer Hollywood-Desaster beinhaltete: Neben den üblichen größeren und kleineren Pannen waren Rewrites des Drehbuchs von neu hinzugezogenen und dann erneut ausgetauschten Autoren ebenso nötig wie daraus folgende Re-Shoots, die wiederum die Streichung oder Kürzung der Rollen namhafter Schauspieler zur Folge hatten. Das alles schlug sich in einem überzogenen Budget, einem arg improvisierten Ende und dem Fahrenlassen aller Hoffnung in das Potenzial des einstmals so ambitionierten Projekts nieder. Die Horrormeldungen und Pannenberichte wurde nicht ohne jene gewisse Häme ausgebreitet, die man erwarten darf, wenn die sonst fehlerlos laufende Maschine einmal versagt. Doch WORLD WAR Z reihte sich eben nicht ein in die Reihe der Totgeburten, die niemals ihr Publikum fanden, von vornherein zum Scheitern verurteilt waren, sondern avancierte aller offenkundiger Mängel zum Trotz zum Box-Office-Hit, sodass nun doch wieder ein Sequel im Raum steht. Wie die Menschheit am Schluss des Films, bekommt auch WORLD WAR Z eine neue Chance. Und ich finde, die hat er sich redlich verdient. Zwar merkt man dem Film die massiven Probleme an, endet WORLD WAR Z nach zwei beeindruckenden, bildgewaltigen Dritteln, die einen höchst lebendigen Eindruck von einer möglichen Zombie-Apokalypse vermitteln, auf einer irgendwie unpassenden, unbefriedigenden, minimalistisch-improvisierten Note – weil nämlich alles Geld schon verbraten war –, doch wahrt er auch dabei sein Gesicht.

Leena fragte mich nach der Sichtung, ob man sagen könne, dass WORLD WAR Z der erste echte Mainstream-Zombiefilm sei: Es spricht tatsächlich einiges dafür, das so zu sehen, auch wenn der Begriff „Mainstream“ den Kern nicht ganz trifft. Auch Filme wie der einst immens einflussreiche, vielleicht die Initialzündung für den „neuen“ Zombiefilm bedeutende 28 DAYS LATER – heute fast schon wieder vergessen –, Romeros Comeback mit LAND OF THE DEAD, der erste RESIDENT EVIL-Film oder Snyders DAWN OF THE DEAD-Remake, um nur ein paar zu nennen, waren für ein großes Publikum gedreht und erhielten einen breiten Kinostart. Aber diese Werke blieben dennoch fest in ihrem Genre verwurzelt, richteten sich im weitesten Sinne an Horrorfreunde. WORLD WAR Z ist sehr viel näher dran am effektreichen, breit angelegten Katastrophenfilm, bietet mit Brad Pitt einen Hauptdarsteller mit Massenappeal und verzichtet auf die für den Zombiefilm typischen Splattereffekte, um sich keine 18er-Freigabe (respektive ihr US-Äquivalent) einzuhandeln. Ihm deshalb Weichspülerei vorzuwerfen, halte ich dennoch für falsch: Marc Forster inszeniert den Ausbruch der Apokalypse mit einiger Durchschlagskraft, was die Zombieangriffe an blutigen Details vermissen lassen, machen sie durch tollwütige Brachialität wieder wett. Und zum wirklich allerersten Mal wird die ganze Tragweite einer solchen Seuche bildlich angemessen dargestellt: Hier sind es nicht mehr länger ein paar angemalte Statisten, die durchs Bild wanken, sondern rasende Tausendschaften, die mit der sprichwörtlichen Urgewalt einer Flutwelle über die Opfer hineinbrechen. Um diese Zombiearmeen und ihre Massenbewegungen einzufangen, wird im Verlaufe des Films immer häufiger die Vogelperspektive eingenommen. Das markiert eine wesentliche inhaltliche Veränderung gegenüber bisherigen Vertretern des Subgenres; eine, die den Film zur Zielscheibe der Ideologiekritik macht. Vor allem Romero, auf den das gesamte moderne Zombiefilm-Genre zurückgeht, etablierte ja die Froschperspektive, die zu seiner Sympathieverteilung passte. Der wahre Protagonist seiner Filme, das machte allerspätestens LAND OF THE DEAD deutlich, war der entmündigte, entrechtete Zombie, das Opfer einer rücksichtslosen, entmenschlichten kapitalistischen Konsumgesellschaft. Der Zombieaufstand, das war eben auch der Aufstand derer, die in dem herrschenden System unter die Räder gekommen waren, und richtete sich immer stärker gegen die Mächtigen, Begüterten, Privilegierten. Er war nicht nur nicht aufzuhalten: Sein Sieg war hochgradig erwünscht. Mit WORLD WAR Z wird das zumindest auf den ersten Blick auf den Kopf gestellt. Mit Pitts Gerry Lane, einem ehemaligen UN-Inspektor, wird eben einer jener Privilegierten zum Protagonisten gemacht, dessen einstiger Rang ihm und seiner Familie dann auch einen Platz in Sicherheit vor der Seuche auf einem Militärschiff einträgt (hier erinnert Forsters Film etwas an Emmerichs 2012 mit seiner modernen Arche Noah). Das Chaos, das in das Leben einbricht, es binnen Sekundenbruchteilen in seinen Grundfesten erschüttert, besucht Lane in der zweiten Hälfte des Films wie ein Tourist: Der Überlebenskampf auf den Straßen betrifft ihn nicht mehr unmittelbar. Statt kratzend und beißend um das eigene Überleben und das seiner Familie zu kämpfen, muss er nun ein Mittel suchen, die Zombies zu bekämpfen. WORLD WAR Z nimmt den Blick des Staatsapparats ein, der um Wiederherstellung bemüht ist. Der Zombie, er ist kein Symbol mehr für das Aufbegehren der Unterdrückten, sondern nur noch die gesichtslose Gefahr, die möglichst draußen zu bleiben hat. Im Falle der langen Israel-Sequenz ganz wortwörtlich: Da hat sich ein ganzes Land hinter einer riesigen Mauer verschanzt, vor dessen Tore die Menschen nun um Einlass betteln.

Aber WORLD WAR Z ist dabei kein gewissenloser oder gar unmenschlicher Film. Lane reflektiert das moralische Dilemma, in das ihn seine Position versetzt. Aber wie sollte er sich anders entscheiden können, als dafür, seine Familie zu retten? Das erste Drittel des Films – der mitreißend inszenierte Ausbruch der Seuche auf den Straßen Philadelphias, der erbitterte Kampf ums Überleben, den Gerry, seine Frau und Töchter zu kämpfen haben – vermittelt durchaus Empathie für die Opfer, allein der Film interessiert sich im Weiteren nicht mehr wirklich dafür, geht stattdessen einen anderen Weg. WORLD WAR Z erinnert eher an die Katastrophenfilme der Siebzigerjahre, das Schreckensszenario ist nur die Ausgangsbasis für eine Geschichte über die Tapferkeit des Einzelnen, die Widerstandsfähigkeit der Menschheit, ihren Überlebensgeist und ihre Moral. Das ist möglicherweise weniger interessant, garantiert weniger herausfordernd und mutet in unserer Zeit mehr als nur ein wenig reaktionär an, ist aber durchaus legitim. Es zeigt, wie sehr der Zombiefilm tatsächlich zum allgemeinen Kulturgut geworden ist, dass er auch diese Verdrehung der ursprünglichen Ausgangslage ermöglicht. Dumm ist, dass Forster nicht mehr dazu kommt, seine Geschichte zu Ende zu erzählen, und den großen Triumph auf das Sequel verschieben muss. Strukturell mutet der Film jetzt wie eine Reise in die Vergangenheit des Zombiefilms an: Er beginnt mit Hollywood’scher Megalomanie und Effekt-Overkill, der finanzstarken Adaption von Romeros Ideen, und endet einerseits dann doch wieder in der Klaustrophobie eines NIGHT OF THE LIVING DEAD, mit der das Genre vor über 40 Jahren seine Geburt erlebte, in der dystopischen Warteschleife von Boyles 28 DAYS LATER und lustigerweise auch im Exploitation-Käse eines RESIDENT EVIL mit seinen klinischen, vom Zombies infizierten Laborgängen (und Moritz Bleibtreu statt Heike Makatsch). Dass diese Zusammenziehung des Fokus vom Großen zum Kleinen, vom Lauten zum Leisen durchaus richtig und wirksam sein kann, hat man in diesem Sommer im Videospiel „The Last of Us“ gesehen (an das WORLD WAR Z mehr als einmal erinnert), aber hier riecht sie dann eben doch nach Scheitern, auch wenn Forster seine Haltung bewahrt. Hat sich am Ende vielleicht doch die aufrührerische Kraft des Zombies gegen das Kapital durchgesetzt?

Egal, wie man diese Frage beantworten mag: WORLD WAR Z ist über weite Strecken effektives Spannungskino, das vor allem zu Beginn neue Maßstäbe in der Inszenierung des Chaos setzt. Besonders stark ist der Moment, in dem Lane in einem zur Plünderung freigegebenen Supermarkt in Notwehr einen menschlichen Angreifer erschießt und angesichts des heraneilenden Polizisten sofort die Arme hebt. Doch der Polizist ist gar nicht an ihm, sondern wie Lane nur noch an seinem eigenen Überleben interessiert: Er peilt nicht den Protagonisten an, sondern das Regal neben ihm, in dem der Proviant liegt, den er benötigt. Seine Uniform ist schon jetzt ein leeres Symbol. Die Verwunderung aufseiten des Zuschauers ist genauso groß wie die von Lane: Ganz plötzlich wird klar, was es bedeutet, wenn die Zivilisation zusammenbricht. Wenn Lane und seine Familie erst einmal in Sicherheit sind, beginnt auch der Film uninteressanter zu werden. Die Spurensuche nach dem Ausgangspunkt der Seuche ist eher uninteressant, erinnert an Adventures mit nur minimalen Entfaltungsmöglichkeiten. Spannend wird es immer, wenn Lane mit dem sich in Sekundenschnelle ausbreitenden Virus und den aggressiven Zombiehorden zu tun bekommt, die sich auch schon einmal wie Kamikazeflieger von Häuserdächern stürzen, in blinder Gier nach ihren Opfern. Hier offenbart WORLD WAR Z auch für künftige Teile noch einiges Potenzial für spannende Unterhaltung. Den Mangel an Tiefgang verzeihe ich da gern.