Archiv für Dezember, 2013

Lord Curtain (Wilhelm Vorwerg) wird erschossen in seinem Zimmer aufgefunden, außerdem eine Nachricht des mysteriösen „Hexers“ (René Deltgen), der der Polizei vor Jahren entkommen konnte. Doch der Hexer kann es nicht gewesen sein, weilt er doch in Australien. Als ihm zu Ohren kommt, dass er in einem Mordfall gesucht wird, reist er mit seinem Butler Archibald Finch (Eddi Arent) und seiner Gattin Cora (Margot Trooger) nach London, um den Verbrecher seinerseits zu stellen. Das gefällt Inspector Wesby (Heinz Drache) überhaupt nicht, zumal es jemand auf die gesamte Familie der Curtains abgesehen zu haben scheint …

Alfred Vohrer knüpft mit NEUES VOM HEXER an den überaus erfolgreichen Vorgänger nahtlos an: Sein Sequel zeichnet sich durch eine humorvolle, selbstironische Haltung zum 1965 bereits zum Klischee geronnenen Wallace-Stil aus, bietet eine verdrehte Murder Mystery im mondänen britischen Sujet mit zahlreichen Verdächtigen, Opfern und den gewohnten Beigaben: Drache gibt den gewitzten, trockenen Wesby, Arent den stets etwas pikierten Butler, Kinski scheint die Verachtung für den Trivialstoff als Benzin für seine Darbietung als dubioser Hausdiener (mit Dreitagebart) zu nutzen, Siegfried Schürenberg ist wieder als onkeliger Scotland-Yard-Chef Sir John mit von der Partie und Barbara Rütting ist das erotische, aber keinesfalls hilflose Beiwerk.

Der Hexer bietet mit seinen Verwandlungskünsten einige Gelegenheit, die üblichen Verwirrtaktiken der Wallace-Filme durch den Einsatz von Maskerade auf die absurde Spitze zu treiben, eine Szene in einem Stall (?), in dem mehrere Zirkus- oder Zootiere gehalten werden, stellt wohl den Gipfel wilder Einfälle der bisherigen Serie dar: Der hilflose einarmige Junge, der mit den Tigern zusammen eingesperrt wird, bezähmt die Wildkatzen und reitet schließlich sogar auf einer! Das Ganze wird nicht etwa mit Tricks realisiert, die Interaktion zwischem dem Jungen und den Raubtieren ist echt – und wird von Vohrer im vollen Wissen um das Spektakel festgehalten. Ansonsten ist NEUES VOM HEXER angenehm unaufgeregt und damit ganz das Gegenteil des selbstbewussten Vorgängers. Ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, warum mir dieses Sequel ausgezeichnet gefiel, während ich DER HEXER zwar nicht schlecht, aber doch etwas anstrengend und langweilig in seiner Großmannssucht fand: Es ist die Abwesenheit Fuchsbergers, die diesen Film zum Gewinner macht. Versuchte man den attraktiven Schauspieler in DER HEXER noch als deutsche Antwort auf James Bond zu etablieren, schielte man mit diversen Modernisierungsversuchen auf das Publikum der Superagentenfilme und verlor darüber etwas die eigene Linie, konzentriert sich Vohrer mit der Fortsetzung wieder ganz auf das, was die Wallace-Reihe erst zum Erfolg machte: diesen etwas angestaubten, behäbigen Charme, der dem entspricht, was der Deutsche wohl als „typisch britisch“ empfindet, das Zusammenspiel liebgewonnener und bekannter Charaktere und ein paar makabre Einlagen.

Es sind dann auch die kleinen, liebe- und wirkungsvollen Details, mehr als große konzeptionelle Würfe und Neuerungen, die NEUES VOM HEXER zu einem der besten Wallace-Filme machen: Allein die Dialoge und das Zusammenspiel von Drache, Arent, Schürenberg und Kinski sind das Eintrittsgeld wert, so subtil, spritzig und echt, dass man den Kriminalfall, der da irgendwo auch noch gelöst werden muss, beinahe vergisst. Und Brigitte Horney, die dem Ringelpiez der vier Würde und Contenance entgegenhält, erweist sich als kongeniale Ergänzung. Ich möchte hier aber noch einmal eine Lanze für Siegfried Schürenberg brechen, der sich im Laufe der Jahre von der sympathischen Randfigur zum unverzichtbaren Bestandteil der Reihe gemausert hat. Sein Sir John ist ein so wunderbarer Charakter voller kleiner lebendiger Details, dass sofort die Sonne aufgeht, sobald er die Szenerie betritt. In ihm verbindet sich auf kongeniale Weise all das, was die Wallace-Filme insgesamt so liebenswert macht. Da ist auf der einen Seite diese britische Haltung; stets würde- und weihevoll sowie hochzivilisiert wird da unter der Wahrung der gesellschaftlichen Etikette noch jeder bloße Gedanke an ein lasterhaftes Treiben rundheraus für unmöglich erklärt, die moralische Überlegenheit des Vernunftmenschen voll vornehmer Zurückhaltung gefeiert, während gleichzeitig das Triebhafte, Unkontrollierte als kleiner Fehlerteufel unter der Fassade lauert. So wird auch der distinuierte, „britische“ Tonfall Sir Johns immer wieder von kurzen Ausreißern in den Jargon deutscher Eckkneipen durchbrochen, wenn nach dem verführerischen Augenaufschlag einer Schönen das Menschliche, Allzumenschliche aus ihm hervorbricht. Dann blitzt es in den Augen des sonst so um Seriosität und Ernsthaftigkeit bemühten Mannes schalkhaft auf, bis das Über-Ich wieder einsetzt, zur Mäßigung mahnt, und Sir John den beinahe erfolgten Sündenfall mit einem erleichterten Seufzen quittiert. Es ist wahrlich ein Vollzeitjob, das Empire zu verteidigen.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (18. Wallace-Film), Klaus Kinski (11.), Siegfried Schürenberg (8.), Heinz Drache (5.) Wilhelm Vorwerg (4.), Margot Trooger, Kurt Waitzmann, Albert Bessler (3.), Barbara Rütting, Karl John, Heinz Spitzner, René Deltgen, Michael Chevalier (2.), Brigitte Horney, Hubert von Meyerinck (1.). Regie: Alfred Vohrer (7.), Will Tremper (1.) Drehbuch: Herbert Reinecker (2.), Musik: Peter Thomas (11.), Kamera: Karl Löb (8.), Schnitt: Jutta Hering (4.), Produktion: Horst Wendlandt (16.), Fritz Klotsch (2.).
Schauplatz: London, das Haus von Lord Curtain, diverse Apartements. Berlin, Pfaueninsel.
Titel: Benennt den Film als Sequel, bezieht sich auf die Rückkehr der Titelfigur.
Protagonisten: Inspector James W. Wesby.
Schurke: Ein Mann, der die Familie von Lord Curtain auslöschen will.
Gewalt: Diverse Erschießungen.
Selbstreflexion: Begrüßung zu Beginn, der Titelheld liest den Roman „Neues vom Hexer“, Heinz Drache wendet sich am Schluss ans Publikum und kündigt den nächsten Wallace für das kommende Jahr an, Alfred Vohrer absolviert einen Cameo, Arents Dialogzeile „Jezt hält der sich auch schon für James Bond“ ist wahrscheinlich eine Anspielung auf Joachim Fuchbergers Rolle in DER HEXER.

Dem Verbrecher Graham (Gary Raymond) wird zur Flucht aus dem Gefängnis verholfen. Dahinter steckt der Geschäftsmann Trayne (Albert Lieven), der mithilfe von Graham in den Tower einzubrechen gedenkt, um dort die Kronjuwelen zu stehlen. Wie es der Zufall so will, sieht Graham einem der Wächter des Towers, dem braven Dick (Gary Raymond), außerdem Geliebter von Traynes Sekretärin Hope (Catherine Schell), nämlich zum Verwechseln ähnlich. Bevor das Unternehmen starten kann, muss Graham seinen Doppelgänger jedoch erst studieren, wobei ihn Traynes Partnerin Dinah (Margot Trooger) begleitet. Die beiden verlieben sich und planen, sich die Beute selbst unter den Nagel zu reißen …

Film Nr. 21 der Wallace-Reihe von Rialto ist eine deutsch-britische Koproduktion, komplett in England von Hammer-Regisseur Freddie Francis (unmittelbar nach seinem THE EVIL OF FRANKENSTEIN) inszeniert und von dessen Studiokollegen Jimmy Sangster geschrieben. Ob die Koproduktion in erster Linie zustande kam, um den Tower als Drehort zu sichern, oder ob sie möglicherweise einen Expansionsversuch darstellte, kann ich auf die Schnelle leider nicht beantworten. Fakt ist, dass DAS VERRÄTERTOR nicht an den Riesenerfolg von DER HEXER anknüpfen konnte und heute ein eher vergessener Vertreter der in Deutschland immer noch überaus beliebten Reihe ist. Verständlicherweise: Aus dem doch weitestgehend homogenen Korpus von Filmen fällt Francis‘ Beitrag denkbar weit heraus und viele der Charakteristika, die der Zuschauer von einem Wallace-Film erwartete, suchte er hier vergebens. Auch wenn der Tower ein überaus stimmungsvolles (und ja auch recht spektakuläres) Setting darstellte, dürften viele den sanften Grusel- und Mysteryeinschlag vermisst haben, der die Filme von Anfang an auszeichnete. Zwar gab es auch zuvor schon reine Krimis und Gangsterfilme innerhalb der Reihe, doch warteten diese stets mit einer Ermittlerfigur und einem unbekannten Täter auf, den es zu enttarnen galt. DAS VERRÄTERTOR verwirft diesen Whodunit-Ansatz ganz, stellt die Schurken ins Zentrum des Geschehens und erzählt keine Murder Mystery, sondern eine lupenreine Einbruchsgeschichte, für die die Ermittlungsarbeit der Polizei nur eine untergeordnete Rolle spielt. Den Löwenanteil der Detektivarbeit übernimmt Eddi Arent in gewohnt komischer Manier als Tourist: Als deutlichstes Zugeständnis an den deutschen Zuschauer ist er in diesem Film reichlich deplatziert, seine Szenen wollen einfach nicht zum weitestgehend ernsten Rest passen. Außer ihm wirken vom bekannten Wallace-Ensemble nur Kinski – ständig auf seinen Fingern herumkauend und einmal zu komischem Effekt einem ausgestopften Pferdekopf im Maul herumfummelnd – sowie Margot Trooger mit, Albert Lieven absolviert nach DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN seinen zweiten Auftritt innerhalb der Reihe. Die Besetzung ist – nicht aus diesem Grund zwar, aber dennoch – das Hauptmanko des Films: Es fehlt ihm ein klares Zentrum, ein Protagonist, den man durch den Film begleitet, der als emotionale Projektionsfläche fungiert. Die logischen Kandidaten für diesen Part sind natürlich der in Gefahr schwebende Dick und seine nichts Böses ahnende Freundin oder aber sein Widerpart, der Verbrecher Graham, der in die fremde Haut schlüpfen soll und hinter dem mit Dinah ebenfalls eine attraktive Frau steht. Doch beide können die Protagonistenrolle nicht wirklich füllen: Dick bleibt eine Randfigur, über weite Strecken nur schemenhaft entwickelt und als Wachschnösel geradezu unsympathisch, Graham müsste erst eine Wandlung zum Guten nehmen, einen Konflikt durchlaufen und bewältigen, um für den Zuschauer als positive Identifikationsfigur zu funktionieren. Das ist nicht der Fall, im Gegenteil: Er erweist sich im weiteren Verlauf der Geschichte als abgebrühter Halunke, der seinen Part nicht nur mit äußerster Effizienz übernimmt, sondern sich sogar als noch abgezockter als seine professionellen Partner erweist. Dieser Mangel führt zuschauerseitig zu einer gewissen Distanz, die der Film nicht auflösen kann. Der emotionale Impact, der mit der Bedrohung für Dick und seine Hope verbunden ist, kommt einfach nicht zum Tragen.

Dass DAS VERRÄTERTOR dennoch ein recht schöner Wallace-Film geworden ist, liegt zu einem nicht unerheblichen Teil gerade daran, dass er sich vom Rest der Serie so weit abhebt. Er stellt zu einem Zeitpunkt, an dem die Reihe zu stagnieren scheint, eine willkommene „Erfrischung“ und einen ernsteren Alternativentwurf zum sonst dominanten schabernackigen Ton der Wallace-Filme dar. Bei Francis stehen weder irgendwelche lustigen Mätzchen noch einzelne „Stars“ im Mittelpunkt, er ist ganz allein seiner Story verpflichtet, die er dann auch mit einiger Spannung umsetzt. Die Abwesenheit Fuchsbergers oder Draches  begünstigt es gerade, eine unvoreingenommene Perspektive auf das Geschehen einzunehmen, sich von dem Film überraschen zu lassen, anstatt ihm von vornherein mit einer festgefahrenen Erwartungshaltung zu begegnen. Wenn man die Reaktionen auf den Film so liest, scheint das aber trotzdem nur den wenigsten gelungen zu sein. Die Rialto zog dann auch ihre Lehren aus dem Scheitern von DAS VERRÄTERTOR: Bis kurz vor Ende der Reihe, als man sich – ebenfalls mit nur noch mittelmäßigem kommerziellen Erfolg – nach Italien wandte, blieb DAS VERRÄTERTOR die letzte Koproduktion der Reihe und auch der letzte extreme Ausreißer aus einem immer noch zugkräftigen Konzept. Die nächste größere Modernisierung erfolgte erst zwei Jahre später, als mit DER BUCKLIGE VON SOHO der erste Farbfilm der Reihe entstand.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (17. Wallace-Film), Klaus Kinski (10.),  Albert Lieven, Margot Trooger  (2.). Regie: Freddie Francis (1.), Drehbuch: Jimmy Sangster (1.), Musik: Peter Thomas (10.), Kamera: Denys N. Coop (1.), Ray Hearne (1.), Schnitt: Oswald Hafenrichter (1.), Produktion: Horst Wendlandt (15.), Ted Lloyd (1.).
Schauplatz: Der Tower of London, Scotland Yard, diverse Wohnungen, ein Schiff.
Titel: Bezieht sich auf das Tor, das die Hauptfigur – ein vermeintlicher Verräter, tatsächlich ein Doppelgänger – bewacht und durch das der Einbruch erfolgen soll.
Protagonisten: Der Tower-Wächter Dick und seine Freundin Hope sowie sein Doppelgänger, der Kriminelle Graham.
Schurke: Der Geschäftsmann Trayne und seine Vasallen.
Gewalt: Diverse Erschießungen, am Schluss fliegt ein Schiff mit den Schurken an Bord in die Luft.
Selbstreflexion: Eddi Arent spricht am Ende des Films von einem Happy End.

Auf die Einladung des Millionärs und Erfinders Real (Rudolf Forster) reist die junge Kathleen Kent nach England. Im Winter seines Lebens hat den reichen Mann das schlechte Gewissen zur Vernunft gebracht. Er möchte der jungen Frau die Millionen zurückzahlen, die der ehemalige Casinobesitzer ihrem Vater einst durch gezielte Manipulation abgenommen, ihn so in den Ruin und schließlich den Tod getrieben hatte. Damit sind seine einstigen Mitstreiter um den gerissenen Connor (Ernst Fritz Fürbringer) aber gar nicht einverstanden und entführen Kathleen. Als größtes Problem erweist sich der Safe, den Real durch eine Vielzahl von Schutmechanismen gesichert hat, die jeden Eindringling das Leben kosten. Und wer ist eigentlich dieser Jimmy Flynn (Harald Leipnitz), der sich zwischen die Konfliktparteien schiebt?

Gottliebs zweiter Wallace-Film für die Rialto ist nach Vohrers selbstreferenziellem, humorigem DER HEXER, mit dem man über den Kanal und zur erfolgreichen James-Bond-Reihe schielte, ist sehr bodenständiger geraten. Bis auf einen kleinen Gag zu Beginn werden sämtliche Anstrengungen, die „vierte Wand“ zu durchbrechen, unterlassen, den Zuschauern wieder ein fintenreiches Krimistück voller zwielichtiger Gestalten und makabrer Morde vorgesetzt. DIE GRUFT MIT DEM RÄTSELSCHLOSS kann zwar zu keiner Sekunde an die Glanzleistungen der Serie heranreichen, wurde von Gottlieb im Autopilot äquivalent zum Malen nach Zahlen  inszeniert und leistet sich eine einzige – allerdings wirkungsvolle – neue Idee, kommt aber immerhin einigermaßen temporeich über die Runden. Die erzählerischen Schwächen, die Gottliebs DER SCHWARZE ABT zum bis dato schwächsten Film der Reihe gemacht hatten, sind hier behoben worden: Das Hin und Her zwischen Connor und Real, mit dem dubiosen Flynn und der schönen Kathleen in der Mitte ist angenehm flott, die titelgebende Gruft trägt zur Freude begeisterungsfähiger Junggebliebener auch nicht unerheblich bei, das Finale knüpft an die von Reinl mit ZIMMER 13 eingeführten Härten an und weiß auch mit seinem schönen Mühlensetting zu begeistern. Der Clou ist aber eindeutig die schon erwähnte Gruft, mit ihrer doppelt und dreifach gesicherten Eingangspforte und einem Mechanismus, der auch die ohne Hoffnung auf Befreiung Eingesperrten mit unablässigem Getröte und Flackerlicht in den Wahnsinn oder den Selbstmord treibt. Konsequenz in Vollendung. Insgesamt ein runherum akzeptabler Wallace aus dem breiten Mittelfeld der Serie.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (15. Wallace-Film), Klaus Kinski (9.), Siegfried Schürenberg (6.), Ernst Fritz Fürbringer (5.), Harry Wüstenhagen (4.), Werner Peters, Kurd Pieritz (3.), Arthur Binder, Kurt Jaggberg, Heinrich Gies, Arthur Schilsky (2.), Harald Leipnitz, Ilse Steppat, Kurt Waitzmann, Gerhard Hartig (1.). Regie: Franz Josef Gottlieb (2.), Drehbuch: Franz Josef Gottlieb (2.), Robert A. Stemmle (2.), Musik: Peter Thomas (8.), Kamera: Richard Angst (3.), Schnitt: Jutta Hering (2.), Produktion: Horst Wendlandt (13.).
Schauplatz: Das Haus Reals, eine alte Windmühle und die Victoria Station. Gedreht wurde in Berlin und London.
Titel: Bezieht sich auf das zentrale Mysterium des Films.
Protagonisten: Jimmy Flynn, ein Mann ungeklärter Herkunft, das weibliche Opfer Kathleen Kent und der ermittelnde Inspektor Angel (Harry Meyen).
Schurke: Die Bande um den schurkischen Connor, Kinski als stummer Killer im Dienste eines unbekannten Auftraggebers …
Gewalt: Tod durch Erschießung, Messerstiche, Selbstmord. Zwei Charaktere werden vom Räderwerk einer Kornmühle zermamlt, eine fällt dem Rätselschloss zum Opfer, wird gleichzeitig vergiftet, elektrisiert und zu Tode gestürzt.
Selbstreflexion: Voice-over-Begrüßung zu Beginn. Einen Mann, der im Kino eingeschlafen zu sein scheint (er ist tot), kommentiert eine Kinobesucherin mit den Worten: „Schau mal den an, der schläft sogar bei einem Krimi ein. Aber gut, es war ja auch kein Wallace.“
EDIT: DIE GRUFT MIT DEM RÄTSELSCHLOSS erschien vor DER HEXER. Mir ist die Reihenfolge der Beiträge an dieser Stelle etwas durcheinander geraten.

Die Sekretärin Gwenda Milton wird ermordet, weil sie dem Treiben ihres Chefs Maurice Messer (Jochen Brockmann) auf die Schliche gekommen ist: Zusammen mit Reverend Hopkins (Carl Lange) unterhält er einen Frauenhändlerring. Wenig erfreut ist Messer, als er von Scotland-Yard-Inspektor Higgins (Joachim Fuchsberger) erfährt, dass es sich bei der Toten um die Schwester des sogenannten „Hexers“ handelt, der einst auf eigenen Faust in der Londoner Unterwelt aufräumte und dem die Flucht gelang, bevor er geschnappt werden konnte. Als Cora Ann Milton (Margot Trooger), die Gattin des Hexers, in London eintrifft, verdichten sich die Zeichen, dass der Hexer den Mord an seiner Schwester rächen will. Weil nur der bereits pensionierte Inspektor Warren (Siegfried Lowitz) den Vigilanten je zu Gesicht bekam, wird er reaktiviert, um Higgins zu helfen. Ein erster Verdächtiger ist der Australier Wesby (Heinz Drache), der sich als Krimischriftsteller auf Recherchetour ausgibt …

Mit DER HEXER, nominell vielleicht der bekannteste Wallace-Titel, scheint die Reihe auf dem Höhepunkt ihrer kommerziellen Kraft angelangt (ein Jahr später sollte DER UNHEIMLICH MÖNCH noch einmal ähnlich hohe Zuschauerzahlen vorweisen, doch davon abgesehen geht es ab diesem Zeitpunkt stetig  bergab). Er trägt dann auch alle Zeichen des selbstbewusst inszenierten Spektakels, des Aushängeschilds einer Reihe, die zu diesem Zeitpunkt über eine voll etablierte Form und Ästhetik verfügt, die zu einer Marke geworden ist, mit der die Menschen ein ganz bestimmtes Versprechen verbinden. Voller kleiner Gimmicks und selbstreflexiver Scherze, kann DER HEXER es zu keiner Sekunde verleugnen, sich seiner diesbezüglichen „Verantwortung“ vollkommen bewusst zu sein. Was sich in DAS INDISCHE TUCH noch auf einen in seiner Wirkung zwar gewaltigen, aber gemessen an der Gesamtspielzeit nur kleinen Scherz am Ende beschränkte, das zieht sich hier durch den ganzen Film. Die Plottwists, falschen Fährten und ornamentalen Details, die die Serie bisher auszeichneten, mögen selbstzweckhaft gewesen sein, aber es waren vor allem erzählerische Elemente. In DER HEXER wird alles zur Form: Als sei er mithilfe einer Checklist und dem Bedürfnis komponiert, auf alles noch eins draufzusetzen. Denn es reicht nicht mehr, die Erwartungen zu erfüllen, sie wollen übertroffen werden. Vohrer sieht den Weg dahin in einem „Mehr ist Mehr“: Das wird schon klar, wenn die bisherigen Stars der Reihe (Fuchsberger, Drache, Lowitz) zum ersten Mal im Verbund auftreten – quasi als die Expendables des Wallace-Films – und geht einher mit einer wahren Anhäufung von Verdächtigen. Wenn der Film kurz vor der Auflösung, einem ziemlich frechen Cliffhanger auf dem Weg zum Sequel, von einer Schrifteinblendung unterbrochen wird, die in bester William-Castle-Manier fragt, ob der Zuschauer die Identität des Hexers schon erraten habe, kann er dies angesichts der unübersichtlichen Fakten- und Verdachtslage mit der größten Sicherheit tun. Die perfekt geschmierte Entertainment-Maschine ist in den vorangegangenen 90 Minuten schließlich auf Hochtpuren gelaufen. Die Anlage von DER HEXER als großes Kinoereignis spiegelt sich auch darin wider, dass man eifrig bei den erfolgreichen James-Bond-Filmen notiert hat, die wahrscheinlich das damalige Nonplusultra in Sachen serieller Spitzenunterhaltung darstellen: Da kommt ein kleiner Indoor-Hafen samt Mini-U-Boot zum Einsatz, der auch jedem Bond-Schurken gut zu Gesicht gestanden hätte, darf sich Inspektor Higgins mehrfach dekorativ mit seiner attraktiven Gespielin Elise (Sophie Hardy) verlustieren, während Sir John die kaum weniger zauberhafte Sekretärin Jean (Anneli Sauli) zur Seite gestellt wird, die den jungen Inspektor anhimmelt wie anderswo Ms. Monepenny ihren 007.

Vohrer ist wahrscheinlich der richtige Mann für die mit DER HEXER überdeutlich vernehmbaren neuen Ansprüche, inszeniert den Film mit dem ihm eigenen Witz und Drive, steckt die Kamera auch schon einmal in ein Telefon, um von unten durch die Wählscheibe filmen und so mit ungewöhnlichen Perspektiven überraschen zu können. Aber die „Unschuld“, mit der die Wallace-Filme bis zu diesem Zeitpunkt aufwarteten, ist weitestgehend dahin: Dem zahlenden Kunden wird nicht länger einfach ein sauberer Unterhaltungsfim serviert, er wird geradezu hofiert und immer wieder direkt angesprochen. Natürlich waren auch die vorangegangenen Serienbeiträge „Produkte“, aber DER HEXER macht aus seinem kaufmännischen Interesse gar keinen Hehl mehr. Wo der Zynismus in dieser Form Einzug hält, da ist für ihn an anderer Stelle kein Platz mehr: Es lässt sich nur spekulieren, aber ein Frauenhändlerring wäre in früheren Filmen sicherlich für die ein oder andere Geschmacklosigkeit ausgeschlachtet worden, hier wird er einmal erwähnt und dann beinahe verschämt umgangen. Schade, denn ein bisschen gothischer Pomp, den in Verliese gesperrte, verzweifelte Frauen gleich säckeweise mit sich bringen, hätte dem Film bestimmt nicht geschadet. Die aufgeregte Suche nach dem Hexer, die fast schon unfreiwillig komische Häufung von konstruierten Verdachtsmomenten – unterhaltsam zwar, aber auch irgendwie leer –, kann diesen Mangel nur bedingt aufwiegen. So bleibt der Eindruck eines zwar beschwingten, kompetent gemachten Crowd Pleasers, dem aber die Seele fehlt.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (16. Wallace-Film), Joachim Fuchsberger (9.), Siegfried Schürenberg (7.), Heinz Drache (4.), Siegfrid Lowitz, Joachim Wolff (3.) Kurt Waitzmann, Carl Lange, Jochen Brockmann, Anneli Sauli, Wilhelm Vorwerg (2.), Sophie Hardy, Margot Trooger, Karl John, Hilde Sessak, René Deltgen, Tilo von Berlepsch (1.). Regie: Alfred Vohrer (6.), Drehbuch: Herbert Reinecker (1.), Harald G. Petersson (5.), Musik: Peter Thomas (9.), Kamera: Karl Löb (7.), Schnitt: Jutta Hering (3.), Produktion: Horst Wendlandt (14.), Fritz Klotsch (1.).
Schauplatz: London. Gedreht wurde in Berlin (Zitadelle Spandau, Hotel Esplanade) und London.
Titel: Der Deckname eines gesuchten Londoner Vigilanten.
Protagonisten: Inspektor Higgins, Inspektor Warren und der Krimischriftsteller Wesby.
Schurke: Ein Ring von Frauenhändlern und der Selbstjustiz übende „Hexer“.
Gewalt: Eine Strangulation, Tod durch Erschießen, Erstechen und Aufspießen, Autounfall, Dynamit.
Selbstreflexion: Der Film eröffnet mit der obligatorischen Bergüßung, die Titelmusik wird von Stimmen begleitet, die „der Hexer“ zischen, oder auch vom Tarzanschrei unterbrochen. Inspektor Higgins erwähnt einmal, dass sein Vorname „Bryan Edgar“ lautet (so hieß Edgar Wallace‘ Sohn), es gibt einen Seitenhieb auf das Fernsehen und kurz vor der Auflösung wird der Film kurz durch eine Schrifteinblendung unterbrochen, die fragt: „Wissen Sie schon, wer der Hexer ist?“

Der Politiker Sir Marney (Walter Rilla) erhält Besuch von dem Zugräuber Joe Legge (Richard Häussler): Den Mann, der ihm vor 20 Jahren bereits einmal geholfen hatte, erpresst er, ihn bei seinem neuesten Coup erneut zu unterstützen. Sollte er sich weigern, drohe seine Tochter Denise (Karin Dor) Böses. Marney schaltet den Detektiv Johnny Gray (Joachim Fuchsberger) ein, um die Tochter zu beschützen und herauszufinden, was Legge plant. Die Spuren führen zur Highlow-Bar von Igle (Hans Clarin), wo nicht nur Legge mit seinen Männern ein und aus geht, sondern auch ein unbekannter Rasiermessermörder plötzlich zuschlägt …

Reinls vierter (und vorletzter) Beitrag zur Wallace-Reihe mutet wie eine nostalgische Rückbesinnung auf die Anfänge der Erfolgsserie an: ZIMMER 13 erzählt eine sehr weltliche Gangstergeschichte, die weitestgehend ohne schaurige Beigaben auskommt. Die Geschichte um den Rasiermessermörder hat mit dem restlichen Fall eigentlich nur am Rande zu tun, drängt sich aber bald ins Zentrum des Films. Reinl bricht die betuliche Krimiatmosphäre durch einige erstaunlich heftige Gewaltszenen auf, die in der Reihe bislang beispiellos sind: einmal spritzt eine Prä-Splatter-Blutfontäne durch den Raum, ein armer Tropf wird von den Ganoven brutal zusammengeschlagen, seine Schreie dringen dabei sekundenlang aus dem Off. Im Finale leisten sich die Polizei und Legges Bande ein Feuergefecht mit hohem Aderlass, und einen – trotz Vorankündigung – erstaunlich effektiven Schockeffekt beschert Reinl dem Zuschauer zum Schluss, wenn das Serienmaskottchen Eddi Arent mit einer Maschinenpistole erschossen wird. Natürlich hatte dieser sich mit einer kugelsicheren Weste geschützt, dennoch sitzt der Schock, fühlt man sich für Sekundebruchteile aus seiner gemütlich-bequemen Rezeptionshaltung aufgeschreckt. Man merkt schon: ZIMMER 13 ist einer der bleihaltigeren Filme der Reihe, wirkt neben den gimmicklastigen Wallace-Filmen stärker aufs Wesentliche reduziert, aber auch ein bisschen altmodisch mit seinem Duell der beiden Gentleman-Veteranen Rilla und Häussler und dem Zugraub. Eine Ausnahme bilden die ersten leichten Anleihen bei der ungefähr zur gleichen Zeit Furore machenden Bond-Reihe: Schon die erste Szene mit Fuchsberger zeigt den Leading Man mit einer schönen Blonden im Bett, auch im Folgenden wird er immer mehr als weltmännischer Charmeur präsentiert. Was hier noch zaghaft ist, schlägt schon im folgenden Film, Vohrers DER HEXER, voll durch: Dann wird Scotland-Yard-Chef Sir John (Siegfried Schürenberg) eine an Miss Monepenny erinnernde Sekretärin erhalten, Fuchsberger noch mehr als Playboy inszeniert werden und Eddi Arent den Westentaschen-Q geben. In ZIMMER 13 ist es, wie gesagt, noch nicht so weit. Selbstreflexive Späße sind hier nahezu undenkbar. Der nominell nicht so bekannte Beitrag Reinls gehört zu einem im öffentlichen Bewusstsein eher unterrepräsentierten Nebenstrang der Wallace-Filme: geradlinige Krimis ohne Schnickschnack, mit Gangstern, Hinterzimmern und Maschinenpistolen statt Gespenstern, Giftschlangen und Spukschlössern. Keine Granate, aber eine schöne Abwechslung vor dem nächsten Vohrer.

Personal: Eddie Arent (14. Wallace-Film), Joachim Fuchsberger (8.), Siegfried Schürenberg (5.), Karin Dor (4.), Richard Häussler (3.), Walter Rilla, Hans Clarin, Eberhard Junkersdorf, Kurd Pieritz (2.), Bruno W. Pantel, Erik Radolf, Arthur Binder (1.). Regie: Harald Reinl (4.), Drehbuch: Will Tremper (1.), Musik: Peter Thomas (7.), Kamera: Ernst W. Kalinke (2.), Schnitt: Jutta Hering (1.), Produktion: Horst Wendlandt (12.), Erwin Gitt (2.).
Schauplatz: Gedreht wurde in Dänemark und im Studio in Berlin-Spandau.
Titel: Bezieht sich auf ein Hotelzimmer in der Highlow-Bar, wo Joe Legge und seine Kumpane in einer Geheimkammer ihren Raub planen.
Protagonisten: Der Privatdetektiv Johnny Gray.
Schurke: Die Bande um den Zugräuber Joe Legge sowie der mysteriöse Rasiermessermörder.
Gewalt: Drei Rasiermessermorde, diverse Erschießungen.
Selbstreflexion: Die bekannte Begrüßung durch Edgar Wallace zu Beginn erfolgt über die Lautsprecher der Paddington Station.

ankündigung: 12. hofbauer-kongress

Veröffentlicht: Dezember 26, 2013 in Film
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Es ist wieder soweit: Vom 02. bis zum 06. Januar lädt das Hofbauer-Kommando zu seiner neuesten konspirativen Kinositzung, bei der dem vergessenen, begrabenen, totgeschwiegenen und dem Untergang geweihten Film gehuldigt wird. Obskures, Kurioses, Beschwingtes, Beschämendes, Skandalöses, Versautes und Einschmeichelndes wird gereicht, aus aller Herren Länder, aber überwiegend aus den Bereichen Sex, Erotik, Melodram und Lustspiel. Suggestiv-appetitanregende Anmach-Texte, im unnachahmlichen HK-Jargon „Aufrisse“ genannt – wobei sich die Frage, wer hier wen aufreißt, gar nicht erst stellt –, finden Interessierte hier, Lesen allerdings auf eigene Gefahr, denn so man nicht teilnehmen kann, wird man danach ein nagendes Gefühl der Lust verspüren, ein sehnsüchtiges Brennen, und das Knurren seines cineastisch unterernährten Magens hören. Trost kann ich den Verzichtern und Asketen zumindest insofern anbieten, als ich als Anwesender gelobe, jeden Film mit einem eigenen Text zu dokumentieren, um so meinen Teil dazu beizutragen, dass der Ruf dieser deutschlandweit wahrscheinlich spannendsten Kino-Veranstaltung noch in die entlegensten Ecken der Republik dringt. Be there or be square, read it or beat it! Oder so.

PS Und außerdem trifft man beim Hofbauer-Kongress natürlich ausnahmslos wunderbare Menschen! 🙂

Bildschirmfoto 2013-12-26 um 14.01.10Der Eindruck aus den ersten vier Episoden wird im weiteren Verlauf der Serie deutlich verfeinert und ausdifferenziert: DERRICK lässt zwar nach wie vor biografische Details seines Titelhelden weitestgehend vermissen – in der Folge „Madeira“ betrachtet er das Foto einer Frau, die sich dann jedoch nicht als seine Gattin, sondern ein Mordopfer erweist, in der Episode „Pfandhaus“ ertappen wir ihn mit einer Geliebten, die sich von ihm chronisch vernachlässigt fühlt –, entwickelt jedoch in der Jagd auf die Verbrecher einen geradezu unerbittlichen, aber dennoch unterkühlten Furor. Es bereitet ihm Freude, diese feigen, mittelmäßigen Durchschnittsmenschen in die Ecke zu drängen, sie noch ein Weilchen zappeln zu lassen, bevor er sie endgültig festnagelt. Sein Haifischlächeln, das sich in sein Gesicht schleicht, wenn sich diese rückgratlosen Würmer vor ihm winden, vor Angst zittern und sich in haarsträubende Widersprüche verstricken, gleichzeitig eine trotzige Fassade der Selbstsicherheit aufrechterhalten, lässt keinen Zweifel daran, wer am Ende als Sieger hervorgehen wird. Es ist seine Mission, den Tätern die Maske vom Gesicht zu reißen, ihre Jämmerlichkeit zu entblößen und den rechtstaatlichen Frieden wiederherzustellen. Doch der Job fordert seinen Tribut: „Es ist meine Aufgabe, den Menschen alles zuzutrauen. Und es widert mich an.“, sagt er einmal, in der Episode „Pfandhaus“. Inhaltlich werden die Folgen etwas variabler, drehen sich nicht mehr nur um Frauenmorde. Dennoch ist auffällig, dass die Morde stets aus einer Position der Macht heraus erfolgen, so etwa in „Nur Aufregungen für Rohn“, in der ein junger Mann seinen alten Nachbarn erwürgt. Und mehr und mehr schleicht sich der Sleaze in die tiefenpsychologisch aufgearbeiteten Einblicke in die deutsche Mörderseele: „Zeichen der Gewalt“ ist die deutsche Appropriation italienischer Poliziottesco inklusive Stripclub-Ausflügen, der erotisch aufgeladene Tanz, den der gerissene Forster (Klaus Maria Brandauer) mit der jüngeren Geliebten seines Erpressungsopfers vor dessen Augen zu deutscher Schwermutsdico aufs Parkett legt, entblößt gewissermaßen den Unterleib der deutschen Mittelklasse.

Einige inhaltliche Elemente tauchen wiederholt auf: So erinnert Derricks Coup, den vollkommen panischen Hoffmann in „Hoffmanns Höllenfahrt“ noch einmal mit den Umständen seiner Tat und dem Opfer zu konfrontieren, sehr an die Episode „Johanna“, in der er die Zwillingsschwester der Toten dazu brachte, deren Kleidung zu tragen und ihrem Mörder gegenüberzutreten. In dieser Strategie entbirgt sich Derricks Funktion als alttestamentarischer Racheengel am deutlichsten: Es geht nicht nur darum, Mörder festzusetzen und die Gesellschaft zu schützen, sondern stets auch darum, die Täter mit ihrer Schuld zu konfrontieren, ihre Verleugnungen zu durchbrechen, ihr schlechtes Gewissen bloßzulegen. DERRICK ist eine 290-teilige Mahnfabel: Nicht nur lohnt sich Verbrechen materiell nicht, ist nicht an ein Davonkommen zu denken, weil ein Derrick die Schuld riechen kann wie ein Drogenhund, sie ist für den Durchschnittsbürger auch psycholgisch nicht zu ertragen. Die Essenz dieser frühen DERRICK-Folgen: Der Deutsche ist viel zu jämmerlich und durchschnittlich, um mit einem Mord durchzukommen. Das Geschmeiß auf der Straße mag sich für intelligent, gerissen und abgezockt halten, doch die Realität sieht ganz anders aus. Und Derrick weiß das. Weswegen es ihn schier krank macht, dass diese armseligen Gestalten es immer wieder versuchen, anstatt sich in ihr deutsches Dasein zu fügen.

„Tod am Bahngleis“ erinnert mit seinen Einblicken in die Psyche eines Frauenmörders – es wird sogar ein Psychologe hinzugezogen – etwas an Derricks Debüt in „Waldweg“. In „Madeira“ spielen Derrick und sein Partner nur eine Nebenrolle, die Folge fungiert in erster Linie als Showcase für Curd Jürgens, dessen Bubach wie Raskolnikow in Dostojewskis „Schuld und Sühne“ ein beinahe wissenschaftliches Interesse bei seinen Morden an den Tag legt. „Zeichen der Gewalt“ und „Ein weichen am stärksten vom Rest ab: Hier sind es keine einfachen Bürger, die in einem Moment der Schwäche zu Mördern werden, sondern Unterweltler, deren Gewissenlosigkeit schon eingeschliffen ist. Beide Folgen erinnern mit ihren Besprechungen im Polizeirevier, verschiedenen Beamten und Einsätzen an klassische Police Procedurals. „Paddenberg“ deutet etwas an, was eher subliminal in jeder Folge mitschwingt: dass sich viele Deutsche im Krieg die Hände schmutzig gemacht haben, auch wenn sie nicht mit den Nazis unter einer Decke steckten.

 

Episode 005: Tod am Bahngleis (Alfred Weidenmann, Deutschland 1975)

Die Münchener Polizei sieht sich den Taten eines Frauenmörders gegenüber: Alle Opfer nahmen offensichtlich den letzten Zug aus München, wurden beim Aussteigen vom Killer abgefangen, erwürgt und dann an den Gleisen abgelegt. Beim Täter handelt es sich um den Gleisarbeiter Hugo Hase (Peter Kuiper): Von seinen Kollegen (u. a. Arthur Brauss, Ulli Kinalzik, Günter Strack und Rinaldo Talamonti) wird er wegen seiner unbeholfenen Art verlacht, nachts „rächt“ er sich an den Frauen, zu denen er einfach keinen Zugang herstellen kann …

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Episode 006: Nur Aufregungen für Rohn (Wolfgang Becker, Deutschland 1975)

Der mittellose Student Harald Rohn (Thomas Fritsch) hat sich einen Coup ausgedacht, wie er an Geld kommen kann: Er überfällt seinen Nachbarn, den alten Herrn Seibach (Helmut Käutner), der als Geldbote für einen Supermarkt arbeitet. Dummerweise verliert er etwas am Tatort, was das Opfer auf seine Spur bringt. Als Seibach Rohn in dessen Wohnung konfrontiert und auffordert, sich zu stellen, sieht der junge Mann keine andere Möglichkeit, als Seibach umzubringen. Derrick und Klein sind von Beginn an überzeugt, dass er der Mörder ist, denn der Student hat viel zu viele Fehler gemacht. Aber es fehlt der entscheidende Beweis …

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Episode 007: Madeira (Theodor Grädler, Deutschland 1975)

Eine ältere Dame verschwindet spurlos, nachdem sie ihren Mietvertrag gekündigt und alle Konten aufgelöst hat, um mit einem Herrn nach Madeira auszuwandern. Bei dem Mann handelt es sich um Paul Bubach (Curd Jürgens), der Ausschau nach alleinstehenden Frauen hält, ihnen eine neues Leben auf der Atlantik-Insel schmackhaft macht und sie dann umbringt, wenn sie ihm ihre Ersparnisse anvertraut haben.

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Episode 008: Zeichen der Gewalt (Theodor Grädler, Deutschland 1975)

Von einem anonymen Anrufer wird der Anwalt Rieger (Joachim Bißmeier) dazu aufgefordert, seinem wegen Totschlags inhaftierten Mandanten Günter Hausmann (Raimund Harmstorf) eine Schusswaffe ins Gefängnis zu bringen, man habe seine Gattin Herta (Gaby Dohm) in der Gewalt. Der Anwalt tut, wie ihm befohlen wurde, Hausmann bricht wenig später aus und erschießt dabei einen Polizeibeamten. Der Anwalt ist untröstlich und bringt sich selbst um, derweil Derrick und Klein herauszufinden versuchen, wo sich Hausmann aufhalten könnte. Die Spur führt zu seinem Nachtclub „Crazy“, wo seine Gattin Irina (Sybil Danning) die Hauptattraktion ist …

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Episode 009: Paddenberg (Franz Peter Wirth, Deutschland 1975)

Der sein Geld als Schrankbemaler in einem Kaufhaus verdienende Kleinkünstler Hofer (Heinz Bennent) trifft durch Zufall Goldinger (Peter Pasetti) wieder, einen ca. 20 Jahre älteren Mann, zu dem er während der gemeinsamen Zeit im Kriegsgefangenenlager eine von Bewunderung geprägte Freundschaft entwickelt hatte. Er erfährt, dass Goldinger heute auf den Namen Paddenberg hört und erfolgreicher Geschäftsmann ist. Der Erkannte reagiert distanziert auf das Wiedersehen: Er hat ein entschiedenes Interesse daran, dass seine wahre Identität verborgen bleibt und bringt den harmlosen Hofer daher kaltblütig um. Von Derrick und Klein mit der Tatsache des Todes ihres Ehemanns konfrontiert, wittert Irene Hofer (Anaid Iplicjian) ihre Chance. Sie weiß, wer der Mörder ist und will diese Tatsache zu ihren Gunsten nutzen …

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Episode 010: Hoffmanns Höllenfahrt (Theodor Grädler, Deutschland 1975)

Auf der Heimfahrt begegnet der Handwerker Hoffmann (Klaus Löwitsch) der jungen, attraktiven Nachbarstochter Anneliese (Ingrid Steeger), die leicht über den Durst getrunken hat. Das Mädchen, dass er von Kindesbeinen an kennt, ist etwas anhänglich, Hoffmann weiß sich nicht zu beherrschen. Als sie ihm droht, alles ihrem Vater zu sagen, bringt er sie um und versteckt die Leiche auf einem Schrottplatz. Doch er ist nicht der Charakter, der einen Mord geschickt vertuschen kann: Von der ersten Sekunde an verstrickt er sich vor seiner Familie (u. a. Judy Winter und Pierre Franckh) in Widersprüchen und verliert angesichts der Befragung durch Derrick und Klein jede Contenance …

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Episode 011: Pfandhaus (Dietrich Haugk, Deutschland 1975)

Gustl Karruska (Max Mairich) ist zwar ein erfolgreicher und wohlhabender Geschäftsmann, aber dennoch voller Minderwertigkeitskomplexe. Diese werden noch bestärkt, als er erfährt, dass seine gut 30 Jahre jüngere Geliebte Ursula (Doris Kunstmann) ein Verhältnis mit dem vorbestraften Forster (Klaus Maria Brandauer) hat. Zu allem entschlossen besucht er dessen Wohnung, um ihn zu erschießen. Doch seine Kugeln treffen nur dessen Freund. Anstatt zur Polizei zu gehen, wittert Forster die Gelegenheit, sich eine Scheibe vom Kuchen Karruskas abzuschneiden. Er schweigt gegenüber Derrick und Klein, nistet sich in Karruskas Haus ein und beginnt den Mann offen zu demütigen …

Wertung: ****/*****

 

Episode 012: Ein Koffer aus Salzburg (Alfred Weidenmann, Deutschland 1975)

Eine Putzfrau wird beim nächtlichen Reinigen eines Zuges aus Salzburg von einem Mann (Ralf Schermuly) überrascht und erschossen. Offensichtlich hatte sie ihn dabei erwischt, wie er einen Koffer aus dem Zug entwendete. Der Mann kann entkommen, die Ermittlungen führen Derrick und Klein auf die Spur einer Schmugglerbande …

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Als der alte Lord Lebanon auf seinem Schloss „Marks Priory“ erdrosselt wird, werden seine Verwandten (darunter Elisabeth Flickenschildt, Hans Clarin, Klaus Kinski, Siegfried Schürenberg, Corny Collins, Hans Nielsen und Gisela Uhlen) vom Anwalt Frank Tanner (Heinz Drache) zur Testamentsverlesung eingeladen. Der Verstorbene verfügt, dass sein Vermögen auf die Familienmitglieder verteilt wird, allerdings erst nach Ablauf von sechs Tagen und Nächten, die die Kandidaten im Schloss zu verbringen haben. Zeit genug für den unbekannten Killer, die potenziellen Erben zu dezimieren. Und tatsächlich gibt es schon in der ersten Nacht den ersten Toten zu verzeichnen. Die Abreise ist ausgeschlossen, denn ein Sturm hat das Schloss vom Rest der Welt abgeschnitten …

Alfred Vohrers DAS INDISCHE TUCH weicht ein Stück vom bisher etablierten Schema der Wallace-Filme ab und begibt sich auf das Terrain der Murder Mystery, das nicht zuletzt von Agatha Christie so fleißig beackert worden war, an deren Roman „Ten Little Indians“ diese Geschichte massiv erinnert: In beiden wird eine Schar dubioser Gestalten in einem Haus festgehalten und dann nach und nach von einem Unbekannten dezimiert. Es drängt sich aber noch eine weitere Referenz zwingend auf: Ein Jahr zuvor hatte die sechsteilige Fernsehserie DAS HALSTUCH nach dem britischen Krimiautoren Francis Durbridge in Deutschland für die Rekordeinschaltquote von 89 Prozent gesorgt. Die buchstäblich leergefegten Straßen während der Ausstrahlung bescherten der deutschen Sprache den Begriff „Straßenfeger“, der heute allenfalls als Erinnerung an längst vergangene Fernsehzeiten fungiert. Neben der Mordwaffe teilt Vohrers DAS INDISCHE TUCH außerdem den Hauptdarsteller mit dem Sensationserfolg: Heinz Drache übernimmt auch in dem Edgar-Wallace-Film die Aufgabe, den Mörder zu enttarnen. Wenn man ehrlich ist, erledigt er diese Aufgabe ausgesprochen schlecht: Die Murder Mystery löst sich mehr oder weniger von selbst, weil irgendwann alle tot sind und der Mörder sich selbst offenbaren muss. Das Mitraten, zu dem der Film einlädt, ist dann nicht mehr als ein ebensolches: Es macht keinen Sinn, nach irgendwelchen Motivationen und Motiven zu forschen, oder gar Indizien gegeneinander abzuwägen. Die Opfer fallen wie die Fliegen, sodass man kaum hinterher kommt und der Täter ist dann garantiert der, mit dem man am wenigsten gerechnet hat – zumindest annähernd. Aber eigentlich macht das gar nix: DAS INDISCHE TUCH bietet bestes Entertainment voller kauziger Gestalten und abstruser Einfälle, die nur dazu da sind, den Zuschauer auf die falsche Fährte zu locken.

Kinski gibt zum ersten Mal einen jener Psychopathen, die bald seine Filmografie beherrschen sollten: Als Peter Ross, unehelicher Sohn des Lords, ständigen Demütigungen und Anfeindungen ausgesetzt, lässt er mehr als einmal seine Oberlippe zucken, darf er als vermeintlich Drogensüchtiger mit glasigen Augen ins Nichts starren oder auch mal divenhaft aus dem Raum stürzen. Eine Schau. Hans Nielsen, sonst abonniert auf die gemütlichen Onkeltypen (und deswegen in DIE TÜR MIT DEN SIEBEN SCHLÖSSERN als Schurke nicht ganz überzeugend), gibt den großkotzigen angeheirateten amerikanischen Aktienspekulanten Mr. Tilling (ohne Schnurrbart), der seinen britischen Verwandten deutlich zu verstehen gibt, was er von ihnen hält: Nichts. Sentimentalitäten sind seine Sache nicht und so verhält er sich wie die Axt im Walde. Seine Gattin Mrs. Tillin (Gisela Uhlen) ist von ihm so angenervt, dass sie ihm sein Alibi zunichte und ihn zum ersten Hauptverdächtigen macht. Ihr auf diesen Vertrauensbruch folgender Streit hat so episches Potenzial, dass man sich fast einen Film über die beiden allein wünscht. Nicht weniger zauberhaft ist Hans Clarin als verweichlichter Lord Edward, musisch begabter Sohn des toten Lords, der für seine erstes Klavierkonzert übt, von den lieblichen Klängen selbst ganz entrückt ist und ständig von der überprotektiven Mama umgarnt wird. Siegfried Schürenberg muss als Sir Henry Hockbridge auf eine Amazonas-Expediton verzichten und hat als Trost eine Vogelspinne mitgebracht, die gleich mehrfach zum Einsatz kommt. Elisabeth Flickenschildt ist in ihrem dritten Auftritt innerhalb der Reihe ganz Grand Dame, undurchschaubar und eiskalt. Ebenfalls zum dritten Mal dabei ist der hünenhafte Ady Berber, wieder einmal in einer Rolle als zurückgebliebener Schwachkopf, dessen Antlitz vom Bildhauer Peter Ross als Büste modelliert wird und dem Film so auch dann noch erhalten bleibt, als sein Charakter Chiko längst tot ist. Daneben können Heinz Drache, Eddi Arent und Corny Collins, die etwas gesichtslos bleibende Schöne des Films, nur verblassen.

Aber das zeigt ja nur, wie wenig Vohrer an seinem eigentlichen Plot interessiert ist: Hier geht es darum, dem Zuschauer möglichst viel Unterhaltung zu bieten, und dieses Vorhaben gelingt meisterlich. Das Sahnehäubchen ist die völlig idotische Schlusspointe, bis zu diesem Zeitpunkt der größte selbstreflexive Moment der gesamten Reihe und so kackdreist, dass es schon wieder toll ist: Heinz Drache verliest zum Schluss vor den verbliebenen zwei Anwesenden das Testament, in dem der verstorbene Lord sein gesamtes Vermögen niemand Geringerem als Edgar Wallace vermacht. Die Köpfe hinter der Reihe konnten sich zu diesem Zeitpunkt der Reihe wohl (noch) fast alles erlauben und machten von dieser Narrenfreiheit reichlich Gebrauch. Man darf diese Verweigerung einer richtigen Auflösung schon recht unverschämt finden, zumal sie mit äußerstem Selbstbewusstsein und der Gewissheit vorgetragen wird, in den 80 vorangegangenen Minuten ganz große Unterhaltung abgeliefert zu haben. Bescheidenheit geht anders, trotzdem wirkt die Geste aus heutiger Sicht so herrlich naiv und unschuldig, aber auch auf so eine zirkusdirektorenhafte Art und Weise unterwürfig und höflich. Hir wird man hier als Zuschauer mit Unterhaltungsanspruch noch wahrgenommen und entsprechend adressiert. Und plötzlich macht auch die Anwesenheit Draches, ein Star zwar, aber so nahbar, unverstellt und vertrauenserweckend wie der Apotheker nebenan, wieder Sinn.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (13. Wallace-Film), Klaus Kinski (8.), Siegfried Schürenberg (4.), Heinz Drache, Elisabeth Flickenschildt, Ady Berber (3.), Gisela Uhlen, Hans Nielsen, Richard Häussler, Alexander Engel, Eva Ebner (2.), Hans Clarin, Rainer Brandt, Eberhard Junkersdorf, Wilhelm Vorwerg (1.). Regie: Alfred Vohrer (5.), Drehbuch: Harald G. Petersson (4.), Georg Hurdalek, Musik: Peter Thomas (6.), Kamera: Karl Löb (6.), Schnitt: Hermann Haller (3.), Produktion: Horst Wendlandt (11.), Preben Philipsen (8.). 
Schauplatz: Gedreht wurde ausschließlich im Studio in Berlin-Spandau.
Titel: Bezieht sich auf das Mordwerkzeug.
Protagonisten: Anwalt Frank Tanner, der die Ermittlungen im Schloss übernimmt.
Schurke: Der Film bietet mehrere Unsympathen auf. Die Mörder sind der zurückgebliebene Chiko, der Sohn des toten Lords und als Drahtzieherin seine Mutter.
Gewalt: Mehrere Strangulationen, ein Selbstmord durch Erhängen, ein Fenstersturz.
Selbstreflexion: Der Film beginnt mit dem Voice-over „Hello, hier spricht Edgar Wallace!“, Alfred Vohrer absolviert einen Cameo-Auftritt (er leiht mehrere Figuren seine Stimme), ein Charakter hört auf den Namen „Inspektor Fuchsberger“, am Ende, wenn das Testament verlesen wird, verkündet Heinz Drache als Tanner, dass das gesamte Vermögen an „den größten Mann des Jahrhunderts“ geht. Er wendet sich direkt ans Publikum und sagt dann: „Edgar Wallace!“

DER SCHWARZE ABT also. Ich vermute, dass dieser Film zu jenen gehört, die ich als Pimpf im Fernsehen gesehen habe, gebannt die Bilder der verfallenen Abtei im nächtlichen Nebel aufsaugend, jeden Auftritt des mysteriösen schwarzen Abtes antizipierend, der mit seiner schwarzen Ku-Klux-Klan-Kutte ordentlich was hermachte. Wirklich erinnern kann ich mich daran aber nicht mehr, da ist eher so ein diffuses Gefühl der Vetrautheit, das aber auch einfach daher rühren könnte, dass dieser erste Wallace von Franz Josef Gottlieb reinstes Formelkino ist. Nicht, dass die anderen Filme der Reihe Musterbeispiele für Unkonventionalität und künstlerischen Ausdruck wären: Sie bieten alle in erster Linie publikumswirksamen Kintopp mit einer Reihe einmal erprobter und dann jedesmal neu aufgegossener und nur leicht verfeinerter Zutaten, die dann zusammen eine wenn schon nicht besonders nahrhafte, so doch meist schmackhafte Mahlzeit ergaben. In DER SCHWARZE ABT haut das nicht so richtig hin, wirkt das Endergebnis wie mit Heißhunger am Büffet zusammengestellt, eine Mischung für sich genommen leckerer Einzelteile, die aber nicht wirklich miteinander harmonieren, zumindest sich nicht zu einem großen Neuen verbinden.

Auf Schloss Chelford lebt der von einer Nervenkrankheit geplagte Lord Harry Chelford (Dieter Borsche), der fest an die Existenz eines Familienschatzes glaubt, der irgendwo auf seinem gewaltigen Anwesen liegt. Die Suche nach dem Schatz wird durch den schwarzen Abt erschwert, einen Geist, der dort sein Unwesen treibt und auch schon einmal Leichen hinterlässt. Um Chelford schart sich eine Gruppe von zwielichtigen Gestalten, die es alle auf das Geld – und den Schatz – abgesehen haben: Sein Anwalt Chine (Harry Wüstenhagen) ist völlig pleite, hat Chelfords Geld bei Pferdewetten veruntreut und plant nun, seine Schwester Leslie (Grit Boettcher) mit ihm zu verheiraten, die sich aber zu Richard (Joachim Fuchsberger) hingezogen fühlt, Chelfords Cousin und Vermögensverwalter. An Leslie hat aber auch der Buchmacher Gilder (Werner Peters) Interesse, der Chine damit erpresst, seine Veruntreuungen öffentlich zu machen und außerdem mit Mary Wenner (Eva Ingeborg Scholz) zusammenarbeitet, Chelfords ehemaliger Sekretärin, die zu wissen glaubt, wo der Schatz liegt. Als die Polizei in Vertretung von Detective Puddle (Charles Regnier) und seinem Assistenten Smith (Eddi Arent) eintrifft, um einen Mordfall aufzuklären, kommt Bewegung in das Intrigenstadl …

Franz Josef Gottlieb braucht ca. 20 bis 30 Minuten, bis er Licht in diese verschlungene Personenkonstellation gebracht und das Kuddelmuddel an konfligierenden Interessen und Motivationen einigermaßen nachvollziehbar gemacht hat, danach ergeht sich der Film im nächtlichen Schleichen durch die nebelverhangenen Abteiruinen und einem Auf und Ab potenzieller Verdächtiger und definitiv Toter. Was in anderen Filmen der Reihe recht geschickt miteinander verbunden und organisch entwickelt wird, das steht hier sehr statisch nebeneinander. DER SCHWARZE ABT wirkt beinahe theaterhaft und kommt deutlich altbackener daher als das, was Reinl, Vohrer und ihre Kollegen zuvor abgeliefert hatten. Der etwas angestaubte Begriff des „Gruselkrimis“, den die Wallace-Filme prägten, selbst wenn sie mit ihren unheimlichen Zutaten sehr sparsam umgingen, passt auf Gottliebs Film wie die Faust aufs Auge: Er wirkt wie für besonders schlichte Gemüter kompiliert: Da steht der schwarze Abt als sprichwörtlicher Butzemann grimmig im Wald herum und erschreckt die in Heerscharen herumstolpernden Schatzsucher, werden die in eine verfallene Gruft Herabsteigenden als erstes von an sichtbaren Fäden hängenden Plüschfledermäusen erschreckt. Die falschen Fährten, auf denen der Zuschauer üblicherweise mal hierhin, mal dorthin geführt wird, sie verknoten sich hier nach kürzester Zeit zu einem unentwirrbaren Kuddelmuddel, das Detective Puddle aber völlig mühelos und ohne jede echte Ermittlungsarbeit  entwirrt. Einmal betritt er nach einem kurzen Abstecher nach London die Szenerie, um triumphierend zu bekennen, er wisse nun wer der Mörder sei; ein Geständnis, das das sonst erkennbare Bestreben der Drehbuchautoren, alles möglichst undurchsichtig zu gestalten, ad absurdum führt.

Doch so bräsig und naiv der Film auch sein mag, man kann ihm ein gewisses Etwas nicht absprechen. Lustigerweise verkörpert DER SCHWARZE ABT das, was man wahrscheinlich vor Augen hat, wenn man an Edgar-Wallace-Filme denkt, fast schon idealtypisch: Er hat einen feschen Helden (Fuchsberger), eine hilflose Maid (Boettcher), etliche Verdächtige (Peters, Kinski, Wüstenhagen, Scholz, Schoenfelder), den irr in die Gegend glotzenden Butler (Kinski), einen feixenden Eddi Arent, Scotland Yard, britische Lords, Ladies und Schlösser, dunkler Geheimnisse, zahlreiche Morde, lustige Kameraperspektiven und viel Nebel, Nebel, Nebel. Vielleicht muss man DER SCHWARZE ABT so begreifen: als das Urmeter der erfolgreichen Filmserie, die Wallace-Essenz, aus der man dann unendlich viele komplexere und dann auch bessere Mischungen herstellen kann.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (12. Wallace-Film), Joachim Fuchsberger (7.), Klaus Kinski (7.), Harry Wüstenhagen (3.), Werner Peters, Dieter Borsche (2.), Grit Boettcher, Friedrich Schoenfelder, Kurt Pieritz (1.). Regie: Franz Josef Gottlieb (1.), Drehbuch: Johannes Kai (3.), Franz Josef Gottlieb (1.), Musik: Martin Böttcher (3.), Kamera: Rudolf Angst (3.), Richard Sandtner (1.), Schnitt: Hermann Haller (2.), Produktion: Horst Wendlandt (10.), Preben Philipsen (7.), Erwin Gitt (1.). 
Schauplatz: Das Schloss von Lord Chelford sowie die zugehörige Abtei. Gedreht wurde in Berlin und auf Schloss Herdringen im Sauerland.
Titel: Bezieht sich auf das Mysterium des Films, einen herumspukenden „Geist“, beinhaltet zum fünften Mal ein Farbwort.
Protagonisten: Der Hasuverwalter von Lord Chelford, Dick Alford, der Lord selbst sowie Detective Puddler.
Schurke: Die Person, die sich als schwarzer Abt verkleidet.
Gewalt: Eine Erstechung, diverse Erschießungen.
Selbstreflexion: Der Film wird mit einer Stimme eröffnet, die verkündet: „Hier spricht Edgar Wallace!

Die Londoner Unterwelt wird von einem unbekannten Verbrecher, den alle nur den „Zinker“ nennen, in Angst und Schrecken versetzt. Als ein Krimineller seine Identität aufgedeckt zu haben glaubt, wird er mit dem Gift einer Schwarzen Mamba ermordet. Die Ermittlungen führen Inspektor Elford (Heinz Drache) zu der Tierhandlung der reichen Witwe Mulford (Agnes Windeck) und ihrem Geschäftsführer Sutton (Günter Pfitzmann): Dort wurde vor kurzem eine solche Schlange entwendet …

Nachdem mich DAS GASTHAUS AN DER THEMSE zuvor etwas underwhelmt hatte, hat DER ZINKER meine Erwartungen übertroffen: Vohrer erzählt seine Gangstergeschichte mit viel Zug und der liebgewonnenen Überfülle an bizarren Ideen, handelnden Figuren, nebligen Nachtszenen, zwielichtigen Gestalten und Kurzausflügen in die Gefilde des Horrorfilms. Dennoch bleibt die Handlung nachvollziehbar, wird der Whodunit-Aspekt nicht, wie sonst so häufig in den Wallace-Filmen, lediglich vorgetäuscht. Na klar, manche Morde und Plotwindungen sind auch hier natürlich reines Mittel zum Zweck und nur zu gern wird die Logik auch mal komplett über Bord geworfen, wenn es der Spannung oder der Irreführung der Zuschauer dient, aber DER ZINKER ist dennoch weitestgehend stringent. Was diesen Film – und bislang eigentlich alle guten Filme der Reihe – in erster Linie auszeichnet, das sind natürlich nicht psychologisch fundierte Charakterzeichnungen, nachvollziehbare Motivationen oder eine authentische Darstellung von Polizei- und Ermittlungsarbeit, sondern packende Situationen, kreative Morde und finstere Verbrecher. Und hier zieht Vohrer wieder einmal alle Register. Das Gemäuer, in dem Tiger, Löwen, Lamas, Giftschlangen und anderes Getier gehalten werden, gibt ein wunderbar exotisches Setting ab, in dem sich Klaus Kinski als stummer Tierpfleger Krischna sichtlich wohl fühlt, und der berühmte Londoner (oder vielleicht auch Hamburger) Nebel, meist hübsch dekorativ im Gegenlicht eingefangen, spendet auch ganz weltlichen Vorgängen noch jenen außerweltlichen Touch, den die Wallace-Filme so gern bemühen. Kurze Subplots wie jener, in dem eine Gangsterbande versucht, den Zinker in eine Falle zu locken, um den Mord an einem der ihren zu rächen, sind die Extraportion Fleisch auf den Rippen eines rundum gelungenen Krimis. Und auch wenn dann mal nichts passiert, kann man sicher sein, dass Vohrer irgendwas Interessantes anzustellen weiß. Da kommt mal wieder jene schon in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON bemühte Einstellung aus dem Mund einer Figur heraus zum Einsatz – die hier eine Karotte knabbert, was die Absurdität noch steigert, oder wird aus einem Waschbecken mit laufendem Wasserhahn herausgefilmt. Und der Einfall, die liebenswerte alte Dame Mulford zu Musik vom Plattenspieler vor „begeistertem“ Publikum dirigieren zu lassen, ist ebenfalls ausgesprochen reizend.

Auffallend ist ein insgesamt etwas ruppigerer Tonfall, der nur durch die Komikeinlagen Arents – diesmal als verhinderter Zeitungsreporter im Dienste Siegfried Schürenbergs unterwegs, der ausnahmsweise mal keinen Scotland-Yard-Vorgesetzten spielt – aufgelockert wird. Ein romantisches Element ist hingegen weitestgehend absent: Zwischen Elford und Beryl Stedman (Barbara Rütting), dem potenziellen Love Interest, entspinnt sich hier dankenswerterweise keine zarte Romanze, die junge Dame muss als Krimischriftstellerin erst als Verdächtige herhalten, darf sich dann am Ende als tragisches, vom Zinker genasführtes Opfer erweisen. So sehr man den Verzicht auf eine klischierte Liebesgeschichte begrüßt, so unentschlossen wirkt aber letztlich die Inklusion dieser Figur. Man merkt, dass man mit einer Frauenfigur nicht wirklich etwas anzufangen wusste, sofern man keinen romantischen Subplot um sie stricken konnte. Obwohl Barbara Rütting in DER ZINKER also eine ungewohnt starke Rolle zufällt – sie muss von keinem starken Mann aus höchster Not gerettet werden –, hinterlässt sie doch einen eher flüchtigen Eindruck und bekommt nicht wirklich etwas zu tun. Dafür bildet sie in Suttons Wohnung in Form eines überlebensgroßes Foto auf der Tischpaltte ein beeindruckendes chauvinistisches Centerpiece. Womit wir dann wieder bei den Männern sind: Wenn es schon an in den Armen eines starken Mannes dahinschmelzenden Frauen fehlt, so gibt es umso mehr zu allem entschlossene Kerle, die morden, betrügen, rumballern, stehlen und grimmige Gesichter machen. Das ist naturgemäß nicht mit „echten“ Gangster- oder Actionfilmen vergleichbar, innerhalb der Edgar-Wallace-Reihe zählt DER ZINKER aber durchaus zu den realistischeren und bodenständigeren Beiträgen und reiht sich nahtlos ein zwischen Filmen wie DER FROSCH MIT DER MASKE, DER ROTE KREIS, DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN, DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE oder eben DAS GASTHAUS AN DER THEMSE. Geradezu rührend mutet es deswegen an, wie die zeitgenössische Presse immer wieder den „Gruselaspekt“ der Wallace-Filme in den Vordergrund rückte: „Auf Gänsehaut kalkulierte Situationen werden durch gelegentliche Gags kompensiert“, schrieb der Filmdienst zum Start des Films 1963. Dahinter verbirgt sich wahrscheinlich die Furcht des Spießbürgers vor der Unfasslichkeit des Verbrechens: Was da in einem „Moloch“ wie London dem Vernehmen nach vorging, das konnte man sich auf seiner deutschen Wohnzimmercouch unter dem Bild vom röhrenden Hirsch wahrscheinlich nur unter Zuhilfenahme von ins Groteske überzeichneter Bilder vorstellen. Dabei waren keine 20 Jahre zuvor weitaus abscheulichere Dinge vor der eigenen Haustür passiert.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (10. Wallace-Film), Klaus Kinski (6.), Jan Hendriks (4.), Siegfried Schürenberg (3.), Heinz Drache, Stanislav Ledinek, Albert Bessler (2.), Inge Langen, Barbara Rütting, Agnes Windeck, Heinz Spitzner, Eva Ebner, Heinrich Gies, Heinz Petruo, Bert Wilczewski, Michael Chevalier (1.). Regie: Alfred Vohrer (4.), Drehbuch: Harald G. Petersson (3.), Musik: Peter Thomas (5.), Kamera: Karl Löb (5.), Schnitt: Hermann Haller (1.), Produktion: Horst Wendlandt (9.), Preben Philipsen (6.), Jacques Willemetz. 
Schauplatz: London, Scotland Yard. Gedreht wurde in Berlin und London.
Titel: „Der Zinker“ ist der Deckname eines gefürchteten Londoner Kriminellen mit unbekannter Identität.
Protagonisten: Scotland-Yard-Inspektor Elford.
Schurke: Der Zinker.
Gewalt: Tod durch Giftpfeile (Schlangengift), eine Erstechung, eine Erschießung, Tod durch Tigerattacke.
Selbstreflexion: Der Film wird wieder mit dem Voice-over-Kommentar “Hier spricht Edgar Wallace!” eröffnet.