Archiv für April, 2014

Ausnahmsweise kam ihm bei Dr. Mabuse mal nicht Horst Wendlandt in die Quere: Die Rechte an der seit 1933 brachliegenden Figur des verbrecherischen Masterminds sicherte sich Artur Brauner ganz allein. Weil düsteren Crime- und Mysterystoffen im ersten Nachkriegsjahrzehnt jedoch keine besonderen Erfolgsaussichten ausgestellt wurden, verzichtete Brauner zunächst auf eine Umsetzung – und überließ doch wieder anderen die Initiative: Als 1959 der erste Edgar-Wallace-Film DER FROSCH MIT DER MASKE erschien und zu einem unerwarteten Publikumsschlager avancierte, war die Saat für düstere Schwarzweißkrimis mit Gruseleinschlag zwar gelegt, der Weg für eine Mabuse-Reihe frei, doch die Marktführer-Position hatte sich die Rialto mit ihrem Engagement erkämpft. Mit DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE landete Brauner mit der Verpflichtung des 1956 aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückgekehrten Fritz Lang, dem Urheber der ersten beiden Dr. Mabuse-Filme, DR. MABUSE, DER SPIELER und DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE, zwar einen echten Coup (er hatte mit Lang zuvor schon DER TIGER VON ESCHNAPUR und DAS INDISCHE GRABMAL realisiert), schien aber dennoch nur auf der neuen Welle der „Gruselkrimis“ mitzuschwimmen. Ein Erfolg an der Kinokasse wurde er dennoch, trotz der Kritik, die bemerkte, dass Langs Film nicht an die Klasse seiner Vorkriegsklassiker heranreichte. DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE blieb Langs letzter Spielfilm. Seinen letzten Auftritt als Regisseur absolvierte er 1964 mit seiner Rolle in Godards LE MÉPRIS, bevor er 1976 starb.

DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE  beginnt mit einer Szene, die fast 1:1 aus TESTAMENT übernommen wurde: An einer Ampel wird der Fernsehreporter Barter in seinem Auto von einem von Mabuses Killern (Howard Vernon) mit einer Stahlnadel erschossen. Der ermittelnde Kommissar Kras (Gert Fröbe) findet heraus, dass Barter einer großen Sache auf die Spur gekommen war, die er publik machen wollte, Interpol enthüllt die Parallelen zu jenem Mord von vor 30 Jahren. Könnte es sein, dass Dr. Mabuse, das kriminelle Genie von damals, gar nicht tot ist? Oder hat er einen Trittbrettfahrer inspiriert? Im Folgenden konzentriert sich die Handlung auf das Hotel Luxor, in dem der amerikanische Milliardär Travers (Peter van Eyck) abgestiegen ist, der sein Geld unter anderem im Bereich der Atom- und Waffenindustrie macht. Er verhindert den Selbstmord seiner Zimmernachbarin Marion Menil (Dawn Addams) und zwischen den beiden entwickelt sich eine zarte Romanze. Unterdessen macht Kras bei seinen Ermittlungen Bekanntschaft mit dem rätselhaften blinden Hellseher Peter Cornelius (Wolfgang Preiss) und dem Versicherungsvertreter Mistelzweig (Werner Peters). Alle scheinen sie in den Mord an Barter und die folgenden Ereignisse, darunter auch zwei Mordanschläge auf Kras, verwickelt zu sein …

Fritz Lang greift viele Elemente aus seinem Klassiker wieder auf. Das reicht von kleineren Plot- und Gestaltungsdetails, wie etwa der Einführung des Kriminalbeamten Kras oder der erwähnten Ermordung Barters, bis hin zu Ideen, wie jener einer aus dem Hintergrund geführten Verbrecherorganisation, die durch moderne Überwachungs- und Kommunikationstechnologie perfekt vernetzt und den Ermittlern immer einen Schritt voraus ist. Das übersinnliche Element – Dr. Mabuse verfügte über ein außergewöhnliches Gehirn, das es ihm ermöglichte, Besitz von anderen Menschen zu ergreifen – findet Eingang durch die Figur des Cornelius, der immer wieder Ereignisse vorhersieht oder aber Informationen besitzt, die er eigentlich gar nicht haben kann. Und während Lang in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE gegenwärtige politische Strömungen in Deutschland noch verklausuliert kritisierte – die von Mabuse angestrebte „Herrschaft des Verbrechens“ wies deutliche Parallelen zum Terror des Dritten Reichs auf –, nimmt er hier ganz offen Bezug auf die Methoden der Nazis und ihr Erbe im Deutschland der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre sowie auf die aufkeimende, sich später noch als sehr berechtigt entpuppende Angst vor Rüstungswettstreit und nuklearem Krieg. Natürlich sorgt auch wieder  Langs bewährte Technik des „reimenden Schnitts“ für einen annähernd nahtlosen Fluss des Films. Der große Unterschied zu TESTAMENT zeigt sich dann auch vor allem in Aspekten, die nicht unbedingt auf Anhieb greifbar und möglicherweise in nicht unerheblichem Maß auf die seit damals vollzogene technische Entwicklung zurückzuführen sind: DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE ist deutlich weniger unheimlich und beunruhigend als sein berühmter Vorgänger, die vormals mysteriöse Titelfigur auf das Maß eines relativ gewöhnlichen Superschurken gestutzt. Das ist zum einen auf den relativ herkömmliche strukturierten Krimiplot zurückzuführen, der zwar ein großes Geheimnis um die wahre Identität des ominösen Strippenziehers macht, dabei aber ganz auf die bewährte Whodunit-Schablone setzt, bei der viele verdächtige Personen mit unterschiedlichen Motivationen sich die Klinke in die Hand geben, und den übersinnlichen Aspekt der Geschichte recht schnell als Zirkusnummer enttarnt.

Zum anderen, und das scheint mir entscheidender, steht dem Film aber seine formale Geschliffenheit oder besser: seine Sauberkeit im Weg, die mit den an ihn geknüpften kommerziellen Interessen einhergeht. DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE ist ein lupenreiner Genrefilm, der auf dem Fundament aufbaut, das sein Vorgänger erst begründete. Was damals noch neu und gewissermaßen auch roh und im besten Sinne unausgereift war, irgendwo zwischen den Stühlen von expressionistischem Horror, Thriller und Kriminalfilm verortet, ist hier zum optimalen Funktionieren als Publikums- und Unterhaltungsfilm hin bereinigt und begradigt. Unorthodoxe, idiosynkratische Ideen, störende Elemente sucht man ebenso vergebens wie diese im TESTAMENT so meisterhaft etablierte Stimmung einer schleichenden, unaufhaltsamen Bedrohung, vor der man auch als Zuschauer nicht sicher war. Nicht geringen Anteil an dieser Wirkung hatte mit Sicherheit auch seine äußere Form. Auf die komplizierte, bewegte Editionsgeschichte von TESTAMENT bin ich schon eingegangen und sie hat sich auch in die uns heute vorliegende Kopie eingeschrieben. Der Zahn der Zeit hat an ihm genagt und deutliche Spuren in Form von Verunreingungen und Kratzern hinterlassen, das Bild ist insgesamt weniger scharf als bei neueren Filmen oder eben solchen, die nicht die Knute der Zensur zu spüren bekamen und in irgendwelchen Kellern verschwanden. Aber es ist eben auch jene Patina, der DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE einen Teil seines Mysteriums verdankt. Er wirkt weniger „gemacht“ als wie ein Zeitzeugnis, ein früher Found-Footage-Film gewissermaßen, und das authentifiziert ihn in gleichem Maße wie es ihn dem analytischen Zugriff entzieht. Das soll den Erfolg von DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE nicht schmälern, der mit den glänzend aufgelegten Gert Fröbe und vor allem Werner Peters auftrumpfen kann und immer wieder mal mit überraschenden Ideen oder unerwarteten Ruppigkeiten aus dem zufriedenen Dämmerzustand, den solche Kraut-Pleaser (sorry …) bei mir auslösen, aufschrecken lässt. Aber an diesem Lob zeigt sich eben die gewaltige Kluft: Fritz Langs letzter Film bewegt sich immer im Rahmen eines Genrefilms und er bringt den Zuschauer niemals in Gefahr. Dr. Mabuse bleibt ein Prä-Bond’scher Superschurke, gefährlich, aber eben ausrechenbar. Im Vorgänger wusste man am Ende nicht, ob er die vierte Wand nicht hinter sich gelassen hatte.

Filme wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE machen mir immer ein bisschen Angst, weil sie mit der Bezeichnung „Klassiker“ fast noch unterbewertet sind. Fritz Langs legendäre Fortsetzung seines eigenen 1922 entstandenen DR. MABUSE, DER SPIELER schafft als früher, aber formal bereits unheimlich avancierter Tonfilm überhaupt erst die Grundlage, anhand derer wir die Kriterien, nach denen wir auch heute noch bestimmen, was einen „Klassiker“ oder ein „Meisterwerk“ auszeichnet, aufstellen konnten. DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE ist mehr als ein Film, auch mehr als ein historisches Dokument oder kulturelles Artefakt: Er ist gewissermaßen das filmische Äquivalent des Urmeters, die Blaupause, an der sich noch heute – wissend oder unwissend – jeder Filmemacher orientiert, wenn er sich in der Schnittmenge von Thriller, Paranoiafilm und Horror bewegt, und ohne dessen formalen Errungenschaften seine Kunst heute um Einiges ärmer wäre – wenn sie die 80 Jahre, die seitdem vergangen sind, ohne sie überhaupt überdauert hätte. Mein Textchen hier ist von vornherein zur Redundanz verdammt, weil sich bereits Dutzende von Filmwissenschaftlern und -historikern an Langs Film abgearbeitet, seine komplizierte Editions- und Rezeptionsgeschichte durchleuchtet, jedes Einzelbild auf links gedreht, jeden Schnitt analysiert, jede Dialogzeile interpretiert und dabei Erkenntnisse zu Tage gefördert haben, die ich hier weder zusammenfassen noch übertreffen könnte. Ich kann mir nicht helfen, mir nötigt ein Werk wie DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE höchsten Respekt ab. Vielleicht bin ich von Natur aus autoritätsgläubig: Ich kann mich vom Status von Langs Film unmöglich freimachen und ihn betrachten wie irgendeinen beliebigen Film. Trotzdem kann ich ihm an dieser Stelle aber auch keinen Text widmen, der diesem Status auch nur annähernd gerecht würde.

Der Name „Mabuse“ ist mir seit meiner Kindheit geläufig, als ich ihn von einem Schulkameraden aufschnappte, wahrscheinlich weil der einen von Brauners Mabuse-Filmen aus den Sechzigerjahren im Fernsehen gesehen hatte. Dann gab es in den Achtzigern ja auch noch den Song „Dr. Mabuse“ der Düsseldorfer Synthiepopgruppe Propaganda (den ich aber auch nur vom Namen her kannte). Schließlich fand die vielleicht unheimlichste Szene aus Langs Film Eingang in den „Lieblingsszenen“-Artikel, der 1995 anlässlich des 100. Geburtstags des Kinos in der Splatting Image veröffentlicht wurde. „Mabuses Geist, ausgestattet mit hypnotischen, übergroßen Augen und einem offenliegenden Gehirn, sitzt dem Irrenarzt gegenüber und faselt von der ,Herrschaft des Verbrechens‘ […] die Szene [ist] nach Mitternacht bei vereinsamter Wohnung besser als jede Koffeintablette“, schrieb damals Peter Blumenstock. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis ich die Reihenfolge der verschiedenen Mabuse-Filme auf die Reihe bekam, verstand, dass Langs späterer DIE 1.000 AUGEN DES DR. MABUSE, den er nach seiner Rückkehr nach Deutschland drehte, mit den beiden vorangegangenen Filmen zwar den titelgebenden Schurken teilte, sonst aber eine ganz andere Baustelle war. Aber die beschriebenen Konfusionen trugen erheblich dazu bei, dass die Figur des kriminellen Masterminds eine enorme Faszination auf mich ausübte: Die Figur war irgendwie schon immer da und das machte sie seltsam real für mich. Wie dieses kriminelle Mastermind – vom luxemburgischen Autor Norbert Jacques 1919 erdacht – sich über das Medium Film ins kollektive Bewusstsein schlich und seinen Keim legte, dann über Jahrzehnte verschwand, nur um dann doch noch einmal zurückzukehren, wie er seit den Sechzigerjahren von der Bildfläche verschwunden, aber trotzdem nicht vergessen ist: Das erinnert frappierend an seine Methode, eine Stimmung der Angst zu erzeugen um mit ihr auch noch in die entlegendsten Winkel zu kriechen, die Fritz Lang in DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE beleuchtet.

Und diese Stimmung prägt auch den Film. Von der ersten Szene an, die von einem maschinellen Dröhnen ohne Ursprung bestimmt wird, liegt sie wie ein Schleier über den Bildern, nicht greif- aber doch spürbar. Sie materialisiert sich in den kurzen Momenten, in denen wir den Geist Mabuses erblicken, wie er als Projektion der von ihm beeinflussten Opfer Kontrolle über sie ausübt, aber eigentlich handelt der Film davon, wie sich das Böse als self-fulfilling prophecy selbstständig und von Menschen unabhängig macht. Die Gemeinsamkeiten von Mabuses angestrebter „Herrschaft des Verbrechens“ und dem Regime des Dritten Reichs, das sich eine Nation „williger Vollstrecker“ heranzüchtete, sind unübersehbar – nur Goebbels fielen sie nicht auf. Vom Verbot des Films hielt ihn das nicht ab, aber der Grund war nicht, dass er sich und die Pläne Hitlers enttarnt fühlte, sondern – ironischerweise – einen schlechten Einfluss auf die Volksmoral berfürchtete: Er war der Meinung DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE stifte zum Verbrechen an. Das war der Anfang einer überaus turbulenten Editionsgeschichte mit verschiedenen Sprach- und Schnittfassungen, deren vorläufiger Entstand annähernd vollständig, aber eben immer noch nicht mit Langs finaler Version identisch ist. Man merkt es ihm nicht an: Schon während der Sichtung erweist sich DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE als perfekt, einer jener raren Filme, bei denen sich jede Szene nahtlos an die vorangegangene anschließt, nichts mehr hinzugefügt oder weggenommen werden kann (die kürzeren Versionen behalten die Szenenfolge nahezu bei, kürzen lediglich innerhalb der Szenen). Trotzdem wirkt TESTAMENT zu keiner Sekunde steril oder leblos, er wurde von Lang nicht zu Tode optimiert, sondern bewahrt sich ein zentrales Mysterium und seine rohe Energie. Das ist zum einen auf Langs „reimenden Schnitt“ zurückzuführen, der den Film nicht so sehr voranschreiten als -fließen lässt, auf die spannungsreiche Bildsprache und die einprägsamen Protagonisten, zum anderen auf den actiongeladenen Szenenaufbau. Einige der Stunts und Effekte lassen das Alter des Films völlig vergessen: Großartig etwa die Sequenz in der der gefügig gemachte Kent (Gustav Diessl) mit seiner Freundin in einem Raum eingesperrt ist, und eine Überflutung initiiert, um ein Fluchtloch in den Dielenboden zu sprengen. Lang hat seinen Schauspieler auch körperlich einiges abverlangt. Und dann ist da natürlich Mabuse: Eine faszinierende Figur, vom hakennasigen Rudolf Klein-Rogge mit diabolischer Präsenz ausgestattet und einem Blick, der durch und durch geht. Er wahrt sein Geheimnis bis zum Schluss, ist umso unheimlicher und furchteinflößender, als man nie genau weiß, was er ist, was ihn treibt, wie man ihn stoppen kann. Es dürfte sich bei ihm um eine der interessantesten Schurkenfiguren des populären Kinos handeln. Dass es seit fast 50 Jahren keinen Film mehr mit ihm gegeben hat, liegt definitiv nicht daran, dass die Figur nicht mehr zeitgemäß wäre (im Gegenteil), sondern allenfalls daran, dass DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE heute immer noch voller Kraft und Frische ist, keines Updates bedarf. Ein Meisterwerk eben.

 

 

 

 

Als Horst Wendlandt 1967 das Ende der Karl-May-Verfilmungen verkündete, musste sein großer Konkurrent Artur Brauner sich geradezu dazu aufgefordert fühlen, das Zepter von ihm zu übernehmen. Mit WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN trat er zwei Jahre nach seinem letzten Karl-May-Film IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN an, zu beweisen, dass das Publikum immer noch an den Titelhelden interessiert und bereit war, an der Kinokasse seinen Obolus für neue Abenteuer von ihnen zu entrichten. Er musste sich eines besseren belehren lassen: Im Jahr der Studentenbewegung waren die beiden in die Jahre gekommenen Tugendbolzen, „die immer dort zu finden sind, wo es gilt, das Unrecht zu bekämpfen und dem Recht zum Siege zu verhelfen“, hoffnungslos überkommen, wollten die Menschen lieber dem Hänger Martin bei der Bewältigung seines Schwabinger Faulenzeralltags in ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN beiwohnen (6,5 Millionen Zuschauer) oder aber den Lausbuben um Pepe Nietnagel dabei zuschauen, wie sie die autoritären Vaterfiguren (mit Nazivergangenheit) der Lächerlichkeit preisgaben. Genaue Zahlen über den (Miss-)Erfolg von Brauners Western habe ich auf die Schnelle nicht gefunden, ein Blick auf diese (nicht verifizierten) Kinocharts des Jahres 1968 lässt aber schließen, dass weniger als 500.000 Zuschauer ihn sehen wollten.

Dabei ist hier fast noch einmal alles beim Alten: Winnetou und Shatterhand/Brice und Barker sind wieder vereint, schauen sich zur Musik von Martin Böttcher, die zum wolkenlos blauen Himmel emporsteigt, ein letztes Mal tief in die blauen Augen. Neben Ralf Wolter als skalpierter Trapper Sam Hawkens treibt Eddi Arent als Lord Castlepool seine Späße: Wie auch Karin Dor war er zum letzten Mal in WINNETOU 2. TEIL dabei, gehörte mit jener aber gewissermaßen zum Ursprungsensemble aus DER SCHATZ IM SILBERSEE. Auf dem Regiestuhl nahm Harald Reinl Platz, dessen vier Karl-May-Filme für Wendlandt – DER SCHATZ IM SILBERSEE sowie die drei WINNETOUFilme – stilprägend für die Reihe und auch die Konkurrenzfilme Brauners waren. Er versieht auch WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN mit jenem epischen Schmelz, der Jungeherzen höher schlagen lässt, und einem fast biblischen Sinn für Gut und Böse, der sich immer wieder in grausamen Sterbeszenen niederschlägt (etwa wenn die Bösewichter am Schluss von Hunderten von Giftschlangen förmlich niedergerungen und dezimiert werden). Dann natürlich die malerische jugoslawische Berg-, Seen- und Flusslandschaft: Nicht nur wandelt WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN inhaltlich auf den Spuren von DER SCHATZ IM SILBERSEE, er scheint auch sonst einer noch nicht ganz verblichenen Spur zu folgen. Wie die Figuren hier die aus den vorangegangenen Filmen bekannten Schauplätze noch einmal aufsuchen – das Hochplateau, auf dem sich einst das Pueblo der Apachen erhob und das über dem Flusslauf liegt, auf dem sich Old Shatterhand den Respekt des jungen Häuptlings erkämpfte, die berühmten Wasserfälle, die Halbinsel aus OLD SHATTERHAND, um nur einige zu nennen –, kann man sich des Eindrucks eines „Abschiedsfilms“, der WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN nach Wunsch des Produzenten natürlich nicht sein sollte, kaum erwehren. Auch die Bilder, die Winnetou nun tatsächlich in seiner amerikanischen Heimat vor dem gewaltigen Panorama des Grand Canyon zeigen, verkünden die unterschwellige Botschaft: Winnetou ist zu Hause angelangt, der Kreis hat sich geschlossen, die Reise ist zu Ende.

Auf diese Weise betrachtet, stimmt WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN durchaus versöhnlich. Die insgesamt unbefriedigenden MexikoAusflüge und NahostExkursionen (mit Ausnahme von DER SCHUT) sind vergessen und auch die von unübersehbaren Abnutzungserscheinungen gebeutelten WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI und WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND lässt Reinl hinter sich; zumindest gelingt es ihm eben jene Stimmung wiederzubeleben, die die erste Hälfte der Karl-May-Verfilmungen zu solch großen Erfolgen machte. Dennoch bleibt ein Aufguss ein Aufguss: Vor allem Lex Barker sieht man den Lauf der Zeit und wohl auch die Folgen des Alkoholismus deutlich an, sein einst strahlend schöner, kerniger Old Shatterhand sieht in Nahaufnahmen reichlich mitgenommen aus, als hätte er den Apachen am Vorabend das letzte Feuerwasser weggesoffen. Die Witzchen von Wolter und Arent sind bestenfalls noch vage Erinnerungen an Momente, die schon beim ersten Mal nicht gerade als komödiantische Höhepunkte gelten durften, und Winnetou funktioniert weder als der Indianer gewordene Messias der WINNETOU-Trilogie noch als „realistischer“ Ersatz-Geronimo aus OLD SHATTERHAND. Pierre Brice spielt ihn auf Autopilot, sich ganz auf sein markantes Gesicht und die wehende Perücke verlassend, aber ohne echtes Engagement. Wenn er nicht im Titel erwähnt würde und auf dem Poster abgebildet wäre, ich würde mich heute wahrscheinlich fragen, ob er tatsächlich mitmacht. Ein paar Szenen werden vielleicht im Gedächtnis bleiben: Die schon erwähnte Auseinandersetzung mit den hyperaggressiven Giftschlangen, die ihren armen Opfern offensichtlich ins Gesicht springen, die hübschen Beulen-Make-ups, die den Gangstern sowie Hawkens und Castlepool nach einem Bienenangriff verpasst werden und dann, als komisches Highlight, Old Shatterhands Antwort auf die Frage des Richters, wer er denn sei: „Man nennt mich Old Shatterhand“. Ich habe mir fest vorgenommen, es ihm gleichzutun, wenn sich einmal die Gelegenheit bietet, und mich dann als „Keule“ vorzustellen.

Mal sehen, ob ich mir bei Gelegenheit noch DAS VERMÄCHTNIS DES INKA zu Gemüte führen werde, den fehlgeschlagenen Versuch von Georg Marischka, Drehbuchautor einiger Karl-May-Filme von Brauner, sich neben den beiden Alpha-Produzenten als dritte Kraft im Karl-May-Geschäft zu etablieren. Vorerst bin ich ganz froh, mich wieder etwas anderem zuwenden zu können. Ich habe während der Beschäftigung mit diesen Filmen oft darüber nachgedacht, warum sie rein quantitativ nicht mit den Edgar-Wallace-Filmen mithalten konnten. Die Karl-May-Filme bieten auf den ersten Blick doch deutlich mehr Schauwerte, sind bunter, größer, actionreicher. Natürlich waren sie daher auch mit einem viel größeren Aufwand verbunden, teurer in der Herstellung und damit insgesamt ein riskanteres Geschäft. Ich glaube aber, dass mehr dahinter steckt. Tatsächlich boten sich die Karl-May-Figuren nicht in dieser Form für die serielle Aufbereitung an wie die Scotland-Yard-Beamten und ihre Gegenspieler in der gleichzeitig laufenden Wallace-Reihe. Die Wiederholung bestimmter Elemente, die dort gerade einen nicht unerheblichen Teil des Appeals ausmachte, wirkte in den Karl-May-Filmen recht bald müde. Ich glaube, die Auseinandersetzung zwischen Weißen und Indianern war einfach zu unspezifisch, zu unkonkret, zu archetypisch, um über mehr als eine Handvoll Filme hinaus zu fesseln. Wahrscheinlich haben mir deshalb gerade jene Filme am besten gefallen, die entweder gerade das Mythische möglichst ungebrochen transportieren – DER SCHATZ IM SILBERSEE, die WINNETOU-Trilogie – oder aber deutlich aus dem Fluss der Serie heraustreten und sich ganz auf reißerische Action konzentrieren: UNTER GEIERN, DER ÖLPRINZ.

Der schurkische Machredsch von Mossul (Djordje Nenadovic) hat den vermeintlichen Todessturz am Ende von DURCHS WILDE KURDISTAN wie durch ein Wunder überlebt und sinnt auf Rache. Er schließt sich mit dem Bandenführer Abu Seif (Sieghardt Rupp) zusammen, um sich den von der Chaldäerin Marah Durimeh (Anne-Marie Blanc) bewachten Schatz unter den Nagel zu reißen. Seinen Vorgesetzten, den Padischah (Fernando Sancho), überzeugt er indessen davon, dass Kara Ben Nemsi (Lex Barker) hinter eben jenem Schatz her sei, um ihn sich vom Hals zu schaffen und die schöne Igdscha (Marie Versini), die Enkelin der Schatzbewacherin entführen zu können …

„Trist“ nannte Hofbauer-Kommandant Christoph Draxtra diesen Film, den er im gleichen Atemzug als Tiefpunkt der von Wendlandt und Brauner initiierten Karl-May-Welle bezeichnete. Ich kann ihm da nur schwerlich widersprechen, wenngleich IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN nicht richtig schlecht ist. Man merkt ihm einfach überdeutlich an, dass es den Machern nur noch darum ging, möglichst schnell einen weiteren Film rauszuhauen, solange das Publikum noch bereit war, bares Geld für Karl-May-Umsetzungen zu bezahlen. Man hätte hier, ähnlich wie bei dem gleichermaßen enttäuschenden Mexiko-Zweiteiler DER SCHATZ DER AZTEKEN und DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES, gut daran getan, den Rotstift anzusetzen, das Drehbuch kräftig zu kürzen und dann einen, vielleicht etwas längeren, Film daraus zu machen. IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN hat im Grunde genommen gar nichts mehr zu erzählen, nur noch lose Enden zu verknoten. Der ganze Film ist eine einzige Aneinanderreihung von Kämpfen, Verfolgungsjagden und Schlachten, die überaus ermüdend ist und sich darüber hinaus total redundant anfühlt. Warum konnte man den bösen Machredsch mit seinem kurdischen Felsensturz im Vorgänger nicht einfach sterben lassen? Seine Wiederauferstehung erscheint angesichts der Ziellosigkeit von IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN höchst selbstzweckhaft und absolut unnötig. Auch dass man sich bei der „Konstruktion“ des Ganzen sehr frei aus allen möglichen Büchern Mays bediente, diese losen Elemente dann reichlich sinnfrei unter einem ganz anderen Titel vereinte, kaschiert Franz Josef Gottlieb sehr viel ungeschickter als seine Vorgänger. Es reicht ein kurzer Ritt der Helden, um sie vom wilden Kurdistan in die Sahara und zu jenem tückischen Salzsee zu führen, mit dessen gefährlicher Überquerung Karl May in seinem Band „Durch die Wüste“ den Orientzyklus eröffnete. Nicht, dass ich mich hier für strikte Vorlagentreue oder die Wahrung geografischer Gegebenheiten stark machen will, aber in solcher Ungenauigkeit zeigt sich das Manko des ganzen Films: IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN ist lieblos zusammengeschustert, ohne jedes Gefühl für eine innere Dramaturgie, ohne Rücksichtnahme auf die Logik und vor allem eben: ohne jedes Ziel. Die zeitgenössische Kritik, die den Karl-May-Filmen von Anfang an ebensowenig wohlgesonnen war wie den zur gleichen Zeit reüssierenden Wallace-Filmen und sich damit in deutlicher Opposition zum begeisterten Publikum befand, war sich hier weitestgehend einig, beklagte „Willkür“ und „Handlungsdurcheinander“ (Evangelischer Filmbeobachter, 5. März 1966) für „anspruchslose Zuschauer“ (film-dienst, 9. Februar 1966) und den Griff in „filmische Routine-Töpfe“ (Der Tagesspiegel). Während Horst Wendlandt sich zu diesem Zeitpunkt noch in den Vorbereitungen zu WINNETOU UND DAS HALBBLUT APANATSCHI und WINNETOU UND SEIN FREUND OLD FIREHAND befand, die ebenfalls nicht mehr den ganz großen Ertrag brachten, ließ Brauner sein Engagement in Sachen Karl May nach IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN für drei Jahre ruhen und verabschiedete sich dann mit WINNETOU UND SHATTERHAND IM TAL DER TOTEN. Und das werde ich in Kürze auch tun.

Irgendein Musiker, ich weiß nicht mehr, wer es war, hat mal etwas gesagt, das ich bis heute für absolut plausibel gehalten habe: Durchschnittlich begabte Menschen liefern immer mehr oder weniger Durchschnitt ab. Die Unterschiede zwischen ihren besseren und schlechteren Werken sind nur gering. Sogenannte Genies und Meister hingegen liefern am einen Tag ein Meisterwerk ab und am nächsten gelingt ihnen gar nichts. Es liegen Welten zwischen ihren Meisterleistungen und ihren misslungenen Schöpfungen. Nun steht James Wan, Regisseur von u. a. SAW, DEAD SILENCE, DEATH SENTENCE, INSIDIOUS und THE CONJURING ganz gewiss nicht im Verdacht, ein großer Meister zu sein. Stattdessen hat er bislang relativ verlässlich „brauchbare“ Unterhaltungsware abgeliefert, die mal ein bisschen besser (DEAD SILENCE, DEATH SENTENCE, INSIDIOUS), mal ein bisschen schlechter (SAW, THE CONJURING) geraten war. Wenn obige These stimmte, dann hätte es INSIDIOUS: CHAPTER 2 nicht geben dürfen, der eines der bodenlosesten Sequels ist, das ich seit einiger Zeit gesehen habe und mich gestern nicht nur massiv gelangweilt, sondern mit fortschreitender Spielzeit mehr und mehr angenervt hat. Wie dieser stinkende Haufen Dung zu seiner 6,7-Punkte-Wertung auf IMDb kommt, ist mir ein Rätsel. (Ist es natürlich nicht, aber ich glaube eben grundsätzlich an das Gute im Menschen.)

Nach den Ereignissen in INSIDIOUS ist nun also Ehemann Josh (Patrick Wilson) von einem bösen Geist besessen, der im Haus seiner Mutter Lorraine (Barbara Hershey), in der sich die ganze Familie niedergelassen hat, herumspukt. Die Ermittlungen der ebenfalls aus dem ersten Teil reaktivierten Geisterjäger Specs (Leigh Whannell) und Tucker (Angus Sampson) führen in die Vergangenheit: in Joshs eigene, in der er bereits schon einmal von einem Gespenst heimgesucht worden war, aber auch in die eben jenes von ihm Besitz ergreifenden Geistes, der Mutter eines gewissen Parker Crane, der sich nach einer misslungenen Selbstkastration in eben jenem Krankenhaus umbrachte, in dem Lorraine einst ihren Dienst als Krankenschwester verrichtete. Während die Geisterjäger rätseln, wie sie den Spuk auflösen, gerät Josh, der nun selbst psychopathische Züge an den Tag legt, immer mehr in seinen Bann …

Es ist ein Allgemeinplatz, der dadurch jedoch nicht an Gültigkeit verliert: Horrorsequels, die dazu antreten, die „Lücken“ ihres Vorgängers zu stopfen, dem Horror, der doch gerade aus dem Unerklärlichen erwächst, quasi eine Biografie zu geben, unterminieren ihre eigene Grundlage. INSIDIOUS: CHAPTER 2 ist nicht nur kein Stück gruselig oder unheimlich, sondern jederzeit vorhersehbar und zudem gleichermaßen fürchterlich anstrengend und albern in der aufgesetzten Ernsthaftigkeit, mit der er diesen Unfug verkauft. Es ist gar nicht so entscheidend, dass die Antworten, die Autor Whannell und Regisseur Wan auf die Fragen finden, die sich nach dem ersten Teil keiner ernsthaft gestellt hat, durch und durch enttäuschend und egal sind: Allein die Tatsache ihres Versuchs, Erklärungen zu liefern, bedeutet das Scheitern ihres Films, der keinen Raum für Überraschungen lässt, das Beunruhigende jeglicher Potenz beraubt, indem er es in einen logischen Rahmen zwängt. INSIDIOUS: CHAPTER 2 hat ein strukturelles Problem.

Dass ihm aber nicht einmal ein paar brauchbare Schocks oder Gänsehautmomente gelingen, ist schon fast als Skandal zu bezeichnen. Wenn man bereits nach der Hälfte eines Horrorfilms genervt auf die Uhr schaut, ist definitiv etwas schief gelaufen. Die Crux ist natürlich, dass man schon von Anfang an weiß, was man zu erwarten hat. Im Hause Lorraines geht ein rachsüchtiger Geist um, der den Körper von Josh erobern will. Daran, die effektiven scares des Vorgängers zu wiederholen, hat Wan offensichtlich kein Interesse, was grundsätzlich lobenswert ist, nur ist das, was er stattdessen bietet, leider nicht besser. Ab und zu huscht sehr erwartbar ein Gespenst im Hintergrund durchs Bild, immer und immer wieder geht dieses nervtötende Babyspielzeug von allein los, so als sei Krach die Lösung aller selbst verursachten Probleme. Und schließlich dieser Irrglaube, der Spuk würde unheimlicher, wenn man wüsste, wie er anno dunnemals seinen Anfang nahm. Die Verrenkungen, die das Drehbuch nimmt, um irgendwie noch etwas zu erzählen zu haben, wo doch eigentlich nichts mehr hinzuzufügen ist, spiegeln sich auch im Kleinen: Da gibt es diese Szene, in der der mittlerweile bösartige Josh mit der Hand hinter dem Rücken vor einem der Parapsychologen steht. Es ist schon vorher völlig klar – dem Zuschauer wie dem Geisterjäger –, dass Josh Übles im Schilde führt und auch, was er da hinter dem Rücken halten könnte, gibt keinerlei Rätsel auf. Trotzdem nehmen Whannell und Wan dies zum Anlass für eine vollkommen ins Leere schießende Suspenseszene, die bestenfalls ein geplagtes Stöhnen hervorruft: „Was trägst du da hinter dem Rücken?“, fragt der Geisterjäger begriffsstutzig. „Frag‘ doch deine Würfel!“, gibt Josh zurück. Der Geisterjäger wirft daraufhin gerhorsam seine Buchstabenwürfel und mit bedeutungsschwangerem Tamtam fängt die Kamera das Wort ein, das sie bilden: „Knife“. So geht Horror für Lernbehinderte. Am Schluss feiert auch das Medium Elise Rainier (Lin Shaye) seine Rückkehr, jene Frau, die Josh schon als Kind „behandelte“ und die in INSIDIOUS von ihm – bzw. von dem Geist, der von ihm Besitz ergriffen hatte – umgebracht worden war. Anstatt das einfach so stehenzulassen, schließlich befinden wir uns in einem Horrorfilm, in dem man die Anwesenheit eines Geistes durchaus akzeptieren kann, müssen Whannell und Wan noch klarstellen, dass die liebe Frau mitnichten im düsteren „further“, dem Zwischenreich rachsüchtiger Geister, herumspuken muss. Nein, versichert sie ihren beruhigt aufatmenden Ex-Assistenten, sie komme von einem schönen Ort und werde nach getaner Arbeit auch dahin zurückgehen. Na gottseidank, dass das mal klargestellt wurde.

Das ganze Versagen von INSIDIOUS: CHAPTER 2 wird jedoch nirgends so deutlich wie im obligatorischen Cliffhanger, mit dem hier noch ein weiteres Sequel, man kann es nicht anders sagen, angedroht wird. Wieder einmal besucht Elise das Haus, in dem sie einen Geist vermutet, wieder einmal fährt die Kamera unheilschwanger an das Gesicht der hübschen Tochter heran, wird mit anschwellendem Dröhnen suggeriert, etwas lauere hinter ihr. Und wieder einmal zeigt der Gegenschuss das Gesicht Elises, das wieder einmal signalisiert, dass das, was sie da jetzt sieht, aber wirklich das absolut Schlimmste ist, mit dem sie je konfrontiert wurde. Ich gönne ihr ihre Affektivität, wirklich, nur ist die Diskrepanz zwischen ihrem Erleben und meinem nach dem Durchleiden von 105 Minuten fußlahmer Mystery absolut frappierend. Ich war während dieser Szene schon auf halbem Weg zum Fernseher, um den Film endlich ausschalten zu können.

 

 

durchs_wilde_kurdistanAhmed El Corda (Gustavo Rojo), Sohn des Scheichs der Haddedihn (Charles Fawcett), legt sich mit dem Machredsch von Mossul (Djordje Nenadovic) an, als der seine Männer aus einem Wasserloch des Beduinenvolks trinken lässt. Sie verhaften ihn und bringen ihn nach Burusco, wo ihn im Gefängnis des Mütesselin (Werner Peters) die Hinrichtung erwartet. Scheich Mohammed bittet seinen Freund Kara Ben Nemsi (Lex Barker) und dessen treuen Gehilfen Hadschi (Ralf Wolter) um Hilfe. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg durch das „wilde Kurdistan“, um Ahmed zu retten. Unterwegs begegnen ihnen außerdem der unverdrossene Sir Lindsay (Dieter Borsche) und sein Butler Archie (Chris Howland) sowie die schöne Ingdscha (Marie Versini) …

DURCHS WILDE KURDISTAN schließt an DER SCHUT an, obwohl er jenem als Roman vier Bände vorausging, und wurde wie zuvor DER SCHATZ DER AZTEKEN und DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES als Zweiteiler angelegt. Die Fortsetzung namens IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN entstand mit derselben Besetzung parallel und verdankte ihren Titel einem späteren Karl-May-Roman, der mit der ursprünglichen sechsbändigen Orientreihe nichts zu tun hatte. Zum ersten Mal wurde nicht in Jugoslawien gedreht, sondern im Italowestern-erprobten Andalusien und auf dem Regiestuhl nahm mit Franz Josef Gottlieb ein Karl-May-Debütant Platz. Der Österreicher hatte für Produzent Artur Brauner zuvor bereits diverse Bryan-Edgar-Wallace-Filme und DER FLUCH DER GELBEN SCHLANGE inszeniert. Die gemeinsame Geschäftsbeziehung endete jedoch mit den Dreharbeiten zum Orient-Zweiteiler: Gottlieb wurde entlassen (wer die Filme an seiner Stelle vollendete, ist nicht überliefert), leistete sich im Folgenden einen drei Jahre dauernden Rechtsstreit mit Brauner und arbeitete danach nicht mehr mit ihm zusammen. Auch mit dem Star Lex Barker bekam Brauner Probleme, denn der sah gar nicht ein, dass er nur für einen Film bezahlt werden sollte, wenn er doch an zweien mitwirkte. Die Gerichte gaben ihm verständlicherweise Recht, Brauner musste zahlen. Dass der für die Rolle des Scheichs Kadir Bei vorgesehene Hans Nielsen kurz vor Drehbeginn verstarb, bedeutete eine weitere Unwegbarkeit, die Charles Fawcett durch Übernahme einer zusätzlichen Rolle beseitigte. Dem Film merkt man diese Probleme wie durch ein Wunder nicht an, dennoch erreicht DURCHS WILDE KURDISTAN nicht die Klasse von DER SCHUT.

Gottlieb, der sich anschließend fast ausschließlich auf Klamaukfilme verlegte, ist für einen epischen Abenteuerstoff wie diesen nur bedingt der richtige Mann. Unter seiner Regie zerfällt der Film in kleinere Episödchen, der Humor, der wohldosiert für feine Akzentuierungen sorgen sollte, gerät zu stark in den Vordergrund und erodiert so den Glauben des Zuschauers an die „Wahrheit“ des Gezeigten. Wenn eh alles nur Spaß ist, warum sich dann um das Leben der Figuren sorgen? Zugegebenermaßen sind gerade Dieter Borsche als Sir Lindsay und vor allem Werner Peters als dauerbesoffener Gefängnisvorsteher Mütesselin wunderbar, bringen genauso neues Leben in die kaum zu übersehene Karl-May-Routine wie Gottlieb mit seiner Regie, deren oberstes Paradigma „Keine Zeit verlieren“ zu sein scheint, aber spannend ist DURCHS WILDE KURDISTAN nun endgültig überhaupt nicht mehr. Man merkt deutlich, dass die Karl-May-Filme nur noch mit der Maßgabe gefertigt wurden, die Kuh so lange zu melken, wie sie noch Milch gibt und dabei möglichst wenig überflüssigen Aufwand zu betreiben. Die einmal etablierte Schablone wurde hier zum xten Mal zur Hilfe genommen und das erstickt eben jeden innovativen und aufregenden Ansatz im Keim. Ganz ohne Charme ist auch DURCHS WILDE KURDISTAN nicht: Endlos niedlich ist die mit Miniaturmodellen realisierte Ballofahrt von Lindsay und Konsorten und die finale Verfolgung des schurkischen Machredsch durch die schroffe Felsenlandschaft lässt noch einmal aufmerken, aber den Eindruck der routinierten Beliebigkeit kann Gottlieb nicht zerstreuen. So reicht es dann für nicht mehr als schmerzlose Kurzweil, was besser als nichts, aber eben nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Die Fortsetzung von DER SCHATZ DER AZTEKEN greift die zuvor liegen gelassenen Handlungsfäden auf und führt die Geschichte auf ihr Ende zu. Dass das spannender ist als  Vorgänger, der die undankbare Aufgabe hatte, sich an der Exposition abzuarbeiten, zudem mit mehr Action und Schauwerten einhergeht, liegt auf der Hand. Trotzdem müht sich Regisseur Siodmak auch in DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES an einem furchtbar umständlich strukturierten Drehbuch ab. Die vielen Charaktere des Films haben einen ganzen Berg von Handlung abzuarbeiten und das Hin und Her von Intrigen und Kontra-Intrigen verhindert ein konsequentes Voranschreiten der Geschichte, die eine gute Stunde lang auf der Stelle tritt, nach jedem Fortschritt wieder zwei zurückgeht. Dafür versöhnt dann die letzte halbe Stunde für die 1 2/3 Filme zuvor, die zwar schön anzusehen, aber eben nur mäßig aufregend waren. Da darf sich der geneigte Zuschauer am zauberhaften Interieur der titelgebenden Pyramide erfreuen, die mit vielen Details realisiert wurde und die man am liebsten gleich selbst erkunden würde. Und das Finale in der Schatzkammer der Azteken, wenn die gierigen Schurken bekommen, was sie verdienen, lässt auch keine Wünsche offen.

Mit ein bisschen mehr Arbeit hätte man aus dem Stoff, aus dem Siodmak zwei nur halb befriedigende Filme gemacht hat, einen rundum beglückenden Zweistünder hinbiegen können. So aber bleibt der Gesamteindruck zwiespältig. Das größte Manko ist wahrscheinlich, dass es keine echte Identifikationsfigur für den Zuschauer gibt. Nominell ist das Dr. Sternau (Lex Barker), doch der ist noch mehr als die anderen deutschen Protagonisten der Karl-May-Filme irgendwie unbeteiligter Zuschauer, gerät in DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES über weite Strecken zudem völlig aus dem Blick. Wesentlich interessanter ist sein Gegner Verdoja: Rik Battaglia liefert vielleicht seine beste Vorstellung im Rahmen der Karl-May-Filme ab, bringt mit seinen weit ausgestellten Hosen, der hüftlangen Militärjacke über offenem Hemd und der lässig ins Gesicht fallenden Haarsträhne jede Menge maskulinen swagger mit und zieht mit seinem diabolischen Grinsen die Sympathien auf seine Seite. Vollends einnehmend ist der epische Score von Erwin Halletz, der einerseits die Bedeutungsschwere der Geschichte mit angemessenem Pathos unterstreicht, die fantastischeren Elemente mit sphärischen Klängen begleitet und sonst bei den richtigen Vorbildern klaut: Dann und wann schleicht sich Elmer Bernsteins Titelthema aus THE MAGNIFICENT SEVEN in den Film.

Merkt man bei genauem Hinsehen auch, dass DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES vor allem verdammt clever hingeschummelt ist – etwa wenn der ach so stolze Indianerhäuptling Schwarzer Hirsch (Vladimir Popovic) reichlich ungalant auf sein Pferd kraxelt, erst bäuchlings auf dessen Rücken verharrt, bevor er seinen Hintern nach oben wuchtet, oder ein und derselbe Fausthieb Lex Barkers gleich viermal hintereinander Verwendung findet –, so nötigt einem die Überzeugung, mit der man diese Stoffe in Jugoslawien realisierte, dabei mit viel Lehm und Spucke wunderbare Settings aus dem Boden stampfte, doch höchsten Respekt ab. Und so kann ich den beiden streng genommen nur mittelmäßigen Mexiko-Karl-Mays absolut nicht böse sein.

Familie Lambert – Mama Renai (Rose Byrne), Papa Josh (Patrick Wilson), die Söhne Dalton (Ty Simpkins), Foster und ein Neugeborenes – richten sich gerade in einem neuen Haus ein. Nach wenigen Tagen stürzt Dalton beim Spielen auf dem Dachboden, wacht am nächsten Morgen nicht aus dem Schlaf auf. Die Ärzte sind ratlos: Es gibt keinerlei physische Ursache für seinen Zustand. Während die Eltern darauf warten, dass ihr Sohn erwacht, geschehen seltsame Dinge. Renai spürt die Präsenz von etwas Bösem im Haus und kann Josh schließlich dazu überreden, wieder auszuziehen. Doch im neuen Haus angekommen, geht der Spuk mit unverminderter Inensität weiter. Die durch einen Kontakt von Joshs Mutter Lorraine (Barbara Hershey) hinzugezogene Parapsychologin erkennt das Problem: Es ist nicht das Haus, sondern Sohn Dalton, der „bespukt“ wird …

Vor dem reichlich aufgeblasenen, aber megaerfolgreichen THE CONJURING inszenierte James Wan diesen Mystery-Grusler mit den Produzenten der PARANORMAL ACTIVITY-Reihe. Deren Einfluss macht sich vor allem während der ersten beiden Drittel durchaus positiv bemerkbar: INSIDIOUS ist zwar kein Found-Footage-Film, etabliert formal aber jenen zurückhaltend beobachtenden, quasidokumentarischen Blick, der dieses Subgenre auszeichnet und mit sachlicher Bildsprache und unterkühlter Farbpalette einhergeht. INSIDIOUS wirkt trotz unvermeidlicher Hollywood-Klischees – die Mama, die wegen der Kinder nicht zu ihrer künstlerischen Arbeit kommt, der emotional zurückgenommene Papa, der sich in seine Arbeit stürzt, anstatt sich mit den immer größer werdenden Problemen zu Hause auseinanderzusetzen – authentisch, sodass man als Zuschauer gern dazu bereit ist, die übersinnlichen Geschehnisse für bare Münze zu nehmen. Die ersten, frühen Schocks sind immens effektiv: Wan steigert die Spannung langsam und allmählich und ohne großen Geisterbahn-Hokuspokus. Mit dem bei mir überaus beliebten Albtraum-Klassiker stumm und reglos zurückstarrender, bestenfalls diabolisch grinsender Gestalten ruft er mehrfach dieses elektrische Prickeln im Nackenbereich hervor, das als Beleg gelten für seinen Erfolg gelten darf.

Über das Prädikat „nett“ kommt INSIDIOUS letzten Endes dennoch nicht hinaus, aller guten Ansätze zum Trotz: Irgendwann muss sich das diffuse Graue  konkretisieren und Gestalt annehmen, die übliche Dramaturgie einsetzen, mit Eltern, die Hilfe bei nerdigen Parapsychologen suchen, anfängliche Zweifel überwinden und sich schließlich mit zu erwartenden Tamtam dem Spuk stellen. War INSIDIOUS bis dahin geschickt in seinen Methoden, etwa im Einsatz von Kamera und einlullenden Ruhepausen, die den Eindruck der folgenden Schocks ins Unermessliche steigerten, so gibt er sich jetzt ganz dem Kintopp hin. Da fängt der Protokollant einer Seance plötzlich an, im besessenen Tempo die Unflätigkeiten zu Papier zu bringen, die der böse Geist in seine Richtung spuckt, muss der Papa sich seinen eigenen Dämonen stellen und in die Jenseitswelt reisen, aus der sein Sohn nicht zurückkommt, entpuppt sich der böse Geist mit der feurigen Grimasse und den Klauenhänden – eine schaurig-schöne Kreation – als „Lipstick-Face Demon“, der zu alten Burlesque-Songs Frauenkleider näht. Ich möchte INSIDIOUS mit dem Vorwurf homophober Motivik nicht unbedingt wichtiger machen als er ist, aber ein Geschmäckle hat diese „Auflösung“ schon. Bleibt am Ende ein gut gemachter Grusler, der seinen Zweck erfüllt, zwar deutlich über dem traurigen Durchschnitt liegt, in ein paar Jahren aber trotzdem nur als einer von Vielen erinnert werden wird.

Die Installation des Erzherzogs Maximilian von Österreich als Kaiser von Mexiko durch Napoleon III. verursacht einen Bürgerkrieg: Die Truppen von General Benito Juárez (Fausto Tozzi) stellen sich gegen die Machthaber, um für eine Demokratie zu kämpfen. Doch dafür brauchen sie Geld. Der deutsche Arzt Dr. Karl Sternau (Lex Barker) wird von Abraham Lincoln (Jeff Corey) beauftragt, Juárez dessen generelles Wohlwollen zu versichern. Sternau ist außerdem gut mit dem Großgrundbesitzer Graf Rodriganda (Friedrich von Ledebur) befreundet, der die Revolution finanzieren könnte. Doch auf dessen Vermögen hat es auch der spielsüchtige Sohn Alfonso (Gérard Barray) abgesehen, der hoch verschuldet ist. Nachdem er seinen Vater unter Mithilfe seiner intriganten Geliebten Josefa (Michéle Girardon) in ein Duell mit seinem Gläubiger getrieben hat, ändert der noch auf dem Sterbebett das Testament und ernennt Sternau zum Vollstrecker. Nur der sagenumwobene Schatz der Azteken kann Alfonso jetzt noch den Reichtum bringen, den er sich erhofft. Unterdessen wird Sternau als feindlicher Spion von den Franzosen festgenommen. Und der abtrünnige Soldat Verdoja (Rik Battaglia) läuft auch noch frei herum und will Rache am deutschen Arzt, der mitverantwortlich für seinen Rauswurf aus Juárez‘ Armee ist …

Vielleicht merkt man es schon anhand des mäandernden Versuchs einer Inhaltsangabe: DER SCHATZ DER AZTEKEN ist eigentlich nur ein halber Film, den Artur Brauner beschloss, über zwei Teile zu Strecken. Es fällt dann auch schwer, diesen ersten Teil fair zu bewerten: Produktionstechnisch trumpft er wieder einmal mit tollen Bildern und eindrucksvollen Bauten auf, mit denen tatsächlich das kleine Wunder gelingt, Mexiko an den Balkan zu holen (nur einige wenige Aufnahmen wurden einer an Originalschauplätzen gedrehten Dokumentation entlehnt), inhaltlich besteht er aber zu zwei Dritteln aus reiner Exposition und ist daher nur wenig aufregend. Just in dem Moment, in dem man als Zuschauer das Gefühl hat, dass es jetzt endlich losgeht, macht ein gemeiner Cliffhanger der Freude ein jähes Ende. Insofern sollte man DER SCHATZ DER AZTEKEN wahrscheinlich im Zusammenhang betrachten und ein abschließendes Urteil erst nach der Sichtung von DIE PYRAMIDE DES SONNENGOTTES fällen. Ob die damaligen Kinozuschauer das allerdings auch so entspannt gesehen haben?

Um hier dann doch noch etwas zu hinterlassen, würde ich behaupten, dass es sich bei diesem Karl-May-Film um einen reiferen Beiträge zur Serie handelt. Die vor konkretem historischem Hintergrund angesiedelte Story ist relativ komplex mit ihren verschiedenen Konfliktparteien und Interessengruppen und man merkt das Bemühen, die politische Situation differenziert darzustellen. Auch wenn die Sympathie des Films aufseiten Juárez‘ liegen, kommt DER SCHATZ DER AZTEKEN ohne übertrieben schurkische Franzosen aus. Ja, man kann sagen, dass die für einen Abenteuerfilm notwendige Schwarzweißmalerei ganz auf die Subplots verlegt wird: Die Feindschaft Sternaus mit dem rachsüchtigen Verdoja hat mit dem übergeordneten Handlungsbogen nur am Rande zu tun und gleiches gilt für das Intrigenspiel des verräterischen Alfonso und seiner Josefa. Als unvermeidliches Comic Relief tritt wieder einmal Ralf Wolter als schwäbischer Kuckucksuhrenvertreter Andreas Hasenpfeffer auf, dessen Idiom fast exotischer anmutet als die am Balkan errichteten Pyramiden und Haciendas. Es liegt nahe, diese Figur als reines Strukturelement abzustempeln, aber nachdem fast alle Karl-May-Filme einen Touristen als Fish out of Water anboten – und Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi/Dr. Sternau ja streng genommen selbst ein solcher ist –, möchte ich annehmen, dass dem deutschen Autor diese Figuren deutlich wichtiger waren. Die Reise, das Abenteuer werden in den Werken Mays zum way of life und die Konzentration auf die Taten gerade dieser Außenseiter bringt das Konzept von „Heimat“ als einem festgelegten biografischen Ort deutlich ins Wanken. Nicht nur fühlen sich die Abenteurer in der Ferne zu Hause – man vergleiche Old Shatterhand nur einmal mit einem anderen Weltenbummler des deutschen Kinos, Freddy Quinn, der die Ferne vor allem braucht, um sein Deutschsein zu retten –, sie gestalten die Geschichte ihrer Wahlheimat aktiv mit. Das hat bei Karl May aber nur wenig mit Kolonialismus oder Chauvinismus zu tun: Die Reisenden sind nicht gekommen, um den Segen in Form der Zivilisation zu den „Wilden“ zu bringen, vielmehr geht es ihnen gerade darum die „Fremdheit“ der Fremde zu bewahren, sich den Bemühungen der Kolonialisten entgegenzustellen. (Dass die Vorstellung von „Fremdheit“ selbst natürlich wieder eine kolonialistische Projektion ist, steht auf einem anderen Blatt.) Dieser Hasenpfeffer mag mit seinem schwäbischen Akzent, dem mantraartig vorgetragenen Fakt der 99 Katholiken in seinem Heimatort am Neckarstrand und dem Koffer mit den Kuckucksuhren eine Karikatur auf provinzielle Spießer sein, aber sein Handeln steht dem deutlich entgegen. Gleich zu Beginn beweist er großes Herz, wenn er sich den Banditen in die Hände wirft, um Sternau zu retten, obwohl er bereits in Sicherheit war. Es spricht einiges dafür, dass es gerade diese kleinen „Spießerfiguren“ waren, die Karl May am Herz lagen und damit näher waren als seine strahlenden Helden, die immer wie ein weit entferntes Ideal, weniger wie Menschen aus Fleisch und Blut erscheinen. Lex Barker verkörpert gewissermaßen die Utopie, während Ralf Wolter für die Realität steht.

Karl Mays Roman „Der Schut“ bildet eigentlich den Abschluss seiner sechsbändigen Orientreihe, doch Artur Brauner entschloss sich, ihn als zweiten Beitrag seines Karl-May-Engagements zu verwirklichen. Als Regisseur nahm er den deutschen Regieveteran Robert Siodmak unter Vertrag, der zehn Jahre zuvor aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrt war, an den dort mit Noir- und Krimistoffen erworbenen Ruf aber nicht mehr hatte anknüpfen können. Die Besetzung bestand überwiegend aus mittlerweile Karl-May-erprobten Darstellern: Neben Lex Barker, dessen Kara Ben Nemsi mit Old Shatterhand identisch ist, agierten Ralf Wolter als Comic Relief Hadschi Halef Omar und Rik Battaglia erneut als Schurke. Marie Versini hatte ebenso wie Chris Howland ein Jahr zuvor in WINNETOU 1. TEIL Erfahrungen sammeln dürfen und auch die diversen jugoslawischen Nebendarsteller wussten genau, was zu tun war. Die Tatsache, dass die jugoslawische Berglandschaft im Unterschied zu den Westernfilmen in DER SCHUT tatsächlich als Originalschauplatz bezeichnet werden konnte, dürfte nicht nur die Dreharbeiten erheblich erleichtert haben, der Film erscheint auch dem Zuschauer als deutlich authentischer und, ja, auch ein bisschen reifer. Auf mich haben Karl Mays Orientromane allein mit ihren bildhaften Titeln wie „Durchs wilde Kurdistan“, „In den Schluchten des Balkan“ oder „Durch das Land der Skipetaren“ immer immensen Reiz ausgeübt, und Siodmaks DER SCHUT übersetzt alle meine Vorstellungen und Assoziationen in einen prachtvollen und bildgewaltigen Abenteuerfilm.

Doch so gut mir DER SCHUT gefallen hat, so wenig habe ich eigentlich über den Film zu sagen. Die Geschichte ist angenehm einfach, eine Reise durch die Berglandschaft des Balkans auf der Suche nach dem Schurken, gesäumt von diversen kleinen Begegnungen, Nebenkriegsschauplätzen und Actionszenen, die allesamt professionell inszeniert wurden und zielstrebig auf die finale Auseinandersetzung mit dem Bösewicht hinauslaufen. Für komische Einsprengsel sorgen neben dem trotteligen Hadschi Halef Omar, der beim Abendschmaus im Hause der Galingrés bedauert, dass er als Moslem kein Schweinefleisch essen darf und die listigen Pläne seines Freundes stets missversteht, der britische Sir David Lindsay (Dieter Borsche) und sein Diener Archibald (Chris Howland), die sich auch angesichts größter Not und Gefahr nicht aus der Ruhe bringen lassen. In einem Kerkerloch des Schuts gefangen, machen sie es sich mit dem in einer anscheinend bodenlosen Tasche mitgebrachten Equipment – von der Klappliege über den Sitzhocker und den Teekessel bis hin zur Hängematte ist alles da, was man zum Leben braucht – erst einmal gemütlich und freuen sich verzückt über das aufregende Abenteuer, das sie da erleben dürfen. Eine Episode, die den Film im letzten Drittel eigentlich komplett ausbremst, die ihm aber trotzdem keinen Schaden zufügt, weil sie so endlos entspannt umgesetzt wurde: Borsche und Howland sind großartig. Battaglia versieht den Schut, der sich die Frauen aus den umliegenden Dörfern klaut, gemeinsame Sache mit der Polizei macht, ganze Armeen gedungener Mörder befehligt und in einem palastartig eingerichteten Unterschlupf haust, mit vampiresk-öligem Charme: Auch wenn er sich in der ersten Hälfte des Films als Teppichhändler Nirwan ausgibt, der Schut nur als gestaltloses Phantom durch die Dialoge geistert, besteht eigentlich kein Zweifel an seiner wahren Identität. Vielleicht ein Drehbuchmanko, aber es fällt nicht wirklich ins Gewicht, da DER SCHUT sein Hauptaugenmerk auf die bildgewaltige Inszenierung der schroffen Balkanlandschaft und auf Tempo legt, weniger auf trickreiche Wendungen und raffinierte Plottwists. Hier geht es in jeder Sekunde um nichts anderes, als dem Zuschauer etwas zu bieten, die Zeit an ihm vorbeirauschen zu lassen, um farbenfrohen, die Fantasie anregenden Eskapismus. Lässt DER SCHUT manchesmal auch den dramaturgischen roten Faden vermissen, so vernachlässigt er diese eine übergeordnete Mission doch niemals.

In mir hat DER SCHUT unweigerlich das Bedürfnis nach Mehr geweckt. Leider produzierte Brauner nur noch DURCHS WILDE KURDISTAN aus Karl Mays Orientzyklus: Schade, denn DER SCHUT offenbart doch gerade hinsichtlich seiner Schauplätze endloses Potenzial und zudem eine Bilderwelt, die in dieser Form kaum erschlossen wurde. Die Szene, in der Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar in ein winziges, von windschiefen Häusern und kargen Fassaden bestimmtes Bergdorf einreiten, der religiöse Scharlatan Mübarek (Friedrich von Ledebur) – der seine Geener angeblich in Raben verwandeln kann – die dunkel gewandeten Frauen durch die schmutzigen Gassen führt, quillt über vor Atmosphäre, und die wettergegerbten Charakterfressen der jugoslawischen Statisten sehen gleich doppelt so eindrucksvoll aus, wenn sie nicht unter Indianerperücken und Faschings-Kriegsbemalung versteckt werden. Man ahnt, welche Geschichten, Legenden und Abenteuer hier an jeder Wegbiegung, in jeder Schlucht und hinter jedem Gesicht darauf warten, enthüllt und entdeckt zu werden, und auch nach zwei Stunden hat diese Welt nichts von ihrem fast erotischen Reiz verloren. Ein toller Film, der leider nicht den Ruf genießt, der ihm eigentlich zustünde.