Der Auftakt macht noch einmal sehr klar, warum die Winnetou–Filme von Reinl trotz ihrer sonnenklaren Bildsprache und ihrer ungebrochenen Romantik so seltsam sind: Ein Voice-over-Erzähler erläutert in betont sachlichen Worten den historischen Hintergrund, vor dem sich der folgende Film entfaltet, beschreibt Winnetou als Philosophen und Heilsbringer, als historische Figur von unschätzbarer Bedeutung. Sein Tonfall erinnert an Dokumentationen, wenn auch an solche, die nicht unbedingt durch große Distanz zu ihrem Sujet auffallen, und sie schaffen sofort eine Kluft zwischen dem Zuschauer und dem Titelhelden, der unweigerlich zu etwas Fremdem, Erklärungsbedürftigen wird, einer Figur, der wir uns forschend annähern können, die wir aber nie verstehen oder gar durchschauen werden – schon gar nicht ohne fremde Anleitung und Führung. Winnetou, das ist ganz entscheidend für die Rezeption der Trilogie, ist keine Identifikationsfigur. Er ist nicht der Verbündete des Zuschauers, nicht derjenige, in dessen Haut wir schlüpfen, um uns ins Kampfgetümmel zu stürzen – diese Rolle kommt Old Shatterhand zu –, sondern im Gegenteil das von uns getrennte Objekt unserer Betrachtung.
Was habe ich geflennt damals, als Winnetou die Kugel, die für seinen Blutsbruder Old Shatterhand gedacht war, mit seinem Herzen auffing. Als der Arzt mit hochgekrempelten Ärmeln von dem leblos aufgebahrten Indianerhäuptling wegging, Shatterhand mit den Worten „das liegt jetzt in Gottes Hand“ und mich mit dem Wissen zurückließ, dass es kein Happy End geben würde. Wie Winnetou sich dann ein, zwei, drei Mal mit Hilfe des deutschen Freundes erhob, der Blick schon gebrochen, in die Ferne hinter dem Horizont gerichtet, ein entrücktes Lächeln auf dem Gesicht. Wie er die entfernten Glocken einer Kirche hörte und sie als Ruf begriff, wie er den Tod aufnahm, ihn willkommen hieß, wissend, dass sein Werk auf Erden getan war. Wie er dann in den Armen seines Freundes einschlief und die Totenprozession danach in den Sonnenuntergang zog, der Film mit dem einzigen, dem unvermeidlichen Ende schloss, aber dennoch seltsam offen blieb. Ich hatte diesen Winnetou zwar nicht begriffen, aber er war jetzt dennoch ein Teil von mir.
Gestern hat WINNETOU 3. TEIL überhaupt nicht mehr funktioniert. Es ist eindeutig der schwächste Beitrag der Trilogie, ihm fehlt sowohl eine klare Storyline als auch ein griffiger Schurke. Rik Battaglia ist ein angemessen schmieriger Halunke, aber er lässt jedes diabolische Format vermissen. Er ist nicht einmal richtig unsympathisch. Es ist nicht ohne Konsequenz, dass es gerade so ein vollkommen mittelmäßiger Gauner ist, der den stolzen Apachenhäuptling feige aus einem Hinterhalt erschießt, aber als Projektionsfläche für den Zorn taugt er überhaupt nicht. Der ganze Film scheint nur von seinem seit dem ersten Teil feststehenden Ende her gedacht, auf das er möglichst ohne große Umwege hinführen muss. Es bleibt nicht viel hängen auf diesem Weg, nicht einmal einzelne Bilder oder auch nur eine besonders gelungene Actionszene: Ja gut, die Sequenz mit den Floßen auf dem brennenden Fluss ist recht schön, aber sonst ist weder den Autoren noch Reinl viel eingefallen. Und so ist es eben allein der enigmatische Winnetou, der hier mit stahlblauem, spirituell verzücktem Blick seinen inneren Frieden schließen darf, der an den Film bindet und das Interesse wachhält. Wenn ich in meinem Text zum Vorgänger schrieb, dass der Häuptling sich auf das Sterben vorbereite, erahne, dass der Erfolg seiner Mission an seinen eigenen Tod als Märtyrer geknüpft ist, so wartet er in diesem Film nur noch auf den richtigen Zeitpunkt, auf einem Sonnenstrahl gen Himmelspforte zu galoppieren. Der religiös-spirituelle Gehalt, der in WINNETOU 1. TEIL und WINNETOU 2. TEIL noch subkutan verabreicht wurde, ergreift hier Besitz vom Ganzen und es ist immer wieder ein Irritationsmoment, wenn sich die Handlung Sam Hawkens und seinem Gebalge mit der Banditenbande zuwendet, die als einzige verhindern, dass sich WINNETOU 3. TEIL den Sternen und der Ewigkeit zuwendet. Reinls Film ist der unabwendbare Endpunkt der Reihe und musste als solcher natürlich gemacht werden. Aber weil man auch als Zuschauer von Beginn an weiß, wie die Geschichte ausgehen wird, ziehen sich die 90 Minuten bis dahin doch merklich. Aber wie könnte ich einem Film, der meinem achtjährigen Selbst das Herz gebrochen hat, böse sein? WINNETOU 3. TEIL hat mehr erreicht als andere, auch bessere Filme in meinem Leben. Dafür liebe ich ihn, muss ich ihn lieben.
Ich glaube altersmäßig liegen wir nicht allzu weit auseinander, aber Winnetou bzw. Karl May hat bei mir nie eine große Rolle gespielt. Ich könnte jetzt gar nicht sagen, warum – denn (Italo-)Western mag ich immer noch sehr. Ich glaube gar, dass ich nicht einen einzigen der jüngst von dir besprochenen Winnetou-Filme je komplett gesehen habe (außer ein Besuch der Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg)! Und falls doch, haben diese offensichtlich nicht ansatzweise den Eindruck wie bei dir hinterlassen. Die Spencer-Hill-Western gefielen mir wohl immer besser.
Es reizt mich jetzt schon, mal einen der Karl-May-Filme anzuschauen, aber habe die Angst, dass sie nicht „funktionieren“. Das ergeht mir oft bei älteren Filmen und ich bin verunsichert, wenn anderswo (z.B. hier) Lobesreden geschwungen wurden 🙂 .
Das kann ich verstehen. Andererseits funktionieren diese Filme auch sehr gut und gerade mit reflektierterer Herangehensweise. Ich habe die ja auch rund 30 Jahre gemieden, weil ich sie als albernes Zeugs abgetan hatte.
Eine Rolle spielten eigentlich nur 3 von ihnen, UNTER GEIERN, DER ÖLPRINZ und WINNETOU 3. Aber die Bud Spencer/Terence Hill-Filme waren mir auch immer wichtiger und ich habe sie auch nie aus dem Blick verloren, die waren immer da. Probiere mal UNTER GEIERN aus, das scheint mir der besten Einstieg.
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