dr. no (terence young, großbritannien 1962)

Veröffentlicht: Januar 12, 2015 in Film
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pp433-james-bond-dr-no-illustVor über 50 Jahren begannen die Produzenten Albert R. Broccoli und Harry Saltzman mit diesem Film vom britischen Regisseur Terence Young die Filmserie um den Geheimagenten mit der Lizenz zum Töten, die sich heute als erfolgreichste und langlebigste überhaupt bezeichnen darf und längst zum übergreifenden kulturellen Ereignis geworden ist. Die Veröffentlichung eines neuen Bond-Films betrifft heute nicht nur die Sphäre „Kino“, sondern beeinflusst alle möglichen gesellschaftlichen Bereiche von Musik über Mode bis hin zu Wirtschaft, sodass man heute manchmal geneigt ist zu vergessen, wie das alles seinen Anfang nahm und dass es durchaus nicht immer so war. DR. NO – der vor ca. 30 Jahren seine Fernseherstausstrahlung erlebte, die auch ich staunend verfolgte – heute gerade unter diesem Gesichtspunkt zu sehen, ist ziemlich spannend. Ich habe versucht, den Film ganz frisch zu sehen, das Wissen um die mittlerweile 22 Folgefilme (die Konkurrenzproduktion NEVER SAY NEVER AGAIN nicht mitgezählt) auszublenden. Damit das gelingt, haben wir (meine Gattin und ich) uns bei der Sichtung für den Originalton entschieden, anstatt auf die nostalgisch überfrachtete Synchro zurückzugreifen. Natürlich ist die angestrebte Horizontverschiebung – der Wunsch, den Film mit den Augen eines Zuschauers von 1962 zu sehen – unmöglich, hinter einen einmal erreichten Kenntnisstand kann man nicht zurückfallen. Dass die Wiederbegegnung mit diesem alten Bekannten dennoch überaus fruchtbar und angenehm verlief – und durchaus erfolgreich im Sinne meines Experiments – mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass ich in den vergangenen ca. 15 Jahren allem, was mit Bond zu tun hat, aus dem Weg gegangen bin.

Die Bondfilme waren vor allem in meiner Kindheit und Jugend ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Die ersten Video-Kaufkassetten, die ich besaß, waren Bondfilme, das James-Bond-Buch von Erich Kocian aus der Heyne Filmbibliothek war (neben dem Horrfilmlexikon von Hahn/Jansen) das erste Filmbuch, das ich durchlas. Vielleicht waren die Bondfilme die ersten Filme, über die ich wirklich nachdachte. Aber eigentlich waren sie für mich immer mit dem Fernsehen verbunden. Als ich meinen ersten Bondfilm im Kino sah – der vorletzte Brosnan-Bond THE WORLD IS NOT ENOUGH –, war das auch der Anlass, eine über die Jahre eingeschlafene Beziehung endgültig abzubrechen. Vom Inbegriff des Kinos waren Bondfilme für mich zu seiner Geißel geworden: routiniert runtergekurbelte kreative Millionengräber, von dem Wunsch gelähmt, es allen Zuschauern recht zu machen, ihnen alles das zu liefern, wie anhand einer Checkliste abgehakt, was zu einem Bondfilm anscheinend dazugehörte. Irgendwie schienen alle diese Details – welche Karre fährt der Geheimagent, welche Uhr trägt er, welcher Schauspieler spielt M, was für Gimmicks drückt ihm Q in die Hand – wichtiger geworden zu sein als das große Ganze. Ein James-Bond-Film wirkte immer mehr wie ein Produktkatalog, voll mit Sachen, die man sich nicht leisten kann, nicht mehr wie ein Film. Natürlich nahm diese Entwicklung ihren Anfang mit DR. NO. Aber die Formel war hier längst noch nicht gefunden, der Film noch nicht in dem Bewusstsein einer Marke oder Tradition gefertigt, vielmehr selbst Ergebnis der Einwirkung verschiedener Einflüsse, die lediglich geschickt neu kombiniert wurden.

Besonders markant ist die Zeichnung des Protagonisten selbst. Der Geheimagent James Bond avancierte im Laufe der Jahrzehnte und vor allem in den Roger-Moore-Jahren immer mehr zum omnipotenten Supergentleman und bewaffneten Casanova, dessen Weltläufigkeit und Ausbildung ihn auch in der ausweglosesten Situation bestehen ließen. Sein Anstellungsverhältnis zum britischen Geheimdienst schien dabei bestenfalls Vorwand: Dass Bond mit seinen Taten dem britischen Empire und der westlichen Welt diente, war letztlich seinem Goodwill und einem gewissen, auf höchstem Niveau angesiedeltem Slackertum geschuldet. Von einem Vorgesetzten befehligt und ggf. gemaßregelt zu werden, duldete Bond stets mit lässiger Miene, überlegenem Grinsen und dem Wissen, dass er sich den Lebensstil, den ihm der Job ermöglichte, sonst nie würde leisten können. All die Reisen an die schönsten Orte der Welt, die Legionen von Frauen, die er auf seine Matratze zerrte, das ganze lustige Equipment, die Drinks und den Champagner konnte er auf die Spesenrechnung setzen, ohne jemals Sanktionen befürchten zu müssen. Da nahm er die gelegentlichen Unannehmlichkeiten gern in Kauf. In DR. NO ist das noch anders. Connery verleiht dem Agenten ein gutes, aber eben auch sehr kantiges, typisch männliches Aussehen und eine tiefe, schauspielerisch noch nicht voll austrainiert wirkende Stimme. Mit dem Hut, den er hier noch oft zum Anzug trägt, erscheint er optisch tatsächlich noch als Kollege der Kriminalbeamten aus dem zeitgenössischen Polizeifilm und auch seine Methoden – Zeugen befragen, Hinweise sammeln, Nachforschungen anstellen – dürften mit dem konform gehen, was ein gewöhnlicher Kriminalbeamter in der Ausbildung lernt. Im Umgang mit Frauen legt Bond bereits die an Arroganz grenzende Selbstsicherheit an den Tag, aber diese allumfassende Souveränität, die in späteren Bondfilme oft als Spannungskiller wirkt, fehlt ihm noch. Der Fall um die Ermordung eines Geheimdienstmitarbeiters auf Jamaica ist sein erster größerer (er hat kürzlich erst die „Lizenz zum Töten“ erhalten, weil er sich durch gute Leistungen dafür empfohlen hat) und im Rapport mit seinem Chef M ist er noch ganz gehorsamer Befehlsempfänger. Er wirkt noch so, als folge er einem Lehrbuch und in gefährlichen Situationen bekommt er es mit der Angst zu tun: Als er etwa bemerkt, dass man ihm eine Vogelspinne ins Bett gesetzt hat, bricht ihm der kalte Schweiß aus und nach Beseitigung des giftigen Krabbeltiers entschwindet er wackligen Ganges ins Bad, vermutlich um sich zu übergeben.

Einem Stoß vor den Kopf des durch Dutzende Bondfilme desensibilisierten Zuschauers kommt die Aussage Dr. Nos (Joseph Wiseman) gleich, bei seinem Gegenspieler handele es sich nur um einen „policeman“. Er hat vergeblich versucht, dem Agenten eine Komplizenschaft schmackhaft zu machen und diagnostiziert nach dessen Ablehnung nun dessen niederen Sklavencharakter. Nachdem die Doppelnull in über 20 Filmen wie beschrieben zum nymphomanen Superhelden heranreifte, ist dieser Satz ein echter Augenöffner: Bond ist ursprünglich tatsächlich nicht mehr als ein Beamter, ein Diener, ein sehr guter zwar, aber dennoch absolut ersetzbar. Seine Auftraggeber rechnen bei jeder Mission damit, dass er stirbt und er weiß qua Anforderungsprofil, dass sein Tod gewissermaßen part of the deal ist. (Nach Bonds Ankunft auf Jamaica bringt sich ein henchman des Gegners nach seiner Enttarnung durch Biss auf eine Zyankali-Kapsel selbst um: Das ist genau das, was im Falle eines Falles auch von Bond erwartet würde.) Bond ist ein expendable, er ist eben kein Mitglied jener Kaste, der M und all die anderen Köpfe des Geheimdienstes angehören, auch wenn er sich mit seinen Erfolgen einen gewissen Respekt und ein Standing erarbeitet hat. Bond ist der Typ, der irgendwann von einem jüngeren Kollegen erschossen wird, weil er zu viel weiß und zur Belastung geworden ist. (Siehe zahllose andere, „realistischere“ Agentenfilme.) Und Connery interpretiert ihn in DR. NO exakt so. Er ist eine hired hand, verlässlich, ehrgeizig, effektiv, aber eben doch nur ein Werkzeug, ein Arbeiter. Diese Tatsache wurde in den 50 Jahren Bondgeschichte mehr und mehr übertüncht. Aber sie verleiht DR. NO eine gewisse Härte und Körperlichkeit, die der Reihe trotz ihrer nominellen Zugehörigkeit zum Actionkino immer mehr abhanden kommen sollte (Ausnahmen bestätigen die Regel).

Der damit einhergehende zupackende Charakter spiegelt sich auch in Youngs Inszenierung. Die Ermordung Strangways und seiner Sekretärin durch drei vermeintlich blinde Landstreicher ist mit den Mitteln des Horrorfilms geradezu überfallartig in Szene gesetzt. Der Ekel, den Professor Dent (Anthony Dawson) sichtbar empfindet, wenn er den Käfig mit der todbringenden Spinne in Empfang nimmt, macht die Gefahr, die Bond droht, greifbar, während vergleichbare Szenen später nur noch routinierte Fingerübungen sind. Über dem ganzen Film und vor allem seinem letzten Drittel, dem Besuch auf Crab Key, hängt eine diffuse Atmosphäre des Unheils, die durch die beschwingte Calypso-Musik geschickt kontrapunktiert wird. Es steht noch wirklich etwas auf dem Spiel für die Charaktere und wenn es etwa Bonds Helfer, den friedfertigen Quarrel (John Kitzmiller) erwischt (der im Originalton übrigens deutlich weniger schwachsinnig und ungebildet klingt als in der deutschen Fassung), dann registriert man das noch. Aber wie ich schon sagte, werden hier natürlich auch manche später liebgewonnenen (oder auch verhassten) Traditionen begründet, von den obligatorischen Casinoszenen, über die wechselnden Liebschaften, die One-Liner und treue Mitstreiter, wie Felix Leiter, M und Mrs. Moneypenny, bis hin zu kleineren Details wie dem Wodka-Martini, geschüttelt, nicht gerührt, und den kreativen Mordversuchen. Andere, wie das Location-Hopping, die Pre-Title-Sequenz, der hartnäckige Killer oder der Bond-Song, würden erst in Zukunft addiert werden. Die wichtigste Zutat findet sich aber bereits in diesem Erstlingswerk in vollendeter Güte. Dr. No, der Ahne aller folgenden Bond-Schurken, residiert in einem Stützpunkt, den man als frühe Meisterleistung von Produktionsdesigner Ken Adam und Syd Cain bezeichnen muss, die der Reihe auch weiterhin ihren Stempel aufdrücken sollten.

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