Oh, mein Gott! Ihr italienischen Filmemacher, wollt ihr mich zerstören mit euren Melodramen? Wollt ihr mich in ein den Herrgott um Gnade anflehendes Häuflein Elend verwandeln, das vor der Unermesslichkeit der Schöpfung erzittert? In einen ängstlich durchs Leben wandelnden Büßer, der angesichts der Erkenntnis, dass nichts sicher ist außer dem Tod, in steinerner Demut erstarrt? Der einsieht, dass Glück nur dazu da ist, die Konstitution vor dem nächsten Schicksalsschlag zu stärken, aber niemals von Dauer? Der sich damit abfindet, dass sein Leben von heute bis zum Tode ein einziger aussichtsloser Kampf gegen Krankheit, Leid und Not ist? Dann macht nur so weiter, ihr seid auf einem guten Weg …
Mario Soldati orientiert sich für seinen – unter anderem von Pier Paolo Pasolini mitgeschriebenen und von Dino de Laurentiis und Carlo Ponti produzierten – Film ziemlich eindeutig an Giuseppe De Santis RISO AMARO. Die gerade 20 Jahre alte Sophia Loren übernimmt als Nives Mangolini, Arbeiterin in einer Fischfabrik, die Rolle, die zuvor Silvana Mangano innehatte. Auch sie ist eine Frau voller Stolz, wenngleich auch nicht darauf bedacht, um jeden Preis reich zu werden. Eine Küche und eine Nähmaschine hätte sie gern, aber sonst ist sie fest in ihrer Heimat am Po-Delta verwurzelt. Als sie eine Liebesbeziehung mit dem Schmuggler Gino (Rik Battaglia) eingeht, scheint das bescheidene Glück, das sie sich ersehnt, greifbar. Doch Gino ist nicht der Mann, der sich in einer Beziehung binden ließe. Ohne eine Nachricht verschwindet er für mehrere Monate. Als die enttäuschte Nives ihm bei seiner Rückkehr gesteht, dass sie ein Kind von ihm erwartet, schlägt er sie nieder und lässt sie allein zurück. Enttäuscht zieht sie sich in ein Dorf zurück, wo sie ihren kleinen Sohn aufzieht und ihr Geld mit dem Scheiden von Schilf verdient. Doch der große Schicksalsschlag kommt erst noch …
LA DONNA DEL FIUME ist weniger dicht und fokussiert als RISO AMARO, was sich nicht zuletzt in seinem mäaandernden Handlungsverlauf zeigt, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Die harte Arbeit, die in De Santis Film noch prominent im Vordergrund stand, spielt zunächst kaum noch eine Rolle: Wohl auch, weil das Wissen um den harten Alltag der Arbeiter beim Publikum mittlerweile vorausgesetzt werden konnte. Die ersten beiden Drittel beschäftigen sich mit dem hartnäckigen Buhlen Ginos um die Gunst der stolzen NIves, ihrem kurzen, bescheidenen Glück, als sie ihm – nach einer die Sinne berauschenden Fahrt auf seinem Motorrad – endlich nachgibt. Gino träumt insgeheim von einem besseren Leben, vielleicht in der großen Stadt, und hier tut sich dann auch die Kluft zu Nives auf, die sie nicht wirklich bemerkt. Eine wunderbare, vollkommen statische, dabei mehrere Stunden abdeckende Einstellung zeigt ihre sehnsüchtigen Subjektive durch die Tür ihres kleinen Hauses raus auf den Fluss. Die Sonne geht unter, von Gino keine Spur. Dann sieht sie ein Licht, doch statt Gino kommt nur ein Junge, der ihr die Botschaft überbringt, dass Gino auf unbestimmte Zeit auf Geschäftsreise sei. Ihr Liebhaber hat es noch nicht einmal für nötig befunden, sich von ihr zu verabschieden.
Wirklich zu sich findet LA DONNA DEL FIUME jedoch in seiner letzten halben Stunde. Sie ist wegen der Darstellung des Alltags der Schilfarbeiter faszinierend, die in provisorischen, fast steinzeitlich anmutenden Baracken mitten im Schllf leben, vor allem aber emotional absolut niederschmetternd. Dazu gezwungen, ihren kleinen Sohn während des Tages mit den anderen Kindern zurückzulassen, sieht sich Nives nach ihrer Rückkehr damit konfrontiert, dass er spurlos verschwunden ist. Die Angst, dass sie ihn nicht mehr lebend in die Arme schließen können wird, die von Minute zu Minute auch beim Zuschauer wächst, bestätigt sich schließlich und der Film endet mit der zermürbenden Dokumentation der Trauer- und Beerdingungsrituale, bei der dann auch Gino wieder auftaucht, um seinem Sohn die letzte Ehre zu erweisen, bevor er seine Haftstrafe antritt.
LA DONNA DEL FIUME übertritt lustvoll die Schwelle von der neorealistischen Darstellung hin zur exploitativen Ausschlachtung des Arbeiterleids. Es gibt keinerlei dramaturgische Notwendigkeit dafür, Nives in dieses Unglück zu stürzen, außer dem, ihr Schicksal noch härter zu machen, dem Zuschauer noch dickere Tränen abzuringen. Begnügte sich De Santis noch damit, lediglich zu zeigen, dass manche Arbeiterin gezwungen war, ihr Kind mitzunehmen und tagsüber unbeaufsichtigt zu lassen, treibt Soldati die Implikationen auf die äußerste Spitze der Zuschauermanipulation. Aber ganz ehrlich: Wenn Leid so poetisch, mitreißend und ungebrochen ins Bild gesetzt wird, dann lasse ich mich gern manipulieren.
Sophia Loren wurde mit dem Film zum gefragten Star und auch das deutsche Programmheft kam nicht umhin, ihre Reize mit blumigen Worten zu umschreiben: „Sie ist in ihrer blutjungen Kraft ein ländlicher, fast bäuerischer Mädchentyp, andererseits aber besitzt sie die Geschmeidigkeit eines Naturkindes, das in der Grazie der gebändigten Bewegungen die verdeckte, zurückgepresste Leidenschaftlichkeit einr vulkanischen Natur vermuten lässt.“ Nicht nur werden Filme wie dieser nicht mehr gedreht, auch solche Pressetxte schreibt heute niemand mehr.
“Sie ist in ihrer blutjungen Kraft ein ländlicher, fast bäuerischer Mädchentyp, andererseits aber besitzt sie die Geschmeidigkeit eines Naturkindes, das in der Grazie der gebändigten Bewegungen die verdeckte, zurückgepresste Leidenschaftlichkeit einr vulkanischen Natur vermuten lässt.”
Wahrlich koestlich!
So hat man damals zum Ausdruck gebracht, die ist wohl schwer zu knacken, aber wenn das mal geschafft ist, dann geht sie ab wie eine Rakete. 🙂
Erinnert mich an meine Lektuere der grossartigen Ava Gardner Bio von Lee Server (der auch eine fantastische Robert Mitchum Bio verfasst hat), die war auch ein Naturkind mit „speziellen Fähigkeiten“.