Vielleicht einer der tragischst missverstandenen Filme aller Zeiten, wurde PEEPING TOM bei Erscheinen von der Kritik einhellig verrissen und vom Publikum gemieden wie die Beulenpest. Michael Powells bis dahin eindrucksvolle Regiekarriere – nicht zuletzt als Teil des Duos mit Emeric Pressburger, mit dem er bis heute verehrte und anerkannte Meisterwerke wie THE LIFE AND DEATH OF COLONEL BLIMP, A MATTER OF LIFE AND DEATH, BLACK NARCISSUS und THE RED SHOES gedreht hatte – war danach mehr oder weniger beendet. PEEPING TOM ging nicht einfach nur am „Markt“ vorbei: Er verstörte die Menschen mit seiner sachlich-zurückhaltenden Thematisierung von Voyeurismus, Fetischismus, Sex und Gewalt, erntete mithin nicht nur Desinteresse, sondern aktive Verachtung. Wer weiß, was passiert wäre, wenn Powells Film das Licht der Leinwand nur einige wenige Monate später erblickt hätte? Da war nämlich Alfred Hitchcocks PSYCHO zu einem riesigen Erfolg avanciert und hatte die Vorstellungen davon, was man im Rahmen von „Unterhaltung“ zeigen dürfe, gewaltig verändert, die Geschmacksgrenzen erheblich verschoben. Aber selbst wenn man annimmt, dass PEEPING TOM nicht zuletzt ein trauriger Fall schlechten Timings ist – das Urteil über ihn ist längst revidiert und Powells Film zählt heute zu den einhellig gefeierten Meisterwerken des intelligenten Genrekinos, darf gar als einer seiner Schlüsselfilme bezeichnet werden –, so ist es doch wohl auch Powells nicht auf grelle Schocks, sondern auf Verstehen gerichtete Vorgehensweise, die Schiffbruch des Films erheblich begünstigte. Und natürlich die Tatsache, dass er das Publikum durch die subjektive Kamera mit ins Boot holte.
Karlheinz Böhm spielt Mark Lewis, den titelgebenden Voyeur, eine tragische, sanftmütige Gestalt, deren Weg bereits früh geebnet wurde. Sein Vater, ein Psychologe mit dem Forschungsgebiet „Angst“ quälte ihn schon als Kind, hielt jedes demütigende Experiment auf Film fest und vererbte seine Obsession, als er dem Sohn die erste eigene Kamera schenkte. In der Gegenwart von PEEPING TOM arbeitet Mark als Schärfezieher beim Film, macht nebenbei pornografische Fotos und dreht seine eigene „Dokumentation“: Er filmt Frauen im Moment ihres Todes, den sie durch ein in sein Stativ integriertes Bajonett erfahren, und zwingt sie mithilfe eines Spiegels dazu, sich selbst bei ihrem Ableben zuzuschauen. Es ist die Angst im Gesicht der Opfer, die ihn fasziniert und Film hilft ihm dabei, diesen Moment für immer einzufrieren. Was er nicht durch das Objektiv der Kamera betrachten kann, scheint immer nur halb so „wahr“ und so unterhält er mit dem technischen Gerät eine fast symbiotische Beziehung.
Anders als Hitchcock, der PSYCHO nicht zuletzt als makabren Thrillride anlegt und seinem Publikum erst am Ende in einem umständlichen langen Monolog die wissenschaftlichen Hintergründe darlegt, schuf Powell ein einfühlsames Psychogramm, dem wenig an Schocks oder raffiniert komponierten Suspense-Sequenzen gelegen ist, dafür aber viel an psychologischer Genauigkeit und Empathie. Protagonist Lewis ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer, ohne jede Chance, sich über seine Obsession zu erheben. Powell zeigt viel Verständnis für die kleinen Perversionen des Alltags, das zeigt sich sehr deutlich in einer frühen komischen Szene, in der ein älterer Herr verschämt Nacktfotos in einem Zeitungskiosk kauft. Ursprung des Humors ist in dieser Szene nicht sein Bedürfnis, sondern die verklemmte Art, mit der er es zu verbergen gedenkt. PEEPING TOM ist nicht in erster Linie ein gesellschaftskritischer Film, aber er macht keinen Hehl daraus, dass es nicht zuletzt die repressive Sexualmoral ist, die Monster wie Lewis erzeugt.
Einflussreich ist Powells Film aber vor allem als metafilmischer Kommentar, der Grundlagenarbeit für Filmemacher wie De Palma oder auch Argento leistete: Powell entblößt den Kern jeder filmischen Tätigkeit, enttarnt das Begehren als ihren Schlüsselreiz, deckt die komplizenhafte Verbindung zwischen Regisseur und Zuschauer auf, zeigt sich selbst als Anstifter und Verführer an (Powell spielt Lewis‘ Vater in den alten Filmen, die der sich anschaut, und Lewis‘ kindliches Alter ego ist Powells eigener Sohn) und setzt so auch den Diskurs über die Verbindung von Schöpfer und Kunstwerk fort, mit der er sich schon in THE RED SHOES beschäftigt hatte. Eine Fortsetzung ist PEEPING TOM auch in ästhetischer Hinsicht, wenn er auch nicht die hohen Gipfel der Stilisierung erklimmt, die: Powells Serienmörderfilm ist etwas zurückgenommener inszeniert, aber ähnlich prachtvoll in seiner diesmal etwas schattenhafteren Technicolor-Fotografie.