Ich fühle mich alt. Zwar stehe ich KICK-ASS, der Verfilmung eines Comics von Mark Millar insgesamt doch einigermaßen versöhnt gegenüber – nachdem ich überlegt hatte, ihn zur Mitte abzubrechen -, aber mein Kino ist das nicht mehr. Ich verspüre eine absolute Superhelden-Überfütterung und da spielt es auch keine Rolle, dass sich die Geschichte um einen in „unserer“ Realität angesiedelten Alltags-Superhelden ohne übermenschliche Fähigkeiten als deutlicher Gegenentwurf zum Marvel- oder DC-Standard versteht. Das Genre hat seine Unschuld längst verloren, so oder so. Im vorliegenden Fall ist das gewissermaßen the whole point. KICK-ASS, basierend auf einer Vorlage von Mark Millar, wie u. a. auch der ungleich bessere WANTED, dealt in jener Sorte von politisch inkorrektem Zynismus, der sich vordergründig als Kritik an der quasi-faschistoiden Träumerei von idealisierten Übermenschen versteht, letztlich aber doch ins selbe Horn stößt, weil er eben bloß Reaktion ist. Wenn die humanistische Pflicht in den Filmen des Marvel-Universums an unsterbliche Superhelden outgesourct wird, dann wird sie hier nicht etwa zurückerobert, sondern ganz konsequent zu Grabe getragen.
Der „Clou“ von KICK-ASS ist seine Gewalttätigkeit und Brutalität. Wenn Superman in MAN OF STEEL in seinem Kampf gegen außerirdische Invasoren eine ganze Metropole planiert, ohne dass dabei Menschen sichtbar zu Schaden kommen, so endet hier schon die höchst singuläre Auseinandersetzung mit ordinären Kriminellen in einem Blutbad, das das Treiben des Vigilanten Paul Kersey wie Ringelpiez mit Anfassen aussehen lässt. Man könnte vermuten, dass KICK-ASS genau das herausstellen, also Kritik an den mit Superheldentum verbundenen Law-and-Order-Fantasien üben will, aber wenn dem so ist, gelingt es ihm hervorragend, das zu verbergen. Vielleicht liegt der Fehler auch bei Regisseur Matthew Vaughn, der so berauscht ist von den visuellen Möglichkeiten, die sich ihm bieten – visuell werden alle Register gezogen, da gibt’s nix zu meckern -, den Geschmacklosigkeiten des Plots und – natürlich – der Millar’schen Metaschläue, das man am Ende gar nicht mehr weiß, was einen da eben gestreift hat. Alles, was da möglicherweise an Hintersinn im Comic geschlummert haben mag, wird gnadenlos in grelles Spektakel umgewandelt, das man geil finden soll. Oder man steht da wie ich gestern, als buchstäblicher Ochs vor’m Berg.
Man muss sich bloß anschauen, wie der Film mit seiner heimlichen Hauptfigur umgeht, der minderjährigen Superheldin Hit Girl (Chloe Grace Moretz), die in einer mitleidlosen Interpretation von Bessons LEON, THE PROFESSIONAL von ihrem Vater (Nicolas Cage), einem ehemaligen Gesetzeshüter turned Vigilant, zur gnadenlosen Rächerin gedrillt wird. Ihre Geschichte ist eine Art Zerrspiegel von Daves Werdegang: Während sich der Schüler aus freien Stücken und dem typisch jugendlichen Minderwertigkeitsgefühl entschließt, zum maskierten Crimefighter zu werden, nur um dann zu lernen, dass das gar nicht so einfach ist, ist Hit Girl das Produkt ihres Vaters, der ihr das Töten beibringt als sei es nichts anderes als Fahrradfahren. Von seiner fehlgeleiteten Liebe und seinem Lob angetrieben wird sie zur brutal effizienten Killerin, die die Namen und Eigenschaften sämtlicher Feuerwaffen herunterbeten und mit dem Butterfly-Messer genau so gut umgehen kann, wie mit der Maschinenpistole (außerdem kennt sie den chinesischen Originaltitel von John Woos Debüt: reine Angeberei des Drehbuchs). Die Szenen mit ihr sind die stärksten des Films, was zum einen an der damals 13-jährigen Chloe Grace Moretz, ihrer niedlichen Entchenschnute und dem Kontrast zwischen äußerer Erscheinung und Handeln liegt, zum anderen daran, dass ihre Geschichte gegenüber dem langweiligen Teenie-Weltschmerz Daves jenes Maß an poetischer Überhöhung und dramatischer Gravitas mitbringt, die man von „Dichtung“ eigentlich erwartet. Andererseits lässt sich auch die erwähnte Taktlosigkeit von Vaughns Inszenierung (und Millars Comic?) an ihr festmachen: Es ist fraglich, ob dem Regisseur wirklich bewusst ist, dass seine „Heldin“ ein Missbrauchsopfer und eine tief tramatisierte, für jedes normale Leben verlorene Person ist. KICK-ASS kleistert einfach alle Nuancen und Widersprüche mit grellen Splattereffekten und coolen Gags zu, betreibt plumpes wish fulfillment, wo eigentlich kritische Distanz oder aber echte Empathie gefragt wären. So bleibt es fraglich, welche Position man zum Gezeigten eigentlich einnehmen soll. Man kann das durchaus als Gewinn gegenüber den Marvel-Verfilmungen verstehen, die sich angesichts der an sie geknüpften kommerziellen Erwartungen gar nicht erlauben können, auch nur einen ihrer Zuschauer wirklich zu verprellen, und die deshalb so spurlos an einem vorüberwehen wie ein laues Sommerlüftchen. Oder man begreift KICK-ASS eben nur als sich betont edgy und kontrovers gebende Variation eines Kinos, das mit Menschen nur noch ganz am Rande zu tun und sich stattdessen ganz in seiner Selbstbezüglichkeit eingeschlossen hat, sich dafür auf die Schulter klopfend, wie abgefuckt und cool es doch ist.
Ich fand KICK-ASS damals zwar nett, hatte den aber bereits am folgenden Tag wieder vergessen. Der zeitgleich gestartete SUPER ist mir da schon besser in Erinnerung geblieben, den empfand ich auch als ungleich subversiver.
Fakt ist, wir werden sicherlich alt, lässt sich ja nicht verleugnen, ich halte mich aber für innerlich recht jung geblieben und kann auch heute noch gnadenlos albern sein. Und dass mir manche Filme speziell aus dem Superheldengenre heute nicht mehr zusagen führe ich nicht nur darauf zurück, dass ich nicht zur Zielgruppe gehöre, sondern auch auf meine Wahrnehmung von abnehmender Qualität und darauf, dass Blockbusterkino tendenziell immer steriler und seelenloser wird. Ich gehörte z.B. schon bei Spider-Man von Raimi und den X-Men von Brian Singer nicht mehr zur Zielgruppe, kann mich für diese aber immer noch begeistern. Die Filme hatten mir aber auch etwas zu erzählen.
Was ich bei vielen Filmen à la KICK-ASS wahrnehme, ist eine Attitüde des „wir sind so sophisticated“ und des ständigen sich selber auf die Schulterklopfens. Kann sicherlich mal witzig sein, auf Dauer nervt mich diese Art von Kino. Vor ein paar Wochen habe ich noch mal THE INCREDIBLES geschaut. Ich finde es bezeichnend, dass ich dessen animierte Charaktere als wahrhaftiger empfinde als so manche Superheldendarstellung aus Fleisch und Blut.
Das mag schon sein (also dass mein Missfallen nicht an meinem „Alter“ liegt, sondern an der Qualität der jeweiliegn Filme), trotzdem weiß ich ja, dass jüngere Zuschauer viele der Filme, die ich ätzend finde, mögen, Ästhetiken, die ich für abstoßend halte als Verbesserung gegenüber dem Opakino, das ich favorisere. Es ist die von dir so bezeichnete Attitüde, die das aktuelle Kino prägt und es für mich so langweilig macht. Ich würde das aber nicht als „sophistication“ bezeichnen, es ist entweder bloße Bescheidwisserei oder aber arrogantes Desinteresse an allem, was mehr als fünf Minuten Zeitinvestment benötigt. Wie bei KICK-ASS, der die Liebe zu Comics, die ihn überhaupt erst ermöglichte, nicht besser zu begründen weiß, als dass da eben geiler shit passiert.
Vielleicht wissen die jüngeren Zuschauer es vielfach nicht besser.
Nicht weil ich denke wir seien schlauer als die Jungen.
Aber Film muss man auch verstehen lernen. In Deutschland eher ein Zufallsprodukt aus persönlichem Interesse heraus. Hier hatte imho Film nie den Stellenwert als Kunst wie z.B. in Frankreich.
Zudem spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Ich habe es oft am Sohn meiner Ex gesehen, die Konzentration reichte meist nur für den Zeitraum den man braucht um ein Level eines Spiels zu zocken. Hinzu kommt, wie werden Filme heute betrachtet. Kino ist doch eher Ausnahme als Regel. Ich reise/pendle öfters durch Deutschland, wenn ich dann sehe, dass auf Tablets, manchmal Smartphones Filme betrachtet werden, dann wundere ich mich immer, wie man so mehr als den reinen Handlungsverlauf wahrnehmen will.
Insofern, wenn ich vieles (beileibe nicht alles) was heute produziert bin als Murks wahrnehme, dann bin ich mir sicher, es liegt nicht an mir oder einem Wahrnehmungsfehler, sondern daran, dass es eben Murks ist.
Was du sagst, ist einerseits richtig, andererseits machst du es dir mit deiner Schlusseinschätzung zu einfach. Film existiert nicht unabhängig vom Menschen, insofern ist es ja nur logisch, dass er sich dem Leben anpasst und sich mit diesem verändert. Wenn Film heute eben mehr „nebenbei“ rezipiert wird, wie du das beobachtet hast, vor allem aber nicht mehr hauptsächlich im Kino, sondern auf anderen Medien, dann ist THE BIRTH OF A NATION eben einfach der falsche Film, KICK-ASS aber möglicherweise genau richtig. Unsere Anforderungen und Ansprüche sind ganz andere als die eines Teenies heute. Das mag zum Teil an „Bildung“ liegen und daran, welche Bedeutung Film im Alltag generell spielt, aber grundsätzlich ist das eine normale Entwicklung, die alle Kunstformen betrifft und ihren Fortbestand sichert. Um es kurz zu machen: „Murks“ liegt im Auge des Betrachters. Du brauchst dir ja nur anschauen, wie Filme, die uns heute etwas bedeuten, zur Zeit ihres Erscheinens von gebildeten Menschen abgewatscht wurden. Und selbst dem Tonfilm hat man damals keine große Zukunft vorausgesagt.
Die Kids werden aber auch kaum noch mit Filmkunst konfrontiert.
Während meiner Kindheit, hatten wir nur 3 Fernsehsender, aber ein besseres Programm.
ARD und ZDF sendeten dauernd Retrospektiven klassischer Regisseure Ford, Hawks, Hitchcock,
Delmer Daves, Budd Boetticher…….alles in der Glotze kennengelernt.
Im Nachtprogram, wenn die Eltern weg waren, dann die Franzosen entdeckt, Lohn der Angst
und mit angehaltenem Atem Godards Weekend.
Ausserdem wurden in den Kinos ältere Filme immer wieder gezeigt.
Taxi Driver oder Django habe ich tatsächlich zuerst im Kino gesehen.
Von den Programkinos ganz zu Schweigen. Russ Meyer Doppelvorstellung in Anwesenheit des
Regisseurs. Aber wie gesagt, zuerst angefixt hat einen das Fernsehen.
Fragen wie Rio BRavo oder El Dorado. waren tatsächlich Schulhofthemen.
Immerhin bin ich ein wenig stolz darauf, das Hatari zu den Lieblingsfilmen meines Sohnes (11 J.)
zählt. Obwohl er sonst auch nicht viel von Papas ollen Kamellen hält.
Ich will gar nicht abstreiten, dass mein Blickwinkel vielleicht stellenweise eng ist und naturgemäß ist meine Sichtweise subjektiv. Alle Faktoren anzusprechen sprengt hier aber auch den Rahmen. Ich glaube nämlich nicht, dass man die Entwicklung im Bereich Film von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung losgelöst betrachten kann. Die Anmerkung von Ghijath Naddaf hat m.E. einiges für sich, ich denke den Qualitätsverfall des durchschnittlichen Fernsehprogramms kann niemand ernsthaft bestreiten. Arte und Co. dürften kaum das Standardprogramm in deutschen Wohnzimmern sein. Wenn man aber feststellt, dass Fernsehen heute oft blöd ist und blöd macht, dann muss die erste Frage lauten, cui bono?
In irgendeinem meiner Kommentare hier habe ich mal behauptet, Schuld habe vor allem das Publikum welches das serviert bekommt was es verdient. Da hast Du Oliver mich (rückblickend zurecht) ermahnt, dies sei zu kurz gedacht, ein Großteil der Verantwortung liege auch bei den Machern. (Ich finde den Dialog leider nicht mehr, da ich nicht nach mir suchen kann und nicht mehr weiß, welcher Film da das Thema war.) Den Denkanstoß habe ich jedoch aufgenommen. Mittlerweile denke ich, es gibt eine Wechselwirkung zwischen Produktionen die kaum noch Zwischentöne zulassen, Auge und Geist weniger fordern und einem Publikum welches zunehmend verlernt in Bildern zu denken, den Raum zwischen den vorhandenen Bildern selber gedanklich zu füllen
Natürlich hast Du mit Deiner Anmerkung recht, lieber Oliver, Kunst muss sich wandeln, wie einfach alles was nicht überholt werden will. Leben heißt Bewegung. Ich habe auch nie behauptet alles sei heute Murks, ebenso wenig war früher alles Kunst, gehaltvoll oder gut. Gerade in den letzten Jahren gab es wieder einige Filme die ich sofort ins Herz geschlossen habe. Dennoch stelle ich aus meiner Sicht fest, die durchschnittliche Qualität wird nicht besser, auch gibt es vielfach alten Wein aus neuen Schläuchen. Gerade durch Deine Tipps habe ich mit den Jahren erfahren, vieles gab es eigentlich schon zu Opas Zeiten.
Auch empfinde ich es so, dass Qualität heutzutage oft nur medial behauptet wird. Einfaches Beispiel, viele der sogenannten Qualitätsserien. Die Serien die ja angeblich den Platz des Kinos eingenommen haben. Schaut man hinter die Fassade ist vieles für mich auch nur Dallas oder GZSZ im neuen Gewand. Selbst in meinem Bekanntenkreis werden manche Serien bejubelt, werfe ich dann selber einen Blick drauf, dann erschrecke ich oft wegen der Banalität. Nichts gegen seichte/leichte Unterhaltung, von Scrubs konnte ich nie genug bekommen, aber muss man gleich alles dermaßen hypen? Was für einen tollen Film hätte man aus BOARDWALK EMPIRE machen können oder wenigstens eine richtig gute Miniserie und was ist daraus geworden? Sicher nette Bilder, eine tolle Show für Steve Buscemi, aber bleibt die Serie wirklich im Gedächnis? Kann man Nucky Thompson auf die gleiche Stufe stellen wie Vito Corleone oder Noodles? Musste Walter White wirklich wie im Murmeltiertag immer und immer wieder den gleichen Ehestreit führen, ging das nicht auch kürzer? Löst Rick Grimes wirklich Probleme, die nicht schon Peter, Roger und Fran bewältigt haben? Und wenn ich zum Film zurückkehre, recht aktuell, ist der neue Bond wirklich so viel vielschichtiger als seine Vorläufer? Hat der so gelobte SKYFALL wirklich die Substanz eines OHMSS?
Oliver ich möchte Dir gar nicht widersprechen, ich denke Du hast einen ganz anderen Blick auf das Medium Film als ich, mit Deinem Wissen kann ich auch nicht mithalten. Es ist auch nicht so, dass ich unter der veränderten Filmwelt leide. Meine Zeit ist endlich, es gibt noch genug gute neue Filme, ob nun aus Hollywood oder aus anderen Ländern, u.a. dank Dir haben sich mir auch neue Filmwelten aus vergangenen Zeiten erschlossen, das schaffe ich gar nicht alles zu entdecken. Und dennoch denke ich manchmal wehmütig zurück als selbst Dutzendware Seele hatte.
Einen Widerspruch habe ich. Die Begründung, neue Medieninhalte finden doch ihr Publikum, die zieht für mich so nicht. Hätte nie gedacht, dass ich mal Hahn und Jansen zitiere. Nur weil Milliarden Fliegen einen dunklen Fleck umschwirren ist dieser noch lange nicht aus Schokolade.
Um das mal klarzustellen: Wir sind grundsätzlich derselben Meinung. Der Unterschied ist wohl, für wie wichtig oder richtig man diesen subjektiven Eindruck hält. Natürlich fühle ich mich im Recht, wenn ich Film KICK-ASS als banalen Quark für die Teens von heute bezeichne und behaupte, dass 98 % dessen, was heute aus Hollywood kommt, schlechter ist, als das, was man dort bis in die Achtziger-, Neunzigerjahre produziert hat. Ich kann dieses Urteil dann auch begründen, sehr wahrscheinlich besser als der 16-jährige, für den KICK-ASS der heißeste Scheiß ist, JAWS aber ein Langweiler mit missratenen Effekten. Aber wir haben auch (noch) den Vorteil der Geschichte auf unserer Seite. Es gibt einen großen Kanon an Klassikern, die alle schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel haben und ihre Relevanz bewiesen haben, indem sie geblieben sind. KICK-ASS kann da noch nicht dazugehören. Was ich eigentlich sagen will: Wir haben unserer Kriterien, die nachfolgenden Generationen haben andere. 🙂
Das stimmt. Wobei vieles von dem was wir schauen und mögen, ja auch nicht unbedingt unserer Generation entstammt. Klassiker als solche zu begreifen muss man auch lernen oder sich zumindest darauf einlassen. Ich kenne genug Gleichaltrige, die können mit Western, Film noir oder s/w auch nichts anfangen. Wenn ich denen erzähle, dass ich für eine Box mit einem Uralt-Film manchmal 30 € über den Tresen schiebe, dann denken die auch sicher, dass ich einen Knall habe.
(Übrigens glaube ich, dass die vermeintliche Kostenloskultur auch wertmindernd wirkt.)
Und trotzdem bin ich mir bei einem sicher, aus heutigen Astra, Clio, Golf und Co werden niemals Klassiker. 🙂
Wahrscheinlich nicht. Aber sie werden ja auch gar nicht mehr mit diesem Anspruch gemacht.