Archiv für Januar, 2016

437988Um die Bedeutung der Copserie von Anthony Yerkovich und Michael Mann zu beurteilen, bin ich auf Quellen angewiesen, die diese belegen. Zwar erinnere ich mich noch daran, einige Episoden mit meinen Eltern gesehen zu haben, aber weder habe ich damals verstanden, was da eigentlich passierte (Colt Seavers, der mit seinem Geländewagen über irgendwas drüber sprang, während Jody mit ihrem bezaubernden Hintern wackelte und Howie doof guckte, war eher meine Kragenweite), noch wäre ich dazu in der Lage gewesen, die Serie in den Kontext zeitgenössischer Fernsehunterhaltung einzuordnen. Heute gilt MIAMI VICE gemeinhin als Auftakt für jene Form der seriellen Erzählung, die heute bestaunt und als Neuerfindung des Rades gefeiert wird: Geduldig aufgespannte dramaturgische Bögen und komplexe Charaktere und Storys statt nach immergleichem Schema erzählte Kurzgeschichten mit eindimensionalen Figuren, aufwändige formale Umsetzung und ein klar erkennbarer audiovisueller Stil statt Pragmatismus und Schmalhans als Küchenmeister. MIAMI VICE war die erste Serie, die in Stereo ausgestrahlt wurde, der Einsatz von Popsongs und visuellen Effekten galt damals als bahnbrechend, Soundtrackalben und Singleauskopplungen – z. B. Jan Hammers „Crockett’s Theme“ – verkauften sich wie geschnitten Brot, der persönliche Style besonders von Johnsons Sonny Crockett wurde zum Modetrend. HILL STREET BLUES-Autor Yerkovich hatte den Auftrag, eine „Copserie fürs MTV-Publikum“ zu erfinden und offensichtlich war ihm das gelungen, wenngleich MIAMI VICE nur wenig mit der Glätte und Banalität zu tun hat, die man mit Musikfernsehen gemeinhin verbindet.

Der Pilotfilm BROTHER’S KEEPER dient dazu, die Hauptfiguren und die wichtigsten Elemente, seien sie erzählerischer oder stilistischer Art, einzuführen und macht sofort Lust auf mehr. Die fast wortlose Auftaktsequenz, in der der New Yorker Cop Ricardo Tubbs (Philip Michael Thomas) versucht, den Drogenboss Calderone (Miguel Piñero) in einer Diskothek zu stellen, ist reines Kino, bildgewaltig und spannend, die anschließende Ermordung eines Kleindealers und eines Undercover-Cops (Jimmy Smits) durch eine Autobombe, macht  unmissverständlich klar, was hier auf dem Spiel steht. Es sind aber nicht lediglich Suspense oder Action, die einnehmen, sondern die schon zu diesem frühen Zeitpunkt unterschwellig spürbare Tragik und Ausweglosigkeit. Gleich nachdem Crocketts (Don Johnson) Partner umgebracht worden ist, schneidet Carter zum Kindergeburtstag von Crocketts Sohn, wo die Mutter (Belinda Montgomery) die üblichen Klagen über den Polizistengatten anstimmt, der nie da ist. Als Crockett eintritt und den Grund für das Zuspätkommen nennt, entgleisen alle Gesichtszüge und die Szene kulminiert in der unfassbaren Idee, dass der Vater seinem Sohn ein Spielzeug-Polizeiauto schenkt. Wenn er den dankbaren Jungen in die Arme schließt, ist in seinem Gesichtsausdruck die ganze emotionale Komplexität der Serie ablesbar. Ein wichtiges Gestaltungsmerkmal sind auch die nächtlichen Autofahrten, die eine Art Schwebezustand zwischen Leben und Tod symbolisieren. Während die Welt an ihnen vorbeirast, sind Tubbs und Crockett in ihrer Hochgeschwindigkeits-Blechblase vollkommen unbewegt, ganz im Moment eingefroren. Im Pilotfilm wird diese Nachtfahrt durch den Einsatz von Phil Collins‘ „In the Air tonight“ endgültig zum ikonischen Bild erhöht.

Vielleicht sind diese Tiefen tatsächlich erst mit dem Abstand der Jahre wirklich spürbar. Wenn ich mich daran erinnere, wie MIAMI VICE seinerzeit im medialen Mainstream rezipiert wurde, stand da immer die angebliche Coolness Crocketts im Vordergrund. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man eigentlich einen tief verunsicherten Polizisten, der sich hinter einer Fassade pastellfarbener Shirts und Anzüge versteckt. Verglichen mit anderen Cop-Helden ist Crockett fast ein Softie, der an seinem Job zu zerbrechen droht, von den zum Berufsalltag gehörenden Rückschlägen tief getroffen wird und krampfhaft versucht, die Widersprüche seines Jobs unter einen Hut zu bringen. In der dritten Episode geht er einen Kollegen an, der einen Tatverdächtigen misshandelt hat, weil er damit die Anklage in Gefahr gebracht hat: Man vergleiche das nur mit den sonstigen Fernseh- und Filmbullen, die stets gern für eine härtere Gangart plädieren. Und in Episode 2 bringt sich ein Undercover-Cop (Ed O’Neill) um, nachdem er sich für seine Regelüberschreitungen rechtfertigen musste: Wenn Crockett die traurige Nachricht mit steinernem Gesichtsausdruck entgegennimmt, erkennt man darin nicht bloß Mitgefühl, sondern vor allem schockierte Selbsterkenntnis. Es könnte ihm ganz ähnlich ergehen. Crockett ringt damit, die Kontrolle über sein Leben zu behalten.

Es ist wirklich erstaunlich, wie eng sich Michael Mann mit seiner Filmadaption von 2006 an all diese Themen gehalten, sie lediglich noch einmal konzentriert auf den Punkt gebracht hat. Das Unverständnis, das diese Verfilmung in weiten Teilen der Presse erntete, lässt darauf schließen, dass man die Serie einst gar nicht in ihrer Tiefe erfasst, sich tatsächlich an eher oberflächliche Reize geklammert hatte. Was aber auch verständlich ist, schließlich stach MIAMI VICE in dieser Hinsicht am deutlichsten aus dem doch eher staubigen Serien-Einerlei hervor. Formal gibt es wirklich viel zu entdecken, die Fotografie ist einzigartig, das Zusammenspiel von Bild und Soundtrack wegweisend – hinter den viel gerühmten modernen Serien braucht sich MIAMI VICE nicht zu verstecken. Im Gegenteil: Hinsichtlich atmosphärischer Dichte und Emotionalität kann sich da manche überhypte HBO-Show noch ein Scheibchen abschneiden. Ich bin gespannt, wie’s weitergeht.

 

 

MPW-54312Ein Film der vertanen Chancen: Die Grundidee, einen typischen, vor Selbsstbewusstsein überschäumenden Blaxploitationhelden nach dem Schluss eines faustischen Pakts gegen den Teufel (G. Tito Shaw) antreten zu lassen, ist eigentlich sehr komisch, vor allem weil sich dieser Held, Moores Komiker Petey Wheatstraw, von der Gegenwart des Leibhaftigen so rein gar nicht beeindruckt zeigt, aber PETEY WHEATSTRAW macht viel zu wenig aus seinem Potenzial. Der Film ist schon halb rum, bevor der Deibel zum ersten Mal auftritt, bis dahin schleppt er sich durch eine recht müde Gangster-Geschichte, die deutlich weniger einnimmt als Moores zuletzt besprochene Werke DOLEMITE, THE HUMAN TORNADO oder DISCO GODFATHER.

Moore und Roquemore machen vor allem den Fehler, sich an „echtem“ Humor zu versuchen, anstatt ihn bloß als natürliches Ergebnis der kruden Produktionsbedingungen entstehen zu lassen. Wenn zu Beginn gezeigt wird, wie der Titelheld geboren wird, ein tatteriger Arzt ihn als bereits ganz gut gewachsenen Zwölfjährigen als Nachgeburt einer Melone aus dem Leib der kreischenden Mutter holt, ist das sicherlich eine ganz putzige Idee, die aber dank der unbedarften Inszenierung und der mäßig begabten, hoffnungslos overactenden Schauspieler nahezu wirkungslos verpufft. Der Plot um einen Gangsterboss, der die Comedy-Club-Betreiber Leroy (Leroy Daniels) und Skillet (Ernest Mayhand) dazu zwingt, ihren Konkurrenten Petey Wheatstraw auszuschalten, ist auch nur mäßig aufregend und führt zu nix. Interessant wird es erst, wenn Moores Held nach seiner Exekution beim Teufel vorstellig wird und der ihm gegen eine Gefälligkeit die Rückkehr aufs Erdenrund verspricht: Er soll als Gegenleistung seine leider potthässliche Tochter heiraten und ihm einen Sohn schenken. Wheatstraw schlägt ein, aber er denkt natürlich im Traum nicht daran, eine Frau zu ehelichen, die so hässlich ist, dass „she could scare off a hungry bulldog from the top of a meat truck“. Den Zauberstab, dem ihm Lucifer mit auf den Weg gegeben hat, benutzt er aber, um sich gegen seine Widersacher zu behaupten und im Ghetto für Ordnung zu sorgen. In einer Szene hüpft er freudig in Zeitlupe durch die hood, nachdem er eine fette Frau in eine schlanke verwandelt haat, in einer anderen bürstet er einem Kleinkind, das er vor einem herannahenden Auto gerettet hat, mit einem Kamm grob den Afro, bis es bitterlich weint. Mir scheint, die Tränen waren nicht gespielt. Irgendwann meldet sich der Teufel zurück, um die Einhaltung des Deals einzufordern, aber Wheatstraw lässt sich nicht einschüchtern, sondern baldowert mit seinen Kumpels einen Plan aus, wie er den Teufel hereinlegen kann. Höhepunkt des Films ist eine ausgedehnte Keilerei gegen die Armee des Dunkelfürsten, jämmerliche Spargeltarzane mit Kot in der Fresse, angeklebten Papphörnern auf dem Kopf sowie albernen Capes und Strumpfhosen, angeführt von einem Teufel im James-Brown-Bodysuit. Da löst PETEY WHEATSTRAW endlich ein, was seine Prämisse versprochen hat, allerdings ist es das bereits zu spät. Als krachlederne Burleske und als einer jener Vertreter jener kuriosen Blaxploitation/Horror-Crossovers ist Moores Schauermär durchaus ganz interessant, aber zu einem guten Film macht ihn das leider nicht. Schade drum.

air mail (john ford, usa 1932)

Veröffentlicht: Januar 29, 2016 in Film
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air_mail_movie_1932Ein wunderbarer Film!

John Ford bleibt einem seiner Lieblingsthemen, den unbesungenen Heldentaten des Alltags, mit diesem Film über eine unverdrossene Crew von Postpiloten treu. Zusammen hocken sie in ihrem „Desert Airport“ genannten Hangar irgendwo im nirgendwo, trotzen in ihren zerbrechlichen Doppeldeckern Wind und Wetter, um den Menschen ihre Post zu bringen, müssen sich aber immer wieder den Naturgewalten beugen, meist mit tragischem Ausgang. Mike Miller (Ralph Bellamy) ist wegen starker Kurzsichtigkeit nur noch eingeschränkt einsatzfähig, kann seinen Kollegen, den es bei der Landung in starkem Nebel zerlegt und für den er nichts weiter tun kann, als seinen grausamen Flammentod mit einem Schuss aus der Dienstwaffe zu verkürzen, nicht ersetzen. Also wird ihm ein neuer Pilot zugeteilt, sein alter Rivale Duke Talbot (Pat O’Brien), ein selbstverliebter Draufgänger, der sich gleich an Irene (Lilian Bond) ranmacht, die unglücklich mit Mikes Kumpel Dizzy (Russell Hopton) verheiratet ist. Als auch Dizzy verunglückt und Duke nach eine Streit die Segel streicht, steigt Mike wieder in die Maschine. Es kommt, wie es kommen muss: Er stürzt über den Bergen ab, eine Rettung scheint ob des zerklüfteten Terrains unmöglich. Bis Duke von der misslichen Lage seines Kontrahenten erfährt …

John Fords Abenteuerfilm stimmt den heutigen Betrachter wunderbar nostalgisch: Kaum vorstellbar, dass man heute einen Film über das aufregende Leben eines DHL-Mannes drehen würde. Warum auch: Sein Leben muss der nicht riskieren und er trägt auch keine Waffe, um die Post der Bürger vor Strauchdieben zu bewachen. Damals war das anders, da bedurfte es noch echter Kerle und unverdrossener Draufgänger, um Weihnachtskarten von A nach B zu transportieren. Ein nur wenig glamouröser Job zwar, aber einer von unschätzbarer Bedeutung. Ford zeichnet die Postflieger als verschworenen Haufen, der unter schwierigen Bedingungen seinem gefährlichen Job nachgeht, ohne dass davon wirklich jemand Notiz nähme. Alle sind sie sich der Bedeutung ihrer Aufgabe bewusst, erfüllt von einem Pflichtbewsstsein, das an Selbstverleugnung grenzt. Bei Wetterverhältnissen, bei denen unsereins nicht einmal zu Fuß das Haus verließe, schwingen sie sich in ihrer Maschinen, wissend, das jeder Flug ihr letzter sein kann. Das Miteinander der unterschiedlichen Charaktere nimmt großen Raum ein: Da sind Mike, ein Typ von Schrot und Korn, aber auch ein väterlicher Freund und sanftmütiger Liebhaber, der gekränkte Dizzy, der seine untreue Irene damit bestraft, dass er sich nicht von ihr trennt, der gutmütige Mechaniker „Pop“ (David Landau) und der junge Tommy (Frank Albertson), der ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt. Ihr Zusammenleben im Hangar wird von Ford wieder einmal sehr spannungsreich und unter geschickter Ausnutzung des zur Verfügung stehenden Settings inszeniert. Und so sehr die Feindschaft zwischen Mike und Duke auch brodelt: Am Ende sind sie in unerschrockenem Draufgänger- und Heldentum vereint, darf der vom rechten Pfad Abgekommene seine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft feiern. Aufgelockert wird AIR MAIL durch bisweilen spektakuläre Flugszenen – etwa die halsbrecherische Durchquerung eines geöffneten Hangars mit einem Doppeldecker – sowie im Finale einige wunderschöne und herrlich naive Modelleffekte.

Der Fliegerfilm ist ja vollkommen aus der Mode geraten, nachdem der Erfolg von TOP GUN in den Achtzigerjahren eine kleine Renaissance eingeleitet hatte. Der letzte Versuch, Rob Cohens STEALTH, war ein krachender Flop gewesen. Es scheint schwierig, den Charme eines AIR MAIL in die heutige Zeit zu retten, wo Flugzeuge Supercomputer mit Flügeln sind und Piloten hochausgebildete Spezialisten, die die kernige Bodenständigkeit von Mike und seinen Kumpels, die sich vor einem schwierigen Start einen kräftigen Schluck aus dem Flachmann gönnen, vermutlich eher vermissen lassen. AIR MAIL ist einerseits ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, andererseits etabliert er narrative Konventionen, die noch heute Gültigkeit besitzen. Und das alles wird veredelt durch die einmalige Beobachtungsgabe von Ford, dem Kamera-As Karl Freund sein allsehendes Auge lieh.

disco_godfather_poster_01Erst im dritten Anlauf hat es geklappt, aber die Hartnäckigkeit hat sich gelohnt. DISCO GODFATHER ist Moores bis dahin absurdester Film. Er fängt schon reichlich bescheuert an, hyperventilisiert sich von da aus aber in ein wahres Delirium hinein. Moore ist Tucker, seines Zeichens Besitzer der Disco „Blueberry Hill“ und bekannt als „Disco Godfather“. Wenn er abends höchstselbst die Tanzfläche betritt, gekleidet in schillernde Polyester-Fantasieklamotten, rastet die Meute aus, obwohl er sich von allen Anwesenden am wenigsten bewegt. Danach nimmt er am Mischpult Platz, dreht geschäftig (und ohne jeden hörbaren Effekt) an den Reglern herum und quasselt gnadenlos über den funky sound drüber. Seine catchphrase „Put your weight on it!“, wiederholt er grundsätzlich viermal und ich weiß nicht, wie oft man sie im Film insgesamt zu hören bekommt. Seine Stimme ist toll, eine Mischung aus Tommy Piper und Fozzy Bär, sein Mund riesig und voller tassengroßer Zähne. Tucker war einst ein Cop, weshalb er auch sofort tätig wird, als sein Neffe Bucky (Julius Carry) nach einer Portion Angel Dust im „Blueberry Hill“ zusammenbricht. Tucker marschiert bei den Cops rein und kündigt an, dass er nun selber die Ermittlungen gegen die Dealer aufnehmen werde, und die Bullen freuen sich, dass sie jetzt endlich mal qualifizierte Hilfe bekommen. In der ständigen Lobpreisung seines Protagonisten erinnert DISCO GODFATHER etwas an die Seagal-Filme, in denen Nebenfiguren ja auch immer wieder blumig beschreiben, was für ein gefährlicher motherfucker der Held ist. Hier kommt das indessen nicht ganz so überzeugend, denn Moore ist als crimefighter eher Kreisklasse. Eigentlich überzeugt er tatsächlich nur mit dem Mundwerk, aber der Freude tut das keinen Abbruch, eher im Gegenteil.

In seinem Buch „Der Schmelzmann in der Leichenmühle“ hat Christian Kessler schon einige Pretiosen des Films beschrieben, zum Beispiel den finsteren Geschäftsmann Stinger Ray (Hawthorne James), der die Drogen verdealt und im bürgerlichen Leben ein Basketball-Team managt, das ausschließlich aus NBA-Rejects besteht, weil die besonders „hungrig“ seien. Streitbares Konzept, würde auch ich sagen. Super ist auch das Anforderungsprofil für die Aufnahme in Tuckers „Dance Squad“: „You have to get funky and get down.“ Ich bewerbe mich ja derzeit auch, aber diese Qualifikation wurde in noch keiner Stellenanzeige gefordert. Ich frage mich, ob eine Bewerbung aussichtsreich wäre, wenn man über nur eine von beiden Befähigungen verfügt? Ob es vielleicht nicht so schlimm ist, dass man nur „down“ kommt, aber nicht „funky“ ist, wenn man stattdessen etwa herausragende Kenntnisse in den gängigen Textverarbeitungsprogrammen besitzt? DISCO GODFATHER lässt das leider offen. Nicht offen lässt er allerdings, was er von Drogen hält. Mithilfe einer Journalistin und des Arztes Dr. Mathis (Jerry Jones) startet Tucker die Kampagne „Attack the Wack“, die auch sogleich ein Following von ca. 20 Menschen anzieht. Die Politikerin, die als Sprecher fungiert, bricht fast in Tränen aus ob dieses bahnbrechenden Engagements. (Super ist auch die ehemalige Abhängige, deren Erfahrungsbericht aus ca. zwei Sätzen besteht, die sich sehr adäquat mit „Drugs are bad, mkay?“ zusammenfassen lassen.) Angel Dust ist aber auch wirklich eine Pottsau: Zu Beginn wird Tucker von Mathis durch die entsprechende Krankenhausabteilung voller Kaputter geführt. Ein Typ liegt wie ein Embryo eingerollt am Boden, eine Frau klammert sich an einer Puppe fest. Sie habe ihrer Familie im Drogenrausch das eigene Baby zum Abendessen serviert. „Why? And HOW?“, fragt Tucker entsetzt, nur um anschließend über die genaue Ofenzubereitung aufgeklärt zu werden. No shit!

Im letzten Drittel hängt der DISCO GODFATHER kurz mal ein bisschen durch, aber es stellt sich heraus, dass er nur noch einmal die letzten Kräfte für das Finale mobilisiert hat, in dem Tucker den Stützpunkt der Dealer stürmt. Nach einem besonders hüftststeifen Karatekampf wird er überwältigt und bekommt selbst eine Dosis Angel Dust via Gasmaske ab. Es brechen alle Dämme: Gepeinigt von schlimmen Halluzinationen rast er durch die Katakomben und prügelt auf alles ein, was sich bewegt. Es gibt sogar ein paar hübsche Animationseffekte und der Film endet auf einer düsteren Note, nämlich mit einem vollkommen wahnsinnig gewordenen Tucker, dem nun selbst ein Leben in der Heilanstalt bevorsteht. DISCO GODFATHER ist wahrlich total stulle, aber das macht ihn auch so toll. Die Mucke ist ebenfalls großartig, was man von der Inszenierung allerdings eher nicht behaupten kann. Einmal wird eine Actionszene immer wieder von Freeze Frames unterbrochen, was nicht ganz den Effekt erzielt, den man aus den Filmen Sam Peckinpahs kennt. Und die Martial-Arts-Szenen sind einfach nur stümperhaft, selbst wenn Karatechamp Howard Jackson mitwirkt. Der Kamermann positioniert sich nämlich immer genau so, dass man ganz genau sieht, wie Jackson zehn Zentimeter danebentritt. Aber gut, darum geht es hier ja auch nicht. Es geht um die gute Laune und darum, dass das man kein Angel Dust nimmt. Die Herren Filmemacher wussten anscheinend, wovon sie sprechen.

die schwedin stirbt!

Veröffentlicht: Januar 27, 2016 in Film
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Nur noch bis zum 31. Januar läuft die Crowdfunding-Kampagne, die die Rettung des obskuren Sechzigerjahre-Films DER PERSER UND DIE SCHWEDIN zum Ziel hat. Der Film, von dem noch exakt eine bereits im unaufhaltsamen Verfall befindliche Kopie existiert, wird für die Nachwelt verloren sein, wenn nicht das Geld für die dringend erforderliche Digitalisierung zusammenkommt. Der Film des völlig unbekannten Iraners Akramzadeh hat bei diversen Vorführungen im Rahmen von kleineren Festivals in den letzten Jahren ein frenetisches Following um sich geschart, doch die bislang Bekehrten reichen nicht aus, um das Überleben des Films zu sichern.

Ich bitte euch, meine Leser, inständig, über eine Förderung nachzudenken, so ihr das noch nicht getan habt. Viele Freunde des unterschlagenen Films beklagen sich über die verfehlte Politik der Verleihe, alte Kopien zu vernichten, die zur Folge hat, das unser Filmerbe erodiert. Dies ist nun eure Möglichkeit, selbst einen aktiven Beitrag für eine vielfältige Filmkultur zu leisten. Unter www.rettet-die-schwedin.de findet ihr zahlreiche Links, Texte, Testimonials und einen Trailer, um euch einen Eindruck zu verschaffen.

Danke!

bonetoma1Der Versuch, den Western mit dem Horrorfilm zu kreuzen, ist in der Filmgeschichte einige Male unternommen worden. Mehr als ein paar kleine Kuriositäten sind dabei bislang aber leider nicht entstanden. BONE TOMAHAWK ist der jüngste Beitrag zu dieser Tradition und er hat gegenüber vorangegangenen Crossover-Bemühungen schon einmal den Vorzug einer exzellenten Besetzung. Kurt Russell spielt den grummeligen Sheriff Hunt, der mit seinem greisen Deputy Chicory (Richard Jenkins), dem Revolverheld Brooder (Matthew Fox) und dem durch eine Beinverletzung gehandicappten Arthur (Patrick Wilson), dessen Gattin Samantha (Lili Simmons) von einer Gruppe von kannibalistischen Höhlenmenschen entführt wurde, auf Rettungsmission geht. Nach einer beschwerlichen Reise dringen die Männer in das Jagdgebiet der Menschenfresser ein und werden von ihnen blutig erwischt. Ihre Hoffnungen ruhen auf Arthur, den sie nach einer Operation zurückgelassen hatten …

Debütant S. Craig Zahler setzt auf Ruhe und einen langsamen, geduldigen Spannungsaufbau. Nach einen Horrorfilm-typischen Auftakt, der einen Vorgeschmack auf den Schrecken liefert, der den Zuschauer am Ende des über zweistündigen Films erwartet (und David Arquette und Sid Haig als jämmerliche Strauchdiebe aufweist), führt er in aller Ruhe die Protagonisten ein und schickt sie dann auf ihre beschwerliche Reise. Mehr als vom Adrenalin, das die Jäger vor ihrer Schlacht aufpeitscht, von einer unerschütterlichen Kameradschaft, die auch größte Unterschiede zwischen ihnen überwindet, oder von der Aussicht auf männliche heroics wird BONE TOMAHAWK von einem fast greifbaren sense of dread bestimmt, von der nagenden Angst der Männer, die schon viel zu viel gesehen und erlebt haben, um sich noch in gutgelauntem Zweckoptimismus üben zu können. Ihre Reise, das wissen sie, wird für einige von ihnen eine Reise ohne Wiederkehr, echte Hoffnungen darauf, die Entführten überhaupt noch lebend aufzufinden, haben sie nicht, stattdessen wappnen sie sich insgeheim für ein Grauen, das ihre Vorstellungskraft noch übersteigen wird. BONE TOMAHAWK konzentriert sich sehr auf diese Reise, die fast mythologischen Charakter annimmt, an antike Sagen erinnert, in denen sich der Held geradewegs in die Hölle oder ins Totenreich begibt. Und es sind kleine Details, die die Charaktere zum Leben erwecken, mehr als wortreiche Dialoge oder schillernde Zwischenepisoden. Chicory fragt sich vor dem Einschlafen, wie es ihm wohl gelingt, in der Badewanne zu lesen, ohne dass das Buch nass wird. Brooder, ein kaltblütiger Killer, schläft immer etwas abseits vom Rest der Gruppe. Und Arthur durchläuft auf seinem langsam vor sich hin faulenden Bein eine ganz eigene Passionsgeschichte. Wenn die Männer im blutigen Showdown auf die vertierten Kannibalen treffen, löst sich die angespannte Atmosphäre des Films in einem Ausbruch blitzschneller Attacken und bestialischer Gewalt. Die Skalpierung und Halbierung eines bemitleidenswerten Opfers sticht hervor, das Herausschneiden eines mutierten Kehlkopfes mutet dagegen fast schon liebevoll an. Doch echte Befreiung verschafft auch dieses Finale nicht. Sekundenlang wird das Schwarzbild gehalten, bevor die Credits zu laufen beginnen, der letzte Krampf eines Films, der nur von Schmerzen handelt.

Wenn sich die Reaktionen auf BONE TOMAHAWK in Lobeshymnen und eher etwas enttäuschte Stimmen einteilen lassen, falle ich wohl genau dazwischen. Nachdem, was ich gelesen hatte, hatte ich einen stilistisch etwas eigenständigeren, vor allem altmodischeren Film erwartet, mehr Western als Splatter. Zahlers Film ist aber in erster Linie ein moderner Schocker und fügt sich gut ein in die in den letzten Jahren etwas ausgedünnte Riege ultrabrutaler, um Realismus bemühter Horrorfilme. Die Farben sind ausgeblichen und trist, die Stimmen werden kaum einmal erhoben, der Soundtrack wird wenn überhaupt sehr sparsam eingesetzt, verstummt meist ganz. Die Kamera ist eng dabei, wahrt trotzdem Distanz wie ein Kriegsberichterstatter, die Gewalt kommt schnell und heftig, Erklärungen gibt es ebensowenig wie ein lösendes Happy End. Ein sehenswerter Film durchaus, aber doch weit weg von der Neuerfindung des Rades. Der ultimative Western-Horror-Crossover lässt weiter auf sich warten.

daisiesDie Welt ist kaputt und „verdorben“, wie die beiden Teenagerinnen Marie (Ivana Karbanová) und Marie (Jitka Cerhová) finden, warum also nicht selbst „verdorben“ sein? Im Folgenden machen die beiden sich einen Spaß daraus, sich von älteren Herren in teure Restaurants ausführen zu lassen, nur um die voller Hoffnung auf sexuelle Erfüllung Angetretenen ohne Gegenleistung wieder nach Hause zu schicken. Männer werden hingehalten oder offen verspottet, Klofrauen beklaut, die Ordnung immer wieder bewusst gestört. Irgendwann wird aber auch das langweilig. Also schleichen sich die beiden Mädchen in einen vornehmen Bankettsaal, schlagen sich mit den aufgetafelten Leckereien in Abwesenheit der in Bälde eintreffenden Gäste den Bauch voll und veranstalten im Anschluss eine lustvolle Zerstörungsorgie. Die Strafe für solche sinnlose Aggression folgt auf dem Fuße …

„Diese Film ist all jenen gewidmet, deren einziger Anlass zur Empörung das Haar in ihrer Suppe ist“, fasst eine Texteinblendung am Ende die „Moral von der Geschicht'“ nur sehr unzureichend zusammen. Wer ist gemeint? Sind es die kommunistischen Sittenwächter, die sich von SEDMIKRÁSKY so bedroht fühlen sollten, dass der Film wenig später mit einem Verbot belegt wurde? Oder doch eher jene Menschen, die sich – wie die beiden Mädchen – in einem doch eher behüteten Leben nur über ein Übermaß an Langeweile beklagen und sich in eine bequeme, aber ziellose Pseudorebellion flüchten? Chytilová beantwortet diese Frage nicht, sympathisiert lange Zeit durchaus mit den beiden Protagonistinnen, die das Privileg der Jugend genießen, gewissermaßen noch unter „Welpenschutz“ stehen. Erst am Schluss überschreiten sie eine Grenze, an der die Regisseurin zurückbleibt. Die Orgie, die die Maries entfachen, scheint kaum weniger dekadent als das Bankett, dass da für die feinen Herrschaften errichtet wurde, ihre Zerstörungswut sinnlos, feige und billig. Der Zorn der beiden richtet sich eben nie nach oben, sondern immer nur gegen Ihresgleichen, nach unten oder gegen tote Gegenstände.

SEDMIKRÁSKY ist, das kann man ja überall lesen, in erster Linie ein audiovisueller Parforceritt voller wilder Inszenierungsideen und Effekte, ein collagenhafter Bilderreigen, der den Werdegang der beiden Mädchen in farbenfrohen oder auch monochromen Tableaus aufblättert. Chytilová inszeniert expressiv statt naturalistisch, setzt auf eine symbolhafte Bildsprache und Dialoge, die nicht zur bloßen Informationsübermittlung gedacht sind, sondern wie kleine Gedichte, Spiele oder auch Rätsel funktionieren. Trotzdem bleibt SEDMIKRÁSKY nachvollziehbar, verschließt seine Bedeutung nicht hermetisch hinter Dutzenden von Bild- und Tonschichten. Eigentlich scheint mir der Film sogar wesentlich klarer als ein gewöhnlicher Erzählfilm, was auch daran liegt, dass seine Protagonistinnen gar kein Blatt mehr vor den Mund nehmen, keine versteckten Motivationen verfolgen oder überhaupt so etwas wie ein verborgenes Innenleben haben. Sie sind vollkommen nach außen gekehrter Trieb und so ergießt sich dann auch jede ihrer Willensregungen geradewegs ins Bild. Ich bin noch etwas unentschlossen, wie ich den Film nun final bewerten soll. Er ist nicht ganz meine Tasse Tee, andererseits kann ich nach nunmehr zwei kurz hintereinander erfolgten Sichtungen auch nicht verhehlen, dass er etwas mit mir angestellt hat. Er ist schon sehr faszinierend und natürlich einfach aufregend schön anzuschauen. Die tschechische Sprache hatte es mir schon in VALERIE A TYDEN DIVU angetan und die beiden Maries sind ebenfalls entzückend. Die tschechische New Wave hat definitiv was, kitzelt sowohl den Verstand als auch südlichere Körperregionen, ist sinnlich, erotisch und intellektuell gleichermaßen. Da gibt es gewiss noch viel zu entdecken.

 

no-retreat-no-surrender-movie-poster-1986-1020247752Habe ich den jetzt wirklich zum ersten Mal gesehen? Ich glaube ja, aber verbürgen will ich mich nicht dafür. JCVDs Debüt als Schauspieler (er war vorher lediglich als Statist zu sehen gewesen) war auch der Auftakt für ein putziges Sequelphänomen, das sich in den USA und Deutschland über mehrere Reihen aufsplittete. Unter dem Originaltitel NO RETREAT, NO SURRENDER kam die Reihe zwischen 1986 und 1992 in den USA auf immerhin fünf Teile, die in Deutschland aber unter unterschiedlichsten, jede Verbindung vermissen lassenden Titeln herauskamen. KARATE TIGER, wie NO RETREAT, NO SURRENDER indessen bei uns hieß, zog selbst diverse Sequels nach sich, die wiederum nichts miteinander zu tun hatten und auf großzügigen Umbenennungen des deutschen Verleihs basierten. So hielten u. a. Teile aus den KICKBOXER- und BEST OF THE BEST-Serien Einzug in das KARATE TIGER-Franchise, für das in Deutschland 1998 erst mit Teil 10 Schluss war. Lediglich ein weiteres „echtes“ Originalsequel wurde einverleibt: NO RETREAT, NO SURRENDER 4 wurde zu KARATE TIGER 5. Wer Lust auf einen amtlichen Knoten im Hirn hat, kann sich ja mal der deutschen Wikipedia-Seite von KARATE TIGER widmen, die die bizarren Verschlingungen haarklein aufdröselt.

Hier soll es aber nun ausschließlich um das Original gehen, das schon erklärungsbedürftig genug ist. Corey Yuens Film verquickt auf engstem Raum jugendliches Außenseiterdrama und Coming-of-Age- sowie Karate-Trainings- und -Turnierfilm mit zahlreichen Tanz- und Klamaukeinlagen, dem klassischen Kung-Fu-Plot um konkurrierende Dojos und dem Motiv eines prominenten Mentors, der dem Protagonisten als geisterhafte Erscheinung den Weg weist. Der ca. 95 Minuten lange Film ist vollgestopft mit Subplots und Figuren, vereint zudem einander eher widerstrebende Elemente der Hongkong-Komödie und des typisch amerikanischen Teeniefilms. Der Humor ist reichlich debil und grell, und das Spiel der eh nicht gerade brillanten Akteure wirkt dadurch, dass sie Stoff umsetzen sollen, der eher auf das deutlich exaltiertere, burleske Spiel chinesischer Darsteller ausgerichtet ist, gleich doppelt so steif und unnatürlich. Aber diese Theatralik, die totale Übersteuerung aller Emotionen, die dem in den USA vorherrschenden Coolness-Paradigma so krass widerstrebt, macht auch den Reiz von NO RETREAT, NO SURRENDER aus. Abgesehen vom Erscheinen Bruce Lees als geisterhaftem Lehrer des Protagonisten und natürlich der Idee, dass ein Gangsterboss völlig unbedeutende Karateschulen in seine Gewalt bringen will, ist Corey Yuens Film eigentlich eher „realistisch“, aber durch die genannten Eigenheiten wirkt er selbst in seinen banalsten Szenen noch wie ein bizarres Märchen aus einer rätselhaften Paralleldimension.

Schon seltsam, dass ausgerechnet dieser Film zu einem solchen popkulturellen Phänomen heranreifte. Andererseits macht er ziemlich viel Spaß und das ist ja letztlich entscheidend. Nur als Actionfilm ist er jetzt nicht unbedingt der Bringer und dass die muscles from Brussels (hier noch mit ein bisschen Babyspeck) gegen diesen ätzenden Jammerlappen verlieren ist im Grunde genommen natürlich ein Skandal.

 

 

 

 

land-that-time-forgot-brit-quadDer Abschlussfilm eines erneut überaus gelungenen Wochenendes hinterließ beim Abgang genau jene leicht giftig anmutende Schärfe von in Würde gereiftem Stilton und diesen unverwechselbaren Geruch von Ammoniak, den man aus Unterführungen in Bahnhofsnähe kennt und der einem den Kopf ganz leicht macht, wenn man ihn nur tief genug in die Lunge gesogen hat. Irgendwas hat dieser 40 Jahre after the fact mehr als nur leicht angeranzte Monster- und Abenteuerschinken, das mich schon bei Erstsichtung für ihn eingenommen hat und sich auch gestern im Kino wieder beinahe erotisch bemerkbar machte, aber ich habe keine Ahnung, was es genau ist.

Ich vermute, es ist diese Aus-der-Zeit-Gefallenheit, die Verbindung der pulpigen Naivität alter Abenteuerschinken und Monsterfilme, die man eher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verortet, und dem unverkennbar staubigem Siebzigerjahre-Flair, der gleichzeitigen Ambitioniertheit, die dazugehört, wenn man eine Urzeitwelt auf der Leinwand entstehen lassen möchte, und der Bescheidenheit der effekttechnischen Mittel, die dafür zur Verfügung standen. Man kann THE LAND OF TIME FORGOT Liebe und Sorgfalt definitiv nicht absprechen, ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass er diesen Wundertütencharakter, den solche Filme im Idealfall besitzen, besser verkörpert als etliche objektiv betrachtet „bessere“ Filme. Es gibt einfach wahnsinnig viel zu gucken, Connor trifft exakt den Ton zwischen heiligem Ernst und kaum merklichem Augenzwinkern, die Künstlichkeit der Effekte betont noch die Fremdartigkeit der neu entdeckten Welt und den sense of wonder, der damit einhergeht, und die Patina, die er über die Jahrzehnte entwickelt hat, hilft bei der Immersion, anstatt ihr im Weg zu stehen. Man taucht tief ein in eine wundersame Paralleldimension, die der eine „Caprona“, der andere „Sonntagsmatinee im Bahnhofskino“ nennen mag.

THE LAND THAT TIME FORGOT bringt einen nicht um den Schlaf, aber er macht enorm Bock, Bock auf mehr solcher gnadenloser Timewaster mit schunkelbirnigen Gummimonstern, Matte Paintings, stumpfer Helden in Uniform, in der Badewanne sinkender Modellbötchen, bizarrer Urwaldpanoramen und grunzender Höhlenmenschen. Das einzige, was mir zum totalen Glück gefehlt hat, war eine Riesenkrake, aber soweit ich weiß, gibt es die ja in WARLORDS OF ATLANTIS. Ein Kandidat für die dritte Ausgabe von Mondo Bizarr im nächsten Jahr? Ich freue mich jetzt schon.

curucu_beast_of_amazon_poster_05Um über diesen Film überhaupt einen brauchbaren Text schreiben zu können, werde ich hier hemmungslos spoilern. Wer CURUCU, BEAST OF THE AMAZON noch sehen will und der Meinung ist, dass er dafür nichts über die Handlung wissen darf, sollte hier also aufhören zu lesen. Ich darf eine Empfehlung mit auf den Weg geben, allerdings sollte man besser keinen knalligen Monsterspaß erwarten …

Kurz zur Handlung: Im brasilianischen Amazonasgebiet laufen westlichen Industriellen die einheimischen Arbeiter davon, weil immer wieder Tote mit unerklärlichen Verletzungen aufgefunden werden. Sie glauben, dass ein Ungeheuer dahinter steckt (und wir wissen, dass sie Recht haben), doch die weißen Herrenmenschen, allen voran der heißblütig undiplomatische Rock Dean (John Broomfield), sind natürlich der Überzeugung, dass das Hirngespinste von unzivilisierten Primitivlingen sind. Es hilft alles nix: Um ihnen das zu beweisen, muss die Reise zu den Curucu-Fällen im Kopfjäger-Gebiet angetreten werden, wo das Monster angeblich beheimatet sein soll. Dean macht sich gemeinsam mit seinem Führer Tupanico (Tom Payne) und der eigensinnigen Ärztin Dr. Andrea Romar (Beverly Garland) auf den Weg.

CURUCU, BEAST OF THE AMAZON ist einer von nur knapp zwei Handvoll Filmen, die Siodmak, ein dafür umso fleißigerer Drehbuchautor, während seines langen Lebens inszenierte, und er wird damit zitiert, sich von den Dreharbeiten on location körperlich nie wirklich erholt zu haben. Gegenüber anderen Monsterschinken aus jener Zeit ist CURUCU nicht nur erheblich bunter, weil in knalligem Eastmancolor gedreht, sondern eben auch eine Ecke aufwändiger. Klar, hier und das wird das im Amazonas gedrehte Material mit stock footage gestreckt, aber weitestgehend fühlt sich Siodmaks Film eben echt an und nicht wie Kasperletheater in Pappkulissen. Ansonsten ist er aber geradezu archetypisch: Der Held ist ein ultrakerniger Mannmann, der in erster Linie aus Bartstoppeln und Muskeln besteht, Whiskey in den Adern hat und selbst beim ärztlichen Gesundheitscheck die Fluppe nicht aus dem Mund nimmt. Frauen gehören von Natur aus in seine starken Arme oder an den Herd, ganz gewiss aber müssen sie keine Karriere machen. Und tun sie das doch, so wie die selbstbewusste Ärztin, die der gute Rock geradezu reflexhaft angräbt, kaum dass sie sich in einem Raum mit ihm befindet, so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder bei Sinnen sind und sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren. Ach ja, und „Eingeborene“, sprich: alle Menschen, die außerhalb der Industrienationen leben, sind ein primitives Völkchen, das man mit der gleichen mitleidigen Herablassung behandelt wie Haustiere. Das Monster, ein gockelhafter Riesenvogel, den man ein paarmal kurz zu Gesicht bekommt, ist von nur minderem Interesse. Dass man es gleich am Anfang sieht, lässt den späteren Twist des Films schon erahnen: Es ist nämlich gar kein Tier, sondern Tupanico, der in ein Kostüm geschlüpft ist, um so den Vormarsch der Weißen in das Gebiet der Ureinwohner, deren Häuptling er ist, zu stoppen. Natürlich kann Rock Dean das nicht auf sich sitzen lassen.

Interessant an CURUCU ist, wie er sich vor den förmlich aufdrängenden Erkenntnissen verschließt, um ein typischer chauvinistisch-konservativer Film jener Zeit bleiben zu können. Die weibliche Protagonistin beginnt als selbstbestimmte, selbstbewusste Wissenschaftlerin, die sich deutlich Besseres vorstellen kann als ein Leben als Anhängsel eines dumpfen Macho-Arschs, nur um sich im Verlauf der Expedition – wahrlich eine Reise ins Herz der Finsternis – in ein jammerndes Weibchen zu verwandeln, das erst durch Aufgabe ihres Singlestatus eine „ganze“ Person werden kann. Rock Dean hingegen, ein Kotzbrocken vor dem Herrn, der jedem, der nicht seiner Meinung ist, sofort aufs Maul haut (ich glaube, er weiß gar nicht, was „Kommunikation“ ist), sich selbst für absolut unwiderstehlich hält und seine grenzenlose Borniertheit wie eine Auszeichnung vor sich her trägt, bleibt als Held unhinterfragt, einfach weil das eben die Konvention dieser Filme ist. Genau andersherum verhält es sich bei Tupanico: Seine antikolonialistisch-ökologische Position ist sofort und unmittelbar einsichtig, noch nicht einmal die beiden Helden können ihm Argumente entgegensetzen (OK, von Rock war das auch nicht unbedingt zu erwarten), trotzdem muss er den Schurkentod sterben, ohne dass sein Handeln auch nur den geringsten Nachhall finden würde. Die ganze, jeden vernunftbegabten Menschen schier wahnsinnig machende Weigerung, sich von guten Argumenten anstatt von vorformulierten Glaubenssätzen leiten zu lassen, die das Zusammenleben in komplexen Gesellschaften oft so qualvoll und schmerzhaft macht, verkörpert Siodmaks Film gewissermaßen in sich.

CURUCU, BEAST OF THE AMAZON war ein optimaler Einstieg in den letzten Tag des Wochenendes, auch wenn das Vergnügen durch einen mir gänzlich neuen Universal-Brauch milde getrübt wurde: Die Studios verfolgten wohl eine zeitlang den ätzenden Brauch, auf 4:3 gedrehte Filme „aufzublasen“, indem sie einen entsprechenden Ausschnitt vergrößerten. Das führte, wie bei der Kopie von CURUCU, nicht nur zu Unschärfen, sondern auch dazu, dass das Bild bei erheblichem Kopfraum unten massiv beschnitten war. Wieder was gelernt.