terza visione 3: cristiana monaca indemoniata (la vocazione) (sergio bergonzelli, italien 1972)

Veröffentlicht: April 5, 2016 in Film
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gpux6atvSex über den Wolken. Mit ihrem Lover Luca (Gerardo Rossi), einem wilden, ungezügelten Hippie, unterhält die schöne Cristiana (Toti Achilli) die Gäste eines Linienfluges. Die einen schauen gebannt und erregt zu, feuern das Pärchen an und zählen die Sekunden bis zum Orgasmus, eine Nonne betet ob solcher Sünden den Rosenkranz hoch und runter, ältere Damen wissen nicht, ob sie sich abwenden oder weiter hinucken sollen, die Stewardess informiert den Piloten, der mit seiner Besatzung heiß diskutiert, welches Recht denn nun gerade gelten möge. Ein Gewitter stürzt das Flugzeug unmittelbar nach dem vollzogenen Akt in heftige Turbulenzen und als der sichere Tod wie durch ein Wunder ausbleibt, da ist Cristiana ein neuer Mensch, der der Sünde entsagen und stattdessen ins Kloster gehen will. Aber dieses Vorhaben erweist sich für eine junge, lebenslustige Frau nur schwer umsetzbar, vor allem, wenn einem die lesbische Schwester Eleonora (Magda Konopka) jeden Wunsch von den feuchten Lippen abliest. Aber das ist nur der Anfang einer langen, rauschhaften bis leidvollen Geschichte  …

CRISTIANA MONACA INDEMONIATA war bei dieser Ausgabe des Terza Visione wahrscheinlich das größte Geschenk, das den Zuschauern gemacht wurde: Es sind nicht zuletzt solche unter großen, völlig ehrenamtlich geleisteten Anstrengungen geborgenen Schätze, die das Festival (und die von den gleichen Kuratoren, Christoph Draxtra und Andreas Beilharz, betreuten Hofbauer-Kongresse) zu solch wertvollen Veranstaltungen machen. Bergonzellis Film ist in Deutschland nie ausgewertet worden, eine DVD existiert bislang weltweit nicht und der im Netz kursierende Rip einer Videofassung – de facto die bis vor kurzem noch überhaupt einzige Möglichkeit, CRISTIANA MONACA INDEMONIATA zu Gesicht zu bekommen – ist höchst unbefriedigend, im falschen Bildformat, schrabbelig, farbarm, unansehnlich, dank fehlender Untertitel zudem unverständlich für alle, die des Italienischen nicht mächtig sind. Den wahren Enthusiasten, der das verborgene Potenzial noch hinter der heruntergekommensten Fassade erkennt, hält das natürlich nicht ab, es stachelt ihn erst an: Und so wurde schließlich mithilfe eines Sammlers eine nicht mehr für existent gehaltene italienische Kopie des Films aufgetrieben, in angeblich hervorragendem Zustand, und nach Erhalt mit zittrigen Fingern begutachtet. In Anbetracht der sich darbietenden beklagenswerten Form des begehrten Objekts – verrostete Filmdosen, unerträglicher Essiggestank, Beleg für den im fortgeschrittenen Stadium befindlichen, irreversiblen Verfallsprozess des Materials, Hunderte von schlecht geflickten Filmrissen und Verschmutzungen – hätten viele den Traum einer Aufführung wieder aufgegeben. Nicht so Christoph, der in langen Nächten rettete, was zu retten war und nebenher auch noch deutsche Untertitel erstellte, die dem sprachlichen Tohuwabohu, das Bergonzelli auf der Originaltonspur entwirft, noch halbwegs Rechung tragen sollten. Und so kam es zu dieser Premiere eines über 40 Jahre alten Films, an den sich selbst in seiner Heimat niemand mehr erinnern konnte und der eigentlich unrettbar verloren schien. CRISTIANA MONACA INDEMONIATA wurde dem Vergessen entrissen und erlebte eine Auferstehung, die in näherer Zukunft vielleicht sogar noch greifbare Früchte tragen wird.Es soll ja auch der ein oder andere Labelmacher zugegen gewesen sein …

Das Label „Nunsploitation“, das auch ich dem Film aufgedrückt habe, um ihn für den Leser besser einordnen zu können, wird dem frei flottierenden Fabulierwahn Bergonzellis nur sehr bedingt gerecht: Natürlich enthält der Film einige Elemente, die er mit anderen Titeln des Subgenres teilt, aber CRISTIANA MONACA INDEMONIATA ist insgesamt zu groß für schnöde Schubladen. Kern des Films ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, in der es ganz wesentlich um die Entdeckung der eigenen Sexualität geht und die natürlich vor dem Hintergrund eines erzkatholischen Landes eine stark klerus- und gesellschaftskritische Note bekommt. Aber Bergonzelli hat keinen spröden Thesenfilm gedreht, vielmehr einen psychedelischen Genremix, der sich um Konventionen nur insofern schert, als er sie wunderbar dekonstruieren kann. CRISTIANA MONACA INDEMONIATA ist Sex- und Drogenfilm, Komödie, Drama und Musical, er ist witzig, traurig, anrührend, niederschmetternd, albern, bizarr und teilweise völlig bescheuert. Er ist gleichermaßen wahrhaftig wie er exploitativ ist, er schlägt einen breiten Bogen und bleibt doch immer kompakt. Er ist orgiastisch und wild, verliert sein Ziel aber nie aus den Augen. Es ist ein Film seiner Zeit, geprägt von den großen Hoffnungen der Hippieära, von Weltfrieden und freier Liebe, aber auch schon vom Kater danach befallen. Es ist eine beschissene, verlogene, oberflächliche Welt, die Bergonzelli zeigt, und wahrscheinlich zerstört sie einen, aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, seinen Weg zu gehen, solange er noch nicht einplaniert ist und einem der eigene Körper noch gehorcht. Der liebe Gott kommt dann noch früh genug, um seine Ansprüche zu stellen.

 

Kommentare
  1. […] Oliver Nöding von Remember It For Later. Der nicht nur die Filme „Fango Bollente“, „Cristiana Monaca Indemoniata“, „Acid – Delirio dei Sensi“ und „Danza Macabra“ vorstellt, sondern in seiner […]

  2. […] bestaunen. Der Film, über den im letzten Jahr bereits mehrfach geschrieben wurde (siehe hier oder hier, oder auch in meinem Artikel zu La sposina), läuft im Rahmen des studentischen Symposiums […]

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