Archiv für Februar, 2017

lilliEpisode 38: Grau-roter Morgen (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Am Ufer der Isar wird die junge heroinabhängige Sibylle Laresser (Sabine Sinjen) tot aufgefunden – erschossen vom anderen Ufer aus. Die Ermittlungen führen Kommissar Keller zunächst in die Wohnung der Toten, die dort gemeinsam mit ihrer Mutter Hilde (Lilli Palmer) lebte. Diese hatte während der vergangenen 12 Monate verzweifelt versucht, ihre Tochter von den Drogen wegzubringen und dafür sogar ihren Ehemann (Hans Caninenberg) in Augsburg zurückgelassen …

Die Ermittlungsarbeit und überhaupt die Kriminalbeamten um Kommissar Keller treten in dieser fantastischen Episode deutlich in den Hintergrund. Mehr als um die Frage, wer Sibylle umgebracht hat, geht es um eine Mutter-Tochter-Beziehung und um die Frage, wie man die Liebe zu seinem Kind aufrechterhalten kann, wenn dieses sich für den Tod entschieden hat. Lilli Palmer liefert als liebe- und aufopferungsvolle, letztlich aber hilflose Mutter eine schauspielerische Tour de force, ohne jemals zu overacten oder auf die Tränendrüse zu drücken. Es lässt wohl nur den abgezocktesten Zuschauer kalt, wenn sie berichtet, wie sie ihrer Tochter den ersehnten Schuss setzte, weil diese einfach nicht mehr in der Lage war, ihre Venen zu treffen. Wenn sie von einem Dealer, dem sie auf dem Kneipenklo ein paar Ampullen Morphium abkauft, niedergeschlagen und ausgeraubt wird. Oder wenn sie ihre benommene Tochter nach stundenlanger verzweifelter Suche nachts zwischen lauter anderen Drogenabhängigen halb benommen im Monopteros-Tempel findet.

Reinecker kehrt mit seinem Drehbuch zum Stil von „Der Papierblumenmörder“ zurück, was bedeutet, dass es hier eher um den Blick auf das Innenleben einer seiner Figuren geht. Dort war es das um das Verständnis der Erwachsenen ringende Heimkind, hier die verzweifelt um das Leben ihrer Tochter kämpfende Mutter, die langsam aber sicher erkennen muss, dass es für ihr Kind keine Rettung gibt. Grädler inszeniert freilich nicht mit der kreativen Wildheit Brynychs, aber das muss er in diesem Fall auch nicht. Die Schmerzen der Mutter brauchen keine formale Verstärkung, es reicht, dass er seiner grandios aufspielenden Hauptfigur die Bühne bereitet. DER KOMMISSAR neigte in der Vergangenheit, wenn es um Drogen ging, zum altvorderlichen Spießertum, aber hier hält sich Keller mit seinen Vorverurteilungen dankenswerterweise zurück. Jedes Moralisieren ist fehl am Platze, wenn es um das Leid einer Mutter geht, die ihrem Kind beim Sterben auf Raten zusehen muss. Ein Meisterwerk deutscher Fernsehunterhaltung. Auch nach fast 50 Jahren noch.

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blumenEpisode 39: Als die Blumen Trauer trugen (Dietrich Haugk, Deutschland 1971)

Dr. Trotta (Paul Hoffmann) wird in seinem Haus erschossen. Auf seinem Plattenteller kreiste in den Wochen vor seinem Tod die Platte einer Münchener Beat-Combo (Heino Czechner, Klaus Wildbolz, Tommi Piper, Klaus Höring, Thomas Egg), deren Sängerin Jeanie (Silvia Lukan) selbst kurze Zeit zuvor nach einer missglückten Abtreibung ums Leben gekommen war …

„Als die Blumen Trauer trugen“ hat das Problem, ganz ähnlich aufgebaut zu sein wie die unmittelbar vorangegangene und emotional einfach niederschmetterndere Episode. Auch hier dringt der Zuschauer mittels Rückblenden tief in die Beziehung der männlichen Akteure zu der romantisch verklärten Sängerin ein, die von allen förmlich angebetet wurde. Die Identifizierung des Mörders ist eigentlich nebensächlich gegenüber dem Schmerz, den alle angesichts des Verlusts des „manic pixie dream girls“ spüren und der auch durch die Bestrafung des Täters nicht gelindert werden kann. Im Gedächtnis bleibt auf jeden Fall der Song, der da immer wieder erklingt, mit seiner fremdartigen, aber sofort einnehmenden Gesangsmelodie, in der sich Lebensfreude und eine tiefe Melancholie freundschaftlich die Hand reichen, auf eine Art und Weise, die der deutsche Schlager der frühen Siebzigerjahre perfektioniert hatte.

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Episode 40: Der Tod des Herrn Kurusch (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Herr Kurusch (Wolfgang Büttner) ist der bei allen Mietern verhasste Hausbesitzer, der jeden Monat persönlich die Miete einsammelt und sich trotz seines Reichtums nur eine bescheidene Wohnung gönnt. Der Student Ewald Lerche (Volkert Kraeft) fasst mit seiner Freundin Helga (Christiane Krüger) den Entschluss, den Mann in seiner Wohnung mit einem Hammer zu erschlagen und ihm das Geld abzunehmen. Vor Ort muss er aber feststellen, dass ihm jemand unmittelbar zuvor gekommen ist. Er lässt vor Schreck den Hammer fallen und flieht, wobei er von der Nichte des Toten, Annemarie Kurusch (Cornelia Froboess), gesehen wird. Er ist nun der Tatverdächtige Nummer eins und alle Indizien sprechen gegen ihn. Er ringt Keller die Möglichkeit ab, eigene Ermittlungen anzustellen …

Mit dieser Episode begibt sich Grädler zwar wieder auf vertrautes Krimiterrain, aber „Der Tod des Herrn Kurusch“ ist trotzdem toll, weil Reinecker einfach ein gutes Drehbuch geschrieben hat. Der Fall ist spannend, weil man sich gut mit der misslichen Lage, in der sich Lerche befindet, identifizieren kann. Die Sympathien fliegen ihm zu, obwohl er ja ein ziemlich jämmerlicher Typ ist: Keller hat durchaus Recht, ihm mit unverhohlener Verachtung zu begegnen. Dass Lerche „unschuldig“ ist, ist ja eher einem dummen Zufall geschuldet, als der charakterlichen Tadellosigkeit dieses Feiglings, der sich für ziemlich oberschlau hält, durch eine Verkettung dummer Fehler aber schließlich doch als Mordverdächtiger dasteht. Cornelia Froboess gibt wieder mal eine ihrer irgendwie unsympathisch-verknöcherten Besserwisserinnen, bei denen ich nie weiß, ob diese Figuren wirklich so sein sollen oder ob die Froboess einfach nicht anders kann.

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Episode 41: Kellner Windeck (Erik Ode, Deutschland 1971)

In einem Brunnen findet man den Kellner Windeck (Michael Verhoeven). Er wurde hinterrücks erwürgt und in den Brunnen gestoßen, irgendjemand hat ihm nach dem Tod noch die Schuhe ausgezogen und fein säuberlich auf den Boden gestellt. Bei den Ermittlungen finden Keller und seine Leute heraus, dass Windeck echten Schneid bei den Frauen hatte: Gleich mehrere vergießen ehrlich gemeinte Tränen um den sensiblen, zärtlichen Mann. Als Tatverdächtige kommen sofort drei Männer in Frage, die mit seinem Charme nicht mithalten konnten: sein Arbeitgeber Millinger (Claus Biederstaedt), der fiese Gruber (Hans Korte) und Erich Lorenz (Thomas Frey), der Sohn von Windecks Vermieterin (Angela Salloker) …

Die Episode ist nicht besonders aufregend, wirkt aber unvermindert aktuell, was ja nun eine irgendwie traurige Erkenntnis ist. Männer sind zu einem überwiegenden Teil Machoarschgeigen, die Frauen besitzen wollen, dann aber nichts mehr mit ihnen anzufangen wissen. Ein „Frauenversteher“ wie Windeck muss ihnen ein Dorn im Auge sein. Seiner vermeintlichen „Weichheit“ haben sie nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen, außer natürlich roher Gewalt.

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asylEpisode 42: Ein rätselhafter Mord (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Ein Student wird auf offener Straße erschossen, als er die Wohnung seiner Freundin (Donata Höffer) verlässt. Die Obduktion ergibt, dass der Schuss aus dem ersten Stock eines Mietshauses abgegeben worden sein muss. Zwei Männer kommen für den Mord in Frage: Der Waffensammler Wilfried Kaiser (Thomas Astan), dessen Vater (Herbert Fleischmann) mehrere türkische Gastarbeiter in einer Abstellkammer wohnen lässt, und der Student Heymann (Manfred Seipold), der bei der strengen Frau Bassmann (Maria Wimmer) zur Untermiete lebt …

Es sind eher kleinere Details, die hier interessant sind, vor allem natürlich die Zeichnung des morbiden Wilfried: Dessen Zimmer ist übersät mit Italowestern-Plakaten („Lasst uns töten, Compañeros!“) und auf dem Plattenteller kreist Morricones „C’era una volta il West“ mit deutschem Voice-over, was Kommissar Keller, den alten Spießer, dazu veranlasst, die Augen ganz fest zusammenzukneifen. Der Exkurs zum Thema illegale Gastarbeiter ist auch ein schönes Zeitzeugnis, während die Gelassenheit, mit der Keller und Co. das Geständnis der erwachsenen Frau Schöne (Eva Ingeborg Scholz) aufnehmen, ein Verhältnis mit dem 16-jährigen Nachbarsjungen zu unterhalten, eher verwundert. Die Auflösung hat Reinecker geradwegs aus der Schublade mit der Aufschrift „Küchenpychologie“ gezogen. Und der Soundtrack wird größtenteils von Creedence Clearwater Revival bestritten, was super ist. Alles in allem unterhaltsam, aber kein Meilenstein.

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traumEpisode 43: Traum eines Wahnsinnigen (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)

Bevor er aus der Nervenheilanstalt fliehen kann, bringt der Verrückte Kabisch noch zwei Menschen um. Gemeinsam mit seinem Arzt Dr. Hochstätter (Curd Jürgens) heften sich Keller und Co. an die Fersen des Mörders. Sie erwarten, dass er die Artistin Eva Raßner (Christine Kaufmann) aufsucht, die er einst umbringen wollte. Gemeinsam mit ihrem Gatten (Günter Stoll) weilt sie in München, weil dort gerade der Zirkus gastiert. Das Problem: Niemand weiß wie Kabisch aussieht, denn dessen Spezialität waren stets seine Maskierungs- und Schauspielkünste …

Hier wird ganz, ganz tief in die Exploitationkiste gegriffen und heraus kommt eine herrlich pulpige Episode, die zu allem Überfluss auch noch fantastisch besetzt ist. Curd Jürgens gibt erwartungsgemäß alles als Arzt, der bei der Behandlung eines kriminellen Masterminds die Grenze zum Wahnsinn höchstselbst überschritten hat. Seine mit unverhohlener Bewunderung für den Irren vorgetragenen Exegesen über dessen Philosophie sind eine echte Schau, entlocken dem nüchternen Keller mehr als nur ein befremdetes Augenrollen. Die Idee mit den Masken ist natürlich auch super, eine schöne Reminiszenz an die Gruselkrimis der Sechzigerjahre, deren Ausläufer zu Beginn der Siebzigerjahre ja immer noch in den Lichtspielhäusern der Nation zu bewundern waren. Man erkennt recht schnell, wer der Täter sein muss, weil Schnauz und Hasenzähne ein bisschen arg angeklebt aussehen, aber die Auflösung ist dann doch ganz hübsch. Horst Frank taucht gleich mehrfach auf und ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte ihn in allen seinen Verkleidungen erkannt. Geiler Pulp!

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Episode 44: Die Tote im Park (Wolfgang Staudte, Deutschland 1972)

Im Englischen Garten wird die Edelpostituierte Erika Halonde (Gaby Gasser) tot aufgefunden. Sie gehörte zum Zuhälter Rotter (Manfred Spies), der darüber erbost war, dass sie ein Verhältnis mit dem Nachtclub-Betreiber Dewanger (Siegfried Wischnewski) hatte. Bei den Ermittlungen bekommt Keller Unterstützung von Gerti Halonde (Heidelinde Weis), selbst eine Prostituierte, die zur Untermiete bei dem schwerkranken Erich Felz (Siegfried Lowitz) lebt. Als Gertis Vater (Martin Held) nach München kommt, hat sie ein Problem, denn er soll natürlich nicht erfahren, welchem Beruf sie nachgeht …

Eher mittelprächtige Folge, die aber von ihrer Milieudarstellung und dem gewohnt tollen Spiel von Heidelinde Weis profitiert. Die Szene, in der der fiese Rotter sie vor ihrem Vater als „Nutte“ bloßstellt und es plötzlich totenstill im zuvor noch pulsierenden Nachtclub wird, ist toll. Und Lowitz übt schon einmal für seine Rolle in der späteren DERRICK-Episode „Stiftungsfest“. Sonst fällt mir nichts ein.

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Episode 45: Schwester Ignatia (Dietrich Haugk, Deutschland 1972)

Die Ordensschwester Ignatia (Maria Becker) erkennt unter den jugendlichen Einbrechern, die nachts aus der Villa eines Millionärs fliehen, Jürgen Gebhardt (Volker Eckstein), in dessen Elternhaus sie zur Pflege seiner schwer kranken Mutter (Berta Drews) ein- und ausgeht. Sie schützt den Jungen, indem sie eine klare Aussage verweigert …

Mit „Schwester Ignatia“ vergeigt Reinecker erhebliches Potenzial: Die Tatsache, dass die Nonne einen Täter deckt, spielt für den Ermittlungserfolg eigentlich kaum eine Rolle, weil Keller und Partner auf ihren Hinweis kaum angewiesen sind. Der eigentliche Täter stellt sich schon ausreichend dumm an, aber wer will es ihm auch verdenken. Wieder einmal geht es hier um höchst fragwürdige Beziehungsspiele, bei denen ein verweichlichter Ehemann solange gute Miene zum bösen Spiel macht, bis die Wildsau mit ihm durchgeht. Passend dazu wird seine Ehefrau von der blonden Quasischwedin Ini Assmann gegeben, deren kurze Filmografie mit Titeln wie DER NÄCHSTE HERR, DIESELBE DAME, CARRERA – DAS GEHEIMNIS DER BLONDEN KATZE, PUDELNACKT IN OBERBAYERN, HUGO, DER WEIBERSCHRECK, BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER und SCHULMÄDCHEN-REPORT 6. TEIL: WAS ELTERN GERN VERTUSCHEN MÖCHTEN sehr aufschlussreich bestückt ist. Sie sagt in der ganzen Episode kein Wort, steigt ständig aus dem Pool oder klettert hinein und ist reichlich lazy als personifizierte Sünde gezeichnet.

Sein Ringelmann-Debüt gibt Volker Eckstein, hier mal nicht als blässlicher Softie, sondern als Halbstarker, der von der strengen Ignatia als Gegenleistung für ihr Schweigen auf den Pfad der Tugend geführt wird. Die Folge ist am besten, wenn sie sich der Zeichnung eines höchst banalen sozialen Elends widmet: Jürgens Mutter liegt schwitzend im Bett, ihrem Tod entgegenjammernd, der Vater ist ständig besoffen und völlig ohnmächtig, der Sohnemann will einfach nur weg. Nebenbei spielt Jan Hendriks noch einen arbeitslosen Vater, der ständig seine kleine Tochter verdrischt. Am Ende fällt Schwester Ignatia mit dem Fahrrad auf die Schnauze, als wolle Reinecker auch ihr noch einen mitgeben. Seltsam.

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Episode 46: Überlegungen eines Mörders (Dietrich Haugk, Deutschland 1972)

Auf Erika (Grit Böttcher), die junge Gattin des Unternehmers Hubert Taveller (Harry Meyen), wird ein Mordanschlag verübt. Die junge Frau hatte keinen besonders guten Stand in der Familie, wie Kommissar Keller schnell herausfindet. Sowohl Nora (Claudia Butenuth), Tavellers Tochter aus erster Ehe, als auch seine Ex-Gattin Irene (Nadja Tiller) halten wenig von ihr. Und dann ist da ja auch noch die Hausdienerin Franziska (Christiane Rücker), mit der der Hausherr ein Verhältnis hat …

Ja, nu. Die schöne Besetzung kann nicht ganz verhindern, dass ÜBERLEGUNGEN EINES MÖRDERS den Eindruck macht, als habe Reinecker sie zwischen zweitem Frühstück und Mittagsschläfchen geschrieben. Nicht schlecht, aber vergleichbare Fälle hat man zu diesem Zeitpunkt schon x-mal gesehen.

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schulmaedchenEpisode 47: Tod eines Schulmädchens (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Die Schülerin Kirsten Benda (Helga Anders) wird abends vor einer bekannten Spielhalle erschossen. Bei den Ermittlungen an ihrer Schule finden Keller uns seine Männer heraus, dass die Klassensprecherin bei Lehrern und Schulleitung (Wolfgang Preiss) höchst unbeliebt war: Sie galt ihnen als aufmüpfig, unmoralisch, ja sogar „böse“. Ihr Klassenlehrer Gebhardt (Heinz Bennent) wollte wegen ihr sogar den Beruf aufgeben. Nun, nach ihrem Tod, ist er aber plötzlich ganz anderer Meinung über sie …

Generationenkonflikt à la Reinecker: Schon die Jacke der Benda reicht aus, um den Stab über der Schülerin zu brechen. Wer sich so unweiblich anzieht, der muss mit dem Teufel im Bunde sein. Die Rückblendenstrategie ist hier besonders geschickt, weil ihre einzelnen Segmente den krassen Widerspruch zwischen den Aussagen der Erwachsenen über die ach so verkommene Kirsten und deren wirklichem Verhalten offenlegen. Man ist es schlicht und ergreifend nicht gewohnt, dass eine Jugendlich einen eigenen Willen zeigt, Antworten einfordert oder gar mit Argumenten überzeugt werden möchte, anstatt bloß willige Befehlsempfängerin zu sein. Es ist frappierend, dass niemand wirklich sagen kann, was sich dieser Satansbraten eigentlich hat zu Schulden kommen lassen: Aber auch, dass weder Keller noch seine Leute jemals wirklich danach fragen. Was Erwachsene über Jugendliche sagen, hat eben doch mehr Gewicht.

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tanzEpisode 48: Toter gesucht (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Der Ladenbesitzer Berneis (Bernrad Wicki) fängt Kommissar Keller eines Morgens aufgeregt ab. Er glaubt, sein Sohn Franz (Christopn Bantzer) habe einen Mord begangen, weil er am Vorabend mit einem blutverschmierten Hemd nach Hause gekommen sei. Keller glaubt dem Mann, zumal sich Indizien auf ein dunkles Geheimnis des Sohnes häufen. Nur eine Leiche fehlt …

Eine schöne, wenn auch nicht unbedingt spektakuläre Folge. Bernhard Wicki ist wunderbar mit seinem Rauschebart, dem Hut und dem ständigen Kippenrauchen, wie er seinen Nachbarn Keller da auf offener Straße abfängt, ihn zu einer konspirativen Sitzung in die kleine Küche hinter seinem Gemischtwaren holt und sich dann ständig selbst unterbricht, um sich zu vergewissern, dass sein inkriminierter Sohn nicht die Treppe herunterkommt. Der Kommissar ermittelt gewissermaßen auf eigene Faust, sehr zum Unverständnis seiner jüngeren Untergebenen, die angesichts des Mangels einer Leiche an seinem Verstand zu zweifeln beginnen. Aber Keller kann sich natürlich auf seine untrügliche Intuition verlassen, Er weiß, dass Franz Dreck am Stecken hat und weil ihm die Beweise fehlen, tut er das, was Oberinspektor Derrick später zur Kunstform erheben sollte: Er geht dem Täter mit seinen ständigen Überraschungsbesuchen gnadenlos auf die Nerven.

„Toter gesucht“ ist auch eine verhalten humorvolle Episode, weil sie Keller Gelegenheit gibt, den arroganten Schnösel gnadenlos abblitzen zu lassen. Und in einer ganz famosen Szene hört er sich mit wissendem Lächeln und in aller Seelenruhe die Beleidigungen des Morgenluft witternden Buben an. Es tut ein bisschen weh, weil sein Gegenüber auch ein ganz kleines bisschen Recht hat, wenn er Keller ein tristes Spießerleben vorwirft, aber der schluckt es runter, weil er genau weiß, wo das Großmaul in Bälde landen wird. Dann lässt er sich von dessen Freundin Anita (Eleonore Weisgerber) zu einem Tänzchen auffordern und was eigentlich als Demütigung gemeint ist, wird zum stillen Triumph des alten Mannes, der den Exkurs auf die Tanzfläche durchaus genießt.

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Episode 49: Ein Amoklauf (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)

Weißmann (Gerd Baltus) hat vor Jahren seinen Schwiegervater sowie seine beiden Kinder erschossen, als er herausfand, dass seine Gattin Hannelore (Krista Keller) ihn mit einem anderen Mann betrügt. Jetzt ist ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen und Keller und seine Assistenten wissen, wo er hin will: Zu seiner alten Wohnung, wo Hannelore mit besagtem Mann, ihrem neuen Gatten (Götz George) lebt. Während Harry mit dem behandelnden Psychiater (Charles Regnier) in einer Kneipe gegenüber der Wohnung wartet, beschützt Walter die verängstigten Eheleute – und erfährt, was Weißmann damals die Sicherungen durchbrennen ließ …

Eine Belagerungsfolge, die viel Spannung aus ihrer einfachen Konstellation bezieht, auch wenn man ahnt, dass es nicht zu einem weiteren Amoklauf kommen wird. Wie auch in späteren DERRICK-Folgen wird hier wieder ein sehr seltsames und verdrehtes Bild einer „Liebes“-Beziehung gezeichnet: Was ging nur in Reineckers Kopf vor? George interpretiert seinen Neumann ausnahmsweise mal nicht als selbstbewussten Supermacho, sondern im Gegenteil als ziemlich jämmerlichen Feigling, der angesichts des möglichen Todes auf alle vor dem Pfarrer geleisteten Eheschwüre pfeift und nur daran denkt, sein Gewissen zu beruhigen und sauber davonzukommen. Ein ekelhafter Typ. Seine Gattin hingegen entspricht eher dem Typus der gefühlskalten und verantwortungslosen Schlampe, die ihren Mann einst mit perfider Schadenfreude und ohne schlechtes Gewissen hinterging und bizarrerweise keinerlei Probleme damit hat, weiterhin in der Wohnung zu leben, in der ihre eigenen Kindern einen gewaltsamen Tod fanden. Walters Gesichtszüge entgleisen mehr als einmal, ob der Darbietung der beiden, der er da beiwohnen darf.

Baltus als Amokläufer ist natürlich eine strategische Besetzung: Man assoziiert ihn ja eigentlich eher mit biederen Waschlappen der Marke Versicherungsvertreter oder Buchhalter – siehe seine Rolle in der DERRICK-Jahrhundertfolge „Tod des Wucherers“ -, aber in der frühen KOMMISSAR-Episode „Ratten der Großstadt“ agierte er durchaus überzeugend als gemeiner Prolet. Davon ist hier nicht mehr viel zu sehen, und weil von ihm keine echte Bedrohung ausgehen mag, erwartet man eigentlich, dass sich seine Unschuld an dem vergangenen Massaker herausstellt. Die Überraschung, mit der „Ein Amoklauf“ schließt, ist anderer Natur. Und verfehlt ihre Wirkung durchaus nicht. Natürlich ist auch Regnier wieder mal super.

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fricke2Episode 50: Der Tennisplatz (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Ein Obdachloser (Bruno Hübner) wird erschossen in einem geparkten Auto aufgefunden, an seinen Schuhen klebt rote Asche, wie man sie auf Tennisplätzen findet. Eine Spur finden Keller und Co. in einem Obdachlosenheim, wo der Mann anhand eines Fotos als Hugo Bechthold identifiziert wird. Sein Zimmergenosse Biebach (Rudolf Platte) berichtet Keller von Brunos letztem Tag. Anhand dieser Schilderungen gelingt es dem Kommissar tatsächlich den Ort zu finden, an dem der Obdachlose sein Leben verloren hat: Ein besitzerloser Tennisplatz, in dessen Nähe die Villa der Familie Prewall steht. Alles deutet darauf hin, dass der junge Andreas Prewall (Peter Fricker) der Mörder ist …

Reinecker frönt in „Der Tennisplatz“ wieder einmal seinem Menschenhass oder genauer: seiner Verachtung für die Oberschicht, die sich über die Schwächeren erhebt und voller Arroganz auf sie hinabschaut, sich ihrer Überlegenheit ganz sicher, die sich jedoch einzig auf ihre materielle Affluenz gründet. Das Ende ist harter Tobak: Die „feinen Herrschaften“ steigern sich in ihrem sadistischen Spiel mit dem armen, ahnungslosen Kerl in einen wahren Rausch, wie wild gewordene Affen feuern sie ihn an und demütigen sie ihn, bis schließlich die tödlichen Schüsse fallen. Ein bisschen forciert wirkt das schon, vor allem Frickes Charakter zeigt keinen einzigen positiven oder auch nur milde sympathischen Zug. Dass er die ganze Zeit mit seinem wortkargen Freund Jürgen (Roger Fritz) rumhängt, suggeriert seine Homosexualität, auch wenn Reinecker nie wirklich explizit wird.

Er erdet diese Übersteigerung damit, dass er in der Zeichnung seiner Schauplätze sehr abstrakt bleibt: Die Kneipe, in der Hugo seinen letzten Kassler aß (der Wirt ist natürlich wieder einmal Dirk Dautzenberg), der Tennisplatz und die Villa der Prewalls fügen sich nie zu einem schlüssigen geografischen Gesamtbild, es sind Settings, die im luftleeren Raum schweben und die ganze Geschichte so in den Rang einer bitteren Parabel erheben, anstatt sie wirklich in Bezug zur konkreten Realität der BRD anno ’72 zu setzen. Gerade das hat mir super gefallen.

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fluchtEpisode 51: Fluchtwege (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)

Gabriele Bebra (Monica Bleibtreu) flieht aus einer Erziehunganstalt. Harald Steinhoff (Joachim Ansorge) gabelt sie auf, verliebt sich in sie und lässt sie im Gartenhaus auf dem Grundstück seines wohlhabenden Vaters (Carl Lange) wohnen. Einige Zeit später findet man Gabrieles Vater (Michael Toost), einen Säufer, tot in seiner Wohnung und Gabriele taucht kurze Zeit später wieder in ihrem Heim auf. Ist sie die Mörderin? Und welche Rolle spielt ihr Bruder Gerd (Martin Semmelrogge)?

Eine dramatische Episode, angesiedelt im Spannungsfeld zwischen tristem, prekärem Kleinbürgermilieu ohne Hoffnung, geprägt von Alkohol, häuslichem Missbrauch und Erziehungsheimen, und wohlhabendem Bürgertum, das zwar mit Wohlstand, aber ohne Empathie ausgestattet ist. Die Szenen im Heim, wo Gabriele nach ihrer freiwilligen Rückkehr zur Strafe für ihre Flucht in „Isolationshaft“ in den Keller gesperrt wird, sind nicht die einzigen, die an COOL HAND LUKE und vergleichbare Knastfilme erinnern. Reinecker trägt vielleicht etwas dick auf mit der Darstellung des Bebra’schen Familienalltags und Carl Lange auf der anderen Seite ist auch nicht gerade für Ambivalenz eingestellt worden, aber Monica Bleibtreu sorgt mit ihrer zurückhaltenden Darbietung für den nötigen Realismus. So wie sich Harald spontan in sie verliebt, als sie ihre Heimschuhe auszieht und wegwirft, geht das auch dem Zuschauer. Man könnte den Rest seiner Tage damit verbringen, ihr dabei zuzuschauen, wie sie tagsüber im Bett liegt und Zigaretten raucht.

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humorEpisode 52: Das Ende eines Humoristen (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Erwin Waldermann (Hanns Ernst Jäger) lebt in der Vergangenheit: Immer noch tritt er regelmäßig auf und erzählt seine 30 Jahre alten Witze, die aber nur noch das genügsamste Kneipenpublikum aus der Reserve zu locken vermögen, und träumt von den angeblich glorreichen Tagen, als er vor ausverkauften Sälen in den Kurorten Travemünde oder Baden-Baden tosenden Beifall erhielt. Als seine Tochter Ursula (Christiane Schröder) ermordet wird, die als seine Managerin fungierte, obwohl sie seine Witze furchtbar fand, bricht Waldermann zusammen …

Oh – mein – Gott. „Das Ende eines Humoristen“ muss eine der bittersten Serien- bzw. Filmerfahrungen sein, die ich machen durfte. Die Figur des jämmerlichen Kalauererzählers, der mit seiner pomadigen Darbietung wie ein Relikt aus längst vergessenen Zeiten anmutet, sich Abend für Abend selbst der Lächerlichkeit preisgibt, ohne zu merken, wie armselig seine Nummern sind, stürzt den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle. Man hat Mitleid mit ihm, auf der anderen Seite mag man ihm seinen Realitätsverlust nach einiger Zeit einfach nicht mehr nachsehen. Genau darum geht es auch: Wie kann man jemanden lieben, der einen so miserablen Sinn für Humor hat? Der einfach nicht einsehen will, dass das, was er tut, schlecht, ja unerträglich ist? Der Begeisterung und Teilnahme einfordert, obwohl man sich nur noch abwenden möchte? Reinecker und Grädler geben keine Antwort darauf, und sowohl Ursula wie auch Waldermanns Untermieter Sorge (Alfred Balthoff) müssen als Musterbeispiele christlicher Nächstenliebe gelten, wie sie diesem Verblendeten die Treue halten, sich immer und immer wieder seine grausamen Witzchen anhören. Keller und Co. verstehen es natürlich nicht, als Sorge einmal, als Waldhoff das Zimmer verlässt, die Fassade des fürsorglichen Freundes fallenlässt und seinem Ekel Luft verschafft: Er sei doch Waldermanns Freund? Der Zuschauer ist da schon einen Schritt weiter und weiß, wie es in Sorge aussehen muss.

Aber natürlich reißt einen die Auflösung doch von den Füßen. So sehr man Waldermann auch zurufen möchte, er solle endlich aufhören, so wenig wünscht man ihm dieses Schicksal. Am Ende der Episode ist von ihm nichts mehr übrig. Ich hingegen werde Waldermann nie mehr vergessen.

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drogenEpsiode 53: Mykonos (Jürgen Goslar, Deutschland 1972)

Charlotte (Maresa Hörbiger) und Robert (Bernd Herzsprung) sind mit Drogen im Kofferraum aus Mykonos nach München gekommen, um sich ein paar Tausend Mark für das Leben auf der griechischen Insel zu verdienen. Doch Robert wird bei dem Deal ermordet. Die Spur führt Keller und seine Assistenten in die Drogenszene, in der der Dealer Manni Geckow (Ullrich Haupt) in großem Stil die Fäden zieht …

DER KOMMISSAR geht MIAMI VICE! Naja, nicht ganz, aber ein paar Parallelen kann man durchaus ziehen. Zum Beispiel, wenn Harry im engen T-Shirt und Jeans undercover im „Nirwana“ auftaucht, Fragen stellt und eine heroinsüchtige 13-Jährige mitnimmt. Oder wenn Geckow in seiner Münchener Villa zwischen lauter gut aussehenden Frauen herumscharwenzelt und am Ende ein rauschendes Fest gibt. Unterschiede kann man aber auch festmachen: Während Drogen in der amerikanischen Hitserie längst im Mainstream angekommen sind, regiert hier doch überwiegend erst Ahnungslosigkeit und dann das blanke Entsetzen. Geckow gerät in großäugige Panik, als das Geheimnis seines Wohlstands ans Licht zu kommen droht, und seine Gäste können es kaum glauben, wo sie da reingeraten sind. Goslar bringt in seinem KOMMISSAR-Debüt durchaus etwas Amerikanisches mit ein, was zum Sujet gut passt. Das Finale ist fast schon Action.

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Episode 54: Blinde Spiele (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Gerhard Rauda (Robert Freitag) wird erschossen in einem Boot auf dem Starnberger See treibend aufgefunden. Bei den Ermittlungen findet Keller heraus, dass der verheiratete Mann regelmäßig andere Frauen in sein Bootshaus einlud; Affären, von denen seine Gattin (Anaid Iplicjian) nicht nur wusste, sie war sogar mit seiner Geliebten Erika Kerrut (Anna von Koczian) befreundet. Und jene machte wiederum aus ihrer Affäre mit Rauda vor ihrem Gatten (Hellmut Lange) kein Geheimnis, der sich zum Ausgleich mit dem Hausmädchen (Beatrice Norden) verlustierte. Nur die beiden Kinder (Pierre Franckh und Katharina Seyfert), die sahen das alles nicht so locker wie die Erwachsenen …

Zunächst mal erstaunt die Offenherzigkeit, mit der die Themen Polygamie und offene Beziehungen hier verhandelt werden. Aber natürlich geht es Reinecker nicht darum, alternative Lebenskonzepte zu propagieren, weshalb das ungehemmte Liebesglück auch geradwegs in die Katastrophe führen muss. Selbst wenn das Motiv nicht Eifersucht ist: Es ist unzweifelhaft, dass Reinecker meint, die Raudas und Kerruts haben mit dem Mord nur die Rechnung für ihr unmoralisches Handeln erhalten. Der schöne, utopische Schein zeigt aber vorher schon Risse: Ganz so cool, wie sie tun, sind die Kerruts mit den Affären des jeweiligen Partners dann doch nicht, irgendwann kommt es zum gepfefferten Streit vor den Kriminalbeamten, die sich das selbstzufriedene Grinsen nicht ganz verkneifen können. Keller möchte man für seine dämliche Borniertheit, mit der er die Lebens- und Liebeskonzepte der beiden Paare als größenwahnsinnig und fehlgeleitet bezeichnet, bloß weil er sich nichts anderes vorstellen kann, feste vors Schienbein treten oder ihm einen Cognac in seine ledrige Spießerfresse mit den Schweinsaugen schütten.

Aber letztlich ist es ja genau dieses beständige Schwanken zwischen bilderstürmerischer Modernität und graubrauner Piefigkeit, das an DER KOMMISSAR so fasziniert, weshalb „Blinde Spiele“ natürlich auch keine ärgerliche, sondern im Gegenteil eine supertolle Episode ist.

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Episode 55: Rudek (Charles Regnier, Deutschland 1973)

Der Geschäftsmann Doberg (Siegfried Lowitz) nimmt seinen Kollegen Rudek (Ernst Schröder) mit in das exklusive Bordell von Derrick (Sky Dumont). Dort fällt Rudek aus allen Wolken: Eine der beiden Prostituierten ist seine Tochter Ursula (Ilona Grübel). Außer sich verlässt er mit dem Mädchen die Wohnung und lässt Doberg und Heide (Hildegard Krekel) allein zurück. Am nächsten Morgen ist Derrick tot …

Reinecker nimmt mal wieder die spießbürgerliche Moral aufs Korn: Rudek nimmt zwar für sich in Anspruch, jederzeit in ein Bordell gehen und sich dort von jungen Mädchen verwöhnen lassen zu können, aber wenn es dann die eigene Tochter ist, die er da vorfindet, dann ist das natürlich doch nicht mehr so Ok. Lowitz gibt mal wieder einen seiner altväterlichen Lustmolche und haut den Kollegen im Verlauf der Episode ganz schön in die Pfanne, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Klaus Schwarzkopf spielt den drückebergerischen Nachbarn Hauffe, der sich laut Ehefrau (Edda Seipel) gern bei Derrick aufhielt. Die beste Szene ist das Zwiegespräch zwischen dem angespannten Rudel und seiner Tochter, bei der die Ehefrau und Mutter sorgenvoll hinter einer Glastür warten muss, nicht wissend, was eigentlich vorgefallen ist. Regniers Inszenierung ist dunkel, betont die schattenhafte Schwärze des Mietshauses und der Wohnung Derricks. Schön.

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unbenanntThose were the days. In die Videotheken ging man nicht so sehr, um die aus den Kinos bekannten Hits, sondern vor allem verlockende Geheimtipps wie diesen hier auszuleihen: geilen Scheiß, der auf den Coverhüllen mit markigen Sprüchen als „Superhit aus den USA“ „mit dem Weltstar Wings Hauser“ beworben wurde. Man ahnte damals schon, dass da eher der Wunsch der Vater des Gedanken war, ließ sich aber gern an der Nase herumführen und musste nach durchgefeierten 90 Minuten geplättet einräumen, dass dieser L.A. BOUNTY, ja doch, schon ziemlich fett ist und die Leute in den US of Ey sich kein X für ein U vormachen lassen, wenn es um geile Ballerfilme geht.

Spaß beiseite: L.A. BOUNTY ist einer jener Filme, die mit den großen Action-Blockbustern jener Tage budget- und effekttechnisch zu keiner Sekunde mithalten konnten, aber dann doch noch so professionell aussahen, dass man nur zu gern auf die frechen Sprüche der Werbung hereinfiel. Hätte ich ihn damals schon gesehen, wäre er gewiss ein Highlight meiner Jugend gewesen, heute reicht es immerhin noch zu nostalgisch verklärtem Genuss und der milden Trauer darüber, ihn nicht vor 25 Jahren in die Finger bekommen zu haben. Und man bekommt sofort Bock auf weitere Klopper mit dem B-Film-Eastwood Wings Hauser, der hier wieder mal groß aufspielt und den Film allein schon sehenswert macht.

Er gibt den größenwahnsinnigen, leicht psychopathisch veranlagten Drogenschmuggler Cavanaugh, der den ganzen Film über in einer mit Tarnnetzen verhängten Lagerhalle herumhängt, eine nackte Frau malt und darüber hinaus seine Lakaien in der Gegend herumkommandiert oder nach sadistisch langem Vorlauf exekutiert, wenn er nicht gerade philosophische Gespräche mit dem lieben Gott führt. Sein jüngster Coup ist die Entführung des Politikers Rhodes (Mike Hanley), seines Zeichens Anwärter auf den Posten des Bürgermeisters von L.A. Blöderweise ist seinen henchmen Rhodes‘ Gattin Kelly (Lenore Kasdorf) entkommen: Gerettet wurde sie von der Kopfgeldjägerin Ruger (Sybil Danning), die noch eine Rechnung mit Cavanaugh offen hat, denn der hatte einst ihren Partner erschossen …

Die Story zu L.A. BOUNTY hat sich Sybil Danning selbst ausgedacht – was immer das bei einem so archetypischen Stoff auch bedeuten mag – und ihre „Vision“ dann auch gleich als Produzent umgesetzt. Die Sexikone mit den markanten Wangenknochen ist in diesem Film ganz entgegen ihrer sonstigen Rollenprofile bis oben zugeknöpft, sieht mit ihrer platinblonden Mähne aus, als sei sie ohne Schirm in einen heftigen Wolkenbruch geraten, wohnt wie einst Kollege Martin Riggs in einem schäbigen Wohnwagen, wo sie schon morgens Fastfood in sich reinstopft, und lässt ihre Kollegen Stallone und Schwarzenegger mit ihrer wortkargen Darbietung als geschwätzige Labertaschen erscheinen. Laut Imdb spricht sie 31 Worte, mir schienen es sogar noch deutlich weniger zu sein, aber ich habe auch nicht mitgezählt. Sie macht nicht viel mehr, als mit großen Wummen ins Bild zu latschen (gern in coolen Gegenlichtaufnahmen) und diverse Bösewichter mit gezielten Salven in die ewigen Jagdgründe zu schicken, aber das bringt sie schon recht überzeugend. Dass die Effektleute mit soßigen Squibs nicht geizen und Stuntmen von den Schüssen regelrecht aus den Schuhen gerissen werden, trägt zum wuchtigen Eindruck des Films erheblich bei. Worth Keeter, der Dutzende kleiner Exploiter auf dem Kerbholz hat, ist gewiss kein unbesungener Action-Auteur, aber er weiß, worauf es ankommt, und versteht es, wenig nach viel aussehen zu lassen.

Der Schlüssel zum Erfolg ist aber, wie erwähnt, eindeutig Wings Hauser, der seine wahrscheinlich an drei Drehtagen abgerissene Rolle mit dem Drive eines Mannes versieht, für den es keine „kleinen“ Filme gibt. Mit Kettchenohring, geflochtenem Zopf im Nacken und selbstzufriedenem Grinsen feiert er sich hier ohne Unterlass selbst und wird zum eigentlichen Sympathieträger des Films. Ganz groß, wie er im Showdown durch seine Lagerhalle tänzelt, vor sich hin summt oder mit sich selbst Zwiegespräche führt, dabei immer dieses zahnreiche Haifischgrinsen im Gesicht, das auch etwas dezidiert Spitzbübisches hat. Man kann ihm einfach nicht böse sein, wenn er seinen glücklosen Angestellten in eine Holzkiste steigen, kleinlaut „Entschuldigung“ murmeln lässt und dann mit der Maschinenpistole ein paar Luftlöcher hineinballert. L.A. BOUNTY lässt es einem mal wieder wie Schuppen von den Augen fallen: Dass Hollywood es versäumt hat, diesen Mann konsequent zum Superschurken aufzubauen, ist eine der großen Unterlassungssünden der Achtzigerjahre. Andererseits: Wer hätte einem sonst das Herz in solchen Videothekenklassikern wie eben L.A. BOUNTY aufgehen lassen?

falleEpisode 091: Eine Falle für Derrick (Theodor Grädler, 1982)

Derrick ermittelt gegen dem Mörder Ludenke (Hans Georg Panczak), Sohn einer Münchener Unterweltgröße (Traugott Buhre). Ein anonymer Informant will ihm wichtige Hinweise geben und lockt Derrick in einen entlegenen Gasthof, wo der Oberinspektor jedoch vergeblich wartet. Am nächsten Morgen die Hiobsbotschaft: In der Nähe des Gasthofes wurde ein Fahrradfahrer totgefahren. Mit Derricks Wagen …

Derrick in Schwierigkeiten! Wer hätte das gedacht? Dass der obersouveräne Oberinspektor hier einmal selbst um seine Existenz bangen muss, ist ein schöner Bruch im Fluss der Serie, und geht nicht ohne Spuren an ihm vorbei. Wenn er dem Journalisten (Tommi Piper), der ihm gesteht, ihn immer für arrogant gehalten zu haben, entgegnet, er wisse, dass er auf manche Menschen so wirke, ist das auch ein Kommentar auf kritische Stimmen, die mit Tapperts Polizisten nie so richtig warm wurden. Dass mancher Derrick allzu gern einmal zittern sehen wollte, scheint Reinecker ganz genau zu wissen. Es ist geradezu eine Triebfeder der Episode. In Cornelia Froboess, die auch immer irgendwie unfreundlich und herablassend rüberkommt (spielt die das wirklich nur?), findet der Oberinspektor dann ja auch eine geradezu kongeniale Verbündete. In einem daumendick aufgetragenen Dialog schwingt sich Derrick anlässlich des mit äußerster Grausamkeit verübten Mordes, dem man ihm da in die Schuhe zu schieben gedenkt, zu der etwas absurden Aussage hoch, die Menschheit habe nichts begriffen, aber da ist dem Reinecker gewiss wieder nur der Theologe durchgegangen. Er macht es damit wett, in einer Discoszene „Girls on Film“ von Duran Duran laufen zu lassen.

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bennentEpisode 092: Nachts in einem fremden Haus (Helmuth Ashley, 1982)

Auf der Suche nach Hilfe bei einer Reifenpanne betritt das Ehepaar Stettner (Stefan Behrens und Susanne Beck) ein offen stehendes Haus, das vollkommen leer zu sein scheint – bis auf einen Toten. Als die beiden wenig später mit Derrick und Klein im Schlepptau dort auftauchen, ist die Leiche jedoch spurlos verschwunden und auch sonst deutet nichts auf ein Verbrechen hin. Das Haus gehört dem berühmten Chemiker Dr. Stoll (Heinz Bennent), der gerade dabei ist, sein Labor nach einer großen Entdeckung aufzulösen …

Heinz Bennent! Er ist ein Großereignis in dieser Folge, der er – durchaus ein Kunststück – einigen Humor abringt. Alles was er anfasse, verwandele sich in Gänseleberpastete sagt er einmal ohne jede falsche Bescheidenheit, ein andermal bezeichnet er sich als „As“. Und er hat sichtbar Spaß an dieser Rolle, die es ihm ermöglicht, so über die Stränge zu schlagen, ohne dabei jemals wirklich überzogen zu wirken. Sein Dr. Stoll ist so ein angeschwulter Exzentriker, der mit Derricks graubrauner Nüchternheit nur wenig anfangen kann. Seine Fassungslosigkeit, als Derrick den ihm angepriesenen Wein nur „sehr gut“ findet, ist alles. Mein Favorit ist aber seine Reaktion auf Derricks Feststellung, dass der verschwundene Tote spätestens dann wieder ein Thema werde, wenn man irgendwo festelle, dass ein Mensch fehle: So viel Logik hat er einfach nichts entgegenzusetzen, das muss er einfach anerkennen. Super!

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Episode 093: Die Fahrt nach Lindau (Alfred Vohrer, 1982)

Der „Finanzzauberer“ Martin Gericke (Klausjürgen Wussow) hat einen Geschäftstermin mit einigen ominösen Schweizer Partnern in Lindau und macht sich auf den Weg, obwohl er eine sehr konkrete Morddrohung erhalten hat. Es kommt wie es kommen muss: Er verunglückt auf der Fahrt und verbrennt im Wrack seines Wagens. Die Obduktion bringt die wahre Todesursache ans Licht: Er wurde am Steuer seines Fahrzeugs erschossen. Die Frage, die sich Derrick und Harry, aber auch Gerickes Gattin (Lotte Ledl) und sein Sohn (Ekkehardt Belle) zu stellen haben: Wer hatte ein Interesse am Tod des Mannes und warum? Was sie nicht ahnen: Gericke erfreut sich bester Gesundheit …

Eine Episode ohne echte Eigenschaften: Läuft gut rein, belastet nicht, ist gefällig, hinterlässt aber auch keine bleibenden Spuren. Klausjürgen Wussow ist wie immer eine Bank, diese jovialen Typen, hinter deren weltmännischem Gewinnerlächeln sich das vielzahnige Grinsen eines Wolfs verbirgt, der dann ganz unerwartet hervorbricht, spielt keiner mit derselben onkeligen Intensität wie er. Das heißt aber auch, dass „Die Fahrt nach Lindau“ in der Zeit, in der er von der Bildfläche verschwindet, Klasse vermissen lässt. Ekkehardt Belle hat eine Superstimme (die ihn zu einem vielbeschäftigten Synchronsprecher macht), aber die Kombination aus Milchbubigesicht und ausgewachsenem Dreidollarhaarschnitt törnt eher ab.

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derrickEpisode 094: Ein Fall für Harry (Zbynek Brynych, 1982)

Derrick fährt in Urlaub und überlässt die Arbeit seinem Kollegen. Der bekommt es gleich mit einem Mordfall zu tun: In das Haus des Restaurantbesitzers Heinrich Gruga (Karl Lieffen) wird eingebrochen. Sein Hausdiener versucht, die Einbrecher zu überwältigen und wird dabei erschlagen. Wenige Tage später hat Gruga schon Ersatz für ihn: Die wunderhübsche Herta (Irina Wanka), die jedoch keinerlei Erfahrung in dem Job hat. Harry vermutet, dass sie gegen ihren Willen für Gruga arbeitet …

Karl Lieffen lief(f)ert mal wieder Argumente für die These, dass Komiker die besseren Schurkendarsteller sind. Sein Gruga ist gleichermaßen abstoßend wie lächerlich und man merkt dem Darsteller an, welchen Spaß er daran hat, einen sadistischen Perversling zu spielen. Aber die Episode hat so ihre Probleme (Vorsicht, Spoiler ahead): Der Mord an Grugas Hausdiener wird gegenüber seinem Deal, sich sein Schweigen mit der wohl auch sexuellen Gefügigkeit von Herta, der Schwester der Einbrecher, zu erkaufen, bagatellisiert. Am Ende scheint die Ermordung des armen Teufels kaum mehr als ein Kavaliersdelikt zu sein, während Gruga den Freitod wählt, als herauskommt, wie er an sein neues Hausmädchen gekommen ist. Es gelingt weder Reinecker noch Brynych, das irgendwie plausibel zu machen, und die ganze Episode wirkt aus diesem Grunde fehlgeleitet und misslungen. Die arme, vom Schicksal gebeutelte Familie, die gegen alle Missstände zusammenhält, wird auf Kosten des Mordopfers heroisiert, für das sich keiner mehr so recht zu interessieren scheint. Das wirkt im Kontext einer Serie, die sonst keinen Zweifel daran lässt, dass es niemals eine Rechtfertigung für Mord geben kann, doppelt fahrlässig.

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Episode 095:  Das Alibi (Alfred Vohrer, 1982)

Harry greift auf dem Heimweg die in Tränen aufgelöste, geradezu hysterische Martina (Dietlinde Turban) auf und bringt sie nach Hause. Das Mädchen ist nicht in der Lage Auskunft über die Ursache ihrer Tränen zu geben und so lässt Harry sie zurück. Als er sich am nächsten Morgen nach ihrem Befinden erkundigen will, findet er sie tot auf: Selbstmord. Es stellt sich heraus, dass sie von ihrem Freund Ulrich (Karl-Heinz von Liebezeit) und seinen Kumpels Horst (Ekkehardt Belle) und Rudolf (Eckhard Heise) vergewaltigt wurde, was die Jungs, unterstützt von Ulrichs Vater, dem Anwalt Schumann (Lambert Hamel), jedoch abstreiten. Martinas Klassenkameradinnen sind empört, und als Ulrich wenig später tot ist, fällt der Verdacht auf sie. Doch ihre Lehrerin Frau Liebermann (Elfriede Kuzmany) verschafft ihnen ein Alibi …

Eine Rape-and-Revenge-Folge mit hübsch gialloesker Auflösung, die aber leider – wie mir scheint ein generelles Manko der Episoden aus dieser Phase – ein echtes eigenes Profil vermissen lässt. Es fehlt etwas der für dieses Thema nötige Exzess, und damit meine ich nicht unbedingt hinsichtlich der Gewaltdarstellung, sondern überhaupt den Willen, in Grenzbereiche vorzudringen. In den Siebzigerjahren zeichnete die DERRICK-Folgen oft so eine melodramatische Schmierigkeit aus, die auch aus biederen Standardplots noch das Abgründige herauskitzelte, hier bleibt alles an der Oberfläche, ohne echtes Gespür für das verborgene Störpotenzial. Nicht schlecht, aber angesichts des Themas doch eher underwhelming.

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hausmusikEpisode 096: Hausmusik (Alfred Weidenmann, 1982)

Der gutsituierte Berthold Dettmers (Sky Dumont) wird vor seinem Haus überfahren. Sein Vater Wilhelm (Wolfgang Reichmann) sowie die Geschwister Rudolf (Till Topf) und Anita (Ute Willing) sind erschüttert – die Mama (Doris Schade) sitzt in einem Sanatorium und wird verschont -, haben aber keine Idee, wer hinter der Tat stecken könnte. Erste Spuren führen zum kleinen Dealer Kober (Dirk Galuba), der rausrückt, wie Bethold zu seinem Reichtum kam: Der Mann verkaufte im großen Stil Drogen und macht dabei offensichtlich nicht einmal vor seiner eigenen Familie halt …

Als hätte er meine Kritik vernommen, inszeniert Weidenmann „Hausmusik“ so, als seien die Siebzigerjahre nie vorbeigegangen. Die ganze Folge ist graubraun und deprimierend, selbst das protzige Appartement Bertholds erinnert eher an den barocken Pomp, der im vorangegangenen Jahrzehnt angesagt war, als an zeitgenössische Entgleisungen und wenn das Dettmer’sche Familienidyll im Ideal der gemeinsamen Hausmusik kulminiert – ein Bild, das  in seiner fast surrealen Glücksseligkeit schonungslos zu demontieren so etwas wie das Ziel der Folge ist -, bedeutet das sehr wohl eine Rückkehr zu Themen, die in den vorvergangenen Episoden brach lagen. Das Ende ist bitter, auch weil man den Mörder gut verstehen kann.

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weisEpisode 097: Der Mann aus Kiel (Alfred Vohrer, 1982)

Nach mehreren Jahren Haft wird Karl Waginger (Edwin Marian) aus dem Gefängnis in Kiel entlassen. Er reist nach München, mietet sich in einer Pension ein und ruft Dora (Heidelinde Weis) an. Die Schauspielerin ist seine Ehefrau, was sie aber erfolgreich geheim gehalten und noch einmal geheiratet hat, nämlich den Geschäftsmann Korin (Peter Pasetti), der zwei erwachsene Kinder Ulrich (Hans-Jürgen Schatz) und Maria (Kristina Nel) mit in die Ehe gebracht hat. Waginger verspricht zu schweigen, wenn sie ihm einen Platz in ihrer Nähe sichert. Er wird flugs als Chauffeur eingestellt, doch schon an seinem ersten Arbeitstag wird Korin umgebracht …

Heidelinde Weis! Nicht nur, dass die Schauspielerin eine Augenweide ist, sie spielt auch noch exzellent. Das Mitleid mit Doras Situation weicht dann auch recht schnell dem Gefühl, dass da neben ihrer Bigamie noch einiges mehr faul ist. Vohrer tut gut daran, sich auf sie zu konzentrieren; Marian, bei dessen Waginger man nie so genau weiß, ob seine devote Freundlichkeit nicht doch nur ein Spiel ist, ist ein kongenialer Partner. „Der Mann aus Kiel“ ist eine der Episoden, die von der fiebrigen Nervosität ihrer Protagonisten leben, von der sich langsam einstellenden Gewissheit, dass sich hinter der makellosen Fassade finstere Abgründe auftun.

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Episode 098: Ein unheimliches Erlebnis (Theodor Grädler, 1982)

Bei einem Einbruch wird der Berufskriminelle Engler von seinen Partnern ermordet. Derrick kannte den Mann und fordert dessen Sohn Udo (Michael Wittenborn) auf, sich im Familienumfeld umzuhören. Stattdessen stellt der Student eigene Ermittlungen an, mit dem Hintergedanken, den Mörder seines Vaters zu töten. Den entscheidenden Hinweis auf die Identität liefern ihm Answald Hohner (Claus Biederstaedt) und Anita Schneider (Louise Martini), die die Täter auf frischer Tat ertappten und von ihnen gezwungen worden waren, den leblosen Körper wegzubringen.

Die Episode ist ein bisschen umständlich gescriptet, aber das macht den streng genommen nur mittelmäßig interessanten Fall auch wieder spannend. Der Titel bezieht sich auf die initiale Konfrontation von Hohner und Schneider mit dem Verbrechen, nach der die beiden jedoch recht schnell in den Hintergrund treten. Der Subplot bietet Biederstaedt immerhin die Gelegenheit, einen seiner jovialen Playboys zu spielen: Wie er die Schneider bei einem Betriebsfest aufgabelt, bei dem sie sich mit ihrem Mann verkracht hat und sie dazu überredet, ihm eines auszuwischen, indem sie sich von ihm mitnehmen lässt, nur um dann mit ihr ein Schäferstündchen im Auto anzupeilen, ist schon ziemlich geil. Anstatt ihm den Laufpass zu geben für diese Dreistigkeit, belohnt sie seinen Mut – oder hat das zumindest vor, denn dann kommen die Einbrecher dem Vollzug in die Quere. Man erwartet eigentlich, dass der Umstand, dass die beiden Verängstigten den Toten einfach irgendwo abladen für den weiteren Fall eine größere Rolle spielt oder der Umstand, dass sie bedroht werden, aber nichts davon tritt ein. Stattdessen gibt Agnes Fink als Frau des Toten eine tolle Darbietung als misstrauische Hüterin ihrer Brut, die ihre Kinder selbst auf die schiefe Bahn drängt. Die Übeltäter werden gespielt vom unvermeidlichen Dirk Dautzenberg, Siegur Fitzek und Edgar-Wallace-Veteran Dieter Eppler, was dem ganzen so einen schönen Malochercharme gibt. Keine Sensation, aber nett.

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genuaEpisode 099: Via Genua (Helmuth Ashley, 1983)

Der Geschäftsmann Lammers (Michael Degen) wird in einem Hotel erstochen, nachdem er zuvor mehrfach von anonymen Anrufern belästigt und einem Lieferwagen verfolgt worden war. Als seine Erben reisen bald der Grundschuldorflehrer Rudolf Lammers (Klaus Behrendt) und dessen Sohn Hans (Eckhard Heise) an, Lammers‘ Geschäftspartner Huber (Wolf Roth) kümmert sich um die beiden – offensichtlich mit Hintergedanken. Derrick und Klein finden heraus, dass Lammers im Hotel mit dem Reiseschriftsteller Lusenke (Siegfried Rauch) verabredet war. Die beiden vermuten, dass irgendwelche dubiosen Waffendeals hinter dem Mord stecken …

DERRICK goes Politthriller: Ins handliche Stundenformat gepresst geht es hier um die Millionengeschäfte, die deutsche Fabrikanten mit dem Elend in Dritte-Welt-Staaten machen. Nach den ganzen Privatschicksalen, mit denen sich der Oberinspektor sonst üblicherweise herumschlagen muss, ein willkommener Tapetenwechsel. Klar, im Grunde unterscheidet sich auch „Via Genua“ nur oberflächlich von den anderen Episoden: Der Titel ist ein Fake, von Genua gibt es hier rein gar nichts zu sehen, genauso wenig wie von dem Konflikt in Westafrika, von dem immer die Rede ist, oder auch nur von den Waffen, die da verschifft werden sollten. Als exotisches Zugeständnis muss die furchtbare Kapelle „Gammarock“ herhalten, Afrikaner mit gelben Sweatshirts, Synthiepercussion und langweiligen Scheißsongs, die in der Hotelbar für sedierte Stimmung sorgen, aber behandelt werden wie die Neuerfindung der Musik. Rauch lässt sich als Lusenke dazu herab, angesichts der Schunkelmucke von der Melancholie der afrikanischen Seele zu schwafeln und Harry findet die Combo auch dann noch Weltklasse, wenn der Bongospieler mitten im Song einfach mal weggeht – natürlich ohne, dass man das irgendwie hören würde. Ich finde gerade dieses Element super, weil da eine ernste Geschichte wieder mit diesem fernsehdeutschen Schmierfilm überzogen wird. „Gammarock“ sollten hier Authentizität reinbringen, stattdessen kommen sie wie eine rassistische Verunglimpfung rüber: Die Harrys dieser Welt fühlen sich schon ergriffen und weltoffen, wenn in ihrem Bonzenhotel ein paar Schwarze auf Bongos rumtrommeln. Eklig. Ansonsten sei hier noch vermerkt, dass Wolf Roth spitzenmäßig ist und Kurt Raab einen gruseligen Butler spielt.

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hausEpisode 100: Die Tote in der Isar (Alfred Weidenmann, 1983)

Eine Prostituierte (Christiane Krüger) wird in ihrer Wohnung erschossen, wenig später die junge Annemarie (Ulli Maier) tot aus der Isar geborgen. Dahinter steckt der fiese Zuhälter Kabeck (Horst Frank), der mithilfe von Ingo (Sven-Eric Bechtolf) immer neuen Zulauf für seinen Stall bekommt. Am Tatort läuft Derrick und Harry auch ständig der Zoologe Dissmann (Horst Buchholz) über den Weg, der Ehemann der Erschossenen. Was weiß er?

Was mich für diese Folge eingenommen hat: Die Establishing Shots des Appartement-Komplexes, in dem ein Großteil der Folge spielt, untermalt von Frank Duvals Synthiemusik. Bechtolf ist der Inbegriff des schmierigen Mädchenausnutzers und mithin idealbesetzt, Horst Frank muss mit goldenen Haaren, Knautschgesicht und roter Lederjacke eigentlich nur da sein, um einen perfekten Zuhälter abzuliefern. Highlight in dieser Hinsicht sicherlich die Szene, in der er Ingo im Bademantel die Tür aufmacht, nachdem die tränenüberströmte Annemarie im Foyer zusammengebrochen ist. Inszenatorisches Understatement, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

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Episode 101: Geheimnisse einer Nacht (Alfred Vohrer, 1983)

Der Unternehmer Vrings (Jürgen Goslar) schickt seinen Angestellten Sobach (Christian Wolff) nach Straßburg, um sich mit dessen Gattin Maria (Thekla Carola Wied) zu verlustieren. Sobach weiß das und sucht den Mann nachts auf, fest entschlossen, ihm umzubringen. Der Todesschuss fällt dann auch, aber erst nachdem Sobach das Haus von Vrings schon wieder verlassen hat. Nur will das niemand bezeugen. Derrick findet bei seinen Ermittlungen unter anderem heraus, dass Vrings‘ Ehefrau (Gila von Weitershausen) zuvor mit dessen Bruder (Heinz Bennent) liiert war.

Familienhorror à la DERRICK: Darauf kann man sich immer noch verlassen. Die Verhältnisse im Hause Vrings ziehen einem wirklich die Schuhe aus und lassen selbst dem obercoolen Ermittler die Gesichtszüge entgleisen. Wie so oft ist es gar nicht die Kaltschnäuzigkeit, mit der Menschen die Grundsätze des Zusammenlebens beugen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, sondern die Verdrängungsleistung, die die Opfer erbringen, um sich mit den Umständen zu arrangieren. Sie führt dann auch meist mittelfristig zur Katastrophe. Will sagen: Vrings ist ein egoistisches Dreckschwein, aber dass sein Bruder dessen Verrat einfach so hingenommen hat, hat durchaus etwas von Beihilfe. Ein typisches DERRICK-Element: die Ohnmacht der Opfer, die die Täter noch weiter bestärkt. Wobei man Vrings Bruder nicht wirklich als „Opfer“ bezeichnen möchte. Dass er es so einfach hinnimmt, dass der Bruder ihm die Frau weggenommen hat, hat auch etwas mit einer gewissen Gefühlskälte und Gleichgültigkeit zu tun. Richtig schockiert hat mich die einstige Mutter der Nation, Thekla Carola Wied: Wie sie ihren Ehemann ans Messer liefert, ist schon ein dicker Hund. Andererseits: Christian Wolff ist auch ein Langweiler vor dem Herrn.

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Episode 102: Der Täter schickte Blumen (Helmuth Ashley, 1983)

Auf Alexander Rudow (Peter Bongartz) wird ein Mordanschlag verübt, der leider einen Unschuldigen trifft. Wie Derrick erfährt, hatt Rudow vor, sich am selben Tag mit Vera Baruda (Ruth Leuwerik) zu verloben. Deren Schwiegervater (Ernst Fritz Fürbringer), der Neffe Udo (Jacques Breuer) sowie die befreundeten Herr Lenau (Hans Quest) und dessen Sohn Walter (Edwin Noel) sind nur wenig begeistert: Zu glatt, zu freundlich scheint ihnen dieser Rudow. Dann erfährt Derrick, dass der Gatte in spe ein vorbestrafter Heiratsschwindler ist: Doch Vera Baruda weiß bereits davon …

Melodramatische Folge, deren Krimipart wie zusätzlich aufgepfropft wirkt. Der Twist am Ende strapaziert die Glaubwürdigkeit zudem auf ungeahnte Weise. Ich mochte, wie Rudow am Ende einfach stehen gelassen wird, wie er von der Vergangenheit eingeholt und trotz bester Absichten bestraft wird. Die Folge ist traurig und stellt dem Menschen kein gutes Zeugnis aus, weder dem einen noch dem anderen.

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ahrensEpisode 103: Die kleine Ahrens (Günter Gräwert, 1983)

Der Geschichtslehrer Blomann (Hans Caninenberg) verbringt seine Abende neuerdings in einer Nachtbar, in der er mit den Amüsierdamen Champagner schlürft. Einer der anderen Gäste, der dubiose Molz (Peter Chatel), wird eines Tages erhängt in einem leerstehenden Fabrikgebäude aufgefunden. Er arbeitete für eine karitative Einrichtung, die Lebensmittelpakete nach Indien schickt. Was hat Blomann damit zu tun?

Die Episode greift Caninenbergs Selbstjustizler aus „Die Stunde der Mörder“ auf, führt den Zuschauer jedoch zunächst auf eine völlig falsche Fährte. Viele Aspekte bleiben lange Zeit nahezu unverständlich, ihre Bedeutung für die Geschichte rätselhaft. Leider misslingt es aber, die vermeintlich unverbundenen Elemente zusammenzuführen, ohne dabei in öde erklärende Dialoge zu verfallen. Das ist ein Manko, das in dieser Phase der Serie leider charakteristisch ist. Reineckers Drehbücher sind geradezu schmerzhaft unelegant und die Regisseure scheinen keinen Weg gefunden zu haben, sich von ihnen zu emanzipieren und dieses Manko irgendwie auszubügeln. Die Auflösungen und wie sie angebahnt werden, sind regelmäßig der Schwachpunkt. Alles kommt mit einem Quietschen, Krachen und Knirschen zum Stehen, stattdessen dürfen sich die Täter lang und breit erklären, was dank der mitgelieferten Rückblendenbilder völlig redundant wirkt. „Die kleine Ahrens“ hat viele gute Ansätze, aber es will einfach keine befriedigende Episode daraus werden.

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ent26Episode 071: Die Entscheidung (Theodor Grädler, 1980)

Im Schlafwagen eines Zuges wird ein Mann umgebracht. Es stellt sich heraus, dass er seinen Platz erst kurz zuvor mit einem anderen getauscht hatte, der Mordanschlag also vermutlich jenem galt. Bei diesem anderen Mann handelt es sich um Alf Hauff (Karl Heinz Vosgerau), der auf dem Weg nach München ist, um die Erbschaft seines verstorbenen Vaters anzutreten. Seine ganze Familie – Bruder Ulrich (Hannes Messemer), Schwägerin Henriette (Gisela Uhlen), Neffe Peter (Sky Dumont), Nichte Margot (Christiane Krüger) und Tante Ina (Brigitte Horney) – könnte hinter dem Mord stehen. Doch besonders Ulrich tut sich mit seinem höchst rätselhaften Verhalten als Verdächtiger hervor …

Eine der verstrahltesten DERRICK-Episoden überhaupt. Dabei fängt alles ganz harmlos und normal an. Wenn sich die Handlung dann aber der Familie Hauff und vor allem dem Bruder Ulrich zuwendet, wird alles sehr, sehr seltsam. Hannes Messemer interpretiert seine Figur als verzärtelten, realitätsfernen Träumer, der die Schwelle zum Wahnsinn schon mit einem Fuß überschritten hat. Er verliert sich in offenherzigen Monologen, mit denen er sich mehr als einmal selbst zu inkrimieren scheint, blickt mit tränennassen Augen ins Nichts oder lächelt beseelt, als habe er einen Engel gesehen. Messemers Spiel ist grandios: Er kultiviert hier eine Form des Overactings, die diesen rätselhaften Charakter nicht dem Zugriff entzieht, sondern ihn erst begreiflich macht. Wie er seine wahnsinnigen Monologe intoniert, seine Gesichtszüge binnen Sekunden von einem Extrem ins andere gleiten lässt, ist beeindruckend – und tatsächlich bewegend. Einmal ergeht sich Ulrich in einer genauen Rekapitulation des Tathergangs, die mit der fast konkret-poetischen Zeile „tatamm – Mord – tatamm – Mord …“ schließt, die Geräusche des Zugs imitierend (Derricks Blick angesichts dieses Wahnsinns ist alles). Dann wieder erklärt er feierlich, er wünschte sich, auch ermordet worden zu sein, weil das ein „besonderes Schicksal“ sei. Wieder ein anderes Mal fragt er Derrick, ob er etwas „spüre“, wenn er sein Haus betrete, und gesteht dann unter Tränen, dass er nie etwas gekonnt habe, während ihn seine Tante (Brigitte Horney), eine ehemalige Balltettänzerin, gekleidet in ein altes Kostüm, tröstet wie ein kleines Kind. Sky DuMont spielt Ulrichs Sohn als ständig blasiert dreinguckenden Schnösel und der Mörder stürzt am Schluss in die Nacht hinaus, die plötzlich von Suchscheinwerfern erleuchtet wird.

Der Horror der deutschen Familie und des Wohlstandsbürgertums wird hier mit einem Thema verquickt, das die Serie von nun an einige Zeit begleiten wird: Es geht in „Die Entscheidung“ um den Gegensatz von kaltem, rationalem Kalkül und einem schwelgerischen Gefühlsüberschwang, der von der Gesellschaft oft als „Wahnsinn“ diffamiert wird. Die Hauffs sehen im hilflosen Ulrich einen willkommenen Sündenbock, dem sie den Mordversuch in die Schuhe schieben können, übersehen dabei aber, dass dieser Mann einer solchen Tat völlig unfähig ist. Ihre Abgebrühtheit ist umso abstoßender, als sie den schwächsten in ihrer Mitte dazu auserkoren haben, für ihre Schweinereien geradezustehen.

Grädler, sicherlich nicht der inspirierteste DERRICK-Regisseur, sondern immer sehr abhängig von seinen Drehbüchern, macht hier alles richtig, konzentriert sich ganz auf die Charaktere und das Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Er gibt Messemer viel Raum, geht dicht an ihn ran, und lässt sich die Figuren immer wieder zu schönen Gruppenbildnissen positionieren, aus denen hervorgeht, wer hier das Sagen hat. Und Tappert? Der blüht in den Szenen mit Messemer geradezu auf, auch wenn das angesichts seiner wie gemeißelten Gesichtszüge nicht der passende Ausdruck ist. Derrick ist nicht der Typ, dem Emotionen entgleisen, aber er muss sich angesichts des Irrsinns, den Ulrich von sich gibt, schwerstens anstrengen. Ganz großes Fernsehen!

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aboEpisode 072: Der Tod sucht Abonnenten (Zbynek Brynych, 1980)

Eine Drogentote führt Derrick und Klein auf die Spur eines rücksichtslosen Dealers (Jacques Breuer). Zur gleichen Zeit versucht der Bruder der Toten (Manfred Zapatka), deren ebenfalls abhängige Freundin Marga (Verena Peter) durch kalten Entzug von den Drogen wegzubekommen …

Die Krimihandlung ist nichts so besonders aufregend oder gar einfallsreich. Derrick und Klein fragen sich durch und kommen relativ schnell zum schmierig-arroganten Schüler Kurt Weber (Jacques Breuer), der ein bisschen aussieht wie ein schlanker Glenn Danzig. Es gibt keinerlei Zweifel an seiner Täterschaft und auch Brynych interessiert sich nicht wirklich für die Ermittlungen. Aber die Szenen zwischen dem Bruder der Toten und der drogenabhängigen Marga sind megaintensiv – und irgendwie auch ziemlich drüber. Man weiß nicht genau, was man von den zärtlichen Gefühlen, die er für sie entwickelt, halten soll: Es wirkt ein bisschen wie eine Ersatzreaktion, als projiziere er seine Liebe für die tote Schwester auf diese junge Frau, als wolle er seine Schuldgefühle an ihr beruhigen. Aber Reinecker meint das wohl alles ganz ernst, jedenfalls deutet das Ende darauf hin. Wenn sie sich unter Entzugsschmerzen auf einer siffigen Matratze windet und er ihr einen leidenschaftlichen Kuss aufdrückt, ist das trotzdem nicht gerade das Bild einer gleichberechtigten Beziehung. Dazu spielt Frank Duvals hyperkitschige Musik, die in ihrem ungehemmten Sentimentalismus so gar nicht zu den unangenehmen Bildern passen mag.

Und Derrick selbst hat wieder einen ganz großen Moment, als er einen Klassenlehrer über Kurt befragt. Dessen Aussage, bei Kurt handele es sich um „eine starke Persönlichkeit“ schmettert der Beamte auf jene gelassen-bestimmte Art ab, die keiner so gut drauf hatte wie Tappert: „Nö, das ist er nicht.“

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Episode 073: Auf einem Gutshof (Theodor Grädler, 1980)

In einer stürmischen Nacht wird auf die Gutsbewohnerin Marlene Schulte (Ellen Schwiers) geschossen. Den Schützen hat sie genau erkannt: Es war ihr Ehemann, der vorbestrafte Richard (Horst Buchholz). Doch der schwört, es nicht gewesen zu sein …

Grädler etabliert für diese Folge eine Gothic-Horror-Atmosphäre, die mal wieder eine schöne Abwechslung darstellt. Wenn die stürmische Nacht mit ihren Verwerfungen vorbei ist, widmet er sich mit dem Verdächtigen Richard einem weiteren jener tragischen Verlierertypen in der langen DERRICK-Ahnengalerie. Dessen Verzweiflung angesichts der harten Anschuldigungen, gegen die es nun einmal einfach kein Argument gibt, wird umso greifbarer, als ihm mit Marlenes Bruder Eberhard (Rolf Becker) jemand gegenübergestellt wird, der ihn mit harscher, unnachgiebiger Verachtung straft. Es gibt ein paar schöne Szenen, die Derrick im Gespräch mit dem vermeintlichen Mörder zeigen, wie sie gemeinsam über den Gutshof schlendern. Die ganze Folge ist sehr erdig und feucht, man meint tatsächlich, den Duft von Land und Wald riechen zu können, von dem auch Richard spricht. Die Auflösung ist ein bisschen blödsinnig, passt aber wieder ganz gut zum altmodischen Ambiente und bietet darüber hinaus Gelegenheit für einen putzigen Make-up-Effekt, mit dem DERRICK auf den Spuren von MISSION: IMPOSSIBLE wandelt.

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Episode 074: Zeuge Yurowski (Alfred Vohrer, 1980)

In einer Firma wird eingebrochen, ein Wachmann erschossen. Der Angestellte Yurowski (Bernhard Wicki) ist zufällig anwesend und erkennt seine Sekretärin (Christiane Krüger) als einen der Täter. Sie beschwört ihn zu schweigen, da er sonst mit seinem Leben bezahlen werde. Der Mann ist total verängstigt und hält dicht – gegen den anwachsenden Druck, den sowohl Derrick als auch seine eigene Familie auf ihn ausüben, als klar wird, dass etwas an Yurowskis Geschichte nicht stimmen kann.

Eine der moralphilosophischen Folgen, die sich in dieser Phase häufen. Auch das Thema des eingeschüchterten Zeugen eines Gewaltverbrechens, der sich nicht traut, auszusagen, beschäftigt Reinecker zu Beginn der Achtzigerjahre öfter. „Zeuge Yurowski“ dreht sich dann auch, wie der Titel nahelegt, um den Familienvater, der abwägen muss zwischen dem Risiko, dem er seine Familie aussetzt, und dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden. Letzteres hat erwartungsgemäß keine Chance gegen die ganz existenziellen Ängste. Vohrer hat eine klassische „Schauspielerfolge“ inszeniert: Sie gehört Bernhard Wicki, der jetzt nicht gerade der erste ist, der mir eingefallen wäre, wenn es um eine ängstliche Vaterfigur geht. Vielleicht überzeugt er auch deshalb so.

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Episode 075: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Erik Ode, 1980)

Robert Renz (Siegfried Wischnewski) ist ein Schwein. Ein rücksichtsloser Erfolgsmensch, dem jedes Mittel recht ist. Kurz nach einer Galaveranstaltung, zu der er seine Geliebte (Franziska Bronnen) statt seiner Ehefrau (Anaid Iplicjian) mitgenommen hat, wird er erschossen. Der Verdacht fällt auf Renz‘ Sohn Erich (Nikolaus Büchel), der schwer unter der Knute seines Vaters zu leiden hatte …

Hier widmet sich Reinecker mal wieder der Auseinandersetzung von „verweichlichten“ Söhnen und ihren Vätern, echten Machertypen, die wissen, dass Empathie, Mitgefühl und Anstand Eigenschaften von Waschlappen sind. Siegfried Wischnewski ist natürlich idealbesetzt als egozentrischer Patriarch, der seiner Frau mit höchster Sachlichkeit mitteilt, dass er sie zum Galaempfang nicht „brauche“, weil er stattdessen seine Geliebte mitzunehmen gedenke. Die Episode krankt insgesamt etwas daran, dass der vom Vater gequälte Sohn, auf den danach der Verdacht fällt, tatsächlich eher unangenehm anmutet. Den Aussagen aller zufolge eben jener „Weichling“, den der Vater verachtete, markiert der just in dem Moment, in dem der Vater, gegen den er sich nie aufzulehnen traute, tot ist, den großen Macker. Man weiß trotzdem, dass er der Mörder nicht sein kann, allein schon, weil die Episode eben noch eine Überraschung braucht, aber das Geständnis des wahren Täters am Ende hinterlässt dann doch seine Spuren. Kein Klassiker, aber ein schöner Lückenfüller.

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prickerEpisode 076: Pricker (Alfred Vohrer, 1980)

Der Schwerverbrecher Hamann (Dirk Galuba) soll bei einem Gefangenentransport befreit werden. Doch dann ist er durch einen dummen Zufall gar nicht an Bord des Transporters. Seine Komplizen, die die beiden Wachmänner umbringen, finden in dem Wagen nur den kleinen Ganoven Pricker (Klaus Schwarzkopf) vor, dem aber die Flucht gelingt, bevor sie ihn ausschalten können. In einem kleinen Dorf findet er Unterschlupf bei der alleinstehenden Franziska Sailer (Ruth Drexel) und ihrer Tochter Hanni (Ute Willing). Er ahnt nicht, dass Hamanns Komplizen ein Interesse daran haben, ihn umzubringen …

Das ist mal was anderes, weil Derrick und Klein eher Nebenfiguren sind und die ganze Episode auch gut und gern ohne den Kriminalfall auskäme. Klaus Schwarzkopf ist wunderbar als geläuterter, kleiner Gauner, der in einem bayrischen Dorf die Zuwendung und Wärme findet, die ihm in seinem Leben versagt geblieben ist. Er akzeptiert es sogar, in seiner Kammer eingeschlossen zu werden, solange er weiß, dass seine „Wärter“ nett zu ihm sind. Eine Szene, bei der die drei einen Ausflug an einen kleinen See machen, ist wunderschön und von einer sonnigen Unbeschwertheit, die sonst nicht gerade die Kernkompetenenz von DERRICK ist. Ohne Bayern-Fachmann zu sein: Das ruppige, aber herzliche Miteinander von Mutter und Tochter machte auf mich einen sehr authentischen Eindruck: Hier wird nicht viel über Gefühle schwadroniert, sie sind da und man muss sich ihrer nicht mehr vergewissern.

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kerzeEpisode 077: Dem Mörder eine Kerze (Dietrich Haugk, 1980)

Der Besitzer eines Fotostudios wird erschossen. Eine vor dem Tod von ihm hingekritzelte Botschaft führt Derrick und Klein zu dem Schüler Albert Hess (Sven-Eric Bechtolf), der mit anderen häufiger für Werbeaufnahmen posierte. Auch seine Freundin Vera (Katja Bienert) gehörte zum Kreis der Fotomodelle. Als Derrick sie auf den Fotografen anspricht, erliegt die junge Frau einem Schreianfall …

Diese Episode dürfte in mehrerer Hinsicht „bedeutsam“ sein: Zum einen landete Frank Duval mit dem Titelsong, dem geradezu grotesk kitschigen „Angel of Mine“, einen Nummer-eins-Hit, zum anderen ist das natürlich auch die Folge, in der Stephan Derrick sich einen Porno mit Katja Bienert anschaut und dabei guckt, als habe er zum ersten Mal eine Erektion. Den Auftakt mit dem Priester, der mitten in der Nacht einem Mörder die Beichte abnehmen muss, hat sich Reinecker bei sich selbst geborgt, nämlich bei der KOMMISSAR-Episode „Tödlicher Irrtum“. Den Pfarrer spielt hier Horst Frank und natürlich erschwert das Beichtgeheimnis Derrick und Klein die Arbeit. Bis Reinecker zum Kasus Knaxus vordringt – der Tatsache, dass da eine Schülerin mit Drogen zur Mitwirkung in einem Porno gezwungen wurde – vergeht leider zu viel Zeit, um sich wirlich mit den ganz großen Schmierigkeiten auseinandersetzen zu können, aber ein paar unvergessliche Momente bleiben dann doch: Der Zusammenbruch des Porno-Opfers ist so einer (Katja Bienert spricht in der ganzen Folge kein Wort), Sascha Hehn als Schmierlappen in einer mit großformatigen Fotos von ihm selbst gepflasterten Wohnung ein weiterer, tja und dann eben Derrick im Pornokino. Wie dieses „Etablissement“ eingeführt wird, ist schon rührend: Veras Freund bringt die Kriminalbeamten dorthin, so als sei ein solches Kino etwas ganz Neues. (Die Poster im Foyer sind keine Hardcore-Plakate, sondern allesamt von Softsexfilmchen.) Und so guckt Derrick dann auch, als er die eigentlich sehr geschmackvollen Szenen auf der Leinwand betrachtet.

Der moralinsaure, mit Phrasen aus dem Bestseller „Kapitalismuskritik für Anfänger“ durchsetzte Vortrag, den der selbstgerechte Albert hält, ist ganz hartes Brot, voller einst schützender Zäune, die mittlerweile niedergerissen sind, und Bedürfnissen, die der grausame Markt eben deckt. Aber gut, wenn mir ein Pornoproduzent Katja Bienert weggenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich auch so drauf. Und eine Folge, die damit endet, dass Sascha Hehn abgeknallt wird, hat sowieso fast alles richtig gemacht.

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Episode 078: Eine Rechnung geht nicht auf (Helmuth Ashley, 1980)

Achim Moldau (Wolfgang Müller), ein arbeitsloser Schweißer, wird von seinem Freund Schenk (Tommy Piper) in die Bande von Recke (Arthur Brauss) eingeführt, der einen Bruch plant. Recke hat Bedenken gegenüber Moldau, hält ihn für „zu weich“, was sich bald bestätigen soll: Nach einem Saufgelage werden Moldau und Schenk in einen Autounfall verwickelt. Die Beifahrerin ist sofort tot, der Ehemann wird als unliebsamer Zeuge von Recke umgebracht, bevor Moldau ihn ins Krankenhaus bringen kann. Von Gewissensbissen gequält nimmt Moldau danach Kontakt zu den Hinterbliebenden der Toten auf, was den Verdacht Derricks sowie den Zorn Reckes weckt …

Lustig, in der Episode „Der L-Faktor“ war es Wolfgang Müllers armer Tropf, der von einer hilfsbereiten Person aufgesucht, mit Geldzuwendungen und Naturalien beschenkt wurde, hier revanchiert er sich für diesen Dienst, mit dem Unterschied, dass er einen Grund außerhalb purer Nächstenliebe dafür hat. „Eine Rechnung geht nicht auf“ ist eine sehr geschäftige Episode und einfach sehr unterhaltsam. Arthur Brauss ist immer gut, neben ihm überzeugt Tommy Piper mit weißer Lederjacke und debütieren Thomas Schücke und Michael Böttge in weiteren Ganovenrollen. Das Schicksal der Kinder der Opfer kann niemanden kaltlassen, zumal die Tatsache, dass die einzige Verwandte eine 70-jährige Oma (Alice Treff) ist, auch für die Zukunft keine allzu große Hoffnung macht. Vielleicht mit vier Sternen einen Hauch überbewertet, aber mir hat’s gefallen.

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Episode 079: Der Kanal (Helmuth Ashley, 1981)

Herbert Junker (Bernd Herzsprung) trifft sich mit seiner Geliebten Elisabeth Röder (Claudia Rieschel) regelmäßig in einem Gutshof vor München. Beide sind verheiratet, er mit Hannelore (Helga Anders), sie mit dem Krankenpfleger Jürgen (Volker Eckstein). Ein anonymer Anruf bringt Junker nicht aus der Ruhe, doch nach seinem Schäferstündchen lauert man ihm auf und bringt ihn um …

Wieder einmal eine Folge mit mörderischen Vätern. Hier sind es sogar zwei, die sich zusammentun, um die zerstörte „Familienehre“ zu retten. Volker Eckstein spielt erneut den verweichlichten Loser, der noch nicht einmal die Energie aufbringt, seiner fremdgehenden Ehefrau eine Szene zu machen. Dass sich die beiden Hintergangenen miteinander trösten, ist eigentlich eine schöne Idee, die Ashley aber in einer einzigen Einstellung abhandelt und die dadurch kaum weiter ins Gewicht fällt.

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abgrundEpisode 080: Am Abgrund (Helmuth Ashley, 1981)

Der Säufer Jakob Hesse (Klaus Behrendt) beobachtet den Mord an einer Prostituierten, wird wenig später bei der Leiche entdeckt und flieht. Derrick kann den Mann ausfindig machen, der jedoch behauptet, sich an nichts mehr erinnern zu können …

Klaus Behrendt gibt als Trinker eine jener Darbietungen ab, die einen fragen lässt, warum es für diese großartigen Charakterdarsteller damals eigentlich keine Spielfilmprojekte gab, in denen sie ihrem Können noch etwas mehr Raum hätten geben dürfen. Stattdessen bereicherten sie eine Fernsehserie wie DERRICK, die ich hier nicht mehr groß zu loben brauche, die aber eben doch nicht für Nachhaltigkeit, sondern eben zum müden Wegkonsumieren gemacht worden war. Perlen vor die Säue gewissermaßen. „Am Abgrund“ ist einer dieser Fälle, wo beim Besetzungspoker ein echtes Traumblatt rauskam: Neben Behrendt agieren Anton Diffring als Zuhälter Bandera, Thomas Schücke als dessen schmieriger Sohn, Lotte Ledl als freundliche Prostituierte, Georg Konrad als ihr Vermieter sowie Rainer Hunold und der unverwüstliche Dirk Dautzenberg als Kneipenwirte. Das reicht.

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Episode 081: Kein Garten Eden (Günter Gräwert, 1981)

Der junge Ingo Rolfs (Markus Boysen) sucht Derrick auf, um sich abzusichern, wie er sagt: Sein Stiefvater (Thomas Holtzmann) habe Drohbriefe erhalten, und er befürchte, dass der Verdacht auf ihn falle, sollten die Drohungen in die Tat umgesetzt werden. Als Klein mit dem jungen Mann nach Hause fährt, ist der Stiefvater tatsächlich tot …

Eine philosophische Episode, bei der es aber nicht so sehr um Fragen des Rechts und der Moral geht, sondern eher allgemeine Betrachtungen zur Conditio Humana im Mittelpunkt stehen. Es ist eine jener Geschichten, bei denen es allen Beteiligten gelingt, das Leben ihrer Mitmenschen im Streben nach dem eigenen Glück zur Hölle zu machen. Da sind der egoistische Sohn, der den Stiefvater nicht akzeptieren, die Mutter (Ellen Schwiers) aber auch nicht allein lassen will; eben jene Mutter, die dem Treiben des Sohnes keinen Riegel vorschieben kann; besagter Stiefvater, der sich nun bei der Nachbarin (Rita Russek) holt, was er braucht, während deren Ehemann (Michael Degen) den Verständnisvollen, Toleranten mimt, insgeheim aber Rachegelüste züchtet. Zum Schluss darf Derrick gegenüber dem schülerhaften Harry kurz resümieren, was der Zuschauer eben gelernt hat. Dieser pädagogische Zug dringt in dieser Phase immer mehr nach vorn und äußert sich in wortreichen Vorträgen über den Zustand der Welt, etwas was sich Reinecker bis dahin eigentlich immer halbwegs verkniffen hatte. Streng genommen natürlich etwas nervig und immer sehr on the nose, gleichzeitig wird dieser moritatenhafte Charakter der Serie, in der Deutschland sich gespiegelt sehen darf, noch unterstrichen.

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alteEpisode 082: Eine ganz alte Geschichte (Zbynek Brynych, 1981)

Arne Reuter (Mathieu Carriére) kommt mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu Derrick: Sein Onkel sei 1946 beim illegalen Grenzübertritt nach Westdeutschland von seinem damaligen Begleiter Alfred Answald (Herbert Fleischmann) umgebracht und um die mitgeführten Brillanten erleichtert worden. Mit eiskaltem Kalkül drängt Reuter den Familienvater systematisch in die Enge …

Es philosophiert weiter, diesmal vor dem Hintergrund deutscher Erbschuld. Das zurückliegende Verbrechen, um das es in „Eine ganz alte Geschichte“ geht, hat zwar nicht direkt etwas mit dem dritten Reich zu tun, aber die Assoziation ist trotzdem klar: Zu Zeiten des Krieges hat sich die Vatergeneration die Hände mit Blut befleckt und den Wohlstand mitunter auf dem Unglück anderer aufgebaut. Nun sitzt man da in seinen prachtvollen, geschmackvoll eingerichteten Häusern, vor der Eichenschrankwand mit der in Leder gebundenen Goethe-Gesamtausgabe und der Beethoven-Büste, lässt die Tochter Geige spielen und freut sich darüber, wie unfassbar gut man es doch eigentlich hat. Und dann kommt da so ein selbstgerechter Schnösel wie dieser Arne Reuter daher und rotzt allen kräftig in die Consommé.

Mathieu Carrière, der ja bei den öffentlichen Auftritten, die ich von ihm gesehen habe, den Eindruck erweckte, immer nur sich selbst gespielt zu haben, ist natürlich die Idealbesetzung für dieses berechnende Arschloch, das eine blitzende Schadenfreude dabei entwickelt, einen Mann nur aus Prinzip in die Ecke zu drängen. Er hat gewiss nicht ganz Unrecht und man muss seinem Kontrahenten vorwerfen, es sich damals etwas leicht gemacht zu haben, aber seine Form von Vergangenheitsbewältigung hat dann doch mehr mit blindem Revanchismus als mit Gerechtigkeitssinn zu tun. Reuter ist einer jener Vernunftmenschen, die sich gnadenlos verrannt haben in ihren Überlegungen und jedes Herz vermissen lassen. Da kommt er wieder zum Vorschein, der Diskurs über das Gegensatzpaar Emotion und Ratio. Derrick weiß natürlich, dass die beiden zusammengehören, das eine ohne Moderation durch das andere zur Perversion seiner selbst verkommt, aber er kann Reuter in seinem Tun nicht bremsen, zu perfekt ist der Plan, den der einer Lawine gleich losgetreten hat.

Brynych hat die Zügel dazu fest in der Hand und selbst wenn er sie entgleiten lässt, wie in der Szene, in der die spannungsgeladenen, aber hoffnungslos einseitigen Diskussionen zwischen Reuter und Answald vom nervtötenden Gegeige der grienenden Tochter durchschnitten werden, ist das noch on point.

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Episode 083: Die Schwester (Helmuth Ashley, 1981)

Bei der Verfolgungsjagd auf drei Einbrecher erschießt Harry einen der Flüchtigen. Einen zweiten verliert er in einem Wohnhaus, wo er von der Bewohnerin Doris Menke (Jutta Speidel) verarztet wird. Der aufgelöste Harry sucht in den nächsten Tagen weiteren Kontakt zu der Frau. Was er nicht weiß: Sie ist die Schwester des Erschossenen …

Es menschelt mal wieder. Zum allerersten Mal wird mal eine der beiden Hautfiguren von einem Schicksalsschlag getroffen und Harry ist natürlich prädestiniert dazu, seine weiche Seite zu zeigen. Der Versuch, ihm eine Liebschaft anzudichten, den auch die folgende Episode unternimmt, wird aber irgendwie nicht mit voller Überzeugung umgesetzt. Auch die Bedrohung, in die er sich da eigentlich begibt, manifestiert sich nie, weil ihn sein Love Interest dann wohl doch zu nett findet, um ihn an die Mörder zu verraten. Insgesamt also eher mau.

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Episode 084: Tod eines Italieners (Helmuth Ashley, 1981)

Der Besitzer von Harrys neuem italienischen Restaurant wird von der Schutzgeldmafia totgeschlagen. Seine Gattin, die Deutsche Anna Forlani (Karin Baal) ist verängstigt und weigert sich, eine Aussage zu machen, auch auf Flehen ihrer Schwester Ursula (Gerlinde Döberl) …

Zum Abspann wird zum ersten Mal die Schrifttafel eingeblendet, auf der verlautbart wird, dass jede Ähnlichkeit der Figuren zu realen Personen rein zufällig sei: Wahrscheinlich eher ein Mittel der Authentifizierung des Gezeigten als juristisch notwendige Sicherheitsvorkehrung, denn auch während der Folge wird immer wieder angedeutet, dass dieses italienischen Schutzgelddings ja jetzt seit neuestem auch in Deutschland Fuß fasse. Richtig schockiert zeigt sich Derrick davon aber noch nicht, und so lässt er sich einmal zu der apodiktischen Aussage hinreißen, dass es organisiertes Verbrechen in Deutschland nicht gebe, basta! Losgetreten wird der Fall von Harrys Avancen gegenüber einer schönen Bedienung: Die mehr oder weniger private Verbandelung der Polizeibeamten in ihre Fälle ist ein jetzt immer häufiger vorkommendes erzählerisches Mittel. Guter Durchschnitt, nichts, um übermäßig in Begeisterung zu geraten, aber auch kein Reinfall.

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dicoEpisode 085: Das sechste Streichholz (Alfred Vohrer, 1981)

Henry Janson (Thomas Piper), der Besitzer einer Diskothek wird von dem jungen Konrad (Pierre Franckh) erschossen. Der Mord ist von mehreren Freunden, darunter Jansons DJ Jo (Thomas Schücke) und dem Taxifahrer Rolf (Jacques Breuer) erdacht worden. Aber warum?

Moralphilosophie und Selbstjustiz again. In der Disco läuft eine furchtbare Selbstkopie von Duvals „Angel of Mine“, über die der DJ nur sagt, das sei eine „Spitzenmelodie“. Geschmacksverirrung regiert, führt aber hier wie schon bei einigen anderen Episoden zum Sieg. Thomas Schücke – hat der mal was anderes gespielt als blasierte Arschgeigen? – reißt die Folge mit seinem selbstverliebten Spiel an sich. Gegen Ende, wenn er die Ereignisse rekapitulieren darf (die Rückblende ist in dieser Phase ein fester Bestandteil der verwendeten Erzähltechniken), klingt sein sonorer Voice-over, in dem er darüber schwadroniert, dass in einer Diskothek „Leben und Musik“ eine Art heiliger Verbindung eingingen, die Jugendlichen („ich liebe Kinder“, sagt er altklug und feierlich) ihre Sorgen durch die Füße in den Boden hinaustanzten, wie der Kommentar eines weltfremden Jugendkulturforschers. Nee, die Jugend und ihre Bedürfnisse hat Reinecker nie so richtig verstanden, aber es ist egal, denn entweder ist dabei so ein bizarrer Kram wie „Yellow He“ herausgekommen oder aber solide Krimis mit geiler Schlagseite wie eben dieser hier.

Dass sich dieser Selbstjustizfall wohltuend von anderen abhebt, liegt auch an Pierre Franckh, der den per Losglück oder eher -pech zum Scharfrichter auserkorenen Schützen spielt und an der auf ihm lastenden Schuld zerbricht. Schon in der ersten Szene, in der er davon erzählt, wie überraschend leicht das doch gewesen sein, merkt man, dass er mit dem Mord nicht klarkommt. Da spielt auch der schon häufiger zur Rede gekommene Verweichlichte-Söhne-Diskurs mit rein: Er ist ein Softie, der beweisen will, dass er auch der harte Macker sein kann, und kläglich daran scheitert. Schücke hingegen spielt das Gegenteil: Den große Reden schwingenden Macher, der sich sicher sein kann, nicht selbst handeln zu müssen, weil er genug willige Vollstrecker um sich hat.

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Episode 086: Prozente (Theodor Grädler, 1981)

Auf den skrupellosen Kredithai Hollerer (Rolf Boysen) wird ein Attentat verübt, bei dem sein Sekretär erschossen wird. Der Kreditsuchende Schlehdorn (Gerd Baltus), dessen Gattin den Mörder möglicherweise gesehen hat, erhofft sich durch dieses Wissen bessere Konditionen herauszuschlagen. Hollerer ist in äußerste Alarmbereitschaft versetzt, doch auch die kann seinen gewaltsamen Tod nicht verhindern …

Och nee, das war nix. Das Drehbuch ist irgendwie hingeschludert, der Subplot mit den Schlehdorns scheint nur mit verwurstet worden zu sein, weil der Fall um den fiesen Kredithai sonst gar nichts hergibt. Alles wirkt unfertig, wie aus den Elementen nicht fertig gestellter Drehbücher zusammengeschustert. Martin Semmelrogge gefällt mit lustiger Rockermähne, aber dass Michael Degen hier zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit den Mörder gibt, ist einfach nur lazy.

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kuoperEpisode 087: Der Untermieter (Michael Braun, 1981)

Buschmann (Peter Kuiper), ein kaltblütiger Schwerverbrecher, wird nach zehn Jahren aus der Haft entlassen. Sofort nistet er sich in der Wohnung seiner Ex-Freundin Gudrun (Lisa Kreuzer) ein, die auch die Mutter seines ihm unbekannten Sohnes und außerdem mittlerweile mit Ulrich Kaul (Horst Sachtleben) verheiratet ist. Das Ehepaar ist hilflos gegen den rücksichtslosen Buschmann, der seinen alten „Besitz“ zurückhaben will …

Mal was anderes, Teil 2: In dieser Folge gibt es keinen Mord, vielmehr bezieht die Folge die Spannung aus der Frage, wann und von wem er wohl verübt werden wird. Die Belagerungssituation in der Wohnung der Kauls wird immer unerträglicher – zu den Konfliktparteien gehört auch noch der studentische Untermieter (Hans-Jürgen Schatz) – und es ist klar, dass alles in einer Gewaltexplosion enden muss: Nur wer diese letztlich zu verantworten haben wird, ist nicht klar. Natürlich suggeriert die Inszenierung, dass ein solcher Gewaltakt nur von Buschmann ausgehen kann: Kuiper ist gemacht für diese voller Selbstüberlegenheit grinsenden Proleten, die wissen, dass sie sich ganz auf ihr Einschüchterungspotenzial verlassen können. Wie er sich hier „ins gemachte Nest“ setzt, sich an der Angst seiner Opfer ergötzt und gar nicht daran denkt, irgendetwas zu beschleunigen, treibt einem den blanken Zorn in die Magengrube. Kuipers Buschmann ist einer dieser Filmcharaktere, die einem wirklich die Galle hochtreiben und einem die passive Beobachterposition vor der Glotze zur Qual machen. Selbst Derrick ist machtlos: Zum für die Kauls günstigen Ausgang hat er am Ende nicht wirklich viel beigetragen.

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Episode 088: Tod im See (Alfred Vohrer, 1981)

Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) kann gerade noch gerettet werden, als er während eines Sturms mit seinem Segelboot auf dem Starnberger See kentert. Für seine Frau, die nach seinen Angaben bei ihm war, gibt es keine Rettung. Der Vater (Heinz Moog) der Toten indessen glaubt nicht an einen Unfall, sondern an Mord: Niemand habe seine Tochter, die das Segeln gehasst habe, auf dem Boot gesehen. Und sein Schwiegersohn habe außerdem eine Geliebte (Christiane Krüger) …

Eine Standardepisode, aber eine, die beweist, das auch aus gut abgehangenen Krimistoffen durch gute Inszenierung und adäquate Darsteller immer wieder einiges rauszuholen ist. Robert Atzorn, „Unser Lehrer Dr. Specht“, hatte ich immer als ebensolchen, bieder-braven Jugendlichenversteher abgespeichert und wusste gar nicht, wie gut er als vibrierender, schwitzender, angesichts der Derrick’schen Coolness schier aus der Haut fahrender Eherfauenmörder sein könnte. Er ist super, wie er auf Derricks Zermürbungstaktiken zunehmend angepisster reagiert. Die Versuche des Drehbuchs, den Fall verwirrender zu machen, als er eigentlich ist, hätte es eigentlich nicht gebraucht, was mal wieder bestätigt, dass ein hassenswerter Schurke die halbe Miete ist.

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Episode 089: Die Stunde der Mörder (Theodor Grädler, 1981)

Zwei Mörder werden umgebracht. Beiden gemeinsam: Sie waren kurz zuvor wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden. Bei beiden Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend war der Rentner Mahler (Hans Caninenberg), der ein besonderes Interesse an Recht und Gerechtigkeit zu haben scheint …

Schöne Selbstjustiz-Geschichte, die dadurch, dass es sich bei den Tätern um Rentner handelt, hervorsticht und wie eine Verlängerung der KOMMISSAR-Episode „Tod eines Ladenbesitzers“ wirkt. Wer der Täter ist, ist relativ bald klar: Die Episode ist sehr geradlinig erzählt und die Ermittlungsarbeit der Protagonisten hat vergleichweise geringen Anteil an der Gesamtlaufzeit. Hans Caninenberg spielt den eiskalten Racheengel als sympathischen alten Herren, dessen Interesse für Recht und Gesetz Derrick allerdings schon nach der ersten Begegnung auf die Palme bringt. „Der geht mir auf den Geist!“, entrüstet er sich gegenüber Harry, der mal wieder gar nichts versteht. Aber der Oberinspektor hat natürlich Recht: Rechtsprechung ist nichts, in das sich der Laie mit seinen über seine Gefühle formierten Meinungen einmischen sollte, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Wie auch hier: Während der selbsternannte Gerechtigkeitsfanatiker mit seiner hübschen Enkeltochter (Irina Wanka) der Hochkultur in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen frönt, gehen die von ihm gedungenen Mörder ihrem blutigen Handwerk nach – klar, dass er sich die Hände nicht selbst schmutzig macht.

Derrick hat noch weniger Verständnis für die hier zum Ausdruck kommende Selbstermächtigung als für andere Übeltäter. Mit je mehr Morden er konfrontiert werde, umso mehr erschrecke er jedesmal, ganz egal, wer das sein Leben lasse. Das kann Mahler, der die Menschheit bequem in Opfer und Täter einteilt, nicht begreifen.

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derrickEpisode 090: Eine Rose im Müll (Günther Gräwert, 1982)

Der Lkw-Fahrer Michael Rothaupt (Bernd Herberger) nimmt die Anhalterin Marion Diebach (Beatrice Richter) mit. Die beiden kommen ins Gespräch und verstehen sich auf Anhieb. An einem Rasthof hält er kurz an, um sich mit einer Kollegin zu treffen, die ihn per CB-Funk kontaktiert hat. Er verspricht Marion, sie an der Straße wieder aufzusammeln. Doch wenig später der Lkw fährt an ihr vorbei, ohne zu halten, von Rothaupt fehlt danach jede Spur. Die junge Frau sucht Derrick auf …

Von dieser Folge ist vor allem das deprimierende Mülldeponienszenario hängengeblieben. Der Fall selbst – es geht um illegal entsorgten Giftmüll – ist eine Spur zu abstrakt, um in diesem Format richtig wirken zu können. Da hatte Reinecker bestimmt irgendwo was in der Zeitung gelesen, was er dann flugs in einem Drehbuch verwurstete. Ich hätte gern mehr von den beiden angehenden Turteltauben gesehen, aber das ist wohl auch der Plan: Rothaupt wird aus der Episode gerissen, wie es ihn aus dem Leben reißt, und man hat keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen. Als Trost bleibt nur die Rose im Müll.

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klettEpisode 25: Der Mord an Frau Klett (Dietrich Haugk, Deutschland 1970)

In einem Müllcontainer findet ein Obdachloser auf der Suche nach Essbarem die Leiche einer älteren Dame. Kommissar Keller und seine Leute identifizieren sie schnell als Frau Klett (Else Knott) und machen die Wohnung ausfindig, in der sie zur Untermiete lebte. Doch ansonsten ist nichts über sie in Erfahrung zu bringen. Auch als ihr Sohn Willi (Vadim Glowna) auftaucht, gibt es nur mehr Fragen und keine Antworten …

Eine Episode voller Hoffnungslosigkeit und Tristesse. Es beginnt mit dem Bild des Obdachlosen, der Hinterhöfe und Mülltonnen nach Verwertbarem durchsucht, setzt sich mit der Frauenleiche in der Mülltonne fort und endet beim Schicksal der weiteren Figuren, allesamt vom Leben Betrogene und Vergessene. Da ist etwa der 64-jährige Herr Wachsner (Alfred Balthoff), bei dem das Opfer zur Untermiete wohnte, Kellner in einer schäbigen Pinte, die wenigen verbliebenen Haare mit Brllantine am kohkopfartigen Schädel festgeklebt, der bei seinem Job laut eigenem Bekunden einmal um die Welt gelaufen ist und in Angst einer Zukunft in bitterer Armut und Einsamkeit entgegensieht. Oder eben das Opfer, eine traurig dreinblickende Frau ohne Freunde oder Erfüllung – das einzige, was man bei ihr findet, ist die Nummer der Telefonseelsorge – und einer Familie, die nichts über sie zu sagen weiß. Ihr Mann (Hanns Ernst Jäger) lebt unter einer Brücke und seinen Lebensunterhalt bestreitet er damit, vor dem Zoo Tierstimmen zu imitieren. Das desolate Bild einer im Verschwinden begriffenen Generation hinterlässt auch bei den Protagonisten seine Wirkung: Klein sagt einmal, er habe jetzt erst begriffen, wie furchtbar Mord sei, Keller selbst wird mehr als einmal eingefangen wie er wortlos und in sich versunken nachdenkt, dem sonst so coolen Heines macht die Eigenschaftslosigkeit der Klett sogar Angst.

Es ist eine blöde Phrase, aber „Der Mord an Frau Klett“ scheint mir mit seiner Thematisierung von Altersarmut nach 45 Jahren zu neuer Aktualität zu gelangen, schließlich dürfen sich Millionen von Deutschen, die nicht das nötige Kleingeld für eine private Altersvorsorge haben, mit der Idee befassen. Der Unterschied liegt wohl vor allem in den Gesichtern. In der furchigen Visage eines Herr Wachsner spiegeln sich die Entbehrungen der Kriegsjahre und jahrzehntelanger körperlicher Arbeit, während eine Frau Klett oder ihre Nachbarin Frau Schilp (Hilde Volk) durch ihre „Gattenlosigkeit“ stigmatisiert sind. Ihr ganzes Leben bestand aus Kummer. Dieser hat sich tief in die Mikrostruktur von Haugks Folge eingegraben. Wenn er am Ende zum Kriminalfall zurückkehrt, wirkt das wie ein Exkurs, es ist nur eine Fußnote.

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Episode 26: Die kleine Schubelik (Georg Tressler, Deutschland 1970)

Schubelik, ein bekannter Säufer, wird tot im Bett seiner Wohnung aufgefunden, Frau und Tochter sind vorerst verschwunden. Kommissar Keller findet schnell heraus, dass der Tote vor seinem Tod mit seinen Saufkumpanen Klenze (Peter Kuiper), der regelmäßig seine Frau Irma (Margarethe von Trotta) verdrischt, und Pölich (Josef Fröhlich) gezecht hatte. Schubeliks Frau (Erni Mangold) zeigt sich über den Tod des Gatten überhaupt nicht schockiert, eher im Gegenteil. Und was hat seine Tochter Inge (Susanne Schaefer), die vom Nachbarn Arnim (Thomas Piper) in Schutz genommen wird, mit allem zu tun?

Der deprimierende Blick in das Schicksal von Menschen aus der unteren Gesellschaftsschicht, den Dietrich Haugk schon in der vorangegangenen Episode geworfen hatte, wird dem Zuschauer auch hier aufgezwungen. Besonders sticht der fiese Klenze hervor, ein selbstbewusster Macho, der es gar nicht für nötig hält, seine Verachtung für Schwächere zu verbergen und meint, er würde damit beeindrucken, wenn er mit der bloßen Hand einen Nagel aus einer Wand zieht. Er ist gewissermaßen das Spiegelbild des Toten, über den man die anderen Figuren nur reden hört: Und man ahnt, was für ein Schwein auch der gewesen sein muss. Tresslers Folge besticht mit ihren Charakterzeichnungen und dem Gespür für das Milieu, in dem er sich bewegt. Keller und seine Männer heimsen mit ihrem Mitgefühl für die verschiedenen Opfer Sympathiepunkte ein und dem Täter kann man nicht wirklich böse sein.

Ich hatte schon einmal erwähnt, dass es bei DER KOMMISSAR oft um böse Vaterfiguren geht und „Die kleine Schubelik“ ist ein Paradebeispiel dafür. Ich würde sogar noch weiter gehen: Der Begriff „Vater“ hat seine Bedeutung hier völlig verloren. Es gibt nur noch empathielose, gewaltgeile und dumme Männer.

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Episode 27: Anonymer Anruf (Helmut Käutner, Deutschland 1970)

Der mittellose Student Gersdorf (Martin Lüttge) erhält einen anonymen Anruf, der seiner Gattin Susanne (Gerlinde Locker) eine Affäre mit Gregor Stein, dem Onkel Gersdorfs, nachsagt. Gersdorf macht sich sofort auf zum Haus Steins, der erschossen wird, kaum dass der Student dort eingetroffen ist. Alles spricht für einen Rachemord Gersdorfs, zumal auch dessen Pistole am Tatort gefunden wird, aber der Mann behauptet, hereingelegt worden zu sein. Wer wusste von der Affäre von Gersdorfs Frau mit einem Geschäftspartner Steins? Hatte Ahlsorf (Friedrich Joloff) etwas damit zu tun, der von Stein um seinen ganzen Besitz gebracht worden war?

Käutners Episode „Anonymer Anruf“ ist, wenn ich richtig informiert bin, aus rechtlichen Gründen nicht in der DVD-Box enthalten. Es hat also nichts mit dem etwas pikanten Thema der Gelegenheitsprostitution zu tun, von der der eklige Geschäftsmann Schröder (Paul Edwin Roth) sagt, das mache heutzutage ja jeder. Es ist das wahrscheinlich interessanteste Element der Folge, die auffallend konservativ ist. Sogar der längst überwunden geglaubte Brauch Kellers der Anfangstage, alle Verdächtigen zu versammeln, vor ihnen den genauen Tathergang zu rekapitulieren und am Ende den Täter zu enttarnen, wird hier wiederaufgegriffen. Trotzdem ist „Anonymer Anruf“ ganz unterhaltsam, was nicht zuletzt an der Besetzung liegt. Neben den genannten sind auch Jürgen Goslar und Dunja Rajter zu sehen.

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wienEpisode 28: Drei Tote reisen nach Wien (Dietrich Haugk, Deutschland 1970)

Erwin Bessmer (Herbert Steinmetz) erhält einen Anruf aus Wien, wo er sich am Wochenende zuvor mit seinen Jugendfreunden Sasse (Hans Caninenberg) und Roth (Dieter Borsche) vergnügt hat, bei dem ihm mitgeteilt wird, dass man ihn erschießen werde. Wenig später wird die Drohung wahr gemacht und Bessmer in einer Telefonzelle ermordet. Sasse und Roth fürchten nun ebenfall um ihr Leben. Hat die attraktive Katja (Kitty Speiser), die sie mit ins Hotel genommen haben, etwas mit dem Mord zu tun?

Von Beginn an ahnt man, dass „Drei Tote reisen nach Wien“ eine besondere Folge wird. Wie Bessmer in der Telefonzelle durch einen Schuss ins Gesicht getötet wird, ist schon ein besonders happiger Moment, der deutsche Fernsehzuschauer damals in ihrem Ohrensessel kräftig durchgeschüttelt haben dürfte. Regieeinfälle wie jener, die Begegnung zwischen den drei Herren und der jungen Frau in einem Wiener Biergarten als Standbild-Montage festzuhalten, lassen den Weggang von Brynych verschmerzen. Und das Treffen zwischen Keller und seinem Wiener Kollegen Marek (Fritz Eckhardt), der deutschen Zuschauern aus dem TATORT bekannt war, ist so ein postmoderner Crossover-Moment, den man in einer deutschen Krimiserie aus den frühen Siebzigern eher nicht erwartet hat. Richtig durch die Decke geht Haugks Episode aber, weil das Thema so herrlich schmierig ist: Wie diese feinen Herren sich nacheinander von der jungen Frau bedienen lassen, sich beim fliegenden Wechsel zugrinsen und triumphierende Gesten machen, ist schon reichlich ekelhaft. Und es ist ein Vergnügen Sasses Ehefrau (Hilde Weissner) dabei zuzusehen, wie sie ihrem spießigen Mann die Untreue und Feigheit aufs Brot schmiert und der sich vor ihr windet, in Angst und Selbstmitleid zerfließend. Natürlich kommt alles ganz anders, aber man gönnt den dreien jede Sekunde, in der sie kaltschwießig um ihr Leben fürchten.

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moorEpisode 29: Der Moormörder (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Im Moor wird eine Frauenleiche gefunden. In der Nähe befinden sich der Zweitwohnsitz des erfolgreichen Chirurgen Dr. Strobel (Charles Regnier)  sowie der marode Gasthof von Hässler (Harald Leipnitz). Beide wollen weder etwas gehört noch überhaupt eine fremde Person bemerkt haben. Doch dann stellt sich heraus, dass Strobel Stammgast in dem Tanzlokal war, dass auch das Opfer regelmäßig aufsuchte …

Charles Regnier. Ich mag ihn, sein Gesicht, seine Stimme und wie sie in Relation zu seinem Körper steht. Er erinnert mich auch an irgendjemanden von heute, aber ich komme nicht drauf, an wen. Er wirkt auf mich immer ein wenig so, als halte er alles um ihn herum für eine Komödie. Im positiven Sinne, nicht weil er nichts ernst nimmt, sondern weil das seine Weltsicht ist. Im wunderbaren DER WÜRGER VOM TOWER, wo er auch noch eine Doppelrolle spielt, gestikuliert er einmal im Bildhintergrund herum, anscheinend in Richtung Regisseur, aber es wurde einfach dringelassen. Hier erwartete ich auch zu jeder Sekunde, dass er etwas Vergleichbares macht, eiine Grimasse schneidet oder in eine spontane Tanzeinlage ausbricht, aber es ist ihm gelungen, seine Impulse im Zaum zu halten. Ich tue ihm bestimmt Unrecht, aber er bringt ein Element der konstanten Unsicherheit in Beckers Episode ein, die sonst eher geradlinig ist und in erster Linie durch ihr Wallace-Sujet besticht. Gerade auch, weil es wieder einmal um eine dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehung geht und Regnier absolut nicht der Typ für diese preußischen Patriarchen ist, die mit eiserner Hand regieren und niemals Schwäche zeigen. Er bringt eine ganz neue Dynamik in den klassisch aufbereiteten Krimistoff. Ich mag ihn einfach.

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alberti6Episode 30: Besuch bei Alberti (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Firmenchef Alberti (Carl Lange) legt großen Wert darauf, dass sein Angestellter Sidessen (Klaus Schwarzkopf) nicht sieht, welchen Besuch er nach Feierabend noch im Büro empfängt. Weil Sidessen aber etwas vergessen hat, kehrt er noch einmal um – und findet seinen Chef tot vor. Der Mörder kann nicht weit weg sein und Sidessen hechtet ihm hinterher, doch dann ist der Flüchtende verschwunden und da, wo er eigentlich sein sollte, steht Brink (Herbert Mensching), Albertis Schwager, ein unsicherer, zurückhaltender, beinahe ängstlicher Mensch, der von seinem Verwandten übel gedemütigt wurde …

Manchmal sind es eher kleine Details oder einzelne Figuren, die die KOMMISSAR-Folgen auszeichnen. „Besuch bei Alberti“ ist inhaltlich eher uninteressant, der Fall, den es für Keller und Kollegen zu klären gibt, ist unspektakulär, es gibt keine ausgefallenen Regieeinfälle oder wüsten Sleazeschübe – dafür war Staudte wohl nicht der richtige. Aber die Folge entwickelt sich zum slow burner, weil Brink in der Darstellung vom leider viel zu früh verstorbenen Herbert Mensching ein einziges Faszinosum ist und die Neugier, die Keller diesem rätselhaften Menschen entgegenbringt, einige wunderbar intime Szenen hervorbringt. Ich habe die ganze Zeit überlegt, woher ich Mensching kenne, ohne Erfolg. Beim Blick auf seine Filmografie fiel mir dann auf, dass ich ihn erst vor einigen Wochen in der DERRICK-Folge „Der L-Faktor“ gesehen habe. Dort spielt er einen völlig anderen Typen, einen erfolgreichen Wissenschaftler und Machtmenschen, das völlige Gegenteil von Brink, der von sich selbst sagt „keine Fähigkeiten“ zu haben. Und er spielt beide so überzeugend, dass man nicht darauf kommt, dass sich dahinter ein und derselbe Schauspieler verbirgt, auch wenn das Gesicht eben dasselbe ist.

Ein wichtiger Strang von „Besuch bei Alberti“ verfolgt Keller bei seinem Versuch dahinterzukommen, wer dieser Brink ist, ob er der Mörder sein könnte. Er begleitet ihn nach Hause, auf dem Weg holt sich Brink drei Flaschen Bier in einer Eckkneipe. Dann sitzen die beiden Männer zusammen, Brink erzählt von seinem Leben, Keller hört zu. Immer wieder fragt Brink ihn, ob Keller ihn für den Mörder halte, und Keller weiß es nicht, sagt das auch. Aber Brink bleibt ganz ruhig. Man hat Mitleid mit ihm, weil er in seinem Verlierertum sehr sympathisch ist – und ja, auch irgendwie gefestigt. Er weiß, wer und was er ist und hat sich damit abgefunden. Er scheint, wie der karrieregeile Sidessen einmal sagt, tatsächlich viel zu wenig entschlussfreudig, um einen Mord begehen zu können. Dann aber sieht man da ein kurzes Blitzen in seinen Augen: Vielleicht wartet er nur auf den richtigen Zeitpunkt, um allen zeigen zu können, wozu er wirklich fähig ist.

Herbert Mensching ist leider 1981 im Alter von nur 53 Jahren gestorben. Ich habe einen tollen Nachruf gefunden, der anlässlich seines Todes damals in der Zeit erschien, der sehr gut zu seiner Leistung in „Besuch bei Alberti“ passt. Aus einer mittelmäßigen Folge macht er mit seinem Spiel ein Ereignis.

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tanzEpisode 31: Ende eines Tanzvergnügens (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Der Schneider Hans Stoltze wird vor seinem Haus erschlagen, nachdem er mit seiner Freundin Ilo Kusche (Alexandra Marischka) in einem „Beatschuppen“ war. Seine Schwester Lisa (Gisela Peltzer) ist völlig aufgelöst und äußert gegenüber Keller die Vermutung, dass das Mädchen etwas mit dem Tod zu tun habe. Die auffallend attraktive, schweigsame Ilo wird von ihrem Vater (Dirk Dautzenberg) behütet wie ein rohes Ei und kann sich über Verehrer nicht beklagen: Da sind Bigge (Wolfgang Schneider), ein Angestellter von Stoltze, und Barbosse (Karl Michael Vogler), in dessen Boutique Ilo arbeitet …

Was in den ersten Episoden von DER KOMMISSAR die finale Ansprache Kellers vor versammeltem Verdächtigenfeld war, ist zu diesem Zeitpunkt die Rückblende. In „Ende eines Tanzvergnügens“ wird sie im entscheidenden Moment sogar angehalten, während der Voice-over weiterläuft. Es ist das einzige Gimmick einer Episode, die wie die vorangegangenen Arbeiten Staudtes eher durch ihre detaillierten Charakterzeichnungen und genauen Beobachtungen besticht. Im Mittelpunkt steht die betörend schöne Ilo als geheimnisvolle Chiffre – ein Mädchen ohne Persönlichkeit, ohne Charakter, man erfährt nichts über sie, außer dass sie hübsch ist und ihr die Männerherzen zufliegen. Und dann diese Männer um sie herum, allen voran der Vater, der sie umgarnt wie ein Zuhälter sein bestes Pferd im Stall, genau wissend, dass sich ihre Schönheit für ihn in bare Münze umwandeln lässt. Der feine Boutiquenbesitzer Barbosse ist genau nach seinem Geschmack, ein Mann, der mit seinem Geld hausieren geht, für seine Gattin (großartig: Ellen Umlauf) aber nur noch Verachtung übrig hat. Toll ist auch der eher unbekannt gebliebene Wolfgang Schneider: Wie er zu Hause kurz vor dem ersehnten Date mit Ilo eine heiße Scheibe auflegt, sich sein bestes Jackett anzieht und dabei einen Triumphtanz auf den Teppich legt, ist ein weiteres Highlight in dieser Episode, die dann später noch „Paranoid“ von Black Sabbath abfeuert, zu dem Ilo mit geschlossenen Augen über die Tanzfläche schwoft wie ein arroganter Engel. Es ist die Summe Momente wie dieser, die „Ende eines Tanzvergnügens“ zu einem weiteren Gewinner von Staudte machen.

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anhalterEpisode 32: Die Anhalterin (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Die Studentin Irmgard Lentz (Helga Lehner) wird tot an einem Bahngleis aufgefunden. Kurz zuvor war sie, wie fast jeden Samstag, als Anhalterin mit einem Lkw Richtung Stuttgart aufgebrochen. Wie Keller und Kollegen von ihrer Schwester Erika (Karin Baal) in Erfahrung bringen, hatte sie sich mit einem Fahrer sogar angefreundet. Während die Kriminalbeamten in der Spedition von Egon Schmett (Max Mairich) ermitteln und dessen Fahrer verhören, stellt sich Erika an die Autobahn in der Hoffnung bei jenem Fahrer zu landen, der ihre Schwester auf dem Gewissen hat …

Diese Episode hat nicht so viel für mich getan. Sie ist nicht besonders spannend, weil Karin Baal ihrer Erika viel zu viel Entschlossenheit und Autorität mitgibt, als dass man sich wirklich um sie sorgen müsste, das Drehbuch sich außerdem – der Konvention der Serie geschuldet – gar nicht traut, den Täter frühzeitig preiszugeben. Und dann wieder zu geradlinig, um von überraschenden Wendungen aus der Bahn geworfen zu werden. So bleiben eigentlich nur zwei Eindrücke/Szenen/Sequenzen hängen: der Auftakt, bei dem die Kamera Irmgard im morgendlichen Berufsverkehr verfolgt und der mit einem Blick aus eine fahrenden Zug auf einen rennenden Mann endet, der ihren leblosen Körper auf den Armen trägt, und die Schlusseinstellung, mit der dem Mörder soeben entronnenen Erika, die ins leere blickend an der Leitplanke der Autobahn steht, während die Kamera von ihr wegfährt. Aus ihrer geisterhaften Präsenz am Rande des grauen Asphaltbandes hätte man mehr machen können, als diese insgesamt überraschungsarme Folge. Sogar Werner Pochath ist verschenkt – trotz mal wieder absurdem Haarteil.

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Episode 33: Lagankes Verwandte (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Laganke, Besitzer eines Juweliergeschäfts, wird bei dem Versuch, einen Einbrecher zu stellen, ermordet. Die Hauptverdächtigen sind Lagankes Bruder Joachim (Josef Meinrad), der beim Tod der Eltern und dem anschließenden Erbe einst der Benachteiligte war und in der Villa des Bruders zur Untermiete wohnt, und Sohn Michael (Ralf Schermuly), der gehört wurde, wie er in seiner Wohnung den genauen Tathergang voraussagte. Die beiden sind überzeugt, dass der jeweils andere der Schuldige ist …

Der Clou der Folge ist, dass sich ein ganz anderer als der eigentliche Täter erweist, die beiden Verdächtigen aber am Ende trotzdem die Arschlöcher der Folge sind – eigentich sogar fast noch mehr, als wenn sie selbst Hand angelegt hätten. Susanne Uhlen spielt ein enigmatisches Mädchen, Michaels Freudin, das die ganze Folge über nichts anderes macht, als mit großen Augen in die Kamera zu schauen: Am Ende geht sie einfach mit einem anderen mit, aber nicht ohne in einer Kneipe noch einmal enthemmt getanzt zu haben. Mir hat die Einstellung der beiden Verdächtigen gut gefallen, die sich nach der Enttarnung des Mörders darüber freuen können, nun rechtmäßige Besitzer der Reichtümer des Toten zu sein. Den Menschen, der da gewaltsam seinem Ende zugeführt wurde, haben sie längst vergessen.

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Episode 34: Der Tote von Zimmer 17 (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Der italienische Zimmerkellner Mario (Peter Chatel) wird gesehen, wie er mit blutigen Händen aus dem Zimmer eines Gastes kommt, dessen Leiche nur wenig später entdeckt wird. Dass der Tote ein Auge auf das Zimmermädchen Andrea (Hannelore Elsner) geworfen hatte, in die auch Mario verliebt war, erhärtet den Verdacht. Doch Kommissar Keller hat berechtigte Zweifel an der Schuld des zurückhaltenden Mannes …

Ganz interessant, weil die ganze Folge in den Räumlichkeiten des Hotels spielt und Harry Klein undercover als Zimmerkellner arbeitet. Die Folge ist auch gut besetzt mit Peter Pasetti, Hans Quest, Hans Schweikart und Joseph Offenbach, aber insgesamt eher Standard. Der Blick auf den traurigen Alltag, der unter dürftigen Bedingungen lebenden Zimmerkellner und den Alltagsrassismus, der dem italienischen Gastarbeiter entgegenschlägt, ist aus heutiger Perspektive sehr erhellend – ein schönes Beispiel für die Gesellschaftskritik, die Reinecker in seinen Drehbüchern eher en passant entwickelt.

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lisaEpisode 35: Lisa Bassenges Mörder (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Der Lokomotivführer Leo Bader (Klausjürgen Wussow) hat eine Beziehung mit der lebenslustigen Lisa Bassenge (Diana Körner), die ihn immer nackt am Fenster ihrer Wohnung an den Bahngleisen erwartet. Eines Tages findet Leo sie tot auf. Noch entsetzter über ihren Tod scheint aber sein gehbehinderter Bruder Alfred (Boy Gobert), der Keller fortan fleißig bei seinen Ermittlungen unterstützt.

„Lisa Bassenges Mörder“ ist nach den beiden vergangenen, eher herkömmlich gestrickten Episoden wieder ein Beispiel für die Verstrahlungsattacken, die Reinecker bisweilen aus der Feder flossen. Sein Alfred Bader dürfte eine der schrägeren Figuren sein, die er erdachte und die Struktur der Folge, die immer wieder durch Rückblenden aufgebrochen wird, passt dazu. Diana Körner darf als Lisa Bassenge eine Art positiver Femme fatale spielen: Eine Frau, deren sexuelle Freizügigkeit Männer nicht so sehr unterwirft wie sie selbst beflügelt. Alfred gesteht freimütig, die Freundin seines Bruders nur dreimal gesehen zu haben, sie aber trotzdem sehr gut zu kennen – und zu lieben. Die Besessenheit der Figur für die junge Frau ist befremdlich und trägt die Episode, auch wenn Boy Gobert es nicht so ganz gelingt, diese Obsession wirklich glaubhaft zu machen. Ein Unterschied zum zuletzt von mir gefeierten Herbert Mensching, bei dem man nie das Gefühl hatte, er spiele eine Rolle. Gobert stattet seinen Alfred mit allerlei Ticks aus, die umso mehr auffallen, als Klausjürgen Wussow, selbst nicht gerade als Ausbund der schauspielerischen Ökonomie bekannt, neben ihm gnadenlos zurückschraubt. Wahrscheinlich wäre sonst die Bildröhre explodiert. Gert Haucke hat einen schönen Auftritt als Spanner in der Nachbarwohnung.

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todEpisode 36: Tod eines Ladenbesitzers (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

In einer Kleinstadt wird der Inhaber eines Kramladens erschlagen, kurz nachdem er einen alten Mann unsanft hinausgeworfen hat. Der alte Mann ist ein Bewohner des in der Nähe gelegenen Altersheims, das von dem betrügerischen Sierich (Werner Kreindl) geleitet wird, der die alten Männer wie Gefangene behandelt und nur wenig Respekt oder Achtung für sie übrig hat. Auch der Tote hat bei den Rentnern einen einschlägigen Ruf. Keller ist schnell davon überzeugt, dass die Alten hinter dem Mord stecken: Der intelligente Ohlers (Curt Bois) scheint der Anführer zu sein. Und dann mehren sich die Zeiten, dass ein zweiter Mord bevorsteht …

Meisterwerk! Die Folge mit dem unscheinbaren Titel kokettiert ganz eindeutig mit dem Horrorfilm und die Szenen mit den ziellos im Park des Altenheims umherirrenden Rentnern erinnern Kenner heute ganz ohne Frage an George Romeros DAWN OF THE DEAD – damalige Zuschauer assoziierten vielleicht eher Hitchcocks THE BIRDS: Beides ist legitim. Die vermeintlich harmlosen Greise in ihren grauen Mänteln und Hüten werden sehr geschickt als unterschätzte Bedrohung aufgebaut: Wenn der freundliche Voss (Hans Hermann Schaufuß) ganz sachlich erklärt, er wisse, wie ein Todesschrei klinge, dann fällt einem wieder ein, über welchen „Wissensvorsprung“ die auf einmal gar nicht mehr so putzigen Opas verfügen und man ahnt, wozu sie einst einmal fähig waren. Das steckt ja eh in vielen Folgen von DER KOMMISSAR oder DERRICK mit: Man schaut da mitunter Menschen zu, die im Zweiten Weltkrieg munter mitgemischt haben.

Das reicht schon für denkwürdiges Fernsehentertainment: Werner Kreindl setzt als erst arschiger, dann zunehmend nervöser Sierich noch einen drauf. Ein Dialog zwischen Keller und einer alten Frau, die ihm erzählt, was es bedeutet, alt zu sein und von den jüngeren Menschen entweder bemitleidet oder aber gar nicht mehr gesehen zu werden, kommt in diesem Kontext nicht eben überraschend, trifft aber trotzdem ins Schwarze, weil Staudte alles in kontrastreiche Schwarzweißbilder kleidet, in deren Schatten sich der Tod versteckt. Am Ende werden die Mörder überführt. Es schockt sie nicht. Was macht es für einen Unterschied, ob man nun in dem einen oder dem anderen Knast einsitzt? Während die Schlussmelodie läuft, packen sie ihre Koffer, fast freudig über den bevorstehenden Tapetenwechsel.

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huebnerEpisode 37: Die andere Seite der Straße (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Auf offener Straße wird ein Mann im Beisein seiner Nachbarn (u. a. Gerd Baltus, Bruno Hübner und Klaus Höhne) erschossen. Doch die behaupten anschließend steif und fest, niemanden gesehen zu haben. Sie haben Angst: Denn am Ende der Straße ist ein berüchtigte Gangsterkneipe, und aus der kommt wohl auch der Mörder.

Reinecker bewegt sich mit seiner Geschichte diesmal tief ins Milieu, in einer Straße, deren Bewohner Angst vor dem Gesindel vor ihrer Wohnungstür haben, in einfachen Verhältnissen leben und sich davor fürchten, auch diese noch zu verlieren. Eine wichtige Rolle spielt der alte Galusch (Bruno Hübner), der Hausmeister, der einst von seiner Frau verlassen wurde und nun mit seiner Enkeltochter Eva (Christine Ostermayer) zusammenlebt. Die gemeinsamen Szenen der beiden sind der emotionale Anker der Folge und ungemein anrührend. Die einfache Arbeiterwohnung, auf deren Herd der zerknautschte, vom Leben betrogene Mann da abends seine Suppe anrührt, erinnerte mich nicht wenig an die Wohnung meines Großonkels, in der ich einen nicht unbeträchtlichen Teil meiner Kindheit zugebracht habe. Hübner ist brillant in der Rolle, und er hat eines dieser Gesichter, die es heute nicht mehr gibt, in die sich jahrzehntelange Entbehrungen eingegraben haben und die mehr als alles andere der Schwerkraft zu unterliegen scheinen. Wenn er da seinen ganzen Mut zusammengreift, nachdem seine Enkelin ihm erzählt hat, dass seine Gattin ihn immer für „zu dämlich für Geld“ hielt, und in die Gangsterkneipe schreitet, einen Deal planend, von dem der Zuschauer instinktiv weiß, dass es sein erster und letzter sein wird, möchte man ihm zurufen, sich ihm in den Weg stellen, ihn trösten, irgendwas tun, um ihn von seinem dummen Vorhaben abzubringen. Später begreift seine Enkelin wie verletzend ihre achtlos hingeworfene Bemerkung war, wie sehr sie die Würde und Selbstachtung eines ohnehin schon gebeutelten Mannes damit noch weiter ausgehöhlt hatte. Aber da ist es schon zu spät. Sein Tod hallt nach und „Die andere Seite der Straße“ wiegt auch wegen ihm schwerer als andere.

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Meinen letzten Text über Fulcis Film einen „Verriss“ zu nennen, wäre zu viel gesagt; Fakt ist aber, dass ich mit LUCA IL CONTRABBANDIERE damals überhaupt nicht warm geworden bin. Ganz anders gestern, als ich ihn in deutscher Version als DAS SYNDIKAT DES GRAUENS auf großer Leinwand erleben durfte. Was für ein Brett!

Die Diskrepanz zwischen dieser und der vergangenen Sichtung beweist mir mal wieder, dass ich italienische Filme nicht vorschnell aburteilen sollte, wenn ich diese nur mit englischer Synchro genossen habe. Viele der Vorwürfe, die ich beim letzten Mal gegen LUCA IL CONTRABBANDIERE erhob, lassen sich meines Erachtens nur auf die Leb- und Variantenlosigkeit zurückführen, die englische Synchros fast immer „auszeichnet“. Dass einem die Figuren fremd blieben, kann ich nach der gestrigen Sichtung jedenfalls nicht mehr behaupten. Und Sprüche wie „Das ist Ursel aus Frankfurt, sie ist deutsch bis aufs Knochenmark“ knallen einfach wie Peitschenhiebe. Dazu kommt noch, dass Fulcis Inszenierung wirklich erst auf der Leinwand ihre volle Wirkung entfaltet. LUCA IL CONTRABANDDIERE hat einen etwas unscheinbaren Look, der Film ist trüb und farbarm, psychedelische Effektsequenzen wie in seinen Horrorfilmen darf man natürlich auch nicht erwarten, trotzdem ist er eine Augenweide. Die Kamera schwebt immer wieder sanft um die Figuren herum, oft blendet Gegenlicht und belegt das Geschehen kurz mit einem unwirklichen Schleier. Eine frühe Discosequenz, die komplett im Stroboskopgewitter spielt, dürfte für mich ewig weitergehen und Fabio Testi liefert unter der Anleitung Fulcis eine seiner besten Leistungen ab.

Dann ist da natürlich die Gewalt. Die Bunsenbrennerszene brennt sich wahrlich ins Gedächtnis, Dutzende explodierender Köpfe, Brustkörbe und Bäuche lassen einem die Kinnlade herunterklappen. Richtig harter Tobak ist aber eindie ausgedehnte Vergewaltigungssequenz, die im Kinosessel zur wahren Zerreißprobe wird. Die sich zur Kakophonie steigernden Schreie des Opfers und Lucas hilfloser Blick am anderen Ende des Telefons: Das vergisst man nie wieder. Lassen sich viele der in den Siebzigerjahren in Italien entstandene Gangster- und Polizeifilme als chauvinistischer Unfug mit Partycharakter titulieren, wirft LUCA IL CONTRABBANDIERE einen besonders desillusionierten Blick auf das finstere Treiben der Mafia. Lucio Fulci ist eh nicht als großer Spaßvogel bekannt, dieser Film darf als einer seiner trostlosesten angesehen werden.

Ich bin froh, den Film noch einmal in dieser Form gesehen und hier außerdem die Gelegenheit zu haben, vergangene Fehler wiedergutzumachen. LUCA IL CONTRABBANDIERE ist einer von Fulcis besten Filmen.

unbenanntHORROR ON SNAPE ISLAND habe ich zum letzten Mal vor sage und schreibe 12 Jahren gesehen (unmittelbar danach habe ich Ameñabars Querschnittslähmungsdrama MAR ADENTRO im Kino geschaut, was für ein Double Feature!). Außer, dass ich ihn damals sehr putzig fand, habe ich genau gar nichts davon in Erinnerung behalten. Nur, dass der Film eher der Kategorie „dumm und billig“ zuzuordnen war, hatte ich noch abgespeichert. Die neuerliche Sichtung zeigt aber, dass sich dieses Urteil nur bedingt aufrechterhalten lässt: Ja, HORROR ON SNAPE ISLAND – den sowohl deutsche wie auch englischsprachige Verleiher dem uninteressierten Publikum unter zahlreichen reißerischen Titeln andienten, darunter DEVIL’S TOWER – SCHRECKENSTURM DER ZOMBIES, TURM DER LEBENDEN LEICHEN, TOWER OF EVIL und BEYOND THE FOG -, dürfte eher preisgünstig gewesen sein und besonders intelligent ist er auch nicht, aber ihn als „billig und dumm“ zu diffamieren, ist viel zu gemein.

Die inhaltlich sowohl an Shermans meisterlichen DEATH LINE wie auch an D’Amatos ANTHROPOPHAGUS erinnernde Schauermär um einen dem Wahnsinn verfallenen Zauselkopp, der auf einer einsamen Insel sein Unwesen treibt, auf die es einst auch die Phönizier (!)  verschlagen hat, ist vor allem eins: endlos charmant. Wie eigentlich fast alle der raren britischen Horrorfilme aus jener Zeit hat er diese wunderbar staubig-rumpelige Kirmesbudenanmutung, die auch über manche eher langweilige Passage hinweghilft. Außerdem inszeniert O’Connolly – berühmtester Film: das Harryhausen-Vehikel VALLEY OF GWANGI – durchaus kompetent, weiß seine liebevoll ausstaffierten Studiosettings effektiv einzusetzen und hat zudem eine Riege an Darstellern, die den Kenner mit der Zunge schnalzen lässt. Dennis Price bringt in einem geil psychedelischen Seitenarm des Films Respektabilität, und einen besseren Seemann als Jack Watson kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Dazu kommen Leute wie Bryant Haliday, Jill Haworth, Mark Edwards, Anna Palk oder Robin Askwith, deren Namen man nicht unbedingt kennt, die man aber alle schon einmal in anderen, vergleichbaren britischen Filmen gesehen hat und über die man sich freut.

HORROR ON SNAPE ISLAND ist ein Vertreter eines Subgenres, das ich mal als „Zauselfilm“ bezeichnen würde: Im Zentrum steht ein zurückgebliebener, vollbärtiger, sabbernder, verdreckter und ultimativ bemitleidenswerter Tropf, der im Zustand geistiger Umnachtung Menschen ermordet und am Ende von seinem traurigen Schicksal erlöst wird. O’Connollys Film ist der ideale Partner für den schon erwähnten DEATH LINE von Sherman, mit dem er wohl die Speerspitze des leider nicht zu Weltruhm gelangten Formats bildet. Auch im amerikanischen Backwood-Film lassen sich Vertreter des Zauselkinos ausmachen, aber ich spreche hier wohl vielen aus der Seele, wenn ich behaupte, dass die Briten einfach einen besonders avancierten Zugang zur Zauseligkeit hatten. (Ich muss bei Gelegenheit noch einmal THE CELLAR auffrischen, aber ich meine, dessen menschliches Monster hatte weder Vollbart noch Latzhose, lässt also die für das Etikett des Zausels nötige Ausstattung vermissen.) Schade, dass es nicht mehr britische Zauselfilme gibt! SNAPE bekommt im letzten Drittel noch einmal einen kleinen Arschtritt, wenn die phönizische Baal-Statue gefunden wird, die aussieht, wie ein missglückter Muppet, der den Stinkefinger zeigt. Ich hoffe inständig, dass O’Connollys Werk nie bis nach Phönizien gedrungen ist, weil diese Darstellung dazu geeignet ist, die diplomatischen Beziehungen schwer zu beschädigen. Im Zeitalter von Trump und Putin können wir uns nicht auch noch einen Konflikt mit Phönizien erlauben!

kara_murat_kara_sovalyeye_karsi_1975_width300Vorab: Herauszufinden, welchen Originaltitel der gezeigte KARA MURAT-Film hat, erweist sich als schwierig. Laut IMDb wirkte Hofbauer an zwei Filmen der Serie mit, KARA MURAT: FATIH’IN FERMANI sowie KARA MURAT DENIZLER HAKIMI, aber bei keinem der beiden passt die Inhaltsangabe. Das Gegenteil ist der Fall bei KARA MURAT KARA SÖVALYEYE KARSI (auch Szenenfotos im Netz erhärten das), bei dem die IMDb aber weder Hofbauer noch eine deutsche Kopie  verzeichnet. Die OFDb und der DVD-Verleih wiederum weisen den Titel FATIH’IN FERMANI zu, aber wenn man den bei Youtube sucht, findet man Ausschnitte aus einem anderen Film. Dass die gezeigte Kopie außerdem heftige Qualitätssprünge und offensichtlich zusätzliche Szenen aus einem anderen, weitaus aufwändigeren KARA MURAT-Film zeigt, macht es nicht einfacher. Mit anderen Worten: Ich habe keine Ahnung, welchen Film wir da nun eigentlich gesehen haben, lediglich, dass die KARA MURAT-Forschung noch in den Kinderschuhen steckt.

Wer schon einmal einen KARA MURAT- oder einen Cüneyt-Arkin-Film gesehen hat, weiß natürlich trotz solcher Schwierigkeiten, womit er zu rechnen hat. Ein bis unter die schwarze Haarpracht übermotivierter und wie unter Krämpfen grimassierender Hauptdarsteller walzt und hüpft sich, links und rechts Schwerthiebe, Faustschläge, Backpfeifen, Ellbogenstöße und Tritte verteilend, durch karge Settings, die von schnauzbärtigen Osmanen und drall geschminkten Schönheiten in Kostümen aus dem Karnevalsverein bevölkert werden. KARA MURAT: SEINE RACHE BRINGT DEN TOD (so der  deutsche Titel) hat außerdem ein zusätzliches Pfund zum Wuchern, denn Cüneyt Arkin, die fliegende Zahnlücke mit dem Sexappeal Alain Delons, agiert hier in einer Doppelrolle! Er spielt die als Kinder gewaltsam getrennten Brüder Murat, seines Zeichens stolzer Türke, und Mehmet, der unter schurkischen Christenschweinen aufwächst, nachdem der Bösewicht ihn aus Rache für einen abgeschlagenen Arm als Kind entführt hat.

In der sich anschließenden Abfolge wüster Scharmützel wechseln die beiden die Seiten, um den jeweiligen Gegner mit gemeinen Täuschungsmanövern zu foppen, dass man bald völlig den Überblick verliert. Der Film ist ein wildes Hin-und-Her zwischen zwei Schauplätzen und am Ende erweist sich der osmanische Spirit natur- und erwartungsgemäß als weit überlegen. Die Brüder vereinen sich so eben noch, bevor es Mehmet hinwegrafft, natürlich nicht, ohne sich mit den letzten Atemzügen als treuer Muselmane zu erweisen, dann räumt Murat mit höchster Effizienz und dem Mut eines koffeinabhängigen Berserkers mit der Christenbrut auf.

KARA MURAT: SEINE RACHE BRINGT DEN TOD hat etwas von einer ausgedehnten und amateurhaften Zirkusvorstellung, bei der man beständig um das Leben der Artisten fürchtet, die ihre halsbrecherischen Stunts mit überaus prekären Mitteln und dem ungebrochenen Mut der Verzweiflung realisieren. Intellektuell liegt das Ganze noch unter den Geschichten, die sich mein zweieinhalb-jähriger Sohn ausdenkt: Die jeweiligen „Festungen“ sind löchrig wie Schweizer Käse, Murat/Mehmet gehen ein und aus und nicht einmal ein plötzlicher Bartverlust sorgt für Verwirrung. Als die Türken den vermeintlich verräterischen Zwillingsbruder gefangen nehmen (der in Wahrheit Murat ist), gelingt es diesem, jeden Zweifel zu zerstreuen, indem er ganz einfach sagt, wer er ist. „Ein Türke lügt nie in Lebensgefahr!“, weiß man schließlich. Und wundert sich darauf, ob das nun ein Zeichen großen Edelmuts oder schier überwältigender Dummheit ist (das Nichtlügen, meine ich).

Am wichtigsten ist aber natürlich Arkin, dessen Einsatzwille schier grenzenlos ist. Wenn jemand jemals in seinen Rollen aufgegangen ist, dann er. Da können De Niro, Pacino, Bale und all die anderen Method-Schnösel nach Hause gehen und Drehbücher für die nächsten Hollywood-Langweiler lesen! Wie Arkin inszeniert wird und agiert, ist einfach einmalig, treibt einem kindliche Freudentränen und ein enthemmtes Lachen ins Gesicht, in dem sich wahrhaft alle Sorgen auflösen. DAS ist Kino! Die Welt braucht Cüneyt Arkin!

heavy-thing-62Auf der ganzen Welt verschwinden Spitzensportler auf mysteriöse Art und Weise. Der coole Agent Mike Harber (Ross Hagen), ein Kollege von James Bond, wird hinzugezogen, um herauszufinden, was sich dahinter verbirgt. Die Spur führt auf die „Insel der 1.000 Frauen“, wo die verrückte Wissenschaftlerin Dr. Zu (Nancy Kwan) gemeinsam mit ihrer Armee heißer Martial-Arts-Babes am überlegenen Supermenschen herumschraubt, für den sie die passenden Ersatzteile braucht …

WONDER WOMEN, inszeniert von Robert Vincent O’Neil, der ein gutes Jahrzehnt später den famosen Rotlichtthriller ANGEL drehen sollte, ist eine der zahllosen amerikanischen Koproduktionen, die in den Siebzigerjahren auf den Philippinen entstanden. Wie bei den meisten von ihnen handelt es sich auch bei diesem Werk um einen mit heißer Nadel aus populären Versatzstücken und damals angesagten Elementen zusammengestrickten Unfug, der in seinen bescheuerten Impulsen durch eine Rainer-Brandt-Synchro auch nicht gerade gebremst wird. Die Berliner Schnodderschnauze trägt ihren Teil zum Gelingen dieses Teils bei, auch wenn sie sich dafür, das merkt man, kaum anstrengen musste: Er fliegt auf Autopilot, und wenn man die Brandt’sche Arbeit kennt, dann weiß man hier immer schon kurz vorher, was für einen Spruch man von ihm erwarten kann. Asiaten werden großzügig als „Schlitzis“ und „Gelbe“ bezeichnet, Frauen werden ebenso zur Zielscheibe. Hagens Mike spricht keinen einzigen normalen Satz, sondern kommuniziert nur noch in mal mehr, mal weniger sinnigen Sprüchen, in die gern auch mal Fantasiegestalten wie „Wenzel, der Teppichhändler“ oder Orte wie „Bad Salzufflen“ eingebaut werden. Richtig schön wird es immer, wenn Brandt in die Stille hinein improvisiert, als könne er es nicht ertragen, wenn die Figuren mal für fünf Sekunde die Klappe halten: Als Dr. Zu dem Helden ihr Labor vorführt, quittiert der das mit brummigen „hmmms“ und „ohhhs“ und als er den Blick einmal schweifen lässt, wird das sofort mit „Ach, nur eine Fliege“ quittiert.

Auffallend ist, dass Brandt mit den tielgebenden Wonder Women selbst kaum etwas anzufangen weiß. Wenn die auftreten, wird es dann auch umgehend etwas bleiern, was natürlich zum Paket dazugehört. Brandts Synchro passt sich dem typischen Auf-und-Ab zwischen überdrehten und absurden Actionszenen und eher schnarchige Passagen gewissermaßen optimal an. Immer wenn der Held auftritt, geht es rund. Das Highlight ist wohl eine Verfolgungsjagd durch Manila mit bunten Minibussen, an der auch der unverzichtbare Vic Diaz beteiligt ist. (Sid Haig ist auch dabei, hat aber als schurkischer Gregorius kaum mehr zu tun, als vielsinnig grinsend in einem Stuhl zu sitzen.) Da wird einmal ein Mann sehr unsanft über den Haufen gefahren in einem Stunt, der so nicht geplant gewesen sein kann, und einmal erwischt es auch ein paar auf einem Fahrrad hockende Hühner. Ein Hahnenkampf ist auch eher unerquicklich (ich weiß nicht, wie viele Hahnenkämpfe ich in den letzten Monaten in Filmen gesehen habe; das kann kein Zufall sein), dafür sorgt eine Keilerei zwischen Mike und einer Dame mit beeindruckendem Afro für Gelächter: Der Supertyp wird da quer durchs Mobiliar gedroschen und kommentiert das jedesmal mit einer neuen Zote – herrlich. Irgendwann endet WONDER WOMEN dann einfach. Auch das macht Sinn. Keiner der Beteiligten war hier der Illusion erlegen, eine Geschichte zu erzählen oder gar großes Kino zu machen: Es ging einfach darum, knappe 80 Minuten grelles Entertainment zusammenzukloppen. Mission accomplished. Meint auch Wenzel, der Teppichhändler.

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Letztes Jahr war es der hongkongchinesische Bruceploiter MENG LONG ZHEN DONG, der sich in die Spitzengruppe meiner imaginären Jahrescharts katapultierte, dieses Jahr dürfte es nicht allzu vielen Filmen gelingen, UCHÛ DAIKAIJÛ DOGORA aus dem Führungsfeld zu verdrängen. Das in Deutschland unter dem Titel X3000 – FANTOME GEGEN GANGSTER firmierende Crossover aus klassischem Sci-Fi-Monster- sowie Gangster- und Agentenfilm ist eh schon eine Schau, aber es hat zudem noch den Bonus einer echten Rarität, was die Vorführung im Rahmen des 3. Mondo Bizarr Weekenders in Düsseldorf zu einer cinephilen Galaveranstaltung machte. Die Kopie, die zur Aufführung kam, ist möglicherweise die letzte in Existenz, zumindest in Deutschland ist keine weitere bekannt. Man kann ja nur hoffen, dass der Schatz bald in Form einer digitalen Version für die Nachwelt erhalten bleibt, denn UCHÛ DAIKAIJÛ DOGORA ist denkwürdig. Ein Film, der alles hat und davon auch noch eine Menge.

Zur Handlung: Weltweit werden vermehrt Diamanten gestohlen. Die Polizei steht vor einem Rätsel, aber auch die Gangster sind beleidigt, denn sie haben ausnahmsweise mal nichts damit zu tun. Komisch außerdem: Zeitgleich mit den Diamanten verschwinden auch immer Unmengen an Kohle. Bei seinen Ermittlungen stoßen der Polizist Kommei (Yôsuke Natsuki) und der rätselhafte Wolf Hanter (Robert Dunham) aneinander. Ist letzterer ein Ganove oder doch eher ein Geheimagent? Nachdem die beiden sich zusammengerauft und mit dem Wissenschaftler Dr. Munakata (Nobuo Nakamura) kurzgeschlossen haben, der daran arbeitet, Diamanten als Energiequelle nutzbar zu machen, kommen sie dem Geheimnis auf die Spur: Kohlenstoffe, die sowohl in Diamanten wie auch in Kohle enthalten sind, dienen einer riesigen Weltraumqualle namens „Dogora“ als Nahrung. Aber was, wenn alle Diamanten und Kohlen aufgefressen sind?

Zunächst mal ist der Film von vorn bis hinten einfach nur liebenswert: Kommei ist so einer dieser naiven, kantenlos-schwiegersohnartigen Helden, wie sie in Mode waren, bevor sie von den unrasierten James Bonds dieser Welt abgelöst wurden, der froschmäulige „Wolf Hanter“ in der unbestechlichen Logik des Films allein deshalb ein Teufelskerl, weil er Amerikaner ist. Seine Überlegenheit, die ihm da ständig attestiert wird, ist eigentlich eher in der totalen Hilflosigkeit aller Japaner im Film begründet, die sich wohl auch mit dem alten „Guck mal da!“-Trick noch ins Bockshorn jagen ließen. Dr. Munakata ist der obligatorische alte Wissenschaftszausel, der ganz in seiner eigenen Welt lebt und dessen hirnrissigen Hypothesen beständig fassungslose Gesichtsentgleisungen und Kulturschocks bei den handfesten Helden hervorrufen. UCHÛ DAIKAIJÛ DOGORA gehört zu jenen Science-Fiction-Filmen, für die „Wissenschaft“ in erster Linie bedeutet, dass allerhand verrückte Sachen möglich sind, an die der Ottonormalverbraucher nie zu denken gewagt hätte. So kommt es dann auch, dass die Riesenqualle am Ende mithilfe von Bienengift unschädlich gemacht werden kann, das eilends von allen Fabriken des Landes synthetisch hergestellt wird – wo die die Energie nach der Kohlenfressorgie des Monsters hernehmen, bleibt unbeantwortet: Recht so!

Hondas Film ist ein herrliches, rührendes, endlos spaßiges Filmerlebnis, aber es bekommt durch seine Effektsequenzen noch einmal einen zusätzlichen Schub, der es in andere Sphären katapultiert. Alles beginnt mit den schon nicht üblen Szenen, in denen Fabrikschornsteine, Autos, Züge und Kohlenberge „abgesaugt“ werden, der Auftritt Dogoras toppt dann aber alles: Die Sequenz, in der die Qualle in voller Pracht zu sehen ist, hat psychedelische Qualitäten, ist tricktechnisch höchst einfach gestaltet, aber so saumäßig effektiv umgesetzt, dass man sich fragt: Wie haben die das gemacht? Marc hat in seiner Einführung den Namen „Lovecraft“ in die Runde geworfen und damit ziemlich genau ins Schwarze getroffen: Dieses majestätische Biest, das da aus einem kosmischen Nebel herabschwebt und mit seinen fluoreszierenden Tentakeln herumwirbelt, ist wahrscheinlich eine bessere Cthulhu-Darstellung als alle „echten“ Versuche, den Großen Alten filmisch abzubilden. Dann kommen auch noch wunderschöne Zeichentrick-Effekte zum Einsatz, wenn Dogora mit seinen Greifarmen nach einer großen Brücke schnappt und sie kurzerhand einstürzen lässt. Fantastisch! Episch! Gänsehaut!

In UCHÛ DAIKAIJÛ DOGORA vereint sich das eigentlich Unvereinbare auf höchst glückliche Art und Weise zu einem wunderbar unterhaltsamen, schwungvollen und schlicht endlos sympathischen Werk, das größere Bekanntheit definitiv verdient hat und jeden, ich behaupte jeden, der ein Herz für den poppig-bunten Exploiter der Sechzigerjahre, für Monster und einfach für tolle Filme hat, um den Verstand bringen wird. Volle Punktzahl.