Episode 38: Grau-roter Morgen (Theodor Grädler, Deutschland 1971)
Am Ufer der Isar wird die junge heroinabhängige Sibylle Laresser (Sabine Sinjen) tot aufgefunden – erschossen vom anderen Ufer aus. Die Ermittlungen führen Kommissar Keller zunächst in die Wohnung der Toten, die dort gemeinsam mit ihrer Mutter Hilde (Lilli Palmer) lebte. Diese hatte während der vergangenen 12 Monate verzweifelt versucht, ihre Tochter von den Drogen wegzubringen und dafür sogar ihren Ehemann (Hans Caninenberg) in Augsburg zurückgelassen …
Die Ermittlungsarbeit und überhaupt die Kriminalbeamten um Kommissar Keller treten in dieser fantastischen Episode deutlich in den Hintergrund. Mehr als um die Frage, wer Sibylle umgebracht hat, geht es um eine Mutter-Tochter-Beziehung und um die Frage, wie man die Liebe zu seinem Kind aufrechterhalten kann, wenn dieses sich für den Tod entschieden hat. Lilli Palmer liefert als liebe- und aufopferungsvolle, letztlich aber hilflose Mutter eine schauspielerische Tour de force, ohne jemals zu overacten oder auf die Tränendrüse zu drücken. Es lässt wohl nur den abgezocktesten Zuschauer kalt, wenn sie berichtet, wie sie ihrer Tochter den ersehnten Schuss setzte, weil diese einfach nicht mehr in der Lage war, ihre Venen zu treffen. Wenn sie von einem Dealer, dem sie auf dem Kneipenklo ein paar Ampullen Morphium abkauft, niedergeschlagen und ausgeraubt wird. Oder wenn sie ihre benommene Tochter nach stundenlanger verzweifelter Suche nachts zwischen lauter anderen Drogenabhängigen halb benommen im Monopteros-Tempel findet.
Reinecker kehrt mit seinem Drehbuch zum Stil von „Der Papierblumenmörder“ zurück, was bedeutet, dass es hier eher um den Blick auf das Innenleben einer seiner Figuren geht. Dort war es das um das Verständnis der Erwachsenen ringende Heimkind, hier die verzweifelt um das Leben ihrer Tochter kämpfende Mutter, die langsam aber sicher erkennen muss, dass es für ihr Kind keine Rettung gibt. Grädler inszeniert freilich nicht mit der kreativen Wildheit Brynychs, aber das muss er in diesem Fall auch nicht. Die Schmerzen der Mutter brauchen keine formale Verstärkung, es reicht, dass er seiner grandios aufspielenden Hauptfigur die Bühne bereitet. DER KOMMISSAR neigte in der Vergangenheit, wenn es um Drogen ging, zum altvorderlichen Spießertum, aber hier hält sich Keller mit seinen Vorverurteilungen dankenswerterweise zurück. Jedes Moralisieren ist fehl am Platze, wenn es um das Leid einer Mutter geht, die ihrem Kind beim Sterben auf Raten zusehen muss. Ein Meisterwerk deutscher Fernsehunterhaltung. Auch nach fast 50 Jahren noch.
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Episode 39: Als die Blumen Trauer trugen (Dietrich Haugk, Deutschland 1971)
Dr. Trotta (Paul Hoffmann) wird in seinem Haus erschossen. Auf seinem Plattenteller kreiste in den Wochen vor seinem Tod die Platte einer Münchener Beat-Combo (Heino Czechner, Klaus Wildbolz, Tommi Piper, Klaus Höring, Thomas Egg), deren Sängerin Jeanie (Silvia Lukan) selbst kurze Zeit zuvor nach einer missglückten Abtreibung ums Leben gekommen war …
„Als die Blumen Trauer trugen“ hat das Problem, ganz ähnlich aufgebaut zu sein wie die unmittelbar vorangegangene und emotional einfach niederschmetterndere Episode. Auch hier dringt der Zuschauer mittels Rückblenden tief in die Beziehung der männlichen Akteure zu der romantisch verklärten Sängerin ein, die von allen förmlich angebetet wurde. Die Identifizierung des Mörders ist eigentlich nebensächlich gegenüber dem Schmerz, den alle angesichts des Verlusts des „manic pixie dream girls“ spüren und der auch durch die Bestrafung des Täters nicht gelindert werden kann. Im Gedächtnis bleibt auf jeden Fall der Song, der da immer wieder erklingt, mit seiner fremdartigen, aber sofort einnehmenden Gesangsmelodie, in der sich Lebensfreude und eine tiefe Melancholie freundschaftlich die Hand reichen, auf eine Art und Weise, die der deutsche Schlager der frühen Siebzigerjahre perfektioniert hatte.
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Episode 40: Der Tod des Herrn Kurusch (Theodor Grädler, Deutschland 1971)
Herr Kurusch (Wolfgang Büttner) ist der bei allen Mietern verhasste Hausbesitzer, der jeden Monat persönlich die Miete einsammelt und sich trotz seines Reichtums nur eine bescheidene Wohnung gönnt. Der Student Ewald Lerche (Volkert Kraeft) fasst mit seiner Freundin Helga (Christiane Krüger) den Entschluss, den Mann in seiner Wohnung mit einem Hammer zu erschlagen und ihm das Geld abzunehmen. Vor Ort muss er aber feststellen, dass ihm jemand unmittelbar zuvor gekommen ist. Er lässt vor Schreck den Hammer fallen und flieht, wobei er von der Nichte des Toten, Annemarie Kurusch (Cornelia Froboess), gesehen wird. Er ist nun der Tatverdächtige Nummer eins und alle Indizien sprechen gegen ihn. Er ringt Keller die Möglichkeit ab, eigene Ermittlungen anzustellen …
Mit dieser Episode begibt sich Grädler zwar wieder auf vertrautes Krimiterrain, aber „Der Tod des Herrn Kurusch“ ist trotzdem toll, weil Reinecker einfach ein gutes Drehbuch geschrieben hat. Der Fall ist spannend, weil man sich gut mit der misslichen Lage, in der sich Lerche befindet, identifizieren kann. Die Sympathien fliegen ihm zu, obwohl er ja ein ziemlich jämmerlicher Typ ist: Keller hat durchaus Recht, ihm mit unverhohlener Verachtung zu begegnen. Dass Lerche „unschuldig“ ist, ist ja eher einem dummen Zufall geschuldet, als der charakterlichen Tadellosigkeit dieses Feiglings, der sich für ziemlich oberschlau hält, durch eine Verkettung dummer Fehler aber schließlich doch als Mordverdächtiger dasteht. Cornelia Froboess gibt wieder mal eine ihrer irgendwie unsympathisch-verknöcherten Besserwisserinnen, bei denen ich nie weiß, ob diese Figuren wirklich so sein sollen oder ob die Froboess einfach nicht anders kann.
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Episode 41: Kellner Windeck (Erik Ode, Deutschland 1971)
In einem Brunnen findet man den Kellner Windeck (Michael Verhoeven). Er wurde hinterrücks erwürgt und in den Brunnen gestoßen, irgendjemand hat ihm nach dem Tod noch die Schuhe ausgezogen und fein säuberlich auf den Boden gestellt. Bei den Ermittlungen finden Keller und seine Leute heraus, dass Windeck echten Schneid bei den Frauen hatte: Gleich mehrere vergießen ehrlich gemeinte Tränen um den sensiblen, zärtlichen Mann. Als Tatverdächtige kommen sofort drei Männer in Frage, die mit seinem Charme nicht mithalten konnten: sein Arbeitgeber Millinger (Claus Biederstaedt), der fiese Gruber (Hans Korte) und Erich Lorenz (Thomas Frey), der Sohn von Windecks Vermieterin (Angela Salloker) …
Die Episode ist nicht besonders aufregend, wirkt aber unvermindert aktuell, was ja nun eine irgendwie traurige Erkenntnis ist. Männer sind zu einem überwiegenden Teil Machoarschgeigen, die Frauen besitzen wollen, dann aber nichts mehr mit ihnen anzufangen wissen. Ein „Frauenversteher“ wie Windeck muss ihnen ein Dorn im Auge sein. Seiner vermeintlichen „Weichheit“ haben sie nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen, außer natürlich roher Gewalt.
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Episode 42: Ein rätselhafter Mord (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)
Ein Student wird auf offener Straße erschossen, als er die Wohnung seiner Freundin (Donata Höffer) verlässt. Die Obduktion ergibt, dass der Schuss aus dem ersten Stock eines Mietshauses abgegeben worden sein muss. Zwei Männer kommen für den Mord in Frage: Der Waffensammler Wilfried Kaiser (Thomas Astan), dessen Vater (Herbert Fleischmann) mehrere türkische Gastarbeiter in einer Abstellkammer wohnen lässt, und der Student Heymann (Manfred Seipold), der bei der strengen Frau Bassmann (Maria Wimmer) zur Untermiete lebt …
Es sind eher kleinere Details, die hier interessant sind, vor allem natürlich die Zeichnung des morbiden Wilfried: Dessen Zimmer ist übersät mit Italowestern-Plakaten („Lasst uns töten, Compañeros!“) und auf dem Plattenteller kreist Morricones „C’era una volta il West“ mit deutschem Voice-over, was Kommissar Keller, den alten Spießer, dazu veranlasst, die Augen ganz fest zusammenzukneifen. Der Exkurs zum Thema illegale Gastarbeiter ist auch ein schönes Zeitzeugnis, während die Gelassenheit, mit der Keller und Co. das Geständnis der erwachsenen Frau Schöne (Eva Ingeborg Scholz) aufnehmen, ein Verhältnis mit dem 16-jährigen Nachbarsjungen zu unterhalten, eher verwundert. Die Auflösung hat Reinecker geradwegs aus der Schublade mit der Aufschrift „Küchenpychologie“ gezogen. Und der Soundtrack wird größtenteils von Creedence Clearwater Revival bestritten, was super ist. Alles in allem unterhaltsam, aber kein Meilenstein.
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Episode 43: Traum eines Wahnsinnigen (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)
Bevor er aus der Nervenheilanstalt fliehen kann, bringt der Verrückte Kabisch noch zwei Menschen um. Gemeinsam mit seinem Arzt Dr. Hochstätter (Curd Jürgens) heften sich Keller und Co. an die Fersen des Mörders. Sie erwarten, dass er die Artistin Eva Raßner (Christine Kaufmann) aufsucht, die er einst umbringen wollte. Gemeinsam mit ihrem Gatten (Günter Stoll) weilt sie in München, weil dort gerade der Zirkus gastiert. Das Problem: Niemand weiß wie Kabisch aussieht, denn dessen Spezialität waren stets seine Maskierungs- und Schauspielkünste …
Hier wird ganz, ganz tief in die Exploitationkiste gegriffen und heraus kommt eine herrlich pulpige Episode, die zu allem Überfluss auch noch fantastisch besetzt ist. Curd Jürgens gibt erwartungsgemäß alles als Arzt, der bei der Behandlung eines kriminellen Masterminds die Grenze zum Wahnsinn höchstselbst überschritten hat. Seine mit unverhohlener Bewunderung für den Irren vorgetragenen Exegesen über dessen Philosophie sind eine echte Schau, entlocken dem nüchternen Keller mehr als nur ein befremdetes Augenrollen. Die Idee mit den Masken ist natürlich auch super, eine schöne Reminiszenz an die Gruselkrimis der Sechzigerjahre, deren Ausläufer zu Beginn der Siebzigerjahre ja immer noch in den Lichtspielhäusern der Nation zu bewundern waren. Man erkennt recht schnell, wer der Täter sein muss, weil Schnauz und Hasenzähne ein bisschen arg angeklebt aussehen, aber die Auflösung ist dann doch ganz hübsch. Horst Frank taucht gleich mehrfach auf und ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte ihn in allen seinen Verkleidungen erkannt. Geiler Pulp!
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Episode 44: Die Tote im Park (Wolfgang Staudte, Deutschland 1972)
Im Englischen Garten wird die Edelpostituierte Erika Halonde (Gaby Gasser) tot aufgefunden. Sie gehörte zum Zuhälter Rotter (Manfred Spies), der darüber erbost war, dass sie ein Verhältnis mit dem Nachtclub-Betreiber Dewanger (Siegfried Wischnewski) hatte. Bei den Ermittlungen bekommt Keller Unterstützung von Gerti Halonde (Heidelinde Weis), selbst eine Prostituierte, die zur Untermiete bei dem schwerkranken Erich Felz (Siegfried Lowitz) lebt. Als Gertis Vater (Martin Held) nach München kommt, hat sie ein Problem, denn er soll natürlich nicht erfahren, welchem Beruf sie nachgeht …
Eher mittelprächtige Folge, die aber von ihrer Milieudarstellung und dem gewohnt tollen Spiel von Heidelinde Weis profitiert. Die Szene, in der der fiese Rotter sie vor ihrem Vater als „Nutte“ bloßstellt und es plötzlich totenstill im zuvor noch pulsierenden Nachtclub wird, ist toll. Und Lowitz übt schon einmal für seine Rolle in der späteren DERRICK-Episode „Stiftungsfest“. Sonst fällt mir nichts ein.
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Episode 45: Schwester Ignatia (Dietrich Haugk, Deutschland 1972)
Die Ordensschwester Ignatia (Maria Becker) erkennt unter den jugendlichen Einbrechern, die nachts aus der Villa eines Millionärs fliehen, Jürgen Gebhardt (Volker Eckstein), in dessen Elternhaus sie zur Pflege seiner schwer kranken Mutter (Berta Drews) ein- und ausgeht. Sie schützt den Jungen, indem sie eine klare Aussage verweigert …
Mit „Schwester Ignatia“ vergeigt Reinecker erhebliches Potenzial: Die Tatsache, dass die Nonne einen Täter deckt, spielt für den Ermittlungserfolg eigentlich kaum eine Rolle, weil Keller und Partner auf ihren Hinweis kaum angewiesen sind. Der eigentliche Täter stellt sich schon ausreichend dumm an, aber wer will es ihm auch verdenken. Wieder einmal geht es hier um höchst fragwürdige Beziehungsspiele, bei denen ein verweichlichter Ehemann solange gute Miene zum bösen Spiel macht, bis die Wildsau mit ihm durchgeht. Passend dazu wird seine Ehefrau von der blonden Quasischwedin Ini Assmann gegeben, deren kurze Filmografie mit Titeln wie DER NÄCHSTE HERR, DIESELBE DAME, CARRERA – DAS GEHEIMNIS DER BLONDEN KATZE, PUDELNACKT IN OBERBAYERN, HUGO, DER WEIBERSCHRECK, BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER und SCHULMÄDCHEN-REPORT 6. TEIL: WAS ELTERN GERN VERTUSCHEN MÖCHTEN sehr aufschlussreich bestückt ist. Sie sagt in der ganzen Episode kein Wort, steigt ständig aus dem Pool oder klettert hinein und ist reichlich lazy als personifizierte Sünde gezeichnet.
Sein Ringelmann-Debüt gibt Volker Eckstein, hier mal nicht als blässlicher Softie, sondern als Halbstarker, der von der strengen Ignatia als Gegenleistung für ihr Schweigen auf den Pfad der Tugend geführt wird. Die Folge ist am besten, wenn sie sich der Zeichnung eines höchst banalen sozialen Elends widmet: Jürgens Mutter liegt schwitzend im Bett, ihrem Tod entgegenjammernd, der Vater ist ständig besoffen und völlig ohnmächtig, der Sohnemann will einfach nur weg. Nebenbei spielt Jan Hendriks noch einen arbeitslosen Vater, der ständig seine kleine Tochter verdrischt. Am Ende fällt Schwester Ignatia mit dem Fahrrad auf die Schnauze, als wolle Reinecker auch ihr noch einen mitgeben. Seltsam.
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Episode 46: Überlegungen eines Mörders (Dietrich Haugk, Deutschland 1972)
Auf Erika (Grit Böttcher), die junge Gattin des Unternehmers Hubert Taveller (Harry Meyen), wird ein Mordanschlag verübt. Die junge Frau hatte keinen besonders guten Stand in der Familie, wie Kommissar Keller schnell herausfindet. Sowohl Nora (Claudia Butenuth), Tavellers Tochter aus erster Ehe, als auch seine Ex-Gattin Irene (Nadja Tiller) halten wenig von ihr. Und dann ist da ja auch noch die Hausdienerin Franziska (Christiane Rücker), mit der der Hausherr ein Verhältnis hat …
Ja, nu. Die schöne Besetzung kann nicht ganz verhindern, dass ÜBERLEGUNGEN EINES MÖRDERS den Eindruck macht, als habe Reinecker sie zwischen zweitem Frühstück und Mittagsschläfchen geschrieben. Nicht schlecht, aber vergleichbare Fälle hat man zu diesem Zeitpunkt schon x-mal gesehen.
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Episode 47: Tod eines Schulmädchens (Theodor Grädler, Deutschland 1972)
Die Schülerin Kirsten Benda (Helga Anders) wird abends vor einer bekannten Spielhalle erschossen. Bei den Ermittlungen an ihrer Schule finden Keller uns seine Männer heraus, dass die Klassensprecherin bei Lehrern und Schulleitung (Wolfgang Preiss) höchst unbeliebt war: Sie galt ihnen als aufmüpfig, unmoralisch, ja sogar „böse“. Ihr Klassenlehrer Gebhardt (Heinz Bennent) wollte wegen ihr sogar den Beruf aufgeben. Nun, nach ihrem Tod, ist er aber plötzlich ganz anderer Meinung über sie …
Generationenkonflikt à la Reinecker: Schon die Jacke der Benda reicht aus, um den Stab über der Schülerin zu brechen. Wer sich so unweiblich anzieht, der muss mit dem Teufel im Bunde sein. Die Rückblendenstrategie ist hier besonders geschickt, weil ihre einzelnen Segmente den krassen Widerspruch zwischen den Aussagen der Erwachsenen über die ach so verkommene Kirsten und deren wirklichem Verhalten offenlegen. Man ist es schlicht und ergreifend nicht gewohnt, dass eine Jugendlich einen eigenen Willen zeigt, Antworten einfordert oder gar mit Argumenten überzeugt werden möchte, anstatt bloß willige Befehlsempfängerin zu sein. Es ist frappierend, dass niemand wirklich sagen kann, was sich dieser Satansbraten eigentlich hat zu Schulden kommen lassen: Aber auch, dass weder Keller noch seine Leute jemals wirklich danach fragen. Was Erwachsene über Jugendliche sagen, hat eben doch mehr Gewicht.
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Episode 48: Toter gesucht (Theodor Grädler, Deutschland 1972)
Der Ladenbesitzer Berneis (Bernrad Wicki) fängt Kommissar Keller eines Morgens aufgeregt ab. Er glaubt, sein Sohn Franz (Christopn Bantzer) habe einen Mord begangen, weil er am Vorabend mit einem blutverschmierten Hemd nach Hause gekommen sei. Keller glaubt dem Mann, zumal sich Indizien auf ein dunkles Geheimnis des Sohnes häufen. Nur eine Leiche fehlt …
Eine schöne, wenn auch nicht unbedingt spektakuläre Folge. Bernhard Wicki ist wunderbar mit seinem Rauschebart, dem Hut und dem ständigen Kippenrauchen, wie er seinen Nachbarn Keller da auf offener Straße abfängt, ihn zu einer konspirativen Sitzung in die kleine Küche hinter seinem Gemischtwaren holt und sich dann ständig selbst unterbricht, um sich zu vergewissern, dass sein inkriminierter Sohn nicht die Treppe herunterkommt. Der Kommissar ermittelt gewissermaßen auf eigene Faust, sehr zum Unverständnis seiner jüngeren Untergebenen, die angesichts des Mangels einer Leiche an seinem Verstand zu zweifeln beginnen. Aber Keller kann sich natürlich auf seine untrügliche Intuition verlassen, Er weiß, dass Franz Dreck am Stecken hat und weil ihm die Beweise fehlen, tut er das, was Oberinspektor Derrick später zur Kunstform erheben sollte: Er geht dem Täter mit seinen ständigen Überraschungsbesuchen gnadenlos auf die Nerven.
„Toter gesucht“ ist auch eine verhalten humorvolle Episode, weil sie Keller Gelegenheit gibt, den arroganten Schnösel gnadenlos abblitzen zu lassen. Und in einer ganz famosen Szene hört er sich mit wissendem Lächeln und in aller Seelenruhe die Beleidigungen des Morgenluft witternden Buben an. Es tut ein bisschen weh, weil sein Gegenüber auch ein ganz kleines bisschen Recht hat, wenn er Keller ein tristes Spießerleben vorwirft, aber der schluckt es runter, weil er genau weiß, wo das Großmaul in Bälde landen wird. Dann lässt er sich von dessen Freundin Anita (Eleonore Weisgerber) zu einem Tänzchen auffordern und was eigentlich als Demütigung gemeint ist, wird zum stillen Triumph des alten Mannes, der den Exkurs auf die Tanzfläche durchaus genießt.
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Episode 49: Ein Amoklauf (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)
Weißmann (Gerd Baltus) hat vor Jahren seinen Schwiegervater sowie seine beiden Kinder erschossen, als er herausfand, dass seine Gattin Hannelore (Krista Keller) ihn mit einem anderen Mann betrügt. Jetzt ist ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen und Keller und seine Assistenten wissen, wo er hin will: Zu seiner alten Wohnung, wo Hannelore mit besagtem Mann, ihrem neuen Gatten (Götz George) lebt. Während Harry mit dem behandelnden Psychiater (Charles Regnier) in einer Kneipe gegenüber der Wohnung wartet, beschützt Walter die verängstigten Eheleute – und erfährt, was Weißmann damals die Sicherungen durchbrennen ließ …
Eine Belagerungsfolge, die viel Spannung aus ihrer einfachen Konstellation bezieht, auch wenn man ahnt, dass es nicht zu einem weiteren Amoklauf kommen wird. Wie auch in späteren DERRICK-Folgen wird hier wieder ein sehr seltsames und verdrehtes Bild einer „Liebes“-Beziehung gezeichnet: Was ging nur in Reineckers Kopf vor? George interpretiert seinen Neumann ausnahmsweise mal nicht als selbstbewussten Supermacho, sondern im Gegenteil als ziemlich jämmerlichen Feigling, der angesichts des möglichen Todes auf alle vor dem Pfarrer geleisteten Eheschwüre pfeift und nur daran denkt, sein Gewissen zu beruhigen und sauber davonzukommen. Ein ekelhafter Typ. Seine Gattin hingegen entspricht eher dem Typus der gefühlskalten und verantwortungslosen Schlampe, die ihren Mann einst mit perfider Schadenfreude und ohne schlechtes Gewissen hinterging und bizarrerweise keinerlei Probleme damit hat, weiterhin in der Wohnung zu leben, in der ihre eigenen Kindern einen gewaltsamen Tod fanden. Walters Gesichtszüge entgleisen mehr als einmal, ob der Darbietung der beiden, der er da beiwohnen darf.
Baltus als Amokläufer ist natürlich eine strategische Besetzung: Man assoziiert ihn ja eigentlich eher mit biederen Waschlappen der Marke Versicherungsvertreter oder Buchhalter – siehe seine Rolle in der DERRICK-Jahrhundertfolge „Tod des Wucherers“ -, aber in der frühen KOMMISSAR-Episode „Ratten der Großstadt“ agierte er durchaus überzeugend als gemeiner Prolet. Davon ist hier nicht mehr viel zu sehen, und weil von ihm keine echte Bedrohung ausgehen mag, erwartet man eigentlich, dass sich seine Unschuld an dem vergangenen Massaker herausstellt. Die Überraschung, mit der „Ein Amoklauf“ schließt, ist anderer Natur. Und verfehlt ihre Wirkung durchaus nicht. Natürlich ist auch Regnier wieder mal super.
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Episode 50: Der Tennisplatz (Theodor Grädler, Deutschland 1972)
Ein Obdachloser (Bruno Hübner) wird erschossen in einem geparkten Auto aufgefunden, an seinen Schuhen klebt rote Asche, wie man sie auf Tennisplätzen findet. Eine Spur finden Keller und Co. in einem Obdachlosenheim, wo der Mann anhand eines Fotos als Hugo Bechthold identifiziert wird. Sein Zimmergenosse Biebach (Rudolf Platte) berichtet Keller von Brunos letztem Tag. Anhand dieser Schilderungen gelingt es dem Kommissar tatsächlich den Ort zu finden, an dem der Obdachlose sein Leben verloren hat: Ein besitzerloser Tennisplatz, in dessen Nähe die Villa der Familie Prewall steht. Alles deutet darauf hin, dass der junge Andreas Prewall (Peter Fricker) der Mörder ist …
Reinecker frönt in „Der Tennisplatz“ wieder einmal seinem Menschenhass oder genauer: seiner Verachtung für die Oberschicht, die sich über die Schwächeren erhebt und voller Arroganz auf sie hinabschaut, sich ihrer Überlegenheit ganz sicher, die sich jedoch einzig auf ihre materielle Affluenz gründet. Das Ende ist harter Tobak: Die „feinen Herrschaften“ steigern sich in ihrem sadistischen Spiel mit dem armen, ahnungslosen Kerl in einen wahren Rausch, wie wild gewordene Affen feuern sie ihn an und demütigen sie ihn, bis schließlich die tödlichen Schüsse fallen. Ein bisschen forciert wirkt das schon, vor allem Frickes Charakter zeigt keinen einzigen positiven oder auch nur milde sympathischen Zug. Dass er die ganze Zeit mit seinem wortkargen Freund Jürgen (Roger Fritz) rumhängt, suggeriert seine Homosexualität, auch wenn Reinecker nie wirklich explizit wird.
Er erdet diese Übersteigerung damit, dass er in der Zeichnung seiner Schauplätze sehr abstrakt bleibt: Die Kneipe, in der Hugo seinen letzten Kassler aß (der Wirt ist natürlich wieder einmal Dirk Dautzenberg), der Tennisplatz und die Villa der Prewalls fügen sich nie zu einem schlüssigen geografischen Gesamtbild, es sind Settings, die im luftleeren Raum schweben und die ganze Geschichte so in den Rang einer bitteren Parabel erheben, anstatt sie wirklich in Bezug zur konkreten Realität der BRD anno ’72 zu setzen. Gerade das hat mir super gefallen.
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Episode 51: Fluchtwege (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)
Gabriele Bebra (Monica Bleibtreu) flieht aus einer Erziehunganstalt. Harald Steinhoff (Joachim Ansorge) gabelt sie auf, verliebt sich in sie und lässt sie im Gartenhaus auf dem Grundstück seines wohlhabenden Vaters (Carl Lange) wohnen. Einige Zeit später findet man Gabrieles Vater (Michael Toost), einen Säufer, tot in seiner Wohnung und Gabriele taucht kurze Zeit später wieder in ihrem Heim auf. Ist sie die Mörderin? Und welche Rolle spielt ihr Bruder Gerd (Martin Semmelrogge)?
Eine dramatische Episode, angesiedelt im Spannungsfeld zwischen tristem, prekärem Kleinbürgermilieu ohne Hoffnung, geprägt von Alkohol, häuslichem Missbrauch und Erziehungsheimen, und wohlhabendem Bürgertum, das zwar mit Wohlstand, aber ohne Empathie ausgestattet ist. Die Szenen im Heim, wo Gabriele nach ihrer freiwilligen Rückkehr zur Strafe für ihre Flucht in „Isolationshaft“ in den Keller gesperrt wird, sind nicht die einzigen, die an COOL HAND LUKE und vergleichbare Knastfilme erinnern. Reinecker trägt vielleicht etwas dick auf mit der Darstellung des Bebra’schen Familienalltags und Carl Lange auf der anderen Seite ist auch nicht gerade für Ambivalenz eingestellt worden, aber Monica Bleibtreu sorgt mit ihrer zurückhaltenden Darbietung für den nötigen Realismus. So wie sich Harald spontan in sie verliebt, als sie ihre Heimschuhe auszieht und wegwirft, geht das auch dem Zuschauer. Man könnte den Rest seiner Tage damit verbringen, ihr dabei zuzuschauen, wie sie tagsüber im Bett liegt und Zigaretten raucht.
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Episode 52: Das Ende eines Humoristen (Theodor Grädler, Deutschland 1972)
Erwin Waldermann (Hanns Ernst Jäger) lebt in der Vergangenheit: Immer noch tritt er regelmäßig auf und erzählt seine 30 Jahre alten Witze, die aber nur noch das genügsamste Kneipenpublikum aus der Reserve zu locken vermögen, und träumt von den angeblich glorreichen Tagen, als er vor ausverkauften Sälen in den Kurorten Travemünde oder Baden-Baden tosenden Beifall erhielt. Als seine Tochter Ursula (Christiane Schröder) ermordet wird, die als seine Managerin fungierte, obwohl sie seine Witze furchtbar fand, bricht Waldermann zusammen …
Oh – mein – Gott. „Das Ende eines Humoristen“ muss eine der bittersten Serien- bzw. Filmerfahrungen sein, die ich machen durfte. Die Figur des jämmerlichen Kalauererzählers, der mit seiner pomadigen Darbietung wie ein Relikt aus längst vergessenen Zeiten anmutet, sich Abend für Abend selbst der Lächerlichkeit preisgibt, ohne zu merken, wie armselig seine Nummern sind, stürzt den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle. Man hat Mitleid mit ihm, auf der anderen Seite mag man ihm seinen Realitätsverlust nach einiger Zeit einfach nicht mehr nachsehen. Genau darum geht es auch: Wie kann man jemanden lieben, der einen so miserablen Sinn für Humor hat? Der einfach nicht einsehen will, dass das, was er tut, schlecht, ja unerträglich ist? Der Begeisterung und Teilnahme einfordert, obwohl man sich nur noch abwenden möchte? Reinecker und Grädler geben keine Antwort darauf, und sowohl Ursula wie auch Waldermanns Untermieter Sorge (Alfred Balthoff) müssen als Musterbeispiele christlicher Nächstenliebe gelten, wie sie diesem Verblendeten die Treue halten, sich immer und immer wieder seine grausamen Witzchen anhören. Keller und Co. verstehen es natürlich nicht, als Sorge einmal, als Waldhoff das Zimmer verlässt, die Fassade des fürsorglichen Freundes fallenlässt und seinem Ekel Luft verschafft: Er sei doch Waldermanns Freund? Der Zuschauer ist da schon einen Schritt weiter und weiß, wie es in Sorge aussehen muss.
Aber natürlich reißt einen die Auflösung doch von den Füßen. So sehr man Waldermann auch zurufen möchte, er solle endlich aufhören, so wenig wünscht man ihm dieses Schicksal. Am Ende der Episode ist von ihm nichts mehr übrig. Ich hingegen werde Waldermann nie mehr vergessen.
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Epsiode 53: Mykonos (Jürgen Goslar, Deutschland 1972)
Charlotte (Maresa Hörbiger) und Robert (Bernd Herzsprung) sind mit Drogen im Kofferraum aus Mykonos nach München gekommen, um sich ein paar Tausend Mark für das Leben auf der griechischen Insel zu verdienen. Doch Robert wird bei dem Deal ermordet. Die Spur führt Keller und seine Assistenten in die Drogenszene, in der der Dealer Manni Geckow (Ullrich Haupt) in großem Stil die Fäden zieht …
DER KOMMISSAR geht MIAMI VICE! Naja, nicht ganz, aber ein paar Parallelen kann man durchaus ziehen. Zum Beispiel, wenn Harry im engen T-Shirt und Jeans undercover im „Nirwana“ auftaucht, Fragen stellt und eine heroinsüchtige 13-Jährige mitnimmt. Oder wenn Geckow in seiner Münchener Villa zwischen lauter gut aussehenden Frauen herumscharwenzelt und am Ende ein rauschendes Fest gibt. Unterschiede kann man aber auch festmachen: Während Drogen in der amerikanischen Hitserie längst im Mainstream angekommen sind, regiert hier doch überwiegend erst Ahnungslosigkeit und dann das blanke Entsetzen. Geckow gerät in großäugige Panik, als das Geheimnis seines Wohlstands ans Licht zu kommen droht, und seine Gäste können es kaum glauben, wo sie da reingeraten sind. Goslar bringt in seinem KOMMISSAR-Debüt durchaus etwas Amerikanisches mit ein, was zum Sujet gut passt. Das Finale ist fast schon Action.
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Episode 54: Blinde Spiele (Theodor Grädler, Deutschland 1972)
Gerhard Rauda (Robert Freitag) wird erschossen in einem Boot auf dem Starnberger See treibend aufgefunden. Bei den Ermittlungen findet Keller heraus, dass der verheiratete Mann regelmäßig andere Frauen in sein Bootshaus einlud; Affären, von denen seine Gattin (Anaid Iplicjian) nicht nur wusste, sie war sogar mit seiner Geliebten Erika Kerrut (Anna von Koczian) befreundet. Und jene machte wiederum aus ihrer Affäre mit Rauda vor ihrem Gatten (Hellmut Lange) kein Geheimnis, der sich zum Ausgleich mit dem Hausmädchen (Beatrice Norden) verlustierte. Nur die beiden Kinder (Pierre Franckh und Katharina Seyfert), die sahen das alles nicht so locker wie die Erwachsenen …
Zunächst mal erstaunt die Offenherzigkeit, mit der die Themen Polygamie und offene Beziehungen hier verhandelt werden. Aber natürlich geht es Reinecker nicht darum, alternative Lebenskonzepte zu propagieren, weshalb das ungehemmte Liebesglück auch geradwegs in die Katastrophe führen muss. Selbst wenn das Motiv nicht Eifersucht ist: Es ist unzweifelhaft, dass Reinecker meint, die Raudas und Kerruts haben mit dem Mord nur die Rechnung für ihr unmoralisches Handeln erhalten. Der schöne, utopische Schein zeigt aber vorher schon Risse: Ganz so cool, wie sie tun, sind die Kerruts mit den Affären des jeweiligen Partners dann doch nicht, irgendwann kommt es zum gepfefferten Streit vor den Kriminalbeamten, die sich das selbstzufriedene Grinsen nicht ganz verkneifen können. Keller möchte man für seine dämliche Borniertheit, mit der er die Lebens- und Liebeskonzepte der beiden Paare als größenwahnsinnig und fehlgeleitet bezeichnet, bloß weil er sich nichts anderes vorstellen kann, feste vors Schienbein treten oder ihm einen Cognac in seine ledrige Spießerfresse mit den Schweinsaugen schütten.
Aber letztlich ist es ja genau dieses beständige Schwanken zwischen bilderstürmerischer Modernität und graubrauner Piefigkeit, das an DER KOMMISSAR so fasziniert, weshalb „Blinde Spiele“ natürlich auch keine ärgerliche, sondern im Gegenteil eine supertolle Episode ist.
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Episode 55: Rudek (Charles Regnier, Deutschland 1973)
Der Geschäftsmann Doberg (Siegfried Lowitz) nimmt seinen Kollegen Rudek (Ernst Schröder) mit in das exklusive Bordell von Derrick (Sky Dumont). Dort fällt Rudek aus allen Wolken: Eine der beiden Prostituierten ist seine Tochter Ursula (Ilona Grübel). Außer sich verlässt er mit dem Mädchen die Wohnung und lässt Doberg und Heide (Hildegard Krekel) allein zurück. Am nächsten Morgen ist Derrick tot …
Reinecker nimmt mal wieder die spießbürgerliche Moral aufs Korn: Rudek nimmt zwar für sich in Anspruch, jederzeit in ein Bordell gehen und sich dort von jungen Mädchen verwöhnen lassen zu können, aber wenn es dann die eigene Tochter ist, die er da vorfindet, dann ist das natürlich doch nicht mehr so Ok. Lowitz gibt mal wieder einen seiner altväterlichen Lustmolche und haut den Kollegen im Verlauf der Episode ganz schön in die Pfanne, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Klaus Schwarzkopf spielt den drückebergerischen Nachbarn Hauffe, der sich laut Ehefrau (Edda Seipel) gern bei Derrick aufhielt. Die beste Szene ist das Zwiegespräch zwischen dem angespannten Rudel und seiner Tochter, bei der die Ehefrau und Mutter sorgenvoll hinter einer Glastür warten muss, nicht wissend, was eigentlich vorgefallen ist. Regniers Inszenierung ist dunkel, betont die schattenhafte Schwärze des Mietshauses und der Wohnung Derricks. Schön.
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