Archiv für September, 2017

Es dauerte nur ein Jahr, um aus der dunklen, geradezu verzweifelt traurigen Atombomben-Allegorie namens GOJIRA den unschuldigen Monsterquatsch zu machen, den man mit dem Namen „Godzilla“ in erster Linie verbindet. Das einzige, was in Odas Sequel noch an Ishirô Hondas Vorgänger erinnert, sind das Schwarzweiß und eine längere Film-im-Film-Sequenz, in der Material aus dem ersten Teil gezeigt wird. Atombomben und die Gefahr, die von ihnen über die unmittelbare Zerstörung hinaus ausgehen, werden zwar ebenfalls thematisiert, aber das geschieht eher aus alter Verbundenheit denn aus echter Überzeugung. Auffällig ist auch die Kluft zwischen der Monsterkeilerei und dem human factor: GOJIRA NO GYAKUSHÛ kommt mit großem Krachen zum Stillstand, wenn er sich seinen menschlichen Protagonisten zuwendet, die vollkommen willkürlich ausgewählt scheinen.

Kobayashi (Minoru Chiaki) und Tsukioka (Hiroshi Koizumi) sind Piloten für eine Großfischerei. Als Kobayashi auf einer Insel notlanden muss, entdeckt er dort ein neues Godzilla-Exemplar sowie ein weiteres Riesenmonster, das von Wissenschaftlern wenig später als Anguirosaurus bzw. Anguirus identifiziert wird – weitere Folgen der Atombombenversuche. Godzilla walzt auf Osaka zu, wo er sich mit Anguirus prügelt, dass die Häuser umstürzen. Auf Hokkaido verrennt sich die Riesenechse schließlich in einer Schlucht, wo es gelingt, ihn mithilfe von Lawinen festzusetzen. Leider verliert Kobayashi, der doch gerade eine Frau gefunden hatte, sein Leben. The End.

Eine wirklich kohärente, konsequent entwickelte Handlung hat GOJIRA NO GYAKUSHÛ nicht, dafür eben ein zweites Monster, sodass es hier erstmals zu den ausgedehnten Balgereien kommt, die später charakteristisch werden sollten. Eine schöne, aber kurze Actionsequenz behandelt einen Gefangenenausbruch, in dessen Folge ein Großbrand ausbricht, der Godzilla anlockt, nachdem es zuvor gelungen war, ihn mit Leuchtbomben aufs offene Meer hinauszuscheuchen. Wer die Serie für ihre unverstellte, geradezu mit offenen Armen empfangene Naivität liebt, wird auch jene Szene in sein Herz schließen, in der ein Wissenschaftler anhand eines Was-ist-Was-Buches erklärt, dass der einzige natürliche Feind des Anguirosaurus im Jura-Zeitalter „der Godzilla“ war. Keine Ahnung, ob das im japanischen Original ähnlich Banane klang, in der deutschen Synchro biegen sich jedesmal die Balken, wenn die Protagonisten da todernst über „den Godzilla“ sprechen. Ja, auch dieser Film ist natürlich herzallerliebst, aber er hängt noch etwas zwischen den Stühlen: In Schwarzweiß funktioniert dieser Unfug einfach nicht so gut wie das dann in Farbe ohne Zweifel der Fall sein sollte. Bis es soweit war gingen aber sieben lange Jahre ins Land …

Meine wundersame Reise in die bizarren Filmwelten des Hisayasu Satō geht weiter – mit einem Film, gegenüber dem der auch schon reichlich eigenwillige NEKEDDO BURÂDDO: MEGYAKU beinahe mainstreamig wirkt. IYARASHII HITOZUMA: NURERU ist deutlich Pinku-lastiger als der genannte, weniger splatterig und erzählerisch noch leerer, setzt noch mehr auf eine ungemütlich-kalte, gleichwohl oftmals ins Absurd-Tragikomische hineinspielende Stimmung der Entfremdung und Einsamkeit. Außerdem meine ich darüber hinaus eine kleine Noir-Schlagseite ausgemacht zu haben, die ausgezeichnet zu seinem urbanen Zwielichtszenario passt: Im Zentrum steht eine mörderische Femme fatale, mit der es der abgebrannte Protagonist zu tun bekommt, und die Strategie Satōs, die Geschehnisse in Dialogpassagen von seinen Figuren erklären zu lassen, führt wie bei Noir-Klassikern wie THE BIG SLEEP oder THE MALTESE FALCON gerade nicht dazu, die Ereignisse plausibel zu machen. Im Gegenteil verstärken sie noch die Irritation und Verwirrung des Zuschauers, der beim Versuch, all diese Erklärungen mit dem, was er gesehen hat, in Übereinstimmung zu bringen, gnadenlos scheitern muss.

Zu Beginn scheint alles noch sehr klar: Takeshi (Takeshi Itô) wurde vor kurzem von seiner Freundin verlassen und wandert seitdem mehr oder minder ziellos durch die Straßen Tokios. Dabei guckt er sich willkürlich Menschen aus, denen er dann folgt. Bei einem seiner Ausflüge macht er Bekanntschaft mit einem Liebespärchen, das sich als höchste Form der Intimität gegenseitig das Blut des jeweils anderen injiziert. Die beiden erwähnen außerdem einen Vampir, der die Straßen der Stadt unsicher mache. Bei diesem Vampir handelt es sich um die Gattin eines Arztes, die einem fehlgeschlagenen Steroid-Experiment zum Opfer gefallen und nun anbhängig von dem Medikament ist. Takeshi erfährt von ihrem Ehemann nicht nur, dass er von seiner Ex-Freundin mit AIDS infiziert wurde, er erhält auch den Auftrag, der Vampirin zu folgen und sie zu beobachten. Die beiden beginnen eine Liebesbeziehung, die tragisch endet …

Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen, wusste schon der alte Wittgenstein. Dass er IYARASHII HITOZUMA: NURERU gesehen hat, ist ausgeschlossen, sein Aphorismus fällt mir aber notgedrungen ein, denn ich bekommen diesen Film einfach nicht richtig zu fassen. Man kann Trivia herunterbeten, erwähnen, dass Satō seine Darsteller im Guerilla-Style auf der Straße zwischen den Passanten filmte oder dass dies einer der ersten Pinkus ist, in dem AIDS offen thematisiert wurde. Die Story, in der Blut und Infektionen eine wichtige Rolle spielen, in der kranke Menschen in dunklen, kargen Zimmern nach Möglichkeiten suchen, ihr Leben zu leben, in der sie eine Art Parallelgesellschaft bilden, die mit den „Normalen“ in keinerlei Kontakt mehr steht, bietet sich an, ja zwingt einen geradezu, sie als AIDS-Allegorie zu interpretieren, aber mit gefälligem Themenkino hat das, was Satō auf die Leinwand bringt, rein gar nichts zu tun. Verstörend, dunkel und schmutzig ist das, selbst wenn der Liebesakt abgebildet wird, und der gleichermaßen somnambule wie spasmisch stolpernde Flow des Films verstärkt noch den dissoziativen Effekt, den geflüsterte Voice-overs, der großzügige Gebrauch von Spritzen und verfremdete Bilder der Metropole hervorrufen. IYARASHII HITOZUMA: NURERU driftet in seinem letzten Drittel immer mehr in den Wahnsinn ab, die anfängliche Klarheit verflüchtigt sich, Auflösungserscheinungen machen sich breit, Satō hört auf, klassisch zu erzählen. Einmal hagelt es eine wortreiche Erklärung der Vorgänge, die mehr Fragen aufwirft als sie beantwortet, und es stellt sich die Frage, ob der Blick der Kamera tatsächlich so distanziert ist, wie es den Anschein macht, oder ob wir als Zuschauer nicht doch mitten drin sind im Körper eines Totkranken, die Wahrnehmung von Drogen beeinträchtigt. Ich verstehe diesen Film nicht, aber er übt eine endlose Faszination auf mich aus. Two films in, hat mich Satō schon voll gepackt. Wo wird das nur enden?

 

Die Biografie Adrian Hovens ist eine der interessanteren Geschichten des vergangenen deutschsprachigen Kinojahrhunderts. Der gutaussehende Österreicher stieg nach dem Krieg zu einem der beliebtesten Darsteller auf, stand in Heimatfilmen, Romanzen, Melodramen und Abenteuerfilmen vor der Kamera und eroberte die Herzen der weiblichen Zuschauer. In den Sechzigerjahren absolvierte er dann sein Regiedebüt, den großartigen Wien-Krimi DER MÖRDER MIT DEM SEIDENSCHAL, bevor er dann als Co-Produzent und Akteur einiger Jess-Franco-Filme (u. a. SADISTEROTICA und NECRONOMICON) offensichtlich Freude am Exploitationfilm fand. Er drehte flugs seinen eigenen Beitrag, den mit den Franco-Regulars Janine Reynaud, Howard Vernon und Michel Lemoine besetzten IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE, bevor dann endgültig jede Zurückhaltung über Bord geworfen wurden. Es folgten Lubowskis Sleazer SÜNDE MIT RABATT, bevor Hoven mit HEXEN BIS AUFS BLUT GEQUÄLT einen Riesenhit landete, dem er, ganz Geschäftsmann, ein Sequel mit dem subtilen Titel HEXEN – GESCHÄNDET UND ZU TODE GEQUÄLT hinterherschob. Andere hätten an dieser Stelle den logischen Schritt zum Pornofilm vollzogen, Hoven landete stattdessen bei Fassbinder, für den er bis zu seinem Tod 1981 noch in etlichen Filmen/Serien mitwirkte, darunter WELT AM DRAHT, MARTHA, FAUSTRECHT DER FREIHEIT, SATANSBRATEN, BERLIN ALEXANDERPLATZ und LILI MARLEEN.

Geht es nach Will Tremper eine weggeworfene, verschwendete Karriere, aber hier sind wir in der glücklichen Lage, nicht die eine Art Kino gegen eine andere ausspielen zu müssen. Und deshalb bin ich der Meinung, dass wir uns den Filmemacher und Schauspieler Hoven als glücklichen Menschen vorstellen müssen, der gemacht hat, worauf er gerade Bock und der dabei wahrscheinlich seinen Spaß hatte – auch wenn nicht die große Kunst seine Triebfeder war, sondern der Geldbeutel. Schade, dass sich dieser Spaß bei IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE, auf den ich mich sehr gefreut hatte, nicht so wirklich auf den Betrachter übertragen mag. Ja, der Film ist ein wunderbares Zeitzeugnis, atmet die zigarrenrauch-geschwängerte Luft der späten Sechziger, als Dekadenz noch so eine eichenholzschrankwandartige-zigarettenetuieske Bürgerlichkeit hatte, die nach Polyboy und verschwitzten Polyester-Rollis roch. IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE ejakuliert vorzeitig, nämlich in seinen ersten zehn Minuten, die eine wirklich unfassbare Party zeigen, bei der sich die feine Gesellschaft in einer zirkelförmigen Polonäse ergeht, versumpft dann aber leider zwischen ausgedehntem Material einer Herzoperation und einigen wenig aufregenden Softsex-Szenen. Inhaltlich versucht sich Hoven an einer mit Gothic Horror-Motiven aufgebrezelten Adaption von Conrad Ferdinand Meyers Ballade „Die Füße im Feuer“, der es aber angesichts der Unterambitioniertheit des Ganzen an emotionaler Durchschlagskraft entschieden mangelt. Mag sein, dass der Film unter anderen Rahmenbedingungen eine Kraft entfaltet, die ihm gestern, als ich ihn allein und weitesgehend nüchtern „genoss“, abging: Für das richtig große Fest ist er nicht entfesselt genug, aber als ernster Horrorfilm funktioniert er logischerweise auch nicht. Das endlose Abfeiern von ekligem, aber ehrlich gesagt auch strunzlangweiligem OP-Footage trägt auch nicht gerade zur Erbauung bei. Das mag 1968 ja noch für einen kleinen Skandal gereicht haben, aber heute ist es einfach nur stählern, das mitansehen zu müssen. Naja. Immerhin nicht ganz so schlimm wie das Wahlergebnis heute.

Ich hatte Angst vor diesem Film.

„The film’s most controversial scene features the gluttonous woman first eating her labia, then her nipple, and finally her eyeball.“ (Wikipedia)

Hisayasu Satō gilt als einer der großen, noch tätigen Pinku-Autoren und wird manchmal als mit David Cronenberg verglichen, weil er die Mittel des Pinkus dazu nutzt, wie dieser Themen wie Entfremdung, Drogensucht, Voyeurismus und Perversion zu behandeln. Seine Filmografie umfasst bislang über 50 Titel, die im Zeitraum von 1985 bis 2016 entstanden. Die meisten seiner Filme sind keine industriell nach Schema F gefertigten Gebrauchs- und Delektierpornos, wie das die meisten der Pinkus aus dem Hause Nikkatsu oder Toei waren (für die er aber auch immer wieder tätig war): Internationale Verleihtitel wie LOLITA VIBRATOR TORTURE oder GENUINE RAPE lassen bereits erahnen, dass seine Filme eher verstörender, oder – Achtung Buzzword! – „transgressiver“ Natur sind. Satō war u. a. für einen der ersten kommerziellen Gay-Pink-Filme verantwortlich und einer seiner großen Skandalfilme, HORSE AND WOMAN AND DOG, ist gar dem Bestialty-Subgenre zuzurechnen. NEKEDDO BURÂDDO: MEGYAKU, das Remake seines eigenen BOKO HONBAN, ist einer seiner bekanntesten Filme, wohl auch, weil er den Sexgehalt weit runterschraubt und dafür verstärkt auf Splatterelemente setzt. Oben wiedergegebenes Zitat machte mir in Verbindung mit den anderen Dingen, die ich über Satō las, ein eher ungutes Gefühl, das sich aber nicht bewahrheitete. NEKEDDO BURÂDDO: MEGYAKU ist höchst seltsam, aber nicht ohne Humor. Und die berüchtigten Splatterszenen sind vergleichsweise zurückhaltend, nichts was jemanden, der im Splatterkino einigermaßen bewandert ist, vor wirklich große Herausforderungen stellt.

Der 17-jährige Eiji (Sadao Abe), Sohn eines Wissenschaftler-Ehepaars, dessen männliche Hälfte noch vor seiner Geburt in den Freitod gegangen war, hat eine Droge erfunden, die die Menschheit von Schmerzen befreien und ihnen allumfassende Glückszustände bescheren soll. Da er keine Möglichkeit hat, die Droge zu testen, schleicht er sich in das Labor seiner Mutter (Masumi Nakao) und gibt sein „Myson“ getauftes Präparat in drei Infusionsbehälter, deren Inhalt drei jungen Frauen in einem Experiment verabreicht wird. Bei den Frauen handelt es sich um die unter Schlaflosigkeit leidende, gehörempfindliche Rika (Misa Aika), die eine rätselhafte Beziehung zu einem Kaktus in ihrem Appartement unterhält, eine Vielesserin (Yumika Hayashi) und ein angehendes Model (Mika Kirihara). Während sich Rika und Eiji anfreunden, tut die Droge bei den beiden anderen ihre Wirkung auf unvorhergesehene Art und Weise: Die eine frisst sich selbst auf, die andere verstümmelt sich mit ihren Schmuckstücken. Am Ende bringt Rika Eiji um und setzt dessen Mission danach fort, indem sie seine Droge in der Welt versprüht.

Zu behaupten, ich hätte das alles verstanden, wäre geprahlt. Satō erklärt nichts, wirft vieles so hin und erzeugt damit eine Wirkung, die rationales Verstehen ersetzt. NEKEDDO BURÂDDO ist kalt, aber nicht zynisch oder gar unmenschlich. Die Kälte resultiert nicht aus einer Distanz des Regisseurs zu seinen Figuren, sondern aus der Lakonie der Darstellung, dem Verzicht auf Charakterisierungen und Erläuterungen. Die schmucklose Videooptik und der Soundtrack aus der Computersteinzeit tun das Ihrige. Aber ganz ohne Witz ist das nicht: Eiji ist mit Topfschnitt und Brille der Inbegriff des Nerds und dass er nichts weniger als die Welt verändern will, obwohl er aus seinem kleinen Kabuff im Haus der Mama kaum rauskommt, ist Beweis für seine ultimative Verblendung. Ähnlich welt- und lebensfremd agiert auch sein Vater, der beim Spaziergang mit der Gattin am Strand ein rätselhaftes Flimmern am Horizont erkunden will und daraufhin ins offene Meer und in den Tod läuft, während die Frau arglos auf ihn wartet. Und dann ist da natürlich dieses schräge Kaktusszenario: Auf die Idee, einen Menschen über eine technische Gerätschaft mit einem Kaktus zu verbinden, muss man ja auch erst einmal kommen. Vor diesem Hintergrund muten dann auch die Splattereffekte, bei denen reichlich Gekröse und Kunstblut eingesetzt werden, eher krude und comichaft als realistisch und schockierend an. So ganz weiß ich noch nicht, was ich von NEKEDDO BURÂDDO: MEGYAKO halten soll. Im Moment würde ich ihn eher als „interessant“ denn als „gut“ bezeichnen. Aber das ist ja auch schon was.

 

Liegt es an mir oder sind es die anderen? Als PASSION rauskam, las ich überall, der Film sei fremdschämig und theatralisch, lediglich als übersteuerter Trash zu gebrauchen, wenn man denn versteht, sich darauf einzulassen. Nun ja, De Palma spielte auch schon in seinen Glanzleistungen der Siebziger- und Achtzigerjahre immer wieder mit den Versatzstücken aus Trivialkultur und Exploitation, war weniger an Realismus interessiert als daran, der Wahrheit durch gezielte Überhöhung, Übertreibung und Artifizialität auf die Schliche zu kommen. Wer meint, dass PASSION da aus der Art schlage, der hat bei SISTERS, DRESSED TO KILL, BODY DOUBLE oder RAISING CAIN ganz einfach nur nicht richtig hingesehen. Meine Meinung. Wenn ich seinem bislang letzten Film etwas vorwerfen möchte, dann in erster Linie, dass er ein bisschen zu typisch geraten ist, nichts wirklich neues ausprobiert, sondern nur das bietet, was man gemeinhin mit De Palma assoziiert: schöne Frauen, vermeintlich anzüglichen Sex, eine Prise Melodrama, gemeine Intrigen und Morde und das alles abgelichtet in erlesenen, doppelbödigen Bildern voller vordergründiger Reize und spiegelglatter Oberflächen. Auch eine der Splitscreen-Sequenzes, für die De Palma einst bekannt war, darf nicht fehlen. Hätte man den Begriff früher schon gekannt, man hätte De Palma nicht immer wieder als Hitchock-Epigonen diffamiert, sondern als amerikanischen Giallo-Botschafter bezeichnet. Bei PASSION, der in Europa entstand, sind die Parallelen nun überhaupt nicht mehr zu übersehen.

PASSION ist das Remake von Alain Corneaus letztem Film, dem nur zwei Jahre zuvor entstandenen CRIME D’AMOUR, in dem sich Ludivine Sagner und Kristin Scott-Thomas gegenüberstanden. De Palma vertauscht die Haarfarben und verringert den Altersunterschied zwischen den beiden Protagonistinnen, ändert aber sonst nur wenig (zumindest wenn man eine kurze Inhaltsangabe als Anhaltspunkt nimmt): Christine (Rachel McAdams), Leiterin des Berliner Büros einer internationalen Werbeagentur, unterhält eine kleine Affäre mit Isabelle (Noomi Rapace) einer aufstrebenden Kreativkraft – die zudem eine Liaison mit Christines Freund Dirk (Paul Anderson) unterhält. Als Christine eine von Isabelles Ideen als ihre ausgibt, um ihre Karriere voranzutreiben, bekommt die Partnerschaft erste Risse. Isabelle schlägt mit ihren Mitteln zurück und zieht den Zorn der intriganten Chefin auf sich. Als sie wenig später ermordet wird, fällt der Verdacht auf Isabelle, die jedoch beteuert, ein Alibi zu haben …

Wer keine Tiefe oder stilistischen Überraschungen erwartet und sich mit De Palma auf verlässlichem Autopilot abfinden kann, wird mit PASSION zufrieden sein. Nach dem gescheiterten Versuch, mit REDACTED etwas Neues zu versuchen, hat mir die Rückkehr auf sicheres Terrain sehr gut gemundet. Klar, nichts an PASSION gerät jemals in den Verdacht, eine ähnliche Wirkung wie seine großen Meisterwerke zu hinterlassen und selbst an Spätwerke wie den genannten RAISING CAIN oder FEMME FATALE kommt PASSION mit seinen holzschnittartigen Charakteren und seiner etwas beliebigen Thrillerstory nicht annähernd heran. Aber die stilistische Handschrift ist unverkennbar und ich kann mich an De Palmas Bildkompositionen, seinem Einsatz von Musik und dieser Mischung aus Subversion und Altersgeilheit einfach nicht sattsehen. Die beiden Hauptdarstellerinnen haben mir ausgezeichnet gefallen und die Ballettsequenz hätte ich gern im Kino bewundert. Wer sich über die neuen Argentos ärgert und sich nichts sehnlicher wünscht, als eine Rückkehr des Italieners zu seinen Wurzeln, der sollte es ruhig mal mit PASSION versuchen. Ich mochte ihn!

Wahrscheinlich sind die späteren, bunten Filme der GODZILLA-Reihe bekannter als das Original – zumindest hierzulande. Die Kaiju Eiga, die in den Sechziger- und Seibzigerjahren in den Toho-Studios und bei der Konkurrenz erschienen, erfreuten sich sowohl in Deutschland als auch in den USA großer Beliebhtheit und versüßten die Kindheit so manches Heranwachsenden. Am Rande bekam man dann vielleicht auch irgendwann mit, dass Ishirô Hondas erster GOJIRA und seine Titelkreatur eine Atombomben-Allegorie waren – was in den immer kindischer und absurder werdenden Sequels kaum noch eine Rolle spielte.

GOJIRA ist deutlich näher dran am klassischen Monsterfilm der Fünfzigerjahre, der ja auch in seiner US-amerikanischen Ausprägung als Reaktion auf die Entwicklung der Atombombe gelesen werden konnte/musste, aber atmosphärisch noch einmal etwas ganz anderes. Über weite Strecken widmet er sich dem Protagonistenpärchen Hideto (Akira Takarada) und der schönen Emiko (Momoko Kochi), der Tochter des Wissenschaftlers Professor Yamane (Takashi Shimura), der das Auftauchen des Monsters sofort mit den Atombombenversuchen im Pazifik in Verbindung bringt und mahnt, man möge damit aufhören. Emiko ist dem Erfinder Dr. Serizawa (Akihiko Hirata) versprochen, einem seit einem Unfall zurückgezogen lebenden Forscher, der ein Mittel erfunden hat, mit dem auch das Monstrum besiegt werden soll. Der einfach gestrickte Plot tritt gegenüber einer Atmosphäre der Trauer und eines niederdrückenden, greifbaren Schuldgefühls in den Hintergrund. Was später zu einer Art running gag wird, die Machtlosigkeit des Militärs gegenüber den verschiedenen Riesenmonstren, ist hier noch Anlass für echte Todesangst. Und die sandbox destruction, die nie länger als für einen Film Bestand hat, erinnert hier tatsächlich an den Kriegsfilm oder gar alte Wochenschau-Berichte.

Dass GOJIRA Ausdruck einer zutiefst gekränkten, gedemütigten und verunsicherten Nation ist, muss gar nicht ausformuliert werden. Ishirô Honda, der in den späteren Kaiju Eiga um keinen Jux verlegen war, zieht die Zügel an und zeigt seine angsterfüllten Protagonisten in lange gehaltenen, kontrastreichen Einstellungen, die ihre ganze Angst zum Ausdruck bringen. Godzilla walzt in einer ausgedehnten Sequenz durch Tokio, das er dem Erdboden gleichmacht, dabei auch keine Rücksicht auf die zwischen seinen Pranken herumlaufenden Menschen nehmend. Menschliche Opfer fordern die Monsterkämpfe in den Kaiju Eiga eigentlich nie, das ist hier anders. Und keine Szene bleibt so nachhaltig im Gedächtnis wie der Besuch in einem überfüllten Krankenhauses, in dem die zahllosen Opfer der Attacke – Kinder und Erwachsene gleichermaßen – behandelt werden. Wenn man weiß, worum es in GOJIRA tatsächlich geht, ist es unmöglich, diesen Film danach noch als gewöhnlichen Monsterfilm zu rezipieren, oder die weinenden Opfer als Schauspieler. GOJIRA ist mehr als das.

Am Ende aber triumphieren die Menschen über das Monster aus der Tiefe: Japan wird das Trauma der Atombombe überwinden, das ist die klare Botschaft. Und Ishirô Hondas Film hat dabei geholfen, mit den Mitteln der Kunst und des Science-Fiction-Films. Vielleicht lässt sich so erklären, wie aus dem Monster später ein Held werden konnte, der den vor neuerlichen Bedrohungen zitternden Menschen immer wieder zur Hilfe eilte – und zum Dank gar mit einer Statue in Tokio belohnt wurde: GOJIRA war die Konfrontationstherapie, die das Land damals brauchte, das Urviech verkörperte nicht nur die Atombombe, sondern auch ihre Überwindung. Und Godzilla wurde so vom Schreckgespenst zum Zeichen der Wiedererstarkung (interessant, dass der neue Film international den Untertitel „Resurgence“ trägt, was genau das bedeutet), dem man in immer wieder neuen Filmen seine Dankbarkeit erwies. Ich finde GOJIRA heute ja ein kleines bisschen ermüdend, aber man kann seine Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen. Und das nicht nur filmhistorisch.

April Delongpre (Sherilyn Fenn), älteste Tochter aus einem traditionsreichen Südstaaten-Haus und Prom-Queen ihres Abschlussjahrgangs, ist Chad (Martin Hewitt) versprochen, seines Zeichens stolzer Spross einer kaum weniger stolzen Familie. Die Fortschreibung der beiden Dynastien wird jedoch dadurch gefährdet, dass mit dem Jahrmarkt auch der schnieke Perry (Richard Tyson) in Aprils Leben tritt und ihr mit glänzendem Sixpack, langen Haaren, ungehobelten Manieren und überlegenen Schlafzimmertechnikern den Verstand raubt. Die autoritäre Tante Belle (Louise Fletcher) schreitet ein …

TWO MOON JUNCTION war Zalman Kings Regiedebüt, nachdem er sich einen Namen als Produzent von 9 1/2 WEEKS gemacht hatte. Sein eigener Spielfilm macht da weiter, wo Lyne zwei Jahre zuvor aufgehört hatte: Es gibt schwüle Erotik in kunstvoll ausgeleuchteten Bildern, zwei makellos attraktive Hauptdarsteller, vermeintlich anzügliche Sexpraktiken und dazu zentnerschweres Drama. Der Unterschied: Was bei Lyne durch dessen inszenatorisches Talent und die beiden Stars vom Hochglanzschund zum auch heute noch interessanten Zeitgeistwerk transzendiert wurde, bleibt im Falle von TWO MOON JUNCTION jederzeit auf dem glitschigen Boden der Tatsachen verhaftet. Was nicht unbedingt schlecht sein muss. So wenig es King auch gelingt, die Erschütterung, die die amouröse Begegnung mit dem Fremden bei April hervorruft, begreiflich zu machen, oder auch nur glaubhaft zu vermitteln, dass der hunk mit dem trüben Blick tatsächlich mehr sein könnte als ein flüchtiges Abenteuer, auf das man sich in der Hoffnung einlässt, dass dumm tatsächlich gut fickt, so sehr profitiert sein Film von der Diskrepanz zwischen Sein und Schein.

TWO MOON JUNCTION funktioniert nämlich ausgezeichnet als adäquate filmische Umsetzung jener Sparte Frauenliteratur, die die Libido von gelangweilten Ehefrauen mit haarsträubenden Geschichtchen um die Liebesabenteuer stolzer Madams anheizt. Deren Vertreter mit quietschbunten Umschlagmotiven und güldenen Lettern in den Ständern der Bahnhofsbuchhandlungen stehen und auf Käuferinnen warten, die sich zwar niemals einen Porno ausleihen würden, aber halt auch eine Anregung für ihre unerfüllten Fantasien verdient haben. Auch Kings Film versucht sich darin, Klasse vorzugaukeln (etwa damit, dass Louise Fletcher und Burl Ives mitwirken) und existenzielle Schwere, aber noch viel mehr interessieren ihn dann doch die Titten von Sherilyn Fenn – was ich durchaus verstehen kann. Wer an der späteren TWIN PEAKS-Darstellerin einen Narren gefressen hat, bekommt reichlich Gelegenheit, ihre ganz eigenen twin peaks zu bestaunen. Ich würde lügen, behauptete ich, dass das kein guter Grund ist, sich einen Film anzuschauen. Dass der Rest ähnlich gut aussieht wie die Hauptdarstellerin, schadet nicht. TWO MOON JUNCTION ist schön schmierige Exploitation, Softerotik, die eine Nummer wervoller ist, als der Krempel, der wenige Jahre später dem Vorbild Kings folgen und das Spätprogramm der Privaten vollmüllen sollte. Intellektuell eher minderbemittelt, aber mit einer gewissen Atmosphäre, einem greifbaren sense of place und jeder Menge eye candy. Als Adaption jener Sparte „Literatur“, die ich oben beschrieb, dürfte TWO MOON JUNCTION eine der der gelungensten sein. Reine Fantasy eben.

EASTBOUND & DOWN ist kompliziert. Das Lachen fällt mitunter schwer, oft will man sich abwenden von dem, was sich da abspielt, seinem Protagonisten den Rücken zudrehen, ihn nie wieder sehen, nichts mehr mit ihm zu tun haben – wie die ganzen Nebenfiguren, die vom Schicksal dazu gezwungen wurden, ihren Weg oder gar ihr Blut mit ihm zu teilen. Die Serie suhlt sich in Obszönität und crassness, die Macher nutzen die Tatsache, dass die Privatsender-Produktion nicht an geltende Bestimmungen hinsichtlich Sprache, Nacktheit und Gewalt gebunden ist, weidlich aus. Zu verkennen, dass ein Teil des Konzeptes darin besteht, moralische Standards lustvoll zu zerschmettern, wäre naiv: Die Hauptfigur Kenny Powers (Danny McBride) ist förmlich darauf hin konzipiert, sie auf ihrem Weg durch die vier Staffeln jedes nur erdenkliche Tabu brechen, sie sich  benehmen zu lassen wie der letzte Mensch auf Erden, Dinge sagen zu lassen, die kein Mensch mit Anstand jemals sagen würde. So weit, so unspektakulär. Das Kunststück, dass den Machern jedoch gelingt (mehr und besser noch als schon in der Fingerübung THE FOOT FIST WAY), ist es diesen Charakter nicht nur als Witzfigur durch die einzelnen Folgen zu hetzen, sondern ihm bei allen unübersehbaren, unentschuldbaren Fehlern, die er hat und begeht, nicht die Sympathie zu verwehren. Als Zuschauer ertappt man sich immer wieder dabei, mit diesem Dummkopf, Rassisten und Sexisten mitzufühlen – und das, ohne billige Drehbuchstrategien. Irgendwo las ich, man müsse EARTHBOUND & DOWN sehen, wenn man das Redneck-Amerika verstehen wolle, das Donald Trump ins Weiße Haus gewählt hat. Und sieht man mal davon ab, dass es viel wichtiger wäre, zu verstehen, warum auch Nicht-Rednecks Trump ihre Stimme gaben, stimmt das. Kenny Powers ist ein buffoon, ein Mann, der mit jeder Faser seines Seins dazu verdammt ist, in jeder Sekunde seines Lebens das Falsche zu tun, die falsche Entscheidung zu treffen; der ein dummes, gestriges Amerika verkörpert, eines, das Konföderierten-Flaggen, das Recht auf Schusswaffen, Mullets und Dosenbier hochhält, Frauen, Schwarze, Immigranten und Homosexuelle verachtet. Wie entwickelt man vor diesem Hintergrund eine Serie, die doch immer auch darauf beruht, dass ihr Protagonist eine Entwicklung zum Guten durchläuft, eines Guten, dass hier einfach nicht in Reichweite ist?

Kenny Powers war einst ein Shooting Star im Major League Baseball. Sein Hundert-Meilen-Fastball und seine Catchphrase „You’re fucking out!“ machten ihn in jungen Jahren zum Medienphänomen und Liebling der Massen. Es kam, was unweigerlich kommen musste: Größenwahn, Drogen, Steroide, abfallende Leistungen, die gepaart mit der großen Klappe, die ihn zum Liebling machte, und den schon angesprochen notorisch falschen Entscheidungen seinen unweigerlichen Abstieg einleiteten. Bei Start der ersten Staffel ist Powers, der sich für Gottes Geschenk an die Menschheit hält und in seiner Eigenwahrnehmung immer noch ein Superstar ist, obwohl die Welt sich längst weitergedreht und ihn bestenfalls noch als Witz in Erinnerung hat, ein ausgebrannter has-been und völlig pleite. Er erwirbt eine Qualifikation, die es ihm ermöglicht, in seiner Heimatstadt als Sportlehrer zu arbeiten – wo er seine Jugendliebe April (Katy Mixon) wiedertrifft, die er sofort zurückerobern will, obwohl sie mit seinem Arbeitgeber, dem Schuldirektor Terrence Cutler (Andrew Daly) verlobt ist. Er nistet sich im Haus seines Bruders Dustin (John Hawkes) und dessen Ehefrau Cassie (Jennifer Irwin) ein und „arbeitet“ an seinem großen Ziel: zurück in die Major League, in die er dem eigenen Empfinden nach immer noch gehört.

Im weiteren Verlauf der Serie landet Powers in Mexiko, wo er seinen Vater (Don Johnson) wiedertrifft, der vor Jahrzehnten nur mal kurz Zigaretten holen wollte und ihn, seinen Bruder und seine Mutter (Lily Tomlin) kurzerhand sitzen ließ, und ein Amateurteam gegen sich aufbringt, in Myrtle Beach, wo er in einer niedrigen Liga für die Rückkehr in die Majors vorbereitet werden soll, schließlich in seiner Heimat, wo er den Karriereweg einschlägt, der für solche Großmäuler und ehemaligen Sportstars die einzige Option zu sein scheint: Er wird Mitglied in der Talkshow seines ehemaligen Teamkameraden Guy Young (Ken Marino). Immer dabei auf seinem Weg: Sein Sidekick Stevie (Steven Little), ein rückgratloser Versager, der als einziger die Autosuggestionen Kennys bedingungslos unterstützt und deshalb ein unverzichtbarer Krückstock für das Kind in Menschengestalt ist, das den Halbgott in Menschengestalt spielt, aber ein höchst pflegeintensives Selbstwertgefühl hat. Und April, die die guten Seiten Kennys sieht und einfach nicht von diesem Trottel lassen kann.

Es ist schon ein kleines Fernsehwunder, wie die Macher es schaffen, das Interesse an Kenny Powers wachzuhalten, grelle Absurditäten zu integrieren, ohne die Serie als Ganzes jemals komplett in den Bereich der Groteske oder der Farce kippen zu lassen. Zu Beginn scheint es noch ein harmloser Spaß, den EASTBOUND & DOWN gewährt: ein rassistischer Dummkopf mit Nackenspoiler, Bierplauze und Omnipotenzwahn, der sich für unwiderstehlich hält, dabei aber von einem Fettnäpfchen ins nächste tappt – aber von solch billigem Vergnügen emanzipiert sich die Serie sehr schnell. Klar, die Großmäuligkeit des Protagonisten, seine hirnrissigen Dummheiten sind immer wieder auch für einen Lacher gut, aber eigentlich ist das, was sich da abspielt, vor allem eins: unendlich traurig. Man bekommt über die volle Laufzeit der Serie einen Eindruck von dem Menschen hinter der Fassade des Trottels, sieht immer wieder das leise Glimmen des Mannes, der er auch hätte sein können, wenn nicht ein selbstsüchtiger Vater, eine großmäulige Mama, der schnelle Ruhm und ein verlogenes Geschäft ihre Arbeit an ihm verrichtet hätten. In meinem Text zu THE FOOT FIST WAY schrieb ich, dass der Film zeigt, wie schmerzhaft es für einen unterdurchschnittlichen Menschen sein muss, in einem Land aufzuwachsen, das auf dem eponym gewordenen Traum errichtet ist, dass jeder das Zeug zum Heldentum hat. Das stimmt ja einfach nicht, kann gar nicht sein. Kenny Powers hat gegenüber seinem Seelenverwandten Fred Simmons, dem Protagonisten des erwähnten Films, noch das zusätzliche Problem, dass er ja einmal am Superstardom schnuppern durfte. Was er nicht begreift ist, dass zu dauerhaftem Ruhm mehr gehört, als ein starker Wurfarm – und natürlich, dass Amerika noch etwas anderes fast genauso sehr liebt wie seine Helden: das große Scheitern. An jeder Ecke wird Powers an einstige Glanzzeiten erinnert, wird ihm der Erfolg, der ihm entglitten ist, unter die Nase gerieben. So wie seine Nation die Helden braucht, die sie an ihre Größe und das in ihr schlummernde Potenzial erinnert, braucht sie auch die abschreckenden Beispiele, die als Mahnung und Warnung dienen. Was macht man, wenn das die Rolle ist, die das Leben für einen vorgesehen hat?

EASTBOUND & DOWN nimmt fast biblische Ausmaße an. Der Weg Kenny Powers‘ ist eine Passionsgeschichte, eine Geschichte endloser Prüfungen, Niederlagen und Demütigungen. Das Schmerzhafte ist ja, dass man von Anfang an weiß, dass sie nie den Ausgang nehmen wird, auf den Powers selbst hinarbeitet. Das Versagen ist in ihn einprogrammiert – nicht unbedingt, weil er wirklich zu schlecht wäre: Zu siegen – in einem Teamsport noch mehr – bedeutet ja auch, dass man sich einem Regelsystem unterwirft. Nur wer mitspielt, kann gewinnen. Aber mitspielen, den Regeln anderer zu folgen und so implizit zuzugeben, dass man genauso ist wie sie, kommt für Powers einfach nicht in Frage. Er will nicht das Recht zugesprochen bekommen, wieder mitmachen zu dürfen. Er will nicht in einem Spiel gewinnen, dessen Regeln andere bestimmen. Er will seine eigene Geschichte schreiben. Das ist sein Ziel. Er erkennt es und tut genau das in einem gloriosen Ende, das mich sprachlos zurückließ. Allein für diese letzten fünf Minuten lohnt es sich, die komplette Serie zu sehen. Und natürlich für Danny McBride, das größte liebenswerte Arschloch der jünngeren Fernsehgeschichte. Ganz abseits von allen Vorzügen, die ich hier versucht habe, darzulegen – und den unendlich zitierwürdigen Dialogen, haarsträubenden Einfällen und bizarren Wendungen, die EASTBOUND & DOWN in einer Frequenz ausschüttet, dass die überhypte BREAKING BAD daneben wie ein spießiger Langweiler aussieht -, ist EASTBOUND & DOWN fantastisch inszeniert, verfügt über eine triumphale Musikauswahl und eine Spitzenbesetzung. Neben den genannten Haupt- und den toll ausgewählten Nebendarstellern sind unter anderem Will Ferrell als geckenhafter Autohändler, Jason Sudeikis als Powers‘ bester Freund Shane (und dessen Zwillingsbruder), Matthew McConaughey als Baseball-Scout, Michael Peña als Besitzer des mexikanischen Baseball-Teams, Craig Robinson als Powers‘ großer Rivale, Sacha Baron Cohen als Fernsehproduzent, Seth Rogen als Pitcher, Gina Gershon als arrogante Hausbesitzerin und Marilyn Manson (in zivil) als Kellner zu sehen. Schade, dass es vorbei ist.

 

Diese Fortsetzung zu FURANKENSHUTAIN TAI CHITEI KAIJÛ BARAGON war mein allererster Kaijû. Es muss so 1984 gewesen sein, der Film lief zur besten Sendezeit im Sommerprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (was anderes gab es ja eigentlich auch noch nicht), nicht irgendwo im Spät- oder Frühstücksprogramm eines Privaten versteckt oder gar als lustiger Schrott im Rahmen einer Schiene wie SchleFaZ verheizt, sondern als selbstbewusst angekündigte Abend-Attraktion für ein erwachsenes Publikum. Die Szenen, wie der „Grüne“ mit einer Riesenkrake ringt, von oben durch die Wasseroberfläche beim Auftauchen gezeigt wird oder am Horizont mit den Tauen und Netzen verzweifelter Fischer kämpft, haben damals mächtig Eindruck auf mich gemacht – so sehr, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe.

Auch beim Wiedersehen hat mir das erste Drittel von Hondas Film am besten gefallen. Die Eröffnungsszene mit der Krake ist spitzenmäßig, genau jene Mischung aus grellem Groschenroman-Pulp und wohligem Grusel, die es heute eigentlich gar nicht mehr gibt, die Effekte um den „Grünen“ und seine Attacken auf Städte und Flughäfen sind einfach wunderschön anzuschauen. Addiert man dazu die hoffnungslos naiven bis hirnrissigen „Wissenschafts“-Dialoge zwischen Russ Tamblyns Dr. Paul Stewart (auf Deutsch seltsamerweise Dr. Kitei) und seinen Gehilfen, ergibt das einen herrlich unschuldigen Spaß, der wie gemacht ist für einen Sonntagvormittag. Ich bedauere es wirklich, nicht mehr die Zeit erlebt zu haben, als die japanischen Monsterfilme in den Matineen der Lichtspielhäuser von begeisterten Kindern abgefeiert wurden, aber immerhin hatte ich das Glück, sie noch im Fernsehen sehen zu können. Wie bemitleidenswert sind da doch heutige Generationen, die darauf bauen müssen, einen Verwandten mit Geschmack in ihrer Familie zu haben, der sie in diese farbenfrohe Welt der Riesenmonster und der schnarchnasigen „Frankenstein-Experten“ in ihren weißen Wisschenschaftler-Kitteln einführt. Gibt es besseres Entertainment für Kinder als die japanischen Kaijûs? Ich glaube nicht.

Diese Überzeugung wird auch dadurch nicht abgeschwächt, dass ich die ellenlangen Balgereien, auf die die meisten Kaijûs hinauslaufen, immer etwas ermüdend finde. Viel lieber würde ich die Seiten tauschen, in einen der klobigen Gummianzüge schlüpfen und selbst durch die liebevoll aufgebauten Miniaturstädte und -wälder pflügen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich zum Monster getaugt hätte: Wahrscheinlich hätte ich zu viel Respekt vor der Arbeit der Modellbauer gehabt, als dass ich sie guten Gewissens hätte zertrampeln mögen. Ich frage mich, was es mit einem Menschen macht, wenn er – so wie Haruo Nakajima, der hier den „Grünen“ spielte, aber auch etliche Male den Godzilla verkörpern durfte – immer wieder die göttliche Perspektive eines Giganten einnimmt, auf Wolkenkratzer herabschaut, Straßen, Brücken und Autos zertrampeln darf. Wie seltsam muss das gewesen sein, nach einem Arbeitstag in seine normalen Klamotten zu schlüpfen und in den Alltag hinauszutreten, in dem man plötzlich genauso groß war wie alle anderen? In meinem Kopf sehe ich eine Tragikomödie vor mir, die sich genau um einen solchen Menschen dreht, einen Mann der mit der Differenz klar kommen muss, im echten Leben auf Normalgröße zu schrumpfen und der dann in seinem Monsterkostüm durch die Straßen läuft. Das wäre ein toller Film, den ich gern sehen würde! Bis es dazu kommt, gibt es aber glücklicherweise noch ein paar Kaijûs, die dafür sorgen, dass ich mir ein Stück kindliches Gemüt bewahre.

Über zehn Jahre sind seit dem letzten Godzilla-Film, Ryuhei Kitamuras GOJIRA: FAINARU WOZU, vergangen – die längste Pause, die das Franchise bisher eingelegt hat. Mit Hideaki Annos und Shinji Higuchis SHIN GOJIRA tritt es in das vierte Evolutionsstadium ein: Die letzten „Reboots“ erfolgten 1984 und 1999. Eine Fortsetzung ist bereits angekündigt und man darf jetzt schon gespannt sein, wohin die Reise gehen wird, denn eines ist sicher: SHIN GOJIRA ist anders, ein Querschläger nicht nur innerhalb des Kaiju Eigas, sondern des Monster- oder Katastrophenfilms überhaupt. Man merkt ihm zwar in jeder Sekunde an, dass er an das anknüpfen möchte, was Ishirô Honda mit seinem Original 1954 so bravurös gelang, doch er geht dabei noch einen ganz Schritt weiter. Ob man das Ergebnis als „unquestionable Godzilla“ bewertet, wie es das Online-Magazin „Bloody Disturbing“ getan hat, oder der Meinung ist, SHIN GOJIRA sei „kein Godzilla-Film“ (willkürlicher Facebook-Kommentar), hängt wohl in erster Linie davon ab, was man mit der Serie verbindet: einen düsteren Katastrophenfilm mit Monster als Atombomben-Allegorie oder lustigen Quatsch mit Männern, die sich in Gummikostümen durch liebevolle Miniatursettings prügeln. Wer letzteres für den wahren Jakob hält, der wird von SHIN GOJIRA tatsächlich verprellt werden: Nur stellt sich auch die Frage, was er eigentlich von Ishirô Hondas Klassiker hält. Anno und Higuchi haben einen Film vorgelegt, der Hondas Ideen mit beeindruckender Konsequenz für das Jahr 2016/2017 aufbereitet. Was sie geleistet haben, ist beachtlich und überraschend, wenn man ihnen auch ankreiden muss, dass ihre Vision nicht über die volle Spielzeit von 120 Minuten eine vergnügliche Angelegenheit ist. Vielleicht haben sie es sogar zu weit getrieben mit ihrem Realismus.

SHIN GOJIRA eröffnet mit einer Eruption vor der japanischen Küste, bei der starke radioaktive Strahlung und enorme Temperaturen gemessen werden. Während sich die Autoritäten darüber streiten, was die Ursache für das rätselhafte Phänomen sein könnte, kriecht ein gigantischer Dinosaurier an Land und zieht eine Spur der Verwüstung hinter sich her, bis er sich schließlich in einen aufrecht stehenden Giganten verwandelt. In den Beratungszimmern der Regierung qualmen die Köpfe, werden Posten aufgegeben und neu verteilt, im Hintergrund der Debatten steht auch immer die Aussicht, mit der richtigen Entscheidung Karriere machen zu können. Als Versuche, das „Godzilla“ getaufte Monstrum mit Militärgewalt zu stoppen, scheitern, werden die internationalen Partner um Hilfe gebeten. Die einzige Chance scheint eine Wiederholung der japanischen Schmach aus dem Zweiten Weltkrieg: der Abwurf einer Atombombe über Tokio. Doch die Männer um den Task-Force-Leader Yaguchi (Hiroki Hasegawa) wollen noch nicht aufgeben …

Ein großer Teil der Laufzeit von SHIN GOJIRA spielt sich in den Konferenz- und Beratungszimmern der Mächtigen ab und in ihren Diskussionen geht es um die politischen Folgen und Nebeneffekte ihrer Entscheidungen, die Auswirkungen auf das Standing Japans im Kreis der Industrienationen und natürlich das Selbstverständnis des Landes. Das ist mitunter trocken, oft ermüdend, aber nicht nur im Rahmen eines Kaiju Eigas auch höchst ungewöhnlich und mutig. Der Realismus und Detailreichtum, die SHIN GOJIRA anstrebt und erreicht, erinnert mitunter an den Politthriller oder den Dokumentarfilm. Mehr als die Frage, wie Godzilla besiegt werden kann oder woher er kommt, beschäftigt ihn die Frage, wie eine moderne Industrienation mit einer solchen Bedrohung überhaupt umgehen kann und würde. Die menschlichen Protagonisten der frühen Filme hatten es leicht: Sie konnten das Militär rufen, ernteten dafür den Beifall der Massen und wenn die ersten Schüsse ihre Wirkung verfehlten, ging man ohne langes Federlesen zur Atombombe über. Etwaige politische Verbündete oder Verpflichtungen, die dem im Weg standen, gab es nicht. Langfristige Folgewirkungen auch nicht. Wie anders gestaltet sich das in SHIN GOJIRA: Hier bringt jeder Lösungsvorschlag neue Probleme mit sich und neben den unmittelbaren, kurzfristigen Folgen müssen auch die mittelbaren, langfristigen bedacht werden. Zum Haareraufen.

Das kann man durchaus langweilig finden (vor allem, wenn man am Kaiju Eiga die Schlagkraft und den Witz liebt) und es dauerte auch bei mir eine ganze Weile, bevor ich mich auf das gemächliche Tempo und die Schlagrichtung des Films eingestellt hatte. Dann allerdings fand ich SHIN GOJIRA höchst faszinierend in seiner Weigerung, den unzähligen Fans pralle Monsteraction zu liefern, sich stattdessen in einen wahren Papier- udn Argumentekrieg zu stürzen. Was übrigens nicht bedeutet, dass es hier nicht auch ziemlich großartige Bilder apokalyptischer Verwüstung zu sehen gäbe. Godzilla sieht überhaupt ziemlich fantastisch aus und hat einige neue Tricks auf Lager, die großes Effektspektakel gewähren. Aber eine Persönlichkeit hat er nicht: Er ist ein „Monster“ im Wortsinn, ein Zeichen, ein erzählerisches Mittel, eine Allegorie für etwas anderes. Die Demütigung der Atombombe ist noch nicht vergessen, aber dieser Godzilla lässt sich nicht eineindeutig übersetzen. Er ist die herkulische Aufgabe, vor der sich Japan, aber eigentlich alle Staaten nicht drücken können, die sie fürchten, weil es keine sauberen Lösungen gibt, die schmerzhafte Opfer fordert, aber dennoch angegangen werden muss. Hauruck-Lösungen werden eher nicht zum Ziel führen, man muss den langen, schweren Weg beschreiten. Das darf man sich gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl noch einmal hinter die Löffel schreiben.