Es war mal wieder an der Zeit, eine filmische Bildungslücke zu schließen: David Leans Klassiker wurde mit insgesamt sieben Oscars ausgezeichnet, der prominent zum Einsatz kommende „Colonel Bogey March“ – ein alter Militärmarsch – wurde dank des Soundtracks zum Welthit. Wie es sich für ein solches Werk gehört, umranken zahlreiche Anekdoten seine Produktion und Rezeption: Laut Berichten beharkten sich der Regisseur und sein Star, weil letzterer den Film für „antibritisch“ hielt, es gab die solche Monumentalepen meist heimsuchenden Set-Katastrophen und der Drehbuch-Oscar wurde Pierre Boulle, dem Autor der Vorlage verliehen (der gar kein Englisch konnte), weil die echten Autoren, Michael Wilson und Carl Foreman, in Hollywood als vermeintliche Kommunisten geblacklistet waren – die ihnen gebührende Auszeichnung wurden ihnen erst 1984 posthum zugesprochen. Diese Geschichten – und die Tatsache, dass sie für die Nachwelt festgehalten wurden – mögen auch als Beleg für den Status des Filmes gelten, der nach wie vor zu den großen Antikriegsfilmen zählt und darüber hinaus eine Spielart des bildgewaltigen, klassischen Monumentalkinos repräsentiert, wie es sie heute nicht mehr gibt – und für die Lean ein besonderes Händchen hatte, wie sich in den kommenden Jahren noch zeigen sollte.
Im Mittelpunkt von THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI steht die Konfrontation des britischen Offiziers Nicholson (Alec Guinness), der mit seinen Leuten in einem japanischen Kriegsgefangenenlager in Burma interniert wird, mit dessen Leiter, dem Japaner Colonel Saito (Sessue Hayakawa), der den Gefangenen den Auftrag gibt, eine Eisenbahnbrücke zu errichten, die Bangkok mit Rangoon verbinden soll. Mit den beiden Kontrahenten treffen zwei „Wahnsinnige“ aufeinander, wie es der Militärarzt Major Clinton (James Donald) formuliert: Saitos Handeln ist deutlich von der Angst geprägt, den Befehlen seiner Vorgesetzten nicht nachkommen zu können und das Gesicht zu verlieren, weshalb er seine Forderungen mit äußerster Härte durchzusetzen versucht. Doch bei seinem britischen Gegenüber beißt er damit auf Granit: Nicholsons englischer Stolz verbietet es ihm, von seinen ehernen Prinzipien auch nur ein Iota abzurücken. Eher riskiert er die eigene Gesundheit und die seiner Männer. Der Konflikt entzündet sich an Saitos Weigerung, die Regelung der Genfer Konvention zu respektieren, die es verbietet, gefangene Offiziere zu körperlicher Arbeit zu verpflichten. Als der Brite sich mit seiner Standhaftigkeit auch unter Folter durchsetzt, gewinnt er die Oberhand: Und als er merkt, dass Saito mit dem Projekt des Brückenbaus hoffnungslos überfordert ist, genießt er es, diesem die Überlegenheit des Empires zu demonstrieren. Es ist eine Möglichkeit, aus einer eigentlich verlorenen Schlacht als der moralische Sieger hervorzugehen. Gegen die Einwände seiner Leute, die den Brückenbau als Kollaboration und damit als Verrat betrachten, fordert er sie zur Höchstleistung auf: Für ihn wird das Projekt zu einer Frage der Ehre, die Brücke zu einem Monument des Triumphs im Zeichen der Unterdrückung. Als er seinen Fehler einsieht, ist es bereits zu spät.
Den Moment, in dem Nicholson aus dem „Ofen“ befreit wird, einem Wellblechverschlag in der prallen Sonne, und seinen Sieg über Saito feiert, bezeichnete Guinness einmal selbst als seinen „finest moment“: Den unsicheren Gang, in dem sich die erlittenen Strapazen spiegeln, hatte er sich angeblich von seinem Sohn abgeschaut, der an Polio erkrankt war. Es ist auch der Moment, in dem sich der krankhafte militärische Stolz, um den es in Leans Film geht, am deutlichsten entbirgt: Schwäche zu zeigen, ist nicht gestattet, lieber hält man eine Fassade aufrecht, die für jeden sichtbar bereits deutlich Risse aufweist. Der Wahnsinn Nicholsons und die an Selbstaufgabe grenzende Autoritätshörigkeit des britischen Militärs kommt aber auch in der Geschichte des Amerikaners Shears (William Holden) zum Vorschein: Die Bereitschaft seiner europäischen Mitstreiter, sich für abstrakte Ideen wie Vaterland, Ehre und Freiheit am anderen Ende der Welt in einen jämmerlichen Tod zu stürzen, lässt ihn mehr als einmal wie den einzig Normalen in einem Irrenhaus erscheinen – und malt ihm ein gequält-verzweifeltes Grinsen ins Gesicht. Ihm gelingt die Flucht aus dem Gefangenenlager, doch als er glaubt, sich als Kriegsversehrter in einem Stützpunkt an einem tropischen Strand auskurieren zu können, kommen die Briten auf die Idee, ihn mit auf eine Mission zu nehmen, die das Ziel hat, die Brücke am Kwai zu zerstören. Er ist wenig begeistert, noch weniger, als er hört, dass er dafür mit einem Fallschirm abspringen muss. In einer humorvollen Szene offenbart man ihm dann kurz darauf, dass ein Trainings-Fallschirmsprung nicht nötig sei, weil die Wahrscheinlichkeit, dass er bei diesem ums Leben kommt, größer sei als der vermeintliche Nutzen. Aber hinter diesem Gag steckt natürlich die bittere Erkenntnis, dass ein einzelnes Menschenleben in den Augen der Kriegsmaschinerie nicht mehr ist als eine Zahl und die Frage nach Leben und Tod letztlich nur ein Rechenspiel. Der Subplot um Shears und die Mission, auf die er mitgenommen wird, lässt die Briten noch wahnsinniger erscheinen: Hier der Ami, der am Leben hängt und sich freut, als er mit einem kühlen Drink und einer hübschen Blondine am Strand rumlungern kann, froh ist, die Hölle der Gefangenschaft hinter sich gelassen zu haben, da die Tommys, die geradezu versessen darauf scheinen, sich im Kampfeinsatz beweisen zu können. Wenn diese absurde Kriegsgeilheit der Briten Shears am Ende das Leben kostet, kann er angesichts dieser Absurdität nur genervt das Gesicht verziehen.
Der Erfolg des Films wird meines Erachtens geringfügig durch die Tatsache getrübt, dass Nicholson – bei aller von Lean geübten Kritik – dann doch ein Stück besser wegkommt als sein japanischer Rivale. Klar, Nicholson ist irre, ein von sich selbst überzeugter Pfau, aber Saito ist demgegenüber einfach nur inkompetent. Nicht nur unterliegt er im Schwanzvergleich mit dem Briten, er ist auch völlig unfähig, das ihm überantwortete Projekt zu überwachen, und diese Unfähigkeit versucht er durch irrationale Grausamkeit zu verdecken. Dass er seinen Auftrag schließlich erfolgreich abschließt, zementiert nur seine Schande, denn Nicholson hat ihm die Verantwortung für den Bau vollkommen aus den Händen genommen. Saito gibt ein Bild des Jammers ab, schon bevor die Brücke dann nur wenige Stunden nach ihrer feierlichen Einweihung gesprengt wird. Aber ich glaube, es ging nicht so sehr darum, die Japaner als unfähiger darzustellen: Der Fokus lag ganz einfach auf der Darstellung des britischen Militärs, als rigidem, unmenschlichem System. Nicholsons Figur ist fast zwangsläufig facettenreicher und interessanter. Unmittelbar nach der Sichtung war ich mir außerdem sicher, dass der Handlungsstrang um die Rettungsmission der Briten den Film unnötig verwässert. Der Bau der Brücke, der ein monumentaler Akt sein sollte, nimmt im Film nur wenige Szenen ein, stattdessen wendet sich Lean den Strapazen der anderen Briten zu, die sich zu Fuß durch den undurchdringlichen Urwald kämpfen müssen, um die Brücke zu erreichen, bevor der erste Zug sie passieren kann. Vielleicht wäre THE BRIDGE ON THE RIVER KWAI noch stärker, wenn er sich ganz auf die Gefangenen und Nicholsons Wahnsinn konzentriert hätte. Mit ein paar Tagen Abstand bin ich mir da aber nicht mehr so sicher: Gerade im Kontrast zum sympathischen Shears gewinnt dieser Wahnsinn Kontur, zeigt sich wie irre das ganze kriegerische Unterfangen eigentlich ist. Und er ermöglicht wenigstens zeitweise einen Blickpunkt einzunehmen, der nicht durch den Hass verzerrt ist.