Archiv für Mai, 2019

Mit Staffel 2 kommt JUSTIFIED richtig ins Rollen: Das Fundament ist gelegt, die Hauptcharaktere sowie der Handlungsort sind etabliert und der Spaß kann beginnen. Infolgedessen wird die Zahl der innerhalb einzelner Folgen abgeschlossenen Fälle, die es zuvor noch häufiger gab, merklich reduziert, stattdessen spannt Schöpfer Graham Yost mit seinen Co-Autoren einen über die volle Distanz der 13 Episoden reichenden Spannungsbogen und integriert seine kleineren Storys in eine große. Boyd Crowder (Walton Goggins), in Staffel eins als Rivale des Protagonisten Raylan Givens (Timothy Olyphant) etabliert, tritt hier ein wenig in den Hintergrund. Stattdessen konzentrieren sich Yost und seine Regisseure auf den Hillbilly-Clan um die Matriarchin Mags Bennett (Margo Martindale), die mit ihren Söhnen Dickie (Jeremy Davies), Coover (Brad William Henke) und Doyle (Joseph Lyle Taylor) – letzterer pikanterweise ein Diener des Gesetzes – den Marihuana-Handel in Harlan County kontrolliert. Es entspinnt sich im Folgenden nicht nur ein Streit um die Drogenvorherrschaft zwischen den Crowders und den Bennetts, die rigorose Clanleaderin stellt sich als Sprecherin ihrer Gemeinde auch noch den Bemühungen einer Bergbaufirma entgegen, den Bewohnern das Land abzukaufen. Gleichzeitig steuert sich der Streit zwischen Givens und seinem kriminellen Vater Arlo (Raymond J. Barry) auf einen neuen Eskalationspunkt zu, als dieser in die Organisation von Crowder einsteigt. Und auch Wynn Duffy (Jere Burns), ein Vertreter der „Dixie Mafia“, hat weiterhin seine Hände im schmutzigen Geschäft und versucht, für seine Vorgesetzten etwas vom Drogengeld abzugreifen, wo er nur kann.

Auch wenn JUSTIFIED über die volle Distanz der sechs Staffeln hinweg exzellentes TV-Entertainment mit engagierten Schauspielerleistungen, einem arschcoolen Helden und pointierten Dialogen darstellt: In Staffel zwei erreicht die Serie dank Margo Martindale ihren vorzeitigen Höhepunkt, schwingt sich gewissermaßen zur Backwood-Variante von Coppola THE GODFATHER-Trilogie auf. Wie bei Vito und Michael Corleone steht hinter Mags eisenhartem Geschäftsgebaren das Bewusstsein für die Pflicht als Oberhaupt ihrer Familie. Der Drogenhandel ist auch nur ein Geschäft, das geeignete Mittel zum Zweck und in den Bergen und Wäldern Kentuckys beinahe ebenso fest verwurzelt wie der Kohlebergbau und die Schnapsbrennerei. Der Bennett-Clan hat eine lange Geschichte, das Wort von Mags Gewicht unter den Einheimischen und dass sie die Ihren mit dem Mut und der Gewalt eines Bären zu verteidigen bereit ist, hat ihr viel Respekt eingebracht. Staffel zwei von JUSTIFIED gelingt es noch mehr als der vorangegangenen oder den folgenden Staffel, die sozioökonomische Grundstruktur von Harlan County bloßzulegen und die Region als lebendiges Soziotop mit einer reichen Vergangenheit darzustellen. Givens‘ Arbeit wird zusehends nicht nur dadurch erschwert, dass er sich durch das Minenfeld über Jahrzehnte gewachsener Beziehungen und Rivalitäten bewegen muss, sondern auch dadurch, dass er selbst hoffnungslos in dieses Geflecht verstrickt ist.

Die kunstvolle dramaturgische Struktur der Staffel, die über die 13 Episoden unaufhaltsam auf den finalen, blutigen Kampf zusteuert, kann man gar nicht genug loben. Diese trotz der zahlreichen handelnden Personen und ihrer kleinen Subplots bestehende Klarheit werden die beiden nächsten Staffeln, so viel vorweg, leider vermissen lassen: Im entbrennenden Krieg zwischen dem Gesetz auf der einen, den Crowders, den verbliebenen Bennetts, den verschiedenen Unterhändlern der Dixie Mafia und einem afroamerikanischen BBQ-Experten sowie den vielen interpersonellen Zwistigkeiten verliert der Zuschauer manchmal den Überblick. Spaß macht das immer noch, die emotionale Unmittelbarkeit von Staffel zwei wird aber nicht mehr erreicht.

 

 

 

schönheit des monats

Veröffentlicht: Mai 23, 2019 in Film
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George A. Romeros KNIGHTRIDERS ist ein schönes Beispiel für einen Film, der auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper in der Filmografie seines Schöpfers wirkt, sich dann aber als äußerst konsequente Bearbeitung all jener Themen entpuppt, die auch dessen anderen, berühmteren oder in diesem Fall sogar berüchtigteren Werke behandelte. Mein erster Kontakt mit diesem in Deutschland lange Zeit nur schwer verfügbaren Film war ein Szenenfoto in der Fangoria, das in mir die Frage aufwarf, wovon zum Teufel dieses Teil wohl handeln mochte: Da es das Internet noch nicht gab, war eine Antwort auf diese Frage ebenso außer Reichweite wie KNIGHTRIDERS selbst. Es existierte zwar eine stark gekürzte Verleihverson in Deutschland, aber ich kann mich nicht daran erinnern, die auch nur einmal irgendwo gesehen zu haben. Erst 2012 bekam ich den Film dann zum ersten Mal zu Gesicht, sein Geheimnis hatten zu diesem Zeitpunkt bereits diverse Filmlexika gelüftet.

Da Romero bis heute in allererster Linie mit seinen Zombiefilmen, mit Abstrichen auch mit MARTIN oder THE CRAZIES assoziiert wird, nehme ich an, dass viele KNIGHTRIDERS noch nicht kennen. Mit Erscheinen des Mediabooks von Koch Media, das den Film zum ersten Mal in Deutschland angeschnitten präsentiert (auch im Kino lief er damals nur gekürzt), gibt es für diese Zeitgenossen endlich keine Ausrede mehr. KNIGHTRIDERS ist ein Faszinosum, weil er zum einen völlig originär ist in seiner Herangehensweise an die im Mittelpunkt stehende Gemeinschaft von motorisierten Rittern, die die Mittelaltermärkte mit ihrer Show beackern, dabei von dem Gegensatz zwischen der Spannung unter den Protagonisten und dem lockeren Erzählrhythmus lebt. Zusammengehalten wird das vom großartigen Ed Harris, der hier seine erste große Hauptrolle absolvierte und gleich demonstrierte, zu was er in den kommenden Jahren fähig sein sollte.

Ich lege allen aufgeschlossenen Filmfreunden die Anschaffung dieses außergewöhnlichen Kleinods ans Herz – nicht nur, weil ich das Booklets beisteuern durfte.

Die Geschichte, die Jonas Åkerlund in LORDS OF CHAOS erzählt, der Adaption des gleichnamigen Sachbuches, sorgte damals, Anfang bis Mitte der Neunzigerjahre, auch in der hiesigen Metalpresse für Aufsehen: Die norwegische Black-Metal-Szene machte nicht nur mit ihrer fremdartigen Musik von sich Reden, sondern auch mit satanistischen Kirchenverbrennungen und Morden. Als Teenager und junger Erwachsener und Metalfan, der diese Nachrichten aus zweiter oder eher dritter Hand aufschnappte (meist bereits vorgefiltert und empört kommentiert), empfand ich die Protagonisten als furchteinflößende Monster, vor denen ich großen Respekt – im negativen Sinne – hatte. Auch ihre Musik, die der damaligen Mode und den Vorstellungen, wie sich so eine richtig fett produzierte Metalscheibe anzuhören habe, herzhaft ins Gesicht rotzte, machte mir ein bisschen Angst. Wer so überzeugt von etwas war, seine Vision so kompromisslos durchzog und dann noch diesen Sound produzierte, der konnte nicht einfach nur ein Spinner sein. Vielleicht hatten diese Skandinavier tatsächlich Einblick in Dinge erhalten, die gemeinhin als unvorstellbar galten? Meine Haltung relativierte sich mit der Zeit, begünstigt dadurch, dass das Gesetz dem satanisch-terroristischen Treiben kurzerhand einen Riegel vorschob, die Übeltäter wie ganz gewöhnliche Kriminelle ins Kittchen steckte und so auch ihres monströsen Reizes beraubte. Aber erst Jahre später, als ich ein Bild des jungen Varg Vikernes bei seiner Verurteilung sah, wurde mir klar, dass diese Verbrecher, die in meiner Vorstellung zu außerweltlichen Monstern angewachsen waren, tatsächlich milchgesichtige Kinder mit Trichterbrust und gerade mal ein paar Jährchen älter als ich waren. Sie trugen mitunter sogar dieselben Shirts wie ich. Eigentlich war diese Erkenntnis sogar fast noch schockierender als die in meinem Kopf fantastisch aufgeplusterte Version.

Die Gründung von Mayhem, der tragische Selbstmord ihres depressiven Sängers Pelle „Dead“ Ohlin sowie die sich anschließenden Anekdoten um die Ausschlachtung seines Leichnams für Coverfotos und Souvenirs; die Eröffnung des legendären Plattenladens „Helvete“ durch Oystein „Euronymous“ Arseth und die Gründung eines „schwarzen Zirkels“, der antichristliche, stalinistische und nationalsozialistische Ideen zu einer ideologischen Brühe zusammenkochte; der Mord von Bård Guldvik „Faust“ Eithun an einem Homosexuellen; schließlich die Kirchenverbrennungen und der Konflikt zwischen Oystein und Burzum-Mastermind Kristian „Varg“ Vikernes, der in einem brutalen Mord endete: Es sind die Eckpunkte einer Geschichte, die mich seitdem fasziniert haben und die für mich untrennbar mit dieser einzigartigen Musik verbunden sind. Darf man die Kunstwerke von Mördern, Terroristen und Faschisten konsumieren – und vielleicht sogar gut finden? Diese komplizierten Fragen werden und wurden in der Kulturgeschichte immer wieder diskutiert, in diesem Falle erschienen sie aber besonders drängend: Die Alben von Bands wie Mayhem, Burzum, Darkthrone und anderen wirkten auch deshalb so gefährlich, weil sie sich an Jugendliche wendeten, die von den gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen eh schon als „verloren“ angesehen und demnach als besonders empfänglich für ihre Einflüsterungen eingestuft wurden. Hier ging es anscheinend nicht um bloßes jugendliches Aufbegehren und Randale, die Verbrechen, die in der Szene begangen wurden, waren auch nicht das Ergebnis einer sozialen Notlage (wie man sie etwa im Umfeld von Rappern immer wieder vorfindet) und auch keine singulären Einzelfälle: Hinter ihnen steckten (erneut: anscheinend) Fanatismus, Ideologie und Organisation. Und dann war da die Musik selbst, die schon „normale“ Metalheads überforderte, auf Außenstehende aber einfach nur infernalisch gewirkt haben muss. Nie zuvor lag es so nahe, Menschen als „böse“ zu etikettieren. Dass heute eine ganze Szene europaweit nationalsozialistischen Black Metal (NSBM) produziert und sich dabei als legitimes Erbe der einstigen Urheber begreift, macht es nicht weniger kompliziert.

Je mehr man sich mit den Ereignissen von damals befasst – Gelegenheit dazu boten bislang unter anderem der Director’s Cut des Dokumentarfilms UNTIL THE LIGHT TAKES US, Dayal Pattersons Wälzer „Black Metal: Evolution of the Cult“ sowie natürlich Michael Moynihans und Didrik Soderlinds „Lords of Chaos“ -, umso banaler erscheinen die Ereignisse, auch wenn es immer noch genug Mythenbildung gibt. Auch Åkerlunds Film schlägt in diese Kerbe: Der ganze von Oystein (Rory Culkin) gelieferte ideologische Unterbau fußte letztlich auf aufmerksamkeitsheischender und das Establishment provozierender Dampfplauderei, nie dazu gedacht, wirklich in die Tat umgesetzt zu werden, Vargs (Emory Cohen) terroristischer Ehrgeiz entsprang zunächst dem simplen Bedürfnis, dazuzugehören und dem großen Vorbild zu imponieren, das sich dann ungut mit halbgaren philosophischen Ideen verband – eine Frau zwischen den beiden Männern spielt in Åkerlunds Version auch noch rein. Oystein ist ein schmächtiger Typ, der es genießt, dass die Kids zu ihm aufschauen, ihn als Anführer akzeptieren und jedes seiner Worte befolgen wie die zehn Gebote und er nutzt diese Position weidlich aus. Als er bemerkt, dass seine Jünger plötzlich Ernst machen – ernster als er es je gemeint hatte -, ist es bereits zu spät. Er wird die Geister, die er rief, nicht mehr los und bezahlt sein Engagement schließlich mit dem Leben. Mitunter erhält der Film eine tragikomische, fast kafkaeske Note, zu der auch Rory Culkins blässliches, schmales Gesicht passt: Dann nämlich, wenn er bemerkt, dass wieder einmal eine von ihm in Bierlaune rausgehauene Bemerkung von seinen fanatischen Schützlingen umgehend in die Tat umgesetzt wurde. Um sein Gesicht nicht zu verlieren, erhält er die Fassade des strategischen Leaders aufrecht, aber insgeheim denkt er nur noch darüber nach, wie er aus der ganzen Nummer wieder herauskommt. Ein bekannter Mechanismus: Die Spätbekehrten sind mit größerem Feuereifer dabei als die Initiatoren, die von der entfesselten Urgewalt förmlich weggerissen werden. Oystein hatte die Rechnung ohne den Varg gemacht, einen echten Wirrkopf, dessen absurdem Weltbild man sich heute auf seinem täglich anwachsenden Youtube-Kanal aussetzen kann. In kleinen Happen betrachtet eine ziemlich spannende Angelegenheit, zumal der Urheber sich als durchaus charismatischer Entertainer entpuppt. Man versteht, wie es ihm gelingen konnte, so viele Kids hinter sich zu bringen. Dass ihm das als Milchbubi im zarten Alter von gerade mal 20 Jahren mit Gleichaltrigen gelang, ist dennoch ziemlich unheimlich und lässt erahnen, wie tief die Überzeugung schon in jungen Jahren in ihm verwurzelt gewesen sein muss.

Als Schlagzeuger der schwedischen Black-Metal-Originatoren Bathory, die ein maßgeblicher Einfluss auf die Bands der zweiten Welle in den frühen Neunzigerjahren waren, um die es hier auch geht, scheint Jonas Åkerlund nah genug dran, um ein glaubwürdiges Statement abgeben zu können (auch wenn er der Szene damals bereits längst den Rücken gekehrt hatte und sich als Regisseur von Roxette-Videos verdingte), dennoch dürften einige Entscheidungen in der Charakterzeichnung vor allem zugunsten einer griffigeren Dramaturgie getroffen worden sein. Oystein Arseth kommt in LORDS OF CHAOS eine Nummer zu gut weg – wohl auch, um dem Zuschauer wenigstens eine Figur zur Identifikation anbieten zu können. Der Prahlhans darf im letzten Drittel des Films – nicht zuletzt durch die Zuneigung einer Frau (Sky Ferreira) – geläutert werden und schneidet sich dann sogar die lange Metalmähne ab. In den bisherigen Zusammenfassungen erschien „Euronymous“ deutlich weniger sympathisch als hier, wenn auch die Einschätzung, er habe mit Stalinismus und Nationalsozialismus lediglich aus Imagegründen kokettiert, ebenso zutreffend sein dürfte wie die Charakterisierung Vargs als des eigentlichen Überzeugungstäters. Wahrscheinlich wird die ganze Wahrheit nie ans Licht kommen: „Based on Truth and Lies“ heißt es deshalb auch zu Beginn des Films. Oystein ist tot, die damaligen Weggefährten werden aus naheliegenden Gründen von einer Richtigstellung absehen: Die Protagonisten der Black-Metal-Szene profitieren immer noch erheblich vom Mythos und werden den Teufel tun, sich nachträglich zu inkriminieren oder zuzugeben, dass ihre Kirchenverbrennungen lediglich ein Akt jugendlichen Vandalismus waren, der mit spinnerten Weltanschauungen verbrämt wurde. Es sind eher unauffällige Details des Films, die eine letztlich sehr banale Deutung der damaligen Ereignisse nahelegen, mehr als der vordergründige Plot. Eltern sind auffällig abwesend im Film, lediglich als Stimmen aus dem Off oder in Form von Fotografien zu hören und zu sehen. Der Mangel an sinnhaften Betätigungsfeldern in Oslo, die Isolation in den weit auseinanderliegenden urbanen Zentren und den kleinen Dörfern dazwischen, die vorherrschende Dunkelheit, die Alkoholkonsum und Depressionen begünstigte: All diese Faktoren vermischten sich und lieferten den Nährboden, auf dem erst diese menschenfeindliche, rohe Musik und dann die zur Untermauerung nötige Geisteshaltung gedeihen konnten. LORDS OF CHAOS darf als der zugänglichste, dramaturgisch geschlossenste Versuch einer Aufarbeitung jener nun fast 30 Jahre vergangenen Geschehnisse gelten und man muss Åkerlund zugutehalten, die Herausforderung einer kritischen, aber respektvollen Perspektive bravourös gemeistert zu haben. Er glorifiziert die Taten nicht, lässt aber auch keinen Zweifel an der künstlerischen Einzigartigkeit der Musik, die diese Jugendlichen damals wie aus dem Nichts, nur aus sich selbst heraus produzierten. Die Frage, die sich unweigerlich stellt: Kann eine Musik von dieser brachialen Urgewalt überhaupt vor einem „normalen“ Hintergrund entstehen? Müssen wir die Ursachen mit allen Mitteln an den Wurzeln bekämpfen oder akzeptieren, dass aus unserer Mitte mitunter das Chaos erwächst – das dann in etwas so beklemmend schönem wie True Norwegian Black Metal mündet? Jonas Åkerlund entscheidet sich, glaube ich, für letzteres. Und ich würde sagen, dass er Recht hat.

Unterwassermenschen, die zwischen dekorativ umherschwimmenden Haien, Walen und Rochen mit wallenden Haaren Dialoge über den legitimen König des untergegangenen Reichs Atlantis schwadronieren. Armeen, die wahlweise auf Riesenseepferdchen oder gepanzerten Haien in die Schlacht reiten. Eine Meerjungfrau mit tomatenroten Haaren, die mit ihren Händen das Wasser aus lebenden Körpern saugen kann. Eine bis auf den letzten Platz mit begeistert grölenden Zuschauern besetzte Unterwasserarena über einem gewaltigen, mit Lava gefülltem Krater. Ein Oktopus, der dazu Schlagzeu spielt. Bilder der vergangenen Riesenzivilisation Atlantis, deren Hybris zum Untergang führte, nachdem ihre Bewohner glücklicherweise die Möglichkeit eines neuen Lebens fanden. Ein mit atlantischer Supertechnologie ausgestatter Rächer namens Black Manta. Temuera Morrison als neuenglischer Leuchtturmwächter, Nicole Kidman als Meereskönigin, die sich in ihn verliebt, Dolph Lundgren als aquatisches Gegenstück zu Odin, Willem Dafoe mit Dutt. Und dazwischen ein ganzkörpertätowierter Held mit Rockermähne, Bikerbart und wissendem Grinsen. Viel Vergnügen mit AQUAMAN, der Superheldencomicverfilmung, die all das richtig macht, was bei Marvel mit schöner Regelmäßigkeit vergeigt wird.

Als Vincent Chase, der Protagonist der Serie ENTOURAGE, in deren zweiter Staffel den Titelhelden in der von James Cameron inszenierten Adaption des DC-Comics übernehmen durfte, war das ein Witz: Aquaman, ein blonder Biedermann, dessen Fähigkeit, mit Fischen kommunizieren und besonders gut schwimmen zu können, jetzt nicht unbedingt die beeindruckendste Waffe im Kampf gegen außerirdische Weltbeherrscher und Superverbrecher darstellte, wurde selbst von den größten Comicnerds nie so richtig ernst genommen – und er schien sich daher auch gegen ein cooles Re-Imagining zu sperren. Seine ganze Origin-Story und die Idee eines Unterwasserreiches waren so unabänderlich cheesy und kitschig, was sollte man daraus machen, das auch nur halbwegs ernstzunehmen war? Die Entscheidung der angeschlagenen DC Entertainment, ausgerechnet diesem Helden den nächsten großbudgetierten Eventfilm zu widmen, muss man demnach nicht verstehen. Doch nach Betrachtung möchte ich den Produzenten zu ihrer Entscheidung und ihrem Mut ausdrücklich gratulieren: Sie haben gar nicht erst versucht, gegen Kitsch, cheesiness und die dem Stoff inhärente Deppertheit anzukämpfen, sondern diese Elemente mit offenen Armen empfangen und damit einen Film vorgelegt, der endlich einmal nichts als reine Freude am nackten Unfug zum Ausdruck und damit auch den Spirit der bunt bebilderten „literarischen“ Vorlagen in ebensolchen Bildern auf die Leinwand bringt. Das infantil-beseelte Grinsen war mir während der gesamten Laufzeit ins Gesicht gemeißelt, das Vergnügen, dieses Spektakel mit meinen beiden Kindern sehen zu dürfen, dürfte dieses Jahr nur schwerlich getoppt werden.

Die vollkommen egale Handlung zusammenzufassen, erspare ich mir an der Stelle – der Film macht nie ein Hehl daraus, dass er sich lediglich als Aneinanderreihung geiler Bilder, Set Pieces, Materialschlachten, Sight Gags und gefälliger One-Liner versteht. Aber er kommt im Unterschied zu ähnlichen Werken mit diesem Ansatz davon, weil er eben liefert – und mit Jason Momoa einen Hauptdarsteller an Bord hat, der die Überdosis Charme mitbringt, die es braucht, eine eindimensionale Pappfigur wie seinen Aquaman zum Sympathieträger zu machen. (Er erinnert mich mit seinem Dauergrinsen, das den Eindruck erweckt, er hätte die Zeit seines Lebens und sei vollkommen desinteressiert, diese Freude zu verbergen, etwas an Dwayne „The Rock“ Johnson.) Über James Wan wird gern (auch von mir) gelästert: Die SAW-Reihe ist überaus streitbar, seine Horror-Filme THE CONJURING und INSIDIOUS inklusive der inflationären Pre- und Sequels long on style und short on substance, dafür hat er mit seinem Einsatz für FURIOUS 7 (und einige Jahre zuvor m unterschätzten DEATH SENTENCE) etwas bewiesen, was er auch in AQUAMAN wieder zeigt: dass er ein Händchen für temporeiche Action und ikonische Bilder hat. Die im Rahmen des CGI-Overkills durchaus als physisch zu bezeichnende Hatz durch ein sizilianisches Hafenstädtchen markiert einen Höhepunkt des mit rund 140 Minuten natürlich viel zu lang geratenen Spektakels, das aber trotzdem an einem vorbeirauscht wie ein Intercity.

Wem das alles zu doof, zu unecht, zu substanzlos, zu computerspielartig ist, dem kann ich kaum widersprechen. Ich habe mich bei vergleichbaren Filmen selbst auch schon anders geäußert, die schiere Menge an computergenerierten Bildern moniert, das Fehlen echter Emotionen oder auch nur traditionellen Filmhandwerks betrauert. Auch AQUAMAN ist eigentlich ein reiner Animationsfilm und inhaltlich hat er rein gar nichts zu sagen. Aber, fuck, hat der Spaß gemacht. Wans Film hat all das, was ich an den Filmen des MCU so vermisse: Er lebt von seinen bunten, geilen Bildern, ist geradezu beseelt von den schier grenzenlosen Möglichkeiten, die ihm sein Sujet bietet, berauscht von der Lust an der Schöpfung bonbonbunter Bilder, und kein Stück bereit, sich dabei in Ketten schlagen zu lassen. Er verkneift es sich kluger- und sympathischerweise, seinen Helden als Sprechpuppe für halbgare Aussagen zur Weltpolitik zu missbrauchen und so Relevanz vorzugaukeln. Kein Wunder, dass die Filmkritik, sonst immer schnell zur Stelle, wenn es darum geht, noch den letzten Studioheuler zum antikapitalistischen Manifest hochzujazzen, hier in größter Einigkeit die Keule herausholte. Was natürlich nichts daran änderte, dass AQUAMAN zum überraschenden Superhit mutierte. Mich freut das ungemein. Wenn alle Superheldenfilme so aussähen, ich wäre zufrieden. Ich will mehr Filme, die unter Wasser spielen, mit schwerelos schwebenden Figuren, deren Haare in Zeitlupe in der Strömung wallen und die dabei ganz normal miteinander reden. Ich komme da einfach nicht drüber weg, so geil finde ich das.

THE PREMATURE BURIAL, die Verfilmung der gleichnamigen Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, ist der dritte Eintrag in Cormans Poe-Zyklus nach HOUSE OF USHER und THE PIT AND THE PENDULUM, mit denen der zuvor auf schnell und billig im Doppelpack heruntergekurbelte Exploiter spezialisierte Regisseur einen großen Schritt Richtung Respektabilität gemacht und angedeutet hatte, was in Zukunft noch von ihm zu erwarten sein sollte. Die Entstehungsgeschichte von THE PREMATURE BURIAL ist trotzdem einigermaßen kurios: Eigentlich wollte Corman den Film nicht mehr mit Arkoffs AIP machen, seiner angestammten Produktionsfirma, und er kontaktierte die Franzosen von Pathé, die bislang die Entwicklung seiner Filme übernommen hatten. Sie schlugen ein, was auch der Grund ist, warum hier nicht Vincent Price vor der Kamera steht: Der hatte nämlich einen Exklusivvertrag mit Arkoff. Doch just in dem Moment, als die Dreharbeiten begannen, wurde Corman von der Nachricht überrascht, dass die AIP den Franzosen den Film abgekauft hatte und somit alles beim Alten blieb – mit Ausnahme der Besetzung der Hauptrolle eben. Wobei Ray Milland die perfekte Wahl für den von der Angst, lebendig begraben zu werden, besessenen Guy Carrell darstellt: Dass er sich auf die Darstellung solcher getriebenen, am Rande des Zusammenbruchs stehenden Figuren verstand, hatte er nicht zuletzt in Billy Wilders THE LOST WEEKEND bewiesen – wahrscheinlich seine berühmteste Rolle und beste Leistung. Die Vorlage Poes – eine reine Ich-Erzählung – erweiterte Corman zusammen mit seinen Drehbuchautoren Charles Beaumont und Ray Russell zwar um einige Aspekte, zu denen auch die etwas unbefriedigende, ganz auf bekannte Genrekonventionen und Plotmechanismen beruhende Auflösung gehört (dazu später mehr), blieb dabei aber dennoch enger am Original als das etwa bei der Adaption von THE RAVEN oder THE MASQUE OF THE RED DEATH (notgedrungen) der Fall war.

Zur Geschichte: Alle Vorfahren des aristokratischen Guy Carrell waren auf unnatürliche Art und Weise verstorben: Zuletzt sein Vater, der – davon ist der Sohn jedenfalls überzeugt – aufgrund seiner Katalepsie bei lebendigem Leibe in der Familiengruft beigesetzt wurde und dort jämmerlich erstickte. Die Anwesenheit bei einer Exhumierung, die den Blick auf eine Leiche freigibt, die offensichtlich das gleiche Schicksal wie den Vater ereilt hatte, weckt die verdrängte Erinnerung und löst bei Guy eine panische Angst aus, die auch die fürsorgliche Emily (Hazel Court), die er schnell ehelicht, nicht besänftigen kann. Die Furcht nimmt Guy immer mehr gefangen, beschäftigt ihn Tag und Nacht und kulminiert in der Konstruktion eines Mausoleums, das mit etlichen Vorsichtsmaßnahmen Sicherheit für den hypothetischen Ernstfall gewährleisten soll. Es ist bereits eingetroffen, was Emilys Gatte befürchtet: Die Angst hält ihn gefangen wie ein Sarg und statt sein Leben zu führen, beschäftigt er sich ausschließlich mit seinem Tod. Die Zerstörung der Gruft scheint seine Phobie schließlich zerschlagen zu haben, doch dann erleidet er einen Rückfall und seine schlimmste Angst bewahrheitet sich …

Cormans Poe-Verfilmungen fallen für den heutigen Betrachter wahrscheinlich am ehesten unter den Begriff „Gruselfilm“, mit dem wir etwa auch die Werke der britischen Hammer Studios versehen. Wie diese leben auch die Corman-Poes nicht zuletzt von ihrem Dekor, den deutlich als solche erkennbaren, trockeneisnebelumwaberten Studiosettings, dem eher langsamen und gemächlichen Erzähltempo und dem Verzicht auf allzu vordergründige Effekte zugunsten der sanften Suggestion (wobei die Hammers bei der damaligen Kritik ja vor allem wegen ihrer damals ungewohnt zeigefreudigen Gewaltdarstellung verpönt waren). Doch Corman war mitnichten ein Traditionalist, sondern im Gegenteil ein junger Wilder, ein Rebell im Filmgeschäft, und die respektable literarische Vorlage diente ihm auch als eine Art trojanisches Pferd, mit dem er seine subversiven Ideen ins feindliche Lager schmuggeln konnte. Am deutlichsten zeigt sich das gewiss in einer langen Albtraumsequenz, in der sich jede einzelne der von Carrell für seine Gruft erdachten Sicherheitsvorkehrungen als fehlerhaft und damit nutzlos erweist. Die ganze Sequenz mutet mit dem bunten Schleier, der sich über sie legt, wie ein psychedelischer Rausch an und darf somit als Vorbote für Cormans spätere Gegenkultur- und Drogenfilme THE WILD ANGELS, THE TRIP oder GAS-S-S-S verstanden werden. Aber auch auf inhaltlicher Ebene kann man THE PREMATURE BURIAL als Allegorie auf den in den frühen Sechzigerjahren kurz vor der Eruption stehenden Generationenkonflikt lesen, der lediglich durch die Besetzung mit dem damals bereits über 50-jährigen Milland getrübt wird, der nun beim besten Willen nicht mehr als Jugendlicher durchgeht. Dennoch ist THE PREMATURE BURIAL von Bildern durchzogen, die den schädigenden Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart darstellen: Das Anwesen, das Carrell bewohnt, ist selbst ein Grabmal, umgeben von einer Sumpflandschaft, toten, knorrigen Bäumen und einem Friedhof. Im Inneren des alten Gemäuers ist es unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, überall wird man mit dem Geist der Vorfahren konfrontiert, der durch die Grüfte im Keller spukt und empfindliche Seelen wie Carrell keinen Frieden finden lässt. Traute Zweisamkeit und Intimität gibt es für das Ehepaar nie: Immer sind irgendwelche Verwandte oder Freunde des Hauses anwesend, wartet irgendeine auf alter Verbundenheit basierende Verpflichtung – oder es ist eben Carrells Phobie, die der Liebe einen Strich durch die Rechnung macht. Aber auch die gründet sich ja auf Erlebnissen aus der Vergangenheit. Und dann ist das Carrell selbst, ein vom Tod Besessener, der am Ende zum augenrollenden Mörder wird. Wie schon erwähnt, wirkt das Ende von THE PREMATURE BURIAL gerade vor diesem Hintergrund wie behelfsmäßig angeklebt und ich bin mir fast sicher, dass sich Corman kein Stück dafür interessierte, wer denn da am Ende der bzw. die Böse ist. Seine Inszenierung lässt eigentlich keinen Zweifel an den Hintergründen von Carrells Besessenheit und die menschlichen Motive, die die Autoren in letzter Sekunde aus dem Ärmel zaubern, fügen der Geschichte nichts außerhalb einer höchst oberflächlichen, der Zuschauererwartung entsprechenden Lösung der Schuldfrage hinzu, die sorgfältig ins Gesamtwerk zu integrieren, Corman sich gar nicht erst die Mühe gibt.

Im Gedächtnis bleiben stattdessen andere Dinge: die schon erwähnten Bilder einer ans Groteske grenzenden, unwirklichen Außenwelt, deren Trostlosigkeit aber keiner der Protagonisten überhaupt zu bemerken scheint (weil es eben eine veräußerte Innenwelt ist), Millands unangenehme Verkrampftheit und Steife, die die Ehe zur schönen Emily von Anfang an als Farce erscheinen lässt, schließlich der Wahnsinn, der sich in seinem Blick entbirgt, als er seine Gruft mit ihren Geheimtüren, Strickleitern und sonstigen Auswegen vorführt. Spätestens hier wird ganz klar, dass die panische Angst vor dem Lebendig-Begraben-Werden und die Faszination für den Tod eng beisammen liegen, wenn nicht gar identisch sind. Carrells Todessehnsucht mag vordergründig nur die bizarre Marotte eines einsamen Spinners sein: Aber in den Sechzigerjahren, in denen eine ganze Generation von Amerikanern auf Geheiß der Altvorderen in den Tod gehetzt wurde, kam sie den Zuschauern des Film wahrscheinlich sehr bekannt vor. Mit Stahlhelm, Maschinengewehr, Kampfmesser und Handgranate wurden sie nach Vietnam geschickt: Und wenn alle diese Waffen nicht mehr halfen, gab es die Zyankalikapsel. Ganz wie in Carrells Gruft.

 

Die Jubiläumsausgabe des 35mm Retro-Filmmagazins – seit immerhin fünf Jahren gibt es das Magazin jetzt schon, da sage noch einer, Print sei tot! – kann jetzt bestellt werden. Der Themenschwerpunkt liegt auf den Filmadaptionen von Edgar Allan Poes literarischen Werken: Unter anderem befasst sich Robert Zion mit Ulmers THE BLACK CAT und Louis Friedlanders THE RAVEN sowie mit dem Poe-Zyklus von Roger Corman. Die Beziehung französischer Regisseure zum amerikanischen Schriftsteller beleuchtet Martin Abraham, Alexander Schultz befasst sich mit filmischen Darstellungen des Autors selbst. Neben einem tollen Cover-Artwork gibt es viele weitere spannende Geschichten von Autoren wie Christian Kessler und Ingo Strecker sowie die bekannten Kolumnen. Ich persönlich setze meine Noir-Reihe mit einem kurzen Artikel über Robert Siodmaks exzellentem Zwillingsschwester-Psychothriller THE DARK MIRROR fort. Viel Spaß!