Archiv für Oktober, 2019

Überraschungen, die das Leben versüßen: ACTS OF VENGEANCE war auf meiner Amazon-Prime-Watchlist gelandet, weil er nach exakt jener Art actionlastigem, griffigem Timewaster aussah, die ich mir zwischendurch gern verabreiche – und entpuppte sich dann zu meiner überaus großen Freude als relativ aktueller Film des DTV-Action-Papstes Isaac Florentine. Zwar sollte man nicht mit der Hoffnung auf eine mit UNDISPUTED II, UNDISPUTED III oder NINJA vergleichbare Glanzleistung des Regisseurs an ACTS OF VENGEANCE herantreten, aber als angenehm grimmiges Alterswerk des doch ziemlich in Vergessenheit geratenen Antonio Banderas mit Regisseursbonus obendrauf ist das Teil eine durchaus würdige Eröffnung für den stimmungsvollen Herrenabend.

Wie der Titel erkennen lässt, haben wir es hier mit einem Rachefilm zu tun, der sich weitestgehend auf bewährte (zugegebenermaßen etwas müde) Klischees und Mechanismen verlässt, um seine Geschichte in Gang zu bringen, aber auch mit einigen eigenen Ideen und kleinen Schlenkern und Verzierungen aufwartet, um die Sache auch für Leute interessant zu halten, die bereits sämtliche Variationen dieses Stoffes gesehen haben. ACTS OF VENGEANCE ist natürlich kein bahnbrechender Martial-Arts-Reißer und auch kein Stunt-Spektakel, sondern eher ein düsterer Thriller, aber wenn es ans Eingemachte geht, sieht man die versierte Handschrift des Urhebers. Banderas, dessen kurze Karriere als Actionheld in Filmen wie DESPERADO, THE 13TH WARRIOR oder THE MASK OF ZORRO bereits gute 20 Jahre zurückliegt, ist vielleicht etwas zu klein und mit 59 Jahren auch nicht mehr der Jüngste, aber er kommt in seinen Fights tatsächlich ziemlich überzeugend rüber (Florentine zeigt sich in diesem Interview als nachhaltig begeistert von Banderas‘ Fähigkeiten). Ich finde es ja immer ziemlich cool, wenn einstige Hollywood-Stars im Karriereherbst in solchen kleinen, direkt für die Scheibe oder Streamingportale produzierten Ballerfilmen auftauchen und man merkt, dass das echte Menschen mit Ecken und Kanten und keine wandelnden Marketingkampagnen sind. Und andersrum profitiert ein Film wie ACTS OF VENGEANCE natürlich ungemein vom Charisma und vom Können, das jemand wie Banderas ohne Zweifel in die Waagschale zu werfen hat. Demnächst also bitte UNDISPUTED V mit Tom Cruise und Denzel Washington!

Vorerst bleiben wir aber bei ACTS OF VENGEANCE, dessen Protagonist, der windige Rechtsanwalt Frank Valera (Antonio Banderas), zu Beginn Frau und Tochter verliert. Wie das so ist, hat er eine Verabredung mit seiner Familie platzen lassen, weil er im Büro aufgehalten wurde, und dann zu Hause vergeblich auf ihre Rückkehr gewartet, denn sie wurden in einer schäbigen Gegend ermordet und dann in einen Graben geworfen. Die Polizei hat keinerlei Hinweise und stellt die Ermittlungen bald ein. Frank gibt sich selbst die Schuld am Tod seiner Liebsten, stürzt sich erst in den Suff und dann in Underground-Cage-Fights, bei denen er sich bereitwillig verdreschen lässt. Als er auf der Straße von einem Zuhälter attackiert und mit dem Messer verwundet wird, stürzt er in das Schaufenster einer Buchhandlung. Das Taschenbuch, mit dem er seine Blutung stoppt, entpuppt sich als Marc Aurels „Meditationen“, das großen Eindruck auf ihn macht und dazu bringt, ein Schweigegelübde abzulegen und seinen Körper für den Rachefeldzug gegen die Killer zu stählen. Eine Krankenschwester hilft ihm (Paz Vega) dabei, den Mörder zu finden der natürlich ein persönliches Motiv hat: Vor Jahren erlitt er dasselbe Schicksal wie Frank und musste miterleben, wie der Mörder seiner Tochter auf freien Fuß gesetzt wurde, weil Frank eine Freispruch auf Basis eines Formfehlers erwirkte.

Die Story ist wirklich nichts besonderes, es sind die kleinen Details, die den Film ausmachen: der Voice-over von Frank/Banderas zum Beispiel, der tolle Sachen sagt wie „Good things happen to you, if you just shut the fuck up for two or three minutes“. Frank gesteht gleich zu Beginn, dass er in seinem Job viel zu viel geredet habe und das meiste davon sei leider niemals wirklich wichtig gewesen, nicht annähernd so wichtig wie das „I love you“ für Ehefrau und Kind. Er wird nicht direkt als unsympathisch gezeichnet, aber er hat sich in seinem Beruf nie von der Moral leiten lassen, sondern immer nur auf den Erfolg geachtet. Sein Schwiegervater – der kürzlich verstorbene Robert Forster in einem fiesen Gastauftritt – sagt ihm auf der Beerdigung seiner Tochter und Enkelin deutlich, was er von Frank hält, und verabschiedet sich mit den Worten, er wolle nie mehr ein verdammtes Wort von Frank hören – Frank kommt diesem Befehl dann später bereitwillig nach. In der Trauer über den Tod seiner Familie merkt er nämlich. wie sinnlos das ganze Gerede war, mit dem er sein Geld verdient hat, wie leer und falsch es zum Teil war, aber vor allem, wie viel Zeit es ihm gestohlen hat, die er besser mit seiner Familie verbracht hätte. Also beschließt er zu schweigen, bis er den Mörder gestellt hat, und dieses Schweigen verändert seine ganze Wahrnehmung der Welt: Plötzlich kann er Dinge hören, die ihm vorher entgangen waren. Anstatt sich hinter Worten und Sätzen zu verschanzen, handelt er. Es wird keine große Sache aus seinem Schweigen gemacht, auch von der Krankenschwester nicht, die die Tatsache, dass er ihr nur mit Blicken, Gesten oder Kopfbewegungen antwortet, einfach akzeptiert. Es spielt auch in der Handlung keine wichtige Rolle: Der Moment, in dem er vor der Wahl steht, sein Schweigen zu brechen oder nicht, bleibt etwa aus. Es ist einfach eine schöne Idee, die Franks Wandel, aber auch seine Besessenheit widerspiegelt.

Mehr als ein typischer Selbstjustizfilm, in dem die Motive des Protagonisten ebenso hinterfragt werden wie der Sinn der Rache überhaupt, ist ACTS OF VENGEANCE ein Film über die Trauer und was sie mit dem Menschen macht. Franks Trauer richtet sich in Form von Zorn erst gegen sich selbst, dann gegen den noch unbekannten Täter (auch diese Entwicklung ist auf seine Aurel-Lektüre zurückzuführen). Sein Widersacher ist nicht etwa ein mieser Punk, sondern ein Mann, der exakt die gleiche Erfahrung machen musste wie Frank und der mit seiner Trauer im Grunde genommen sehr ähnlich umgeht, sie aber nicht gegen den Täter richtet, sondern indirekt gegen den Mann, der ihm Gerechtigkeit verwehrte, ndem er ihn dasselbe spüren lässt. Für Florentine hatte ACTS OF VENGEANCE möglicherweise kathartischen Charakter, denn er verlor seine Gattin Barbara, die vor BOYKA: UNDISPUTED IV mit Krebs diagnostiziert worden, während der Dreharbeiten zu ACTS. Eine Widmung am Ende macht deutlich, dass dieser Film, der vielleicht auf den ersten Blick wie eine kleinere Auftragsarbeit anmutet, wahrscheinlich persönlicher ist als einige seiner „großen“ Hits.

 

 

 

 

Fernsehregisseur und Facebook-Entertainer Hasko Baumann pflegt Denis Villeneuve seit Jahren als „borelord“ zu bezeichnen. Das ist ein bisschen gemein, aber mittlerweile bin ich geneigt, ihm Recht zu geben. Auch bei Villeneuves ARRIVAL stellt sich wieder das Gefühl ein, das ich schon bei den Vorgängern ENEMY und SICARIO hatte: dass da zwar ein Mann am Werk ist, der ohne Zweifel einen eigenen Stil hat und offensichtlich weiß, was er tut, aber leider mit der emotionalen Bandbreite eines depressiven Roboters operiert. Ich möchte ihn packen, rütteln, ihm eine scheuern, um ihn aufzuwecken und ihm klarzumachen, dass Film durchaus auch Spaß machen darf und sich nicht zwingend wie zermürbende Fleißarbeit anfühlen muss.

ARRIVAL hat mit seiner seit den Fünfzigerjahren nun auch schon tausendfach durchexerzierten Alien-Invasion, die Menschen, Regierungen und Militärs rund um die Erdkugel in Aufruhr und besonnene Wissenschaftler in die Rolle der Bewahrer von Ruhe und Vernunft versetzt, zwar das Problem, nicht für einen Originalitätspreis in Frage zu kommen, aber immerhin wendet er sich einem Aspekt zu, der bislang eher weniger umfassend behandelt wurde. (Spielbergs CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND bildet eine Ausnahme.) Seine Protagonistin ist nämlich die Linguistin Louise Banks (Amy Adams), der die Aufgabe zuteilwird, mit den Außerirdischen zu kommunizieren, um zu erfahren, welchen Zweck sie mit ihrem Besuch auf der Erde, auf der sie mit zwölf Schiffen an unterschiedlichen Orten gelandet sind, verfolgen. Aber wie verständigt man sich mit Wesen, deren Sprache nach einem komplett anderen Muster aufgebaut ist, deren Erfahrungshorizont und Denken nicht dem unseren entspricht? Banks muss sich ganz langsam annähern, zunächst den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, bevor sie von da aus ihre Frage stellen kann. Kennen die Wesen, eine Mischung aus Spinnen- und Krakenwesen mit Elefantenhaut (ENEMY lässt grüßen), überhaupt das Konzept einer Frage? Begreifen sie sich als Kollektiv, denken sie zielgerichtet in die Zukunft? Dem Militär dauert diese Arbeit erwartungsgemäß viel zu lang, zumal man insgeheim eh davon überzeugt ist, es mit einem Angriff zu tun zu haben. Als China bereits den Krieg erklärt hat, sucht die Wissenschaftlerin auf eigene Faust den direkten Kontakt mit den Außerirdischen und erhält eine verblüffende Antwort auf ihre Frage.

Die Aliens sind für Villeneuve eigentlich nur Vorwand für einen sprachphilosophischen Essay, der letztlich auf die (wenig bahnbrechende) Erkenntnis hinausläuft, dass Sprache unser Denken wesentlich formt. Die Schrift der Aliens besteht aus Rauchzeichen, die allesamt die Grundform eines Kreises haben und für komplexe Sätze stehen. Louise Banks schließt daraus, dass der Zeitbegriff der Aliens ein völlig anderer ist sein muss als der unsere, der sich in unserer Schrift dahingehend spiegelt, dass wir Worte Schritt für Schritt aus Buchstaben bilden, die wir von links nach rechts anordnen. Ein wichtiger Satz aus dem Film besagt, dass die tiefe Immersion in eine Sprache zu einer Restrukturierung unseres Gehirns führt, also unser Denken verändert. Im Film kann Villeneuve diesen Prozess natürlich nicht abbilden, weshalb das Verständnis zum Finale hin wie ein Überraschungsei vom Himmel fällt. Es ist nahezu unmöglich, ins Detail zu gehen, ohne gnadenlos zu spoilern, aber ich versuche es trotzdem: Der große Kniff besteht in einer Art Zeitparadoxie. Die Protagonistin wird durch das Begreifen der Außerirdischensprache dazu befähigt, in die Zukunft zu sehen. Die vermeintlichen Erinnerungsbilder, die sie durch den Film begleiten, waren in Wahrheit Vorhersehungen, die Erzählstruktur von ARRIVAL ist kreisförmig, so wie die Rauchzeichen der Außerirdischen. Und damit das alles nicht zu abstrakt wird, sondern emotionalen Nachhall findet, nimmt Villeneuve die Ausfahrt Richtung Eso-Kitsch mit klagenden Streichern, einer rückblickend vorherbestimmten Zukunft, aber nicht der passiven Fügung in dieses Schicksal, sondern der bereitwilligen, gewissermaßen aktiven Akzeptanz des eigenen individuellen Schicksals.

Villeneuve macht Vieles richtig: Er räumt dem Sounddesign einen hohen Stellenwert ein, vor allem natürlich dem angemessen fremdartig und außerweltlich klingenden Score von Jóhann Jóhannsson, den Soundeffekten, etwa um die Stimmen der Außerirdischen und die Atmosphäre in deren linsenförmigem Raumschiff, aber auch den Dialogen, die immer mit zurückgehaltener Stimme gesprochen werden, als verharrten die Figuren in Ehrfurcht vor der Erscheinung aus dem All oder fürchteten, den fragilen Frieden zu stören. Er baut auf die imposante Präsenz des schwebenden Raumschiffes, das gleichermaßen einen harten Kontrast zur umgebenden ruralen Landschaft bildet (ARRIVAL spielt in Montana, wurde aber in Kanada gedreht), aber sich auch ganz selbstverständlich in sie einfügt, und auf den dramatisch bewölkten Himmel, der die Konturen des UFOs noch schärfer erscheinen lässt. Er weiß außerdem, dass er eine besondere Verbindung zwischen seiner Linguistin und den Aliens herstellen, aber auch einen äußeren Konflikt schaffen muss, damit der Zuschauer am Ball bleibt. Und er arbeitet mit großer Präzision auf das Finale hin, das er dann mit all dem Schmelz versieht, den er vorher zurückgehalten hat. Aus handwerklicher und dramaturgischer Sicht gibt es also nicht viel zu meckern. Trotzdem ist da eben wieder dieses oben beschriebene Villeneuve-Gefühl, das noch alle seiner Filme mit Ausnahme von PRISONERS bei mir hinterlassen haben (sein BLADE RUNNER-Sequel werde ich demnächst mal nachholen): ARRIVAL ist halt irgendwie auch ziemlich öde und leblos, er erstickt fast vor Ergriffenheit vor der eigenen angenommenen Bedeutung (so wie seine Figuren vor den Aliens) und verlässt sich viel zu sehr darauf, dass das Herzschmerz-Ende für die vorangegangene Tristesse und Freudlosigkeit entschädigen werde. Zugegeben, der Zirkelschluss ist als Konstrukt wunderschön, aber so wie Villeneuve ihn in Szene setzt, als großen, in Gedanken an all die schluchzend in sich zusammensackenden Zuschauer geradezu triumphal intonierten Tusch, ruft er in mir leider nur Ablehnung hervor. Die ganze intellektuelle Fassade brach für mich am Ende krachend zusammen, entpuppte sich als bloße Pappkulisse für einen in dieser Form unangenehm kalkuliert wirkenden Schmachtfetzen. Nun lasse ich mich ja durchaus gern manipulieren, auch gegen Pathos-getränkte Auflösungen habe ich nichts. Aber der Weg dahin darf ruhig mit etwas mehr Verve und Energie beschritten werden, Herrgottnochmal!

 

schönheit fürs regal

Veröffentlicht: Oktober 29, 2019 in Film
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JEEPERS CREEPERS, den Überraschungs-Horrorhit von 2001, gibt es in neuer HD-Abtastung mit 150 Minuten Bonusmaterial inklusive Booklet von mir via Koch Media als schickes Mediabook zum käuflichen Erwerb für jedermann. Wie meine Leser wissen, stammt der Film vom nicht unumstrittenen (mein Euphemismus der Woche) Victor Salva. Ich habe seine persönlichen Obsessionen in meinem Text nicht weiter behandelt – das Thema ist mir definitiv zu heiß. Aber ich habe in Vorbereitung für meinen Essay jede Menge kruder Kommentare gelesen, die mich am gesunden Menschenverstand wieder einmal zweifeln ließen. Nur so viel: Wenn ein Mann seine sexuellen Vorlieben noch nicht einmal in verklausulierter Form in einem Film behandeln darf, ohne dass irgendwelche Moralapostel den Untergang des Abendlandes wittern, wo soll er denn dann damit hin? Meiner Meinung führt diese Verteufelung letztlich genau zu dem, was diese selbsternannten Hüter des Anstands eigentlich verhindern wollen: echten Verbrechen. Nuff said.

Todd Phillips‘ WAR DOGS basiert auf dem Bestseller „Arms and the Dudes“ des Rolling-Stone-, New-York-Times- und Vanity-Fair-Journalisten Guy Lawson, der die Laufbahn von Efraim Diveroli und David Packouz beleuchtet. Beide avancierten mit Anfang/Mitte 20 zu einfluss- und erfolgreichen Playern im amerikanischen Waffenhandel, bis sie wegen Betruges verurteilt wurden. Der Fall führte zu einer Re-Evaluierung des Beschaffungsprozesses der USA – zumindest heißt es so. Der Hintergrund ist folgender: Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden in den dortigen Nationen riesige Waffenmengen frei, für die kein Bedarf mehr war; Waffen, die aber in Konflikten wie im Irak-Krieg oder in Afghanistan durchaus noch nützlich sein konnten. Um sich selbst im Unterhandel mit dubiosen Geschäftsleuten, Terroristen, Milizen und Diktatoren nicht die Hände schmutzig zu machen, betrieb die US-Regierung gewissermaßen ein Outsourcing: Über eine Auktions-Website schrieb sie die benötigten Posten aus und beauftragte Mittelsmänner mit der Beschaffung. Efraim Diveroli baute sein Unternehmen von der Couch aus als Ein-Mann-Betrieb auf. Er gab Gebote auf kleinere Deals auf der Website ab und wurde so schon mit 21 Jahren zum Millionär, der regelmäßige Kontakte mit Generälen, Politikern und Waffenschiebern pflegte. Der große Coup gelang ihm zusammen mit seinem Partner David Packouz im Jahr 2007, als er einen Munitionsdeal mit einem Wert von rund 300 Millionen Dollar mit der amerikanischen Regierung abschloss. Doch die Munition, die die beiden in Albanien einkauften, war veraltet und stammte zudem aus dem mit einem Handelsembargo belegten China. Um die Herkunft der Kugeln zu verschleiern, packten die beiden die Ware kurzerhand um: Der Betrug flog auf, laut Film, weil Diveroli einen der mit der Umverpackung beauftragten Albaner nicht bezahlte, Diveroli wurde zu vier Jahren Haft verurteilt, Packouz zu sieben Monaten Hausarrest.

Phillips orientiert sich für seine komödiantisch-rasante Verarbeitung des unglaublichen Stoffes zum einen – wie das Poster schon unschwer zeigt – an De Palmas SCARFACE und dessen Geschichte vom kometenhaften Aufstieg, dem Exzess, den der Reichtum bringt, und der unsanften Landung danach, erinnert aber auch an ähnlich gelagerte Filme wie zum Beispiel Scorseses WOLF OF WALL STREET, Bays PAIN & GAIN (wie dieser und SCARFACE spielt auch WAR DOGS in Miami) oder etwa Schmids 23. Seine Hauptfigur ist Packouz (Miles Teller), der als Masseur arbeitet, bis er seinen alten Schulfreund Diveroli (Jonah Hill) wiedertrifft, der den ungläubig Staunenden in seine Welt mitnimmt und ihm schließlich einen Job anbietet. Das Waffengeschäft und die damit verbundenen immensen Gewinne verschaffen den beiden jungen Männern einen immensen Rush, der – zumindest für Packouz – nicht zuletzt auch durch den Tabubruch begünstigt wird: Er ist ebenso wie seine Gattin Iz (Ana de Armas) eigentlich Pazifist und Bush-Gegner und muss ihr die Herkunft seiner Reichtümer verschweigen oder zumindest das Ausmaß seiner Involvierung kleinreden. Das Gewissen lässt sich durchaus beruhigen, etwa vom kraftvollen Vibrieren des selbstgekauften Porsche. Die Funktionsweise des inneren Selbsttäuschungsmechanismus bringt der Waffendealer Henry Girard (Bradley Cooper) auf den Punk: „I’m not a bad man, but in certain situations, I have to ask myself: ,What would a bad man do?'“ Diveroli und Packouz beiden leben wie die von ihnen verehrte Filmfigur Tony Montana (auch Diverolis Kokain-Konsum nimmt ähnliche Ausmaße an) in Saus und Braus, während sie in einem Spiel mitmischen, für das sie eigentlich eine Nummer zu klein sind. Aber ihre Skrupellosigkeit ist ein Plus. Als die für den Irak-Krieg eingekauften Berettas in Jordanien hängenbleiben, übernehmen sie kurzerhand selbst den Transport ins Kriegsgebiet, entkommen in Fallujah nur knapp einem Angriff und feiern sich am Ende wie Actionhelden, posieren mit ausgestreckten Mittelfingern auf einem Foto vor dem rostigen Transporter und stehen danach zwischen riesigen Geldbergen, die das US-Militär Saddam Hussein abgenommen hat, um ihren Lohn in bar zu empfangen. Das Ende zeichnet sich allerdings auch bald ab: Diveroli wird als skrupelloser Schauspieler gezeichnet, der genau weiß, was er seinem Gegenüber sagen muss, um zum Ziel zu kommen. Dabei macht er auch vor seinem Freund nicht halt, der eigentlich, so Packouz‘ bittere Erkenntnis am Schluss, nie sein Freund war, nur ein williger Helfer, den er benötigte, um an die richtig dicke Kohle zu kommen. Bevor der Betrug der beiden auffällt, zerbricht ihre Partnerschaft am Geld: Als Packouz der unstillbaren Gier seines Kompagnon Einhalt gebietet und ihn verbal in die Schranken verweist, hetzt dieser ihm Girard auf den Hals, seine Ermordung, die dann ausbleibt, billigend in Kauf nehmend. Der Vertrag, den die beiden geschlossen haben, ist das Papier nicht wert, auf dem er steht.

WAR DOGS erzählt eine Geschichte, von der man kaum glauben kann, dass sie sich wirklich ereignete: Nicht nur, dass zwei soeben der Jugend Entwachsene im großen Stil im Waffengeschäft mitmischen, schon die Tatsache, dass offizielle Waffendeals von den USA über eine öffentliche Website vergeben werden, lässt einen die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Phillips verzichtet auf einen ostentativ erhobenen Zeigefinger, lässt sich vielmehr vom Enthusiasmus seiner Hauptfiguren anstecken und feiert mit ihnen die unbegrenzten Möglichkeiten, in den USA zu obszönem Reichtum zu kommen. Neben den haarsträubenden Abenteuern, die die beiden dabei erleben, interessiert ihn vor allem ihre Beziehung: Jonah Hill, der sich nach seiner erfolgreichen Diät über 20 Kilo anfraß, um dem Player mit dem unstillbaren Hunger die angemessene körperliche Präsenz zu verleihen, ist gruselig überzeugend als berechnender Motormouth, der von der Geilheit auf Geld ebenso beschleunigt wird wie von der puren Lust am Dealen und der Gefahr, die in seiner speziellen Branche im Preis mit inbegriffen ist. Teller agiert neben ihm als straight man, als Identifikationsfigur für den Zuschauer, der dann auch die unausweichliche Wandlung durchläuft und schließlich Reue zeigt. Dieser Part ist natürlich der uninteressantere, Packouz vielleicht allzu sehr als der unschuldige Verführte angelegt, aber vielleicht ist das auch der Kompromiss, der nötig ist, um die Geschichte überhaupt goutierbar zu machen. Wie alle diese kapitalistischen Aufstieg-und-Fall-Geschichten baut auch Phillips darauf, dass man bereit ist, sich auf die Seite seiner Helden zu schlagen, selbst wenn man deren Geschäft verabscheut. Und tatsächlich nimmt ihre Dreistigkeit ja durchaus für sie ein. Man könnte sicherlich kritisieren, dass die Tatsache, dass das Waffen- und Kriegsgeschäft schmutzig ist und Diveroli und Packouz mit dem Tod ihr Geld verdienen, um sich zu bereichern, dass sie mitnichten ein Kavaliersdelikt begehen, zu kurz kommt – aber muss das wirklich noch explizit gesagt werden, wenn doch eh stille Übereinkunft darüber herrscht und diese Ansicht im Konflikt zwischen Packouz und seiner Gattin immer mitläuft? Sehr verlässlich wurde auch Kritik daran geäußert, dass Phillips und seine Co-Autoren Stephen Chin und Jason Smilovic etwa die Irak-Episode hinzudichteten, aber letztlich soll WAR DOGS ja als Spiel- und nicht als Dokumentarfilm funktionieren und da bildet diese Geschichte einen dramaturgisch notwendigen Höhepunkt, der den ganzen Wahnsinn des Geschäfts besser ins Bild setzt als die Inszenierung endloser Telefonverhandlungen, die vielleicht realistischer gewesen wären. Interessant auch, dass Packouz einen kleinen Cameo absolviert, als Musiker, der in einem Altenheim „(Don’t fear) The Reaper“ von Blue Öyster Cult intoniert, während Diveroli seinem Darsteller Jonah Hill eine Privataudienz verwehrte. Es entspricht exakt dem von Phillips angelegten Profil.

Das Poster mit dem Star Spangled Banner, dem furchtsam/hoffnungsvoll in die Ferne blickenden Pärchen von Papa und Töchterlein nebst bärtigem Schuft im Funkenregen sowie der Frage „How far would you go to protect your home?“ lässt Schlimmes befürchten, das sich dann zum Glück aber nicht bewahrheitet. HOMEFRONT ist ein angenehm bodenständiger Actioner, wie er heute, wenn überhaupt, eigentlich direkt auf Heimkino-Medien veröffentlicht oder gestreamt wird, und das Poster verrät die Ratlosigkeit, die die Marketingabteilung angesichts dieses aus der Zeit gefallenen Films ergriff. Wie zum Teufel sollte man das Ding bewerben, um Menschen dazu zu motivieren, an der Kasse ein Ticket zu lösen und zwar in solcher Menge, dass nicht nur die Produktionskosten von 22 Millionen wieder reinkämen, sondern auch noch ein schöner Gewinn? Also entschied man sich für die Patriotennummer, auch wenn der Film mit der suggerierten Bedrohung für die USA of A rein gar nichts zu tun hat.

HOMEFRONT, dessen Drehbuch von keinem Geringeren als Sylvester Stallone geschrieben und ursprünglich als RAMBO-Sequel erdacht worden war, beginnt wieder einmal mit Statham in Langhaarperücke – wie auch schon HUMMINGBIRD – als Mitglied einer Rockergang, die fett im Meth-Geschäft steckt. Doch natürlich ist er in Wahrheit ein Undercover-Cop und am Ende des actionreichen Prologs erschießt er den Sohn des Anführers Danny T (Chuck Zito), der daraufhin in den Bau wandert. Schnitt in die Gegenwart, in der Phil Broker, wie er nun heißt, irgendwo in Louisiana lebt und sich dort mit seinem neunjährigen Töchterchen Maddy (Izabela Vidovic) vom Tod der Ehefrau/Mutter erholt. Der Plot kommt in Gang, als Maddy einem Bully mit vom Papa erlerntem Kampfwissen die Fresse poliert und damit den Zorn der Eltern des Bullys (Kate Bosworth & Marcus Hester), eines fiesen Redneck-Pärchens, auf sich und den hinzugezogenen, eigenbrötlerischen Papa zieht. Zur Sippe der beiden gehört auch „Gator“ (James Franco), ein lokaler Krimineller mit Ambitionen im Meth-Business, der sich für sie der Sache annimmt und dabei Einblick in Brokers Vergangenheit erhält. Er kontaktiert den einsitzenden Danny T, der seine Killer zu Broker nach Hause schickt …

Ein bisschen STONE COLD, ein bisschen Redneck-und-Hillbilly-Action im Stile von WALKING TALL, ein bisschen herzige Papa-und-Tochter-Dynamik und erstklassige Production Values sind die Zutaten, die HOMEFRONT für mich zu einer kleinen, feinen und vor allem unerwarteten Überraschung machten. Die Regie übernahm Gary Fleder, der vor rund 20 Jahren kurzzeitig mal als hoffnungsvolles Talent galt, als er erst den Tarantino-Klon THINGS TO DO IN DENVER WHEN YOU’RE DEAD inszenierte und kurz darauf den prestigeträchtigen KISS THE GIRLS. Mit der ganz großen Hollywood-Karriere wurde es nichts, der Mann arbeitet heute überwiegend fürs Fernsehen, aber für einen Timewaster wie HOMEFRONT, der keine inszenatorische Inspiration benötigt, sondern in erster Linie professionelles Management und sauberes Handwerk, ist er der richtige Mann. Auch die Action – eigentlich nicht seine Spezialität – kommt fett, zupackend und physisch (die Cinematography stammt von Theo van de Sande, der u. a. für BLADE oder THE MARINE sowie für etliche Adam-Sandler-Filme verantwortlich zeichnet). Er lichtet die Bayous Louisiana, die maroden Kleinstädte und Werkstätten sowie die schillernde Metropole New Orleans in tollen Bildern ab und rennt damit bei mir, der ich ein Faible für Südstaatenromantik habe, offene Türen ein. In der größten Actionsequenz, dem Überfall der Killer auf Brokers Haus, kommt richtig Stimmung auf, wenn der Held die Bösewichter beherzt mit der Pumpgun umnietet, dass sie meterweit fliegen, Arme und Beine bricht oder mit dem Messer Hauptschlagadern durchtrennt. Man erkennt in der Zeichnung Brokers und in der Anbahnung des Konfliktes tatsächlich Stallones Handschrift wieder – der Loner mit dem guten Herzen und der gewalttätigen Vergangenheit, der in der Emigration auf dem Land einfach nur in Ruhe gelassen werden will, aber immer wieder Ärger bekommt, ist ja eine Persona, die Stallone in seiner langen Karriere immer wieder verkörperte – und kann HOMEFRONT zudem deutlich als Vorstufe des aktuellen RAMBO: LAST BLOOD betrachten, in dem der Elitesoldat ja auch sein Heim vor anrückenden Drogengangstern verteidigen muss.

Das berühmte Tüpfelchen auf dem i ist die Besetzung des Films: Statham ist kein Stallone und hat das Manko, dass er nicht genug Pizazz mitbringt, um die sagen wir mal „durchschnittlichen“ Filme, in denen er meist mitspielt, aufzuwerten, aber als Papa, der keinen Ärger will, aber ihn magisch anzuziehen scheint, ist er super. Als Schurke gibt James Franco eine überzeugende Darbietung, auch wenn er leider keinen großen Schlussfight bekommt und eher durch feige Gemeinheiten und miese Pläne auffällt. Aber er trägt seinen Teil dazu bei, dass ich bei der Sichtung regelmäßig die Faust in der Tasche ballen musste. Winona Ryder, einst Schwarm und Muse der Generation X, bevor ein Ladendiebstahl-Skandal die Karriere versaute, spielt die von Gator manipulierte Biker-Braut und wertet eine Rolle auf, die sonst eher zum Wegwerfen-Part hätte geraten können. Das gleiche gilt für Clancy Brown, der den besorgten Sheriff spielt. Der eigentliche Hingucker ist aber Kate Bosworth als drogenabhängige Redneck-Mama, einen Part, in den sie sich offensichtlich mit methodacterischer Verve stürzte, und in dem sie – abgemagert, verhärmt, biestig – kaum wiederzukennen ist. Die Darstellerin sollte eigentlich mit ihrem Part als Lois Lane in Singers missratenem SUPERMAN RETURNS zur attraktiven Leading Lady aufsteigen, aber ihre Leistung kam leider nicht gut an und sie „verschwand“ in der Folge in kleineren, weniger populären Filmen. Hier jedenfalls holt sie das Optimum aus ihrer Nebenrolle heraus, der Stallones Drehbuch einen schönen Arc verlieh. Ihr merkt schon: Mir hat HOMEFRONT besser gefallen, als ich es verargumentieren kann. In Stathams durchwachsener Filmografie definitiv ein Gewinner.

 

 

the purge (james demonaco, usa 2013)

Veröffentlicht: Oktober 27, 2019 in Film
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THE PURGE, der es mittlerweile auf drei Fortsetzungen sowie eine TV-Serie brachte (ein weiteres Sequel ist in Planung), verschwendet eine potenziell nicht uninteressante dystopische Idee für einen müden Home-Invason-Thriller, der zugunsten von abgedroschenen Klischees davor zurückscheut, die wirklich schmerzhaften Fragen zu stellen.

Einmal im Jahr wird in den USA die große „Säuberung“ ausgerufen. Eine Nacht lang wird das Gesetz aufgehoben und Menschen können ungestraft ihren niedersten Instinkten nachgeben, sprich morden, rauben, vergewaltigen, plündern, zerstören und brandschatzen. Die Säuberung wurde eingeführt, um explodierenden Verbrechenszahlen Einhalt zu gebieten und eine Ordnung dadurch wiederherzustellen, dass Menschen ihre Aggressionen nicht länger unter Verschluss halten müssen, sondern Gelegenheit bekommen, sie auszuleben. Die Familie Sandin um Vater James (Ethan Hawke) und Mutter Mary (Lena Headey) gehört zu den Nutznießern der Säuberung, denn James ist mit dem Verkauf von Haus-Sicherheitssystemen, die infolgedessen reißenden Absatz fanden, reich geworden. Wie jedes Jahr verbarrikadieren sich die Sandins in ihrem palastartigen Haus wie in einem Fort, als das Signal ertönt, das den kollektiven Amoklauf einleitet, und warten darauf, dass der Sturm vorüberzieht. Doch dann lässt Sohnemann Charlie (Max Burkholder) einen hilfesuchenden Obdachlosen (Edwin Hodge) ein.

Wie sich die Story infolgedessen entfaltet, erinnert an die Home-Invasion-Dutzendware, die zu Beginn der Neunzigerjahre die Furcht des Mittelstands, man könne ihm etwas wegnehmen, in Bilder übertrug. Verquickt wird dies mit Elementen des auf ein familienfreundliches Maß gedrosselten „Terror-Films“, der sich nur noch dunkel seiner peinvollen Tradition – etwa Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT – erinnert. Zwar spielt der Film mit der Andeutung, dass sich auch hinter der Fassade der braven amerikanischen Familie Sandin mörderische Abgründe verbergen könnten, aber letztlich schützt er sie vor dem totalen Absturz (und den Zuschauer vor dem Blick in den Zerrspiegel), denn zum Glück kommen schnell ein paar echte Psychopathen vorbei, die Notwehr erforderlich machen – und Papa verwirft sogar seinen ursprünglichen Plan, den Obdachlosen einfach in den Tod zu schicken, weil er sich seiner guten Kinderstube erinnert, Gott sei Dank. So sehr Writer-Director DeMonaco mit THE PURGE auch eine schonungslose Gesellschaftskritik formulieren will, so sehr bleibt er bei vagen Allgemeinplätzen stehen und schont seine Betrachter, indem er ihnen immer jemanden anbietet, auf den sie mit dem Finger zeigen können, anstatt sich selbst zu hinterfragen. Das beginnt schon bei der Prämisse: Die Strategie, die Verbrechensrate zu senken, indem man Verbrechen für eine Nacht legalisiert, erinnert etwas an die statistischen Winkelzüge, mit denen Politiker durch Neudefinition von „Arbeit“ die Arbeitslosenquote schönfärben. Es ist schlicht Blödsinn. Einmal wird in einem TV-Bericht kurz angedeutet, dass sich hinter der Säuberung ausschließlich wirtschaftliche Interessen verbergen, aber auch das wird nicht weiterverfolgt, es bleibt lediglich eine Nebelkerze, die Tiefe suggerieren und an echte gesellschaftspolitische Debatten erinnern soll. Das eigentliche Grauen, das ja darin besteht, dass ganz normale Leute zu Mördern werden, weil sie dazu legitimiert werden, umgeht das Drehbuch, und bietet stattdessen wieder wahnsinnige Butzemänner auf, die große Reden schwingen, gemein grinsen und sich dann auch noch maskieren, obwohl es dazu ja gar keinen Anlass mehr gibt. Dabei kann man sich angesichts der sich heute zeigenden Zustände, nicht nur in den USA, sondern in aller Welt, durchaus gut vorstellen, dass Menschen die Idee einer „Säuberung“ gar nicht so schlecht fänden: Nur sähe das Resultat vermutlich ganz anders aus als in diesem Film, der nur wieder die altbekannten Buhmänner aus dem Hut zieht und das Ideal der amerikanischen Familie unangetastet lässt.

Dass THE PURGE auch als reiner Schocker nicht zu gebrauchen ist, kommt dann noch erschwerend hinzu. Die zwei Inszenierungskniffe, die DeMonaco kennt, um Spannung zu erzeugen oder zu schocken, wendet er so oft an, sodass man irgendwann nur noch sehnsüchtig auf den branchenüblichen Twist am Ende wartet, der dann allerdings genauso vorhersehbar ist wie der Rest des Films. Letztlich ist THE PURGE nur zu einer Sache gut: Er gibt Leuten, die einen echten Horrorfilm nie verkraften würden, das Gefühl, was richtig Fieses gesehen zu haben. Dass das offensichtlich funktioniert, unterwandert die Prämisse, auf der der Film aufbaut, noch zusätzlich.

WHO KILLED CAPTAIN ALEX? ist kein normaler Film. Es handelt sich um den (angeblich) ersten Actionfilm aus Uganda. Sein Budget betrug 200 Dollar, gedreht wurde er in Wakaliga, einem Slum in der ugandischen Hauptstadt Kampala, von und mit Bewohnern und ihren mitgebrachten Kostümen sowie mit aus Einzelteilen zusammengebasteltem Equipment. Schnitt und Effekte übernahm der Regisseur an seinem Computer Marke Eigenbau und lud sowohl Trailer als auch Film anschließend bei YouTube hoch, wo sich WHO KILLED CAPTAIN ALEX? zu einem viralen Phänomen entwickelte. Weil sein Computer nur beschränkten Platz bot, musste er das „Master“ danach wieder löschen, um Platz für den nächsten Film aus „Wakaliwood“ zu machen, wie sich das Studio in einer Mischung aus Selbstironie und Stolz nennt (auch Musik kommt aus Wakaliwood und einige der dort produzierten Songs hört man auch in WHO KILLED CAPTAIN ALEX?). Die Version, die bis zur VÖ einer Blu-ray im Netz kursierte, war mit einem „Video Joker“ versehen, einem Voice-over in Kirmesmanier, der den Film witzig kommentierte oder auch nur als zusätzlicher Anheizer fungierte, indem er Sachen wie „Best Action-packed movie ever!“ oder „UGANDA!“ über die absurden Geschehnisse brüllte. WHO KILLED CAPTAIN ALEX? ist, legt man objektive Kriterien an, ein grotesk schlechter Film, aber er fungiert auch als Beleg dafür, warum solche Kriterien oft gar keinen Sinn ergeben: Was für WHO KILLED CAPTAIN ALEX? uneingeschränkt einnimmt, ist der Enthusiasmus aller Beteiligten, die Freude daran, etwas im Kollektiv zu erschaffen, ihre Begeisterung für Film und das Geschichtenerzählen. Und dann stellt der Film natürlich ein schieres Wunder dar: Mit buchstäblich Nichts außer dieser Freude ist da inmitten der größten Armut ein Film entstanden, den mittlerweile Millionen von Menschen auf der ganzen Welt gesehen haben. Wenn Regisseur Nabwana am Ende in seinem Dörfchen aus baufälligen Hütten steht und strahlend verkündet, dass er seinen Film „für alle“ gemacht habe, ist das einfach wahnsinnig ergreifend. Es stellt sich dann die Frage, ob wir die sogenannte Dritte Welt und das, was sie uns zu geben hat, nicht noch dringender braucht als sie uns.

Über den Inhalt des Films zu sprechen, führt indes zu nichts. Es gibt einen rudimentär entwickelten Plot – es geht um den Kampf des Militärs gegen eine Verbrecherorganisation namens Tiger Mafia, die zu Beginn den titelgebenden Captain Alex (Kakule William), den „besten Soldaten Ugandas“ ermordet -, aber spannend im herkömmlichen Sinne des Wortes ist WHO KILLED CAPTAIN ALEX? natürlich nicht. Man staunt und lacht über die kargen Mittel und die Chuzpe, mit der da den großen Vorbildern nachgeeifert wurde, obwohl nicht einmal ein Bruchteil der finanziellen Möglichkeiten zur Verfügung stand: Waffen sind aus schwarz angemalten Rohren zusammengebaut. Mündungsfeuer und Blutspritzer kommen aus dem Rechner. Wenn geballert wird, wackeln die Darsteller wie wild mit ihren Spielzeuggewehren herum, den Rest besorgt der ohrenbetäubende Soundtrack (der wesentlich dazu beiträgt, dass die Illusion tatsächlich irgendwie gelingt). Ein Patronengurt ist aus Holz geschnitzt, der „Logowürfel“ an den Mikrofonen der Fernsehjournalisten aus Papier gefaltet. Die Getränke in einer Kneipenszene bestehen aus verdünnter Farbe, die gerade zur Hand war, weil die Wände des Drehorts kurz zuvor einen neuen Anstrich erhalten hatten. Es sterben immer wieder dieselben 20 Darsteller. Die beiden Hubschrauber, mit denen ein Teil des unfassbaren Finales bestritten wird, sind wenig überzeugende Computergrafiken, in die man dann die Darsteller reinmontiert hat. Explosionen und einstürzende Gebäude wurden mit Computerfeffekten realisiert, die selbst die Pixelmonstrositäten von Asylum noch oscarverdächtig erscheinen lassen. Und über diesen schieren Wahnsinn brüllt der Video-Joker mit afrikanischem Akzent, offensichtlich selbst völlig mitgerissen vom Geschehen, abstrusen Quatsch wie „Movie, movie, movie, movie!“ Man muss das einfach gesehen haben. Film wird hier tatsächlich zur Performance-Kunst, zum kollektiven Ritual. Es ist wunderschön.

Wenn man einigermaßen offen an WHO KILLED CAPTAIN ALEX? herantritt, wird man aber auch erstaunt bemerken, wie vertraut uns dieser Film von einem völlig unbekannten Fleck der Erde erscheint: Seine Urheber kennen offensichtlich dieselben Filme wie wir, ein melancholisches Instrumentalstück auf dem Soundtrack entpuppt sich als Seals „Kiss from a Rose“, der Humor des VJ ist dem unseren sehr ähnlich. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich die Dorfgemeinde in Wakaliga abends um einen Röhrenfernseher versammelt, irgendjemand die DVD-R von WHO KILLED CAPTAIN ALEX? einwirft und die Stimmung daraufhin förmlich überkocht, jeder sich noch einmal an seinen Part erinnert, freudig jauchzt, wenn er seinen großen Auftritt hat. In ihren Herzen steht CAPTAIN ALEX direkt neben RAMBO: FIRST BLOOD PART II und THE TERMINATOR und, fuck, ich finde, da gehört er auch hin.

Man kann sich be Amazon die Blu-ray von WHO KILLED CAPTAIN ALEX kaufen, auf der er auch ohne den VJ enthalten ist sowie ein weiteres Wunderwerk aus Wakaliwood – oder man kann sich das Ganze auf YouTube anschauen. Von da stößt man dann in ein tiefes Wurmloch vor, das einen in die Welt von Wakaliwood führt: Hier gibt es etwa den Audiokommentar des Regisseurs zum Film und hier ist der offizielle Kanal des Studios, auf dem man zahlreiche weitere Trailer und Videos bestaunen kann.

 

 

 

Für mich ist De Palma einer der All-Time-Greats und meiner Meinung nach hat der mittlerweile 79-Jährige noch keinen wirklich schlechten Film gemacht (WISEGUYS ist wahrscheinlich sein objektiv schwächster, REDACTED hat mich damals auch eher enttäuscht). Auch sein Spätwerk ist mit Filmen wie SNAKE EYES, FEMME FATALE, BLACK DAHLIA, mit Abstrichen auch PASSION oder jetzt eben DOMINO über jeden Zweifel erhaben, auch wenn diese Ansicht wahrscheinlich nicht allzu viele mit mir teilen. I’ll take De Palma over Scorsese, Scott or Polanski any day. (Nachdem ich vor über zehn Jahren mal eine umfassende Werkschau in meinem damaligen Filmforen-Tagebuch gemacht habe, werde ich mir ein paar seine Filme demnächst mal wieder zu Gemüte führen.)

Mit DOMINO, da müssen wir uns nichts vormachen, erfindet sich der Altmeister gewiss nicht neu, aber wenn er sich selbst kopiert, klaut er immerhin bei einem der besten. Einige seiner bewährten Tricks wirken hier, in einem Film, der mit einem geradezu lächerlichen Budget von knapp 8 Millionen Dollar ausgestattet ist, etwas weniger geschliffen und glamourös, als man es aus seinen besten Werken gewohnt ist, aber andere Filmemacher wüssten wahrscheinlich gar nicht, was sie mit einem solchen Betrag überhaupt anfangen sollten. DOMINO sieht ein bisschen wie ein TV-Film aus (allerdings ein schöner), wirkt manchmal eher zweckdienlich als elegant, was ihm dann auch einige Kritik eingebracht hat, aber mir ist ein solcher gut konstruierter, mit 85 Minuten wunderbar griffiger, angenehm altmodischer Reißer am Ende lieber als irgendwelcher High-Concept-Schmonzes, bei dem ich weiß, dass ein Drittel des Materials aus dem Rechner kommt.

Der dänische Cop Lars (Søren Malling) wird bei einem Einsatz von einem Afrikaner namens Ezra (Eriq Ebouaney) ermordet. der zuvor offenbar einen nordafrikanischen Waffenschmuggler gefoltert und hingerichtet hatte. Beim Versuch, ihn festzuhalten, verliert Lars‘ Partner und bester Freund Christian (Nikolaj Coster-Waldau) das Bewusstsein, sieht aber noch, wie Ezra von drei Männern entführt wird. Es stellt sich heraus, dass der CIA-Mann Joe Martin (Guy Pearce) einen ISIS-Anführer stellen möchte; und auf jenen Mann hat es eben auch Ezra abgesehen, weil der Terrorist seinen Vater umgebracht und seine Kinder verschleppt hatte. Christians und Joes Pläne kollidieren, denn während ersterer Ezra für den Mord an seinem Freund verhaften will, möchte Joe weitere Informationen. Aber noch eine vierte Person ist involviert: die Polizistin Alex (Carice van Houten), die eine Affäre mit dem verheirateten Lars hatte und ein Kind von ihm erwartet. Der Weg führt nach Almeria, wo der ISIS einen Terroranschlag plant.

DOMINO erinnert uns daran, dass der „War on Terror“ keine klinisch-saubere Mission auf der Ebene der Hochpolitik ist, sondern dass ganz normale Menschen in diese Schlacht involviert sind: Ezra nimmt keine Rücksicht, weil das Leben seiner Familie davon abhängt, dass er den Terroristenführer stellt. Christian kann wiederum weder Rücksicht auf diese noch auf Joes Motive nehmen, weil es für ihn darum geht, ein Verbrechen aufzuklären. Und Alex, die keiner auf der Rechnung hat, treibt noch etwas ganz anderes an. Der Terror spielt sich ebenso wenig wie der Kampf gegen ihn auf einer dem Alltag enthobenen Ebene ab: Er betrifft Menschen, die wiederum ihren eigenen emotionalen Ballast mit sich herumschleppen. Das Leben ist bei De Palma ja immer eine ziemlich unordentliche Angelegenheit, das zeigt sich auch hier. Lars‘ mürrische Art und das ständig verdreckte Innere seines Wagens sind Zeichen einer persönlichen Krise, von der weder seine Ehefrau noch sein bester Freund und Partner etwas wissen. Der Titel des Films bezieht sich natürlich auf die weitreichenden Folgen und die unvorhersehbare Kettenreaktion, die ein Verbrechen hier nach sich zieht.

Sehr wichtig und De-Palma-typisch ist auch seine Thematisierung der Medien, die der ISIS ganz gezielt nutzt. Die obligatorische Splitscreen-Sequenz ist hier der mit zwei GoPros gefilmte Anschlag einer Terroristin während eines Filmfestivals: eine Kamera zeigt sie selbst und ihren gar nicht so triumphalen Gesichtsausdruck, die andere nimmt den Blick eines First-Person-Shooters ein und zeigt den Lauf ihres Maschinengewehrs, den sie auf verschiedene unschuldige richtet, bevor sie sich selbst in die Luft sprengt. Auch Handykameras und Drohnen kommen mehrfach zum Einsatz – letztere fungiert im doppelten Showdown unabsichtlich als tödliche Waffe – und in einer perfiden Verhörsequenz spielt De Palma geschickt mit verschiedenen Perspektiven. Auch wenn diese Stilmittel heute eher an Trademarks erinnern, die der Regisseur um ihrer selbst willen einsetzt, weil sie ihm vor rund 50 Jahren zu Weltruhm verhalfen, so macht ihre Anwendung im Rahmen des Films doch Sinn: Die mediale Inszenierung, die Macht über die eigene Darstellung durch das Filmbild sind integraler Bestandteil des Terrors als Organisation wie auch seiner Wirkung. Der „War on Terror“ ist ein Krieg der nicht zuletzt mit Bildern und um sie geführt wird.

 

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Paul Thomas Anderson für mich ein rotes Tuch. MAGNOLIA fand ich damals absolut furchtbar, auch mit dem hoch gelobten THERE WILL BE BLOOD konnte ich gar nichts anfangen, mehr noch, der Film hat mich damals tierisch geärgert (den verlinkten Text von damals möchte ich lieber gar nicht mehr lesen, mir sind meine Verrisse rückblickend meist peinlich). INHERENT VICE versöhnte mich dann aber wieder mit dem Filmemacher und zu PHANTOM THREAD kann ich nichts anderes sagen, als dass der Film ein totales Meisterwerk ist, einer der schönsten Filme, die ich überhaupt kenne, ein Werk in das ich mich am liebsten einhüllen würde wie die feinen Gesellschaftsdamen Damen in die edlen Kleider des Protagonisten Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis). Er hat mich so fasziniert, dass ich ihn innerhalb weniger Tage zweimal geschaut habe und er gefiel mir bei der zweiten Sichtung sogar noch besser, weil er noch weitere Facetten und Details offenbarte, die mir bei der ersten Sichtung nicht aufgefallen waren. PHANTOM THREAD ist zum einen mal ein sinnlich-ästhetischer Hochgenuss, geadelt mit einem phänomenalen Score von Jonny Greenwood, reich an starken Bildern, unfassbar gut beobachtet, spannend und bisweilen abgründig und schockierend, aber er ist auch ungemein warmherzig und, ja, auch witzig. Es ist ein Liebesfilm oder eher ein Beziehungsfilm: Er handelt gleichermaßen vom Zauber überwältigender Emotionen, aber auch von den Herausforderungen, die das Miteinander zweier ganz unterschiedlicher Partner täglich aufwirft, und die bisweilen kuriosen Kompromisse, die Liebende dann finden oder miteinander aushandeln und die für Außenstehende unverständlich oder sogar erschreckend sein können. Und dann ist PHANTOM THREAD natürlich auch noch ein Film, in dem gleich drei Darsteller Leistungen für die Geschichtsbücher erbringen.

London in den 1950ern: Reynolds Woodcocks maßgeschneiderte Kleider werden von der High Society Europas getragen, von Prinzessinnen, Adelsdamen und reichen Unternehmer- oder Politikergattinnen. Mit Akribie und Geschick versieht er seine Arbeit, wacht als schweigsamer Patriarch über die Arbeit seiner fleißigen Näherinnen, brütet über seinen Zeichnungen, während seine strenge, wortkarge Schwester Cyril (Leslie Manville) ihm den Rücken freihält. Geliebte kommen und gehen, weil keine von ihnen in der Lage ist, den hohen Ansprüchen des sensiblen, aber auch unberechenbaren Genies auf Dauer gerecht zu werden, sein Interesse langfristig  wachzuhalten. Bis er Alma (Vicky Krieps) trifft, eine einfache Bedienung in einem Hotel, in die er sich sofort verguckt und dann zu seiner Muse kürt: Die zerbrechlich und weich erscheinende, zudem deutlich jüngere Frau beweist dann aber, dass sie dem exzentrisch-unbeherrschten Künstler in Sachen Standfestigkeit absolut ebenbürtig ist. Sie findet einen Weg, ihn auf den Boden der Tatsachen und in ihre fürsorglich-liebenden Arme zurückzuholen, wenn er wieder einmal abzuheben droht.

„No one can stand as long as I can“, sagt Alma zu Beginn des Films. Sie bezieht sich damit auf die Ausdauer, die sie als Modell für Reynolds an den Tag legt, und der Zuschauer hat noch keinen Grund, ihre Worte anders zu deuten, auch wenn das selbstbewusste Glitzern in ihren Augen schon klar macht, dass sie diese Qualität nicht nur wortwörtlich meint. Zunächst jedoch sieht es so aus, als ginge sie denselben Weg wie ihre Vorgängerinnen – auch Cyril betrachtet sie nur mit der pflichtschuldigen Höflichkeit und strapazierten Geduld der Schwester, die aus der Erfahrung weiß, dass sie die alleinige Konstante im Leben des Bruders ist. Almas Ende scheint besiegelt, als sie ihr Frühstück für sein Empfinden allzu geräuschvoll gestaltet und damit seine Konzentration stört. Es ist der Anfang einer Entfremdung, die dann bei einem Abendessen, das sie als Überraschung für ihn zubereitet hat, ihren Höhepunkt findet. Nicht nur, dass er Überraschungen hasst, wie seine Schwester Alma schon warnte, sie begeht dann auch noch den unverzeihlichen Fehler, den Spargel mit Butter statt mit Öl zuzubereiten. Aber die barsch und unnachgiebig abgestrafte, gedemütigte Frau denkt nicht daran, klein beizugeben. In aller Heimlichkeit verabreicht sie ihrem Geliebten einen mit einem giftigen Pilz versetzten Tee, der ihn für Tage außer Gefecht setzt. Wie sie weiß, bedarf es solcher gesundheitlichen Rückschläge, um ihn zum schütz- und liebesbedürftigen Lämmchen werden zu lassen. Überraschenderweise bleibt die Katastrophe, die man angesichts solch fragwürdiger Methoden erwartet, aus: Die Pilzvergiftung wird vielmehr zum beziehungserhaltenden Ritual, in dem Reynolds bereitwillig die Rolle des Opfers einnimmt, das sich auf Lebensgröße stutzen lässt. Es ist ein Spiel, das sie beide brauchen.

PHANTOM THREAD spiegelt zunächst einmal die Meisterschaft Andersons und seines Hauptdarstellers (dessen letzter Film dies nach eigenen Angaben sein soll) in der Erschaffung von Welten und Charakteren wider: Das Wohn- und Geschäftshaus Woodcock erwacht vor dem Auge des Zuschauers zu eigenem Leben, ebenso wie das Genie Reynolds, der zunächst dem Klischeebild des feinsinnigen, überspannten Künstlers sowie des streng und im vollen Bewusstsein gesellschaftlicher Etikette erzogenen Briten entspricht, nur um dann immer wieder überraschende Seiten seiner Persönlichkeit zu offenbaren. Day-Lewis, der den Protagonisten in THERE WILL BE BLOOD noch mit ausschweifender Geste und kraftvoller Stimme zum brutalen, skrupellosen Popanz stilisierte, verleiht Reynolds eine wohlartikulierte, aber auch zitternde Stimme, ein variantenreiches Minenspiel, das auf die kleinsten Signale reagiert, und schlicht perfekt sitzende Bewegungsabläufe (man achte auf das Scharren seiner Schuhe, wenn er bei Alma Maß nimmt). Sein Blick entbirgt einen Mann, dessen Hirn niemals still steht – außer vielleicht, wenn er am Steuer seines Sportwagens über die Landstraßen braust -, der immer auf der Suche nach Inspiration und Perfektion ist. Reynolds ist ein Mann, der keine Kompromisse macht, der genau weiß, was er will, der sicherstellt, dass er es bekommt, und der sofort die Konsequenzen zieht, wenn er enttäuscht wird. Marotten und Sentimentalitäten – die rosafarbenen Strümpfe, die er zu tragen pflegt, seine Frühstücksbesessenheit (PHANTOM THREAD ist ein ganz famoser Frühstücksfilm), die Erinnerungen an seine Mama, nicht zu viel Butter! – bestimmen ihn ganz wesentlich und er reagiert mitunter wie ein Kind, wenn sie gestört werden. Mit Verachtung blickt er auf die Hefeteilchen, die ihm eine Geliebte zu Beginn des Films anbietet: „No more stodgy things!“, doch dass es ihm dabei eher um sie als um die Teilchen ging, zeigt sich am Ende, wenn die Zuckerbomben in einer Szene wieder auf dem Tisch stehen – und von ihm sogar gegessen werden. Eine wichtig Stütze ist Cyril – von der grandiosen Leslie Manville als undurchsichtiger Vollstrecker an seiner Seite interpretiert -, deren Blick stets Verachtung und zurückgehaltene Beledigungen suggeriert, die sich aber niemals eine Blöße gibt und ihren Bruder knallhart, aber mit aufreizender Ruhe und Selbstsicherheit in seine Schranken verweist. „Don’t pick a fight with me, you certainly won’t come out alive. I’ll go right through you and it’ll be you who ends up on the floor. Understood?“, warnt sie ihn einmal sehr nachdrücklich, aber ohne die Stimme zu erheben oder ihn auch  nur anzusehen, und dem Ausbleiben seiner Antwort entnimmt man, dass er sehr genau weiß, dass sie Recht hat. Lange scheint es so, als hasse sie auch Alma, als betrachtete sie sie als Eindringling, aber dann offenbart sie sich als deren Verbündete – und zwar auf eine Art und Weise, die man nie hätte kommen sehen. Auch Manvilles Spiel ist voller brillant beobachteter Details: Zur Pflege ihres kranken Geliebten schlüpft Alma an dessen Zimmertür aus ihren Schuhen und läuft dann in Strümpfen herum. Cyril würdigt die auf dem Boden herumstehenden Schuhe Almas nicht eines Blickes – aber sie muss sie gesehen haben, um nicht über sie zu stolpern.

Die Luxemburgerin Vicky Krieps akzentuiert zunächst die Weichheit und Unschuld von Alma, die den eloquenten, empfindsamen und genialen Gentleman förmlich anhimmelt und sich von dessen Interesse sichtlich geschmeichelt fühlt. Sie scheint ihm nicht gewachsen, man sieht schon voraus, wie sie von ihm gnadenlos abserviert wird, als einfaches Mädchen in der High Society unter die Räder kommt, doch dann überrascht sie den Zuschauer, indem sie den Kampf aufnimmt und eine Entschlossenheit an den Tag legt, die der von Reynolds in nichts nachsteht. Eine berechnende, sadistische Rachelust glimmt plötzlich in ihr auf und man weiß, dass man diese Frau nicht zum Feind haben möchte: „I want you flat on your back. Helpless, tender, open with only me to help. And then I want you strong again. You’re not going to die. You might wish you’re going to die, but you’re not going to. You need to settle down a little“, flüstert sie ihm zu, als sie ihm ein Pilzomelett kredenzt, das er im vollen Wissen um seine Wirkung zu sich nimmt, fast schon erregt von der Aussicht, für einige Tage voll und ganz in ihrer Hand zu sein. PHANTOM THREAD handelt mehr als nur unterschwellig vom männlichen Mutterkomplex, davon, dass sich viele Männer insgeheim eine Mama als Geliebte wünschen, die sie in ihre Schranken verweist, und natürlich spielt Reynolds‘ verstorbene Mutter eine wichtige Rolle im Film, sie ist allgegenwärtig, selbst wenn sie nicht persönlich auftaucht (man sieht sie einmal als fiebrige Vision): So wie er sie als Haarlocke eingenäht in der Brust seines Anzugs immer bei sich trägt. Auch die bis dahin völlig unbekannte Krieps spielt eine Mutterfigur und sie ist großartig, weniger elaboriert und detailversessen als Day-Lewis zwar, aber das liegt in der Natur der Sache, weil ihr Charakter weniger detailversessen, elaboriert und raumgreifend ist. Es ist auch ihr Verdienst, dass diese seltsame Beziehung nicht nur glaubwürdig, sondern sogar ungemein rührend ist und PHANTOM THREAD diesen immensen Grad an Wahrheit und Weisheit gewinnt. Es gibt kein Patentrezept für die Liebe und für erfolgreiche Beziehungen. Jedes Paar muss seinen eigenen Weg finden. Und wenn es ihn gefunden hat, spielt es keine Rolle, ob er allgemeinen Moralvorstellungen entspricht. Eine Beziehung und die Bräuche, die sie am Leben halten können von außen verdammt unheimlich sein, aber dann ist Liebe ja generell eine ziemlich unheimliche Sache, wenn man darüber nachdenkt, alles vereinnahmend, rücksichtslos und bisweilen zerstörerisch.

 

 

fulci: filme aus fleisch und blut

Veröffentlicht: Oktober 24, 2019 in Zum Lesen
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Heute habe ich mein Belegexemplar des von Marcus Stiglegger und meinem lieben Freund Pelle Felsch herausgegebenen Buches „Fulci: Filme aus Fleisch und Blut“ erhalten, das dieser Tage im Deadline Verlag erschienen ist und das man hier bestellen kann. Ich selbst habe – in fruchtbarer Kollaboration mit dem wunderbaren Sven Safarow – einen Essay zum missachteten Spätwerk Fulcis verfasst, der sich in prominenter wie passender Position ganz am Ende des Schmökers findet. Der Text hat, wie das Buch, eine ziemlich lange, bewegte Geschichte hinter sich, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte, nur so viel: Es fühlt sich sehr gut an, das Buch und diesen Text jetzt in gedruckter Form vor mir zu haben.

Aber das muss euch nicht unbedingt interessieren. Was viel wichtiger ist, ist dass das Buch die erste ernstzunehmende deutsche Publikation zu diesem zu Unrecht auf eine im Vergleich zum Gesamtwerk kurze Schaffensphase reduzierten und von der „seriösen“ Filmkritik sowieso schmählich vernachlässigten  Regisseur ist, gefüllt mit spannenden Aufsätzen zu verschiedenen Aspekten seines Werks (wobei der Fokus, das muss man gerechterweise sagen, auf seinen ab den späten Sechzigerjahren entstandenen Genrefilmen liegt). Vertreten sind neben den Herausgebern unter anderem Christian Kessler, Michele de Angelis, Andreas Marschall, Patricia MacCormack, Jörg von Brincken, Sabrina Mikolajewski, Leonard Elias Lemke und Stefan Jung nebst unzähligen raren Posterwartworks, Film Stills und Aushangfotos. Der Erstauflage liegt außerdem eine DVD bei, auf der zahlreiche Weggefährten des 1996 verstorbenen Filmemachers zu Wort kommen.

Ich danke Marcus und Pelle, dass ich dabei sein durfte, dem Deadline Verlag, dass er das Buch auf die Welt brachte, meinem jungen wilden Co-Autoren Sven für viele gute Ideen und die unkomplizierte Zusammenarbeit und euch dafür, dass ihr das Werk jetzt umgehend kaufen werdet.