Überraschungen, die das Leben versüßen: ACTS OF VENGEANCE war auf meiner Amazon-Prime-Watchlist gelandet, weil er nach exakt jener Art actionlastigem, griffigem Timewaster aussah, die ich mir zwischendurch gern verabreiche – und entpuppte sich dann zu meiner überaus großen Freude als relativ aktueller Film des DTV-Action-Papstes Isaac Florentine. Zwar sollte man nicht mit der Hoffnung auf eine mit UNDISPUTED II, UNDISPUTED III oder NINJA vergleichbare Glanzleistung des Regisseurs an ACTS OF VENGEANCE herantreten, aber als angenehm grimmiges Alterswerk des doch ziemlich in Vergessenheit geratenen Antonio Banderas mit Regisseursbonus obendrauf ist das Teil eine durchaus würdige Eröffnung für den stimmungsvollen Herrenabend.
Wie der Titel erkennen lässt, haben wir es hier mit einem Rachefilm zu tun, der sich weitestgehend auf bewährte (zugegebenermaßen etwas müde) Klischees und Mechanismen verlässt, um seine Geschichte in Gang zu bringen, aber auch mit einigen eigenen Ideen und kleinen Schlenkern und Verzierungen aufwartet, um die Sache auch für Leute interessant zu halten, die bereits sämtliche Variationen dieses Stoffes gesehen haben. ACTS OF VENGEANCE ist natürlich kein bahnbrechender Martial-Arts-Reißer und auch kein Stunt-Spektakel, sondern eher ein düsterer Thriller, aber wenn es ans Eingemachte geht, sieht man die versierte Handschrift des Urhebers. Banderas, dessen kurze Karriere als Actionheld in Filmen wie DESPERADO, THE 13TH WARRIOR oder THE MASK OF ZORRO bereits gute 20 Jahre zurückliegt, ist vielleicht etwas zu klein und mit 59 Jahren auch nicht mehr der Jüngste, aber er kommt in seinen Fights tatsächlich ziemlich überzeugend rüber (Florentine zeigt sich in diesem Interview als nachhaltig begeistert von Banderas‘ Fähigkeiten). Ich finde es ja immer ziemlich cool, wenn einstige Hollywood-Stars im Karriereherbst in solchen kleinen, direkt für die Scheibe oder Streamingportale produzierten Ballerfilmen auftauchen und man merkt, dass das echte Menschen mit Ecken und Kanten und keine wandelnden Marketingkampagnen sind. Und andersrum profitiert ein Film wie ACTS OF VENGEANCE natürlich ungemein vom Charisma und vom Können, das jemand wie Banderas ohne Zweifel in die Waagschale zu werfen hat. Demnächst also bitte UNDISPUTED V mit Tom Cruise und Denzel Washington!
Vorerst bleiben wir aber bei ACTS OF VENGEANCE, dessen Protagonist, der windige Rechtsanwalt Frank Valera (Antonio Banderas), zu Beginn Frau und Tochter verliert. Wie das so ist, hat er eine Verabredung mit seiner Familie platzen lassen, weil er im Büro aufgehalten wurde, und dann zu Hause vergeblich auf ihre Rückkehr gewartet, denn sie wurden in einer schäbigen Gegend ermordet und dann in einen Graben geworfen. Die Polizei hat keinerlei Hinweise und stellt die Ermittlungen bald ein. Frank gibt sich selbst die Schuld am Tod seiner Liebsten, stürzt sich erst in den Suff und dann in Underground-Cage-Fights, bei denen er sich bereitwillig verdreschen lässt. Als er auf der Straße von einem Zuhälter attackiert und mit dem Messer verwundet wird, stürzt er in das Schaufenster einer Buchhandlung. Das Taschenbuch, mit dem er seine Blutung stoppt, entpuppt sich als Marc Aurels „Meditationen“, das großen Eindruck auf ihn macht und dazu bringt, ein Schweigegelübde abzulegen und seinen Körper für den Rachefeldzug gegen die Killer zu stählen. Eine Krankenschwester hilft ihm (Paz Vega) dabei, den Mörder zu finden der natürlich ein persönliches Motiv hat: Vor Jahren erlitt er dasselbe Schicksal wie Frank und musste miterleben, wie der Mörder seiner Tochter auf freien Fuß gesetzt wurde, weil Frank eine Freispruch auf Basis eines Formfehlers erwirkte.
Die Story ist wirklich nichts besonderes, es sind die kleinen Details, die den Film ausmachen: der Voice-over von Frank/Banderas zum Beispiel, der tolle Sachen sagt wie „Good things happen to you, if you just shut the fuck up for two or three minutes“. Frank gesteht gleich zu Beginn, dass er in seinem Job viel zu viel geredet habe und das meiste davon sei leider niemals wirklich wichtig gewesen, nicht annähernd so wichtig wie das „I love you“ für Ehefrau und Kind. Er wird nicht direkt als unsympathisch gezeichnet, aber er hat sich in seinem Beruf nie von der Moral leiten lassen, sondern immer nur auf den Erfolg geachtet. Sein Schwiegervater – der kürzlich verstorbene Robert Forster in einem fiesen Gastauftritt – sagt ihm auf der Beerdigung seiner Tochter und Enkelin deutlich, was er von Frank hält, und verabschiedet sich mit den Worten, er wolle nie mehr ein verdammtes Wort von Frank hören – Frank kommt diesem Befehl dann später bereitwillig nach. In der Trauer über den Tod seiner Familie merkt er nämlich. wie sinnlos das ganze Gerede war, mit dem er sein Geld verdient hat, wie leer und falsch es zum Teil war, aber vor allem, wie viel Zeit es ihm gestohlen hat, die er besser mit seiner Familie verbracht hätte. Also beschließt er zu schweigen, bis er den Mörder gestellt hat, und dieses Schweigen verändert seine ganze Wahrnehmung der Welt: Plötzlich kann er Dinge hören, die ihm vorher entgangen waren. Anstatt sich hinter Worten und Sätzen zu verschanzen, handelt er. Es wird keine große Sache aus seinem Schweigen gemacht, auch von der Krankenschwester nicht, die die Tatsache, dass er ihr nur mit Blicken, Gesten oder Kopfbewegungen antwortet, einfach akzeptiert. Es spielt auch in der Handlung keine wichtige Rolle: Der Moment, in dem er vor der Wahl steht, sein Schweigen zu brechen oder nicht, bleibt etwa aus. Es ist einfach eine schöne Idee, die Franks Wandel, aber auch seine Besessenheit widerspiegelt.
Mehr als ein typischer Selbstjustizfilm, in dem die Motive des Protagonisten ebenso hinterfragt werden wie der Sinn der Rache überhaupt, ist ACTS OF VENGEANCE ein Film über die Trauer und was sie mit dem Menschen macht. Franks Trauer richtet sich in Form von Zorn erst gegen sich selbst, dann gegen den noch unbekannten Täter (auch diese Entwicklung ist auf seine Aurel-Lektüre zurückzuführen). Sein Widersacher ist nicht etwa ein mieser Punk, sondern ein Mann, der exakt die gleiche Erfahrung machen musste wie Frank und der mit seiner Trauer im Grunde genommen sehr ähnlich umgeht, sie aber nicht gegen den Täter richtet, sondern indirekt gegen den Mann, der ihm Gerechtigkeit verwehrte, ndem er ihn dasselbe spüren lässt. Für Florentine hatte ACTS OF VENGEANCE möglicherweise kathartischen Charakter, denn er verlor seine Gattin Barbara, die vor BOYKA: UNDISPUTED IV mit Krebs diagnostiziert worden, während der Dreharbeiten zu ACTS. Eine Widmung am Ende macht deutlich, dass dieser Film, der vielleicht auf den ersten Blick wie eine kleinere Auftragsarbeit anmutet, wahrscheinlich persönlicher ist als einige seiner „großen“ Hits.