Archiv für August, 2020

Der deutsche Pauschaltourist und Spießer ist seit je her eine beliebte Zielscheibe ätzender Satire und Kabarettisten und Gerhard Polt einer derjenigen, die sich auf diesen Typus – laut, dumm, chauvinistisch, bayrisch und plump – spezialisiert hatten. Unvergessen natürlich sein Fernsehsketch um „Mai-ling“, die asiatische Katalogbraut, die stumm und devot im Kimono neben Polts bayrischem Urviech sitzt, der ihren Fleiß und ihren Gehorsam preist, als handele es sich bei ihr um ein besonders folgsames Haustier. Die dreiköpfige Löffler-Familie aus MAN SPRICHT DEUTSH – Papa Erwin (Gerhard Polt), Mama Irmgard (Gisela Schneeberger) und Sohn Heinz Rüdiger (Thomas Geier) – ist deutlich weniger hassenswert angelegt: Polt, der das Drehbuch zusammen mit Regisseur Müller schrieb, hält sich zwar nicht zurück, was das Bloßstellen deutscher Herablassung angeht, aber letzten Endes sind die Löfflers und ihre deutschen Strandnachbarn ja auch Opfer des tristen Mittelklasse-Daseins mit Bild-Zeitung, Pauschalurlaub an italienischen Albtraum-Stränden und dem Mangel an jedweder Bildung und Kultur. Ein bisschen können sie einem auch leid tun, in ihrer Borniertheit, die ihnen die höheren Weihen des Daseins gnadenlos versperrt, auch wenn sie schrecklich dumm und vulgär sind.

MAN SPRICHT DEUTSH hat keine richtige Handlung, keinen Plot nach klassischem Verständnis: Er spielt während der letzten Urlaubsstunden der Löfflers am Strand des italienischen Touri-Ortes, den sie anscheinend jedes Jahr aufs Neue beehren, und läuft in kleinen Vignetten und Gags ab. Die Familienkutsche steht vollgepackt auf dem Parkplatz und muss bewacht werden, schließlich klauen die Italiener wie die Raben. Wie praktisch, dass in Erwins Blickschneise das vollbusige Fräulein Häberle (Isa Haller) liegt. Gleich nebenan hat es sich das Ehepaar Endress (Siegfried Mahler & Elisabeth Welz) aus dem Frankenland gemütlich gemacht und sogar ein paar Flaschen kühles deutsches Pils dabei, schließlich kann man die italienische Plörre nicht trinken. Gemeinsam bestätigt man sich in seinen Vorurteilen, motzt über die Italiener, lauscht Bayern3 im Radio und ärgert sich über die anderen Urlauber, die die eigene Ruhe empfindlich stören. Ein Dr. Wilms (Michael Gahr) hängt die ganze Zeit am Münzfernsprecher des Strandkiosks und versucht verzweifelt, seine Mutter in Deutschland zu erreichen. Sohn Heinz Rüdiger schleppt ständig irgendwelchen Unrat aus dem Meer an und wird von den Eltern gemaßregelt. Zwischendurch fallen Erwin und Irmgard in kleine Tagträume, die von der Flucht aus ihrem armseligen Leben handeln. Dieter Hildebrandt feiert einen Auftritt als neureicher Immobilienhai Eigenbrodt, der Irmgard in ihrem Traum in seine vor Sicherheitsgimmicks und schrillen Alarmanlagen nur so strotzende Traumvilla entführt. Erwin geht hingegen mit der italienischen Schönheit Violetta (Pamela Prati) in ein Luxusrestaurant, wo er sich darüber beschwert, dass es keine Pizza „mit allem“ gibt, sodass er stattdessen Spaghetti Bolognese bestellt, schließlich ist man ja in Italien. In einem anderen Traum verfolgt er den kleinen Straßenjungen, der von Autodieben als Ablenkung eingesetzt wurde, und wird in den Gassen des Städtchens von aufgebrachten Einwohnenern und den Carabinieri gestellt. Als er aufwacht, händigt ihm der Junge den Autoschlüssel aus, den die Löfflers zuvor verloren hatten. Zwischendurch geht es zum Essen ins Strandlokal „Schwarzwald-Grotte“ und weil es der letzte Tag ist, gönnen die Löfflers sich die Meeresfrüchte-Platte, lässt sie aber wieder zurückgehen, weil ein Hummer dann halt doch keine Schweinshaxe ist.

Müllers Film krankt ein bisschen an seiner Episoden- und Kabaretthaftigkeit. Zur Hochform läuft er immer dann auf, wenn er seinen Karikaturen aufs Maul schaut, die ganze Bräsigkeit ihres Urlaubs abbildet und die kleinen Banalitäten so authentisch einfängt, z. B. wie der präpubertär-ungelenke Heinz Rüdiger sein Eis in den Sand fallen lässt, kaum dass er dessen Papierverpackung abgezogen hat, oder wie er mit Teerflecken an der Babyspeckplauze aus dem Wasser stapft. Unvergessen die Momentaufnahme der an der Kamera vorbeitreibenden Kackwurst oder des Klopapierfetzens, der Erwin nach seinem Tauchgang am Rücken klebt. Die Hauptdarsteller sind allesamt großartig und eigentlich wäre es vollkommen ausreichend, einfach nur 80 bis 90 Minuten lang draufzuhalten aufs biedere Deutschsein. Offensichtlich glaubte man aber nicht, dass das ein über die volle Länge tragfähiges Konzept sei, und erdachte den erzählerischen Kniff mit den Traumsequenzen. Diese bringen den Film aber nicht wirklich weiter. Die verbindende Idee hinter ihnen ist der Wunsch seiner Protagonisten, ihrem jämmerlichen Dasein zu entfliehen, doch ihre Fantasie entpuppt sich immer wieder als noch größerer Albtraum. Diese Strategie trägt sicher dazu bei, die Figuren sympathischer zu machen: Sie haben eine Ahnung davon, dass ihr eigenes Leben flach und armselig ist, sie sind noch nicht vollkommen abgestumpft, auch wenn diese Ahnung bisher noch in ihrem Unterbewusstsein schlummert. Aber erzählerisch bringen diese Episoden nichts und sie unterwandern mit ihrem grellen Witz auch den stumpfen Realismus des Films, der seine wahre Stärke ist.

 

Nach FEMALE PRISONER #701: SCORPION, FEMALE PRISONER 701: JAILHOUSE und FEMALE PRISONER #701: BEAST STABLE markiert FEMALE PRISONER #701: GRUDGE SONG den vierten und letzten Teil der von Regisseur Shunja Itô ins Leben gerufenen Original-Filmreihe. Auf dem Regiestuhl nahm diesmal jedoch nicht mehr Itô Platz, sondern Yasuharu Hasebe, der mit Star Meiko Kaji bereits mehrere Filme der Pinku-Serie NORA-NEKU ROKKU inszeniert hatte, die international unter dem Titel ALLEYCAT ROCK bzw. STRAY CAT ROCK bekannt ist. Berüchtigt ist Hasebe aber vor allem für die Pinkus, die er kurz nach seinem FEMALE PRISONER-Beitrag drehen sollte: Die Pinkus OKASU! (Englisch: RAPE!), BOKO KIRISAKU JAKKU (Englisch: ASSAULT! JACK THE RIPPER) und RAPE! 25-JI BOKAN (Englisch: RAPE! 13TH HOUR) gelten gleichermaßen als Klassiker und derbe Gipfelpunkte des japanischen Filmgenres, das Gewalt und Sex explosiv vereinte. Der Abschluss der FEMALE PRISONER-Serie ist vergleichsweise zahm und kann, wie schon Itôs Vorgänger nicht an die ersten beiden Teile anknüpfen, die sich durch ihre expressive Bildsprache auszeichneten. Wie schon BEAST STABLE ist GRUDGE SONG ein roher, schmutziger Film, der sich im Wesentlichen der Aufgabe verschrieben hat, die Geschichte der schweigsamen Rächerin, Staatsfeindin und Männermörderin Nami Matsushima zum Ende zu bringen. Das gelingt letztlich vor allem deshalb, weil er in der zweiten Hälfte in den Frauenknast zurückkehrt, den die Reihe im zweiten Teil verlassen hatte.

Nami gelingt zunächst die Flucht vor den fanatischen Polizisten, die sie einsperren und der Todesstrafe zuführen wollen, und sie findet Unterschlupf beim Sonderling Kudo (Masakazu Tamura), der in einem Sexclub arbeitet und in einem schäbigen Verschlag haust. Die beiden gehen eine dieser typischen Außenseiter-Freundschaften ein und begehen sogar einen Mord zusammen, wobei es sich eher um einen Unfall handelt. Später wird Kudo geschnappt und er verpfeift Nami, weil er ein Schwächling ist, wofür sie sich später, nachdem sie erneut aus dem Gefängnis ausgebrochen ist, an ihm rächt. Im Knast kommt es zu einer Revolte und einer nächtlichen Schlacht, die Hasebe in einer wunderschönen Studiokulisse samt gemaltem Sonnenuntergang realisiert – hier knüpft der Film dann noch einmal an den visuellen Einfallsreichtum der ersten beiden Teile an.

Insgesamt ist GRUDGE SONG wieder etwas besser als der direkte Vorgänger BEAST STABLE, und wer diesen unverwechselbaren Seventies-Grit sowie japanische Exploitation aus jener Zeit mag, wird mit diesem vierten Teil gewiss seinen Frieden machen, aber die Luft ist dennoch ein bisschen raus. Der Charakter der Nami ist zu eindimensional, um noch ein echtes Interesse hervorzurufen, ihre Entwicklung ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Filmen völlig abgeschlossen und der Film demzufolge wenig mehr als ein routiniertes going through the motions. Das könnte sicher noch deutlich langweiliger ausfallen, aber es ist dann doch ganz gut, dass nach diesem vierten Teil vorerst Schluss war.

Mit BAD BOYS II, Bays fünftem Spielfilm, kehrte er 2003 zu den Helden seines Debüts von 1995 zurück. Das, wenn man bedenkt, wie umstritten und unverwechselbar der Regisseur heute ist, doch vergleichsweise bieder daherkam. Mit BAD BOYS II war Bay hingegen längst bei seinem bis heute allerhöchstens in Nuancen verfeinerten Stil angekommen: Eigentlich hatte er ihn bereits mit dem Zweitlingswerk THE ROCK gefunden. Ob man BAD BOYS II mag oder aber fürchterlich findet, hängt demnach entscheidend davon ab, wie man Bay insgesamt gegenübersteht. Stellt sein bisweilen infantiler und konservativer Humor eine unüberwindliche Hürde dar? Ist man der Meinung, dass Over-the-Top-Gewalt nicht im Gewand munterer Familienunterhaltung präsentiert werden sollte? Findet man die Videoclip-Ästhetik und den überbordenden Materialismus – alles ist teuer, gestylt, glänzt und wird ausgestellt wie in einem Schaufenster – abstoßend? Verursacht einem die mit beachtlicher Konsequenz durchgezogene Einstellungslänge von rund drei Sekunden epileptische Anfälle? Wenn man dazu neigt, den Löwenanteil Fragen mit „Ja“ zu beantworten, dann wird man auch mit BAD BOYS II keine Freude haben.

Ideologisch ist BAD BOYS II ebenfalls nur schwer zu verteidigen: Seine beiden Helden – die Drogencops Mike (Will Smith) und Marcus (Martin Lawrence) aus Miami, sind sich sich in der aus unzähligen Buddy Movies bekannten Hassliebe verbundenen, können sich mit ihrem Bullengehalt rätselhafterweise kiloschwere Goldketten und Armbanduhren, Designer-Sonnenbrillen und -Anzüge, Traumvillen am Wasser und protzige Luxuskarossen leisten. Außerdem legen sie großen Wert darauf, bloß nicht als schwul angesehen zu werden, lösen wahre Zerstörungsorgien aus und ballern russisch-hispanische Klischeeschurken weg, deren Zeichnung mit dem Attribut „problematisch“ noch vorsichtig umschrieben ist, offenbaren sich in der Erziehung ihrer Kinder zudem als autoritäre Vollspießer und im Umgang mit Frauen als ätzende Machos. Der Film liegt diesen beiden Typen aber geradezu ehrfürchtig zu Füßen, präsentiert ihre peinlichen Marotten als herzallerliebst, ihr Verständnis von Recht und Ordnung als vorbildlich, ihre gestrigen Vorstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität als wohltuend ehrlich. Das Böse spricht in BAD BOYS II mit russischem oder spanischem Akzent, verdient Geld mit Drogen und Nutten, hat einen Mamakomplex und schmierige Haare, die Guten machen Barbecue im Garten und reden nicht über Erektionsprobleme. Wenn es auf einer Straßenkreuzung zu einer wüsten Schießerei mit Maschinenpistolen kommt, werden Passanten ausschließlich von den Schurken getroffen, bei einer haarsträubenden Verfolgungsjagd, bei der unzählige Autos explodieren oder ineinanderkrachen, gibt es anschließend angeblich keinerlei Opfer zu beklagen. Ehrlicherweise gibt es auch ein paar redneckige Ku-Klux-Klan-Nazis (der Director-Credit wird just in dem Moment eingeblendet, in dem ein Kreuz in Flammen aufgeht), aber die werden als bierbäuchige Tölpel dargestellt. Der geschmacklose Gipfel des Films ist die Verfolgung eines Leichentransports, bei der die leblosen Körper auf die Straße fallen und dann mitleidlos von den Helden überrollt werden. Bay hält immer schön drauf, ist ja auch einfach zu geil. Das alles, wie gesagt, in einer Ästhetik dargeboten, die ihren Dauerständer angesichts all der Gewalt, der gepimpten Oberflächen und der materiellen Statussymbole kaum verbergen kann. BAD BOYS II ist ein rund zweistündiger Propagandaclip für den American Dream.

Ja, und nun kommt der überraschende Plottwist: Denn ich finde diesen auf Hochglanz polierten und getunten Protzboliden, seine hedonistische Zelebrierung materialistischen Spießertums und männlichen Omnipotenzwahns, seine besinnungslose Selbstbesoffenheit und den unverkennbar kompensatorischen Charakter seiner Gewaltausbrüche auf eine perfide Art auch ziemlich geil. Die immer wieder ins Feld geführte Strategie „Hirn aus, und abfahren“ ist aber nicht der richtige Ansatz. BAD BOYS II ist nicht trotzdem geil: Seine vielfältigen Verfehlungen auszublenden, hieße auch, sich den idealen Zugang zu Film zu verbauen. Nein, BAD BOYS II ist deshalb so geil, weil er Gewaltporno, rechtskonservative Law-and-Order-Fantasien, spießigste Wertvorstellungen, Sitcom-Humor, Videoclip- und Marketing-Ästhetik so unverhohlen und schamlos zusammenbringt und dabei den Eindruck kindlicher Unschuld vermittelt.

An den Kinobesuch anno 1998 erinnere ich mich noch genau: Nicht zuletzt weil mein Freund auf dem Weg zum Kino den Seitenspiegel eines parkenden Autos abfuhr und kurz entschlossen Fahrerflucht beging, weil wir sonst den Beginn des Films verpasst hätten. Nicht nett, ziemlich rücksichtslos und asozial sogar, um genau zu sein, aber eigentlich auch der perfekte Prolog für die Sichtung von Gilliams letztem echtem Meisterwerk. (Ich glaube, gekifft haben wir vorher auch noch, aber das kann ich nicht beschwören.) An die Sichtung selbst habe ich keine expliziten Erinnerungen mehr, weiß aber noch, dass wir beide total geflasht waren. FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS war alles, was wir uns von ihm erhofft hatten (ohne viel über ihn zu wissen), er gehörte für einige Jahre zu unseren Lieblingsfilmen und kam demnach desöfteren bei marihuanageschwängerten Filmabenden zum Einsatz. Ich las später noch den Roman, wohnte einer Lesung bei, die Smudo, Martin Semmelrogge und Günter Amendt zusammen hielten, und kaufte das zugehörige Hörbuch, doch dann wurden irgendwann andere Dinge wichtiger. Dass sich mein Verhältnis zu Terry Gilliam in den vergangenen Jahren merklich abgekühlt hat (seine ärgerlichen Meinungsäußerungen könnte ich ihm noch verzeihen, aber leider sind auch seine Filme seit mindestens 15 Jahren zum Weglaufen), hat sicher auch seinen Teil dazu beigetragen, dass ich FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS wahrscheinlich seit gut 20 Jahren nicht mehr gesehen habe. Die zauberhafte Arrow-Edition, die im vergangenen Jahr erschien, war Anlass für eine erneute Sichtung, vor der ich durchaus Respekt hatte: Ich hielt es nicht für gänzlich unmöglich, dass ich den Film heute schrecklich blöd finden würde. (Nennen wir es das Oliver-Stone-Syndrom.) Aber ich kann Entwarnung geben: FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS ist erstaunlich gut gealtert und hat nichts von seiner subversiven Kraft, seinem Witz oder seinem Verstörungspotenzial verloren. Eigentlich ist er mit seiner Vision einer Welt am Abgrund heute sogar wieder ziemlich aktuell. Vielleicht sogar aktueller als damals.

Es spricht für den Film, dass die meisten US-Kritiker ihn damals verrissen: Sie warfen Gilliam vor, dass sein Film keine echte Geschichte erzähle, dass er keinen Sinn ergebe, redundant sei und jeden Spannungsbogen vermissen ließ. Wahr ist, dass die Protagonisten von FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS keine richtige Entwicklung durchmachen, wie man das von Hauptfiguren üblicherweise erwartet. Sie haben auch kein Ziel, das sie verfolgen und am Ende erreichen. Richtig ist auch, dass Gilliams Film keinen klassischen Spannungsaufbau aufweist: Er beginnt in einem Stadium des drogeninduzierten Wahnsinns, in dem andere Filme üblicherweise enden, und er kann dann nur noch graduell zusetzen. Gilliam – der auf ein Drehbuch zurückgriff, das kurz vor Drehbeginn improvisiert werden musste und im Grunde genommen eine slightly abridged version von Hunter S. Thompsons Roman ist – argumentiert nicht, so wie auch Thompson nicht argumentierte. Sein Film läuft nicht auf eine finale Message zu, die logisch aus der Geschichte folgt und die man versteht, wenn man die Reise mitgemacht hat. Er expliziert seine Message am Ende, ja, aber eigentlich ist sie in FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS zu jeder Sekunde offensichtlich. Alles, was die beiden Antihelden in den rund 110 Minuten tun, ist in jedem Augenblick schreiender, hedonistischer, fehlgeleiteter Irrsinn, panische, überstürzte Flucht vor einer hoffnungslos übersteuerten, materialistischen und verrückt gewordenen Welt und krachendes Scheitern mit Anlauf und Ansage. Jeder Augenblick des Films ist eine Kristallisation von Hunter S. Thompsons Weltsicht. Und der Exzess ist gleichermaßen Medium und Message.

Wer den Film wirklich noch nicht gesehen oder den Roman gelesen hat, dem sei gesagt, dass er im Jahr 1971 spielt und von der Reise des Journalisten Raoul Duke aka Hunter S. Thompson (Johnny Depp) und seines Drogenbuddies/Anwalts Dr. Gonzo aka Oscar Zeta Acosta (Benicio del Toro) nach Las Vegas handelt, die beide mit einem Koffer voller Drogen, dem fast forscherischen Ehrgeiz, sie alle auszuprobieren, und der Mission antreten, ein legendäres Autorennen in der Wüste zu covern. Unter dem Einfluss verschiedener Rauschmittel werden die beiden mit der artifziellen Glitzerwelt der Zockermetropole konfrontiert, einer Art hochkonzentrierter, unverschnittener, amoklaufender Version des amerikanischen Traums, und mit einer Menschheit, die sich auch im nüchternen Zustand nicht wesentlich von ihnen unterscheidet. Die beiden verwüsten diverse Hotelzimmer, scheitern mehrfach knapp daran, sich umzubringen, verstören mit ihrer Art so manchen, der ihren Weg kreuzt, verlieren ihr Gedächtnis, prellen die Zeche in diversen Etablissements und kommen am Ende zu dem Schluss, dass der Traum von der Freiheit, der im „Sommer der Liebe“ geträumt wurde, sich längst in einen nie endenden Albtraum verwandelt hat, an dem beide kräftig mitwirken.

FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS gliedert sich in kurze Episoden: die Fahrt durch das „bat country“ der Wüste Nevadas, die Ereignisse rund um das Autorennen, einen Besuch im Circus-Circus (über den Duke/Thompson sagt: „The Circus-Circus is what the whole hep world would be doing Saturday night if the Nazis had won the war. This is the sixth Reich.“), die Begegnung mit der jungen, neurotischen Malerin von Barbra-Streisand-Porträts (Christina Ricci), die Dr. Gonzo möglicherweise sexull missbraucht, und der traurigen Kellnerin eines Diners (Ellen Barkin), der Konfrontation mit einem homosexuellen Cop (Gary Busey) und der Teilnahme an einem Drogenkongress für Polizisten. Passend zum Exzess des Films, der sich sowohl auf formaler Ebene wie auch im entfesselten Spiel der beiden Hauptdarsteller spiegelt, kulminiert FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS in einer Ellipse: Nachdem Duke eine Überdosis Adrenochrom eingenommen hat, wacht er mit einem umgeschnallten Plastik-Krokodilschwanz und einem ins Gesicht getapeten Mikrofon in seiner überschwemmten Suite auf, die aussieht wie eine mit Plüsch überzogene Höllenvision Boschs, von Gonzo keine Spur. Was sich in der Zwischenzeit abgespielt hat, wird nie aufgeklärt. Es ist die Irrationalität des Ganzen, die so schockierend ist, die Vorstellung, dass man im Rausch jede Ratio und Menschlichkeit verlieren könnte. Das Einzige, was das alles noch erträglich macht, sind die grelle Überzeichnung mit der Gilliam die Ereignisse abbildet und die Comicperformance von Depp, der mit seinem souveränen detachment ein wenig an Bugs Bunny erinnert. Es ist eine Phrase, aber hier stimmt sie: Das Lachen bleibt eine mehr als einmal im Halse stecken.

 

 

Ich glaube ja, dass Filme einen finden. Damals, in den Neunzigern, war DUST DEVIL ein Titel, der mich eigentlich brennend hätte interessieren müssen, aber die Tatsache, dass er in Deutschland nur gekürzt auf Video erschienen war, schreckte mich ab. Außerdem hatte ich die Befürchtung, er sei mir zu artsyfartsy, was mich davon abhielt, mich weiter um den Film zu bemühen. Vor ein paar Jahren ersteigerte ich zwar eine ungeschnittene US-DVD, die blieb aber ebenfalls ungesehen. Erst die deutsche Bluray-Veröffentlichung des Final Cuts von Stanleys Film rückte ihn wieder in mein Gedächtnis. Und nach der um fast drei Jahrzehnte verspäteten Erstsichtung muss einräumen: DUST DEVIL ist fantastisch. Anstatt mich darüber zu grämen, nicht schon vor 28 Jahren zu dieser Erkenntnis gekommen zu sein, freue ich mich darüber, dass DUST DEVIL gestern – allein zu Hause, mit leichtem Hangover und bei tropischen Temperaturen – der nahezu perfekte Film war. Und weil ich zunächst fälschlicherweise die offizielle gekürzte deutsche Fassung in den Player geschoben habe (wir müssen hier irgendwann mal darüber reden, wie man die Auswahlmöglichkeiten in Menüs gestaltet, die nur zwei Punkte haben), habe ich ihn mir sogar zweimal angeschaut. Späte, aber große Liebe.

DUST DEVIL wird geprägt von Stanleys einzigartiger Sensibilität, seinem ernsthaften Interesse für Magie, Schamanismus, Naturphilosophie, Mystik und alte Kulturen, seiner Liebe für das expressive, von eindringlicher audiovisueller Gestaltung geprägte Genrekino der Siebzigerjahre, aber auch von der vor diesem Hintergrund erstaunlichen Fähigkeit, seine Filme erzählerisch nicht zu überfrachten. DUST DEVIL ist eigentlich ein mit dem Serienmörderfilm kurzgeschlossenes und übersinnlich gewendetes Road Movie, das sich demnach durch äußerste Geradlinigkeit und Zielstrebigkeit auszeichnet: Eine Frau (Chelsea Field) nimmt einen mysteriösen Anhalter (Robert Burke) auf und geht eine Affäre mit ihm ein, muss dann aber erkennen, dass es sich bei dem attraktiven Mann um einen Dämon handelt, der „schwache“ Menschen sucht und opfert, um die fleischliche Form verlassen und ins Schattenreich zurückkehren zu können. Dem Killer auf den Fersen ist zum einen ein schwarzer, alternder Kriminalbeamter (Zakes Mokae), der durch die Apartheid-Erfahrung sowie den Tod seines Sohnes und die anschließende Trennung von seiner Gattin hart geworden ist, sowie der gehörnte Ehemann der Protagonistin. In einer Geisterstadt in der Wüste kommt es zur finalen Konfrontation zwischen den Parteien. (Der ein oder andere fühlt sich angesichts der Inhaltsangabe vielleicht an Robert Harmons THE HITCHER erinnert, um nur einen sehr naheliegenden Vergleich zu nennen.) Und Stanley gelingt es nicht trotz, sondern gerade wegen der Einfachheit des Plots (die sich auch in den rotglühenden Bildern karger Wüsteneien widerspiegelt), DUST DEVIL zum Oszillieren zu bringen wie die Luftschichten einer Fata Morgana.

Mythen von Windgeistern, Hexerei, okkulte Opfermorde, private Beziehungskrisen und gesellschaftspolitische Ereignisse wie der institutionalisierte Rassismus, der Südafrika bis in die frühen Neunzigerjahre plagte, oder Namibias Streben nach Unabhängigkeit spielen allesamt in DUST DEVIL hinein und machen ihn zu einer unheimlich dichten, sinnlichen, ja, beinahe holistischen Erfahrung. Dazu kommen unverkennbar Einflüsse aus dem australischen Kino, dem Giallo (Argentos L’UCELLE DALLE PIUME DI CRISTALLO wird genauso explizit referenziert wie der Hammer/Shaw Bros.-Crossover THE LEGEND OF THE SEVEN GOLDEN VAMPIRES) oder auch dem Italowestern, dem modernen Serienmörderfilm oder dem Horrorfilm generell. Man weiß als Betrachter nie so genau, in welche Richtung sich der Film als nächstes bewegt, aber man vertraut sich Stanley nur zu gern an, weil es ihm immer wieder gelingt, zu überraschen. Und weil der Film einen unwiderstehlichen Sog entwickelt. Einen wichtigen Beitrag liefert gewiss auch das Setting des Films: Die Namib bietet eine eindrucksvolle Kulisse, die Akzente der südafrikanischen Nebendarsteller bringen eine eigene Melodie, an der man sich noch nicht totgehört hat – und ein unverwechselbarer Darsteller wie Zakes Mokae bekommt endlich einmal einen Part, in den er sich mit seinem markanten Kiefer verbeißen kann. DUST DEVIL ist ein rauschhafter, gelichzeitig aber auch sehr kontrollierter oder vielleicht besser: reifer Film – was durchaus erstaunlich ist, denn Stanley absolvierte ja erst zwei Jahre zuvor sein Debüt. Kontrolliert ist hier aber nicht gleichzusetzen mit „kalt“ oder „technisch“: Es bedeutet viel mehr, dass sich Stanley nie komplett in seinen Bildern verliert. Im Fokus stehen einerseits die beiden menschlichen Protagonisten andererseits die Titelfigur und ihre jeweilige Mission, die existenziell nachvollziehbar ist. Die hypnotische Stimmung, die glutstarrenden Bilder der Wüste, die Allusionen an Naturmagie, Hexerei und Schöpfungsmythen, der fantastische Score von Simon Boswell: Sie unterstreichen die Geschichte, bilden einen gleichberechtigte Facette des Ganzen, aber gewinnen nie die alleinige Kontrolle. Wie kunstvoll alles ineinandergreift zeigt sich in der gleich auf mehreren Ebenen magischen Szene in einem heruntergekommenen Drive-in-Kino mitten in der Wüste, dessen Besitzer und Vorführer Spiralen mit weißen Steinen in den roten Wüstensand legt und sich über sein Argento/Hammer-Double-Feature freut.

Nach diesem Wunderwerk war das Interesse Hollywoods nur allzu verständlich. Mein Gott, was hätte Stanleys Verfilmung von „The Island of Dr. Moreau“ für ein Meisterwerk werden können, wenn man ihm etwas mehr Vertrauen (und vielleicht einen erfahrenen Berater) an die Seite gestellt hätte. Wie die Geschichte weiterging, wissen wir ja. Ich bin froh, dass Stanley mittlerweile zurück ist, aber bedenkt man, welches Versprechen er mit DUST DEVIL einst gab, kann man den Verlauf seiner Karriere dennoch kaum anders als als „tragisch“ bezeichnen.

 

 

 

 

Die Spiele der Tomb-Raider-Reihe verkauften sich seit 1996, als der erste Teil erschien, rund 35 Millionen mal. Parallel entwickelte sich die Heldin Lara Croft, ein weiblicher Indiana Jones mit Gardemaßen, zur popkulturellen Ikone und zum Sexobjekt, dem Angelina Jolie 2001 und 2003 in zwei Verfilmungen höchst passende leibliche Konturen verlieh. Seit damals ist viel Zeit vergangen: Das Tomb-Raider-Videospiel-Franchise wurde 2013 einer Generalüberholung unterzogen. Nicht nur gab man der weiblichen Abenteurerin ein fotorealistisches Aussehen, eine neue Backstory und generell mehr Persönlichkeit, auch das Gameplay ist heute deutlich actionlastiger und weniger auf das Lösen von Puzzles und das Absolvieren von Sprung- und Kletterpassagen ausgerichtet.

Zum spielerischen Neustart gehörte auch der filmische: Roar Uthaugs TOMB RAIDER (seinen FRITT VILT habe ich damals gehasst, würde ihm aber eine neue Chance einräumen, da so viele Menschen auf ihn zu schwören scheinen) wartet mit der schönen Alicia Vikander in der Titelrolle auf, ist wie die aktuellen Spiele deutlich ruppiger als die Filme von Simon West und Jan de Bont und etabliert seine Heldin als selbstbewusst, ungehorsam, unbeugsam und leidensfähig. Letzteres macht dann auch ihren neuen Sexappeal aus: Wie dieser Hardbody da über zwei Stunden geschunden und gepeinigt wird, auf in Stürmen zerberstenden Schiffen landet, Wasserfälle hinunterstürzt, von Metallsplittern durchbohrt oder von gedungenen Killern verdroschen wird, vor Schmerzen stöhnt, aber immer wieder aufsteht, appelliert zweifellos an verschüttete sadistische Impulse. Aber Vikander ist durchaus mehr als ein schöner Körper: Sie trägt den inhaltlich dünnen (wie könnte es anders sein?), fast ausschließlich über Schauwerte funktionierenden Film ganz allein und schafft es, das Interesse des Zuschauers kraft ihres Charismas wachzuhalten. Ohne sie wäre TOMB RAIDER weniger als Luft – was eher ein ausdrückliches Lob in ihre Richtung als eine Kritik am Film ist.

Denn seien wir ehrlich: Niemand hat von einem neuen TOMB RAIDER ein cineastisches Meisterwerk oder einen feinsinnigen Film zur conditio humana erwartet. Was man erwarten durfte – einen actionreichen Abenteuerfilm mit Drive, Kinetik, einem Hauch Fantastik und schönen Bildern sowie eben einer scharfen Heldin -, liefert Uthaug ohne nennenswerte Abstriche. Die Vikander ist so überzeugend, dass einem versierte Charaktermimen wie Dominic West und Walton Goggins daneben fast leid tun: Das Drehbuch ist an ihnen aber auch nur insofern interessiert, als ihre Handlungen eine Wirkung auf die Heldin haben. Die Suche nach den Überresten eine angeblich dämonischen Königin ist spektakulär, temporeich und schön anzusehen, aber aufgrund dieser Tatsache auch ein bisschen leer. TOMB RAIDER macht Spaß, aber es bleibt nicht gerade viel hängen. Den nächsten Teil würde ich mir trotzdem geben. Wegen Alicia.

Schon nach wenigen  Minuten wusste ich, dass es undankbar und schwierig werden würde, über HUSTLERS zu schreiben. Der Film, der auf einem prämierten Zeitschriftenartikel basiert, wurde von der Kritik weitestgehend positiv aufgenommen und als positives Beispiel für female empowerment herangezogen. Jennifer Lopez, um die es in den letzten Jahren still geworden war, übernahm den saftigen Part der erfahrenen Profistripperin, die ein paar jüngere Mädchen unter ihre Fittiche nimmt, um mit ihnen reiche Männer auszunehmen. Es ist genau die Art von Rolle, bei der die Oscar-Nominierung quasi integriert ist. Es geht natürlich um die Macht der Männer und des Geldes, was über weite Strecken dasselbe ist, und die Wirtschaftskrise spielt auch eine wichtige Rolle. Produziert wurde der Film von Adam McKay und Will Ferrell, die sich ja so einen Ruf als „Linke“ in Hollywood aufgebaut haben. Wenn man in den Chor der lobenden Stimmen nicht uneingeschränkt einstimmen möchte, ist die Gegenrede bereits vorprogrammiert: Kann man HUSTLERS als Mann überhaupt ehrlich kritisieren? Ja, ich denke schon. Denn so sehr ich die Agenda des Films respektiere: HUSTLERS ist einfach flach. Seine Macher begreifen nicht, dass sie Teil des abgekarteten Spiels sind.

Destiny (Constance Wu) ist eine junge Stripperin, die in ihrem Club Tag für Tag abgezockt wird. Das ändert sich, als sie sich mit der erfahrenen Ramona (Jennifer Lopez) anfreundet, die sie unter ihre Fittiche nimmt und ihr nicht nur die spektakulären Moves beibringt, sondern ihr auch zeigt, wie sie den geilen Wall-Street-Typen das Geld aus der Tasche zieht. Unter Leitung der Veteranin findet Destiny, Freunde und Anerkennung – und verdient außerdem richtig viel Geld. Bis die Wirtschaftskrise zuschlägt und neue Maßnahmen erforderlich macht. Gemeinsam entwickeln die Mädels eine todsichere und nicht ganz legale Masche, ihren Kunden das Geld aus der Tasche zu ziehen. Es könnte ewig so weitergehen, doch dann wird Ramona gierig …

HUSTLERS erzählt die Geschichte von objektifizierten Frauen, deren Lebensgrundlage die Kohle ist, die männliche Karrieristen ihnen nach Feierabend in großzügiger Geste hinwerfen. Profis wie Ramona sind in der Lage, das Spiel zu ihren Gunsten zu beeinflussen, aber die Machtverhältnisse sind dennoch klar verteilt. Das wissen auch die Stripperinnen: Doch wenn das Spiel eh manipuliert ist, warum nicht selbst falsch spielen? Regisseurin Scafaria macht den Triumph der Frauen fühlbar, der Zuschauer freut sich mit ihnen, wenn sie auf der New Yorker Fifth Avenue in einen Shopping Spree geraten (wo sie sich ausschließlich potthässlich-dekadentes Zeug kaufen), auch wenn sie damit Existenzen zerstören. Und ich glaube durchaus, dass es den Produzenten nicht darum ging, die Freuden der Affluenz zu feiern, sondern gerade diese Jagd nach dem Mammon zu kritisieren, bei der alle, ausnahmslos alle Charaktere mitmachen. Aber HUSTLERS trägt diese Kritik nur zum Teil, denn visuell ist der Film geradezu besessen von schimmernden, glänzenden Oberflächen, von Designerklamotten, teuren Autos, Juwelen und anderen Statussymbolen – er findet das hustling seiner Protagonistinnen ohne Frage ziemlich sexy. Klar, dass da mal ein eigentlich netter Mann unter die Räder kommt, ist bedauerlich, aber die meisten haben es doch verdient. Wie praktisch, dass wir nie etwas über sie erfahren.

Dramaturgisch erinnert HUSTLERS an Scorseses Mafiaepos GOOD FELLAS, der ebenso auf dem schmalen Grat zwischen Anklage und Verehrung wandelte: Gerahmt wird HUSTLERS von einer wie nachträglich aufgepfropften Rahmenhandlung, in der Destiny ihre Geschichte einer Zeitungsjournalistin (Julia Stiles) erzählt. HUSTLERS bedient sich also einer Rückblendenstruktur, die der Hauptfigur die Möglichkeit gibt, reife Reue zu zeigen, und den Autoren die Gelegenheit, sich auf Handlungsebene gegen etwaige Vorbehalte zu wehren. So wirft Destiny der Journalistin immer wieder vor, Vorurteile gegen Stripperinnen zu haben oder ihre Geschichte für den reinen Sensationswert auszuschlachten. Ich will Scafaria und den Produzenten nicht absprechen, gute Vorsätze gehabt zu haben: Er handelt ohne Frage davon, wie unsere Welt alle zu Jägern degradiert, sie auf Materialismus konditioniert und so ihr Unglück befördert. Aber HUSTLERS funktioniert halt aber auch dann ganz gut, wenn man einfach nur geile Weiber tanzen sehen oder ein überlanges Hip-Hop-Video mit Bitches, Pelzmänteln, Klunkern, teuren Autos, absurden High Heels und jede Menger Drogen sehen will. Das könnte man subversiv finden, aber für mich wäre das deutlich zu viel der Ehre.

Frank Walsh (Nicolas Cage) verdient sein Geld damit, seltene und gefährliche Tiere zu fangen und an diverse Zoos zu verkaufen. Sein neuester Coup ist ein weißer Jaguar, den er mit diversen Giftschlangen und aggressiven Affen auf einem Schiff nach Übersee transportiert. Mit auf dem Seelenverkäufer sind der NSA-Mann Freed (Michael Imperioli) und seine schwer bewaffneten Männer sowie die Militärpsychologin Dr. Ellen Taylor (Famke Janssen). Im Schlepptau haben sie den psychopathischen Söldner Loffler (Kevin Durand), der sich nur wenig später natürlich aus der Gewahrsam befreien kann, sofort anfängt, Jagd auf seine Häscher zu machen und dazu auch noch Walshs Biester freilässt …

PRIMAL ist ganz gewiss keine versteckte Perle des DTV-Kinos, aber er erinnert doch sehr positiv an längst vergangene Zeiten, in denen sich zwischen den Eventmovies aus Hollywood auch immer mal eine verkappte Videopremiere ins Kino schlich oder man in der Videothek gern zu den diversen Kickbox-, Söldner- oder Copfilmen mit den markigen Zweiworttiteln und den muskulösen Kämpfern auf dem Cover griff – und dann manchmal positiv überrascht wurde. Cages jetzt schon längst nicht mehr neuester Film sieht am Anfang sogar richtig aufwändig aus: Die Urwaldszene, mit der der Film beginnt, ist wunderbar, der per CGI zum Leben erweckte weiße Jaguar wird auch höheren Effektansprüchen gerecht. Mit Famke Janssen, Michael Imperioli, dem herrlich overactenden Durand und dem kantigen LaMonica Garrett ist PRIMAL zudem gut besetzt und das ganze Schiffs-und-Killer-Szenario erinnert positiv an eine wüstpulpige Mischung aus UNDER SIEGE, CON AIR, SILENCE OF THE LAMBS und SNAKES ON A PLANE. Cage hat offensichtlich auch Spaß gehabt, das heißt, man bekommt eine seiner engagierteren Leistungen zu sehen, wenngleich man auch auf ein Showcase seines Megaactings verzichten muss: Er orientiert sich hier eher an den schweigsamen Stoikern des Männerfilms und die fette abgekaute Zigarre im Mundwinkel steht ihm ganz hervorragend. Weniger gut gelitten ist die einst betörend schöne Famke Janssen, die es leider für nötig hielt, ihre markanten Wangenknochen mit Botox auszupolstern und die nun in Nahaufnahmen schmerzhaft künstlich aussieht.

In der zweiten Hälfte kann PRIMAL seine Herkunft und das magere Budget nicht mehr ganz so gut kaschieren wie zu Beginn: Da wird dann wie in den oben geschilderten Zeiten durch die endlosen Gänge eines Heizungskeller geschlichen, der als Innenraum eines Schiffes fungieren muss, das in der finalen Totalen zudem deutlich kleiner aussieht, als es der Film suggeriert. Da fehlen dann noch einmal ein erzählerischer Kniff und eine Zuspitzung des Szenarios zumal auch die CGI-Tiere nicht so zum Zuge kommen, wie man sich das zu Beginn erhofft hat. Einmal wird ein bärtiger Koch von den Affen zerschnetzelt, ein alter Zausel von einer Giftschlange gebissen und der weiße Jaguar huscht immer mal wieder drohend durchs Bild, ohne dass wirklich etwas passiert. Aber böse sein kann ich dem Film trotz all dieser offenkundigen Mängel einfach nicht, im Gegenteil. Irgendwie ist das alles wunderbar bodenständig und retro, aber eben nicht mit diesem nervigen Kult-Appeal anderer Titel, die verzweifelt eighties sein wollen und dann mit irgendwelchem Schnickschnack aufwarten. Denkt man sich die Tiereffekte ein bisschen schlechter, hätte PRIMAL genau so wie er ist vor 25 Jahren erscheinen können. Wahrscheinlich eher nicht mit Cage in der Hauptrolle, aber ihr wisst, was ich meine.

Eben schrieb ich noch über den Krokodilhorror, heute geht es mal wieder um Sharxploitation, die Königsdisiplin des Tierhorrorfilms. Vor ein paar Jahren avancierte der Vorgänger 47 METERS DOWN mit seinem minimalistisch-klaustrophobischen Szenario zu einem Überraschungserfolg: zwei hübsche Damen, eingesperrt in einem Haikäfig auf dem Meeresgrund, umkreist von Haien und mit langsam zu Neige gehendem Sauerstoff. Stellt sich die Frage, wie man für das Sequel einen draufsetzt, ohne den „Markenkern“ völlig ad absurdum zu führen. Roberts, der auf den Regiestuhl zurückkehrte und das Script wieder zusammen mit Ernest Riera verfasste, entschied sich für die naheliegende Lösung des Problems: Statt zwei hübscher Frauen sind es nun vier, statt in einem Käfig werden sie in den labyrinthischen Gängen einer versunkenen Maya-Stadt eingeschlossen und die Haie sind gruselige Mutationen mit zugewachsenen Augen. Für etwas menschliches Drama sorgt der Konflikt zwischen den Halbschwestern Mia (Sophie Nélisse), die in der Schule gemobbt wird, und Sasha (Corinne Foxx), die dabei tatenlos danebensteht.

47 METERS DOWN: UNCAGED ist ein Film, der es mir schwer macht, viele Worte über ihn zu verlieren. Ich gehöre als mittelalter Herr sicher nicht zur anvisierten Zielgruppe, fand schon den Vorgänger alles andere als prall und habe mir dieses Teil allein zu Hause via Amazon Prime zu Gemüte geführt, weil ich Haifilme mag. Trotzdem hatte ich mehr von dieser Fortsetzung erwartet: Die Regie ist furchtbar uninspiriert und undiszipliniert, der Film eher an preisgünstigem Thrill, an Schocks und Gekreisch interessiert, als daran, sein klaustrophobisches Szenario behutsam aufzubauen und die Schrauben langsam und unaufhörlich festzuziehen. Dass die Protagonistinnen mittels Hightech-Taucherhelmen in der Lage sind, miteinander zu reden (und dies auch unaufhörlich tun), hat mich schon in 47 METERS DOWN geärgert. Es erscheint mir als eine Art Kapitulation der Autoren vor einem ganz wesentlichen Merkmal des Unterwasser-Films: der Einschränkung der Kommunikation. Anstatt sie als problematisierendes, die Spannung steigerndes Element zu verwenden, ziehen Roberts und Riera erneut den Schwanz ein. (Im Vorgänger fiel das allerdings noch etwas unangenehmer auf, weil das superavancierte Equipment den Hauptfiguren dort von einem abgetakelten Veranstalter dubioser Haitouren zur Verfügung gestellt wurde.) Aber das ist längst nicht die einzige Verfehlung: Der Blick auf den Stand der Sauerstoffreserven erfolgt immer dann, wenn es gerade in den Kram passt und mit dem Verbrauch verhält es sich genauso. Im einen Moment bleiben drei der Mädels in einer Luftblase zurück, um den versiegenden Sauerstoff zu sparen, im nächsten Moment tauchen Sie dann plötzlich an der richtigen Stelle des Labyrinths auf, um ihre Freundin aus einer Gefahrensituation zu befreien. Niemand redet da mehr vom Sauerstoffmangel. Die Dimensionen der Höhle sind für den Zuschauer ebenfalls nicht nachvollziehbar: Glaubt man im einen Moment, die Mädels seien unrettbar verschüttet, findet sich dann doch immer wieder schnell ein Ausweg. Die Momente, die als große Nervenzerrer angelegt sind, haben bei mir nicht funktioniert, weil die Haie als seltsam leblose CGIs durchs Wasser gleiten: Sie haben mich irgendwie an Zeppeline erinnert. Und das weder Mia noch Sasha etwas passiert, ist eigentlich von Anfang an klar.

Zum Glück nimmt der Film zum Ende ein bisschen Fahrt auf. In der vielleicht bewegendsten – nein, der einzig bewegenden – Szene des Films rettet sich eines der Mädchen vor dem Hai, indem es seine Sauerstoffflasche abwirft, in die er sich verbissen hat, nur um dann wenige Sekunden später elendig zu ertrinken: Den Moment, in dem die Panik der langsamen Erkenntnis des sicheren Todes Platz macht und das Leben aus ihrem Gesicht weicht, fängt Roberts in einer Aufnahme ein, die ihre Wirkung nicht verfehlt. Auch der Schluss-„Gag“ lässt noch einmal aufmerken: Die letzten fünf Minuten des Films entschädigen etwas für die hektische Betriebsamkeit der ersten 85 Minuten, die bei mir nur Gleichgültigkeit ausgelöst haben. Das ist umso ernüchternder, als ich Haifilme eigentlich immer irgendwie mag. Das hier ist aber definitiv nichts für mich. Daran ändert auch die Anwesenheit von Sylverster Stallones Tochter nichts.

 

Der Krokodilfilm startete anno 1980, als Lewis Teagues immer noch sehr sehenswerter ALLIGATOR erschien, zwar mit einigem Rückstand auf Haie, Piranhas, Grizzlybären, Giftschlangen, Spinnen, Käfer, Kaninchen, Ameisen, Bienen, Vögel, Kraken, Hunde, Katzen, Killerwale oder Riesenaffen, die zu diesem Zeitpunkt schon eine Weile im ertragreichen Geschäft des Tierhorrorfilms zu Hause waren, aber im Vergleich zu einigen der genannten hat er in den letzten 20 Jahren einiges an Boden gut gemacht. Neben den nicht totzukriegenden Mockbusters aus dem Hause Asylum oder vergleichbarem Käse wie Tobe Hoopers CROCODILE, dessen Sequel oder de Rossis KILLER CROCODILE II erschienen auch immer wieder ernstzunehmendere Produktionen, wie zum Beispiel der Überraschungshit LAKE PLACID, Titel wie ROGUE oder BLACK WATER oder jetzt eben CRAWL. Auch Ajas Film darf als Argument pro Krokohorror gewertet werden. Wenngleich man sich schon mit einem kleinen Tränchen an die Zeit erinnert, als der Franzose mit HAUTE TENSION als große Hoffnung am Horrorhimmel erschien. Ob er aber damals bereits davon träumte, einmal mainstreamiges Gebrauchskino wie PIRANHA oder eben CRAWL drehen zu dürfen? Wahrscheinlich eher nicht. Nun gut, es gibt schlimmere Schicksale.

CRAWL erzählt seine Krokodilhorrorgeschichte als Belagerungssszenario mit eingebautem Countdown: Mitten in einem Hurricane begibt sich die jugendliche Schwimmerin Haley (Kaley Scodelario) zum Haus ihres Vaters (Barry Pepper) und findet ihn bewusstlos im Kriechkeller unter seinem Haus. Beim Versuch, den Verletzten zu bergen, macht sie Bekanntschaft mit dem Grund für seine Lage: ein aggressiver Alligator. Weil der Wasserspiegel kontinuierlich steigt und ein Aussitzen der Situation unmöglich macht, Hilfe von außen zudem nicht zu erwarten ist, muss Haley einen Ausweg aus der Todesfalle finden. Das Dumme ist nur: Draußen ist es auch nicht besser…

CRAWL, das muss man neidlos anerkennen, ist maßgeschneidertes, funktionstüchtiges Spannungskino, an dem es rein handwerklich nichts auszusetzen gibt. Aja versteht es, Szenario mit jeder Minute klaustrophobischer werden zu lassen und die erlösende Rettung mit immer neuen unvorhergesehenen Hindernissen zu verbauen. Und wenn die Flucht aus dem Haus gelungen ist und man denkt, das Schlimmste sei überstanden, wird noch einmal eine Schippe draufgelegt. Flankiert wird der Survival-Horrortrip von einer Vater-Tochter-Geschichte, die den Ansprüchen eines Charakterdramas sicher nicht genügt, aber dank der engagierten Leistung von Barry Pepper und Kaley Scodelario ihre Wirkung trotzdem nicht verfehlt. Das ist auch die größte Stärke des Films: Er behandelt seine Geschichte und die Charaktere mit Ernst, Engagement und Drive und macht so über den Großteil der Zeit vergessen, dass er doch nur die xte Version eines reichlich abgehangenen Stoffs darstellt. Erst vor ein paar Jahren versuchte sich etwa der Sharxploiter BAIT an einem ganz ähnlichen Szenario – allerdings deutlich weniger erfolgreich und deutlich käsiger.

So ganz kann CRAWL seine Beheimatung in der epigonalen Exploitation aber nicht verhehlen: Das Drehbuch dreht sich die Dinge immer mal wieder so, wie es ihm in den Kram passt und nimmt es nicht so streng mit Konsequenz und Konsistenz. Der erleiden die beiden Protagonisten haarsträubende Verletzungen, die ihre missliche Lage noch bescheidener machen, nur um ein paar Minuten später wieder herumzuturnen, als sei nichts passiert. Papa Dave läuft mit seinem offenen Schienbeinbruch zu Höchstform auf, kaum dass er sich selbst eine Schiene gebastelt hat, und Haleys diverse Bisswunden tangieren sie im Laufe des Films kaum mehr als ein Kratzer, nachdem zuvor ein großes Drama aus ihnen gemacht wurde. Solche Schlampigkeiten unterminieren Ajas Ehrgeiz, die Dinge besser zu machen, letztlich immer wieder und entzaubern den Film, der bisweilen schnurrt wie ein gut geölter Hochleistungsmotor. Am Ende bleibt aber trotzdem ein unterhaltsamer, spannender, nicht zuletzt verdammt gut aussehender Reißer, der sich auf das Wesentliche besinnt, dämlichen Kokolores weitestgehend erfolgreich vermeidet und nicht mit doofen Anbiedereien nervt. Das ist eigentlich mehr, als man von einem Krokodilfilm im Jahre 2019 erwarten durfte.