Tief dringt die Kamera ein in das enigmatische Funkeln eines Rohdiamanten, fliegt immer tiefer hinein, als verberge sich eine ganze Welt in dem über Tausende, wenn nicht Millionen von Jahren hoch verdichteten Mineral. Heraus findet sie über den Darm des Diamantenhändlers und Juweliers Howard Ratner (Adam Sandler), der sich gerade einer Koloskopie unterzieht. Ist UNCUT GEMS vielleicht eine bittere Satire über den gnadenlosen Verwertungskreislauf des Kapitalismus, der sich alles einverleibt, nur um die unbrauchbaren Reststoffe am Ende wieder auszuscheißen? Leider ist der Film deutlich banaler, was auch das Wiederaufgreifen der oben genannten Kamerafahrt am Ende belegt: Das Leben, so wollen die Safdies sagen, ist ein unvorhersehbares Wagnis, ein Labyrinth aus verlockenden Irrwegen und Sackgassen. Und das große Ziel, das man anscheinend vor Augen hat, ist vielleicht doch nur der eigene Tod.
Der von Netflix produzierte UNCUT GEMS wurde in den letzten Monaten gehypt wie kaum ein zweiter Film des vergangenen Jahres. Und der von der „intelligenten“ Filmkritik so verhasste Adam Sandler sah sich aufgrund seiner Darstellung des spielsüchtigen, gedemütigten und vom Pech verfolgten Ratner plötzlich als verkanntes Genie und schauspielerischer Gigant rehabilitiert (dass man dieselbe Offenbarung schon vor fast 20 Jahren anlässlich von Paul Thomas Andersons PUNCH-DRUNK LOVE erlebt hatte, ist schon längst wieder vergessen). Wer Sandler positiv oder auch nur unvoreingenommen gegenübersteht, den wird seine Leistung in UNCUT GEMS hingegen weniger überrascht haben: Zum einen hatte er bereits in einigen anderen Filmen angedeutet, dass er sein Handwerk zweifellos versteht (siehe oben) und mehr kann, als den Clown zu geben. Zum anderen können nur die verblendetsten Hater übersehen, dass Sandler ja auch in diesen vermeintlich „schlechten“ Filmen eine unleugbare Präsenz ist. UNCUT GEMS ist durchaus sehenswert, aber wer hier in der Hauptrolle nicht diese „Offenbarung“ erlebt, der wird auch dem Rest gelassener gegenüberstehen; und dann wahrscheinlich bemerken, dass UNCUT GEMS alles andere ist als die Neuerfindung des Rades.
Was ihn auszeichnet, ist sein manisches Tempo: Die Dramaturgie entspricht der sprichwörtlichen Achterbahnfahrt, bei der es hier aber immer nur abwärts geht. Zu Beginn scheint noch der große Reibach für Howard anzustehen, denn er hat einen raren Opal aus Äthiopien aufgetrieben, einen mystisch aufgeladenen, uralten und angeblich mit magischen Kräften ausgestatteten Stein, für den er auf einer New Yorker Auktionen einen hohen Millionenbetrag zu erzielen hofft. Man ahnt da schon, dass Howie vielleicht etwas zu optimistisch mit seiner Schätzung sein könnte, aber bevor es zur Auktion kommt, gibt es zahlreiche weitere Hürden zu überwinden. Kevin Garnett, der Basketballprofi aus Boston, muss den Opal als Glücksbringer haben und dem Juwelenhändler gelingt es nicht, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Den Meisterschaftsring, den er von Garnett als Pfand erhält, verpfändet er, um Bargeld für eine riskante Wette zu haben: Ihm is klar, dass Garnett mit dem Opal im Gepäck ein sensationelles Spiel hinlegen wird. Mit dem Gewinn will er die Schulden bei Arno (Eric Bogosian) begleichen, der langsam die Geduld mit dem Verwandten verliert, von dem er immer nur vertröstet wird, und natürlich den Ring zurückkaufen. Tatsächlich landet Howard mit seiner Wette einen Riesencoup, doch er ist trotzdem der Verlierer: Arno hat die Wette canceln lassen und so hat der Pechvogel nicht nur kein Geld gewonnen, sondern auch das Problem, dass er den Ring zurückkaufen muss, um wieder an seinen Opal zu kommen. Diese Episode ist aber nur ein Glied in einer engmaschigen Kette aus Verstrickungen, Schicksalsschlägen und Fehlentscheidungen, mit denen sich der Protagonist kontinuierlich und gnadenlos in die Scheiße reitet – bis UNCUT GEMS nach rund zweieinhalb Stunden genauso endet, wie man das eigentlich von Anfang an erwartet hat.
Das ist unterhaltsam, auch spannend, vor allem aber aufreibend und anstrengend, weil es kaum einmal einen Moment der Ruhe gibt. Das betrifft sowohl die beschriebene Dramaturgie als auch die Hochfrequenzdialoge und den Schnitt. Und inhaltlich ist der Film ähnlich eindimensional: UNCUT GEMS spielt in einer Welt, in der ständig alle dem großen Geld hinterherrennen oder aber sich selbst verkaufen. Echte Vertrauensbeziehungen gibt es nicht, vielmehr umschleichen sich alle wie die lauernden Raubtiere, nur auf den Moment wartend, in dem der andere eine Schwäche zeigt und zu Fall gebracht werden kann. Dinah (Idina Menzel), Howards Noch-Ehefrau hat für ihren Gatten nur noch offene Verachtung übrig, die gemeinsame Tochter nimmt ihn auch nicht mehr ernst. Aber noch nicht einmal in seinem Beruf kommt Howard zur Ruhe: Deals platzen, verprellte Kunden bezichtigen ihn des Betrugs, das automatische Schließsystem der Tür fällt immer wieder aus und zwingt betuchte Kunden, in der engen Schleuse auszuharren, bis das technische Problem mit Mühe und Not gelöst ist. Natürlich bringt auch der Opal nicht die erhofften Millionen und selbst das, was er wert ist, kann Howie nicht einstreichen. Er ist für diese Welt einfach nicht gemacht, aber man bekommt als Zuschauer einfach keinen echten Einblick, worin sein Versagen eigentlich besteht: Kommt zu seiner Spielsucht, seinem Leichtsinn und seiner linkischen Art gar auch noch berufliche Inkompetenz hinzu? Hier bleibt UNCUT GEMS leider zu vage. Letztlich erzählt er die geschickt, aber trotzdem überkonstruierte Geschichte eines Süchtigen, der alle Mäßigung verliert und dafür bestraft wird. Das ist alles andere als revolutionär und in der hier dargebotenen Schärfe nicht nur unproduktiv, sondern fast ein wenig sadistisch.
Schön ist die Cinematografie von Darius Khondji, der überwiegend auf Schwarz- und Grautöne setzt, dann aber immer wieder grelle Farbpunkte wie Lichtreflexe in einem Diamant aufblitzen lässt. Auftritte von Basketballprofi Garnett, Soul-Crooner Abel Tesfaye aka The Weeknd oder das Tilda-Swinton-Cameo passen ebenfalls ins Bild. Aber letztlich ist UNCUT GEMS tatsächlich in erster Linie ein Showcase für Sandler, der nahezu jede Szene bestreitet und die ernste, „realistische“ Variante seiner liebenswerten Clowns und Losers geben darf. Er überzeugt auf ganzer Linie und sorgt auch wesentlich dafür, dass einem Howies Schicksal nicht am Arsch vorbeigeht. Er ist somit aber nicht das i-Tüpfelchen auf einem Meisterwerk, sondern der Faktor, der UNCUT GEMS überhaupt erst zum Gesprächsthema macht. Über den Rest muss man wirklich nicht nach Hause schreiben.