Mit ‘Alfred Vohrer’ getaggte Beiträge

Episode 139: Der Augenzeuge (Theodor Grädler, 1986)

Der arbeitslose Erich Schuster (Klaus Herm) wird Zeuge, wie ein Nachtwächter von zwei Juwelenräubern auf der Flucht erschossen wird. An die Gesichter der Flüchtigen kann er sich nicht erinnern, aber er fällt Derrick danach durch sein seltsames Verhalten auf, genauso wie der Sohn der Mordopfers (Dieter Schidor). Derricks Verdacht: Die beiden kennen den Täter und lassen sich ihr Schweigen von ihm teuer bezahlen …

Noch so ein DERRICK-Standard: arme Tröpfe, die ihre Chance wittern und sich dabei die Flossen verbrennen. Nicht viel Neues hier, lediglich Bewährtes routiniert dargeboten. Dass Sky DuMont in einer absoluten Nullrolle verbraten wird, ist allerdings doppelt kontraproduktiv: Nicht nur verschenkt man einen erstklassigen Schauspieler, der nicht auf den Kopf gefallene Zuschauer weiß auch, dass er nur eine Erklärung für diesen zweifelhaften Coup geben kann. Und so ist es dann auch.

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Episode 140: Das absolute Ende (Alfred Vohrer, 1986)

Herta Kolka (Marion Kracht) wird nach ihrer Gitarrenstunde erschossen. Die Ermittlungen führen Derrick und Klein in eine höchst sonderbare Familie: Der Vater (Günther Mack) ist am Boden zerstört, sein Bruder Rolf (Volkert Kraeft) seltsam hysterisch und unsouverän. Dann sind da noch Rolfs Gattin (Reinhild Solf), die mit ihrem Bruder (Wolfgang Müller) vor der argentinischen Militärdiktatur floh, als die ihren Eltern das Leben kostete, und die den alten Kraft (Konrad Georg) pflegt, der dem Wahnsinn anheimgefallen ist …

Ein bisschen erinnert die Episode an das Serien-Highlight „Die Entscheidung“ von 1980. Zwar ist Vohrers Folge am Ende deutlich „sauberer“ und nicht ganz so deliriös wie Grädlers Meisterstückchen, aber auch hier gibt es reichlich Stoff zum Staunen: Dass ausgerechnet Schwiegertochter Drombusch Marion Kracht in ihrer Rolle als Stern des Münchener Nachtlebens gezeichnet wird, dem alle Männer erlegen sind, ist da nur der Anfang. Volkert Kraeft trägt sich mit einer Glanzleistung in die lange Ahnengalerie DERRICK’scher Waschlappen ein, Konrad Georg verbringt seine zwei, drei Kurzauftritte rammdösig in die Kamera grunzend und Reinhild Solf agiert mit der sympathischen Verve eines depressiven Exekutionsroboters. Als trauriger Millionär und Schickeria-König Rocco Gretschkow ist Michael Heltau zu sehen: Sensationell, wie er die zu einer Spontanparty in seine Villa eingeladenen Gäste ebenso spontan und grob wieder rausschmeißt, als er die Lust verliert. Frank Duvalls todessehnsüchtig-weggetretener Titelsong „Liebe und Tod“ dudelt dazu in geschmacksresistenter Endlosschleife. Aber schon das Startbild ist super: ein tristes, marodes Haus auf einem Schotterplatz, darüber der Titel „Das absolute Ende“. Dass das Haus nicht der Schauplatz des Münchener Kettensägen-Massakers, sondern einer Gitarrenstunde beim Musiklehrer Thomas Astan ist, weist aber schon auf die kleineren Verfehlungen der Episode hin, die in erster Linie auf das Konto von Reinecker gehen. Zwischen Wahnsinn, Münchener Nachtleben und argentinischer Militärdiktatur verliert er ein bisschen den Fokus. Warum die beiden Morde „das absolute Ende“ darstellen sollen, habe ich jedenfalls nicht so ganz verstanden, auch wenn ich die Idee sehr reizvoll fand. Unterm Strich bin ich geneigt, über die Schwächen hinwegzusehen und „Das absolute Ende“ als Vertreter der so liebenswerten und in den Achtzigern selten gewordenen DERRICK-Verstrahlung zu betrachten.

Filmhistorisch ist die Epsiode darüber hinaus bedeutsam, weil es sich um die letzte Regiearbeit des wunderbaren Alfred Vohrer handelte: Er wurde von seinem Regieassistenten tot in einem Berliner Hotelzimmer entdeckt. Man hatte sich gewundert, warum er nicht am Set seiner DER ALTE-Episode erschienen war …

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Episode 141: Der Charme der Bahamas (Jürgen Goslar, 1986)

Der Kunsthistoriker Gerhard Brosch (Jürgen Behrendt) erhängt sich, nachdem er sein ganzes Vermögen an den miesen Finanzhai Müller-Brode (Karl-Michael Vogler) verloren hat. Broschs Sohn Franz (Till Topf) will den Betrüger zur Rede stellen, der sich am Telefon von seiner Gattin Carina (Evelyn Opela) verleugnen lässt und sich dann panisch an seinen Anwalt Dr. Schwede (Thomas Fritsch) wendet. Als Franz bei Müller-Brode ankommt, findet er den Mann tot vor …

Fritsch und Vogler sind super, aber die schwere Bürde namens Till Topf, eine der größten Trantüten in der langen DERRICK-Tradition lappiger Charaktere, machen auch sie nicht wett. Egal, die Episode kann man so weggucken.

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Episode 142: Die Nacht, in der Ronda starb (Theodor Grädler, 1986)

Der Lehrer Dr. Schenk (Klaus Schwarzkopf) wird von seiner Frau (Ursula Lingen) offen mit dem Gymnastiklehrer Ronda (Paul Neuhaus) betrogen. In seiner Not vertraut er sich nicht nur seinem Nachbarn Derrick, sondern auch seinen Schülern an. Die stehen dem Lehrer in einer Nacht mit Schnaps bei und treiben ihn dazu an, gegenüber Ronda klare Kante zu zeigen. Am nächsten Tag ist der Liebhaber seiner Frau tot …

Gleich mehrere Details lassen hier den Autor Reinecker erkennen: Kinder und Jugendliche sind seltsam alterslos, fast schon abgebrühter als die Erwachsenen und immer gut dafür, plötzlich zu rechtsphilosophischen Monologen anzuheben, die den Derrick-Erfinder seit je her faszinierten. Dann gibt es mal wieder ein waschlappiges Opfer, das unter dem stetig wachsenden Druck notgedrungen irgendwann übers Ziel hinausschießt. Seine Frau ist ein besonders grausamer Vertreter der Spezies, hält es nicht mal mehr für nötig, ihre Affäre irgendwie vor dem Ehemann zu verbergen. Der Lover empfängt den gehörnten Gatten sogar schon am Frühstückstisch! Es fällt wieder auf, dass sich Reinecker für Spannung und Suspense, eigentlich ja wichtigster Charakterzug des Krimis, nur noch sporadisch interessiert. Klar, die Folge lebt wesentlich von der Frage, ob es nun der angestachelte Schenke oder die Schüler selbst waren, die Ronda über die Klinge springen ließen, aber es bleibt kein Zweifel, dass die Reflexionen über Moral das sind, was Reinecker antrieb.

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Episode 143: Ein eiskalter Hund (Theodor Grädler, 1986)

Luise Lohbach (Christine Buchegger) leidet in ihrer Ehe mit Jakob (Klaus Löwitsch). Aus seiner Gleichgültigkeit für die Ehefrau macht der gar keinen Hehl, er behandelt sie wie Luft und betrügt sie mit einer Kellnerin im familieneigenen Wirtshaus. Als Luise in ihrem Ferienhaus einem Mordanschlag zum Opfer fällt, ist Jakob für viele, die das Leiden der Frau mitansehen mussten, der Hauptverdächtige. Doch der hat ein hieb- und stichfestes Alibi …

Unvergessen ist Löwitschs schauspielerischer Amoklauf in der frühen Episode „Hoffmanns Höllenfahrt“. DERRICK hat sich seitdem immens verändert, Klaus Löwitsch nicht so sehr. Seine Jakob Lohbach agiert zwar nicht annähernd so fiebrig wie der panische Hoffmann, aber der Schauspieler genießt es sichtlich, ein unentschuldbares Arschloch geben zu dürfen. Der Zuschauer, der es in dieser Phase der Serie fast ausschließlich mit selbstmitleidigen Jammerlappen als Täter zu tun hat, natürlich auch. In Nebenrollen sind Axel Milberg und Horst Michael Neutze zu sehen.

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Episode 144: Der Fall Weidau (Alfred Weidenmann, 1986)

Der junge Klaus Weidau wird morgens tot in seinem Bett auf dem elterlichen Gutshof aufgefunden, vergiftet mit Blausäure. Die Weidaus sind so erschüttert wie Derrick und Klein anschließend ratlos: Die Familie lebte in tiefster Harmonie, sich in Respekt und Liebe zugetan. Nicht einmal der Anflug eines Streits oder Konflikts zeigt sich. Dann der zweite Mord, diesmal an Sohn Hubert (Ekkehard Belle). Und die erschütternde Erkenntnis: Der Mörder muss aus den Reihen der Familie selbst kommen …

Das Leben auf dem Hof der Familie Weidau gerät im Zusammenspiel von Weidenmanns Regie und Reineckers Drehbuch zur bizarren Utopie: einer Utopie mit Haken, denn wie Derrick weiß: „Jeder Mensch hat irgendeine Macke.“ Und wenn alles perfekt ist, dann besteht natürlich die Gefahr, dass es damit bald vorbei ist. Wie immer, wenn Reineckers philosophische Reflexionen besonders spannend geraten, fungiert die Auflösung als Spielverderber. Nicht, dass sie hier wirklich ärgerlich wäre, aber die Identifizierung eines Täters mutet am Ende einer solch apokalyptischen Geschichte einfach furchtbar banal und zweitrangig an. Viel lieber hätte man gesehen, wie alle Weidaus am Ende tot auf ihrem Hof liegen, ihre Gesichter in Ratlosigkeit eingefroren und keine Antwort auf die drängende Frage in Sicht.

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Episode 145: Schonzeit für Mörder? (Gero Erhardt, 1986)

Der geniale Automobil-Ingenieur Bothe wird in seinem Haus erschlagen. Vor den Augen Derricks haucht er in der Ambulanz eines Krankenhauses sein Leben aus. Wer ist der Mörder? Seine junge Gattin Helene (Lena Stolze) oder Bothes Sohn Eberhard (Christoph Waltz), der ein Verhältnis mit seiner nur ein Jahr älteren Stiefmutter hatte? Grund hätten auch Bothes Bruder Georg (Horst Bollmann) oder dessen Sohn Ralf (Volker Lechtenbrink) gehabt, denn Bothe pflegte seine Verwandten zu behandeln wie Diener …

Debütant Gero Erhardt ist mit einem eher mittelprächtigen Script ohne Glanzpunkte geschlagen. Christoph Waltz ist gut, sonst bleibt nicht viel hängen.

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Episode 146: Die Rolle seines Lebens (Alfred Weidenmann, 1986)

Nach überstandener Alkoholsucht kehrt Schauspieler Martin Theimer (Franz Boehm) zurück: Er will sich die Rolle seines Lebens angeln, doch die hat ihm sein Konkurrent Kranz (Karl Heinz Vosgerau) vor der Nase weggeschnappt. Als der Opfer eines Mordanschlags wird, ist der Weg für Theimer frei: Sehr zur Freude von Regisseur Bracht (Peter Bongartz), aber auch von Theimers Gattin Lydia (Sonja Sutter) und Tochter Dinah (Roswitha Schreiner) …

Die Idee mit der doppelten Rolle des Lebens ist gut, aber den durchschlagenden Erfolg verhindert Weidenmanns etwas lahmarschige Regie. Die Szenen am Filmset wirken richtiggehend albern, gekünstelt und theatralisch, was in hartem Widerspruch zu den Lobeshymnen steht, die Bracht über seinen Star singt. Einmal sitzt der Regisseur sogar direkt neben seinem Hauptdarsteller, als die Kamera schon längst wieder läuft. Hätte was werden können, so aber leider zu nix zu gebrauchen.

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Episode 147: Entlassen Sie diesen Mann nicht! (Horst Tappert, 1986)

Der Wissenschaftler Dr. Kroll (Pinkas Braun) war nach einem Mordanschlag auf seine Gattin (Reinhild Solf) vor fünf Jahren wegen Schizophrenie in eine Heilanstalt gesperrt worden. Nun soll er zur großen Überraschung aller damals Involvierten wieder freigelassen werden: Für seine Gesundheit verbürgt sich vor allem Krolls Arzt Kraus (Wolf Roth). Kroll hat es sich in den Kopf gesetzt, seine Ex-Frau zurückzuerobern, doch die hat keine Lust, ihn wiederzusehen. Als ihr Schwager Kroll zur Rede stellen will, wird er umgebracht …

Horst Tappert bringt als Regiedebütant tatsächlich frischen Wind. Die kurze Auftaktsequenz, die das geschäftige Treiben in der Dienststelle zeigt, ist eindeutig von Police Procedurals wie STAHLNETZ beatmet, der betont altmodische Score erinnert aber auch an die Edgar-Wallace-Filme, in denen Pinkas Braun einst gern gesehener Gast war. Die Story ist auch stark: Dr. Kroll wird zu einem deutschen Vorläufer von Hannibal Lecter und Wolf Roth ist immer eine Schau. Tappert treibt der Episode die Reinecker’sche Steifheit aus und akzentuiert die pulpig-makabre Note seines Scripts mit einigem Erfolg. Klasse!

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Episode 148: Mädchen in Angst (Horst Tappert, 1986)

Harry kommt der jungen Anja (Sona Mac Donald) zur Hilfe, die vor der Tür eines zwielichtigen Etablissements von Franz Belter (Henry van Lyck) verdroschen wird. Er nimmt die junge Frau bei sich auf, die auf die schiefe Bahn geraten ist und sich als Prostituierte verdingt, und versucht, sie aus den Fängen Belters, der mit dem ebenfalls dubiosen Rotter (Stefan Behrens) zusammenarbeitet, zu befreien. Dabei fängt er sich eine heftige Tracht Prügel ein, bei der er seine Dienstwaffe verliert. Wenig später ist Belter tot: Erschossen mit Harrys Revolver. Die Indizien sprechen gegen Derricks Kollegen …

Unterhaltsame Folge, die Harrys bisweilen ans Unprofessionelle grenzenden Übereifer in den Mittelpunkt rückt. Manchmal meint man, es sei das Mitleid seiner Ausbilder gewesen, das ihm den Job bescherte. Die Verlagerung des Fokus auf den Assistenten sorgt für willkommene Abwechslung, auch wenn Derrick die drohende Inhaftierung recht schnell abwenden kann. Hier hätte die Spannungsschraube ruhig etwas straffer gedreht werden dürfen.

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Episode 149: Die Dame aus Amsterdam (Helmuth Ashley, 1986)

Der Privatdetektiv Hufland (Raimund Harmstorf) kann seinen Bekannten Derrick eben noch darüber in Kenntnis setzen, dass er in eine ganz große Sache reingestolpert sei, da wird er von Maschinengewehrsalven zerrissen. Die Ermittlungen führen Derrick zu Dr. Soest (Ernst Jacobi), einem Chemiker, der sich mit seiner holländischen Geliebten (Elisabeth Augustin) in einem Hotel verlustierte und dabei im Auftrag seiner Gattin (Gustl Halenke) von Hufland beobachtet wurde. Hinter dem Mord steckt aber viel mehr als Eifersucht: Soest arbeitete an einem hochpotenten Insektizid …

Lang ist’s her, seit Derrick das letzte Mal in einem Fall des internationalen Verbrechens ermittelte, anstatt sich mit den niederen Instinkten des Bürgertums auseinanderzusetzen. „Die Dame aus Amsterdam“ ist ein gelungenes Beispiel für diese etwas unterrepräsentierten Episoden, von Ashley temporeich inszeniert und bis zum Ende spannend. Das Finale ist bitterböse und setzt dem Ganzen ein makabres Krönchen auf.

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Episode 150: Anruf in der Nacht (Theodor Grädler, 1986)

Ein Pfarrer (Horst Sachtleben) wird nachts zu einem im Sterben liegenden Unfallopfer gerufen: In seinen letzten Atemzügen ringt der Sterbende dem Geistlichen einen Gefallen ab. Der macht sich sofort auf den Weg, ohne jemanden in den Zweck seiner Mission einzuweihen. Am nächsten Morgen wird er tot aufgefunden. Einer der Verdächtigen ist Erich Bronner (Thomas Fritsch), der Bruder des Verunglückten, der Sexreisen veranstaltet …

Die Episode ist streng genommen nichts Besonderes, aber weil lange im Dunkeln bleibt, worum es geht, dennoch spannend. Die Auflösung ist eher ungewöhnlich, da wie schon bei „Die Dame aus Amsterdam“ eine internationale Komponente in den Fall hineinspielt. Richtig glaubwürdig ist das Ganze nicht, aber immerhin kommt der Zuschauer in den Genuss eines Gastauftritts von Jess-Franco-Regular Paul Muller als südamerikanischem Drogenbaron.

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Episode 151: Absoluter Wahnsinn (Horst Tappert, 1987)

Eine Frau wird in ihrem Haus ermordet, nachdem sie ihrem Bruder per Telefon noch mitgeteilt hat, dass „er“ sie töten wolle. Für den ist der Fall klar: Als Mörder kommt nur ihr Ehemann (Robert Atzorn) in Frage, der aus seiner Verachtung für die Gattin keinen Hehl machte und von ihrem Tod finanziell zudem erheblich profitiert. Doch seine Freundin Susi (Ingrid Steeger) gibt ihm ein Alibi. Wenig später meldet sich der traurige ältere Herr Mertens (Horst Bollmann) geständig. Der freundliche, sanftmütige Mann ist ein denkbar unwahrscheinlicher Mörder, aber welchen Grund sollte er haben, die Schuld auf sich zu nehmen, wenn er nicht der Täter ist?

Horst Tappert macht sich wirklich nicht schlecht als Regisseur. „Absoluter Wahnsinn“ zeichnet sich durch eine Mischung aus Witz und Tragik aus – eine Eigenschaft, die die Episode allein schon aus dem Rahmen fallen lässt, auch wenn der eigentliche Kriminalfall wieder recht typisch ist. Ingrid Steeger hat als Atzorns gereizte Freundin eine echte Sahnerolle abbekommen, die sie mit Verve ausfüllt. Dass sie noch etwas ungeschliffen agiert, tut der Sache keinerlei Abbruch, eher sogar im Gegenteil. Und Derricks Reaktionen auf die unfreundliche, misstrauische und missmutige Person sind einfach großartig. Viel zu selten darf Tappert als Derrick diese Seite zeigen: Meist stapft er ja als regungslose Gerechtigkeitsmaschine durch die bundesdeutsche Tristesse und selbst die Anflüge von Abscheu und Schadenfreude, die er in frühen Episoden regelmäßig so effektiv an den Tag legte, sind einer desillusionierten Routine gewichen. Aber das ist nicht alles: Das Ehepaar Mertens – neben Bollmann agiert Eva Kotthaus nahezu stumm, aber vielleicht auch deshalb so wirkungsvoll – bildet das Herz der Geschichte, demütig, bescheiden, zurückhaltend, freundlich. Ihr Schicksal geht nicht spurlos am Betrachter vorüber. Vielleicht ist es der einzige Fehler der Episode, dass das Schlussbild nicht den Eheleuten gehört, die da stumm, Arm in Arm in ihr Leben zurückkehren, sondern dem doofen Atzorn.

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Episode 152: Der Tote auf der Parkbank (Theodor Grädler, 1987)

Auf einer Parkbank wird ein Mann gefunden – erschossen und dann am Isar-Ufer abgesetzt. Es handelt sich um einen Herrn Lindemann, den Inhaber einer Werbeagentur, über den wirklich niemand etwas Positives zu sagen hat. Weder die Gattin (Gisela Peltzer), die wusste, dass er sie mit dem Fotomodel Patricia (Ursula Karven) betrog, noch sein Sohn (Christian Hellenthal), seine Angestellten oder der Arbeitslose Ulrich (Ulrich Matthes), der sowohl mit Patricia als auch mit Frau Lindemann befreundet war …

Mittelmäßig interessante Folge, in der Reinecker mal wieder der Philosophie frönt und dabei einige seltsame Ideen hat. Es ist ausgerechnet der humanistische geprägte Ulrich, dessen Fantasien über einen besseren, überlegenen Menschen den Mord inspirieren und Derrick am Ende zu mahnenden Worten veranlassen. Da frohlockt der AfDler, der im Linksliberalismus die Wurzel allen Übels sieht.

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Episode 153: Die Nacht des Jaguars (Jürgen Golsar, 1997)

Die hübsche Gisela Trabuhr (Ursula Buchfellner) wird neben einer Telefonzelle erschossen aufgefunden. Sie war mit dem weichlichen Albert (Volkert Kraeft) verheiratet, der dieses Ausbund an Lebenslust nicht zu bändigen wusste. Gisela war, so erfährt Derrick, sehr freigiebig: Er bezeichnet das als „nymphoman“, wird aber zurechtgewiesen. Nein, diese Gisela war so voller Liebe, dass ein Mann einfach zu wenig für sie war. Wer war also der Täter? Einer ihrer Freier, Alberts Bruder Harald (Christian Kohlund), der um den Ruf der Familie besorgte Vater (Hans Korte) oder die von einem beinahe religiösen Furor erfüllte Mutter (Doris Schade)?

DERRICK-Standard mit dem üblichen Waschlappen im Zentrum und der dysfunktionalen Familie um ihn herum. Nichts Besonderes, aber bei Weitem kein Totalausfall. Bester Moment: Der Close-up auf Kortes Gesicht, nachdem sein stolzes Weib wieder einmal einen denkwürdigen Auftritt hingelegt hat, dann seine hämischen Mutmaßungen, dass Moses die Gesetzestafeln wahrscheinlich hier im Haus versteckt habe und seine Gattin darauf knie, wenn sie sich zum Gebet niederlasse. Boah. Das allein lohnt das Ansehen.

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Episode 154: Ein Weg in die Freiheit (Gero Erhardt, 1987)

Herr Wilke wird spätabends in seinem Büro erschossen, wo er sich mit seinem Vorgesetzten Ewald Potter (Michael Degen) verabredet hatte. Derrick mutmaßt, dass der Mordanschlag möglicherweise den Falschen getroffen habe. Wenig später, im Haus der Potters, scheint sich dieser Verdacht zu bestätigen, denn es passiert ein zweites Attentat, diesmal jedoch erfolglos. Der Verdacht fällt auf eine Gruppe von Musikern um Harro (Volker Lechtenbrink), die in einer der Kneipen Potters engagiert war, bevor der sie rauswarf. Oder hat der mit ihnen befreundete Potter-Sohn Hans (Christoph Eichhorn) etwas damit zu tun?

Eine unterdurchschnittlich Episode. Liegt vielleicht aber auch daran, dass ich Volker Lechtenbrink nicht so mag, schon gar nicht in der Rolle eines bebrillten Smooth-Jazz-Musikers, der mit 20 Jahre jüngeren Menschen in einem Kellerproberaum abhängt. Fun Fact: Das ist nach „Kranzniederlegung“ und „Das absolute Ende“ schon die dritte Folge in kurzer Zeit, in der ein Jugendlicher obsessiv immer wieder denselben Song hört. Ein neuer, aber leider kein guter Einfall: Henry van Lyck als Clubbesitzer mit Zwirbelschnurrbart.

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Episode 155: Nachtstreife (Dietrich Haugk, 1987)

Bei einer Streife wird ein junger Polizist erschossen. Sein Partner, der erfahrene Marx (Hans Brenner), macht sich danach schwere Vorwürfe, gibt jedoch zu Protokoll, dass er nichts gesehen habe. Einen Tag später ändert er seine Meinung: Er schwört, in einem der Flüchtenden den einschlägig bekannten Conny de Mohl (Frank Hoffmann) gesehen zu haben. Doch dessen Familie – Anton Diffring und Herbert Boetticher – gibt ihm ein Alibi …

Haugk hat viele tolle Episoden gedreht: Diese hier entfaltet leider nicht ganz das ihr innewohnende Potenzial, aber die Ansätze reichen. Aus dem eingeschworenen Männerbund und vor allem aus der Verbindung von Diffring und Boetticher hätte man viel mehr machen müssen – gerade letzterer bekommt unerklärlicherweise kaum etwas zu tun -, aber eine in Fotoschnappschüssen aufgelöste Sequenz, in der die drei Verbrecher sich nach einem kurzen Knastaufenthalts Connys wiedertreffen, die Arme euphorisch in die Luft werfen und triumphierend ins Objektiv grienen, ist schon ziemlich geil. In einer Nebenrolle als Marx‘ Ehefrau ist Witta Pohl zu sehen, die im besten DIESE DROMBUSCHS-Stil Freudlosigkeit und Verkniffenheit verkörpert. Veit Harlan hätte bestimmt einen großen Star aus ihr gemacht.

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Episode 156: Koldaus letzte Reise (Franz Peter Wirth, 1987)

Nachdem er eine 20-jährige Haftstrafe abgesessen hat, kommt der Auftragskiller Martin Koldau (Peter Ehrlich) nach München zurück. Er will hier ein letztes Mal seinem Beruf nachgehen – und seine große Liebe Franziska (Liane Hielscher) wiedertreffen, die mittlerweile mit dem Alkoholiker Miele (Klaus Herm) verheiratet ist. Das Wiedersehen der beiden Liebhaber verläuft traumhaft: Die Funken fliegen und Koldau schwört, den aktuellen Auftrag nicht auszuführen, um mit Franziska ein neues Leben anzufangen. Doch das nimmt ihm sein Auftraggeber sehr übel: Franziska findet Koldau erschossen vor. Vom Mörder hat sie nur eine Hand gesehen …

John Ford, Jean-Pierre Melville, John Woo, Michael Mann: Alle hätten sie diesen Stoff verfilmen können. Stattdessen war es Franz Peter Wirth im Rahmen von Deutschlands erfolgreichster Fernsehserie, deren Hüftsteife in diesem Kontext einen sonderbaren Reiz entfaltet. Peter Ehrlich ist mir eines der liebsten DERRICK-Gesichter und er ist toll als Profikiller Koldau, der sich in eine so gar nicht glamouröse, sondern ganz und gar bodenständige Frau verliebt. Es ist schon traurig, dass „Koldaus letzte Reise“ nicht einfach die Liebesgeschichte zweier Menschen jenseits der 40 erzählen kann, sondern natürlich irgendwann zum Kriminalfall werden muss, der niemanden mehr so richtig interessiert. Aber Franziska und Martin, wie sie nach 20 Jahren neuen Mut schöpfen, die bleiben im Gedächtnis.

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Episode 157: Nur Ärger mit dem Mann aus Rom (Helmuth Ashley, 1987)

Arthur Dribald (Burkhard Driest) hat vor Jahren einen Mann erschossen, konnte aber nie gefasst werden. Jetzt entdecken ihn Derrick und Harry wieder und heften sich an seine Fersen. Was sie nicht wissen: Dribald weilt im Auftrag der Herren Scholler (Sieghard Rupp) und Zoller (Siegfried Rauch) in München, um einen Bruch zu begehen …

Helmuth Ashleys Kinovergangenheit kommt auch dieser Serienepisode zu Gute, die wie schon „Koldaus letzte Reise“ etwas „größer“ wirkt. Der Plot ist für die Serie ungewöhnlich und nur wenig vorhersehbar: Abwechslung, die DERRICK zu dieser Phase sehr gut zu Gesicht steht. Siegfried Rauch und Sieghardt Rupp als „Stars“ zu bezeichnen, geht vielleicht etwas zu weit, trotzdem hat ihr gemeinsamer Auftritt hier den Duft von Fernsehereignis. Burkhard Driest ist als selbstverliebter, ständig auf Schürzenjagd befindlicher Macho-Krimineller aber auch ziemlich toll: Die Szene, in der er sich per Videoaufzeichnung die MIsshandlung der barbusigen Uschi Buchfellner in Zeitlupe ansieht und dabei lüstern grinst, ist für deutsche TV-Verhältnisse schon ziemlich weit draußen und erinnert zudem an John McNaughtons ungefähr zur selben Zeit erschienenen HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER.

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Episode 127: Wer erschoss Asmy? (Jürgen Goslar, 1984)

Der letzte Eintrag in dieser Reihe ist über ein Jahr alt. Diese Episode von Jürgen Goslar, in der Anne und David Bennent ein Geschwisterpaar spielen, das in einen Mordfall verwickelt wird, hatte ich noch damals gesehen – und dann nichts darüber geschrieben. Verlässliche Auskunft kann ich darüber nicht mehr geben, aber ich glaube, ich fand die Episode nur so mittelprächtig, auch wenn Bennent als Zigaretten rauchendes, altersweises Kind mit Schiebermütze dafür sorgt, dass sie nicht allzu „normal“ ist.

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Episode 128: Das tödliche Schweigen (Theodor Grädler, 1985)

Derrick erhält zu Hause einen Anruf: Eine junge Frau namens Helga Södern bittet um Hilfe, sie werde von zwei Männern bedroht. Als Derrick und Harry – der Gehilfe lässt extra einen Science-Fiction-Film im Kino sausen – bei der Dame (Irina Wanka) nach dem Rechten sehen, ist angeblich alles in Ordnung: Das jedenfalls behauptet Udo (Jacques Breuer), der vorlaute Freund der Frau. Wenige Stunden später werden Derrick und Harry zum Tatort eines Mordes gerufen: Eine ältere Frau erlitt bei einem Angriff von wahrscheinlich zwei Männern in ihrer Wohnung einen Herzanfall. Der Sohn (Arthur Brauss) ist ratlos. Eine Eingebung von Harry bringt den entscheidenden Tipp: Helga Södern war eine Arbeitskollegin der Toten …

Eigentlich keine spektakuläre Folge, aber sie hat mir trotzdem sehr gut gefallen. Erstens weil der Fall gegen Ende eine Dimension annimmt, die über Einzelschicksale hinausgeht, zweitens weil das Setting einer stillgelegten, ruinösen Chemiefabrik, die da im Münchener Spätherbst vor sich hin modert, einfach wahnsinnig stark ist.

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Episode 129: Ein unheimlicher Abgang (Jürgen Goslar, 1985)

Der Anlageberater Diebolz (Dirk Galuba) jagt sich mit seinem Boot auf dem Starnberger See in die Luft. Grund dazu hatte er: Das eigene Unternehmen war tief verschuldet, seine Gattin Liane (Christiane Krüger) hat eine Affäre mit seinem Freund Kolewski (Peter Bongartz). Als es um die Identifizierung des Toten geht, erkennen alle Diebolz wieder. Was sie nicht wissen: Der erlag nicht etwa den Verbrennungen, sondern wurde zuvor erschlagen. Aber das ist nicht die einzige große Überraschung des Falls: Der Tote ist nämlich gar nicht Diebolz, wie Derrick herausfindet. Warum aber identifizierten ihn seine Angehörigen dann auf dem Seziertisch?

Der Fall ist wendungsreich genug, um über die volle Laufzeit das Interesse wachzuhalten. Dazu kommt wieder einmal das bitterböse Drehbuch von Reinecker, der das Bürgertum so sehr hasst, dass er seine Mitglieder selbst dann noch in alle ihrer Verlogenheit bloßstellt, wenn sie eigentlich unschuldig sind.

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Episode 130: Schwester Hilde (Theodor Grädler, 1985)

Anita Henk (Susanne Uhlen) ist dem Rotlichtmilieu Hamburgs erfolgreich entflohen und hat sich in München eine neue Existenz aufgebaut – samt neuem Liebhaber und Ehemann in spe (Ekkehard Belle). Doch dann findet Kusich (Andreas Fricsay), ihr ehemaliger Zuhälter, sie wieder und will sie mit zurück nach Hamburg nehmen. Anita ruft Schwester Hilde (Inge Meysel) an, die ihr damals geholfen hatte, ein neues Leben anzufangen. Die alte Dame kommt sofort nach München, um den Loddel von seinen Plänen abzubringen. Wenig später ist er tot …

Der Auftritt von Inge Meysel in der beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Fernsehserie war damals wahrscheinlich das, was man heutzutage ein „TV-Event“ nennen würde. Ich, der ich die alte Dame immer eher anstrengend fand, sehe hier trotzdem nur eine eher mittelmäßige Episode, die durch den vermeintlichen Besetzungscoup nicht unbedingt besser wird, auch wenn die Meysel zugegebenermaßen überzeugend agiert. Noch besser hat mir aber Andreas Fricsay gefallen, der mit platinbloner Vokuhila-Dauerwelle an seine markige Rolle in ZWEI NASEN TANKEN SUPER erinnert.

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Episode 131: Lange Nacht für Derrick (Dietrich Haugk, 1985)

Der etwas weichliche Anwalt Dr. Bomann (Klaus Schwarzkopf) steht vor der unangenehmen Aufgabe, den brutalen Berufsverbrecher Rotter (Wilfried Baasner) zu verteidigen. Der Kriminelle erwartet trotz erdrückender Beweislage nichts Geringeres als einen Freispruch. Er scheint zu ahnen, dass daraus nichts wird, denn einen Tag vor Urteilsverkündung wird Bomanns Tochter (Marion Kracht) entführt. Bomann soll seinem Klienten vor der Verhandlung eine Waffe überreichen und ihm so zur Flucht verhelfen.

LANGE NACHT FÜR DERRICK verlässt wieder einmal die ausgetretenen Pfade, die die Serie nach über zehn Jahren zumeist beschreitet und verdichtet die Ereignisse auf einen Zeitraum von wenigen Stunden und die zwei Räume der Mordkommission, in denen Derrick und seine Leute einen HInweis auf den Verbleib der Komplizen von Rotter finden müssen, um die Katastrophe zu verhindern. Auf Dietrich Haugk, der einige der besten DERRICK-Folgen auf dem Kerbholz hat, ist dabei Verlass. Die Beschränkungen von Zeit und Raum weiß er perfekt zu nutzen. Die Episode erinnert ein wenig an Dominik Grafs FAHNDER-Episode BIS ANS ENDE DER NACHT (die einige Jahre später ausgestrahlt wurde), was jeder meiner Leser als großes Lob zu verstehen weiß.

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Episode 132: Kranzniederlegung (Zbynek Brynych, 1985)

Der abgewrackte Gerichtsreporter Trosse (Herbert Stass) sucht Derrick auf: Er weist den Kriminalbeamten auf den jungen Heinz Lissner (Eduard Erne) hin, dem er einen Mord zutraut. Die Freundin des Jungen ist den Drogen zum Opfer gefallen und Heinz nun fest entschlossen, ihren Tod zu rächen.

Keine der Glanzstunden von Brynych: Die Folge bleibt in erster Linie wegen Trosse bzw. Stasses Darbietung im Gedächtnis, der Kriminalfall verblasst dagegen. Derrick und der vom Alkohol gezeichnete Ex-Reporter haben einige starke gemeinsame Szenen, die interessanter sind als die blutleer bleibende Selbstjustizgeschichte. Auf der Habenseite stehen aber einige Impressionen aus dem Münchener Nachtleben inklusive Breakdance, tanzenden Djs und Rollschuhdisko. Das will man dann doch nicht verpasst haben.

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Episode 133: Tod eines jungen Mädchens (Theodro Grädler, 1985)

Eine Inhaltsangabe verkneife ich mir, denn die Episode ist ungefähr so einfallsreich, wie das der Titel bereits vermuten oder eher befürchten lässt. Wenn es einen Standard-DERRICK-Plot gibt, dann diesen: Hübsches Mädchen wird umgebracht, als sie sich verweigert, verlogene Großbürger decken sich gegenseitig. Um das Klischee perfekt zu machen, ist Pierre Franckh als rückgratloser Sohn dabei, der gegen seinen eigenen Impuls dem schmierigen Onkel ein Alibi verschaffen muss. Dieser Onkel reißt es dann wieder raus: Claus Biederstädt ist einfach perfekt in der Rolle. Absolut hassenswert darin, wie er chefmäßig das Ruder übernimmt, um sicherzustellen, dass ihm nichts passiert. Ach ja, Peter Kuiper und Hans Korte sind auch dabei und tun das, was sie immer tun. Das ist gut so.

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Episode 134: Die Tänzerin (Zbynek Brynych, 1985)

Beim Versuch, die Internatsschülerin Katrin May (Dietlinde Turban) zu erschießen, wird der Mörder überrascht und bringt stattdessen den Hausmeister um. Es stellt sich heraus, dass Katrin eine Affäre mit dem Geschäftsmann Dr. Rohner (Heinz Bennent) hatte. Somit kommen gleich zwei Verdächtige in Frage: Rohners Gattin, eine ehemalige Tänzerin (Ingrid Andree), und Katrins Ex-Freund (Robert Jarczyk).

Die Hoffnung, Brynych habe Argentos PHENOMENA in einer DERRICK-Folge vorweggenommen, bewahrheitet sich leider nicht. Auch sonst ist die Episode kein Highlight, lediglich leicht gehobener Durchschnitt. Heinz Bennent ist tatsächlich sehr bewegend als alternder Herr, der neues Liebesglück findet und dabei aufblüht. Schön ist auch der Auftritt eines sich betont seriös gebenden Privatdetektivs (Peter Moland), der von Derrick in dessen unnachahmlich autoritärer Art in seinem Enthusiasmus gleich auf Maß zurechtgestutzt wird.

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Episode 135: Familie im Feuer (Zbynek Brynych, 1985)

Familie Bohl hat eine echte Pechsträhne: Tochter Anna (Beate Finckh) sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl, Vater Walter (Henry van Lyck) ist arbeitslos, genauso wie Sohn Ulrich (Hans Georg Panczak), und die Mutter Thea (Ida Krottendorf) ist ausgezogen, weil ihr Mann sich in zwielichtigen Kneipen herumtreibt. Dabei hat er den Schwerverbrecher Weiler (Dirk Galuba) kennen gelernt, der ihn zu einem Bruch überredet. Bevor es losgehen kann, wird Weiler jedoch erschossen. Der Verdacht der Bohls fällt auf Anna und es gilt, sie vor Derrick zu schützen …

Brynych zeigt in der Episode sehr schön, wie eine kurz vor der Implosion stehende Familie durch den neuen Konfliktfall wieder zusammenrückt. Es ist seinem eigenen Inszenierungsstil, aber auch Reineckers plakativer Drehbuch-Prosa und Panczaks zum Overacting neigenden Spiel zu verdanken, dass „Familie im Feuer“ in den Szenen, in denen das neue Familienglück gezeigt wird, übers Ziel etwas hinausschießt. Trotzdem: Gehobener Durchschnitt, nicht zuletzt weil Henry van Lyck exzellent und Dirk Galuba einfach ein Riesenarsch ist. Detail zum Kopfschütteln: Die Poster 1985 gnadenlos überkommener Blues- und Jazzrock-Kapellen im Zimmer des „Musikfans“ Ulrich (das Plakat von „Jon Hiseman’s Tempest“ konnte man schon in DERRICK-Episoden aus den Siebzigern bewundern).

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Episode 136: An einem Montagmorgen (Jürgen Goslar, Deutschland 1986)

Drei Bankräuber verunglücken bei der Flucht mit dem Wagen und retten sich in eine nahegelegene Wohnsiedlung, wo sie ins Haus der Familie Heilmann eindringen …

Wieder einmal ein Episode, die vom klassischen „Whydunit“, das die Serie sonst beschäftigt, abweicht. Abwechslung ist immer willkommen und diese Folge profitiert erheblich davon, dass sie etwas anderes versucht, auch wenn sie dabei nicht übermäßig spektakulär ist. Die Exposition im Stile von „Aktenzeichen XY“ mutet ein bisschen bemüht an, aber der Rest ist von Goslar dann doch recht spannende inszeniert. Wilfried Baasner ist ein erstklassiger Schurke, von dem es in Zukunft hoffentlich noch mehr zu sehen gibt.

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Episode 137: Naujocks trauriges Ende (Alfred Vohrer, 1986)

Der Geschäftsmann Naujocks wird erschossen, als er mit seiner Geliebten aus der Wohnung kommt, die ihm sein Freund Tass (Karl Heinz Vosgerau) als Liebesnest zur Verfügung gestellt hat …

Die fragwürdigen sexuellen Gelüste älterer Herren haben DERRICK schon häufiger beschäftigt, so auch hier. Der freundliche Herr Tass etwa hält es für selbstverständlich, eine Liebesbeziehung mit seiner Stieftochter (Sissy Höfferer) zu führen. Und sein Kumpel Naujocks verlustiert sich mit der Tochter seines Fahrers. Alles gar kein Problem? Denkste. Deutlich angepisster ob dieses Verfalls der Sitten ist Tass‘ Stiefsohn Walter, gegeben von einem Sascha Hehn mit zurückgeschleimten Haaren. Der war bestimmt nur sauer, dass das Drehbuch ihn nicht zum Stich kommen ließ.

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Episode 138: Geheimnis im Hochhaus (Wolfgang Becker, 1986)

Der Maler und Fixer Erich (Ekkehard Belle) braucht dringend Geld, also bricht er in eine Wohnung ein. Zu seinem Entsetzen findet er dort den Leichnam einer jungen Frau: Als er Stimmen hört, kann er gerade noch fliehen. Nach einem Geständnis bei der Polizei ist die Leiche verschwunden und der Wohnungsbesitzer Hauweg (Gerd Baltus) zeigt sich überrascht. Derrick glaubt dem Drogenabhängigen, obwohl es keinen Beweis für dessen Aussage gibt …

Eine schöne Episode, in der Ekkehard Belle, der Mann mit dem Babyface und dem unvorteilhaften Wuschelkopf, sich endlich einmal beweisen kann. (Heute wissen wir, was er draufhat: Er ist immerhin die deutsche Synchronstimme von Steven Seagal.) Die Geschichte ist durchweg interessant, zumal sie nicht sklavisch am Kriminalfall klebt, sondern sich dem Schicksal des Fixers annimmt und Derrick die Gelegenheit gibt, seine menschliche Seite zu zeigen. Sehr gut ist auch Traugott Buhre als Erichs gehbehinderter Vater, der gesteht, er lasse sich von seinem Sohn waschen, damit der wenigstens noch eine tägliche Verpflichtung habe. Diana Körner und Bernd Herzsprung sind etwas verschenkt, Hans Peter Hallwachs zeigt dafür endloses Potenzial als oberschmieriger Zuhälter, der sich als „Unternehmensberater“ ausgibt.

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Episode 104: Tödliches Rendezvous (Jürgen Goslar, 1983)

Ein Bankräuber kann in einem Taxi vor dem ihn verfolgenden Derrick fliehen. Der Taxifahrer Walter Hagemann (Peter Ehrlich) erkennt den Maskierten jedoch an seiner Stimme und schlägt ihm einen Deal vor: sein Schweigen gegen einen Anteil der Beute. Doch das finanzielle Glück hat einen hohen Preis: Als nämlich ein junger Mann, den der Bankräuber im Verlauf seines Überfalls niedergeschlagen hatte, seinen Verletzungen erliegt, bringt der Täter den nun gefährlichen Hagemann kurzerhand um …

Nach ein paar etwas lustlos und unausgegoren anmutenden Folgen hatte ich ja schon die Befürchtung, die Zeit der DERRICK-Herrlichkeit sei vorbei. „Tödliches Rendezvous“, die erste von Jürgen Goslar inszenierte Episode, ist zwar kein Klassiker, aber ein merklicher Schritt hin zur alten Stärke. Die Episode zeichnet sich durch ein klar strukturiertes Drehbuch mit einem nachvollziehbaren Konflikt und diese spezielle Dynamik aus, die den Betrachter dazu zwingt, mit den zu Tätern gewordenen Normalos zu zittern. Thomas Schücke ist mal wieder mit von der Partie, als Sohn des Taxifahrers, der um jeden Preis an dem Geld festhalten will, und natürlich ideal für den Typus des sich für obercool und intelligent haltenden Schnösels, dem dann merklich die Düse geht, wenn er dem Terrier namens Derrick gegenübersitzt. Die Besetzung ist eh vorzüglich: Peter Ehrlich sehe ich immer gern, neben Schücke ist mit Verena Peter ein weiterer DERRICK-Regular dabei (als Tochter), das Todesopfer wird gegeben von Robinson Reichel, der seinen ersten von sieben Auftritten im Rahmen der Reihe absolviert, und ein sehr verfallener Erik Schumann wirkt in einer zwar kurzen, aber doch sehr wichtigen Rolle mit. Und Goslar inszeniert mit einem Drive, der anderen DERRICK-Machern eher abgeht. Das reicht.

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Episode 105: Lohmanns innerer Frieden (Jürgen Goslar, 1983)

15 Jahre hat Alex Lohmann (Martin Benrath) unschuldig im Gefängnis gesessen. An seiner Stelle hat der eigentliche Täter, Lohmanns alter Freund Schorff (Sieghardt Rupp), Hanna (Christiane Krüger), Lohmanns Ex, geheiratet, die ihm auch das entscheidende Alibi verschafft hatte. Nun wird Lohmann entlassen, doch nichts könnte ihm ferner liegen als Rache. Das kann wiederum seine Familie, bei der er untergekommen ist, überhaupt nicht nachvollziehen. Vor allem sein Schwager Willi (Udo Thomer) und sein Neffe Ludwig (Stephan Reichel) sticheln ohne Unterlass …

Goslar brauchte genau zwei Folgen, um sich mit seinem ersten Meisterwerk einen Platz in den DERRICK-Annalen zu sichern. „Lohmanns innerer Frieden“ wirkt wie eine Variation auf „Der Untermieter“, was nicht die schlechteste Ausgangsbasis ist, hat ein tolles Thema, in Martin Benrath einen exzellenten Hauptdarsteller, ein paar schicke, wunderbar zeitgenössische Inszenierungseinfälle und dazu ein ordentlich reinknallendes, perfides Ende. Zugegeben, Reinecker übertreibt es in dem Bemühen, den vermeintlich „Normalen“ ein schlechtes Zeugnis auszustellen, hier ein wenig: Dass Lohmanns Verwandte ihn förmlich zur Rache anstacheln, wirkt genauso übertrieben wie die Szene, in der der empfindsame Ex-Knacki durch einen Besuch in der Spielhalle und die dort auf ihn einprasselnden Pixelgrafiken desensibilisiert wird. Aber irgendwie ist das auch wieder egal, denn a) ist Udo Thomer einfach super als sensationsgeiles, schadenfrohes und missgünstiges Teufelchen auf Lohmanns Schulter und b) kommen schnell geschnittene Videospiel-Montagesequenzen aus jenen Tagen einfach immer gut. Und dann ist da ja noch dieses Ende …

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Episode 106: Attentat auf Derrick (Zbynek Brynych, 1983)

Auf Derrick wird ein Mordanschlag verübt. Während der Oberinspektor im Krankenhaus liegt, beginnt Harry seine Ermittlungen: Er vermutet die inhaftierte Unterweltgröße Korda hinter dem Mordversuch und zieht den Ex-Polizisten und V-Mann Jacobsen (Karl Renar) hinzu. Der schlägt Harry wiederum vor, sich an Michael (Till Topf), den ahnungslosen Sohn Kordas, zu wenden, um sein Vertrauen zu gewinnen. Harry macht sich als Anwalt an den Jungen ran, der sich von dem vermeintlichen Juristen Informationen über seinen Vater erhofft …

Geile Episode, in der Reinecker’scher Moralismus, Brynych’sche Wildheit und die in den frühen Achtzigern wie aus der Zeit gefallen annmutende Melodramatik der Serie zusammen einen kräftig-sämigen Eintopf ergeben. Die Szenen mit Harry am Krankenbett des bewusstlosen Derrick sprühen wieder vor unterschwelliger Homoerotik: Es ist auffällig, dass die immer dann in den Vordergrund tritt, wenn das Drehbuch dem Assistenten den Vortritt lässt. Auch nach über 100 Episoden ist Harry über den Status des Hiwis nicht hinaus: Ganz schön bitter, wenn man bedenkt, dass er Kommissar Keller einst verließ, um den nächsten Karriereschritt zu machen. Aber auch rätselhaft, dass Wepper davon nie genug zu bekommen schien. Möglicherweise konnte er sich andere Rollen nach 15 Jahren Assistententum nicht gerade aussuchen, aber dass sich seine Funktion bei DERRICK eigentlich darauf beschränkt, den Oberinspektor im direkten Vergleich besser aussehen zu lassen, kann schauspielerisch nicht besonders befriedigend gewesen sein.

Doch zurück zum Thema: Das Zusammenspiel zwischen Harry und Jacobsen hat durchaus etwas vom US-Großstadtkrimi (Harry trägt einmal einen grünen Armeeparka und eine schwarze Strickmütze und sieht damit aus, wie der Schwager vom Exterminator), auch wenn das mafiöse Empire von diesem Korda, dessen Keimzelle ein ultraschäbiger Nachtclub ist, in dem ein vogelscheuchenartiger DJ seinen Job als Mischung aus Ausdruckstanz und Kirmesanimation interpretiert, dann doch eher provinziell und unambitioniert anmutet. Es gibt am Schluss eine schier unglaubliche, gewissermaßen an das platonische Höhlengleichnis angelehnte Montagesequenz, die die Eindrücke zusammenfasst, die auf den armen Michael einprasseln und ihm zeigen, wer sein Vater wirklich war: eine Collage von blinkenden Neonlichtern, blitzenden Spielhallen, bestrumpften Beinen in High-Heels, die auf regennassem Kopfsteinpflaster auf und ab gehen, krass geschminkten Nuttengesichtern und halbseidenden Proleten vor glänzenden Luxusautos. Das Ganze endet, natürlich, mit dem Close-up auf den schreienden Michael, den Harry nach der Tour durchs Münchener Nachtleben erst einmal auf einen Absacker in eine Pinte mitgenommen hat: Das nennt man Fürsorge.

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Episode 107: Die Schrecken der Nacht (Zbynek Brynych, 1983)

In Giesing geht ein Serienmörder um, der nachts dunkelhaarige Mädchen erwürgt. Während Derrick sich in Reha befindet, tut sich Harry mit dem Giesinger Polizeiveteranen Ludewig (Dirk Dautzenberg) zusammen. Die Ermittlungen führen sie ins „Blaueck“, die Pinte von Bandener (Michael Toost), wo das letzte Opfer sich kurz vor seinem Tod aufgehalten hatte. Als alle Versuche, den Täter aufzuspüren, nicht fruchten, setzt Harry die Kollegin Carla Meissner (Monika Baumgartner) als Lockvogel ein …

Eine Serienmörderfolge, die wie der Vorgänger Vergleiche mit US-Vorbildern herausfordert und Harry einen Partner zur Seite stellt, ohne den er scheinbar keinen Fall lösen kann. Ist der liebenswerte, manchmal etwas naive Harry in der Zusammenarbeit mit Derrick lustigerweise der spießigere der beiden, wird er hier vom Traditionalisten Ludewig auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, als er modernen Schnickschnack wie Monitor, Überwachungskameras und Richtmikrofone anschleppt, aber am Ende fast den Tod seines Lockvogels verschuldet. Dieses Ende ist der einzige Wermutstropfen in einer ansonsten sehr stimmungsvollen Episode: DERRICK ließ pfundige Actionszenen fast immer vermissen, auch wenn sie manchmal den letzten Kick gegeben hätten, und Brynych ist erstaunlicherweise einer derjenigen, die in dieser Hinsicht regelmäßig versagen. Das Finale mutet in seiner Hölzernheit eher unfreiwillig komisch statt spannend oder gar erschreckend an, kann den positiven Gesamteindruck aber zum Glück nicht schmälern. Mit Thomas Asam und Volker Eckstein spielen zwei Dauerbrenner mit.

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Episode 108: Dr. Römer und der Mann des Jahres (Theodor Grädler, 1983)

Ein Wissenschaftler wird in seinem abgesicherten Labor erschossen. Zeugen erklären, dass der Mann, den sie kurz zuvor in das Gebäude hatten gehen sehen, der ehemalige Mitarbeiter Dr. Römer (Erich Hallhuber) war, der drei Monate zuvor in der Nervenheilanstalt von Prof. Rotheim (Ernst Schröder) verstorben ist. Bei seinen Ermittlungen findet Derrick heraus, dass Römers Arbeitgeber an der Herstellung künstlicher Intelligenz arbeitet und Römer – wie auch sein Arzt Rotheim – der Meinung waren, die Erfindung stürze die Menschheit in den Untergang …

Theodor Grädler ist für mich ja der heimliche Held von DERRICK. Haugk, Brynych oder auch Vohrer mögen die größeren Einzelepisoden hervorgebracht haben, aber Grädler ist wohl derjenige, der den Ton der Serie nicht nur am verlässlichsten trifft, sondern ihn durch bloße Beharrlichkeit und Beständigkeit auch ganz entschieden geprägt hat. „Dr. Römer und der Mann des Jahres“ ist ein gutes Beispiel. Die Episode ist ein bisschen tranig, konzeptschwer und sperrig, dabei aber immer auch wieder seltsam trashig und pulpig: Der Computerraum, in dem der initiale Mord verübt wird, würde jedem Jess-Franco- oder David-DeCoteau-Film zur Ehre gereichen. Und das Ende knallt einem mit seinem Retrofuturismus, der philosophischen Message und den programmatisch stummen Credits voll in die Fresse. DERRICK ist unverkennbar ein Kind der plüschig-muffigen Siebziger, reckt sich von seinem grünbraunen Ohrensessel immer wieder ambitioniert nach den unerreichbaren Klassikern der linken Kulturrezeption, nur um auf halbem Weg an der Gesamtausgabe von Heinrich Böll hängenzubleiben, nachdem es sich am Hirschgeweih den Kopf gestoßen hat. Dass ungefähr zur selben Zeit, ein paar Tausend Kilometer weiter westlich, eine Serie wie MIAMI VICE entstand, kann man kaum glauben, wenn man sich das hier zu Gemüte führt. Grädlers „Dr. Römer und der Mann des Jahres“ wirkt wie aus einer anderen Galaxie. (Schon allein der Titel!) Toll.

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Episode 109: Das Mädchen in Jeans (Theodor Grädler, 1984)

Alwin Hauff wird in seiner Wohnung vergiftet aufgefunden. Offensichtlich hatte jemand ein paar präparierte Pralinen in seiner Wohnung hinterlassen, die den Aussagen von Nachbar Martin (Otto Bolesch) zufolge immer offenstand. Als sich herausstellt, dass Alwins Schwester und Mitbewohnerin Rita (Anja Jaenicke) ein Verhältnis mit dem viele Jahre älteren, beruflich erfolgreichen und gesellschaftlich hoch gestellten Wissenschaftler Prof. Joachim von Haidersfeld (Herbert Fleischmann) hatte, vermutet er, dass die Pralinen nicht für den Bruder gedacht waren …

Die Besetzung von Anja Jaenicke in der Rolle Ritas darf man wohl „kongenial“ nennen: Es tut mir schrecklich leid für die Schauspielerin, aber ich kann ihre Fresse einfach nicht ertragen. Schon damals bei DIESE DROMBUSCHS ging sie mir als „Yvonnche“ massiv auf die Nerven mit ihrer ständig Bocklosigkeit zum Ausdruck bringenden Visage. Die Verachtung, die sie vonseiten der Frauen um den Professor – seiner Gattin (Elisabeth Müller), seiner Mutter (Alice Treff) und seiner Haushälterin (Anaid Iplicjian) – auf sich zieht, kann ich demnach nur zu gut nachvollziehen. Die Beziehung zwischen ihr und Fleischmann wirkt einfach lächerlich. Aber das ist wohl auch der Sinn der Sache: Man soll das nicht verstehen, lediglich die Tatsache akzeptieren, dass so etwas passieren kann. Und versuchen, die Sehnsucht nachzuvollziehen, die ein Mann des Geistes und der Hochkultur nach einem Menschen entwickelt, der mit viel basaleren Bedürfnissen beschäftigt, weniger in gesellschaftliche Zwänge und überkandidelte Bräuche involviert ist. Bei der Zeichnung des Haiderfeld’schen Haushalts ist Reinecker voll in seinem Element, lässt Alice Treff über „das, was man heute so Musik nennt“ geifern und die hüftsteifen Würdenträger zu einem im heimischen Salon veranstalteten Streicherkonzert auflaufen. Wie sich die feinen Herrschaften da anmaßen, über einfache Leute zu urteilen, lässt einem den Kopf schon rot anlaufen, aber ein bisschen mehr Geschmack hätte der Haiderfeld durchaus an den Tag legen dürfen.

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Episode 110: Die Verführung (Helmuth Ashley, 1984)

Der Schüler Erich Wobeck (Hans-Jürgen Schatz) macht die Bekanntschaft von Knut (Helmut Dauner), der den jungen Mann in seine Clique einführt. Man weiß früh, dass sie einen bösen Plan verfolgen und so kommt es dann auch: Willi (Werner Stocker) überredet Erich, ihm bei einem Einbruch zu helfen. Erich willigt ein, nur um wenig später als Einbrecher und Mörder verhaftet zu werden. Sein Vater (Gert Günther Hoffmann), selbst Polizist, ist entsetzt – und bittet Derrick um Hilfe. Der muss aber zur Kenntnis nehmen, das zwei Männer Willi ein Alibi für die Tatzeit geben. Einer von ihnen ist Karl Georg Zander (Karl Obermayr), den Wobeck vor Jahren ins Gefängnis gebracht hatte …

Die Folge von Ashley kehrt strukturell in die Anfangszeiten der Serie zurück, was bedeutet, dass es ziemlich lang dauert, bis Derrick auftritt. Bis dahin folgt der Zuschauer dem naiven Erich, der keine Freunde hat und auf die Zuwendung vom coolen Knut und seinen noch cooleren Kumpels entsprechend anspringt. Hans-Jürgen Schatz, der wenig später als Karteikarten pflegender Kollege Fabers in DER FAHNDER bekannt werden sollte, ist auch ohne Brille die Idealbesetzung für den blässlich-uncoolen Typen, der auf die Manipulationen der Übeltäter gnadenlos hereinfällt. Besonders schön an dem Anfangsdrittel sind die Nachtszenen in München, vor allem eine Motorradfahrt durch die beleuchteten Straßen hat mir gut gefallen. Der anschließende Fall ist dann weniger knifflig, als es zunächst den Anschein hat, weil Derrick auf den ersten Blick sieht, dass Erich weder ein Einbrecher noch ein Mörder ist. Dass es trotzdem nicht langweilig wird, liegt vor allem an Karl Obermayr, dessen Zander einer jener Schurken ist, die man mit Begeisterung hassen kann. Seine ätzende Schadenfreude, die Herablassung für Wobeck und die Arroganz, mit der er seinen vorübergehenden Triumph auskostet wird durch seinen zumindest für Preußen wie mich unerträglichen Dialekt noch gehörig verstärkt. Was für ein Arschloch!

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Episode 111: Manuels Pflegerin (Helmuth Ashley, 1984)

Der München-Reisende Dr. Masilke (Alf Pankarter) wird in seinem Hotel erschossen. Sein Freund, der Bauunternehmer Dr. Wolfgang Rohm (Herbert Fleischmann), steht vor einem Rätsel, hatte sich Masilke doch schon vor Jahren aus allen Geschäften zurückgezogen, nachdem er sich wegen der Industriespionage seiner damaligen Sekretärin verantworten musste. Zeitgleich bändelt Rohms jüngerer, querschnittsgelähmter Bruder Manuel (Sascha Hehn) mit seiner neuen Pflegerin Ingrid (Susanne Uhlen) an …

Ach, herrje. Ich habe ja durchaus ein Faible für den Schmierschmalz, der in DERRICK mitunter zelebriert wird. Wenn Hehns Manuel seine Ingrid in der schwerfälligen Reinecker’schen Prosa anschmachtet und dazu tiefmelancholische Klaviermusik ertönt, übt das durchaus einen gewissen perversen Reiz auf mich aus, aber Ashley versäumt es mit „Manuels Pflegerin“ leider, den passenden Kontrapunkt zu solch fragwürdiger Romantik zu finden. Dass der ganze Kriminalfall irgendwie holprig konstruiert und insgesamt unglaubwürdig ist, hilft auch nicht gerade.

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Episode 112: Drei atemlose Tage (Alfred Vohrer, 1984)

Die beiden arbeitslosen Kumpel Harald (Ekkehardt Belle) und Karl (Stefan Flemming) vertreiben sich ihre Tage mit postpubertärem Gehabe, das die Grenzen dessen, was man Sympathieträgern noch nachsieht, auch schon einmal überschreitet. Als sie ein Auto klauen, in dessen Kofferraum sich Heroin befindet, will Karl es zurückgeben. Doch von dem Treffen mit den Verbrechern kommt er nicht mehr zurück. Harald verschweigt gegenüber Derrick, was er weiß, denn er will den mutmaßlichen Täter Jablonski (Sky DuMont) selbst zur Strecke bringen.

Ekkehardt Belle hat sich endlich einen menschenwürdigen Haarschnitt zugelegt. Die geradezu väterliche Zuneigung, die ihm Derrick entgegenbringt, macht die Folge sehr warm und menschlich, auch wenn Harald und Karl diese Sympathie aus heutiger Sicht nicht unbedingt rechtfertigen. Beide sind zwar keine schlechten Menschen, aber ihr Halbstarkengetue und das, was sie als „Dampfablassen“ bezeichnen, würde heute sicherlich auf nicht mehr ganz so viel Nachsicht und Verständnis stoßen. Trotzdem: Die Szenen, in denen sich Derrick das Vertrauen des jungen Mannes förmlich erkämpft, sind sehr schön, und wenn er Harald am Ende in letzter Sekunde noch vor den Schurken retten kann, zugibt, sich Sorgen um ihn gemacht zu haben, offenbaren sich ganz neue Seiten an Derrick. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er Harald anschließend adoptiert hätte. Ute Willing ist auch wieder dabei und sieht erneut fantastisch aus, Sky DuMont ist hingegen mal wieder ein bisschen verschenkt – sieht aber auch fantastisch aus.

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Episode 113: Tödlicher Ausweg (Alfred Vohrer, 1984)

Sehr zum Missfallen seiner Familie – Gattin Antonia (Reinhild Solf) und Sohn Rudolf (Pierre Franckh) – will Günter Hauser (Udo Vioff) die viele Jahre jüngere Hanna (Olivia Pascal) heiraten. Doch dann wird das Mädchen ermordet und der wie gelähmte Hauser kehrt zu seiner Familie zurück. Der Mordverdacht fällt zunächst auf den exaltierten Rudolf, einen Kindergärtner, der sehr genaue Vorstellungen davon hat, was richtig und falsch ist …

Olivia Pascal ist leider schon tot, bevor sie einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen kann. Immerhin gibt es eine Aerobicszene mit ihr. Ansonsten gehört diese Folge ganz Pierre Franck, dem DERRICK-Veteran. Ein bisschen unheimlich ist er ja immer, aber hier wird das ihm inhärente Psychopotenzial erstmals voll ausgeschöpft. Wenn er da über die Erziehung von Kindergartenkindern schwadroniert, seinen Beruf offensichtlich nicht nur mit großer Inbrunst ausübt, sondern eine echte Lebensphilosophie darauf aufbaut, sieht man schon den kommenden Serienmörder vor sich. Natürlich ist er dann doch nicht der Täter. Die Episode bietet nicht allzu viele Überraschungen, aber diese Folgen, in denen sich der ganz normale Horror in den vermeintlich vornehmen Familien entbirgt, zählen mit zu meinen liebsten. Das ist eine davon.

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Episode 114: Keine schöne Fahrt nach Rom (Alfred Weidenmann, 1984)

Martin Maurus (Thomas Schücke) will gemeinsam mit seiner Freundin Sabine (Beate Finckh) per Anhalter nach Rom fahren. Sie endet allein in einem Lkw, Martin versucht ihn mithilfe eines vorbeikommenden Autofahrers Henschel (Heinz Reincke) zu stoppen, doch der Mann bekommt kalte Füße und wirft den jungen Mann raus. Wenig später findet man die Leiche von Sabine, der Lkw, in dem sie mitfuhr, stellt sich als gestohlen heraus. Derrick glaubt, dass der Mann, der Martin mitnahm, möglicherweise mit den Lkw-Dieben unter einer Decke gesteckt haben könnte.

Hier bekommt Thomas Schücke, der schon ein paarmal mit von der Partie war, viel Raum. Und wie er da vor sich hin brütet, man lange Zeit nicht so genau weiß, was er eigentlich im Schilde führt, prägt die Folge von Weidenmann, der es leider gegen Ende ein bisschen versäumt, noch eine Schippe draufzulegen. Aber das ist ja auch nichts Neues bei DERRICK: So ’nen richtig geilen Showdown hatte die Serie bisher noch nicht in petto. Aber gut, Heinz Reincke mal als Bösewicht und Ulli Kinalzik als Mörder mit den Jeans in den Cowboystiefeln hat ja auch was.

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Episode 115: Ein Spiel mit dem Tod (Theodor Grädler, 1984)

Der alternde Safeknacker Kussloff (Horst Wessely) wird beim Einbruch in das Haus des Unternehmers Hossner vom Alarm überrascht, kann aber noch fliehen. Den Schreck erlebt er am nächsten Morgen, als er in der Zeitung lesen muss, dass er wegen Mordes gesucht wird: Der Hausbesitzer wurde tot vor dem offenen Safe gefunden. Für Derrick stimmt etwas nicht an der Geschichte, die ihm Hossners Gattin Agnes (Kristina Nel), sein Bruder Ulrich (Wolf Roth) und sein Angestellter Muschmann (Edwin Noel) erzählen. Dass ihn Kussloffs Tochter Lena (Verena Peter) aufsucht und die Unschuld ihres Vaters beteuert, der auf einen Tipp hin in Hossners Haus einstieg, passt da gut ins Bild …

Gute Durchschnittsepisode, die meines Erachtens besser geworden wäre, wenn Wessely als alter Gewohnheitsverbrecher, der keine Hoffnung auf ein normales Leben sieht, noch länger hätte mitmachen dürfen. Die Hossners sind wieder eine dieser durch und durch verkommenen Unternehmerfamilien, in denen jeder zu allem fähig scheint, aber alle es perfekt verstehen, nach außen den schönen Schein zu wahren. Wolf Roth trägt Halstücher unter dem Hemd und hat einen mondänen Gehstock, weil er eine Beinprothese trägt.

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Episode 116: Ein Mörder zu wenig (Alfred Vohrer, 1984)

Walter Kramer (Wolfgang Wahl) fordert seinen Arbeitskollegen Alois Bracht (Dirk Dautzenberg) dazu auf, einen Lottoschein auszufüllen. Die Freude bei Bracht ist grenzenlos, als er feststellt, tatsächlich sechs Richtige getippt zu haben. Doch Kramer, der den Schein unter seinem Namen eingereicht hat, denkt gar nicht daran, den Freund zu beteiligen. Ist seine folgende Ermordung die Strafe für den Betrug? Oder hat doch Kramers scheidungswillige Gattin (Karin Baal) etwas damit zu tun?

Die Folge gefällt, weil die Ausgangssituation wirklich schmerzhaft gemein ist: Dautzenberg ist genau der richtige Typ, um ihm einen Millionengewinn auf diese Art und Weise vorzuenthalten. Die Folge ist lange Zeit spannend, weil es wirklich gelingt, mehrere Figuren verdächtig erscheinen zu lassen. Karin Baal, Dautzenberg und der ewige Loser Volker Eckstein: Jedem traut man den Mord zu. Dass dann doch noch ein anderer Täter aus dem Hut gezaubert wird, ist eigentlich schon ein bisschen zu viel des Guten.

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Episode 117: Angriff aus dem Dunkel (Jürgen Goslar, 1984)

Nach einer Reihe mysteriöser Anrufe trifft der Mordanschlag nicht Ute Reiners (Birgit Doll), sondern deren Freundin. Die junge, elterlose Frau ist völlig fassungslos: Wer könnte ihr etwas antun wollen? Ein Telegramm, mit dem sie aufgefordert wird, einen ihr völlig unbekannten sterbenden Mann im Krankenhaus zu besuchen, macht die Sache nur noch rätselhafter …

Gute Folge, die lange im Dunkeln lässt, worin die Verbindung zwischen der jungen Frau und dem Mann im Krankenhaus eigentlich besteht. Als das dann offengelegt wird, wird’s ein bisschen herkömmlich, aber es reicht immer noch für eine überdurchschnittliche Episode.

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Episode 118: Ende einer Sehnsucht (Michael Braun, 1984)

In einem Hotelzimmer wird ein junger Mann tot von einem von Derricks Kollegen Merck (Robert Kappen) aufgefunden. Bei dem Toten handelt es sich um einen ehemaligen Freund von Mercks Tochter Irene (Marion Martienzen). Die beiden waren unzertrennlich, zusammen auf der Suche nach spiritueller Erfüllung um die Welt gereist und hatten dabei wohl auch mit Drogen experimentiert …

Die Sichtung dieser Folge liegt mittlerweile Monate zurück und ich kann mich nur noch sehr dunkel an sie erinnern. Herausragend ist in jedem Fall der Auftritt eines Gitarristen, der aussieht, als sei er in eine Kiste mit den schlimmsten Klamotten der Achtziger gefallen.

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Episode 119: Gangster haben andere Spielregeln (Alfred Vohrer, 1984)

Ein Student (Jan Niklas) lässt sich von einem ehemaligen Arbeitskollegen, dem wankelmütigen Dr. Blunk (Klausjürgen Wussow), zu einem Einbruch in die Wohnung von Dr. Balthaus (Hans Korte) überreden, um dort wertvolle Unterlagen zu stehlen. Erst wird er von Balthaus‘ Gattin Ruth (Evelyn Opela) erwischt, wenig später ist er tot …

In Erinnerung geblieben ist mir Wussow, der sich als Blunk beim Besuch von Derrick erst mal ganz unverdächtig einen steifen Drink eingießt. Derricks Frage, ob Blunk Alkoholiker sei, ist angesichts der Anzahl von Cognacs, Whiskeys und Weißbieren, die der Oberinspektor in den zehn Jahren seiner Fernsehtätigkeit im Dienst verköstigt hat, ziemlich unverschämt und lässt Blunk dann auch prompt aus der Haut fahren: Da steht jemand gehörig unter Stress. Schön ist auch die dysfunktionale Ehe zwischen Balthaus und seiner Frau: Als sie ihm den Scheidungswunsch serviert, mahnt er sie dazu, noch einmal gut darüber nachzudenken, was sie alles verlieren werde. Dann dreht er sich um und verlässt den Raum.

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Episode 120: Das seltsame Leben des Herrn Richter (Theodor Grädler, 1984)

Der Versicherungsvertreter Richter (Klaus Behrendt) wird während eines Treffens mit seinem Sohn (Edwin Noel) im Park von einem Unbekannten erschossen. Es stellt sich heraus, dass der brave Richter ein Doppelleben in Saus und Braus führte: Er verdiente sich etwas zu seinem kargen Gehalt, indem er einen Einbrecherring über die versicherten Vermögen informierte …

Interessante Episode, weil die Idee des Doppellebens mal was Neues ist und Jürgen Behrendt der richtige Darsteller dafür: Er ist genau der Typ Biedermann, dem man so etwas nie zutrauen würde und der genau deshalb damit Erfolg hat. Klaus Höhne und Peter Bertram sind die Schurken.

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Episode 121: Der Klassenbeste (Theodor Grädler, 1984)

Wolfgang Anders (Ralf Schermuly) verursacht auf dem Heimweg von seinem Klassentreffen einen Unfall mit Todesfolge. Zwei Anhalterinnen (Helga Anders & Anne Bennent) helfen ihm, die Spuren zu tilgen und überreden ihn zur Fahrerflucht: Später erpressen sie ihn und nisten sich bei ihm in der Wohnung ein …

Sehr stressige Folge, weil man dem braven Anders ständig zurufen möchte, dass er sich doch gegen das böse Spiel der beiden Mädels – zu denen auch noch die passenden Typen aus dem Milieu gehören – wehren möge. Aber er ist natürlich viel zu schwach, um sich durchzusetzen. Der schlimmste Moment ist sicher der, als er seiner Verlobten verzweifelt versucht zu erklären, warum da zwei halbnackte Frauen in seiner Wohnung hausen.

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Episode 122: Stellen Sie sich vor, man hat Dr. Prestel erschossen (Zbynek Brynych, 1984)

Der Staatsanwalt Prestel (Peer Augustinski) wird vor seiner Wohnung aus einem Auto erschossen. Er war in Begleitung von Dora Kolberg (Ursula Lingen), der Ehefrau des gehbehinderten Verlegers Alexander Kolberg (Armin Müller-Stahl). Der Anwalt hatte auch im Fall Kolbergs die Verhandlungen geführt und ihm darüber die Frau ausgespannt. Ein Motiv gibt es, aber Kolberg ist unfähig ein Fahrzeug zu führen …

Diese Folge habe ich unter denkbar ungünstigen Umständen in mehreren Etappen gesehen und kann deswegen kein verlässliches Urteil abgeben. Richtig umgehauen hat sie mich nicht, aber vielleicht ändert sich das bei einer zweiten Sichtung.

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Episode 123: Der Mann aus Antibes (Jürgen Goslar, 1984)

Eine junge Frau (Irina Wanka) wird erstochen. Die Spur führt zu ihrem Geliebten Limbach (Sky DuMont), einem schmierigen Filou, der die Frauen wechselt wie andere die Unterwäsche und keinerlei Mitgefühl angesichts der Todesnachricht zeigt. Wenig später taucht mit Bondeck (Christian Kohlund) ein zweiter Ex-Geliebter der Toten auf: Er ist der festen Überzeugung, dass Limbach der Mörder ist und will Derrick helfen, ihn dingfest zu machen.

Sky DuMont ist alles in dieser Folge: Limbachs Wohnung ein Albtraum neureicher Geschmacksverirrung, er selbst das Paradebeispiel eines selbstverliebten Lackaffen. Bondeck ist demgegenüber der Kumpeltyp in Turnschuhen, ein echter Mann, der im Einklang mit seinen Gefühlen ist und deshalb natürlich die Sympathien auf seiner Seite hat. Man ahnt allein aufgrund dieser Konstellation, dass Limbach nicht der Mörder sein kann, aber die Episode ist trotzdem ganz gut.

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Episode 124: Gregs Trompete (Jürgen Goslar, 1984)

Der Musikstudent Joachim Lutze (Ekkehardt Belle) kommt an einem Unfallort vorbei und nimmt das Opfer, eine junge Frau, mit ins Krankenhaus. Sie überantwortet ihm eine Tasche und bittet ihn, diese bei einem Herrn Berkhahn (Karl Renar) abzugeben, was Lutze auch tut. Als er das Unfallopfer, das er im Nachhinein als die Musikerin Susanne Loon identifiziert, im Krankenhaus besuchen will, erfährt er von Oberinspektor Derrick, das sie tot ist. Offensichtlich war Loon in Drogengeschäfte involviert …

Wie immer, wenn sich Drehbuchautor Reinecker mit Popmusik auseinandersetzt, wird es seltsam. Susanne Loon soll wohl eine Art Popstar sein, aber die Musik, die man von ihr hört, ist dann eher was für angegraute Musikexpress-Leser. Auf einem Plattencover, das in die Kamera gehalten wird, steht außerdem groß drauf, dass „Greg Norman“ die Trompete spielt, als könne man mit einem solchen Hinweis anno 1984 die Kids ködern. Naja. Pierre Franckh taucht auch wieder mal auf, genauso wie Wolfgang Müller, beide als Muckerkumpels besagten Gregs (Dieter Schidor), der als Heroinsüchtiger nichts anderes tut, als schwitzend in der Ecke einer gammeligen Bude zu sitzen. Der Schurke ist Sieghardt Rupp und die ganze Folge kommt trotz netter Einfälle nicht über Durchschnitt hinaus.

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Episode 125: Raskos Kinder (Theodor Grädler, 1984)

Michael (Volker Eckstein) und Anja Rasko (Anja Jaenicke) überreden den Kriminellen Alwin Docker (Peter Kuiper) zu einem Überfall auf einen Geldboten. Das pikante Detail: Der Geldbote ist ihr Vater (Peter Ehrlich), der dann auch prompt sein Leben lässt, als er sich gegen Docker zur Wehr setzt. Wenig später ist auch Docker tot, erschossen in seinem Motel, dass er zusammen mit seiner Geliebten Evelyn (Lisa Kreuzer) und dem Portier Kurt (Andreas Seyferth) führt …

Peter Ehrlich, die deutsche Antwort auf Ed Lauter, ist für mich das Highlight dieser schönen Folge. Wie er seinen beiden aus der Art geschlagenen Kindern versucht gut zuzureden, dass sie etwas machen sollen aus ihrem Leben, anstatt darauf zu hoffen, dass ihnen das große Geld in den Schoß fällt, ist sehr schön, genauso wie seine Unfähigkeit, ihnen ihre Faulheit wirklich übel zu nehmen. Peter Kuiper, sonst immer der Gewaltverbrecher, mit dem man sich bloß nicht anlegen sollte, darf hier einmal Schwäche zeigen: Sehr toll, wie ihn plötzlich die Angst überkommt, dass die beiden Amateure, mit denen er sich da eingelassen hat, ihn verpfeifen könnten. Und Eckstein und Jaenicke sind natürlich auch perfekt als verwöhnte, naive, letztlich furchtbar rückgratlose Jammerlappen.

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Episode 126: Toter Goldfisch (Zbynek Brynych, 1984)

Roland Marks (Hans Georg Panczak) und sein Geliebter Andreas Hessler (Gerd Böckmann) leisten sich ihren Lebensstil, indem ersterer sich auf die Annoncen älterer, wohlhabender Frauen meldet und diese dann nach Strich und Faden ausnimmt. Sein letztes Opfer hat sich daraufhin umgebracht, ein Umstand, der den mit Selbstmorden betrauten Lapper (Robert Naegele) zu Derrick führt, dem der weinerliche, lappenhafte Kollege zuwider ist. Marks hat indessen das nächste Opfer ins Auge gefasst: Julia Stettner (Elisabeth Wiedermann), die dem Charme des Studenten nach anfänglicher Skepsis und trotz Intervention ihres Sohnes Ingo (Thomas Astan) erliegt. Als Marks sie eines Abends in seine Wohnung bringt, liegt sein Freund Andreas tot auf dem Boden: Er ist durch die Tür erschossen worden …

Mal wieder ein echtes Meisterwerk von Brynych. „Toter Goldfisch“ hat alles, was eine DERRICK-Episode braucht: einen ultrakitschigen Titelsong von Frank Duvall, einige sehr bizarre Szenen sowie Darsteller, die am Rande des Nervenzusammenbruchs agieren. Panczak verbringt die letzten zehn Minuten im Zustand tränengeschüttelter Auflösung, Naegele entlockt mit seiner psychotisch-schlappschwänzigen Art einen Ausdruck des Ekels und des Widerwillens auf Derricks Gesicht, der absolut einmalig ist. Außerdem toll: Wie sich Derrick in der Kantine Maggi auf seine Semmel träufelt.

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falleEpisode 091: Eine Falle für Derrick (Theodor Grädler, 1982)

Derrick ermittelt gegen dem Mörder Ludenke (Hans Georg Panczak), Sohn einer Münchener Unterweltgröße (Traugott Buhre). Ein anonymer Informant will ihm wichtige Hinweise geben und lockt Derrick in einen entlegenen Gasthof, wo der Oberinspektor jedoch vergeblich wartet. Am nächsten Morgen die Hiobsbotschaft: In der Nähe des Gasthofes wurde ein Fahrradfahrer totgefahren. Mit Derricks Wagen …

Derrick in Schwierigkeiten! Wer hätte das gedacht? Dass der obersouveräne Oberinspektor hier einmal selbst um seine Existenz bangen muss, ist ein schöner Bruch im Fluss der Serie, und geht nicht ohne Spuren an ihm vorbei. Wenn er dem Journalisten (Tommi Piper), der ihm gesteht, ihn immer für arrogant gehalten zu haben, entgegnet, er wisse, dass er auf manche Menschen so wirke, ist das auch ein Kommentar auf kritische Stimmen, die mit Tapperts Polizisten nie so richtig warm wurden. Dass mancher Derrick allzu gern einmal zittern sehen wollte, scheint Reinecker ganz genau zu wissen. Es ist geradezu eine Triebfeder der Episode. In Cornelia Froboess, die auch immer irgendwie unfreundlich und herablassend rüberkommt (spielt die das wirklich nur?), findet der Oberinspektor dann ja auch eine geradezu kongeniale Verbündete. In einem daumendick aufgetragenen Dialog schwingt sich Derrick anlässlich des mit äußerster Grausamkeit verübten Mordes, dem man ihm da in die Schuhe zu schieben gedenkt, zu der etwas absurden Aussage hoch, die Menschheit habe nichts begriffen, aber da ist dem Reinecker gewiss wieder nur der Theologe durchgegangen. Er macht es damit wett, in einer Discoszene „Girls on Film“ von Duran Duran laufen zu lassen.

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bennentEpisode 092: Nachts in einem fremden Haus (Helmuth Ashley, 1982)

Auf der Suche nach Hilfe bei einer Reifenpanne betritt das Ehepaar Stettner (Stefan Behrens und Susanne Beck) ein offen stehendes Haus, das vollkommen leer zu sein scheint – bis auf einen Toten. Als die beiden wenig später mit Derrick und Klein im Schlepptau dort auftauchen, ist die Leiche jedoch spurlos verschwunden und auch sonst deutet nichts auf ein Verbrechen hin. Das Haus gehört dem berühmten Chemiker Dr. Stoll (Heinz Bennent), der gerade dabei ist, sein Labor nach einer großen Entdeckung aufzulösen …

Heinz Bennent! Er ist ein Großereignis in dieser Folge, der er – durchaus ein Kunststück – einigen Humor abringt. Alles was er anfasse, verwandele sich in Gänseleberpastete sagt er einmal ohne jede falsche Bescheidenheit, ein andermal bezeichnet er sich als „As“. Und er hat sichtbar Spaß an dieser Rolle, die es ihm ermöglicht, so über die Stränge zu schlagen, ohne dabei jemals wirklich überzogen zu wirken. Sein Dr. Stoll ist so ein angeschwulter Exzentriker, der mit Derricks graubrauner Nüchternheit nur wenig anfangen kann. Seine Fassungslosigkeit, als Derrick den ihm angepriesenen Wein nur „sehr gut“ findet, ist alles. Mein Favorit ist aber seine Reaktion auf Derricks Feststellung, dass der verschwundene Tote spätestens dann wieder ein Thema werde, wenn man irgendwo festelle, dass ein Mensch fehle: So viel Logik hat er einfach nichts entgegenzusetzen, das muss er einfach anerkennen. Super!

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Episode 093: Die Fahrt nach Lindau (Alfred Vohrer, 1982)

Der „Finanzzauberer“ Martin Gericke (Klausjürgen Wussow) hat einen Geschäftstermin mit einigen ominösen Schweizer Partnern in Lindau und macht sich auf den Weg, obwohl er eine sehr konkrete Morddrohung erhalten hat. Es kommt wie es kommen muss: Er verunglückt auf der Fahrt und verbrennt im Wrack seines Wagens. Die Obduktion bringt die wahre Todesursache ans Licht: Er wurde am Steuer seines Fahrzeugs erschossen. Die Frage, die sich Derrick und Harry, aber auch Gerickes Gattin (Lotte Ledl) und sein Sohn (Ekkehardt Belle) zu stellen haben: Wer hatte ein Interesse am Tod des Mannes und warum? Was sie nicht ahnen: Gericke erfreut sich bester Gesundheit …

Eine Episode ohne echte Eigenschaften: Läuft gut rein, belastet nicht, ist gefällig, hinterlässt aber auch keine bleibenden Spuren. Klausjürgen Wussow ist wie immer eine Bank, diese jovialen Typen, hinter deren weltmännischem Gewinnerlächeln sich das vielzahnige Grinsen eines Wolfs verbirgt, der dann ganz unerwartet hervorbricht, spielt keiner mit derselben onkeligen Intensität wie er. Das heißt aber auch, dass „Die Fahrt nach Lindau“ in der Zeit, in der er von der Bildfläche verschwindet, Klasse vermissen lässt. Ekkehardt Belle hat eine Superstimme (die ihn zu einem vielbeschäftigten Synchronsprecher macht), aber die Kombination aus Milchbubigesicht und ausgewachsenem Dreidollarhaarschnitt törnt eher ab.

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derrickEpisode 094: Ein Fall für Harry (Zbynek Brynych, 1982)

Derrick fährt in Urlaub und überlässt die Arbeit seinem Kollegen. Der bekommt es gleich mit einem Mordfall zu tun: In das Haus des Restaurantbesitzers Heinrich Gruga (Karl Lieffen) wird eingebrochen. Sein Hausdiener versucht, die Einbrecher zu überwältigen und wird dabei erschlagen. Wenige Tage später hat Gruga schon Ersatz für ihn: Die wunderhübsche Herta (Irina Wanka), die jedoch keinerlei Erfahrung in dem Job hat. Harry vermutet, dass sie gegen ihren Willen für Gruga arbeitet …

Karl Lieffen lief(f)ert mal wieder Argumente für die These, dass Komiker die besseren Schurkendarsteller sind. Sein Gruga ist gleichermaßen abstoßend wie lächerlich und man merkt dem Darsteller an, welchen Spaß er daran hat, einen sadistischen Perversling zu spielen. Aber die Episode hat so ihre Probleme (Vorsicht, Spoiler ahead): Der Mord an Grugas Hausdiener wird gegenüber seinem Deal, sich sein Schweigen mit der wohl auch sexuellen Gefügigkeit von Herta, der Schwester der Einbrecher, zu erkaufen, bagatellisiert. Am Ende scheint die Ermordung des armen Teufels kaum mehr als ein Kavaliersdelikt zu sein, während Gruga den Freitod wählt, als herauskommt, wie er an sein neues Hausmädchen gekommen ist. Es gelingt weder Reinecker noch Brynych, das irgendwie plausibel zu machen, und die ganze Episode wirkt aus diesem Grunde fehlgeleitet und misslungen. Die arme, vom Schicksal gebeutelte Familie, die gegen alle Missstände zusammenhält, wird auf Kosten des Mordopfers heroisiert, für das sich keiner mehr so recht zu interessieren scheint. Das wirkt im Kontext einer Serie, die sonst keinen Zweifel daran lässt, dass es niemals eine Rechtfertigung für Mord geben kann, doppelt fahrlässig.

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Episode 095:  Das Alibi (Alfred Vohrer, 1982)

Harry greift auf dem Heimweg die in Tränen aufgelöste, geradezu hysterische Martina (Dietlinde Turban) auf und bringt sie nach Hause. Das Mädchen ist nicht in der Lage Auskunft über die Ursache ihrer Tränen zu geben und so lässt Harry sie zurück. Als er sich am nächsten Morgen nach ihrem Befinden erkundigen will, findet er sie tot auf: Selbstmord. Es stellt sich heraus, dass sie von ihrem Freund Ulrich (Karl-Heinz von Liebezeit) und seinen Kumpels Horst (Ekkehardt Belle) und Rudolf (Eckhard Heise) vergewaltigt wurde, was die Jungs, unterstützt von Ulrichs Vater, dem Anwalt Schumann (Lambert Hamel), jedoch abstreiten. Martinas Klassenkameradinnen sind empört, und als Ulrich wenig später tot ist, fällt der Verdacht auf sie. Doch ihre Lehrerin Frau Liebermann (Elfriede Kuzmany) verschafft ihnen ein Alibi …

Eine Rape-and-Revenge-Folge mit hübsch gialloesker Auflösung, die aber leider – wie mir scheint ein generelles Manko der Episoden aus dieser Phase – ein echtes eigenes Profil vermissen lässt. Es fehlt etwas der für dieses Thema nötige Exzess, und damit meine ich nicht unbedingt hinsichtlich der Gewaltdarstellung, sondern überhaupt den Willen, in Grenzbereiche vorzudringen. In den Siebzigerjahren zeichnete die DERRICK-Folgen oft so eine melodramatische Schmierigkeit aus, die auch aus biederen Standardplots noch das Abgründige herauskitzelte, hier bleibt alles an der Oberfläche, ohne echtes Gespür für das verborgene Störpotenzial. Nicht schlecht, aber angesichts des Themas doch eher underwhelming.

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hausmusikEpisode 096: Hausmusik (Alfred Weidenmann, 1982)

Der gutsituierte Berthold Dettmers (Sky Dumont) wird vor seinem Haus überfahren. Sein Vater Wilhelm (Wolfgang Reichmann) sowie die Geschwister Rudolf (Till Topf) und Anita (Ute Willing) sind erschüttert – die Mama (Doris Schade) sitzt in einem Sanatorium und wird verschont -, haben aber keine Idee, wer hinter der Tat stecken könnte. Erste Spuren führen zum kleinen Dealer Kober (Dirk Galuba), der rausrückt, wie Bethold zu seinem Reichtum kam: Der Mann verkaufte im großen Stil Drogen und macht dabei offensichtlich nicht einmal vor seiner eigenen Familie halt …

Als hätte er meine Kritik vernommen, inszeniert Weidenmann „Hausmusik“ so, als seien die Siebzigerjahre nie vorbeigegangen. Die ganze Folge ist graubraun und deprimierend, selbst das protzige Appartement Bertholds erinnert eher an den barocken Pomp, der im vorangegangenen Jahrzehnt angesagt war, als an zeitgenössische Entgleisungen und wenn das Dettmer’sche Familienidyll im Ideal der gemeinsamen Hausmusik kulminiert – ein Bild, das  in seiner fast surrealen Glücksseligkeit schonungslos zu demontieren so etwas wie das Ziel der Folge ist -, bedeutet das sehr wohl eine Rückkehr zu Themen, die in den vorvergangenen Episoden brach lagen. Das Ende ist bitter, auch weil man den Mörder gut verstehen kann.

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weisEpisode 097: Der Mann aus Kiel (Alfred Vohrer, 1982)

Nach mehreren Jahren Haft wird Karl Waginger (Edwin Marian) aus dem Gefängnis in Kiel entlassen. Er reist nach München, mietet sich in einer Pension ein und ruft Dora (Heidelinde Weis) an. Die Schauspielerin ist seine Ehefrau, was sie aber erfolgreich geheim gehalten und noch einmal geheiratet hat, nämlich den Geschäftsmann Korin (Peter Pasetti), der zwei erwachsene Kinder Ulrich (Hans-Jürgen Schatz) und Maria (Kristina Nel) mit in die Ehe gebracht hat. Waginger verspricht zu schweigen, wenn sie ihm einen Platz in ihrer Nähe sichert. Er wird flugs als Chauffeur eingestellt, doch schon an seinem ersten Arbeitstag wird Korin umgebracht …

Heidelinde Weis! Nicht nur, dass die Schauspielerin eine Augenweide ist, sie spielt auch noch exzellent. Das Mitleid mit Doras Situation weicht dann auch recht schnell dem Gefühl, dass da neben ihrer Bigamie noch einiges mehr faul ist. Vohrer tut gut daran, sich auf sie zu konzentrieren; Marian, bei dessen Waginger man nie so genau weiß, ob seine devote Freundlichkeit nicht doch nur ein Spiel ist, ist ein kongenialer Partner. „Der Mann aus Kiel“ ist eine der Episoden, die von der fiebrigen Nervosität ihrer Protagonisten leben, von der sich langsam einstellenden Gewissheit, dass sich hinter der makellosen Fassade finstere Abgründe auftun.

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Episode 098: Ein unheimliches Erlebnis (Theodor Grädler, 1982)

Bei einem Einbruch wird der Berufskriminelle Engler von seinen Partnern ermordet. Derrick kannte den Mann und fordert dessen Sohn Udo (Michael Wittenborn) auf, sich im Familienumfeld umzuhören. Stattdessen stellt der Student eigene Ermittlungen an, mit dem Hintergedanken, den Mörder seines Vaters zu töten. Den entscheidenden Hinweis auf die Identität liefern ihm Answald Hohner (Claus Biederstaedt) und Anita Schneider (Louise Martini), die die Täter auf frischer Tat ertappten und von ihnen gezwungen worden waren, den leblosen Körper wegzubringen.

Die Episode ist ein bisschen umständlich gescriptet, aber das macht den streng genommen nur mittelmäßig interessanten Fall auch wieder spannend. Der Titel bezieht sich auf die initiale Konfrontation von Hohner und Schneider mit dem Verbrechen, nach der die beiden jedoch recht schnell in den Hintergrund treten. Der Subplot bietet Biederstaedt immerhin die Gelegenheit, einen seiner jovialen Playboys zu spielen: Wie er die Schneider bei einem Betriebsfest aufgabelt, bei dem sie sich mit ihrem Mann verkracht hat und sie dazu überredet, ihm eines auszuwischen, indem sie sich von ihm mitnehmen lässt, nur um dann mit ihr ein Schäferstündchen im Auto anzupeilen, ist schon ziemlich geil. Anstatt ihm den Laufpass zu geben für diese Dreistigkeit, belohnt sie seinen Mut – oder hat das zumindest vor, denn dann kommen die Einbrecher dem Vollzug in die Quere. Man erwartet eigentlich, dass der Umstand, dass die beiden Verängstigten den Toten einfach irgendwo abladen für den weiteren Fall eine größere Rolle spielt oder der Umstand, dass sie bedroht werden, aber nichts davon tritt ein. Stattdessen gibt Agnes Fink als Frau des Toten eine tolle Darbietung als misstrauische Hüterin ihrer Brut, die ihre Kinder selbst auf die schiefe Bahn drängt. Die Übeltäter werden gespielt vom unvermeidlichen Dirk Dautzenberg, Siegur Fitzek und Edgar-Wallace-Veteran Dieter Eppler, was dem ganzen so einen schönen Malochercharme gibt. Keine Sensation, aber nett.

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genuaEpisode 099: Via Genua (Helmuth Ashley, 1983)

Der Geschäftsmann Lammers (Michael Degen) wird in einem Hotel erstochen, nachdem er zuvor mehrfach von anonymen Anrufern belästigt und einem Lieferwagen verfolgt worden war. Als seine Erben reisen bald der Grundschuldorflehrer Rudolf Lammers (Klaus Behrendt) und dessen Sohn Hans (Eckhard Heise) an, Lammers‘ Geschäftspartner Huber (Wolf Roth) kümmert sich um die beiden – offensichtlich mit Hintergedanken. Derrick und Klein finden heraus, dass Lammers im Hotel mit dem Reiseschriftsteller Lusenke (Siegfried Rauch) verabredet war. Die beiden vermuten, dass irgendwelche dubiosen Waffendeals hinter dem Mord stecken …

DERRICK goes Politthriller: Ins handliche Stundenformat gepresst geht es hier um die Millionengeschäfte, die deutsche Fabrikanten mit dem Elend in Dritte-Welt-Staaten machen. Nach den ganzen Privatschicksalen, mit denen sich der Oberinspektor sonst üblicherweise herumschlagen muss, ein willkommener Tapetenwechsel. Klar, im Grunde unterscheidet sich auch „Via Genua“ nur oberflächlich von den anderen Episoden: Der Titel ist ein Fake, von Genua gibt es hier rein gar nichts zu sehen, genauso wenig wie von dem Konflikt in Westafrika, von dem immer die Rede ist, oder auch nur von den Waffen, die da verschifft werden sollten. Als exotisches Zugeständnis muss die furchtbare Kapelle „Gammarock“ herhalten, Afrikaner mit gelben Sweatshirts, Synthiepercussion und langweiligen Scheißsongs, die in der Hotelbar für sedierte Stimmung sorgen, aber behandelt werden wie die Neuerfindung der Musik. Rauch lässt sich als Lusenke dazu herab, angesichts der Schunkelmucke von der Melancholie der afrikanischen Seele zu schwafeln und Harry findet die Combo auch dann noch Weltklasse, wenn der Bongospieler mitten im Song einfach mal weggeht – natürlich ohne, dass man das irgendwie hören würde. Ich finde gerade dieses Element super, weil da eine ernste Geschichte wieder mit diesem fernsehdeutschen Schmierfilm überzogen wird. „Gammarock“ sollten hier Authentizität reinbringen, stattdessen kommen sie wie eine rassistische Verunglimpfung rüber: Die Harrys dieser Welt fühlen sich schon ergriffen und weltoffen, wenn in ihrem Bonzenhotel ein paar Schwarze auf Bongos rumtrommeln. Eklig. Ansonsten sei hier noch vermerkt, dass Wolf Roth spitzenmäßig ist und Kurt Raab einen gruseligen Butler spielt.

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hausEpisode 100: Die Tote in der Isar (Alfred Weidenmann, 1983)

Eine Prostituierte (Christiane Krüger) wird in ihrer Wohnung erschossen, wenig später die junge Annemarie (Ulli Maier) tot aus der Isar geborgen. Dahinter steckt der fiese Zuhälter Kabeck (Horst Frank), der mithilfe von Ingo (Sven-Eric Bechtolf) immer neuen Zulauf für seinen Stall bekommt. Am Tatort läuft Derrick und Harry auch ständig der Zoologe Dissmann (Horst Buchholz) über den Weg, der Ehemann der Erschossenen. Was weiß er?

Was mich für diese Folge eingenommen hat: Die Establishing Shots des Appartement-Komplexes, in dem ein Großteil der Folge spielt, untermalt von Frank Duvals Synthiemusik. Bechtolf ist der Inbegriff des schmierigen Mädchenausnutzers und mithin idealbesetzt, Horst Frank muss mit goldenen Haaren, Knautschgesicht und roter Lederjacke eigentlich nur da sein, um einen perfekten Zuhälter abzuliefern. Highlight in dieser Hinsicht sicherlich die Szene, in der er Ingo im Bademantel die Tür aufmacht, nachdem die tränenüberströmte Annemarie im Foyer zusammengebrochen ist. Inszenatorisches Understatement, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

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Episode 101: Geheimnisse einer Nacht (Alfred Vohrer, 1983)

Der Unternehmer Vrings (Jürgen Goslar) schickt seinen Angestellten Sobach (Christian Wolff) nach Straßburg, um sich mit dessen Gattin Maria (Thekla Carola Wied) zu verlustieren. Sobach weiß das und sucht den Mann nachts auf, fest entschlossen, ihm umzubringen. Der Todesschuss fällt dann auch, aber erst nachdem Sobach das Haus von Vrings schon wieder verlassen hat. Nur will das niemand bezeugen. Derrick findet bei seinen Ermittlungen unter anderem heraus, dass Vrings‘ Ehefrau (Gila von Weitershausen) zuvor mit dessen Bruder (Heinz Bennent) liiert war.

Familienhorror à la DERRICK: Darauf kann man sich immer noch verlassen. Die Verhältnisse im Hause Vrings ziehen einem wirklich die Schuhe aus und lassen selbst dem obercoolen Ermittler die Gesichtszüge entgleisen. Wie so oft ist es gar nicht die Kaltschnäuzigkeit, mit der Menschen die Grundsätze des Zusammenlebens beugen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt, sondern die Verdrängungsleistung, die die Opfer erbringen, um sich mit den Umständen zu arrangieren. Sie führt dann auch meist mittelfristig zur Katastrophe. Will sagen: Vrings ist ein egoistisches Dreckschwein, aber dass sein Bruder dessen Verrat einfach so hingenommen hat, hat durchaus etwas von Beihilfe. Ein typisches DERRICK-Element: die Ohnmacht der Opfer, die die Täter noch weiter bestärkt. Wobei man Vrings Bruder nicht wirklich als „Opfer“ bezeichnen möchte. Dass er es so einfach hinnimmt, dass der Bruder ihm die Frau weggenommen hat, hat auch etwas mit einer gewissen Gefühlskälte und Gleichgültigkeit zu tun. Richtig schockiert hat mich die einstige Mutter der Nation, Thekla Carola Wied: Wie sie ihren Ehemann ans Messer liefert, ist schon ein dicker Hund. Andererseits: Christian Wolff ist auch ein Langweiler vor dem Herrn.

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Episode 102: Der Täter schickte Blumen (Helmuth Ashley, 1983)

Auf Alexander Rudow (Peter Bongartz) wird ein Mordanschlag verübt, der leider einen Unschuldigen trifft. Wie Derrick erfährt, hatt Rudow vor, sich am selben Tag mit Vera Baruda (Ruth Leuwerik) zu verloben. Deren Schwiegervater (Ernst Fritz Fürbringer), der Neffe Udo (Jacques Breuer) sowie die befreundeten Herr Lenau (Hans Quest) und dessen Sohn Walter (Edwin Noel) sind nur wenig begeistert: Zu glatt, zu freundlich scheint ihnen dieser Rudow. Dann erfährt Derrick, dass der Gatte in spe ein vorbestrafter Heiratsschwindler ist: Doch Vera Baruda weiß bereits davon …

Melodramatische Folge, deren Krimipart wie zusätzlich aufgepfropft wirkt. Der Twist am Ende strapaziert die Glaubwürdigkeit zudem auf ungeahnte Weise. Ich mochte, wie Rudow am Ende einfach stehen gelassen wird, wie er von der Vergangenheit eingeholt und trotz bester Absichten bestraft wird. Die Folge ist traurig und stellt dem Menschen kein gutes Zeugnis aus, weder dem einen noch dem anderen.

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ahrensEpisode 103: Die kleine Ahrens (Günter Gräwert, 1983)

Der Geschichtslehrer Blomann (Hans Caninenberg) verbringt seine Abende neuerdings in einer Nachtbar, in der er mit den Amüsierdamen Champagner schlürft. Einer der anderen Gäste, der dubiose Molz (Peter Chatel), wird eines Tages erhängt in einem leerstehenden Fabrikgebäude aufgefunden. Er arbeitete für eine karitative Einrichtung, die Lebensmittelpakete nach Indien schickt. Was hat Blomann damit zu tun?

Die Episode greift Caninenbergs Selbstjustizler aus „Die Stunde der Mörder“ auf, führt den Zuschauer jedoch zunächst auf eine völlig falsche Fährte. Viele Aspekte bleiben lange Zeit nahezu unverständlich, ihre Bedeutung für die Geschichte rätselhaft. Leider misslingt es aber, die vermeintlich unverbundenen Elemente zusammenzuführen, ohne dabei in öde erklärende Dialoge zu verfallen. Das ist ein Manko, das in dieser Phase der Serie leider charakteristisch ist. Reineckers Drehbücher sind geradezu schmerzhaft unelegant und die Regisseure scheinen keinen Weg gefunden zu haben, sich von ihnen zu emanzipieren und dieses Manko irgendwie auszubügeln. Die Auflösungen und wie sie angebahnt werden, sind regelmäßig der Schwachpunkt. Alles kommt mit einem Quietschen, Krachen und Knirschen zum Stehen, stattdessen dürfen sich die Täter lang und breit erklären, was dank der mitgelieferten Rückblendenbilder völlig redundant wirkt. „Die kleine Ahrens“ hat viele gute Ansätze, aber es will einfach keine befriedigende Episode daraus werden.

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ent26Episode 071: Die Entscheidung (Theodor Grädler, 1980)

Im Schlafwagen eines Zuges wird ein Mann umgebracht. Es stellt sich heraus, dass er seinen Platz erst kurz zuvor mit einem anderen getauscht hatte, der Mordanschlag also vermutlich jenem galt. Bei diesem anderen Mann handelt es sich um Alf Hauff (Karl Heinz Vosgerau), der auf dem Weg nach München ist, um die Erbschaft seines verstorbenen Vaters anzutreten. Seine ganze Familie – Bruder Ulrich (Hannes Messemer), Schwägerin Henriette (Gisela Uhlen), Neffe Peter (Sky Dumont), Nichte Margot (Christiane Krüger) und Tante Ina (Brigitte Horney) – könnte hinter dem Mord stehen. Doch besonders Ulrich tut sich mit seinem höchst rätselhaften Verhalten als Verdächtiger hervor …

Eine der verstrahltesten DERRICK-Episoden überhaupt. Dabei fängt alles ganz harmlos und normal an. Wenn sich die Handlung dann aber der Familie Hauff und vor allem dem Bruder Ulrich zuwendet, wird alles sehr, sehr seltsam. Hannes Messemer interpretiert seine Figur als verzärtelten, realitätsfernen Träumer, der die Schwelle zum Wahnsinn schon mit einem Fuß überschritten hat. Er verliert sich in offenherzigen Monologen, mit denen er sich mehr als einmal selbst zu inkrimieren scheint, blickt mit tränennassen Augen ins Nichts oder lächelt beseelt, als habe er einen Engel gesehen. Messemers Spiel ist grandios: Er kultiviert hier eine Form des Overactings, die diesen rätselhaften Charakter nicht dem Zugriff entzieht, sondern ihn erst begreiflich macht. Wie er seine wahnsinnigen Monologe intoniert, seine Gesichtszüge binnen Sekunden von einem Extrem ins andere gleiten lässt, ist beeindruckend – und tatsächlich bewegend. Einmal ergeht sich Ulrich in einer genauen Rekapitulation des Tathergangs, die mit der fast konkret-poetischen Zeile „tatamm – Mord – tatamm – Mord …“ schließt, die Geräusche des Zugs imitierend (Derricks Blick angesichts dieses Wahnsinns ist alles). Dann wieder erklärt er feierlich, er wünschte sich, auch ermordet worden zu sein, weil das ein „besonderes Schicksal“ sei. Wieder ein anderes Mal fragt er Derrick, ob er etwas „spüre“, wenn er sein Haus betrete, und gesteht dann unter Tränen, dass er nie etwas gekonnt habe, während ihn seine Tante (Brigitte Horney), eine ehemalige Balltettänzerin, gekleidet in ein altes Kostüm, tröstet wie ein kleines Kind. Sky DuMont spielt Ulrichs Sohn als ständig blasiert dreinguckenden Schnösel und der Mörder stürzt am Schluss in die Nacht hinaus, die plötzlich von Suchscheinwerfern erleuchtet wird.

Der Horror der deutschen Familie und des Wohlstandsbürgertums wird hier mit einem Thema verquickt, das die Serie von nun an einige Zeit begleiten wird: Es geht in „Die Entscheidung“ um den Gegensatz von kaltem, rationalem Kalkül und einem schwelgerischen Gefühlsüberschwang, der von der Gesellschaft oft als „Wahnsinn“ diffamiert wird. Die Hauffs sehen im hilflosen Ulrich einen willkommenen Sündenbock, dem sie den Mordversuch in die Schuhe schieben können, übersehen dabei aber, dass dieser Mann einer solchen Tat völlig unfähig ist. Ihre Abgebrühtheit ist umso abstoßender, als sie den schwächsten in ihrer Mitte dazu auserkoren haben, für ihre Schweinereien geradezustehen.

Grädler, sicherlich nicht der inspirierteste DERRICK-Regisseur, sondern immer sehr abhängig von seinen Drehbüchern, macht hier alles richtig, konzentriert sich ganz auf die Charaktere und das Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Er gibt Messemer viel Raum, geht dicht an ihn ran, und lässt sich die Figuren immer wieder zu schönen Gruppenbildnissen positionieren, aus denen hervorgeht, wer hier das Sagen hat. Und Tappert? Der blüht in den Szenen mit Messemer geradezu auf, auch wenn das angesichts seiner wie gemeißelten Gesichtszüge nicht der passende Ausdruck ist. Derrick ist nicht der Typ, dem Emotionen entgleisen, aber er muss sich angesichts des Irrsinns, den Ulrich von sich gibt, schwerstens anstrengen. Ganz großes Fernsehen!

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aboEpisode 072: Der Tod sucht Abonnenten (Zbynek Brynych, 1980)

Eine Drogentote führt Derrick und Klein auf die Spur eines rücksichtslosen Dealers (Jacques Breuer). Zur gleichen Zeit versucht der Bruder der Toten (Manfred Zapatka), deren ebenfalls abhängige Freundin Marga (Verena Peter) durch kalten Entzug von den Drogen wegzubekommen …

Die Krimihandlung ist nichts so besonders aufregend oder gar einfallsreich. Derrick und Klein fragen sich durch und kommen relativ schnell zum schmierig-arroganten Schüler Kurt Weber (Jacques Breuer), der ein bisschen aussieht wie ein schlanker Glenn Danzig. Es gibt keinerlei Zweifel an seiner Täterschaft und auch Brynych interessiert sich nicht wirklich für die Ermittlungen. Aber die Szenen zwischen dem Bruder der Toten und der drogenabhängigen Marga sind megaintensiv – und irgendwie auch ziemlich drüber. Man weiß nicht genau, was man von den zärtlichen Gefühlen, die er für sie entwickelt, halten soll: Es wirkt ein bisschen wie eine Ersatzreaktion, als projiziere er seine Liebe für die tote Schwester auf diese junge Frau, als wolle er seine Schuldgefühle an ihr beruhigen. Aber Reinecker meint das wohl alles ganz ernst, jedenfalls deutet das Ende darauf hin. Wenn sie sich unter Entzugsschmerzen auf einer siffigen Matratze windet und er ihr einen leidenschaftlichen Kuss aufdrückt, ist das trotzdem nicht gerade das Bild einer gleichberechtigten Beziehung. Dazu spielt Frank Duvals hyperkitschige Musik, die in ihrem ungehemmten Sentimentalismus so gar nicht zu den unangenehmen Bildern passen mag.

Und Derrick selbst hat wieder einen ganz großen Moment, als er einen Klassenlehrer über Kurt befragt. Dessen Aussage, bei Kurt handele es sich um „eine starke Persönlichkeit“ schmettert der Beamte auf jene gelassen-bestimmte Art ab, die keiner so gut drauf hatte wie Tappert: „Nö, das ist er nicht.“

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Episode 073: Auf einem Gutshof (Theodor Grädler, 1980)

In einer stürmischen Nacht wird auf die Gutsbewohnerin Marlene Schulte (Ellen Schwiers) geschossen. Den Schützen hat sie genau erkannt: Es war ihr Ehemann, der vorbestrafte Richard (Horst Buchholz). Doch der schwört, es nicht gewesen zu sein …

Grädler etabliert für diese Folge eine Gothic-Horror-Atmosphäre, die mal wieder eine schöne Abwechslung darstellt. Wenn die stürmische Nacht mit ihren Verwerfungen vorbei ist, widmet er sich mit dem Verdächtigen Richard einem weiteren jener tragischen Verlierertypen in der langen DERRICK-Ahnengalerie. Dessen Verzweiflung angesichts der harten Anschuldigungen, gegen die es nun einmal einfach kein Argument gibt, wird umso greifbarer, als ihm mit Marlenes Bruder Eberhard (Rolf Becker) jemand gegenübergestellt wird, der ihn mit harscher, unnachgiebiger Verachtung straft. Es gibt ein paar schöne Szenen, die Derrick im Gespräch mit dem vermeintlichen Mörder zeigen, wie sie gemeinsam über den Gutshof schlendern. Die ganze Folge ist sehr erdig und feucht, man meint tatsächlich, den Duft von Land und Wald riechen zu können, von dem auch Richard spricht. Die Auflösung ist ein bisschen blödsinnig, passt aber wieder ganz gut zum altmodischen Ambiente und bietet darüber hinaus Gelegenheit für einen putzigen Make-up-Effekt, mit dem DERRICK auf den Spuren von MISSION: IMPOSSIBLE wandelt.

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Episode 074: Zeuge Yurowski (Alfred Vohrer, 1980)

In einer Firma wird eingebrochen, ein Wachmann erschossen. Der Angestellte Yurowski (Bernhard Wicki) ist zufällig anwesend und erkennt seine Sekretärin (Christiane Krüger) als einen der Täter. Sie beschwört ihn zu schweigen, da er sonst mit seinem Leben bezahlen werde. Der Mann ist total verängstigt und hält dicht – gegen den anwachsenden Druck, den sowohl Derrick als auch seine eigene Familie auf ihn ausüben, als klar wird, dass etwas an Yurowskis Geschichte nicht stimmen kann.

Eine der moralphilosophischen Folgen, die sich in dieser Phase häufen. Auch das Thema des eingeschüchterten Zeugen eines Gewaltverbrechens, der sich nicht traut, auszusagen, beschäftigt Reinecker zu Beginn der Achtzigerjahre öfter. „Zeuge Yurowski“ dreht sich dann auch, wie der Titel nahelegt, um den Familienvater, der abwägen muss zwischen dem Risiko, dem er seine Familie aussetzt, und dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden. Letzteres hat erwartungsgemäß keine Chance gegen die ganz existenziellen Ängste. Vohrer hat eine klassische „Schauspielerfolge“ inszeniert: Sie gehört Bernhard Wicki, der jetzt nicht gerade der erste ist, der mir eingefallen wäre, wenn es um eine ängstliche Vaterfigur geht. Vielleicht überzeugt er auch deshalb so.

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Episode 075: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Erik Ode, 1980)

Robert Renz (Siegfried Wischnewski) ist ein Schwein. Ein rücksichtsloser Erfolgsmensch, dem jedes Mittel recht ist. Kurz nach einer Galaveranstaltung, zu der er seine Geliebte (Franziska Bronnen) statt seiner Ehefrau (Anaid Iplicjian) mitgenommen hat, wird er erschossen. Der Verdacht fällt auf Renz‘ Sohn Erich (Nikolaus Büchel), der schwer unter der Knute seines Vaters zu leiden hatte …

Hier widmet sich Reinecker mal wieder der Auseinandersetzung von „verweichlichten“ Söhnen und ihren Vätern, echten Machertypen, die wissen, dass Empathie, Mitgefühl und Anstand Eigenschaften von Waschlappen sind. Siegfried Wischnewski ist natürlich idealbesetzt als egozentrischer Patriarch, der seiner Frau mit höchster Sachlichkeit mitteilt, dass er sie zum Galaempfang nicht „brauche“, weil er stattdessen seine Geliebte mitzunehmen gedenke. Die Episode krankt insgesamt etwas daran, dass der vom Vater gequälte Sohn, auf den danach der Verdacht fällt, tatsächlich eher unangenehm anmutet. Den Aussagen aller zufolge eben jener „Weichling“, den der Vater verachtete, markiert der just in dem Moment, in dem der Vater, gegen den er sich nie aufzulehnen traute, tot ist, den großen Macker. Man weiß trotzdem, dass er der Mörder nicht sein kann, allein schon, weil die Episode eben noch eine Überraschung braucht, aber das Geständnis des wahren Täters am Ende hinterlässt dann doch seine Spuren. Kein Klassiker, aber ein schöner Lückenfüller.

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prickerEpisode 076: Pricker (Alfred Vohrer, 1980)

Der Schwerverbrecher Hamann (Dirk Galuba) soll bei einem Gefangenentransport befreit werden. Doch dann ist er durch einen dummen Zufall gar nicht an Bord des Transporters. Seine Komplizen, die die beiden Wachmänner umbringen, finden in dem Wagen nur den kleinen Ganoven Pricker (Klaus Schwarzkopf) vor, dem aber die Flucht gelingt, bevor sie ihn ausschalten können. In einem kleinen Dorf findet er Unterschlupf bei der alleinstehenden Franziska Sailer (Ruth Drexel) und ihrer Tochter Hanni (Ute Willing). Er ahnt nicht, dass Hamanns Komplizen ein Interesse daran haben, ihn umzubringen …

Das ist mal was anderes, weil Derrick und Klein eher Nebenfiguren sind und die ganze Episode auch gut und gern ohne den Kriminalfall auskäme. Klaus Schwarzkopf ist wunderbar als geläuterter, kleiner Gauner, der in einem bayrischen Dorf die Zuwendung und Wärme findet, die ihm in seinem Leben versagt geblieben ist. Er akzeptiert es sogar, in seiner Kammer eingeschlossen zu werden, solange er weiß, dass seine „Wärter“ nett zu ihm sind. Eine Szene, bei der die drei einen Ausflug an einen kleinen See machen, ist wunderschön und von einer sonnigen Unbeschwertheit, die sonst nicht gerade die Kernkompetenenz von DERRICK ist. Ohne Bayern-Fachmann zu sein: Das ruppige, aber herzliche Miteinander von Mutter und Tochter machte auf mich einen sehr authentischen Eindruck: Hier wird nicht viel über Gefühle schwadroniert, sie sind da und man muss sich ihrer nicht mehr vergewissern.

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kerzeEpisode 077: Dem Mörder eine Kerze (Dietrich Haugk, 1980)

Der Besitzer eines Fotostudios wird erschossen. Eine vor dem Tod von ihm hingekritzelte Botschaft führt Derrick und Klein zu dem Schüler Albert Hess (Sven-Eric Bechtolf), der mit anderen häufiger für Werbeaufnahmen posierte. Auch seine Freundin Vera (Katja Bienert) gehörte zum Kreis der Fotomodelle. Als Derrick sie auf den Fotografen anspricht, erliegt die junge Frau einem Schreianfall …

Diese Episode dürfte in mehrerer Hinsicht „bedeutsam“ sein: Zum einen landete Frank Duval mit dem Titelsong, dem geradezu grotesk kitschigen „Angel of Mine“, einen Nummer-eins-Hit, zum anderen ist das natürlich auch die Folge, in der Stephan Derrick sich einen Porno mit Katja Bienert anschaut und dabei guckt, als habe er zum ersten Mal eine Erektion. Den Auftakt mit dem Priester, der mitten in der Nacht einem Mörder die Beichte abnehmen muss, hat sich Reinecker bei sich selbst geborgt, nämlich bei der KOMMISSAR-Episode „Tödlicher Irrtum“. Den Pfarrer spielt hier Horst Frank und natürlich erschwert das Beichtgeheimnis Derrick und Klein die Arbeit. Bis Reinecker zum Kasus Knaxus vordringt – der Tatsache, dass da eine Schülerin mit Drogen zur Mitwirkung in einem Porno gezwungen wurde – vergeht leider zu viel Zeit, um sich wirlich mit den ganz großen Schmierigkeiten auseinandersetzen zu können, aber ein paar unvergessliche Momente bleiben dann doch: Der Zusammenbruch des Porno-Opfers ist so einer (Katja Bienert spricht in der ganzen Folge kein Wort), Sascha Hehn als Schmierlappen in einer mit großformatigen Fotos von ihm selbst gepflasterten Wohnung ein weiterer, tja und dann eben Derrick im Pornokino. Wie dieses „Etablissement“ eingeführt wird, ist schon rührend: Veras Freund bringt die Kriminalbeamten dorthin, so als sei ein solches Kino etwas ganz Neues. (Die Poster im Foyer sind keine Hardcore-Plakate, sondern allesamt von Softsexfilmchen.) Und so guckt Derrick dann auch, als er die eigentlich sehr geschmackvollen Szenen auf der Leinwand betrachtet.

Der moralinsaure, mit Phrasen aus dem Bestseller „Kapitalismuskritik für Anfänger“ durchsetzte Vortrag, den der selbstgerechte Albert hält, ist ganz hartes Brot, voller einst schützender Zäune, die mittlerweile niedergerissen sind, und Bedürfnissen, die der grausame Markt eben deckt. Aber gut, wenn mir ein Pornoproduzent Katja Bienert weggenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich auch so drauf. Und eine Folge, die damit endet, dass Sascha Hehn abgeknallt wird, hat sowieso fast alles richtig gemacht.

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Episode 078: Eine Rechnung geht nicht auf (Helmuth Ashley, 1980)

Achim Moldau (Wolfgang Müller), ein arbeitsloser Schweißer, wird von seinem Freund Schenk (Tommy Piper) in die Bande von Recke (Arthur Brauss) eingeführt, der einen Bruch plant. Recke hat Bedenken gegenüber Moldau, hält ihn für „zu weich“, was sich bald bestätigen soll: Nach einem Saufgelage werden Moldau und Schenk in einen Autounfall verwickelt. Die Beifahrerin ist sofort tot, der Ehemann wird als unliebsamer Zeuge von Recke umgebracht, bevor Moldau ihn ins Krankenhaus bringen kann. Von Gewissensbissen gequält nimmt Moldau danach Kontakt zu den Hinterbliebenden der Toten auf, was den Verdacht Derricks sowie den Zorn Reckes weckt …

Lustig, in der Episode „Der L-Faktor“ war es Wolfgang Müllers armer Tropf, der von einer hilfsbereiten Person aufgesucht, mit Geldzuwendungen und Naturalien beschenkt wurde, hier revanchiert er sich für diesen Dienst, mit dem Unterschied, dass er einen Grund außerhalb purer Nächstenliebe dafür hat. „Eine Rechnung geht nicht auf“ ist eine sehr geschäftige Episode und einfach sehr unterhaltsam. Arthur Brauss ist immer gut, neben ihm überzeugt Tommy Piper mit weißer Lederjacke und debütieren Thomas Schücke und Michael Böttge in weiteren Ganovenrollen. Das Schicksal der Kinder der Opfer kann niemanden kaltlassen, zumal die Tatsache, dass die einzige Verwandte eine 70-jährige Oma (Alice Treff) ist, auch für die Zukunft keine allzu große Hoffnung macht. Vielleicht mit vier Sternen einen Hauch überbewertet, aber mir hat’s gefallen.

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Episode 079: Der Kanal (Helmuth Ashley, 1981)

Herbert Junker (Bernd Herzsprung) trifft sich mit seiner Geliebten Elisabeth Röder (Claudia Rieschel) regelmäßig in einem Gutshof vor München. Beide sind verheiratet, er mit Hannelore (Helga Anders), sie mit dem Krankenpfleger Jürgen (Volker Eckstein). Ein anonymer Anruf bringt Junker nicht aus der Ruhe, doch nach seinem Schäferstündchen lauert man ihm auf und bringt ihn um …

Wieder einmal eine Folge mit mörderischen Vätern. Hier sind es sogar zwei, die sich zusammentun, um die zerstörte „Familienehre“ zu retten. Volker Eckstein spielt erneut den verweichlichten Loser, der noch nicht einmal die Energie aufbringt, seiner fremdgehenden Ehefrau eine Szene zu machen. Dass sich die beiden Hintergangenen miteinander trösten, ist eigentlich eine schöne Idee, die Ashley aber in einer einzigen Einstellung abhandelt und die dadurch kaum weiter ins Gewicht fällt.

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abgrundEpisode 080: Am Abgrund (Helmuth Ashley, 1981)

Der Säufer Jakob Hesse (Klaus Behrendt) beobachtet den Mord an einer Prostituierten, wird wenig später bei der Leiche entdeckt und flieht. Derrick kann den Mann ausfindig machen, der jedoch behauptet, sich an nichts mehr erinnern zu können …

Klaus Behrendt gibt als Trinker eine jener Darbietungen ab, die einen fragen lässt, warum es für diese großartigen Charakterdarsteller damals eigentlich keine Spielfilmprojekte gab, in denen sie ihrem Können noch etwas mehr Raum hätten geben dürfen. Stattdessen bereicherten sie eine Fernsehserie wie DERRICK, die ich hier nicht mehr groß zu loben brauche, die aber eben doch nicht für Nachhaltigkeit, sondern eben zum müden Wegkonsumieren gemacht worden war. Perlen vor die Säue gewissermaßen. „Am Abgrund“ ist einer dieser Fälle, wo beim Besetzungspoker ein echtes Traumblatt rauskam: Neben Behrendt agieren Anton Diffring als Zuhälter Bandera, Thomas Schücke als dessen schmieriger Sohn, Lotte Ledl als freundliche Prostituierte, Georg Konrad als ihr Vermieter sowie Rainer Hunold und der unverwüstliche Dirk Dautzenberg als Kneipenwirte. Das reicht.

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Episode 081: Kein Garten Eden (Günter Gräwert, 1981)

Der junge Ingo Rolfs (Markus Boysen) sucht Derrick auf, um sich abzusichern, wie er sagt: Sein Stiefvater (Thomas Holtzmann) habe Drohbriefe erhalten, und er befürchte, dass der Verdacht auf ihn falle, sollten die Drohungen in die Tat umgesetzt werden. Als Klein mit dem jungen Mann nach Hause fährt, ist der Stiefvater tatsächlich tot …

Eine philosophische Episode, bei der es aber nicht so sehr um Fragen des Rechts und der Moral geht, sondern eher allgemeine Betrachtungen zur Conditio Humana im Mittelpunkt stehen. Es ist eine jener Geschichten, bei denen es allen Beteiligten gelingt, das Leben ihrer Mitmenschen im Streben nach dem eigenen Glück zur Hölle zu machen. Da sind der egoistische Sohn, der den Stiefvater nicht akzeptieren, die Mutter (Ellen Schwiers) aber auch nicht allein lassen will; eben jene Mutter, die dem Treiben des Sohnes keinen Riegel vorschieben kann; besagter Stiefvater, der sich nun bei der Nachbarin (Rita Russek) holt, was er braucht, während deren Ehemann (Michael Degen) den Verständnisvollen, Toleranten mimt, insgeheim aber Rachegelüste züchtet. Zum Schluss darf Derrick gegenüber dem schülerhaften Harry kurz resümieren, was der Zuschauer eben gelernt hat. Dieser pädagogische Zug dringt in dieser Phase immer mehr nach vorn und äußert sich in wortreichen Vorträgen über den Zustand der Welt, etwas was sich Reinecker bis dahin eigentlich immer halbwegs verkniffen hatte. Streng genommen natürlich etwas nervig und immer sehr on the nose, gleichzeitig wird dieser moritatenhafte Charakter der Serie, in der Deutschland sich gespiegelt sehen darf, noch unterstrichen.

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alteEpisode 082: Eine ganz alte Geschichte (Zbynek Brynych, 1981)

Arne Reuter (Mathieu Carriére) kommt mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu Derrick: Sein Onkel sei 1946 beim illegalen Grenzübertritt nach Westdeutschland von seinem damaligen Begleiter Alfred Answald (Herbert Fleischmann) umgebracht und um die mitgeführten Brillanten erleichtert worden. Mit eiskaltem Kalkül drängt Reuter den Familienvater systematisch in die Enge …

Es philosophiert weiter, diesmal vor dem Hintergrund deutscher Erbschuld. Das zurückliegende Verbrechen, um das es in „Eine ganz alte Geschichte“ geht, hat zwar nicht direkt etwas mit dem dritten Reich zu tun, aber die Assoziation ist trotzdem klar: Zu Zeiten des Krieges hat sich die Vatergeneration die Hände mit Blut befleckt und den Wohlstand mitunter auf dem Unglück anderer aufgebaut. Nun sitzt man da in seinen prachtvollen, geschmackvoll eingerichteten Häusern, vor der Eichenschrankwand mit der in Leder gebundenen Goethe-Gesamtausgabe und der Beethoven-Büste, lässt die Tochter Geige spielen und freut sich darüber, wie unfassbar gut man es doch eigentlich hat. Und dann kommt da so ein selbstgerechter Schnösel wie dieser Arne Reuter daher und rotzt allen kräftig in die Consommé.

Mathieu Carrière, der ja bei den öffentlichen Auftritten, die ich von ihm gesehen habe, den Eindruck erweckte, immer nur sich selbst gespielt zu haben, ist natürlich die Idealbesetzung für dieses berechnende Arschloch, das eine blitzende Schadenfreude dabei entwickelt, einen Mann nur aus Prinzip in die Ecke zu drängen. Er hat gewiss nicht ganz Unrecht und man muss seinem Kontrahenten vorwerfen, es sich damals etwas leicht gemacht zu haben, aber seine Form von Vergangenheitsbewältigung hat dann doch mehr mit blindem Revanchismus als mit Gerechtigkeitssinn zu tun. Reuter ist einer jener Vernunftmenschen, die sich gnadenlos verrannt haben in ihren Überlegungen und jedes Herz vermissen lassen. Da kommt er wieder zum Vorschein, der Diskurs über das Gegensatzpaar Emotion und Ratio. Derrick weiß natürlich, dass die beiden zusammengehören, das eine ohne Moderation durch das andere zur Perversion seiner selbst verkommt, aber er kann Reuter in seinem Tun nicht bremsen, zu perfekt ist der Plan, den der einer Lawine gleich losgetreten hat.

Brynych hat die Zügel dazu fest in der Hand und selbst wenn er sie entgleiten lässt, wie in der Szene, in der die spannungsgeladenen, aber hoffnungslos einseitigen Diskussionen zwischen Reuter und Answald vom nervtötenden Gegeige der grienenden Tochter durchschnitten werden, ist das noch on point.

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Episode 083: Die Schwester (Helmuth Ashley, 1981)

Bei der Verfolgungsjagd auf drei Einbrecher erschießt Harry einen der Flüchtigen. Einen zweiten verliert er in einem Wohnhaus, wo er von der Bewohnerin Doris Menke (Jutta Speidel) verarztet wird. Der aufgelöste Harry sucht in den nächsten Tagen weiteren Kontakt zu der Frau. Was er nicht weiß: Sie ist die Schwester des Erschossenen …

Es menschelt mal wieder. Zum allerersten Mal wird mal eine der beiden Hautfiguren von einem Schicksalsschlag getroffen und Harry ist natürlich prädestiniert dazu, seine weiche Seite zu zeigen. Der Versuch, ihm eine Liebschaft anzudichten, den auch die folgende Episode unternimmt, wird aber irgendwie nicht mit voller Überzeugung umgesetzt. Auch die Bedrohung, in die er sich da eigentlich begibt, manifestiert sich nie, weil ihn sein Love Interest dann wohl doch zu nett findet, um ihn an die Mörder zu verraten. Insgesamt also eher mau.

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Episode 084: Tod eines Italieners (Helmuth Ashley, 1981)

Der Besitzer von Harrys neuem italienischen Restaurant wird von der Schutzgeldmafia totgeschlagen. Seine Gattin, die Deutsche Anna Forlani (Karin Baal) ist verängstigt und weigert sich, eine Aussage zu machen, auch auf Flehen ihrer Schwester Ursula (Gerlinde Döberl) …

Zum Abspann wird zum ersten Mal die Schrifttafel eingeblendet, auf der verlautbart wird, dass jede Ähnlichkeit der Figuren zu realen Personen rein zufällig sei: Wahrscheinlich eher ein Mittel der Authentifizierung des Gezeigten als juristisch notwendige Sicherheitsvorkehrung, denn auch während der Folge wird immer wieder angedeutet, dass dieses italienischen Schutzgelddings ja jetzt seit neuestem auch in Deutschland Fuß fasse. Richtig schockiert zeigt sich Derrick davon aber noch nicht, und so lässt er sich einmal zu der apodiktischen Aussage hinreißen, dass es organisiertes Verbrechen in Deutschland nicht gebe, basta! Losgetreten wird der Fall von Harrys Avancen gegenüber einer schönen Bedienung: Die mehr oder weniger private Verbandelung der Polizeibeamten in ihre Fälle ist ein jetzt immer häufiger vorkommendes erzählerisches Mittel. Guter Durchschnitt, nichts, um übermäßig in Begeisterung zu geraten, aber auch kein Reinfall.

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dicoEpisode 085: Das sechste Streichholz (Alfred Vohrer, 1981)

Henry Janson (Thomas Piper), der Besitzer einer Diskothek wird von dem jungen Konrad (Pierre Franckh) erschossen. Der Mord ist von mehreren Freunden, darunter Jansons DJ Jo (Thomas Schücke) und dem Taxifahrer Rolf (Jacques Breuer) erdacht worden. Aber warum?

Moralphilosophie und Selbstjustiz again. In der Disco läuft eine furchtbare Selbstkopie von Duvals „Angel of Mine“, über die der DJ nur sagt, das sei eine „Spitzenmelodie“. Geschmacksverirrung regiert, führt aber hier wie schon bei einigen anderen Episoden zum Sieg. Thomas Schücke – hat der mal was anderes gespielt als blasierte Arschgeigen? – reißt die Folge mit seinem selbstverliebten Spiel an sich. Gegen Ende, wenn er die Ereignisse rekapitulieren darf (die Rückblende ist in dieser Phase ein fester Bestandteil der verwendeten Erzähltechniken), klingt sein sonorer Voice-over, in dem er darüber schwadroniert, dass in einer Diskothek „Leben und Musik“ eine Art heiliger Verbindung eingingen, die Jugendlichen („ich liebe Kinder“, sagt er altklug und feierlich) ihre Sorgen durch die Füße in den Boden hinaustanzten, wie der Kommentar eines weltfremden Jugendkulturforschers. Nee, die Jugend und ihre Bedürfnisse hat Reinecker nie so richtig verstanden, aber es ist egal, denn entweder ist dabei so ein bizarrer Kram wie „Yellow He“ herausgekommen oder aber solide Krimis mit geiler Schlagseite wie eben dieser hier.

Dass sich dieser Selbstjustizfall wohltuend von anderen abhebt, liegt auch an Pierre Franckh, der den per Losglück oder eher -pech zum Scharfrichter auserkorenen Schützen spielt und an der auf ihm lastenden Schuld zerbricht. Schon in der ersten Szene, in der er davon erzählt, wie überraschend leicht das doch gewesen sein, merkt man, dass er mit dem Mord nicht klarkommt. Da spielt auch der schon häufiger zur Rede gekommene Verweichlichte-Söhne-Diskurs mit rein: Er ist ein Softie, der beweisen will, dass er auch der harte Macker sein kann, und kläglich daran scheitert. Schücke hingegen spielt das Gegenteil: Den große Reden schwingenden Macher, der sich sicher sein kann, nicht selbst handeln zu müssen, weil er genug willige Vollstrecker um sich hat.

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Episode 086: Prozente (Theodor Grädler, 1981)

Auf den skrupellosen Kredithai Hollerer (Rolf Boysen) wird ein Attentat verübt, bei dem sein Sekretär erschossen wird. Der Kreditsuchende Schlehdorn (Gerd Baltus), dessen Gattin den Mörder möglicherweise gesehen hat, erhofft sich durch dieses Wissen bessere Konditionen herauszuschlagen. Hollerer ist in äußerste Alarmbereitschaft versetzt, doch auch die kann seinen gewaltsamen Tod nicht verhindern …

Och nee, das war nix. Das Drehbuch ist irgendwie hingeschludert, der Subplot mit den Schlehdorns scheint nur mit verwurstet worden zu sein, weil der Fall um den fiesen Kredithai sonst gar nichts hergibt. Alles wirkt unfertig, wie aus den Elementen nicht fertig gestellter Drehbücher zusammengeschustert. Martin Semmelrogge gefällt mit lustiger Rockermähne, aber dass Michael Degen hier zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit den Mörder gibt, ist einfach nur lazy.

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kuoperEpisode 087: Der Untermieter (Michael Braun, 1981)

Buschmann (Peter Kuiper), ein kaltblütiger Schwerverbrecher, wird nach zehn Jahren aus der Haft entlassen. Sofort nistet er sich in der Wohnung seiner Ex-Freundin Gudrun (Lisa Kreuzer) ein, die auch die Mutter seines ihm unbekannten Sohnes und außerdem mittlerweile mit Ulrich Kaul (Horst Sachtleben) verheiratet ist. Das Ehepaar ist hilflos gegen den rücksichtslosen Buschmann, der seinen alten „Besitz“ zurückhaben will …

Mal was anderes, Teil 2: In dieser Folge gibt es keinen Mord, vielmehr bezieht die Folge die Spannung aus der Frage, wann und von wem er wohl verübt werden wird. Die Belagerungssituation in der Wohnung der Kauls wird immer unerträglicher – zu den Konfliktparteien gehört auch noch der studentische Untermieter (Hans-Jürgen Schatz) – und es ist klar, dass alles in einer Gewaltexplosion enden muss: Nur wer diese letztlich zu verantworten haben wird, ist nicht klar. Natürlich suggeriert die Inszenierung, dass ein solcher Gewaltakt nur von Buschmann ausgehen kann: Kuiper ist gemacht für diese voller Selbstüberlegenheit grinsenden Proleten, die wissen, dass sie sich ganz auf ihr Einschüchterungspotenzial verlassen können. Wie er sich hier „ins gemachte Nest“ setzt, sich an der Angst seiner Opfer ergötzt und gar nicht daran denkt, irgendetwas zu beschleunigen, treibt einem den blanken Zorn in die Magengrube. Kuipers Buschmann ist einer dieser Filmcharaktere, die einem wirklich die Galle hochtreiben und einem die passive Beobachterposition vor der Glotze zur Qual machen. Selbst Derrick ist machtlos: Zum für die Kauls günstigen Ausgang hat er am Ende nicht wirklich viel beigetragen.

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Episode 088: Tod im See (Alfred Vohrer, 1981)

Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) kann gerade noch gerettet werden, als er während eines Sturms mit seinem Segelboot auf dem Starnberger See kentert. Für seine Frau, die nach seinen Angaben bei ihm war, gibt es keine Rettung. Der Vater (Heinz Moog) der Toten indessen glaubt nicht an einen Unfall, sondern an Mord: Niemand habe seine Tochter, die das Segeln gehasst habe, auf dem Boot gesehen. Und sein Schwiegersohn habe außerdem eine Geliebte (Christiane Krüger) …

Eine Standardepisode, aber eine, die beweist, das auch aus gut abgehangenen Krimistoffen durch gute Inszenierung und adäquate Darsteller immer wieder einiges rauszuholen ist. Robert Atzorn, „Unser Lehrer Dr. Specht“, hatte ich immer als ebensolchen, bieder-braven Jugendlichenversteher abgespeichert und wusste gar nicht, wie gut er als vibrierender, schwitzender, angesichts der Derrick’schen Coolness schier aus der Haut fahrender Eherfauenmörder sein könnte. Er ist super, wie er auf Derricks Zermürbungstaktiken zunehmend angepisster reagiert. Die Versuche des Drehbuchs, den Fall verwirrender zu machen, als er eigentlich ist, hätte es eigentlich nicht gebraucht, was mal wieder bestätigt, dass ein hassenswerter Schurke die halbe Miete ist.

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Episode 089: Die Stunde der Mörder (Theodor Grädler, 1981)

Zwei Mörder werden umgebracht. Beiden gemeinsam: Sie waren kurz zuvor wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden. Bei beiden Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend war der Rentner Mahler (Hans Caninenberg), der ein besonderes Interesse an Recht und Gerechtigkeit zu haben scheint …

Schöne Selbstjustiz-Geschichte, die dadurch, dass es sich bei den Tätern um Rentner handelt, hervorsticht und wie eine Verlängerung der KOMMISSAR-Episode „Tod eines Ladenbesitzers“ wirkt. Wer der Täter ist, ist relativ bald klar: Die Episode ist sehr geradlinig erzählt und die Ermittlungsarbeit der Protagonisten hat vergleichweise geringen Anteil an der Gesamtlaufzeit. Hans Caninenberg spielt den eiskalten Racheengel als sympathischen alten Herren, dessen Interesse für Recht und Gesetz Derrick allerdings schon nach der ersten Begegnung auf die Palme bringt. „Der geht mir auf den Geist!“, entrüstet er sich gegenüber Harry, der mal wieder gar nichts versteht. Aber der Oberinspektor hat natürlich Recht: Rechtsprechung ist nichts, in das sich der Laie mit seinen über seine Gefühle formierten Meinungen einmischen sollte, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Wie auch hier: Während der selbsternannte Gerechtigkeitsfanatiker mit seiner hübschen Enkeltochter (Irina Wanka) der Hochkultur in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen frönt, gehen die von ihm gedungenen Mörder ihrem blutigen Handwerk nach – klar, dass er sich die Hände nicht selbst schmutzig macht.

Derrick hat noch weniger Verständnis für die hier zum Ausdruck kommende Selbstermächtigung als für andere Übeltäter. Mit je mehr Morden er konfrontiert werde, umso mehr erschrecke er jedesmal, ganz egal, wer das sein Leben lasse. Das kann Mahler, der die Menschheit bequem in Opfer und Täter einteilt, nicht begreifen.

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derrickEpisode 090: Eine Rose im Müll (Günther Gräwert, 1982)

Der Lkw-Fahrer Michael Rothaupt (Bernd Herberger) nimmt die Anhalterin Marion Diebach (Beatrice Richter) mit. Die beiden kommen ins Gespräch und verstehen sich auf Anhieb. An einem Rasthof hält er kurz an, um sich mit einer Kollegin zu treffen, die ihn per CB-Funk kontaktiert hat. Er verspricht Marion, sie an der Straße wieder aufzusammeln. Doch wenig später der Lkw fährt an ihr vorbei, ohne zu halten, von Rothaupt fehlt danach jede Spur. Die junge Frau sucht Derrick auf …

Von dieser Folge ist vor allem das deprimierende Mülldeponienszenario hängengeblieben. Der Fall selbst – es geht um illegal entsorgten Giftmüll – ist eine Spur zu abstrakt, um in diesem Format richtig wirken zu können. Da hatte Reinecker bestimmt irgendwo was in der Zeitung gelesen, was er dann flugs in einem Drehbuch verwurstete. Ich hätte gern mehr von den beiden angehenden Turteltauben gesehen, aber das ist wohl auch der Plan: Rothaupt wird aus der Episode gerissen, wie es ihn aus dem Leben reißt, und man hat keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen. Als Trost bleibt nur die Rose im Müll.

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berlinEpisode 061: Ein Kongress in Berlin (Helmuth Ashley, Deutschland 1979)

Beim Einbruch in eine Firma, die an hochbrisanten chemischen Entwicklungen arbeitet, wird ein Wachmann erschossen. Doch die wichtigen Forschungsunterlagen, die nach den Angaben von Prof. Braun-Gorres (Will Quadflieg) offen herumlagen, sind durch die Wachsamkeit der Sekretärin Meinrad (Judy Winter) wider Erwarten gerettet worden. Hinter dem Einbruch vermutet man den heruntergekommenen Wissenschaftler Jurek (Ullrich Haupt), der sich Frau Meinrad bei einem Kongress in Berlin mit einem eindeutigen finanziellen Angebot genähert hatte. Aber wenig später ist auch Jurek tot …

Ich weiß noch nicht, ob sich die Beobachtung aufrecht erhalten lässt, aber bei EIN KONGRESS IN BERLIN hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass sich an der Ausrichtung der Serie etwas ganz wesentlich geändert hat. Vielleicht ist es nur das sich am Horizont abzeichnende neue Jahrzehnt und die mit diesem einhergehenden Änderungen der Mode (Klein trägt das Hemd unter dem Jackett hier offen und den breiten Hemdkragen darüber geklappt). Auch wenn es im Kern der Geschichte immer noch um persönliche Motive geht, vor allem um dysfunktionale Liebes- und Ehebeziehungen und um „Normalbürger“, die durch eine Verkettung von Zu- und Unfällen zu Mördern werden, so sind der spießbürgerliche Mief und die bedrückende Enge der Mittelklassenmilieus, in denen DERRICK meist angesiedelt ist, hier doch merklich abwesend.

Vielleicht ist es auch nur die zwischenzeitliche Verlegung der Handlung nach Berlin, das gegenüber München auch in Zeiten der Teilung für mehr Weltoffenheit, Multikulturalität und kosmopolitischen Flair steht. Die Folge wirkt sonniger, aufregender, größer als die sonstigen Ausflüge des Oberinspektors in den Morast bürgerlicher Heuchelei und Niedertracht. Zwischenzeitlich erinnert „Ein Kongress in Berlin“ an einen Agententhriller, was gewiss auch an der Lauflänge von 75 Minuten liegt. Es ist die längste DERRICK-Episode, die einzige in der mehr als 20-jährigen Geschichte der Serie, die mit der 60-Minuten-Konvention bricht: „Ein Kongress in Berlin“ wurde zum Anlass der IFA 1979 ausgestrahlt, ein echtes Fernsehevent sozusagen, aber von aufgesetztem Bullshit, der ähnliche Unternehmungen heute begleitet, noch meilenweit entfernt. Den selbstzweckhaften Gastauftritt irgendeines Fernsehmoderators muss man hier nicht erdulden, dafür gibt es Rainer Hunold als schnauzbärtigen Busfahrer zu sehen.

Wer DERRICK in erster Linie für die beschriebene Abgründigkeit und bundesdeutsche Tristesse schätzt, wird mit „Ein Kongress in Berlin“ wahrscheinlich nicht so warm werden – auch wenn die mit „eiskalt“ noch freundlich umschriebenen Szenen zwischen Braun-Gorres und seiner Gattin (Angela Salloker) sich vor vorangegangen DERRICK-Einblicken in die Ehehölle nicht verstecken müssen. Mir hat die Folge sehr gut gefallen, einfach weil sie aufgrund der längeren Laufzeit etwas kniffliger und wendungsreicher ist. Ich bin gespannt, wie es mit DERRICK an der Schwelle zu den Achtzigern weitergeht.

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opferEpisode 062: Das dritte Opfer (Alfred Vohrer, Deutschland 1979)

Im Urlaub lernt Derrick den merkwürdigen Albert Grosser (Lambert Hamel) kennen: Der Mann interessiert sich brennend für den Beruf des Oberinspektors, philosophiert über die gesellschaftliche Bedeutung des Mords und bezeichnet sich selbst als neuen Menschen. Im Casino wirft er mit Geld um sich und macht seiner Errungenschaft, der 20 Jahre jüngeren Gabriele Voss (Jutta Speidel), teure Geschenke. Wenig später ist er tot, erschossen. Bei seinen Ermittlungen sucht Derrick Grossers nächste Verwandte auf: seinen Schwager Martin Dorp (Heinz Drache) und dessen Gattin (Eva Christian). Dorps erste Ehefrau, Grossers Schwester, war vor einiger Zeit nach schwerer Krankheit verstorben …

Die Sichtung von „Das dritte Opfer“ brachte angenehm nostalgische Fernsehgefühle mit sich: Leena und ich hatten nämlich unseren Spaß daran, mitzuraten, was es mit diesem Grosser auf sich hat. Ein bisschen erinnert er an Dostojewskis Raskolnikoff und gut und gern hätte sich Vohrers Episode in eine entsprechende Richtung entwickeln können, mit Grosser als philosophischem Mörder, der den Profiermittler herausfordert. Aber es kommt dann eben doch anders. Vohrer, der in den Sechzigerjahren ganz entscheidenden Anteil am Erfolg der Wallace-Filme hatte, hatte sicherlich Spaß daran, zwei seiner damaligen Protagonisten – Tappert und Drache – gegeneinander antreten zu lassen, und der Besetzungscoup mit Drache ist schon großes Tennis. Der in den Wallace-Filmen stets brav und onkelhaft-verbindlich auftretende Schauspielers personifiziert die Strategie Reineckers, die Abgründe des Biedermanns bloßzulegen, was hervorragend funktioniert. Die Folge wäre auch so schon super, aber wenn dann am Ende mit einer Rückblende zu der von der kranken Schwester/Ehefrau tyrannisierten Familie in den gothischen Overdrive geschaltet und mit Derricks letzter Dialogzeile die Bedeutung des Titels offenbart wird, schließt sich der Kreis. Endlich mal wieder ein richtiger Kracher von Vohrer!

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Episode 063: Die Versuchung (Erik Ode, Deutschland 1979)

Rolf Sossner (Peter Fricke) ist wie ohnmächtig. Eben hat ihm sein Geschäftspartner Walter Möbius (Klaus Wildbolz) gestanden, dass er die gemeinsame Firma durch eine Spekulation in den Ruin getrieben hat, als nächstes offenbart er ihm, wie er gedenkt, die verlorene Million wieder reinzuholen: Durch eine vorgetäuschte Entführung und eine entsprechende Lösegeldforderung an Möbius‘ Schwiegervater, den wohlhabenden Unternehmer Demmer (Heinz Moog). Der Plan geht auf, Demmer zahlt und die Million ist weg. Doch dann wird Möbius tot aufgefunden …

„Der Kommissar“ Erik Ode holt aus dem DERRICK-Standardstoff Einiges raus: Die Sequenz um die Lösegeldübergabe inszeniert er im Stile eines Police Procedurals und erzeugt so erhebliche Spannung. Der Rest ist nicht unbedingt ein Grund, Briefe nach Hause zu schreiben, aber Peter Fricke ist einfach perfekt für diese schwitzend-zitternden Feiglinge, die der titelgebenden Versuchung dann doch einfach nicht widerstehen können. Ich sehen ihn immer wieder gern.

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todesengelEpisode 064: Ein Todesengel (Alfred Vohrer, Deutschland 1979)

Der Junggeselle Arthur Tobbe (Christian Quadflieg) reißt in seiner Stammkneipe eine junge Frau (Sabine von Maydell) auf, die ihn intensiv beäugt. Auf dem Heimweg wird er aus einem Hinterhalt angeschossen, seine Begleitung verschwindet spurlos. Erst nachdem er von seinen leichten Verletzungen genesen ist, taucht sie wieder auf und stellt sich als Anita Glonn vor. Derrick und Klein haben den Verdacht, dass sie mit dem Anschlag auf Tobbes Leben zu tun hatte. Und der ist keineswegs ein unbeschriebenes Blatt …

Eine unerhörte Folge, in der seit langer Zeit zum ersten Mal wieder die melodramatische Keule und der Kessel mit dem Schmierfett ausgepackt wird: von wem anders als von Vohrer? „Ein Todesengel“ beginnt gediegen, für Verzückung sorgt allerdings das eichenhölzerne Kneipenetablissement, in dem sich der junge Filou Tobbe mit seinen Kumpels zum Skatkloppen trifft. Unvorstellbar, dass das heute ein fescher Mittzwanziger, der etwas auf sich hält, als seine Stammkneipe ausgäbe – und sich dahin eine attraktive Frau wie Anita hin verirren würde. Quadflieg, heute einer der vielen überalterten Vorabendprogramm-Schwiegersöhne des deutschen Fernsehens, bringt genau die richtige Qualität für seinen Charakter mit, der vordergründig etwas schüchtern und unbeholfen wirkt, aber auch so, als sei das seine Masche, um sich alles erlauben zu können. Die Einschätzung Kleins, er sei ein Aufschneider, der sich für was Besonderes halte, aber eigentlich ziemlich plump sei, klingt zunächst hart, aber im weiteren Verlauf treibt er einen mit seinem bequemen Entitlement auf die Palme: Er meint, er könne alles haben, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen, einfach nur, weil er so ein feiner Kerl ist. Je mehr ich über ihn nachdenke, umso mehr will ich kotzen.

Was „Ein Todesengel“ aber wirklich durch die Schallmauer des Sleaze katapultiert, ist eine Sequenz in der Mitte, die die Motivation des Attentäters erklärt. Derrick und Klein besuchen eine Nervenheilanstalt, in der Regine (Johanne Elbauer), die Schwester Anitas, ein erbarmungswürdiges Dasein fristet, ist sie doch auf einem LSD-Trip hängen geblieben. „Die jungen Leute wollen ihr Bewusstsein erweitern. Stattdessen verkürzen sie etwas. Ihr Leben!“, klagt ein greisenhafter Arzt im Duktus eines Weltuntergangspredigers. In einem klaren Moment sagt Regine mit wässrigen, leuchtend blauen Augen „Sechs Stunden!“, um auf den verständnislosen Blick Derricks zu ergänzen: „So lange bin ich schon ohne Halluzinationen.“ Glück ist die Schaumkrone auf dem Bier, voller Luftblasen und schnell in sich zusammengefallen. Später wälzt sich die Arme in spastischen Krämpfen auf dem Bett, mit Mühe und Not niedergehalten von drei Pflegerinnen. Das ganze Drama eines Drogenopfers in drei handlichen Minuten.

Das reicht schon, um Vohrers Folge für immer einen Platz im Olymp zu sichern, aber das Finale setzt fast noch einen drauf. Unbedingt anschauen!

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karo-asEpisode 065: Karo As (Dietrich Haugk, Deutschland 1979)

Am Monopteros-Tempel im Englischen Garten nimmt der vornehme Bernhard Demmler (Klausjürgen Wussow) Kontakt zum Säufer Jochen Karo (Günther Maria Halmer), genannt „Karo As“, auf. Er erkennt die Abhängigkeit und Käuflichkeit des Mannes, dessen Gewogenheit er sich mit diversen Pullen Schnaps und Geld sichert – und ihm dann irgendwann eine Knarre in die Hand drückt, damit er seine unliebsame, aber wohlhabende Gattin Agnes (Joana Maria Gorvin) erschießt. Karo drückt ab, allerdings zu spät, um die Frau zu töten. Das missglückte Attentat löst eine Wandlung in ihm aus: Er entsagt dem Alkohol und sucht sein Opfer im Krankenhaus auf. Es entwickelt sich eine Freundschaft zwischen beiden. Aber Demmler ist entsetzt über den Leichtsinn des gedungenen Mörders …

Nach dem melodramatisch-mahnenden Sleazehobel von Vohrer ist Haugks Episode am ganz anderen Ende des Spektrums angesiedelt: ein charakterorientiertes, psychologisches Drama, bei dem der Kriminalfall und die Ermittlungen Derricks im Hintergrund stehen. Was unter anderer Regie nur allzu leicht zum öden Rührstück verkommen wäre, reift unter Haugks Inszenierung vor allem dank Halmers sensationeller Darbietung zum bewegenden Psychogramm. Halmers Aufopferungsbereitschaft ist bemerkenswert, immerhin handelt es sich bei „Karo As“ ja „nur“ um eine Folge einer Vorabendserie. Aber das hält ihn nicht davon ab, den Alkoholiker am Rande des Exitus mit der Inbrunst eines Method Actors zu verkörpern: Man macht sich mehrfach tatsächlich Sorgen um ihn. Auch die Wandlung zum reuigen, insgeheim um Vergebung bittenden Sünder gelingt ihm mit Bravour. Man kann viel Positives über DERRICK sagen, aber so bewegend wie in Haugks kleinem Meisterwerk war die Serie nur selten. Es tut einem fast Leid, dass Klausjürgen Wussow, der viel häufiger Schurken hätte spielen müssen, hier so im Schatten seines Gegenübers steht. Aber er tut gut daran, nicht mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Karo As“ ist Halmers Folge.

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Episode 066: Hanna, liebe Hanna (Theodor Grädler, Deutschland 1980)

Die 18-jährige Magda (Ute Christensen) kommt auf Geheiß ihres Vaters nach München, doch der ist schon bei ihrem Eintreffen spurlos verschwunden. Er wollte seine geschiedene Frau Hanna (Christine Wodetzky) um ein Darlehen bitten, um sein darbendes Geschäft vor dem Konkurs zu bewahren. Das letzte, was Magda von ihm hörte, war, dass die Geldnöte gelöst seien. Doch die Mutter berichtet, dass sie ihm die Hilfe versagt habe und auch nicht wisse, wo er sei …

Eine eher ruhige und unspektakuläre Folge, die eher was für Fortgeschrittene ist. Grädler verleiht ihr nämlich diese spezielle Freudlosigkeit, die auch aus Reineckers Auslassungen zum Thema Ehe tropft. Ergänzt um den bonzigen Bürgertumsprunk mit dem sich Hanna und ihr Ehemann (Herbert Fleischmann) umgeben, ergibt sich eine Episode von der Kälte eines teuren Eichenholzsargs. Höhepunkt: Hanna berichtet ihrer Tochter davon, dass sie zu jung in die Ehe mit ihrem Vater eingewilligt habe: „Ich begriff, dass ich meine Ehe mit Verzicht beginnen musste.“ Brr. Nebendarsteller Volker Eckstein ist bereits zum vierten Mal innerhalb von 14 Episoden mit am Start (erster Auftritt: Episode 052, „Abitur“).

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hungerEpisode 067: Unstillbarer Hunger (Helmuth Ashley, Deutschland 1980)

Helga Wichmann (Diana Körner) wird vor einer Kneipe von einem Unbekannten vor ein fahrendes Auto gestoßen und ist sofort tot. Ihr Ehemann Eberhard (Peter Fricke) ist nur wenig schockiert, ganz im Gegensatz zu seiner Mutter (Maria Wimmer). Die Tote hatte zahlreiche Affären, mit denen sie dem trostlosen Alltag mit ihrem strengen Gatten entfliehen wollte …

Auahauerha. Wenn DERRICK Gefühle, Untreue, körperliche Bedürfnisse, Lust und Moral thematisiert, kann das ja eigentlich nur gut werden, und „Unstillbarer Hunger“ ist der Beleg für diese These. Die Episode bewegt sich auf dem schmalen Grat des Wahnsinns zwischen moralisierendem Spießertum und der Kritik an selbigem, in der unnachahmlichen Reinecker’schen Art, die an den blinden Mr. Magoo erinnert: Egal, in was für halsbrecherische Situationen er sich begibt, er geht immer heil daraus hervor, ohne überhaupt zu ahnen, welches Glück ihm eigentlich zuteil wurde.Als Zuschauer biegt man sich mitunter vor Grausen angesichts der Lustfeindlichkeit und pechschwarzen Büßergesinnung, die selbst dann noch zum Vorschein kommt, wenn eigentlich eine Lanze für die sexuell selbstbestimmte Frau gebrochen werden soll. Auf dem von Reinecker bestellten Nährboden wachsen doch nur knotige Kakteen.

Auch sonst ist einiges falsch oder wenigstens schmerzhaft simplifiziert: Helga Wichmann wird als lebensfroher Sprühgeist gezeichnet – in einer Rückblende hüpft sie quietschvergnügt mit einem Hund im Garten hem, während ihre Schwiegermutter im Hintergrund verzückt und sich vor Lachen biegend in die Hände klatscht, oder quittiert den Duft einer Blume mit einer mädchenhaften Pirouette -, der unter der lustfeindlichen Knute eines unbarmherzig-verknöcherten Ehemanns zu leiden hat. Fricke ist großartig, aber er interpretiert diesen Emotionsnazi mit solcher Intensität, dass ein Hitlerschnurrbart, ein Rollstuhl und ein reflexartig zum Gruß nach oben gereckter Arm kaum weiter aus der Rolle fielen. Für Helga kommt das eine zum andere, sie landet in diversen Betten von Männern (darunter Sascha Hehn als Student mit Ravi-Shankar- und Ringo-Starr-Poster über dem Bett), in der Hoffnung, dass sie ihr das geben, was sie zu Hause nicht bekommt. Der fiese Eberhard reagiert darauf mit zurückgehaltenem Zorn: Seine preußischen Moralvorstellungen erlauben ihm keine Scheidung, eine Ehe wird erst durch den Tod beendet. Egal, wie sehr er die „unmögliche Person“ in seinem Hause auch hasst. Dieser Mann pisst scharfkantige Einswürfel und lächelt, weil er weiß, dass er den Schmerz verdient.

„Unstillbarer Hunger“ schlägt sich ohne Zweifel auf die Seite des Opfers, zeichnet den Gatten als seelischen Krüppel ohne Funken Menschlichkeit im Körper. Trotzdem behandelt Reinecker Helgas Suche nach Liebe auch als krankhaften Irrtum, der früher oder später „bestraft“ werden muss. Wie Eberhard kann Reinecker nicht raus aus seiner Haut, er ist in alten Denkstrukturen verhaftet, kann sie nicht überwinden. Das zeigt schon der Titel, der ja grob irreführend ist: Bei Helga handelt es sich schließlich nicht um eine Nymphomanin, die immer mehr will und nie genug bekommt, sondern um eine Frau, die den Fehler macht, aus Verzweiflung an der falschen Stelle nach Liebe zu suchen. Ihr Hunger ist nicht „unstillbar“:  Es sind die Männer, die gar nicht bereit sind, ihn zu stillen, weil sie in ihr nur eine kurzes, reueloses Abenteuer sehen. Nach „Hanna, liebe Hanna“ ist „Unstillbarer Hunger“ außerdem die zweite Folge hintereinander, in der von einer von der Frau „verschuldeten“ Scheidung die Rede ist: Bundesdeutsche Realität des Jahres 1979, man kann es sich gar nicht vorstellen. Hier steckt so viel drin, es ist ein Wunder.

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Folge 068: Ein Lied aus Theben (Alfred Weidenmann, Deutschland 1980)

Inge (Mijou Kovacs) hat viele Verehrer: Hans (Eckhard Heise), ihren Tanzpartner, den fiesen Ulrich (Werner Schulenburg), ihren Cousin Robert (Michael Boettge) und auch ihren Onkel (Siegfried Wischnewski), den Geschichtsprofessor. Eines Abends liegt Hans tot vor seine Garage. Der Verdacht fällt sofort auf Ulrich, der sich von Hans kurz zuvor eine Maulschelle eingefangen hatte …

Einige Jahre nach seiner letzten DERRICK-Episode (Episode 025, „Das Bordfest“, von 1976) kehrte Regie-Veteran und Reinecker-Weggefährte Weidenmann mit dieser eher unglücklichen Arbeit zurück. Das Problem scheint mir das Drehbuch zu sein: Es kommt nicht auf den Punkt und das titelgebende Lied aus Theben, ein antiker religiöser Gesang, der den Täter angeblich in die richtige Mordsstimmung versetzt, erzielt in der Inszenierung einfach nicht die Wirkung, die ihm auf Inhaltsebene zugewiesen wird. Vielleicht hätte „Ein Lied aus Theben“ besser funktioniert, wenn sie im Stile der ersten DERRICK-Folgen strukturiert worden wäre anstatt als Whodunit, der leider kaum Spannung aus der Frage nach dem Täter bezieht. Schulenburg indessen, der in „Die Puppe“ als galant-verzärtelter Frauenversteher und -verehrer aufgetreten war, gibt hier den nazihaft-selbstsicheren Stalker mit der gleichen Intensität, aber insgesamt ist das doch eine sehr schwache Folge.

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Episode 069: Tödliche Sekunden (Zbynek Brynych, Deutschland 1980)

Der Student Achim Rudolf (Uwe Ochsenknecht) kommt durch Zufall an den Tatort eines Mordes: Der Besitzer einer Lotto-Toto-Annahmestelle ist in seinem Geschäft umgebracht worden. Was Achim der Polizei verschweigt: Unmittelbar vor dem Geschäft stand der Wagen seines vorbestraften Vaters (Werner Kreindl) …

Die Zeiten, in denen Brynych sich einen Dreck um die Konvention scherte und das Format der Krimiserie für wilde, freigeistige Experimente nutzte, sind lange vorbei. Seine KOMMISSAR-Episoden könnten von keinem anderen sein, sind sofort als die seinen identifizierbar, und das gilt auch noch für seine frühen Beiträge zu DERRICK, „Alarm auf Revier 12“ etwa oder auch „Pecko“, „Yellow He“ und „Tod des Wucherers“. Zur wahrscheinlich altersbedingten Mäßigung des Regisseurs kam der Aufstieg der Krimiserie zum immer mehr gestreamlineten Riesenerfolg, der sich keine Ausreißer mehr erlauben wollte. „Tödliche Sekunden“ ist eine – im besten Sinne wohlgemerkt – typische DERRICK-Folge, die sich passgenau in das große Ganze einfügt. Man muss schon ganz genau hinschauen, um den Regisseur dahinter zu erkennen. Ich meine, man sieht ihn in kleinen Gesten und Ausdrücken, etwa in dem amüsierten Lachen, in das Derrick und Klein einfallen, als ihnen Rudolf mitteilt, der Wirt und die Gäste im „Kreisel“ würden sein Alibi bestätigen. Natürlich würden sie das, sagt dieses Lachen, handelt es sich doch um die einschlägig bekannte Heimat lichtscheuer Gestalten, die sich alle gegenseitig decken. Oder in dem verzweifelten Ringen des Vaters um das Vertrauen seines Sohnes, in dessen Blick ins Nichts, voller Angst, sein Vater könnte ein Mörder sein. In der Furcht der Mutter, die bei all ihren Auftritten aus der Küche zu kommen scheint – oder dorthin zurückgeht, als sei sie ihr Gebetshaus. In einer nicht näher beschreibbaren Schwere, die auf allem lastet, selbst in raren Momenten der Heiterkeit.

„Tödliche Sekunden“ ist also keine Episode, die einen umhaut, wie das für Brynychs frühe Arbeiten in der Krimiserie galt, aber sie zeigt den souveränen Umgang mit der Form und überzeugt mit Details, die einen autonomen Künstler mit einem genuin eigenen Blick auf die Dinge entbergen.

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preis1Episode 070: Ein tödlicher Preis (Helmuth Ashley, Deutschland 1980)

Türkische Drogenschmuggler kommen mit einer Ladung Heroin am Münchener Bahnhof an und werden sofort von der Polizei aufgegriffen. Ein Koffer mit dem wertvollen Stoff kann vorher gerade noch im Kofferraum des Taxis von Hugo Dornwall (Kurt Weinzierl) deponiert werden. Nach Absprache mit seinem Sohn Harald (Ekkehard Belle) entscheidet sich Hugo, den Stoff zurückzugeben – trotzdem wird er nach der Übergabe ermordet. Wenig später weiß Harald, warum: Er findet die Drogen in der Wohnung des Vaters und entscheidet sich zusammen mit dessen Kollegen, sie selbst zu verkaufen …

„Ein tödlicher Preis“ ist mit seinen internationalen Drogenverbrechern und den an Omnipotenzwahn leidenden Ottonormalverbrauchern, die zwar keine Ahnung haben, aber es trotzdem mit ihnen aufnehmen wollen, eine schöne und willkommene Abwechslung von den ganzen Rache-, Lust- und Giermorden unsympathischer Snobs. Ashley ist der ideale Mann für die Folge, weil er sich mehr als Brynych, Grädler, Vohrer, Haugk oder Becker auch auf handfeste Action versteht. Nicht nur aufgrund der Musik, die jeden winterlichen New-York-Copfilm adeln würde, erinnert seine Episode daher an US-amerikanische Großstadtthriller, die ja nicht selten vom Versuch der Underdogs erzählen, groß rauszukommen. Klaro, „wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“, wie einst eine deutsche Rockband aus Hamburg sang, aber Ashley fängt die richtigen, runtergekommenen Ecken Münchens ein und hält Derrick und Klein eher im Hintergrund, damit sie den sich einstellenden Eindruck eines städtischen Crimedramas nicht wesentlich stören können. Somit handelt es sich bei „Ein tödlicher Preis“ nicht nur um eine sehr originelle Folge, sondern nach langer Zeit auch mal wieder um eine richtige Überraschung.

Hauptdarsteller Ekkehard Belle habe ichanhand seiner Stimme sofort als bekannten Synchronsprecher identifiziert. Nach Blick in seine Karteikarte musste ich dann sehr schmunzeln: Er ist der Stammsprecher von Steven Seagal, was man dem schmächtigen Milchbubi eher nicht ansieht. Wahrscheinlich hat er seit damals etwas an nötiger Körperfülle zugelegt.

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l-faktor4Episode 053: Der L-Faktor (Helmuth Ashley, 1979)

Professor Waldhoff (Herbert Mensching), eine Koryphäe auf seinem Gebiet, dessen neueste Arbeit einen Durchbruch im Bereich der Pharmakologie bedeuten könnte, findet seine Gattin (Gisela Peltzer) tot vor, als er abends mit seiner Kollegin Dr. Minz (Irmgard Rupé) bei sich zu Hause ankommt. Oberinspektor Derrick berichtet er sofort von Michael Bruhn (Wolfgang Müller), einem ehemaligen Häftling, mit dem sich seine Gattin angefreundet hatte und der für ihn der Tatverdächtige Nummer eins ist. Dessen Bruder, der im Rollstuh sitzende Heinz (Matthieu Carriére), verschafft Michael aber ein Alibi – und ist außerdem überzeugt, dass der Wissenschaftler selbst der Täter ist. Das kann aber nicht sein, denn als der seine Gattin kurz vor seinem schrecklichen Fund aus dem Büro anrief, war sie noch am Leben …

DER L-FAKTOR ist ein gutes Beispiel dafür, warum es sich bei DERRICK manchmal lohnt, den Blick von der konkreten Handlung auf weniger greifbare Aspekte schweifen zu lassen. Der Kriminalfall, mit dem Derrick und Klein hier konfrontiert werden, ist nicht besonders aufregend, bestenfalls Standard, die Auflösung aufgrund des schmalen Figureninventars schon lang vor dem Finale erahnbar. Der vermeintliche Täter ist einer dieser armen Tröpfe, die von den intriganten Bastarden um sie herum als ideales Opfer auserkoren werden, Mathieu Carriére spielt einen seiner arroganten, furchtbar von sich selbst eingenommenen Stinkstiefel, dem man die ganze Zeit über einen ordentlichen verbalen Einlauf vom Oberinspektors wünscht, der aber seltsamerweise einfach nicht kommt. Business as usual, aber mit ihrem klinischen Wissenschaftssujet hat „Der L-Faktor“ eine Atmosphäre, die aus der eh schon alles andere als gemütlichen Serie noch einmal als besonders kalt und trostlos heraussticht.

Der eigentlich überflüssige Prolog etabliert das klinisch-sterile Forschungslabor, in dem Waldhoff arbeitet, und damit den bestimmenden Ton. Eine Liebesbekundung des Professors für seine Assistentin hängt durch einen hart gesetzten Schnitt so in der Luft, bleibt letztlich unausgesprochen. Die altruistische Fürsorge, mit der sich seine Gattin um den Haftentlassenen kümmert, wird in eine Rückblende geschweißt und damit noch einmal besonders vom bitteren Rest isoliert. Was bleibt, sind Ohnmacht und Verbitterung. Der Titel bezieht sich auf ein Zitat Derricks: Dem „R-Faktor“, also der Resistenz von Krankheitserregern, mit der sich Waldhoff beruflich beschäftigt, setzt er den „L-Faktor“ entgegen: den Mangel an Liebe, den seine Gattin in ihrer Ehe schließlich vermisste und der sie in die Arme des freundlichen Michael trieb …

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brunoEpisode 054: Anschlag auf Bruno (Theodor Grädler, 1979)

Die hübsche Gerda (Michaela May) beklagt sich bei ihrem Vater (Herbert Stass) über ihren Jugendfreund, den geistig behinderten Nachbarssohn Bruno (Dieter Schidor), der ihr ständig nachstellt. Letzten Endes ist es aber nicht Bruno, sondern dessen Bruder Helmut (Volker Eckstein), der zudringlich wird. Auf dem Parkplatz vor der Diskothek kommt es zum Übergriff, und Gerda verstirbt, als Helmut versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Der Vater (Peter Ehrlich) kommt auf die Idee, den ohnehin verdächtigen und unzurechnungsfähigen Bruno an Helmuts Stelle zu belasten …

Das ist jetzt schon die dritte DERRICK-Folge, in der eine Frau dadurch ums Leben kommt, dass ein Mann ihr den Mund zuhält: Besonders widerstandsfähig ist es in dieser Serie nicht, das schwache Geschlecht. Wie fragile Schmetterlinge verenden sie, sobald sich etwas über ihre Atemwege legt. Die Täter können einem da fast schon leid tun, zumal die Drehbücher niemals zwischen Mord und Totschlag unterscheiden. Helmut ist keineswegs ein Unschuldslamm, zum Zeitpunkt der Tat auf dem besten Weg zum Vergewaltiger, aber der Tod Gerdas ist doch eher ein Unglücksfall, kein kaltblütiger Mord. Das gehört aber zum dramaturgischen Prinzip, weil bei DERRICK weniger kriminelle Energie aufs Korn genommen wird als vielmehr Feigheit und die fehlende Bereitschaft, für eigene Fehler einzustehen. Das sieht man ja auch daran, dass die Tötung immer nur der Anfang einer ganzen Kette von Lügen, Täuschungsversuchen und weiterer Vergehen ist, mit denen der Täter alles nur noch schlimmer macht. Der Titel dieser Folge ist da bezeichnend: Der „Anschlag“ ist schlicht der Versuch von Vater und Sohn, dem behinderten, hilflosen Bruno die Schuld in die Schuhe zu schieben. Der weiß eh nicht, wie und was ihm geschieht und ins Gefängnis kann man ihn auch nicht stecken. Derrick ahnt hingegen schnell, wie der Hase läuft, nur beweisen kann er nichts: Die Episode endet in einer quälenden Sequenz, in der er Bruno zur Untersuchung in eine geschlossene Anstalt mitnehmen will und Druck auf den wahren Täter und die Mutter aufbaut, die es kaum noch ertragen kann, den gutmütigen Bruno an Helmuts Statt bestrafen zu lassen. Das verfehlt seine Wirkung nicht, auch wenn die Darstellung des Behinderten heute ziemlich naiv, das Spiel Schidors eindimensional anmutet. Eckstein spielte hier mit nur zwei Folgen Abstand erneut den Mörder und es ist wie immer toll, ihm beim Schwitzen zuzusehen, wenn Derrick, der ihn sofort durchschaut, ihm auf den Zahn fühlt. In einer Nebenrolle ist Heiner Lauterbach zu sehen, in der Disco am Anfang läuft Supermax, Duvals Score presst noch den letzten Tropfen Melodramatik aus dem Stoff.

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schubach4Episode 055: Schubachs Rückkehr (Theodor Grädler, 1979)

Der Anwalt Homann (Claus Biederstaedt) sucht Derrick auf: Er hat gehört, dass sein ehemaliger Mandant Schubach (Udo Vioff) in Kürze aus der Haft entlassen wird. Homann hatt nicht nur seine Bestrafung nicht verhindern können, er hatte kurz darauf auch Schubachs Gattin Helga (Christine Buchegger) geheiratet. Nun sinnt Schubach auf mörderische Rache: Das hatte Homann ein Zellengenosse Schubachs mitgeteilt. Als Derrick den Entlassenen mit dem Verdacht konfrontiert, ist dieser geradezu entsetzt: Nichts könnte ihm, dem in der Haft Geläuterten, ferner liegen. Sofort kontaktiert er Homann, beruhigt diesen und bietet ihm die Freundschaft an, die der Anwalt nur zu bereitwillig eingeht. Derrick hingegen glaubt nicht an den Frieden …

Oh, was für eine perfide Episode! Udo Vioff ist großartig als Schubach, der sich in acht Jahren Haft einen minutiösen Plan zurechtgelegt hat, wie er Homann fertigmachen will – und sich nun auch durch die Anwesenheit Derricks nicht aus der Ruhe bringen lässt. Die Episode bricht mit dem gängigen Schema der Serie: Derrick „ermittelt“ aus reinem Verdacht heraus, es gibt bis zum bitteren Finale kein Verbrechen, das aufgeklärt werden muss, vielmehr geht es darum eines zu verhindern, bevor es passiert, was aber dadurch erheblich erschwert wird, dass es keinerlei Handhabe für den Oberinspektor gibt, nur einen Verdacht. Schubach ist die Freundlichkeit in Person, was aber nur Teil seines Plans ist, zu dem es gehört, Homann in Sicherheit zu wiegen, sich so an seine Ex-Gattin heranzuschmeißen und sie schließlich zurückzugewinnen – was ihm in einer megaschwofigen Tanzszene auch gelingt. Derrick ist zwar zum Beobachten verdammt, aber dabei ganz in seinem Element: Tappert, das muss man mal feststellen, ist großartig, wie er seinen Derrick da eine ganze Episode lang stoisch auf der Lauer liegen lässt, die Scharade Schubachs zu jeder Zeit durchschauend und Homanns Gutgläubigkeit mitleidig zur Kenntnis nehmend. Die Spannung entspringt zu gleichen Teilen der Frage, was genau Schubach im Schilde führt, wie aus dem Warten auf den Moment, in dem Derrick, die Münchener City-Kobra, zuschlagen wird.

Die Schlusspointe ist selbst für DERRICK-Verhältnisse noch ziemlich niederschmetternd und trostlos, Schubachs finaler Kommentar, ein salopp fallen gelassenes „Schade“, macht endgültig den Deckel drauf. Möglicherweise greife ich zu hoch, aber fürs erste ziehe ich die Höchstwertung:

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hausEpisode 056: Ein unheimliches Haus (Alfred Vohrer, 1979)

Die Besitzerin einer Pension stirbt, nachdem ihr eine Angestellte (Lisa Kreuzer) unwissentlich vergifteten Tee gebracht hat. Es kommen nicht viele als Täter in Betracht: Da die Urlaubssaison schon vorbei ist, halten sich neben den beiden Bediensteten nur der pensionierte Jurist Sobak (Wolfgang Büttner) sowie der tatterige Kunstmaler Kamenoff (Paul Hoffmann) und seine Gattin Elvira (Nora Minor) in dem Haus auf. Und für die Vergiftung des Tees kommt nach Aussagen der Zeugen nur ein kurzes Zeitfenster in Frage. Es sei denn, sie lügen …

Schon der Titelscreen weckt Erinnerungen an die Wallace-Reihe der Rialto, zu der Regisseur Vohrer einen wichtigen Beitrag geleistet hatte. Das Sujet und der Ablauf der Geschichte verstärken die Assoziationen noch: Die ganze Folge spielt in der altmodischen Pension, alle Bewohner benehmen sich verdächtig, haben ein Motiv sowie einen schrulligen Charakter. „Ein unheimliches Haus“ ist eine eher humorige, gemütliche Folge – ein klassischer Whodunit, der ohne echten Höhepunkt auskommen muss. Was an Spannung fehlt, kompensiert Komponist Frank Duval, der auch schon einmal die Zubereitung eines Tees mit dramatischen Klängen unterlegt. Und Sascha Hehn macht mit. So there.

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puppeEpisode 057: Die Puppe (Theodor Grädler, 1979)

Frau Gerdes wird tot in ihrem Haus aufgefunden, die Zeichen deuten auf einen Einbruch hin, doch auch ein Blumenstrauß wurde hinterlassen. Die Spur führt zum Schönheitssalon von Johann Gall (Karl Walter Diess), der auch den jungen, verzärtelten und stillen Manikürist Adi Dong (Werner Schulenberg) beschäftigt, dessen zuvorkommende, respektvolle Art bei den älteren, oft einsamen Kundinnen etwas besser ankommt, als es üblich ist und der ihnen daher nicht selten erotische Hausbesuche abstattet. Auch mit Frau Gerdes hatte er offensichtlich ein Verhältnis. Doch was hat der Ehemann (Siegfried Wischnewski) der Toten zu verbergen?

Grädlers Folge entpuppt sich als etwas weniger bizarr, als es zunächst den Anschein hat, gehört am Ende aber doch zu den denkwürdigeren, bizarreren Momenten der Serie. Das liegt in erster Linie an Werner Schulenbergs Interpretation des Filous als abwechselnd a- oder doch homosexuell anmutendem Schönling, der den feinen Gesellschaftsdamen mit geradezu devoter Bewunderung begegnet. Wie er sie aus blauen Augen unter blondem Schopf anhimmelt und ihnen mit zerbrechlich leiser Stimme schwärmerische, aber nie anzügliche Komplimente macht, ist schon eine Schau. (Leider ist er kaum weiter in Erscheinung getreten, wird aber auch kommende DERRICK-Episoden bereichern – und spielt außerdem im tollen deutschen Nebelkrimi DER NEBELMÖRDER mit.) Der Titel der Episode bezieht sich auf ihn, weil er von geradezu wächsern-blässlicher Anmut ist, und – wie sich herausstellt – selbst nur das Spielzeug eines intriganten Strippenziehers im Hintergrund. Die Auflösung ist zwar ein kleiner Letdown, aber das Ende trotzdem ein echter Burner. Einerseits fragt man sich, was hier wohl drin gewesen wäre, hätte etwa Brynych die Episode inszeniert oder man sich hinsichtlich der Darstellung von Sexualität mehr erlauben können. Dann aber ist es gerade die Verbindung des sexuellen Themas und der unterkühlten, züchtigen und eben asexuellen Inszenierung, die so faszinierend ist. Adi Dong jedenfalls ist eine der denkwürdigeren Schöpfungen des deutschen Fernsehens. Ebenso wie ein durch ein Gipsbein gehandicappter Derrick, der in bester James-Stewart-Manier zum Herumsitzen verdammt ist und vor allem als Lieferant für einen Running Gag dient („Mein Bein ist in Ordnung, es ist nur der Gips.“), während Klein für ihn die Arbeit erledigt. Auch eine Erkenntnis, die man durch die DERRICK-Aufarbeitung machen kann: Die Serie hatte tatsächlich Witz!

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Episode 058: Tandem (Zbynek Brynych, 1979)

Wieder einmal wird eine Frau tot in ihrem Haus aufgefunden. Ihr Ehemann, der vorbestrafte Totschläger Ewald Bienert (Stefan Behrens), kam zu spät: In seiner Stammkneipe hatte er ihre Ermordung bei einem Telefonanruf mitanhören müssen. Derrick und Klein kommt der Mann indessen verdächtig vor, nicht nur, weil er ein saftiges Vermögen von der wohlhabenden Gattin erbt. Sie kommen einem Mordkomplott auf die Spur, in das auch Bienerts ehemaliger Knastkumpel Rudolf Nolde (Raimund Harmstorf) und dessen Gattin (Elisabeth Wiedemann) verwickelt sind …

In „Tandem“ vermag der kundige DERRICK-Zuschauer eine Art Collage bisheriger Episoden oder auch ein Zwischenfazit Brynychs erkennen: Der – Achtung: Spoiler – fingierte Anruf, mit dem sich Bienert ein Alibi verschafft, kam in etwas abgewandelter Form schon in Folge 053, „Der L-Faktor“, vor (zugegebenermaßen von Grädler), die Szenen mit Behrens, der schon in der Brynych-Episode „Der Spitzel“ auftrat, erinnern wiederum an Episode 015, „Alarm auf Revier 12“, Harmstorf war bereits in Episode 008, „Zeichen der Gewalt“, mit von der Partie und der ganze Plot von „Tandem“ ist außerdem unverkennbar eine Hommage an Hitchocks STRANGERS ON A TRAIN. Das – und das wendungsreiche Drehbuch von Reinecker – reichen aus für eine überdurchschnittliche Folge, auch wenn ich die Regie-Extravaganzen, die sich Brynych in den zuletzt gesehenen KOMMISSAR-Folgen noch erlaubte, etwas vermisse. In „Tandem“ ist er, wie schon zuletzt in „Der Spitzel“ deutlich geerdeter unterwegs, stellt seine Regie ganz in den Dienst des Scripts. Wahrscheinlich war DERRICK bereits zu groß geworden, um seinen Angestellten noch Querschläger zu erlauben.

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Episode 059: Lena (Theodor Grädler, 1979)

Man soll es nicht für möglich halten: Wolfgang Horn (Rolf Becker) findet seine Ex-Frau Anita (Beatrice Norden) tot zu Hause auf. Weil er ihr gegenüber im Streit um die gemeinsame Tochter Agnes handgreiflich geworden war, ist er für Derrick und Klein der Tatverdächtige Nummer 1. Erschwerend hinzu kommt, dass die potenzielle Zeugin, Horns taubstumme Schwägerin Lena (Ursula Lingen), zur Tatzeit zwar anwesend war, durch ihre Behinderung allerdings nichts mitbekommen hat. Aber sie will einen verdächtigen Mann vor dem Haus gesehen haben. Derrick glaubt, dass sie ihren Verwandten schützen will, auf dessen Hilfe sie nach dem Tod der Schwester angewiesen ist.

Eine ganz schwache Episode, deren einsame Höhepunkte die Anwesenheit von Jess-Franco-Mainstay Paul Muller und Rudolf Schündler in Nebenrollen sind. Darüber hinaus ist sie für heutige Zuschauer lediglich interessant, weil sie zeigt, wie viel sich Gott sei Dank im Umgang mit Behinderten geändert hat in den letzten 40 Jahren. Wie plump, unfähig und unsensibel alle Figuren mit der Titelheldin umgehen, ist schon schockierend: Da wird in ihrer Gegenwart über sie geredet, als sei sie komplett schwachsinnig und bekäme nichts mit, behandelt auch das Drehbuch sie als vollkommen hilflose Person, die ständig einen Beistand benötigt. Ärgerlich und langweilig.

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new-yorkEpisode 060: Besuch aus New York (Helmuth Ashley, 1979)

Auf die junge Anna Born (Léonie Thelen) wird ein brutaler Mordanschlag verübt, bei dem ihr Freund sein Leben verliert. Es stellt sich heraus, dass sie die Millionen eines amerikanischen Onkels mit Verbindungen in die Unterwelt geerbt hat und sie nun von dessen sich um das Vermögen geprellt fühlenden Geschäftspartnern umgelegt werden soll. Alle Spuren führen zu Bob Dryer (Brad Harris), der sich in einem Münchener Hotel eingemietet hat. Aber er behauptet, Anna schützen zu wollen.

Die Erben-Geschichte ist nicht gerade die Neuerfindung des Rades, aber Ashley macht das Beste draus. Gleich zu Beginn gibt es eine schöne Aerobic-Szene, gefolgt von einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd, das erste Mal seit weiß nicht wie lang, dass es bei DERRICK richtig zur Sache geht und man sogar einen echten Stunt bewundern kann. Schön sind auch die Szenen bei der Familie Megassa (Bruno W. Pantel, Greta Zimmer und – zum dritten Mal innerhalb der letzten 15 Folgen – Volker Eckstein), bei der Anna zur Untermiete wohnt. Die Aussicht, Anteil am Vermögen zu nehmen, lässt sie zu Verrätern werden: Wie sie da verschwörerisch in ihrer tristen Küche sitzen, Bier trinken, rauchen und tumb ins Nichts ihres traurigen Daseins starren, ist spannender als der weitere Verlauf des Falles. Brad Harris mit Lockenpracht hat nur so etwas wie einen ausgedehnten Gastauftritt und bekommt nichts zu tun, was ein bisschen schade ist. Dafür darf sich Fritz Wepper als ritterlicher Beschützer der gefährdeten Dame mal wieder als heimliches Love Interest versuchen. Dass er bei der Keilerei mit dem Attentäter am Schluss von Derrick gerettet werden muss, ist hingegen irgendwie ungerecht. Kann man den denn gar nicht mal etwas allein zu Ende bringen lassen?

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beate2Episode 046: Kaffee mit Beate (Alfred Vohrer, 1978)

Die Schauspielerinnen Beate (Helga Anders) und ihre Freundin Helga (Johanna Elbauer) warten auf ein Vorsprechen. Helga ist nervös, also gibt Beate ihr eine Cognacbohne: Wenig später bricht Helga tot zusammen. Die Cognacbohnen waren vergiftet. Um den Mörder zu finden, wird Harry im Haus Beates eingeschleust. Sie lebt als einer von vier Untermietern in der Wohnung von Frau Pacha (Agnes Fink). Alle sind potenzielle Täter.

„Kaffee mit Beate“ ist aus mehreren Gründen ein weiterer Gewinner von DERRICK-Regisseur Alfred Vohrer. Zunächst einmal weicht die Folge strukturell vom Standard ab: Derrick selbst hat nur eine kleine Rolle und tritt kaum aktiv in Erscheinung, fast der ganze Fall spielt sich in der Wohngemeinschaft ab, in der Harry verdeckt ermittelt. Das sorgt schon für eine gewisse zusätzliche Aufmerksamkeit, aber bei mir hat „Kaffee mit Beate“ vor allem aus anderen Gründen gepunktet. Schon im Titel kommt dieser deutsche Kitschroman-Schmelz zum Vorschein, der wie immer bei DERRICK mit einer Extradosis Tristesse und Verzicht verabreicht wird. Der Name „Beate“ wird wohl dutzende Male ausgesprochen und damit zum Mantra der Episode, die Trägerin des Namens zur sexuellen Wunschfantasie und Heilsbringerin hochstilisiert, was naturgemäß in krassem Missverhältnis zur etwas anämischen Trägerin und der angestaubten Altherren-Fernsehrerotik steht, die sie verkörpert. (Man erkennt Helga Anders, die schmollmündige Versucherin aus MÄDCHEN MIT GEWALT, kaum wieder.) Alle Männer der WG – Peter Pasetti als geschiedener Supermarkt-Leiter Serball, Christian Quadflieg als jungdynamischer Architekt Herwig, Klaus Herm als nerdiger Lektor Pacha – sind geil auf die freundliche Beate, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht, geradezu besessen von ihr und der Vorstellung, von ihr empfangen zu werden, und das Innuendo, mit dem sie davon sprechen, Kaffee mit ihr getrunken oder gar ein mexikanisches Gericht von ihr gekocht bekommen zu haben – ein scharfes selbstredend! -, lässt Bilder im Kopf des Betrachters entstehen, die die tatsächlichen Ereignisse der Episode niemals rechtfertigen. Aber genau darum geht es eben: Um die wüsten Fantasien geiler Böcke, die in der Nähe eine jungen Frau und der milden Versuchung, die sie repräsentiert, völlig den Kopf verlieren. Harrys mehrfach gestellte Frage, ob sein Gegenüber mit der jungen Frau „geschlafen habe“, wird in ihrer ehrlichen Direktheit hingegen stets als unverschämt abgewiesen: Mit Beate schläft man nicht! Und dann der Clou mit den Cognacbohnen, dem Aufputschmittel ergrauter Mauerblümchen. Da macht es auch nichts, dass die Auflösung reichlich überstürzt daherkommt und nach so viel aufgestauter Lust eine kleine Enttäuschung ist.

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hotte2Episode 047: Solo für Margarete (Michael Braun, 1978)

Die Folge, in der der 45-jährige Horst Buchholz den aufstrebenden (aber heroinabhängigen) Musikstar, Gitarrengott und Frauenschwarm Alexis gibt, der die Gitarrensoli, die die einzige Daseinsberechtigung seines sterilen Bluesrock-meets-Disco-Sounds sind, mit geilen Gniedelgesichtern garniert. Ansonsten benimmt er sich wahlweise wie ein verwöhntes Kleinkind, das die Eltern mit Psychomethoden zum Kauf eines Spielzeugs bewegen will, oder wie ein verzärtelter Künstler auf dem endlosen Egotrip. Weiße Cowboystiefel über der Jeans, das darf sowieso nur Lemmy. Aber natürlich ist das auch alles wieder ganz geil: Diese Vorstellung vom Musicbiz etwa, wo ein Mittvierziger, der eine Woche lang vor ca. 50 Leuten in einem kleinen Kellerclub auftritt, the next big thing sein soll, eine Band zusammen in einer WG haust und das Heroin aus einer Apothekenampulle in die Spritze gezogen wird. Seitdem Erik Ode als Kommissar Keller einen Marichuana-Süchtigen fragte, ob er das Zeug esse oder trinke, hat sich in Sachen Aufklärung um Reinecker offensichtlich nicht viel getan. Und natürlich dieser melodramatische Schmelz: In der zweiten Hälfte taucht die Zwillingsschwester der Toten auf, um Alexis – in einer Wendung, die an Episode 2, „Johanna“, erinnert – zu konfrontieren und verliebt sich prompt in ihn – und er in sie. Reineckers Drehbuch behandelt diese doch eher pathologisch anmutende Gefühlsverwirrung als mystisches Happy End, gewissermaßen als verspätete VERTIGO-Verwirklichung. Nur eben mit Drogen und schmieriger Musik.

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Episode 048: Lissas Vater (Alfred Vohrer, 1978)

Mittelstarke Standardepisode von Vohrer, bei der man das Gefühl hat, dass man Vergleichbares ca. alle zehn Folgen einmal untergeschoben bekommt. Die Schauspieler und die Profiroutine reißen es raus. Heinz Bennent ist Ludwig Heimer, der seiner Ex-Frau Elsa (Christine Wodetzky) nachstellt, die ihn wegen seiner Alkoholsucht mitsamt Töchterchen Lissa (Anne Bennent) verlassen hat und nun mit dem unsympathischen Geschäftsmann Hassler (Ulrich Haupt) verheiratet ist. Seine aufdringlich-unbeholfenen Versuche, sich ihr zu nähern, werden von ihr überaus bestimmt abgeschmettert, weshalb er sich zu einer Morddrohung hinreißen lässt. Als ein Assistent Hasslers beim Verlassen von dessen Haus niedergeschossen wird, scheint alles klar. Ist es aber natürlich nicht. Helen Vita hat einen Auftritt als mitfühlende, ketchuprothaarige Vermieterin Heimers, den Haupt, den finde ich immer wieder gut, und Bennent ist als Häufchen Elend ebenfalls klasse. Aber ansonsten gibt es nicht viel zu berichten. Vohrer jedenfalls bekommt kaum Gelegenheit, zu zeigen, was er kann.

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spitzel3Episode 049: Der Spitzel (Zbynek Brynych, 1978)

Ein verdeckter Ermittler wird beim Einbruch in ein Antiquitätengeschäft erschossen: Er hatte den einschlägig bekannten Berufskriminellen Georg Lukas (Götz George) beschattet und war ihm gefolgt. Derrick und Klein werden bei ihren Ermittlungen an den Spitzel Henze (Klaus Behrendt) verwiesen, der seltsam nervös auf die Beamten reagiert. Er lebt zur Untermiete bei einer Ex-Prostituierten Doris (Kai Fischer) und ihrem gewalttätigen Freund Rosse (Ulli Kinalzik) und kümmert sich rührend um ihre jugendliche Tochter Inga (Ute Willing). Ein weiterer Tatverdächtiger ist der Schießstandbesitzer Burkhardt (Stefan Behrens) und der ist wiederum mit Maria Singer (Kornelia Boje) liiert, der Tochter des Antiquitätenhändlers …

Brynych inszeniert sehr zurückgenommen (verwendet dafür aber Boney Ms. „Rivers of Babylon“ als seinen „Refrain“): Wahrscheinlich, weil die Storyline vergleichsweise komplex ist. Anders als andere DERRICK-Folgen, in denen es um „heißgelaufene“ Mörder geht, also um Amateure, die in einem Moment der Schwäche zu Verbrechern werden, spielt „Der Spitzel“ im Milieu: Alle Charaktere haben eine einschlägige Vorgeschichte und sind gute Bekannte der Polizei. George interpretiert seinen Lukas als brutalen, aber gewieften Gewalttäter, Behrendt den diesem diametral gegenüberstehenden Henze als mitleiderregenden, gutmütigen Pechvogel, der seine Wurzeln nicht kappen kann. Die Beziehung zu Inga, die er zur Basketballspielerin machen und sie so ihrer tristen Umgebung entreißen will, ist eigentlich das Herz der Episode, krankt aber daran, dass Ute Willing einen Hauch zu alt für die Rolle des hilflosen Töchterleins ist: Szenen wie die, in der Henze ihr nach dem Besuch eines Disney-Films erklärt, wie Zeichentrickfilme gemacht werden, wirken unfreiwillig komisch und seine Philantropie bekommt unweigerlich eine sexuelle Komponente, die das Drehbuch aber logischerweise nie thematisiert. Es gibt ein paar schöne Bilder, die Szene, in der Derrick in bester Dirty-Harry-Manier mit Pokerface seine Schießkünste unter Beweis stelllt, ist wunderbar badass, und George zieht die Aufmerksamkeit des Zuschauers mit jedem seiner Auftritte auf sich wie ein Magnet. Man sieht hier (und in seinen KOMMISSAR-Folgen), was für ein außergewöhnlicher Darsteller er war. Seltsam, dass er nie den Sprung über den großen Teich versucht hat.

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Episode 050: Die verlorenen Sekunden (Alfred Vohrer, 1978)

Frau Leubel (Elfriede Kuzmany), eine Schneiderin, überrascht bei einem Botengang einen Mörder bei der Arbeit. Bevor er sich auch ihrer entledigen kann, wird er durch die Ankunft der Polizei in die Flucht geschlagen. Die alte Dame steht unter Schock, kann sich nicht an den Täter erinnern, obwohl sie ihn auf frischer Tat ertappt hat. Das Opfer, Frau Kwien, war erst vor kurzem von ihrem Mann (Hans Korte) geschieden worden: Das gemeinsame Geschäft fällt durch ihren Tod an ihn …

Eine durchschnittliche Folge, der auch Alfred Vohrer nichts abringen kann. Hans Korte ist gut als unsympathischer Geschäftsmann, Herbert Herrmann, der Filou des deutschen Fernsehens der Achtzigerjahre, ist in einer Nebenrolle als verdächtiger Harro Brückner zu sehen, Maria Sebaldt als vornehme Modedesignerin und der schöne Michael Maien als Mörder. Der Plot dreht sich um die im Titel angesprochenen „verlorenen Sekunden“ in der Erinnerung der Zeugin: Der Mörder hat natürlich ein Interesse daran, dass sie ihr Gedächtnis nicht wiedergewinnt, aber wirklich in Gefahr gerät sie nie. Im Gedächtnis des Zuschauers hingegen bleiben der stets besoffene Ehemann (Uwe Dallmeier) der Frau Leubel, ein willenlos schlaffer Sack, den Herbert Reinecker als Krückstock benötigte, und Harros nett gemeinte, aber unglaublich herablassende Aussage, Frau Leubel sei „ein armes Huhn“, und einem von Derricks meist großartigen Ausflügen in eine Diskothek. Selbst die Unschuldigen sind bei DERRICK fast immer Arschgeigen.

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uteEpisode 051: Ute und Manuela (Helmuth Ashley, 1978)

Ein junger Mann wird in einem Parkhaus erschossen, nachdem er in der Diskothek „East Side“ eine flotte Sohle aufs Parkett gelegt hat. Unbedingt tatverdächtig ist seine Freundin Manuela (Monika Baumgartner): Nicht nur hatte er sie am selben Abend übel zusammengeschlagen, der Wirt will sie als die Anruferin identifiziert haben, die den Toten ins Parkhaus beorderte. Ein Alibi bekommt Manuela von der Sozialarbeiterin Ute (Cornelia Froboess), die alles dafür tut, die aus schwierigen Verhältnissen kommende Manuela zu beschützen.

Auch dies ist eher Durchschnittskost: Der Fall ist nur wenig aufregend, es fehlen die Details in der Beobachtung, die die Serie in ihren besten Momenten auszeichnen, und bedingt durch das Sujet auch dieser bürgerliche Mief, der aus heutiger Sicht so faszinierend und abgründig ist. Aber die Ute ist eine großartige Figur: Cornelia Froboess legt in ihrem Spiel einen geradezu inbrünstigen Eifer an den Tag, der ihre Sozialarbeiterin noch unangenehmer macht, als es das Drehbuch eh schon vorsieht. Mit ihrer Riesenbrille, dem Kleinmädchenpony und dem abgehärmten Verzichtergesicht gibt sie eine Missionarin der Gerechtigkeit, die für Abweichler vom Pfad der Tugend keinerlei Empathie übrig hat. Wie bei „Der Spitzel“ gibt es hier einen deutlich sexuellen Unterton, der aber nie explizit aufgegriffen wird, was zu Utes selbstvergessenem Engagement natürlich passt wie die Faus aufs Auge. Die Rückblende mit der geschundenen Manuela ist ungewohnt schmerzhaft, der Schlusskniff am Ende, wenn wir Ute zum ersten Mal ohne Brille sehen, einer jener genialen Einfälle, für die man DERRICK schätzt. Dafür ist Martin Semmelrogge als Manuelas Bruder total verschenkt. (Gisela Uhlen ist als Utes Mutter zu sehen.) In der Diskothek läuft „Let’s All Chant“ von der Michael Zager Band.

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Episode 052: Abitur (Theodor Grädler, 1978)

Ein Slow-Burner, der wie die vorangegangene Episode mit einer tollen Schlusseinstellung aufwartet und darüber hinaus eher ungewöhnlich strukturiert ist. Eigentlich geht es in „Abitur“ um zwei Fälle und der Mord ist eher nebensächlich: Trauerkloß Robert (Michael Wittenborn) steht vor dem Abitur, dass er unbedingt mit gutem Notendurchschnitt bestehen muss, um fürs Medizinstudium zugelassen zu werden, schließlich soll er das Geschäft des herzkranken Arztpapas (Hans Quest) übernehmen. Leider ist er unglaublich wankelmütig und unsicher und die Versuche seiner Schwester Lisa (Agnes Dünneisen), seinen Nachhilfelehrer (Peter Dirschauer) zur Manipulation zu überreden, scheitern an dessen Rechtschaffenheit. Bis er eines Abends einen jungen Mann anfährt und Fahrerflucht begeht: Nun hat Lisa ein geeignetes Druckmittel gegen ihn in der Hand. Was sie nicht weiß: Das Unfallopfer starb nicht an den Folgen des Unfalls, sondern wurde anschließend erschlagen …

Das Discofieber, das sich in den vorangegangenen Episoden schon ankündigte, ist hier nun auf dem Siedepunkt. Im „Yellow River“, einem holzvertäfelten Albtraum im Partykeller-Style laufen „Miss you“ von den Rolling Stones, „More than a woman“ von Tavares, „I can’t stand the rain“ von Eruption und die unvermeidlichen Hot Chocolate, während Klein mit Lisa eine flotte Sohle aufs Parkett legt. Die ist einer dieser eiskalten, intriganten Schönen, die Herbert Reinecker sich regelmäßig ausdenkt und ihnen dann einen besonders waschlappigen Typen gegenüberstellt. Hier sind es mit ihrem Bruder und dem Lehrer sogar gleich zwei. Die Erpresserin und ihr Bruder kommen (wahrscheinlich) ungeschoren davon, weil der Fall für Derrick mit der Festnahme des Mörders erledigt ist, aber die Schlusseinstellung suggeriert das Fegefeuer des schlechten Gewissens – und außerdem, dass alle illegalen Bemühungen letztlich umsonst waren. Fies.

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Klang des Titels, Thema des Films, Darstellerriege und Stabliste – allen voran natürlich Produzent Luggi Waldleitner und Regisseur Alfred Vohrer – suggerieren sofort eine weitere Simmel-Verfilmung. Doch nach UND JIMMY GIG ZUM REGENBOGEN, LIEBE IST NUR EIN WORT und DER STOFF AUS DEM DIE TRÄUME SIND wurde statt eines weiteren Romans des deutschen Bestseller-Autoren die Adaption der Novelle „Der Schneesturm“ von Alexander Puschkin besorgt – nach dem bewährten Erfolgsrezept natürlich. Die größte Überraschung, die sich während der Betrachtung des Films einstellt, ist dann auch die Tatsache, dass sich UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR trotz aller beabsichtigten Gemeinsamkeiten von Vohrers Simmel-Verfilmungen deutlich abhebt. Ihn als wirklich guten Film zu bezeichnen, ginge indes zu weit. Ich würde jederzeit argumentieren, dass die Waldleitner-Simmels gerade in ihrer ästhetischen Unerträglichkeit sehr einzigartig und faszinierend sind und mit solchem eigentümlichen Reit kann UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR nicht wirklich mithalten. Aber das kann man durchaus auch positiv sehen: Die Charaktere sind – anders als die Simmel’schen Egomanen – lebendig, sympathisch oder aber wenigstens nachvollziehbar in ihrem Handeln, die Weltsicht ist nicht ausschließlich besserwisserisch-negativ, Humor ist tatsächlich möglich. Ja, man hat wirklich den Eindruck, dass die Geschichte auf gewissen menschlichen Erfahrungswerten basiert, dass sie nicht von einem Narziss erdacht wurde, der seine Mitmenschen wie Versuchsobjekte und die Welt wie eine Ameisenfarm betrachtet und seine Romane konstruiert wie Thesenpapiere.

Die Abiturientin Christine Luba (Anita Lochner) hat sich in den einige Jahre älteren französischen Studenten Alain (Alain Noury) verliebt. Die beiden sind ein Herz und eine Seele, doch Christines Vater (Wolfgang Reichmann) behagt die Verbindung der beiden überhaupt nicht. Christines Mutter Irene (Ruth-Maria Kubitschek) verließ ihn wegen seiner unerträglichen Eifersucht, die eigene Schwester (Eva Christian) betrachtet er aufgrund der Tatsache, dass sie alleinerziehend ist, wie eine Aussätzige. „Liebe“ ist für ihn ein überkommenes Konstrukt für hoffnungslose Träumer und der richtige Mann für seine Tochter muss vor allem über einen gewissen Status verfügen. Eine Verkettung schicksalhafter Zufälle führt Christine schließlich mit dem Industriellensohn Martin (Malte Thorsten) zusammen, den Luba sofort als seinen Schwiegersohn in spe betrachtet. Was zunächst niemand weiß: Martin hat einen tragischen Unfall verursacht, bei dem Alain sein Leben verloren hat …

Die tragisch verlaufende Doppel-Liebesgeschichte, an deren Ende Christine den schmerzhaften Verlust gleich zweier Liebhaber betrauern muss, ist auf dem Papier tatsächlich aus demselben Stoff, aus dem die Simmel-Träume sind. Die Handlung der Puschkin’schen Novelle wurde für UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR aus dem Russland des 19. Jahrhunderts ins Lübeck der Gegenwart verlagert, wo sich diesmal aber kein in der Midlife-Crisis gefangener Großbürger auf verzweifelte Sinnsuche begibt, sondern ein junges Mädchen gegen die überkommenen Vorstellungen der Elterngeneration ankämpfen muss. Die erste Hälfte von Vohrers Film widmet sich ganz der blühenden Liebe von Christine und Alain, verplempert die kostbare Erzählzeit geradezu leichtsinnig mit der Darstellung des jungen Glücks und erspielt sich mit solcher Sorglosigkeit einige Sympathiepunkte. Selbst der „Schurke“ des Films, Christines patriarchischer Vater, darf mit seinen Sorgen und Ängsten Mensch bleiben, auch wenn er am Stammtisch Puffgeschichten von rassigen „Negerinnen“ zum Besten gibt. Das Liebespärchen ist vielleicht eine Ecke zu sorglos, um wirklich als authentisch durchzugehen – angeblich orientierte man sich am US-amerikanischen Vorbild LOVE STORY, das kurz zuvor sämtliche Kassenrekorde gebrochen hatte –, aber das verzeiht man dem Film, für den Vohrer sich einige hübsche Kabinettstückchen hat einfallen lassen. Irgendwann versumpft UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR dann aber: Das Geschichtchen ist auffallend banal, mäandert ohne rechte Entscheidungsfreude dahin, sodass man sich unweigerlich fragt: What’s the point? Der erzählerische Clou, der darauf die Antwort liefert, die Entscheidung, den Zuschauer über den Verbleib Alains erst mittels einer verspäteten Rückblende aufzuklären, wirkt indes unangenehm gimmickhaft und unaufrichtig. Der Junge, der immerhin eine gute Stunde lang Identifikationsfigur für den Zuschauer war, hat eigentlich mehr Respekt verdient, als für einen eher preisgünstigen Drehbuchkniff verheizt zu werden. Man nimmt es aber so hin, weil die unerwartete Verwebung der drei Schicksale nach der Story aus dem Bravo-Beziehungsratgeber wenigstens einen Hauch von narrativer Finesse mit sich bringt.

Am Ende ist UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR ein unbefriedigender Film: Er ist zu gut, und ja: zu sympathisch, um ihn vehement zu verreißen, aber auch irgendwie zu egal, um sich wirklich für ihn einzusetzen. Es fehlen ihm die bizarren Momente, die Geschmacksentgleisungen, der Hang zum bodenlosen Melodram, das Suhlen im Morast der Siebziger, die die Simmel-Filme zum Teil zwar so abstoßend machen, denen es damit aber eben immerhin gelingt, wenigstens eine echte Emotion beim Betrachter zu evozieren. UND DER REGEN VERWISCHT JEDE SPUR st hingegen: Nett. Klassischer Fall von kann man gucken, muss man nicht.

2011060120494385274_supersizeSieh an, eine Simmel-Verfilmung, bei der man sich nicht fühlt wie beim Versuch, einen Falk-Plan auseinanderzufalten. Trotzdem weiß man auch hier sofort, wo man ist. LIEBE IST NUR EIN WORT handelt von dem 21-jährigen Oliver Mansfeld (Malte Thorsten), seines Zeichens aufmüpfiger Sohn eines deutschen Wirtschaftskriminellen, der auf einem Internat im Taunus die letzte Chance auf das Abitur bekommt. Schon auf dem Weg dorthin lernt er die 30-jährige Verena (Judy Winter) kennen und verguckt sich sofort in sie. Sie entpuppt sich zwar als Ehefrau von Manfred Angenfort (Herbert Fleischmann), wohlhabender Unternehmer und Geschäftspartner von Olivers Papa, doch das stellt für ihn kein Hindernis dar. Tatsächlich gelingt es ihm, das Herz der attraktiven Frau zu gewinnen. Doch Angenfort kommt hinter die Affäre …

Trotz des banalen Plots – den obligatorischen Abstecher in die Vergangenheit, in der Angenfort irgendeine Schuld auf sich geladen hat, konnte sich Simmel dennoch nicht verkneifen – ist LIEBE IST NUR EIN WORT von den anderen, inhaltlich deutlich komplexeren Simmel-Filmen, die unter Vohrers Regie entstanden, nicht zu unterscheiden. Es regieren große Gefühle und großes Drama, doch bleibt dieser Überschwang reine Drehbuchbehauptung, für die es auf Charakterebene keinerlei Entsprechung gibt. Merke: Simmel-Filme sind Melodramen mit Zombie-Protagonisten. LIEBE IST NUR EIN WORT beginnt bei grauem Regenwetter, bleibt auch in der Folgezeit immer seltsam trüb, hängt sich an seine überwiegend wohlhabenden Milieus entstammenden Protagonisten, die nie menschlich werden, sondern bloß als gutaussehende Narrationsvehikel auf dem Schachbrett des Autoren herumgeschoben werden, und deren tiefes Seelenleid einen völlig kalt lässt. Visuell ist LIEBE IST NUR EIN WORT durchaus ansprechend, erneut markant besetzt und von Komponist Erich Ferstl mit bedeutungsschwerer, todtrauriger und ungemein tragischer Musik unterlegt, die die Tränendrüsen fast allein zum Bersten bringt. Aber nicht nur, dass das menschliche Zentrum des Films schlicht leer ist, auch das Deutschland, in dem er spielt, scheint, als habe man sämtliche Luft aus ihm heraugesogen. Es gibt überhaupt keine normalen Menschen in LIEBE IST NUR EIN WORT: Allesamt sind sie mindestens eitle Schaumschläger, oft sogar noch Schlimmeres, reden furchtbar geschwollenes Zeug daher, gefallen sich in ihrem ekelhaften Wohlstand, ihrer Gesinnung und ihrer vermeintlichen geistigen Überlegenheit, ohne die eigene Beschränktheit zu bemerken.

Oliver ist ein absoluter Kotzbrocken: Simmels/Vohrers Rechnung, dass sich der Zuschauer ihm schon allein deshalb verbunden fühlt, weil er Autoritäten mit seinem Ungehorsam konfrontiert und seinen reichen Vater verachtet, geht nicht auf, weil dieser Schnösel dadurch nur noch elitärer und eingebildeter wirkt. Wer will sich schon mit einem blonden Schönling identifizieren, der im vom ach so verhassten Papa gekauften Mercedes Cabrio herumfährt? Was Verena, selbst nicht gerade vor Frohsinn, Intelligenz und Kreativität übersprudelnd, sondern recht typischer Vertreter des Typus „junge von ihrem reichen, älteren Gatten zu Tode gelangweilte Frau“, an diesem Jungspund findet, bleibt rätselhaft. Spätestens als sie Oliver gesteht, dass sie sich in ihn verliebt habe und er dann, ganz entgegen seines sonstigen Habitus, wie ein unbeholfener 15-Jähriger jauchzend herumhüpft, müsste sie ihren Fehler eigentlich schamvoll erkennen. Aber nein, die beiden meinen es tatsächlich ernst mit ihren Heiratsplänen. Und dass Oliver tatsächlich bereit ist, seine Bonzenkarre zu versetzen, um seine Affäre geheimzuhalten, gilt am Ende als der Beweis für die Echtheit seiner Gefühle. Ja, so einfach kann das sein. Wie dumm, dass er nicht bloß einen Käfer fährt, Angenfort wäre ihm nie auf die Schliche gekommen.

Die Menschen in Simmel-Filmen sind fast immer vermögend, aber aufgrund dieses Reichtums auch die ärmsten Schweine der Welt. Es ist aber auch schon hart, wenn man in der ständigen Angst leben muss, die Hausbar könne am nächsten Abend nicht mehr optimal gefüllt sein. Das zeichnet die Vohrer-Verfilmungen ganz wesentlich aus: diese ekelhafte, völlig stillose, neureiche Dekadenz gepaart mit Selbstmitleid und Ennui. Man fühlt sich als Zuschauer wie der zunehmend hilflose Gast einer verbrauchten älteren, noch dazu betrunkenen und übergewichtigen Gesellschaftsdame, die einen unter Tränen dazu zwingt, das Ergebnis ihrer Mastektomie zu betrachten, während man ohne jede Hoffnung auf Flucht in einem geschmacklosen Plüschsofa versunken ist. Man schaut sich das Treiben irgendwie fasziniert, aber auch angewidert an, während ein Stück der eigenen Seele unwiederbringlich verkarstet. Es ist heute völlig unvorstellbar, dass diese Filme irgendwann einmal als authentisches Abbild bundesdeutscher Realitäten gelten konnten, dass Simmel mit seinen Büchern einen Nerv beim Volk traf, aber es war wohl wirklich so. Den Rest besorgt die überspannte Fantasie des Autors, die die Filme mehr als einmal in Richtung Delirium taumeln lässt: Eine Szene spielt in einem Sanatorium, in dem Olivers geistig zerrüttete Mutter lebt. Sie verteilt im akkurat gepflegten Anstaltsgarten imaginäres Vogelfutter an imaginäre Vögel, während eine gestrenge Schwester (mit Kittel und Häubchen) auf einem dieser geschmiedeten Gartenstühle in Sichtweite sitzt. Im Gespräch mit dem Sohn ist die fliederfarbene, wahrscheinlich nach Veilchen und Lavendel duftende Dame dann aber erstaunlich normal, auch wenn der feine Gatte sich gezwungen sah, sie zu entmündigen. Auch wieder so eine unangenehme Angewohnheit der gehobenen Gesellschaft, dieses Entmündigen. Zwischendurch gibt es noch ein wenig Gesellschaftskritik, wenn ein dem Islam angehörender Internatsschüler von den „Kameraden“ für seine Religion gepeinigt wird, und dann ein reichlich übersteuertes Finale im strömenden Regen, bei dem die junge Liebe an einem Strick endet. In einer Pfütze schwimmt ein kleines Zettelchen, auf dem steht: „Liebe ist nur ein Wort“. Die Simmel-Filme sind so dreist manipulativ, dass der Brechreiz fast zur Droge wird.