Mit ‘Anthony Hopkins’ getaggte Beiträge

Kritiker sahen in THOR: RAGNAROK eine Art Neustart der THOR-Reihe: Waititi hatte sich angeblich von GUARDIANS OF THE GALAXY inspirieren lassen, dessen Witz und Leichtigkeit dem Film innerhalb des MCU eine gewisse Sonderstellung verliehen hatten. Es leuchtet ein, warum die Kritik diese Verbindung herstellte: THOR: RAGNAROK ist wie der genannte Smash Hit bunter, episodenhafter, poppiger, und humorvoller als die anderen Filme aus dem Marvel-Universum. Andererseits hatte Hemsworth den Donnergott Thor schon in den vorangegangenen Einträgen mit einer Prise Selbstironie versehen, wissend, dass ein langhaariger Wikinger aus dem Kitschkönigreich Asgard nur schwerlich als „cool“ zu verkaufen ist. Ich bin ja eh einer der wenigen Verteidiger des ersten THOR und mir hatte an ihm seinerzeit genau das gut gefallen, was alle an ihm bemängelten: dass er vergleichsweise flüchtig daherkam, ohne diese aufgesetzte Bedeutungshuberei, die die Filme aus dem MCU spätestens seit deren zweiter Phase zu einer oft drögen Angelegenheit werden ließ.

Waititi hat genau diese Qualität bewahrt bzw. sie weiter ausgebaut: RAGNAROK ist ein Bubblegum-Spektakel voller One-liner, im positiven Sinne blöder Witzchen, spektakulärer Set Pieces, bunter Bilder und überdrehter Figuren. Die Story, eine haarsträubende Aneinanderreihung von Duellen, ist merklich zweitrangig, wichtiger sind die geilen Kulissen, Effekte, Gags und Kostüme. Endlich kommt auch der vernachlässigte Hulk mal wieder zu seinem Recht, wahrscheinlich die interessanteste Figur der Avengers, aber auch die, mit der die Macher am wenigsten anzufangen wissen. Dabei beweist Waititi, dass der große Wutbrocken auch in einem solch leichten Film wie diesem einen spannenden Protagonisten abgeben kann. Die Szenen zwischen Thor und ihm sind Highlights und man fragt sich, wozu es überhaupt solcher Langweiler wie Captain America, Iron Man, Hawkeye oder Black Widow bedarf, wenn man diese beiden Charmebolzen am Start hat.

Alles gut also? Nun ja. Zwar finde ich THOR: RAGNAROK um ein Vielfaches sympathischer als 99 Prozent der Filme, die mit dem Marvel-Logo erscheinen – allein der Einsatz von Led Zepplins „Immigrant Song“ ist mir eine Verbeugung wert -, aber am Ende kann auch Waititi den Vorwurf der Formelhaftigkeit nicht ganz zerschlagen. Klar, hier geht es um Trivial-Entertainment, aber dieser antiseptische Look und die Eile, mit der von einer „Nummer“ zur nächsten gerast wird, ohne die Geduld, mal einen Moment einfach atmen, ein Bild stehen zu lassen, oder dem Betrachter die Möglichkeit zu geben, sich umzusehen, stehen einem echten Erlebnis im Weg. Diese Geschäftigkeit ist immer noch das Hauptproblem des MCU – und THOR. RAGNAROK macht da letztlich auch keine Ausnahme.

Nachdem HANNIBAL zehn Jahre auf sich warten ließ, folgte die Neuverfilmung des ersten Romans um Hannibal Lecter nur wenig später. 1986 hatte Michael Mann bereits seine Adaption MANHUNTER vorgelegt – einer seiner stärksten Filme -, doch der war seinerseits massiv gefloppt und musste zudem noch ohne Anthony Hopkins auskommen, der seit THE SILENCE OF THE LAMBS untrennbar mit dem kannibalistischen Serienkiller verknüpft war. In Manns Film hatte Brian Cox eine extrem unterkühlte, sachliche Interpretation des Charakters vorgenommen, die vielen, die den Film nach SILENCE gesehen hatten, als nicht „spektakulär“ genug erschien (ich glaube ja, dass Hopkins sich ganz genau angeschaut hatte, wie sein Vorgänger den Killer angelegt hatte und dann darauf aufbaute). Mit der Entscheidung, Brett Ratner auf den Regiestuhl zu setzen, der vorher lediglich als Regisseur der Chris-Tucker-Vehikel MONEY TALKS, RUSH HOUR und RUSH HOUR 2 aufgefallen war, zeigt sich schon deutlich, wo hier die Prioritäten lagen. RED DRAGON ist in allererster Linie getrieben von dem Wunsch, den Harris-Stoff in die bestehende Erfolgsserie einzugemeinden. Mit der Besetzung von Anthony Hopkins war das wichtigste Zugpferd an Bord, der Rest müsste lediglich absolviert werden. Und das macht Ratner dann auch, sich dabei auf ein Drehbuch stützend, dass ganze Passagen originalgetreu von Michael Manns Script übernimmt: Bezeichnete man RED DRAGON als ein Remake von MANHUNTER läge man nicht ganz falsch damit.

Ratners Film ist solides Entertainment, das sich die Produzenten mit barer Münze erkauften: Die Besetzung ist schon recht beeindruckend, aber wie der ganze Film auffallend risikolos. Edward Norton war damals unter Hollywoods Top-Stars sicherlich der Vorzeigeintellektuelle und somit prädestiniert für die Rolle des Profilers Will Graham, der dem teuflischen Lecter zu nah gekommen war und nun mit Bildern zu kämpfen hat, die er nicht mehr los wird. Aber diese Besessenheit nimmt man Norton eben nicht ab: Das verhielt sich bei Manns Graham William Petersen noch anders. Ralph Fiennes ist ein weiterer Fall eines Top-Darstellers, der „Mut“ mit einer riskanten Rolle beweist: Doch wo Tom Noonan in MANHUNTER mit einer zwischen den Polen „furchteinfößend“ und „bewegend“ changierenden Darstellung der Bestie restlos begeisterte, manövriert sich Fiennes auf Autopilot durch eine Darbietung, die man wohlwollend als „routiniert“ bezeichnen könnte, für die die Begriffe „gelangweilt“ oder „uninspiriert“ aber weitaus treffender sind. Elfengesicht Emily Watson muss in erster Linie ihre großen Kulleraugen aufreißen, um als verletzliches, weil blindes Opfer Empathie zu erzeugen, Philip Seymour Hoffman spielt Schmierlappen wie den Tabloid-Journalisten Lounds im Schlaf, Keitel konnte für den Part als FBI-Agent Jack Crawford seine RESERVOIR DOGS-Garderobe noch einmal verwenden und Mary-Louise Parker reiht sich ein in die endlose Riege von attraktiven Hollywood-Film-Ehefrauen, die sich zu Hause dekorativ und tränenreich Sorgen um den weltrettenden Protagonisten machen dürfen. Bleibt die USP des Films, Anthony Hopkins als Hannibal Lecter: Von dessen beunruhigender Kraft bleibt kaum noch etwas übrig, weil er längst eine Masche abspult und die Szenen zwischen ihm und Graham nicht mehr sind als eine aufgewärmte Variante der Psychoduelle mit Clarice Starling aus Demmes Film. Die Macher gaben sich alle Mühe, möglichst nahtlos an diesen anzuknüpfen – Anthony Heald gibt erneut den schmerigen Anstaltsleiter Chilton, sogar für die hier höchst unbedeutende Rolle des Wärters Barney Matthews holte man Frankie Faison zurück und natürlich baute man das Original-Setting nach -, ganz so als handle es sich bei RED DRAGON um THE EMPIRE STRIKES BACK, aber die Defizite treten im direkten Vergleich sowohl mit SILENCE als auch mit MANHUNTER natürlich nur noch offener zu Tage. Ratners Film ist ein leidlich effektiver, professionell gemachter Thriller, dem aber jede Eigenständigkeit oder gar Vision vollkommen abgeht.

Immerhin hält sich die Enttäuschung in Grenzen (ich war auf das Schlimmste vorbereitet und fand RED DRAGON immerhin ganz unterhaltsam), denn man ahnt gleich in der Auftaktszene, dass man seine Erwartungen hier nach unten schrauben sollte: Die für Graham so traumatische Begegnung mit Lecter, über die Mann seine Charaktere nur in vielsagenden Andeutungen sprechen ließ, wird hier zum klischierten Kintopp-Zweikampf eines sich nur mäßig clever verhaltenden Kriminalbeamten mit dem Killer, der seinen Gäste der Hochkultur nur wenige Stunden zuvor ein Menü aus Menschenfleisch serviert hatte (und dabei ein eitles Zöpfchen trug). Und natürlich muss es, anders als in MANHUNTER, auch einen herausgezögerten Showdown geben, bei dem dann die Familie des Profilers noch einmal in Gefahr gerät. MANHUNTER und THE SILENCE OF THE LAMBS waren herausragend, weil sie ganz neue Bilder und Strategien für den Thriller erfanden, HANNIBAL konnte immerhin noch für sich in Anspruch nehmen, einzigartig geschmacksverirrt zu sein. RED DRAGON ist einfach nur solide Stangenware.

Zehn Jahre nach dem bahnbrechenden, Oscar-gekrönten Erfolg von Demmes THE SILENCE OF THE LAMBS erschien endlich das von vielen sehnlich erwartete Sequel: Grund für die lange Wartezeit war die banale Tatsache, dass sich Thomas Harris, der Autor der literarischen Vorlage, selbst bis 1999 Zeit gelassen hatte, einen weiteren Roman um den kannibalistischen Serienkiller zu schreiben. Die Vorfreude wich schnell der Ernüchterung: Die Filmkritik hatte nur wenig Gutes über Scotts Film zu sagen (der natürlich trotzdem ein Hit wurde), beklagte den Verlust jener Subtilität, die Demmes Vorgänger ausgezeichnet hatte, und befand, dass die dafür nun in die Waagschale geworfenen grafischen Geschmacklosigkeiten keinen adäquaten Ersatz darstellten. Und während THE SILENCE OF THE LAMBS seinen Platz im Horrorfilm-Pantheon sicher hat, ist die Fortsetzung heute kaum mehr als eine Fußnote wert. Tatsächlich ist HANNIBAL eine ziemliche Katastrophe, aber eben eine, die sich mit ihren Over-the-Top-Gewaltdarstellungen und ihrem pompösen Kitsch unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennt. Ich habe auch hier nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Ridley Scott für einen der überbewertetsten Filmemacher überhaupt halte (eine kleine Handvoll erstklassiger Filme stehen einem weitaus höheren Berg von Mittelmaß und Schrott gegenüber), aber HANNIBAL würde ich tatsächlich gegen alle Kritiker verteidigen.

Während Scott ganz oft den Eindruck erweckt, keinen echten Plan davon zu haben, was einen Stoff wirklich interessant macht, so hat er das HANNIBAL zugrundeliegende Problem sehr genau erkannt: THE SILENCE OF THE LAMBS, in dem Lecter ja streng genommen nur eine Nebenfigur war, profitierte massiv davon, dass seine interessanteste Figur über weite Strecken der Handlung in seiner Freiheit massiv eingeschränkt war, ihr Potenzial mithin nie voll entfalten konnte. In der Interpretation von Hopkins war da kaum mehr als eine Ahnung von seiner Grausamkeit, die den Killer aber noch furchteinflößender machte. In HANNIBAL rückt der Kannibale nun ins Zentrum der Geschichte, er wird zum gleichberechtigten Protagonisten neben Clarice Starling (Julianne Moore) und seine Taten werden voll ausgespielt. Ein typisches Sequelproblem, das schon vielen Fortsetzungen das Genick gebrochen hat. Scott begegnet diesem Problem, indem er den Gore- und Geschmacklosigkeitsregler bis zum Anschlag aufreißt: Es dürfte nur wenige Filme dieser Preisklasse geben, die ähnlich lustvoll in Blut und Gedärm waten. Das beginnt schon im Prolog mit der Erschießung einer Aids-infizierten Drogendealerin, die ein Baby im Arm hält, setzt sich fort über Gary Oldmans Albtraum-induzierendes Make-up (sein Päderast Mason Verger schnitt sich einst auf Geheiß von Lecter unter Drogeneinfluss das Gesicht weg), den armen Kriminalisten Pazzi (GIancarlo Giannini), dessen Eingeweide sich auf eine florentinische Piazza ergießen, sowie menschenfressende Wildschweine und endet dann in der unfasslichen Sequenz, in der Hannibal Krendler (Ray Liotta) bei vollem Bewusstsein das eigene Gehirn verfüttert. Sicher, mancher Vertreter des sogenannten „Torture Porn“ ist noch zeigefreudiger, reiht noch mehr Schweinereien und Tabubrüche in noch kürzerer Zeit aneinander, aber diese Filme kommen eben auch nicht mit dem Stempel des Multimillionen-Mainstream-Sequels zu einem anerkannten Welthit daher. Es ist Ridley Scotts Verquickung von blutrünstiger Exploitation und opulentem Bilderbuchkino, die den Film so verstörend macht. Vor dem Hintergrund der florentinischen Kulisse mit ihren Renaissance-Palazzos und Opern-Vorstellungen, von John M athieson festgehalten in ultraslicken Bildern, nimmt HANNIBAL tatsächlich den Charakter einer bizarren Gewaltoper an, der spätestens im dritten Akt sämtliche Gäule durchgehen. Als hätte Rob Zombie nach einem miesen Heroin-Trip Thomas Manns „Tod in Venedig“ verfilmt. (Einschränkend muss man sagen, dass sich die Wikipedia-Inhaltsangabe des zugrunde liegenden Romans kaum weniger gestört liest und der Filmtod von Mason Verger tatsächlich eine „softe“ Version des Schicksals ist, das sich Harris für ihn erdacht hatte.)

Als Thriller betrachtet funktioniert HANNIBAL dann aber nur in Teilen: Scott gelingt es zwar noch einmal, diese Bedrohung einzufangen, die von dem freundlichen alten Mann ausgeht, und die annähernd versteinernde Furcht, die Menschen in seiner Gegenwart befällt, wenn sie wissen, mit wem sie es zu tun haben, besonders in den beiden Konfrontationen zwischen ihm und Pazzi (Giancarlo Giannini ist sehr gut als trauriger Kriminalist, der Morgenluft wittert, als er den gesuchten Lecter ausfindig macht), aber dem Film fehlt ein klarer Konflikt. Dass sich Starling und Lecter erst im letzten Akt begegnen, ist ein dramaturgischer Schwachpunkt, wie überhaupt der Charakter der FBI-Agentin hier nichts mehr mit dem Vorgänger zu tun hat. Starling ist nun nur ein weiterer Vertreter der klischierten tough cops, die es gelernt haben, ihre Gefühle hinter einer Wand der Härte zu verbergen (Jodie Foster lehnte die Rolle ab, weil ihr die Richtung, die Harris einschlug, überhaupt nicht gefiel). Und Lecter verliert über die vole Distanz viel von dem Schrecken, den er in wenigen Szenen von Demmes Film erzeugte, weil man erstens zu viel von ihm zu sehen bekommt, zweitens der „Schöne und das Biest“-Aspekt zu stark betont wird. Hopkins ist immer noch gut in der Rolle, aber der Film wird bisweilen von blankem Sensationalismus befallen. Subtil ist hier wirklich gar nichts mehr und in seiner permanenten Übertreibung, sei es hinsichtlich der bestialischen Gewalt oder auch hinsichtlich der Darstellung von Lecters Affluenz und seines Intellektualismus, mutet HANNIBAL an wie ein Splatterfilm für Leute, die sich sonst mit Vorliebe an Home Stories über Adelsfamilien delektieren. Aber wie schon einleitend gesagt: Diese seltsame Verbindung ist immerhin originell und tatsächlich durchzieht HANNIBAL eine Aura der Perversion und des Sadismus, die sehr passend ist für den Stoff. Es lohnt sich nicht mehr, wie noch bei Demmes Klassiker, lange über ihn nachzudenken, weil alles auf der Hand liegt, aber HANNIBAL ist immerhin noch ein guter, fieberhafter Albtraum geworden. Das ist nicht wenig, würde ich sagen.

Es ist ein berühmtes popkulturelles Narrativ, dass 1991 das Jahr war, in dem Grunge bzw. Alternative Rock den Hardrock töteten, wie er in den Achtzigerjahren populär war. Weniger plattgetreten ist die These, dass Jonathan Demme mit THE SILENCE OF THE LAMBS eine neue Welle des „erwachsenen“ Horrorfilms bzw. Thrillers einläutete, nachdem das Genre im vorangegangenen Jahrzehnt vor allem Teenies adressierte. Plötzlich waren Serienmörder und die sogenannten Profiler en vogue – und sind es ja eigentlich bis heute: Die diversen CSI-Ableger, Serien wie CRIMINAL MINDS und Konsorten wären ohne Demmes Hit-Verfilmung des Bestsellers von Thomas Harris undenkbar und mit dem intellektuellen Kannibalen Hannibal Lecter schenkte er dem Pantheon berühmter Horrorgestalten einen neuen Protagonisten, der sich hinsichtlich Bekanntheitsgrad nicht mehr hinter Dracula, Frankenstein, Michael Myers oder Freddy Krueger verstecken braucht. THE SILENCE OF THE LAMBS zog mit Ridley Scotts HANNIBAL das zwangsläufige Sequel nach sich (wenn auch mit rund zehnjähriger Verspätung), der Romanvorgänger, an dem sich Michael Mann 1986 mit dem erstklassigen MANHUNTER schon einmal versucht hatte, ohne jedoch den gewünschten kommerziellen Erfolg zu erzielen, erlebte eine Neuverfilmung, mit HANNIBAL RISING entstand ein Prequel um den Menschenfresser und Mads Mikkelsen durfte ihn schließlich sogar in einer eigenen Fernsehserie spielen.

Das ganz große Trara um THE SILENCE OF THE LAMBS habe ich indessen nie wirklich verstanden: Die große Schockwirkung hatte er bei mir nicht entfaltet, wahrscheinlich, weil ich bereits Fangoria-gestählt war, als ich ihn zu Gesicht bekam, und die betont unterkühlte Atmosphäre, die Tak Fujimoto in monochrome grau-braune Bilder gießt, empfand ich immer eher als lähmend denn als spannend. Sicher, Demmes Film war schon sehr ordentlich inszeniert, getragen von den herausragenden Darbietungen von Hopkins, Foster und Levine, aber irgendwie war mir der Film immer eine spur zu intellektuell und sachlich. Erst vor einem Jahr schrieb ich, dass ich Demmes sträflichst vernachlässigten SOMETHING WILD für weitaus interessanter halte als das viel gepriesene „Meisterwerk“ seiner Filmografie. Wahrscheinlich hat mich THE SILENCE OF THE LAMBS bei dieser Sichtung zum ersten Mal wirklich begeistert. Die suggestive Kraft der Inszenierung, die vieles nur andeutet, die dräuende Ruhe und die Ahnung einer in den Tiefen des Unbewussten lauernden Gefahr hat endlich ihre volle Wirkung bei mir entfaltet. Die Psychoduelle zwischen Hopkins und Foster – mittlerweile Zielscheibe unzähliger Parodien und in deutlich schwächerer Ausführung ein gut abgehangener Standard des Genres – bilden tatsächlich das Rückgrat des Films und vor allem Hopkins versteht es, im Verbund mit Demme die Faszination des Zuschauers für das irrational Böse herauszukitzeln. Lecter ist auch deshalb so bedrohlich, weil sein mörderisches Potenzial sich nie voll entladen darf. Das ist auch der Hauptunterschied zu Scotts Grand-Guignol-Sequel, das zwar die blutigen Tatsachen und Geschmacklosigkeiten anhäuft, aber bei Weitem nicht so beunruhigend ist. Aber das ist ja nichts Neues, dass es meist effektiver ist, die Dinge nicht voll auszuspielen.

Auch der Subtext von Misogynie und institutionellem Sexismus hat sich für mich erst bei dieser Sichtung wirklich als solcher entfalten können: Clarice Starling kämpft von Anfang an gegen eine Männerfront an, die sie eigentlich scheitern sehen will und Fujimoto bildet das ab, indem er die Protagonistin mehr als einmal als einzige Frau in männlich dominierten Gruppenbildern festhält. Überall trifft sie auf Männer, die sie aufgrund ihres Geschlechts für inkompetent halten, sie lediglich als leckeres Betthäschen betrachten oder ihr gleich das Sperma ins Gesicht schleudern. Auch Lecter versucht sie mit entsprechenden Demütigungen aus der Reserve zu locken und natürlich ist der Killer mit dem Spitznamen Buffalo Bill ein Frauenmörder, der die blinde Heldin im legendären Showdown schwer atmend aus dem Dunkel belauert. Starlings Trauma, die schreienden Lämmer nicht retten zu können, das sie seit der Kindheit plagt, wird in der Gegenwart des Films nicht nur durch die Gerissenheit der Serienmörder  angefeuert, sondern eben auch durch die vermeintlichen Verbündeten, die der Frau in ihren Reihen keinen Erfolg gönnen, ihr lieber Steine in de Weg legen, als sie zu unterstützen. Jodie Foster ist die Idealbesetzung für die ihre Zweifel und Verwundbarkeit hinter einer Fassade der Unnahbarkeit verbergende Polizistin, die im Dialog mit Lecter an ihre Grenzen stößt und sich nun ungewollt den Dämonen stellen muss, die sie so erfolgreich unter Verschluss gehalten hat. Um sich zu behaupten, muss sie sich erst selbst überwinden: Eine Herausforderung, die den Kollegen, die das lück hatten, mit dem „richtigen“ Geschlecht geboren worden zu sein, erspart bleibt.

In erster Linie sollte ein Film wie THE SILENCE OF THE LAMBS den Betrachter aber natürlich bei der Gurgel packen, ihn nicht mehr loslassen und den Druck bis zum Showdown unablässig erhöhen: Von der oben als vermeintlicher Schwachpunkt ausgemachten Ruhe, mit der Demme erzählt, sollte man sich dann auch nicht täuschen lassen: Der Regisseur lullt einen langsam ein, bevor er dann zuschlägt. Set Pieces wie jenes, dass Lecters brutal-gerissene Flucht aus der Haft schildert, oder Starlings Konfrontation mit einem Zeugen, der sich dann, sehr zu ihrem Erschrecken, als der Mörder entpuppt, sind saumäßig effizient gescriptet und inszeniert. Das fällt vor allem auf, wenn man etwa letztere Sequenz mit der ganz ähnlichen Auftaktszene aus Ratners RED DRAGON vergleicht, die kaum mehr als ein laues Lüftchen entfacht. Nein, nein, THE SILENCE OF THE LAMBS ist ein außergewöhnlich guter Thriller, der seinen Ruf ausnahmsweise zu Recht genießt. (Ich glaube, SOMETHING WILD finde ich aber trotzdem einen Tick besser.)

alexanderDiese Zweitsichtung hat 12 Jahre gebraucht. Damals im Kino war ich ziemlich ratlos und enttäuscht gewesen von Stones Historien-Epos, ein wesentlicher Schritt in einer bis heute anhaltenden Entfremdung von einem Regisseur, dessen Filme in meiner Filmsozialisation eine wichtige Rolle gespielt hatten. Der „Final Cut“, der als ALEXANDER REVISITED ca. ein Jahr nach der enttäuschenden, um nicht zu sagen verheerenden regulären Kinoauswertung auf Scheibe erschien (und einer der erfolgreichsten Heimkino-Titel im Katalog von Warner Bros. wurde), hatte es nie in meinen Player geschafft, erst jetzt, auf Blu-ray, konnte ich die Scharte auswetzen. Wie zu erwarten war, ist diese Langfassung sehr viel konziser und auch mutiger als die kürzere Version – ein anderer Film ist ALEXANDER deswegen aber nicht. Wer sich damals in Erwartung eines Monumental-Abenteuerschinkens à la GLADIATOR oder BRAVEHEART ins Kino verirrte und sich dann königlich langweilte, wird mit dieser noch einmal 30 Minuten längeren Fassung ganz ähnliche Schwierigkeiten haben. Mir hat Stones teuerster Film hingegen deutlich besser gefallen als damals und das, was ihm oft vorgeworfen wird, habe ich als interessante Idiosynkrasien empfunden. Nicht alles geht auf, manches wirkt albern, oder besser: campy, aber gerade das zeichnet den Film gegenüber „traditionelleren“ Historienfilmen aus, die alles in ein Hollywood-Raster pressen und keine Fragen offen lassen.

ALEXANDER REVISITED verfolgt zwei parallele Handlungsstränge, die nebeneinander herlaufen und sich immer wieder abwechseln: der eine schildert Alexanders (Colin Farrell) Kindheit und Jugend bis zur Krönung zum König von Mazedonien nach der Ermordung seines Vaters Philip (Val Kilmer), der zweite folgt ihm bei seinen Feldzügen bis nach Indien und wieder zurück. Geklammert wird das alles durch den Bericht von Alexanders Weggefährten Ptolemäus (Anthony Hopkins), der einem Schreiber die Lebensgeschichte des Herrschers 40 Jahre nach dem Tod in die Feder diktiert. Historiker meldeten sich frühzeitig zu Wort, um in grotesker Fehlkonzeption von Kunst und Unkenntnis von Stones Arbeit Fehler aufzuzählen und Ungenauigkeiten zu monieren. Als wäre es dem Regisseur darum gegangen, bloß Fakten nachzuerzählen. Sein Alexander ist der erste Globalisierer der Weltgeschichte, ein Mann, der die Menschheit vereinen und ihre Trennung in Völker, Nationen und Stämme auflösen möchte. Mit diesen Ideen stößt er bei seinem Stab nicht ausschließlich auf Zustimmung: Die sich für überlegen haltenden Griechen und Mazedonier sehen es gar nicht gern, dass der Thronfolger ihres Königs von einer „Wilden“ geboren werden soll, dass die Barbaren vom Ende der Welt gleichberechtigt neben ihnen stehen. Kurz: Alexander hat mit denselben Problemen zu kämpfen, denen sich heute Europa gegenübersieht. Aber auch seine eigenen Dämonen stehen ihm im Weg, etwa die Hin- und Hergerissenheit zwischen einer überprotektiven Mutter (Angelina Jolie), die behauptet, er sei der Sohn Zeus‘, und ihn gegen den eigenen Vater aufhetzt, oder eben der Vater, der Alexanders Mutter hasst und den ungeliebten Sohn verachtet. Die eigene Homosexualität kommt ihm ebenfalls in die Quere, vor allem, weil er sich nicht mit einem Jüngling begnügen mag, und natürlich trotzdem sein Erbe sichern muss.

ALEXANDER REVISITED ist expliziter in der Darstellung dieser Homosexualität als es die Kinofassung war, die sich mit sehnsüchtigen Blicken zwischen Alexander und seinem Freund Hephaistios (Jared Leto) begnügte. Es reichte damals aus, um die Erfolgsaussichten des Films erheblich zu minimieren. Das schwule Begehren und Zaudern, das im Final Cut mehr in den Mittelpunkt rückt, prägt den Film auch in ästhetischer Hinsicht ganz wesentlich. Die zahlreichen Vignetten, wärend derer die Männer um Alexander dem Müßiggang frönen, in den opulenten Palästen der von ihnen eroberten Städte herumlümmeln, sich betrinken und exotischen Tänzen zuschauen, erinnern an dekadente Musicals, die Sehnsucht nach der hexenhaften Mama wird umso grotesker, als diese von der geilen (aber nur ein Jahr älteren) Jolie mit russischem Schlampenakzent gegeben wird. Farrell überzeugt, wenn er flammende Reden halten darf, wird sonst aber auf reines Eye Candy reduziert: Er ist ein hoffnungsloser Softie mit Goldhaar, dessen utopische Ambitionen man nie recht in Einklang mit diesem Bild bringen kann. Genau darum geht es: Man bekommt diese Figur nie wirklich in den Griff, so wie er sich in Stones Interpretation auch selbst immer fremd bleibt.

Trotz der opulenten Settings, des massiven CGI-Einsatzes, der Jahrzehnte und Kontinente umspannenden Geschichte wirkt ALEXANDER REVISITED intim und nach innen gekehrt. Es gibt zwei große Schlachtenszenen, eine gleich zu Beginn, eine kurz vor Schluss des rund 220-minütigen Final Cuts, der Rest sind Dialogszenen; und in den meisten versucht Alexander, sich selbst auf die Schliche zu kommen. Stone zeichnet ihn als Getriebenen, Fliehenden oder Suchenden: Alexander will weg von dem, was er glaubt zu sein, um sich neu zu erfinden. Als er in Indien immer noch nicht fündig geworden ist, der Ruf der Mutter immer noch unvermindert stark in seinen Ohren klingt, sieht er die Sinnlosigkeit seines Unterfangens ein und macht kehrt. Zurück in Babylon verstirbt er. Er liegt damit auf Linie der anderen historischen Figuren, denen sich Stone bislang gewidmet hat, vor allem fühlt man sich an seinen NIXON erinnert. Auch bei dem hatten sich eine zerrüttete Psyche, die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung in historisch unumstößlichen Tatsachen manifestiert.

audrey-rose-26472Welche Umwälzungen William Friedkins THE EXORCIST nach sich zog, der dem einst nur mit Nasenrümpfen betrachteten Genre des Horrorfilms eine ungeahnte neue Respektabilität verlieh und Phänomenen, die zuvor höchstens etwas für zauselige Spinner waren, mit geradezu wissenschaftlicher Nüchternheit begegnete, kann man AUDREY ROSE entnehmen, einem gleichermaßen betont gediegenen wie absolut bizarren Vertreter der Seventies-Mystery. Robert Wise, 1977 bereits ein Veteran (AUDREY ROSE ist sein viertletzter Film), hatte den Trend „seriösen“, rational unterfütterten Horrors mit seinem THE HAUNTING 1963 gewissermaßen initiiert und dürfte auch als Inspirationsquelle für Friedkin gedient haben: Insofern war er für dieses Reinkarnationsdrama der richtige Mann.

Wie der vor kurzem hier besprochene THE CHANGELING beginnt AUDREY ROSE mit einem Autounfall, der in der Gegenwart des Films bereits 11 Jahre zurück liegt. In dieser genießt das Ehepaar Bill und Janice Templeton (John Beck und Marsha Mason) gemeinsam mit der 11-jährigen Tochter Ivy (Susan Swift) den Upper-Middleclass-Lifestyle in einem edlen Altbau-Appartement in Uptown Manhattan. Nur einmal im Jahr, rund um den Geburtstag Ivys, wird die Harmonie durch rätselhafte Anfälle der Tochter getrübt, für die es keine medizinische Erklärung gibt. Dann taucht der mysteriöse Fremde Hoover (Anthony Hopkins) auf, jagt dem Ehepaar mit seiner stalkerhaften Omnipräsenz erst einen gehörigen Schrecken ein, sucht dann schließlich den Kontakt und wartet mit einer spektakulären Geschichte auf: Es gäbe keinen Zweifel, Ivy sei die Reinkarnation seiner bei besagtem Unfall verstorbenen Tochter Audrey Rose. Und sie schwebe in Gefahr, denn ihre unsterbliche Seele sei zu früh ins Leben zurückgekehrt, weshalb Ivy nun immer wieder von heftigen Albträumen und Zusammenbrüchen geplagt werde. Nachdem der von den  Wahnvorstellungen eines vermeintlich Irren genervte Bill dem verzweifelten Mann bei einer erneuten Attacke Ivys den Zutritt zur Wohnung verweigert und dieser das Mädchen daraufhin mit Gewalt entführt, kommt es erst zu einer Gerichtsverhandlung, bei der die Jury unter anderem darüber zu entscheiden hat, ob es Reinkarnation gibt, und dann zu einer von Bill veranlassten Hypnosetherapie, die ein für allemal belegen soll, dass seine Gattin auf einen Betrüger hereingefallen ist …

Die Siebziger müssen schon eine seltsame Zeit gewesen sein: Auf der einen Seite näherte man sich mit Riesenschritten dem magischen Jahr 2000, hatte bereits das Weltall und den Mond erobert, sah schon einer greifbaren Zukunft mit bewohnbaren Planeten entgegen und genoss großen Wohlstand mit immer neuen Errungenschaften, die das Leben vereinfachten und verlängerten, auf der anderen Seite schien all das aber nicht genug zu sein: In AUDREY ROSE kommt das Bedürfnis nach Spiritualität, einer Welt hinter den interpretierbaren Zahlen und nach kosmischer Geborgenheit zum Ausdruck, das durch materiellen Luxus nicht gedeckt wird. Aber weil unbedingter Glaube für den aufgeklärten Menschen dann doch nicht so ohne Weiteres möglich ist, müssen all diese überirdischen Phänomene ihm akribisch erklärt und wenn möglich auch noch stichhaltig bewiesen werden. AUDREY ROSE wird so zu einer wunderbar schizophrenen Angelegenheit: Was wie ein effektiver, wenn auch behäbiger Mystery-Grusler beginnt, der Raum für die Möglichkeit lässt, dass es sich bei Hoover tatsächlich nur um einen verwirrten Spinner handelt, der den Tod seiner Familie nie überwunden hat, nimmt ungefähr zu Halbzeit eine überraschende Wendung, die sich inhaltlich, vor allem aber tonal niederschlägt. Wises Grusler verwandelt sich plötzlich in einen lupenreinen Gerichts- und Aufklärungsfilm, der seinen Zuschauern das Konzept der Reinkarnation nicht nur erklären, sondern geradezu schmackhaft machen will. Da tritt dann zur Verteidigung Hoovers ein indischer Guru in den Zeugenstand, der der staunenden amerikanischen Jury davon berichtet, dass niemand in seiner Heimat Angst vor dem Tod habe, weil alle davon überzeugt sind, dass ihre Seele in einen neuen Körper einzieht, sobald der alte tot ist. Im Stile eines Dokumentarfilms wird ein kurzer Exkurs nach Indien unternommen und eine beruhigend klingende Stimme predigt die unschlagbaren Vorteile des Wiedergeburtsglaubens. Man fühlt sich ein bisschen wie in einem Tante-Emma-Laden für Selbstbetrüger: Geglaubt wird, was glücklich macht. Dieses ganze Szenario ist auf so vielen Ebenen falsch und ideologisch so angreifbar, dass AUDREY ROSE heute weitaus besser als Entlarvung von New-Age- und Esowahn funktioniert, denn als Auseinandersetzung mit fremden Religionen.

AUDREY ROSE präsentiert sich als so überzeugt von der dem christlichen Glauben an ein doch reichlich ungewisses und schwer vorstellbares Dasein im Paradies überlegenen Traumvorstellung des ewigen Lebens mit immer neuen Wirtskörpern, dass er sogar den tragischen finalen Tod des Mädchens noch als Happy End verkaufen kann. Eigentlich handelt AUDREY ROSE von Eltern, die nach dem Verlust ihrer Geliebten entweder nicht loslassen können, bereit sind, sich auch an den dünnsten Strohhalm zu klammern, um vor der Einsicht ins Unleugbare zu fliehen, oder ihre eigenen Streitigkeiten auf dem Rücken ihrer Kinder austragen, diese lieber zerbrechen, anstatt von ihrem eigenen Recht abzulassen. Wie schnell die anscheinend so harmonische Einheit von Bill und Janice zerbröckelt, sich die beiden als erbitterte Feinde gegenüberstehen, lässt schon tief blicken und Vermutungen darüber anstellen, was bei Ivy unterbewusst am Wirken war. Dass der Film selbst blind für diese Möglichkeit ist, macht die Interpretation nur umso überzeugender. AUDREY ROSE ist gerade in der Blindheit für seine eigenen Unzulänglichkeiten absolut faszinierend, der Film fürs unantastbare Ego.

 

 

 

Der Gedanke, das ausgestorbene Genre des Bibelfilms durch Modernisierung und Säkularisierung wiederauferstehen zu lassen, ist mit Blick auf sein immenses episches und visuelles Potenzial naheliegend und verlockend. Schon die Monumentalepen eines Cecil. B. DeMille, reine Machtdemonstrationen Hollywoods im Grunde genommen, lebten in erster Linie davon, dass sie in bewegte Bilder übersetzten, womit zuvor schon die reine Vorstellungskraft ihre Probleme gehabt hatte. Die Möglichkeiten, die heute mit moderner Effektechnologie zur Verfügung stehen, überschreiten jene von einst bei Weitem und machen Idee eines Updates zunächst einmal sehr nachvollziehbar. NOAH zeigt aber eindrucksvoll, dass es eine ziemlich fehlgeleitete Schnapsidee ist, „moderne“ Bibelfilme zu drehen. Der Film kommt über seinen zentralen Widerspruch einfach nicht hinaus: Bibelgeschichten machen ohne den lieben Gott keinen Sinn. So sehr sich Aronofsky auch darum bemüht, die Relevanz seiner Geschichte für das heutige Leben und nichtreligiöse Menschen herauszuarbeiten: Wenn man die Prämisse des Films nicht akzeptieren mag, nämlich die, dass es einen Gott gibt, der die Geschicke der Welt lenkt, dann stürzt der ganze Film mit einem Getöse zusammen, dass das seiner krawalligen Schlacht- und Sintflutszenen noch übertrifft. Ganz egal, wie weit sich Aronofsky visuell von den Bildwelten alter Bibelepen entfernt, seinen Schinken dem tristgrauen Schlachtengetümmel von Jacksons LOTR-Trilogie oder Scotts GLADIATOR annähert und eine Ikonografie bemüht, die auch im nächsten gritty Superheldenfilm nicht gänzlich fehl am Platze wäre: Am Ende ist das nicht nur der alte Wein in neuen Schläuchen, NOAH untergräbt in seinem Bemühen beständig sein eigenes Fundament.

Man könnte in dem bizarren Irrwitz, den der Film bisweilen an den Tag legt, eine Stärke sehen, wenn ihm nicht ständig dieser unangenehme heilige Ernst, die pathosgetränkte Inbrunst, bleischwere Bedeutungshuberei und technische Prahlsucht in die Quere käme. NOAH spielt in einer postapokalyptischen, von schwarzer Asche bedeckten Welt – in einer Rückblende sieht man die Armeen Kains mit vorsintflutlichen (höhö) Battlemechs in die Schlacht ziehen -, die von vermummten Endzeitschurken unsicher gemacht wird, denen Noah (Russell Crowe) im Stile eines Kwai Chang Cain mit Kampfstab entgegentritt und sie kurzentschlossen unschädlich macht. Die den Menschen zugängliche Welt wird mit aufgespießten Totenköpfen begrenzt, dahinter beginnt eine Felswüste, die die „Watcher“ beherbergt: von Gottes Gnade gefallene Engel, die nun ein trauriges Dasein als grummelnde Steinriesen fristen, und frappierend an Peter Jacksons Ents erinnern. Sie helfen Noah, der in einer Vision sieht, welches Schicksal der Erde blüht, später dabei, den dunklen Turm, äh, die Arche zu bauen und sie gegen die vom lasterhaften, machtgeilen König Tubal-cain (Ray Winstone) geführten Truppen zu verteidigen, die einen Platz auf dem Schiff wollen.

Das moralische Dilemma, um das sich NOAH im Kern dreht, ist Folgendes: Um den Willen Gottes, die Erde ohne den missratenen Menschen zu rebooten, zu vollstrecken, steht Noah auch vor der Aufgabe, nach getaner Arbeit die eigene Familie zu töten. Da gibt es auf der einen Seite also die gesichtslosen Horden, deren Schlechtigkeit Gott zu seinem Schritt erwogen hat und die auch Noah für ein unumstößliches Faktum hält, auf der anderen die allumfassende Güte der eigenen Brut. Der Film streift durchaus die Erkenntnis, dass die Sintflut auch gute Menschen hinwegraffen wird, die von oben herab getroffene Bestrafung und Noahs Wegbereitungung dieser Strafe grausam sind, aber er windet sich aus der Konsequenz, weil es eben Gottes Wille ist. An der Richtigkeit der Sintflut und Noahs Festhalten an seinem Auftrag – zumindest bis zu jenem Zeitpunkt, als es um sein eigenes Blut geht – gibt es keinerlei Zweifel. Erst ganz zum Schluss, wenn Noah sich vor Scham windet, es sich nicht verzeihen kann, dass er a) seine eigenen Enkelkinder umbringen wollte, b) dies aber nicht getan hat, sich also auch gegenüber dem Herrn und Gebieter nicht würdig erwiesen hat, wird eingeräumt, dass es möglicherweise um die Gnade Noahs gegangen sein könnte (von der aber alle außer seiner Familie ausgenommen waren). NOAH ist ziemlich widerwärtig in seinen Schlachtenbildern, in denen Abertausende panisch gen Arche fliehender CGI-Individuen von den Steinriesen zerstampft werden wie Ungeziefer, sich an die letzten noch aus den Fluten herausragenden Felsen klammernde Opfer von krachenden Flutwellen- weggerrissen oder zerschmettert werden, und in der Suggerierung, dies geschehe alles zum Besten der Welt. Russell Crowe darf mal wieder stoisch auf den computergnerierten Horizont starren, den unter der Last der heiligen Verantwortung wankenden, aber nie zusammenbrechenden Heros spielen. Warum ist es in diesen Filmen eigentlich immer so, dass Frauen wehklagend in Tränen ausbrechen, Männer aber grimmig gucken und dann irgendwann schweigend von dannen ziehen, wenn sich ein Konflikt nicht lösen lässt?

Naturgemäß muss NOAH auch einen Schurken aufbieten, den schon erwähnten Tubal-cain, der sich nicht damit abfinden will, qua göttlichem Willen zur Ausrottung bestimmt zu sein und aufbegehrt. Er stellt die Rechtmäßigkeit von Gottes Taten sowie seine Autorität konsequent infrage, weigert sich, sich in die Rolle des stillen, demütigen Büßers einzufinden und wurde so für mich zur eigentlichen Identifikationsfigur und zum Helden des Films. In einer Szene schnappt er sich eine Schlange, beißt vor Hunger einen ordentlichen Happen aus dem noch lebenden Tier. Noahs Sohn Ham (Logan Lerman) zeigt sich entsetzt: Es gebe doch von jedem Tier nur noch zwei Stück. Tubal-cains ebenso unbeeindruckte wie überzeugende Antwort: Ihn gebe es sogar nur einmal. Der Dialog spiegelt das Scheitern des Films: Die Existenz und das Walten Gottes sowie der blinde Gehorsam Noahs sind der wahre Horror, nicht das gewöhnlich schurkische Treiben machtgieriger Könige und kleiner Strauchdiebe, dem ja durch die Biologie sowieso natürliche Grenzen gesetzt sind. Es gibt einfach keinen Grund, das Szenario dieses Films hinzunehmen, die Exekution des ganzen Menschengeschlechts für akzeptabel und nicht einfach für grausam zu halten, es sei denn man ist bekennender, strenger Katholik. Dann aber steht man vor einem Film, der die Heilige Schrift als Ausgangspunkt für einen wüsten Fantasyquark nimmt und kaum verhehlen kann, dass er mit seinem Stoff nicht wirklich etwas anzufangen weiß.

Diese Einfalls- und Konzeptlosigkeit zeigt NOAH auch formal: Seine mit viel color grading und Rechnerpower aufgemotzten Bilder sind rein technisch natürlich über jeden Zweifel erhaben, aber auch ohne jede Individualität und den sense of wonder, den ein Dinosaurier wie Cecil B. DeMille mit weitaus einfacheren Mitteln zu erzeugen verstand. NOAH ist Fließbandware, vom letzten Superhelden-, Fantasy- oder Endzeitfilm nicht zu unterschieden, von derselben freudlos-strengen Perspektive auf das Leben, seelenlos und durchökonomisiert, über Gebühr von der eigenen Bedeutung überzeugt. Dabei gibt es kaum ein Bild, das wirklich überwältigen würde, was ja wohl die eigentliche Intention war: Aronofsky fällt angesichts der mit CGIs vollgestopften Panoramen nichts anderes ein, als immer wieder aufzuziehen, also vom Detail zum großen Ganzen überzugehen, oder aber in Fahrten über die mithilfe des Computers aus dem Boden gestampften Landschaften zu fliegen. Die Sintflut, wahrscheinlich der visuelle USP des Films, gibt tatsächlich rein gar nichts her: Auffällig, wie sich der Film nach dem großen Regen ins Innere der Arche zurückzieht, weil eine Sintflut am Ende ja auch nichts anderes ist, als ein sich bis zum Horizont erstreckendes Meer. Aronofsky ist halt definitiv kein Emmerich: Man hätte vor einigen Jahren noch nicht für möglich gehalten, dass das eine Aussage zu Ungunsten Aronofskys ist.

JUGGERNAUT

JUGGERNAUT beweist wieder einmal, dass es den richtigen Regisseur am falschen Ort gibt. Richard Lester drückt der Bombenentschärfungs-Geschichte seinen ureigenen Stempel auf, ringt ihr in den vermeintlich unspektakulärsten Szenen die stärksten Momente ab und hält das Tempo immens hoch. Für Formalästheten ist JUGGERNAUT ein Fest: Wie Lester die Kamera schweifen lässt, wie er Bild und Ton kontrastiert, wie er eine Collage aus unterschiedlichsten Eindrücken kompiliert und so den Eindruck eines geschlossenen Mikrokosmos erzeugt, ist beeindruckend – und typisch für den Stil eines Regisseurs, dessen Leistungen heute leider etwas in Vergessenheit geraten sind.

JUGGERNAUT ist ein sehr lebendiger Film, dessen große Stärke das Auge für die kleinen Details ist. Die stille Angst an Bord des Schiffes fängt er sehr gut ein und überhaupt wirkt er in seiner Zeichnung der Figuren eher offbeat. Omar Sharifs Captain Alex Brunel ist ein stiller, in sich gekehrter Mann, der sich bis zum Ende nicht zu seiner Geliebten (Shirley Knight) bekennen mag. Als er die Passagiere über die drohende Gefahr aufklärt, tut er das mit einem versteinerten Grinsen, das seine Hilflosigkeit nicht verbergen kann. Der innere Konflikt von Reedereivorstand Nicholas Porter (Ian Holm), der geneigt ist, der Forderung des Erpressers nachzugeben, um Menschenleben zu retten, aber von einem Regierungsbeamten unter Druck gesetzt wird, ist in dieser hier gezeigten Subtilität ebenfalls ungewöhnlich. Die überlebensgroßen Klischeefiguren, die solche Filme für gewöhnlich bevölkern, sucht man vergebens. Das schönste Beispiel dafür ist der für die Bordunterhaltung verantwortliche Social Director Curtain (Roy Kinnear), ein dicker, freundlicher, etwas unsicher und schüchterner Herr, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, nach dem Vorbild des Hofnarren auch in Zeiten der Unruhe für gute Stimmung zu sorgen, und nun bemerkt, dass er dazu selbst zu verängstigt ist. Seine einsamen Bemühungen, mit albernen Tanz- und Gesangsnummern die Angst zu vertreiben, sind der vielleicht rührendste Moment des Films, der, der am meisten in Erinnerung bleibt.

Das ist aber auch ein bisschen das Problem von JUGGERNAUT, in dem es ja eigentlich um die Entschärfung mehrerer Bomben an Bord eines mit 1.200 Menschen vollbesetzten Luxusliners geht. Die nominelle Hauptfigur, Bombenexperte Anthony Fallon (Richard Harris), bleibt eine Chiffre, ein Mann über den wir fast nichts erfahren, außer, dass er sehr gut in seinem Job ist und gerne mal einen trinkt. Dasselbe gilt für seinen Partner und Freund Charlie Braddock (David Hemmings), dessen Tod kaum Spuren hinterlässt, weil man ihn nie wirklich kennenlernt. Das Finale ist dann auch eher „aus Gewohnheit“ spannend: Man hat das Gefühl, dass sich Lester für den Thrilleranteil seiner Geschichte nicht so wirklich interessierte. Das ändert nichts daran, dass JUGGERNAUT sehr sehenswert und auch originell ist, aber als Katastrophenfilm vermarktet auch irgendwie ein Wolf im Schafspelz – oder eher ein Schaf im Wolfspelz

Der von Kenneth Branagh inszenierte Vorgänger sah im Vorfeld aus, wie ein Film, den man schnell und ohne große Überzeugung rausgehauen hatte, weil der nordische Donnergott eben auch zum THE AVENGERS-Franchise gehörte. Thor war ja immer eine besonders anachronistische Figur, die sich für ein „gritty“ Reboot deutlich weniger eignet als seine Superheldenkollegen. Glücklicherweise versuchte man es dann auch gar nicht erst, ihn irgendwie „relevant“ zu machen: Klar, das Altenglisch, in denen Odins Sohn in den Comics früher stets parlierte, suchte man im Film vergebens, trotzdem vermied Branagh es, dem Stoff seine trashige Albernheit gänzlich auszutreiben. Zwischen den ganzen bedeutungsschwer aufgeplusterten Marvel-Verfilmungen blieb er trotz Multimillionen-Dollar-Budget immer noch tief im naiven, infantile Charme der Comic verwurzelt. THOR: THE DARK WORLD, der wie der zur Zeit anlaufende CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER zur zweiten Welle des Avengers-Filmzyklus gehört, bewahrt zwar von ersten Teil den Humor und das Wissen, dass der Titelheld im Grunde genommen eine ziemlich alberne Figur ist, aber er ist vor allem bemüht, diese Erkenntnis im großen, pathetischen Tamtam zu ersäufen, ohne dem auf der Storyseite wirklich etwas entgegensetzen zu können.

Während der „Convergence“, einer Zeit, in der die neun Dimensionen der Erde – zu denen eben auch Thors Heimat Asgard gehört – miteinander verbunden sind, entdeckt die Wissenschaftlerin Jane Foster (Natalie Portman) in London das für verschollen gehalten „Aether“, eine kosmische Kraft, die der Dunkelelf Malakith (Christopher Eccleston) in grauer Vorzeit zur Zerstörung Asgards nutzen wollte. Das „Aether“ ergreift Besitz von Jane und ruft sowohl Thor (Chris Hemsworth) als auch Malekith auf den Plan. Asgard sieht sich einem erneuten Angriff des Schurken gegenüber, dem Thors Mutter Frigga (Rene Russo) zum Opfer fällt. Gemeinsam mit seinem intriganten Bruder Loki (Tom Hiddleston) kann Thor dem Dunkelelf eine erste Schlappe zufügen, der echte Showdown ereignet sich dann von London aus quer durch die mit Wurmlöchern verbundenen Dimensionen …

Spielte der erste Teil überwiegend in einem schmucklos aussehenden Wüstenkaff in New Mexico, entführt uns THOR: THE DARK WORLD über weite Strecken nach Asgard und die angrenzenden Fantasiewelten. Mit viel CGI-Power wird die fantastische Welt als Hybrid von Fantasy- und Science-Fiction-Welten sowie alten Wikinger- und Mittelalter-Monumentalschinken hochgezogen, erinnert am Ende aber doch nur ungut an den Bombast von Peter Jacksons LORD OF THE RINGS. Asgard erscheint als architektonische Mischung aus der Elfenstadt Rivendell und der Wolkenmetropole Bespin in THE EMPIRE STRIKES BACK, die Welt der Dunkelelfen sieht aus wie Mordor in klein, Malekiths drohend in den schwarzen Himmel ragendes Raumschiff ersetzt Saurons Turm Barad-dûr. Doch all der Pomp läuft irgendwie ins Leere: Das „Aether“ ist eine komplette Leerstelle, genau wie Janes Besessenheit durch die mystische Kraft und der Schurke Malekith, und man fragt sich, wie viele Marvel-Filme noch um irgendein uraltes Artefakt zur Beherrschung des Universums kreisen sollen, bevor sich die Dutzenden von Drehbuchautoren, die da beschäftigt werden, mal eine richtige Geschichte einfallen lassen. Klar, auch die Comics kreisen meist um archetypische Konflikte und ihre bunten Figuren, aber die durften da über die Jahre wenigstens so etwas wie Persönlichkeit aufbauen. Hier werden sie achtlos in den Tumult geworfen, der lediglich Anlass für vordergründiges Spektakel ist. Das macht durchaus Spaß und hat Tempo, vor allem zum Schluss hin, wenn Taylor den Effektbombast immer wieder mit kleinen Gags auflockert – im tollsten Moment des Films hängt Thor seinen Hammer an die Garderobe der Studentenbude, die er in London betritt –, ist größtenteils aber leer und austauschbar. Dabei sind Thor und sein Bruder Loki durchaus interessante Figuren, die ihr Potenzial immer wieder andeuten dürfen, bevor die nächste Verfolgungsjagd, der nächste Kampf, die nächste Explosion sie zu bloßen Körpern degradieren. Ich finde es durchaus lobenswert, dass mit Thor ein Franchise aufgebaut wurde, das gerade im Kontrast zu den moderneren, mehr in unserer Realität verhafteten Captain America oder Iron Man steht: Den Camp-Appeal, der die Comics Legionen Halbwüchsiger ans Herz schweißt, bildet das Herz von THOR: THE DARK WORLD. Gerade deshalb finde ich es so schade, dass er dafür keine visuelle Entsprechung findet, den kindischen Spaß in respektabel-generischer Computerperfektion erstickt, anstatt ihm ein bonbonfarbenes Denkmal zu errichten.

 

 

Weil Thor (Chris Hemsworth), Sohn Odins (Anthony Hopkins) und Anwärter auf den Thron von Asgard, einen Krieg gegen die „Frost Giants“ aus Jotunheim anzettelt, wird er von seinem Vater auf die Erde verbannt und seiner Kräfte beraubt. Während er in einem kleinen Kaff in New Mexico die Wege der Wissenschaftlerin Jane Foster (Natalie Portman) kreuzt und sein Hammer Mjolnir das Interesse der Organisation S.H.I.E.L.D. weckt, arbeitet sein Halbbruder Loki (Tom Hiddleston) zu Hause daran, die Macht zu übernehmen …

Als Fan des Marvel-Helden Thor muss man für gewöhnlich viel Spott über sich ergehen lassen. Mit seinem pompösen Gehabe, seinen blonden langen Haaren und der gestelzten Diktion (in den englischen Originalversionen der Comics sind seine Dialogzeilen vollgestopft mit „thou“s und „thy“s) ist der nordische Donnergott zwischen all den Mutanten, genialen Wissenschaftlern und menschlichen Tough Guys, die das Marvel-Universum bevölkern, ein krasser Außenseiter. Eine Verfilmung der Comicreihe – der Marvel wohl auch deshalb eine Zwangspause verordnet hat, weil Thor bestehenden Coolness-Konzepten diametral entgegengesetzt ist – war von daher denkbar schwierig. Während sich seine Superheldenkollegen je nach vorherrschenden Trends rebooten und umkonfigurieren lassen, gibt es bei Thor im entscheidenden Punkt keine Kompromisse: Er ist ein nordischer Gott. Wenn man ihm das nimmt, dann macht die ganze Figur keinen Sinn mehr. Die Macher von THOR standen also vor der schwierigen Aufgabe, die Figur auf die Leinwand zu transferieren, ohne ihre Wurzeln zu kappen, aber gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der nordische Mummenschanz nicht allzu sehr ins Alberne abdriftet. Die Entscheidung, Kenneth Branagh auf den Regiestuhl zu hieven, ließ zunächst befürchten, dass die Produzenten dieses spezifische Problem einer Thor-Verfilmung eben nicht erkannt hatten: Sollte THOR tatsächlich ein dröger Kostümfilm im Stile seiner „werkgetreuen“ Shakespeare-Adaptionen werden? Einen spielerisch-leichten Umgang mit seinen Stoffen war man von dem Briten bisher schließlich eher nicht gewohnt. Letztlich scheint die Besetzung des Regisseur-Postens bei diesen Eventfilmen aber nahezu irrelevant: Zu viel Geld steht auf dem Spiel, als dass die Studios sich ihre Gewinnkalkulation von einer einzelnen Person und seiner höchst singulären „Vision“ kaputtmachen ließen. Und so mutet auch THOR sehr anonym und stromlinienförmig an: Allerdings stechen dafür die Pointen auch stärker hervor als beispielsweise in IRON MAN oder THE AVENGERS.

Ja, wider Erwarten hat mir THOR richtig gut gefallen – und vielleicht ist es tatsächlich nur dieses „wider Erwarten“, dass mich hier behaupten lässt, dass THOR von den vergangenen Marvel-Verfilmungen für mich die ist, bei der die Mischung aus verantwortungsbewusster Hommage, aufgedunsenem Effektbrimborium, käsigen B-Film-Charme und postmodernem Augenzwinkern am besten funktioniert, die den Spirit der zugrunde liegenden Comics am besten einfängt. Chris Hemsworth verleiht dem großmäuligen, selbstverliebten Popanz Gestalt und Persönlichkeit, findet mit Branagh und den Autoren einen Weg, die potenziell lächerliche Figur glaubwürdig und ohne allzu großes Pathos auf die Leinwand zu bringen. Die Szenen, in denen der Held selbst zur Zielscheibe des Spottes wird, ziehen ihn nicht ins Lächerliche, sondern konturieren ihn als aus der Zeit Gefallenen. THOR verfolgt über weite Strecken eine Fish-out-of-Water-Plotline, die immer wieder mit Ausflügen in das fantastische Asgard kontrastiert wird. Donnergott Thor wird so zu einer ambivalenten Figur: Seine Heldentaten sind real, jedoch nicht eins zu eins auf unsere Welt übertragbar. Um der Erbe seines Vaters zu werden, dient ihm die Erde als der Ort, an dem er Demut lernt und seine Methoden überdenkt. Was auf den ersten Blick ein lahmer Kostümfilm zu werden drohte, ist die erfolgreiche Bewältigung des weiter oben geschilderten Problems geworden: THOR zeigt, wie man auf der Erde ein altertümlicher Gott sein kann, ohne sich zu verraten. Und wie man ihn zum Protagonisten eines Films machen kann.

Was dem Film dabei sehr zugute kommt – und vielleicht ist das dem Enfluss Branaghs geschuldet, den man nun nicht gerade im Verdacht haben muss, ein Comicnerd zu sein –, ist, dass er sich nie zu ernst nimmt, sich trotz seines gigantomanischen Budgets von 150 Mio. Dollar als fest im B-Film verwurzelt zeigt. THOR kommt angenehm flüchtig und unaufgeregt daher: Anders als bei anderen Marvel-Filmen hat man hier nicht ständig das Gefühl, dazu angehalten zu werden, ehrfurchtsvoll und im Wissen um den historischen Moment auf die Leinwand zu starren. Schon dass der Film wenigstens zur Hälfte in einem kleinen Wüstenkaff spielt, zeugt von einer Bescheidenheit, die auch anderen Comicverfilmungen ganz gut zu Gesicht stünde. In der Rezeption, wie sie die Filme vornehmen, drohen meiner Meinung oftmals der Spaß, die kindliche Unschuld und die Naivität der Comics flöten zu gehen. Superheldengeschichten darf man ruhig ernst nehmen, aber man sollte trotzdem nicht vergessen, dass es dabei nicht zuletzt um bunte Bildchen, überlebensgroße Figuren und die Erfüllung von Kinderträumen geht. THOR hat keine Angst, sich zu genau dieser Trivialität voll zu bekennen. Ein Gewinner. Trotz Natalie Portman.