Mit ‘Barbara Rütting’ getaggte Beiträge

Schon der Titel FRAUENARZT DR. SIBELIUS, obwohl rein begrifflich doch keineswegs verdächtig, verheißt unterschwellig aalglatten Schmier und unangenehme Schlüpfrigkeit. Die meist weiblichen Bedürfnisse, die das mittlerweile fast ganz ins Fernsehen abgewanderte Genre des Arztfilms befriedigen soll, sind zwar unmittelbar nachzuvollziehen, muten heute aber doch irgendwie seltsam neurotisch, wenn nicht gar pathologisch an. Nur schwerlich lassen sie sich mit einem zeitgemäßen Frauenbild in Einklang bringen. Damen, die sich devot und unterwürfig der Autoritätsfigur Arzt hingeben, seine Praxis in Erwartung seiner körperlichen und seelischen Zuwendung auch dann aufsuchen, wenn ihnen gar nichts fehlt: Das passt nicht mehr zu unseren Vorstellungen von der gleichberechtigten, selbstbewussten Frau. Dass der Arzt als Objekt weiblicher Begierde medial nicht mehr so präsent ist wie zuletzt vielleicht noch in den Achtzigerjahren hat aber wohl auch etwas damit zu tun, dass sich der gesellschaftliche Status von Medizinern erheblich verändert hat: In marktwirtschaftliche Zwänge eingebunden, werden nur noch die wenigsten von ihnen reich, und die Notwendigkeit, möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit zu behandeln, steht jener engen, vertrauensvollen Beziehung, wie sie der „Halbgott in Weiß“ einst mit seinen Patienten unterhielt, ebenfalls meterhoch im Weg. Der Dr. Sibelius, wie wir ihn in Rudolf Jugerts Film kennenlernen, ist ein Relikt der Vergangenheit: Schon in relativ jungen Jahren zur Koryphäe mit eigener Praxis inklusive Operationssaal aufgestiegen, im Notfall auch bis spät in die Nacht für seine Patienten da, stets mit einem offenen Ohr auch noch für die zudringlichsten Exemplare unter ihnen, aber völlig blind für die Gefahren, die von diesem Verwischen der Grenze zwischen Beruflichem und Privatem für ihn ausgehen. Er schreitet weniger durch sein Leben als er, getragen von einer sanften Welle der Bewunderung, dahinschwebt, beliebt und begehrt, eine Berühmtheit, die auf offener Straße erkannt wird wie ein Popstar, und in einer prachtvollen Villa mit junger, gelangweilter Gattin residiert. Er ist ein Traumbild, ein Produkt der Fantasie, ein Prachtexemplar der Gattung Mensch, ein Heiliger, der mitten unter uns wandelt, aber doch keiner von uns sein kann.

FRAUENARZT DR. SIBELIUS ist kein „Sittenreißer“ und von Jugert ganz bestimmt mit den besten Absichten inszeniert, aber er ist dennoch ganz und gar unfasslich. Viel von dieser Unfasslichkeit verdankt er seinem Hauptdarsteller, dem geradezu unverschämt attraktiven Lex Barker. Wer ihn als Old Shatterhand aus den Karl-May-Filmen kennt, der ist mit seinem sehr speziellen Spiel schon vertraut. Es wird geprägt von einer Mimik, bei der zwischen väterlicher Nachsicht, überlegenem Amüsement und heiligem Ernst nur Nuancen liegen. Entspannung ist ihr gänzlich fremd, die Furchen in der Stirn und das Arbeiten der Wangenmuskulatur deuten stattdessen auf andauernde, zermürbende innere Kämpfe hin. Als Indianerfreund war Barker gleichermaßen aufgeklärter, von überlegener Position des aufgeklärten Zivilisationsmenschen heraus argumentierender Diplomat und als solcher stets mit einem untrüglichen Gespür für die zahlreichen Fallstricke im Umgang mit der fremden Kultur ausgestattet. Doch als Dr. Sibelius agiert er wie ein zwar weiser, aber doch höchst naiver Außerirdischer, der sich immer noch nicht daran gewöhnt hat, dass Menschen nicht immer nur Gutes im Schilde führen. Drehbuch und Regie denken ihn als edlen Ritter mit blütenreinem Gewissen, aber dem Betrachter muss sein kategorisches Von-sich-Weisen jeder Mitschuld gepaart mit gnadenloser Selbstgerechtigkeit, als zutiefst unmenschlich erscheinen. Sein Handeln bietet reichhaltigen Anlass zur scharfen Kritik: Aber weder der Film noch seine Mitmenschen erkennen diese Anlässe. Mit Sibelius als moralischem Kompass des Films sind alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens außer Kraft gesetzt. FRAUENARZT DR. SIBELIUS ist von der vermeintlichen Großartigkeit seiner Hauptfigur genauso geblendet wie die Frauen, die sich im Wartezimmer darum streiten, wer als nächster bei ihm eintreten darf.

Dr. Sibelius – schon dieser Name, dessen lateinischer Klang zum einen Intelligenz und Bildung suggeriert, gleichzeitig mit seiner ornamentalen Künstlichkeit eine unüberbrückbare Distanz zum gemeinen Fußvolk – hat es mit seiner Praxis also zu großem Ruhm gebracht. Seine Patientinnen himmeln ihn an, belagern ihn förmlich und bekommen stets die Aufmerksamkeit von ihm, die sie zwar nicht befriedigt, aber doch zufrieden nach Hause gehen lässt. In seinem prächtigen Haus sitzt unterdessen seine jüngere, attraktive Gattin Elisabeth (Senta Berger). Sie arbeitet nicht, muss sich um nichts kümmern und hat demzufolge viel Zeit, eine brennende Eifersucht zu entwickeln. Dass sie keine Kinder bekommen kann, verstärkt ihre Minderwertigkeitsgefühle noch. Sibelius ist zwar zunehmend genervt von ihren haltlosen Vorwürfen, aber mit seiner ganzen Güte und Nachsicht gelingt es ihm immer wieder, Verständnis für sie aufzubringen und sie vorübergehend zu beschwichtigen. Bis eines Tages Sabine Hellmann (Barbara Rütting) auf den Plan tritt, ihrerseits eine erfolgreiche Journalistin und einst die große Liebe von Sibelius, bis sie ihn im Eifer der Jugend zugunsten ihrer Karriere verließ. Heute sieht sie reuevoll auf ihren Fehler und wünscht sich nichts sehnlicher, als ihn rückgängig zu machen. Auch Sibelius, zermürbt von den Kämpfen mit Elisabeth, entflammt in neuer alter Leidenschaft für die intelligente, selbstständige Frau. Doch das Schicksal funkt dazwischen: Eine Untersuchung ergibt, dass Sabine an Leukämie leidet und nur noch wenige Wochen zu leben hat. Sibelius beschließt, ihr die Diagnose zu verheimlichen, um ihr die verbleibende Zeit nicht unnötig schwer zu machen …

Spätestens hier, wenn Sibelius die Entscheidung trifft, Sabine über ihren Zustand zu belügen, er sich dazu aufschwingt, allein zu entscheiden, was gut für sie ist, bröckelt das Bild des gutmütigen Menschenfreunds, dass der Film zu zeichnen so bemüht ist. Aber die Entscheidung ist typisch für ihn, präsentiert er sich doch während des ganzen Films als seinen Mitmenschen in allen Lebensfragen weit überlegen und allein befähigt, sie zu ihrem Glück zu bringen. Abweichenden Haltungen steht er geradezu verständnislos gegenüber, mögliche Gründe, die sie begünstigen, lässt er nicht gelten. Als die nichts ahnende Elisabeth Sabine im Krankenbett mit dem Vorwurf konfrontiert, ihre Ehe zerstört zu haben, wird sie von Sibelius rüde zurechtgewiesen und beschuldigt, der Sterbenden die letzten Stunden unnötig schwer gemacht zu haben. So einfach ist das Leben als berühmter Frauenarzt, auch wenn Sibelius selbst von den Eingebungen des Drehbuchs in eine fast messianische Opferrolle gedrängt wird. Weil er seinen Job so überaus fantastisch macht, wird er von seinen Patientinnen missbraucht, sein Privatleben gestohlen, er von seiner Frau entfremdet. Als er sich weigert, einer jungen Dame (Ann Savo) das in ihrem Leib heranwachsende Kind „wegzumachen“, wird er von ihr des Missbrauchs bezichtigt: Ein Umstand, den sich sein junger, ehrgeiziger Assistent (Harry Meyen) sogleich zunutze macht, gegen ihn auszusagen, um sich die gut gehende Praxis selbst unter den Nagel zu reißen. Schließlich die doppelt gescheiterte Liebe zu Sabine, die ihm das Schicksal auch beim zweiten Anlauf entreißt. Nie, kein einziges Mal, kommen Sibelius Zweifel an der Richtigkeit seines eigenen Tuns. Sein Verhalten ist tadellos, die Befürchtungen seiner Frau reine Spinnerei, auch wenn er sich beim gemeinsamen Konzertbesuch von Patientinnen weglocken lässt und sie mit galanten Handküssen bedenkt. Auch wenn er den hippokratischen Eid verletzt und Sabine über ihren bevorstehenden Tod belügt. Auch wenn er trotz der Eifersucht von Elisabeth Sabines hübsche junge Schwester zur Untermiete in sein Haus ziehen lässt. Am Ende obliegt es einzig und allein Elisabeth, ihre Fehler einzusehen: Sie schaut ihrem Gatten bei einer per Kaiserschnitt durchgeführten Entbindung mit vor Rührung herabkullernden Tränen zu und schließt den Halbgott, mit dem verheiratet zu sein sie das Glück hat, in ihre sanften Arme. Und Sibelius, weil Sabine ja nun den Weg alles Irdischen gegangen ist, kann ihr mit seinem angeborenen Großmut verzeihen. Hach.

Jugerts Film löst über seine gesamte Spielzeit von 100 Minuten abwechselnd das Herunterfallen der Kinnlade, heftiges Kopfschütteln und sanften Ekel aus. Mehr als sein Urheber das zur Entstehungszeit vermutlich geplant hatte, funktioniert FRAUENARZT DR. SIBELIUS heute als Blick in die Befindlichkeiten der Arztromane und Frauenmagazine verschlingenden Frau der Nachkriegsjahrzehnte. Der ganze Film ist weniger psychologisch glaubwürdiges Melodram, als rein auf die Affekte zielende Wunscherfüllungsfantasie. Der schöne Sibelius ist das unerreichbare Traumbild von einem Mann, die Frauen entweder Identifikationsfiguren in ihrem bedingungslosen Anhimmeln oder aber undankbare Biester, die langsam mal zur Besinnung kommen sollten. Sowohl Senta Berger, damals gerade zarte 21 Jahre alt, wie auch die 35-jährige Barbara Rütting sind berückend dumm und einfältig in ihren eindimensionalen Rollen. Das sei keinesfalls als Kritik an Jugerts Film zu verstehen, der durchweg faszinierend ist, während seiner finalen Kaiserschnitt-Operation sogar ausgesprochen blutig-explizites Material einschmuggelt. Eine Szene ist mir besonders aufgefallen: Nach einer Behandlung zu Beginn bringt Sibelius‘ Sprechstundenhilfe ihm eine Tasse Kaffee. Es ist durch den Kamerawinkel gut sichtbar, dass die Tasse vollkommen leer ist, zumal sie Barker einmal kurz entgleitet und auf der Untertasse umkippt, ohne dass etwas verschüttet würde. Aber Barker spielt das ganz professionell zu Ende, ohne sich beirren zu lassen. In dieser Szene ist er ganz Sibelius: Er ist so christlich, dass er lieber an einer leeren Tasse nippt, als die Person, die versäumt hat, ihm etwas einzugießen, darauf hinzuweisen. Er hält das für Güte, in Wahrheit ist es die ultimative Form der Herablassung.

 

 

Analog zu DER MÖNCH MIT DER PEITSCHE und DER GORILLA VON SOHO, die innerhalb der Rialto-Reihe Remakes von DER UNHEIMLICHE MÖNCH bzw. DIE TOTEN AUGEN VON LONDON darstellten, ist DER TODESRÄCHER VON SOHO das Remake in Brauners Bryan-Edgar-Wallace-Serie, und zwar von DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER. Warum man es für nötig hielt, diesen Film neu aufzulegen, was man sich davon versprach, bleibt für mich ad hoc ebenso wenig nachvollziehbar, wie die Entscheidung, ausgerechnet Jess Franco mit der Inszenierung zu betrauen. Der spanische Vielfilmer brachte die ihm eigene Erratik und Exzentrik mit und war wohl nur ganz am Rande daran interessiert, eine nach den Regeln der Dramaturgie „wohlgeformte“ Geschichte zu erzählen. Sein Film ist sprunghaft, elliptisch, fragmentarisch, täuscht Narration nur vor, ja, wirft dem, der einen Krimi erwartet und der Auflösung eines Mordfalles beiwohnen möchte, immer wieder massive Kanthölzer zwischen die Beine. Ich habe im Verlauf der nur 75 Minuten – auch das schon ein Hinweis auf Francos Strategie – irgendwann aufgehört, den expositorischen Dialogen zuzuhören oder der „Geschichte“ zu folgen: Aber gefallen hat mir DER TODESRÄCHER VON SOHO dennoch, weil Francos Improvisation innerhalb eines solch rigiden strukturierten Genres wie dem Krimi noch einmal besonders heftige Wirkung zeitigt.

Die Verzeichnungen beginnen schon damit, dass die (spanischen) Schauplätze des Films zu keiner Sekunde auch nur annähernd nach London oder England aussehen. Mehr noch: Franco verwendet nicht den Hauch von Mühe darauf, diesen Anschein überhaupt zu erzeugen. Mitten in die karge, von Felsen und krüppeligen Olivenbäumen geprägte Landschaft pflanzt er ein handgeschriebenes Schild, das den Weg zu irgendeinem Castle weisen soll. Dort angekommen findet man dann keines der britischen Herrschaftshäuser vor, sondern eine braune, wuchtige Mittelalterruine. Immer wieder benutzt er das Weitwinkelobjektiv, verkantete Kameraperspektiven und die extreme Untersicht: Stilmittel, die die Einnahme einer krimitypisch objektiven Betrachterposition nicht nur be-, sondern konsequent verhindern und selbst banalen Vorgängen noch den Anstrich des Ominösen geben. Charaktere sind keine Charaktere, sondern nur Überbleibsel einer traditionellen Narration, die Franco sonst gänzlich verwirft. Besonders frappierend fällt das bei Siegfried Schürenberg auf, dessen Persona in zig Wallace-Filmen festgeschrieben wurde und deshalb eigentlich keiner großen Herleitung mehr bedarf, der hier aber tatsächlich wie im falschen Film wirkt. Es existiert überhaupt keine Bindung, weder zwischen den einzelnen Figuren noch zwischen diesen und dem nachlässig entwickleten Plot. Folien laufen von A nach B und täuschen Erkenntnisse vor, die es nicht gibt, bevor der Film – einem sublimen Urinstinkt folgend – weitermacht. Höchst seltsam und irritierend, dabei ist nichts von dem, was da passiert, explizit merkwürdig: Wer DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN KOFFER gesehen hat, wird ganze Szenen und den Handlungshergang deutlich wiedererkennen, sogar die Auflösung ist die gleiche. Aber das alles ist vollkommen leer, rein materielles Abbild ohne Seele. DER TODESRÄCHER VON SOHO ist eine leere Hülle, ein filmischer Wiedergänger, der wie die Zombies in Romeros DAWN OF THE DEAD tief im Unterbewusstsein verankerten Impulsen nachgeht, deren ursprüngliche Funktion lägst keine Bedeutung für ihn mehr hat. Faszinierend und voller in ihrer Rätselhaftigkeit wunderbarer Bilder.

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Rund um die zwielichtige Animierkneipe „Sansibar“ kommt es zu brutalen Messermorden. Weil man bei einer Leiche eine afrikanische Götzenfigur findet, beauftragt Scotland-Yard-Chef Sir Phillip (Hans Söhnker) den Afrika-Experten Hugh Patton (Dieter Borsche) mit der Ermittlung. Der findet heraus, dass die Opfer etwas miteinander gemeinsam hatten: Alle waren sie an Bord einer Yacht, die unter ungeklärten Umständen unterging. Zu den Verdächtigen gehört Joanna Filiati (Elisabeth Flickenschildt), die querschnittsgelähmte Besitzerin der „Sansibar“, aber auch Sir Phillip, der eine Liebesbeziehung mit der Krimischriftstellerin Clarinda Smith (Barbara Rütting) eingeht, verhält sich seltsam …

Nur der Tatsache, dass DAS PHANTOM VON SOHO mit seinen 92 Minuten vielleicht einen Hauch zu lang geraten ist, habe ich es zu verdanken, dass ich mein voreilig gefälltes Urteil, DAS SIEBENTE OPFER sei Gottliebs bester Gruselkrimi, nicht revidieren muss. Hier verkneift er sich humorige Einsprengsel weitestgehend – Peter Vogel gibt das obligatorische Comic Relief, geht dabei aber wesentlich zurückhaltender vor, als man das von Eddi Arent oder Chris Howland gewohnt ist – und erzählt seinen Whodunit straight und ernst herunter. Sehr zu Gute kommen ihm dabei das wunderbare Set Design (das auch im Nachfolger DAS UNGEHEUER VON LONDON-CITY noch einmal Verwendung findet), die Fotografie von Richard Angst, der die (wahrscheinlich) im Studio aufgebauten Straßenzüge und das dekadent-verr(a)uchte Interieur der „Sansibar“ mithilfe von Nebelmaschinen und Scheinwerfern (für effektive Schattenwürfe) angemessen atmosphärisch ablichtet, und die erneut famose Besetzung. Wallace-erprobte Mimen wie Elisabeth Flickenschildt, Hans Nielsen, Werner Peters (als Masseur und „Modearzt“, der „einflussreiche Personen in den höchsten Gesellschaftskreisen massiert“), Dieter Borsche, Barbara Rütting und Stanislav Ledinek schaffen im Handumdrehen dieses gewisse Flair, in dem man sich sofort zu Hause fühlt, und spielen ihre Rollen mit heiligem Ernst. DAS PHANTOM VON SOHO weicht vom bewährten Konzept insofern ab, als das mondän-aristokratische Milieu mit seinen traditionsreichen Adelssitzen und den Lords, Sirs und Ladys, in die einen die Wallace-Krimis sonst entführen, zugunsten des Abstiegs in den Sündenpfuhl von Soho verworfen wird. Hier nimmt Gottlieb schon die Entwicklung vorweg, die die Rialto-Wallaces ab 1966 mit Alfred Vohrers DER BUCKLIGE VON SOHO einschlagen würden.

Tanja Berg weist während der Title-Sequenz mit ihrem verführerisch hingehauchten Song „Soho“ den Weg für die folgenden 90 Minuten und die Auflösung hat auch nichts mehr mit den materialistischen Erbschaftsgeschichten zu tun, die die Belegschaft der Wallace-Krimis sonst in Tod und Verdammnis führen. Hier geht es stattdessen um Menschenraub, Mädchenhandel und organisierte Massenvergewaltigung unter Drogeneinfluss sowie den Einfluss, den diese Verbrechen auf die Psyche der Opfer haben. Nachdem Gottliebs Film dem Zuschauer zwar leicht angesleazte, aber dennoch weitestgehend unschuldige Unterhaltung geboten hat, ist das Finale ein ziemlicher Downer, das einen ganz schön schlucken lässt. Man möchte fast glauben, dieser Kontrast war Absicht.

Lord Curtain (Wilhelm Vorwerg) wird erschossen in seinem Zimmer aufgefunden, außerdem eine Nachricht des mysteriösen „Hexers“ (René Deltgen), der der Polizei vor Jahren entkommen konnte. Doch der Hexer kann es nicht gewesen sein, weilt er doch in Australien. Als ihm zu Ohren kommt, dass er in einem Mordfall gesucht wird, reist er mit seinem Butler Archibald Finch (Eddi Arent) und seiner Gattin Cora (Margot Trooger) nach London, um den Verbrecher seinerseits zu stellen. Das gefällt Inspector Wesby (Heinz Drache) überhaupt nicht, zumal es jemand auf die gesamte Familie der Curtains abgesehen zu haben scheint …

Alfred Vohrer knüpft mit NEUES VOM HEXER an den überaus erfolgreichen Vorgänger nahtlos an: Sein Sequel zeichnet sich durch eine humorvolle, selbstironische Haltung zum 1965 bereits zum Klischee geronnenen Wallace-Stil aus, bietet eine verdrehte Murder Mystery im mondänen britischen Sujet mit zahlreichen Verdächtigen, Opfern und den gewohnten Beigaben: Drache gibt den gewitzten, trockenen Wesby, Arent den stets etwas pikierten Butler, Kinski scheint die Verachtung für den Trivialstoff als Benzin für seine Darbietung als dubioser Hausdiener (mit Dreitagebart) zu nutzen, Siegfried Schürenberg ist wieder als onkeliger Scotland-Yard-Chef Sir John mit von der Partie und Barbara Rütting ist das erotische, aber keinesfalls hilflose Beiwerk.

Der Hexer bietet mit seinen Verwandlungskünsten einige Gelegenheit, die üblichen Verwirrtaktiken der Wallace-Filme durch den Einsatz von Maskerade auf die absurde Spitze zu treiben, eine Szene in einem Stall (?), in dem mehrere Zirkus- oder Zootiere gehalten werden, stellt wohl den Gipfel wilder Einfälle der bisherigen Serie dar: Der hilflose einarmige Junge, der mit den Tigern zusammen eingesperrt wird, bezähmt die Wildkatzen und reitet schließlich sogar auf einer! Das Ganze wird nicht etwa mit Tricks realisiert, die Interaktion zwischem dem Jungen und den Raubtieren ist echt – und wird von Vohrer im vollen Wissen um das Spektakel festgehalten. Ansonsten ist NEUES VOM HEXER angenehm unaufgeregt und damit ganz das Gegenteil des selbstbewussten Vorgängers. Ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, warum mir dieses Sequel ausgezeichnet gefiel, während ich DER HEXER zwar nicht schlecht, aber doch etwas anstrengend und langweilig in seiner Großmannssucht fand: Es ist die Abwesenheit Fuchsbergers, die diesen Film zum Gewinner macht. Versuchte man den attraktiven Schauspieler in DER HEXER noch als deutsche Antwort auf James Bond zu etablieren, schielte man mit diversen Modernisierungsversuchen auf das Publikum der Superagentenfilme und verlor darüber etwas die eigene Linie, konzentriert sich Vohrer mit der Fortsetzung wieder ganz auf das, was die Wallace-Reihe erst zum Erfolg machte: diesen etwas angestaubten, behäbigen Charme, der dem entspricht, was der Deutsche wohl als „typisch britisch“ empfindet, das Zusammenspiel liebgewonnener und bekannter Charaktere und ein paar makabre Einlagen.

Es sind dann auch die kleinen, liebe- und wirkungsvollen Details, mehr als große konzeptionelle Würfe und Neuerungen, die NEUES VOM HEXER zu einem der besten Wallace-Filme machen: Allein die Dialoge und das Zusammenspiel von Drache, Arent, Schürenberg und Kinski sind das Eintrittsgeld wert, so subtil, spritzig und echt, dass man den Kriminalfall, der da irgendwo auch noch gelöst werden muss, beinahe vergisst. Und Brigitte Horney, die dem Ringelpiez der vier Würde und Contenance entgegenhält, erweist sich als kongeniale Ergänzung. Ich möchte hier aber noch einmal eine Lanze für Siegfried Schürenberg brechen, der sich im Laufe der Jahre von der sympathischen Randfigur zum unverzichtbaren Bestandteil der Reihe gemausert hat. Sein Sir John ist ein so wunderbarer Charakter voller kleiner lebendiger Details, dass sofort die Sonne aufgeht, sobald er die Szenerie betritt. In ihm verbindet sich auf kongeniale Weise all das, was die Wallace-Filme insgesamt so liebenswert macht. Da ist auf der einen Seite diese britische Haltung; stets würde- und weihevoll sowie hochzivilisiert wird da unter der Wahrung der gesellschaftlichen Etikette noch jeder bloße Gedanke an ein lasterhaftes Treiben rundheraus für unmöglich erklärt, die moralische Überlegenheit des Vernunftmenschen voll vornehmer Zurückhaltung gefeiert, während gleichzeitig das Triebhafte, Unkontrollierte als kleiner Fehlerteufel unter der Fassade lauert. So wird auch der distinuierte, „britische“ Tonfall Sir Johns immer wieder von kurzen Ausreißern in den Jargon deutscher Eckkneipen durchbrochen, wenn nach dem verführerischen Augenaufschlag einer Schönen das Menschliche, Allzumenschliche aus ihm hervorbricht. Dann blitzt es in den Augen des sonst so um Seriosität und Ernsthaftigkeit bemühten Mannes schalkhaft auf, bis das Über-Ich wieder einsetzt, zur Mäßigung mahnt, und Sir John den beinahe erfolgten Sündenfall mit einem erleichterten Seufzen quittiert. Es ist wahrlich ein Vollzeitjob, das Empire zu verteidigen.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (18. Wallace-Film), Klaus Kinski (11.), Siegfried Schürenberg (8.), Heinz Drache (5.) Wilhelm Vorwerg (4.), Margot Trooger, Kurt Waitzmann, Albert Bessler (3.), Barbara Rütting, Karl John, Heinz Spitzner, René Deltgen, Michael Chevalier (2.), Brigitte Horney, Hubert von Meyerinck (1.). Regie: Alfred Vohrer (7.), Will Tremper (1.) Drehbuch: Herbert Reinecker (2.), Musik: Peter Thomas (11.), Kamera: Karl Löb (8.), Schnitt: Jutta Hering (4.), Produktion: Horst Wendlandt (16.), Fritz Klotsch (2.).
Schauplatz: London, das Haus von Lord Curtain, diverse Apartements. Berlin, Pfaueninsel.
Titel: Benennt den Film als Sequel, bezieht sich auf die Rückkehr der Titelfigur.
Protagonisten: Inspector James W. Wesby.
Schurke: Ein Mann, der die Familie von Lord Curtain auslöschen will.
Gewalt: Diverse Erschießungen.
Selbstreflexion: Begrüßung zu Beginn, der Titelheld liest den Roman „Neues vom Hexer“, Heinz Drache wendet sich am Schluss ans Publikum und kündigt den nächsten Wallace für das kommende Jahr an, Alfred Vohrer absolviert einen Cameo, Arents Dialogzeile „Jezt hält der sich auch schon für James Bond“ ist wahrscheinlich eine Anspielung auf Joachim Fuchbergers Rolle in DER HEXER.

Die Londoner Unterwelt wird von einem unbekannten Verbrecher, den alle nur den „Zinker“ nennen, in Angst und Schrecken versetzt. Als ein Krimineller seine Identität aufgedeckt zu haben glaubt, wird er mit dem Gift einer Schwarzen Mamba ermordet. Die Ermittlungen führen Inspektor Elford (Heinz Drache) zu der Tierhandlung der reichen Witwe Mulford (Agnes Windeck) und ihrem Geschäftsführer Sutton (Günter Pfitzmann): Dort wurde vor kurzem eine solche Schlange entwendet …

Nachdem mich DAS GASTHAUS AN DER THEMSE zuvor etwas underwhelmt hatte, hat DER ZINKER meine Erwartungen übertroffen: Vohrer erzählt seine Gangstergeschichte mit viel Zug und der liebgewonnenen Überfülle an bizarren Ideen, handelnden Figuren, nebligen Nachtszenen, zwielichtigen Gestalten und Kurzausflügen in die Gefilde des Horrorfilms. Dennoch bleibt die Handlung nachvollziehbar, wird der Whodunit-Aspekt nicht, wie sonst so häufig in den Wallace-Filmen, lediglich vorgetäuscht. Na klar, manche Morde und Plotwindungen sind auch hier natürlich reines Mittel zum Zweck und nur zu gern wird die Logik auch mal komplett über Bord geworfen, wenn es der Spannung oder der Irreführung der Zuschauer dient, aber DER ZINKER ist dennoch weitestgehend stringent. Was diesen Film – und bislang eigentlich alle guten Filme der Reihe – in erster Linie auszeichnet, das sind natürlich nicht psychologisch fundierte Charakterzeichnungen, nachvollziehbare Motivationen oder eine authentische Darstellung von Polizei- und Ermittlungsarbeit, sondern packende Situationen, kreative Morde und finstere Verbrecher. Und hier zieht Vohrer wieder einmal alle Register. Das Gemäuer, in dem Tiger, Löwen, Lamas, Giftschlangen und anderes Getier gehalten werden, gibt ein wunderbar exotisches Setting ab, in dem sich Klaus Kinski als stummer Tierpfleger Krischna sichtlich wohl fühlt, und der berühmte Londoner (oder vielleicht auch Hamburger) Nebel, meist hübsch dekorativ im Gegenlicht eingefangen, spendet auch ganz weltlichen Vorgängen noch jenen außerweltlichen Touch, den die Wallace-Filme so gern bemühen. Kurze Subplots wie jener, in dem eine Gangsterbande versucht, den Zinker in eine Falle zu locken, um den Mord an einem der ihren zu rächen, sind die Extraportion Fleisch auf den Rippen eines rundum gelungenen Krimis. Und auch wenn dann mal nichts passiert, kann man sicher sein, dass Vohrer irgendwas Interessantes anzustellen weiß. Da kommt mal wieder jene schon in DIE TOTEN AUGEN VON LONDON bemühte Einstellung aus dem Mund einer Figur heraus zum Einsatz – die hier eine Karotte knabbert, was die Absurdität noch steigert, oder wird aus einem Waschbecken mit laufendem Wasserhahn herausgefilmt. Und der Einfall, die liebenswerte alte Dame Mulford zu Musik vom Plattenspieler vor „begeistertem“ Publikum dirigieren zu lassen, ist ebenfalls ausgesprochen reizend.

Auffallend ist ein insgesamt etwas ruppigerer Tonfall, der nur durch die Komikeinlagen Arents – diesmal als verhinderter Zeitungsreporter im Dienste Siegfried Schürenbergs unterwegs, der ausnahmsweise mal keinen Scotland-Yard-Vorgesetzten spielt – aufgelockert wird. Ein romantisches Element ist hingegen weitestgehend absent: Zwischen Elford und Beryl Stedman (Barbara Rütting), dem potenziellen Love Interest, entspinnt sich hier dankenswerterweise keine zarte Romanze, die junge Dame muss als Krimischriftstellerin erst als Verdächtige herhalten, darf sich dann am Ende als tragisches, vom Zinker genasführtes Opfer erweisen. So sehr man den Verzicht auf eine klischierte Liebesgeschichte begrüßt, so unentschlossen wirkt aber letztlich die Inklusion dieser Figur. Man merkt, dass man mit einer Frauenfigur nicht wirklich etwas anzufangen wusste, sofern man keinen romantischen Subplot um sie stricken konnte. Obwohl Barbara Rütting in DER ZINKER also eine ungewohnt starke Rolle zufällt – sie muss von keinem starken Mann aus höchster Not gerettet werden –, hinterlässt sie doch einen eher flüchtigen Eindruck und bekommt nicht wirklich etwas zu tun. Dafür bildet sie in Suttons Wohnung in Form eines überlebensgroßes Foto auf der Tischpaltte ein beeindruckendes chauvinistisches Centerpiece. Womit wir dann wieder bei den Männern sind: Wenn es schon an in den Armen eines starken Mannes dahinschmelzenden Frauen fehlt, so gibt es umso mehr zu allem entschlossene Kerle, die morden, betrügen, rumballern, stehlen und grimmige Gesichter machen. Das ist naturgemäß nicht mit „echten“ Gangster- oder Actionfilmen vergleichbar, innerhalb der Edgar-Wallace-Reihe zählt DER ZINKER aber durchaus zu den realistischeren und bodenständigeren Beiträgen und reiht sich nahtlos ein zwischen Filmen wie DER FROSCH MIT DER MASKE, DER ROTE KREIS, DAS GEHEIMNIS DER GELBEN NARZISSEN, DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE oder eben DAS GASTHAUS AN DER THEMSE. Geradezu rührend mutet es deswegen an, wie die zeitgenössische Presse immer wieder den „Gruselaspekt“ der Wallace-Filme in den Vordergrund rückte: „Auf Gänsehaut kalkulierte Situationen werden durch gelegentliche Gags kompensiert“, schrieb der Filmdienst zum Start des Films 1963. Dahinter verbirgt sich wahrscheinlich die Furcht des Spießbürgers vor der Unfasslichkeit des Verbrechens: Was da in einem „Moloch“ wie London dem Vernehmen nach vorging, das konnte man sich auf seiner deutschen Wohnzimmercouch unter dem Bild vom röhrenden Hirsch wahrscheinlich nur unter Zuhilfenahme von ins Groteske überzeichneter Bilder vorstellen. Dabei waren keine 20 Jahre zuvor weitaus abscheulichere Dinge vor der eigenen Haustür passiert.

Die Edgar-Wallace-Checkliste:

Personal: Eddie Arent (10. Wallace-Film), Klaus Kinski (6.), Jan Hendriks (4.), Siegfried Schürenberg (3.), Heinz Drache, Stanislav Ledinek, Albert Bessler (2.), Inge Langen, Barbara Rütting, Agnes Windeck, Heinz Spitzner, Eva Ebner, Heinrich Gies, Heinz Petruo, Bert Wilczewski, Michael Chevalier (1.). Regie: Alfred Vohrer (4.), Drehbuch: Harald G. Petersson (3.), Musik: Peter Thomas (5.), Kamera: Karl Löb (5.), Schnitt: Hermann Haller (1.), Produktion: Horst Wendlandt (9.), Preben Philipsen (6.), Jacques Willemetz. 
Schauplatz: London, Scotland Yard. Gedreht wurde in Berlin und London.
Titel: „Der Zinker“ ist der Deckname eines gefürchteten Londoner Kriminellen mit unbekannter Identität.
Protagonisten: Scotland-Yard-Inspektor Elford.
Schurke: Der Zinker.
Gewalt: Tod durch Giftpfeile (Schlangengift), eine Erstechung, eine Erschießung, Tod durch Tigerattacke.
Selbstreflexion: Der Film wird wieder mit dem Voice-over-Kommentar “Hier spricht Edgar Wallace!” eröffnet.