Der Archäologe Jason Porter (Alex Cord) stößt bei Ausgrabungen alter Etruskergräber in der Toskana auf eine Zeichnung des Dämons Tuchulcha. Wenig später wird ein Liebespärchen in den Ruinen ermordet, die Leichname werden vom Mörder rituell positioniert. Die Polizei steht vor einem Rätsel. Wenig später entkommt Igor (Carlo De Mejo), Sohn des alternden Dirigenten Nikos Samarakis (John Marley), mit schweren Verletzungen nur knapp dem Tod. Er hatte eine Affäre mit der Geliebten seines Vaters, der attraktiven Myra Shelton (Samantha Eggar), und die war wiederum einmal mit Jason liiert, bevor seine Alkoholsucht alles zerstörte. Eine Narbe an ihrer Brust zeugt noch immer von einem im Rausch von ihm verübten Angriff auf ihr Leben, an den er sich jedoch nicht mehr erinnern kann …
Dass die deutschen Gruselkrimis der Sechzigerjahre immensen Enfluss auf die Entstehung des italienischen Thriller-Subgenres hatten, das man außerhalb Italiens gemeinhin als „Giallo“ bezeichnet (was nicht ganz korrekt ist, da der Begriff in seinem Ursprungsland viel weiter, nämlich einfach als Synonym für „Thriller“, gefasst wird), gilt mittlerweile als Fakt. Die Verbindung weltlicher Krimistoffe und horribler Elemente, die vulgärpsychologische Thematisierung von Dekadenz und Sexualität, die grafische Ausschmückung der Morde, schließlich die hervorgehobene Bedeutung von Set-Design und Ausstattung, die etwa in den Wallace-Filmen erprobt wurde, trieben italienische Filmemacher ein Jahrzehnt später auf die Spitze und zur Perfektion. Die direkte Schnittstelle bieten einige deutsch-italienische Koproduktionen, die zu einem Zeitpunkt entstanden, als das Interesse an den Wallace-Gruselkrimis in Deutschland bereits weitestgehend erodiert war: Die Rialto co-produzierte zum Ende ihres Wallace-Engagements A DOPPIA FACCIA, COSA AVETE FATTO A SOLANGE? und SETTE ORCHIDEE MACCHIATE DI ROSSO, Atze Brauner beteiligte sich an der Produktion von Argentos L’UCCELLO PIUME DI CRISTALLO – vielleicht der finale Impuls zur Geburt des Giallos, nachdem Altmeister Mario Bava mit LA RAGAZZA CHE SAPEVA TROPPO und SEI DONNE PER L’ASSASSINO wichtige Vorarbeit geleistet hatte – und IL GATTO A NOVE CODE sowie eben dieses Films, Armando Crispinos L’ETRUCO UCCIDE ANCORA. Crispino ist keiner der im Zuge cinephiler Wiederentdeckung italienischen Genrekinos besonders protegierten Regisseure, sein Werk mit acht zwischen 1966 und 1975 realisierten Filmen eher überschaubar, doch mit diesem Giallo gelang ihm eine unbesungene Sternstunde seines Genres, ein Film, der Giallo-Liebhaber entzücken wird, aber eigenständig genug ist, um über diesen Rahmen hinaus zu begeistern und nachhaltig Wirkung zu erzielen.
Der Mystery- und Horroreinschlag, den Titel (etwa: „Der Etrusker mordet wieder“) und Exposition mit der Idee eines etruskischen Wiedergängers suggerieren, dient weniger der barocken Aufpolierung der dramatischen Mordgeschichte (die Idee wird kaum weiter entwickelt und irgendwann einfach fallen gelassen), sondern eher dazu, das den Taten zugrundeliegende Drama bildlich zu unterfüttern und einen Assoziationsrahmen zu liefern. Per Voice-over beschreibt Jason Porter die Etrusker gleich zu Beginn als ein lüsternes und triebgesteuertes Volk, das „noch nicht einmal auf seinen Gemälden“ Anstand habe walten lassen. Von den Römern wurden sie gar als Hurenböcke beschimpft, wohl nicht zuletzt aus Neid, weil die Bewohner des Imperiums selbst „keine Ahnung von Frauen“ hatten, wie Jason zu berichten weiß. Warum das Völkchen trotz dieses lebhaften Paarungsverhaltens ausstarb, dafür hat er allerdings keine Erklärung. Crispinos Film legt nun den Schluss nahe, dass der etruskische Lustkeim in der Protagonistenschar weiterlebt und dort ähnliche Verheerungen anrichtet, wie bei seinen antiken Vorbesitzern. Lust und Liebe ergänzen sich bei ihnen nicht, sondern stehen in einem heftigen Widerstreit, der schließlich leibhaftige Opfer fordert. Die Vergangenheit ist also gleich doppelt verantwortlich für das blutige Sterben: im allegorischen Sinne jener hier kurz umrissenen historischen Abstammung, aber auch im engeren giallotypischen rein biografisch gedeutet durch ein traumatisches Erlebnis in der Kindheit des Mörders. Crispino zeichnet ein Personengeflecht, dessen enge Bindungen kaum noch auflösbar sind. Hier ist jeder unrettbar verloren und wenn er nicht selbst untergeht, so kann er sicher sein, von einem anderen mitgerissen zu werden. „Kennen sie das, wenn sie sich hoffnungslos in eine Sache verrannt haben?“, fragt der ermittelnde Kriminalbeamte einmal und spielt damit natürlich auf die falsche Fährte an, auf der er sich gemeinsam mit dem Zuschauer befindet. Doch seine Worte treffen ebenso auf die dysfunktionalen Beziehungen zu, die die Charaktere miteinander unterhalten. Sie bringen sie nicht weiter im Sinne einer positiven persönlichen Entwicklung, sondern verstärken im Gegenteil nur ihre negativen Eigenschaften. In erster Linie sind hier natürlich Jason und Myra zu nennen: In ihm erweckt das Hängen an der alten Liebe immer wieder seine selbstzerstörerischen Züge, sie ist nicht in der Lage, sich ganz auf ihre neue Beziehung zu Nikos einzulassen, dem sie sich voreilig an den Hals geworfen hat, um Jason zu vergessen. Jason dürfte einer der bemitleidenswertesten „Helden“ des Giallokinos überhaupt sein: Der Alkohol hat solch tiefe Spuren bei ihm hinterlassen, dass er kurz vor dem entscheidenden Plot-Twist, wenn die Polizei der festen Überzeugung ist, in ihm den Mörder vor sich zu haben, geneigt ist, ihnen zu glauben. Sein Erinnerungsvermögen und sein Selbstbild sind so irreparabel beschädigt, dass er sich selbst nicht mehr über den Weg traut. (Die Szene, in der er mit der Tatsache konfrontiert wird, im Suff seine Geliebte mit dem Messer attackiert zu haben, ist niederschmetternd.) Nikos, ein cholerischer, selbstherrlicher Patriarch, der seine Gattin (Nadja Tiller) fast umbrachte, als er sie in flagranti mit einem anderen erwischte, führt seinerseits ein Doppelspiel, fungiert als enabler, indem er Jason in sein Haus holt (weil er Myra selbst nicht mehr befriedigen kann), und macht sich nebenbei einen Spaß daraus, seiner persönlichen Assistentin, der devoten Irene (Daniela Surina), das Zuckerbrot zu reichen, nur um ihr dann doch regelmäßig die sprichwörtliche Peitsche zu geben. Es ist kein Wunder, dass der Killer mit Sex ausschließlich Negatives verbindet: Seit Kindertagen ist er von unbeherrschten, selbstsüchtigen Hormonschleudern umgeben, die keinerlei Mäßigung kennen, stattdessen einen schwindelerregenden Veitstanz auf der Rasiermesserklinge vollführen.
L’ETRUSCO UCCIDE ANCORA ist deutlich vielschichtiger, komplexer und emotionaler als das Gros der Giallos, die ja oft als rein formale Fingerübungen oder als anspruchslose Kurzweil durchgehen (was natürlich beides auch seinen Reiz und seine Berechtigung hat). Das Schicksal von Jason und Myra berührt tatsächlich, auch weil Alex Cord (den meisten wohl bekannt als „Archangel“ aus der Serie AIRWOLF) und Samantha Eggar die innere Zerrissenheit ihrer Figuren mit einem gewissen Understatement spielen. Das passt zu einem Film, bei dem man stets dieses unbestimmte Gefühl hat, dass es um sehr viel mehr geht, als um das, was gerade auf der Hand liegt, auch wenn man das nie so ganz benennen kann. Wohl auch, weil die Figuren selbst im Dunkeln tappen, was ihr eigenes Wesen angeht. John Marley ist überzeugend als herrisch-unbeherrschter Komponist: Hier bekam der Nebendarsteller mit dem prägnanten Gesicht eine der wenigen Gelegenheiten, in einer größeren Rolle zu glänzen. Freunde deutscher Psychotronik freuen sich außerdem über Horst Frank und Nadja Tiller: ersterer in einer saftigen Rolle als schwuler Choreograf mit Dauerwelle und Nietenarmband, letztere als intrigante Femme Fatale mit tragischer Vergangenheit. Die gleichermaßen vorantreibende wie herzzerreißende Musik stammt aus der Feder des kürzlich verstorbenen Riz Ortolani, für die exzellente Kameraarbeit (die auf der deutschen DVD wohl deutlich aufgehellt wurde, wie mir Christoph Draxtra von Eskalierende Träume schrieb) zeichnet Erico Menczer verantwortlich: Der seit den späten Fünfzigerjahren tätige Veteran war so etwas wie der Stammkameramann von Luciano Salce und stellte seine Kunst außerdem unter anderem Argento (der bereist erwähnte IL GATTO A NOVE CODE), Lucio Fulci (BEATRICE CENCI und ZANNA BIANCA), Fernando Di Leo (LA CITTÀ SCONVOLTA: CACCIA SPIETATA AI RAPITORI und I PADRONI DELLA CITTÀ), Alberto De Martino (HOLOCAUST 2000) und Giuliano Montaldo (GLI INTOCCABILI) zur Verfügung. Die deutsche Fassung wurde um 7 Minuten Dialoge gekürzt, die auf der DVD in einer separat wählbaren Komplettfassung enthalten sind – allerdings ohne Synchronisation oder Untertitel. Eine reichlich mutlose Entscheidung, die wohl niemandem wirklich etwas bringt, aber letztlich auch nicht schadet. Den Film versteht man auch ohne diese Szenen. Wer ihn sehen will, muss allerdings zur „Bryan Edgar Wallace Collection 3“ greifen, in der er zusammen mit DAS GEHEIMNIS DER SCHWARZEN HANDSCHUHE und DER TODESRÄCHER VON SOHO enthalten ist.
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