Mit ‘Bryan Singer’ getaggte Beiträge

Freddie Mercury hatte eine einzigartige, voluminöse und vielseitige Stimme, mit der er sowohl geradlinige Pop- und Rocksongs, Pianoballaden und opernhafte, theatralische Stücke intonieren konnte. Zudem war er „Frontmann“ und Rampensau, dem das Publikum aus der Hand fraß und für den das klischeehafte Wort „charismatisch“ viel zu klein war. Er war Gesicht einer Band, deren Sound bis heute so einflussreich wie unverwechselbar ist, die ein breites stilistisches Spektrum abdeckte und den Spagat zwischen kompositorischem und musikalischem Anspruch und Pop-Appeal meisterhaft schaffte, mit ihrer visuellen Selbstinszenierung zudem ihrer Zeit weit voraus war. (For the record: Ich mag Queen nicht besonders.) Er war außerdem eine Ikone der Schwulenbewegung, versteckte seine sexuellen Vorlieben nicht, sondern rieb sie den Menschen mit seinem Schnurrbart geradezu lustvoll unter die Nase – und er war natürlich das vielleicht prominenteste AIDS-Opfer zu einer Zeit, als die Krankheit noch Angst und Schrecken verbreitet. BOHEMIAN RHAPSODY, inszeniert von Bryan Singer, macht daraus ein Biopic, das um die wirklich spannenden Aspekte seiner Biografie einen unwürdigen Eiertanz vollzieht, jederzeit durchschaubare Formeln aus dem Drehbuch-Lehrgang abspult und die Frage aufwirft, warum man eigentlich die Biografie eines Weltstars benötigt, wenn man am Ende durch Abhaken fauler Plot Points doch nur wieder dieselbe Geschichte erzählt, die auch schon hundert vergleichbare Filme davor erzählt haben.

Klar, das Leben mag die besten Geschichten bereithalten, aber sie sind halt nicht so schön dreiaktig aufbereitet, mit einem sich durchziehenden Leitmotiv, dem großen Konflikt und der Versöhnung rechtzeitig zum dramatischen Happy End. BOHEMIAN RHAPSODY ist nach Lehrbuch gescriptet, sauberes Handwerk, aber leider auch bar jeder Inspiration, die eigentlich das Kerngeschäft eines Films um einen außergewöhnlichen Künstler sein sollte. Freddie ist der Loser mit den Immigranten-Eltern und dem putzigen Überbiss, der jedoch ganz entgegen seinem Aussehen über ein riesiges Selbstbewusstsein und eine Jahrhundertstimme verfügt, mit der er seine Bandkollegen in spe auf dem Parkplatz des schäbigen Schuppens wegbläst, in dem sie eben noch aufgetreten sind. Er hat die Visionen von Rockopern, die Ideen für die spektakulären Outfits, er weiß, wie die Songs und Gitarrensoli klingen müssen, er treibt die Band, die weitestgehend aus langweiligen Spießern besteht, zu Höchstleistungen, und macht sie zu Superstars. Wenn da nur sein ausschweifender Lebensstil nicht wäre: Dann hätte er seine one true love Mary (Lucy Boynton) nicht verloren, die Bandkumpels nicht verprellt, sich nicht mit der Schurkenschwuchtel Paul (Allen Leech) eingelassen und sich auch kein Aids eingefangen. Zum Glück kommt er rechtzeitig zum großen Finale noch zur Besinnung, entschuldigt sich für seine Egotrips und Ausbrüche und entsagt dem wilden Lebenswandel, sonst wäre der Welt der Auftritt bei Band Aid durch die Lappen gegangen und Bob Geldof jede Menge Geld. Denn erst als Queen die Bühne des Wembley Stadiums entern, klingeln die Telefone und die Zuschauer spenden Geld für die dritte Welt. Ich fühlte mich gegen Ende des Films wie bei „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Es fehlte eigentlich nur der weggelaufene Hund, der dann an Heiligabend von einem freundlichen Unbekannten unerwartet wieder zurück gebracht wird.

Auch Oberhack Bryan Singer kann BOHEMIAN RHAPSODY nicht komplett vergeigen, auch wenn er sich alle Mühe gibt: Immer wenn die Songs erklingen, reißt das auch die triste Soap Opera raus, aber es ist schon beeindruckend, wie scheiße ein Film aussehen kann, der sich um eine der visuell aufregendsten Bands des letzten Jahrhunderts rankt. Selbst bei Szenen in Londoner Vororten hat man den Eindruck, da wäre der Greenscreen aufgebaut worden, und so gut die Bandmitglieder auch gecastet sind, der Film wirkt einfach wie lustiger Mummenschanz auf Omas Dachboden. Rami Malek, den ich mir in der Hauptrolle ehrlich zugegeben gar nicht vorstellen konnte, gibt eine überzeugende Vorstellung, aber sein Kampf mit der Zahnprothese erinnert trotzdem mehr als einmal an den seligen Dieter Krebs oder Loriot – und mal ganz davon abgesehen muss ich einfach noch einmal festhalten: Wenn sich Film darauf beschränkt, Wirklichkeit imitieren zu wollen, ist irgendwas schiefgegangen. Den Film in einer rund 15-minütigen Simulation des Live-Aid-Gigs enden zu lassen, ist eine kreative Bankrotterklärung, ganz egal, wie authentisch das Original da nachgestellt wurde.

Das größte Ärgernis sind aber die schon angesprochenen Verrenkungen, die BOHEMIAN RHAPSODY vollführt, um sich bloß nicht zu sehr mit Mercurys Sexualität beschäftigen zu müssen. Die eine jugendfreie Sexszene des Films hat Mercury mit seiner Gattin, und auch sonst wird seine Homosexualität behandelt wie eine ärgerliche Laune des Schicksals, ein Laster, dem der Mann einfach nicht entsagen kann. Sein Freund Paul übernimmt die Rolle eines manipulierenden, die Band entzweienden und Mercury weiter in die gayness treibenden Schurken und wird bar jeder positiven Eigenschaften gezeichnet. Jim Hutton (Aaron McCusker), Mercurys langjähriger Lebensgefährte, ist dagegen ein braver, etwas biederer Gentleman, der mit dem Star wahrscheinlich eine rein platonische Beziehung eingeht. Das Drehbuch arrangiert sich mit Mercurys Sexulität ungefähr so wie dessen Filmeltern. Sie nehmen es hin. Es ist halt ihr Sohn und Hauptsache, er ist glücklich. Es ist traurig, das mitansehen zu müssen.

 


 

462-film-page-largeEin Wunder: X-MEN: APOCALYPSE hat mir wider Erwarten ganz gut gefallen. Die bisherigen X-Men-Filme ließen mich bislang ziemlich kalt, an die letzten beiden überambitionierten Schnarchfeste, X-MEN: FIRST CLASS und  X-MEN: DAYS OF FUTURE PAST, habe ich kaum noch Erinnerungen. Irgendwie hängt Singer mit seinem Franchise seit 15 Jahren in einer Zeitschleife – wie seine Protagonisten in den letzten drei Filmen. Wer sich über die ständigen Reboots von Spider-Man aufregt, übersieht, dass man auch ohne solche Volten hübsch auf der Stelle treten kann. Auch hier gibt es inhaltlich kaum Neues: Wieder einmal geht es es da um den Konflikt zwischen den idealistischen Mutanten um den intellektuellen Professer Xavier (James McAvoy), die an eine friedliche Koexistenz von Mensch und Mutant glauben, und den Abtrünnigen, die genug haben von der Diskriminierung durch die Menschen und zum Vergeltungsschlag ausholen. Anstatt von Magneto (Michael Fassbender) werden sie im aktuellen Sequel aber vom uralten Apocalypse (Oscar Isaac) angeführt, sowas wie dem Urmutant, der die letzten Jahrtausende unter einer eingestürzten Pramide geschlummert hat und nun durch rätselhafte Umstände zu neuem Leben aufersteht. Magneto mischt natürlich auch wieder mit, darf nun aber ins zweite Glied zurücktreten und sich sein Selbstbewusstsein von Apocalypse aufpolieren lassen. Es kommt zur breit ausgewalzten Schlacht, mit großem Effektaufwand inszeniert, wie von Singer gewohnt aber auch immer etwas lahm, ohne echten Drive oder Gespür für Kinetik. Dass er das Geschehen um den superschnellen Quicksilver einfrieren muss, um seine Geschwindigkeit darzustellen, ist ein cleverer Schachzug (den Vaughn zuvor schon in FIRST CLASS erprobt hatte), aber auch ein bisschen bezeichnend für sein Bremspedal-Faible.

Als ich in meinem letzten Eintrag über GODS OF EGYPT von Blockbustern schwadronierte, die sich viel zu ernst nehmen und eine Tiefe vorgaukeln, die gar nicht da ist, da war das natürlich nicht ohne Hintergedanken formuliert. X-MEN: APOCALYPSE gefällt sich wie seine Vorgänger darin, Nerds das Gefühl zu geben, sie seien Philosophiestudenten. Da wird Zeitgeschichte im Vorbeigehen referenziert, brüten die Helden ständig angestrengt vor sich hin, die Stirn von tiefen Falten zerfurcht ob des schweren Loses, das sie mit ihren Superfähigkeiten gezogen haben, dürfen die Mutanten als Repräsentanten jeder geschundenen Minderheit durchgehen. Mag sein, dass das dem großen, durchgehenden Bogen der Comics entspricht, aber immer wenn ich die gelesen habe, blieb bei mir in erster Linie hängen, dass es doch auch ziemlich geil ist, in der Gegend rumzufliegen, Laserstrahlen abzuschießen, Gedanken zu lesen oder die Naturgesetze auf andere Art und Weise zu beugen. In den Filmen ist Spaß weitestgehend verboten, da geht es stattdessen um tiefes Leid und Verantwortung. It’s hard out here for a mutant. What a drag.

Warum mir X-MEN: APOCALYPSE trotzdem gefallen hat? Weil er im Gegensatz zu den beiden drögen Vorgängern endlich wieder Schauwerte bietet und Singer sich auch von der langweilig-monochromen Optik verabschiedet, die das Franchise sonst ausgezeichnet hat. X-MEN: APOCALYPSE ist, aller inhaltlichen Schwermut zum Trotz, schön bunt und hat endlich auch mal einen angemessenen Obermufti, dessen Auftreten seinem Namen entsprechend für endzeitliche Stimmung sorgt. Der grobe Klotz mit dem traurigen Blick macht einiges her, vor allem, wenn er Menschen mit einer wegwerfenden Handbewegung im Erdboden versinken lässt, mit einem tödlichen Staubwirbel über den Jordan schickt oder auch einfach nur One-Liner mit donnernder Stimme intoniert. Wolverine (Hugh Jackman) absolviert einen netten Gastauftritt, der sich tatsächlich wie die vergleichbaren Kniffe der Comics anfühlt, auch Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee), zum ersten Mal seit X-MEN 2 wieder mit von der Partie, ist eine willkommene Ergänzung; genauso übrigens wie Angel (Ben Hardy), eine Figur, die ich zwar hochgradig bescheuert, aber gerade deshalb so wertvoll finde: Sie unterläuft diesen Überernst, den der Film unter Singers bleischwerer Regie ostentativ vor sich herträgt, in einer Art und Weise, die fast an Sabotage grenzt. Im größenwahnsinnigen Finale löst X-MEN: APOCALYPSE zudem das Versprechen ein, das seit Jahren immer nur angeteasert wird, gibt es endlich einmal diese weltumspannenden Katastrophenszenarios, die in den Comics ganze Seiten in grellen Farben leuchten ließen, nachdem man zuletzt den Eindruck hatte, Singer wollte unbedingt einen europäischen Politthriller aus der Vorlage machen. Vielleicht lernen die Mutanten beim nächsten Mal dann sogar, Freude an ihren Fähigkeiten zu entwickeln. Es wäre ihnen zu wünschen.

Nach nunmehr sechs Filmen, die ich mal grauenhaft (X-MEN ORIGINS: WOLVERINE ) und mal mehr (X-MEN: FIRST CLASS, dieser hier), mal weniger (X-MEN, X-MEN 2) egal bis enttäuschend fand  – es ist bezeichnend, dass ich mit dem weitestgehend verhassten X-MEN: THE LAST STAND noch am meisten Spaß hatte –, muss ich wohl endlich einsehen, dass die X-MEN-Reihe nix für mich ist. Fürsprecher, und davon gibt es ja nun nicht wenige, loben die Reihe nicht zuletzt für ihre Ernsthaftigkeit, ihren gewissermaßen queeren Subtext, nach dem die Filme vom Kampf einer Minderheit für Toleranz handeln. Schön und gut, aber kann man vielleicht auch irgendwann mal den nächsten Schritt machen? Seit sechs Filmen wird hier immer und immer wieder die gleiche Geschichte erzählt, dabei immer der gleiche zunehmend unangenehme, mahnende Ton angeschlagen, ganz so, als handele es sich nicht um Comicverfilmungen, sondern um die Umsetzung eines literarischen Meisterwerks mit heiliger Weltgeltung. Sicher, man darf Comics ruhig ernstnehmen, aber wird man der Vorlage wirklich gerecht, wenn man konsequent jeden Funken Spaß aus ihnen heraussaugt? Das, was hier angeblich so deep und intellektuell anregend sein soll, ist meines Erachtens nicht viel mehr als das, was uns auch die Disney-Filme seit rund 50 Jahren erzählen: Alle Menschen haben ihren Wert, auch der mit der lustigen Mutation, sofern er immer recht brav ist. Wow. Welche Erkenntnis. Der neueste Auswurf des Franchises setzt auf die ätzende Wichtigtuerei des auch schon öden Vorgängers X-MEN: FIRST CLASS noch einmal einen drauf: Die 120 Minuten ziehen sich wie ein bereits hinreichend ausgelutschtes Kaugummi. Setzte man in den ersten Installationen der Reihe immerhin noch auf eine recht ausgewogene Verteilung von effektreichem Krawumm und eher charaktergetriebenen Passagen, so ist Singer nun wohl endgültig dem Trugschluss erlegen, etwas Substanzielles zu erzählen zu haben. Ein Irrtum, der umso folgenschwerer ist, als es sich beim Regisseur um einen der größten hacks überhaupt handelt. X-MEN: DAYS OF FUTURE PAST kommt komplett persönlichkeitsarm sowie stil- und witzlos über die Rampe. Auf- und Erregung: Fehlanzeige. Vorgänger Matthew Vaughn wusste immerhin noch etwas mit der Period-Piece-Ausstattung anzufangen, aber solcherlei Vordergründigkeiten scheinen Singer erst gar nicht zu interessieren. Wenn da nicht ein Nixon-Lookalike als Präsident rumliefe und mehrfach auf den Vietnamkrieg Bezug genommen würde, man käme nicht auf die Idee, dass sein Film in den Siebzigerjahren angesiedelt ist. Man muss ihm zugutehalten, dass schon das zugrundeliegende Drehbuch nichts hergibt. Der Zeitreiseplot weiß mit dem potenziell schönen Thema nichts anzufangen, was nicht schon in den ersten beiden TERMINATOR-Filmen abgehandelt worden wäre, und so habe ich mich die ganze Zeit gefragt, worum da um Himmels willen ein solches Geschiss gemacht wird. War wirklich irgendjemand der Meinung, diese Geschichte sei irgendwie interessant oder gar spannend? Does anyone really give a shit über den inneren „Konflikt“ der Gestaltwandlerin Mystique (Jennifer Lawrence)? Hat irgendjemand während des Films wirklich bangend dagesessen und gehofft, dass Professor Xavier (James McAvoy) endlich von seinen Medikamenten lässt, die ihm zwar die Beine wiedergeben, aber dafür seine Mutantenfähigkeiten rauben? Hat irgendwer irgendwelche bleibenden Eigenschaften an „Beast“, Hank McCoy (Nicholas Hoult) festgestellt? Oder im Finale mit den in der Zukunft/Gegenwart verbliebenen Mutanten gezittert? Herzlichen Glückwunsch, denn mir ging das alles meilenweit am Arsch vorbei. Und das lag sicherlich nicht an meiner mangelnden Bereitschaft. Der einzige Moment, bei dem ich mich in X-MEN: DAYS OF FUTURE PAST einigermaßen amüsiert habe, war der Auftritt von Quicksilver. Es ist der einzige Moment des Films, in dem so etwas wie Freude an den Superhelden-Eigenschaften vermittelt wird, der über visuellen Witz verfügt, der die Bilder sprechen lässt – was die gottverdammte Aufgabe einer Comicverfilmung, ja ihre einzige Daseinsberechtigung überhaupt ist –, anstatt seine Charaktere verdrießlich aus der Wäsche gucken und lange Vorträge halten zu lassen. Ich könnte jetzt einschränken, dass diese Quicksilver-Szene auch keinen Einfall bringt, den die Wachowskis nicht schon in ihrer MATRIX-Trilogie vor nunmehr 10 bis 15 Jahren umgesetzt hätten, aber ich will mal nicht so sein. Das Erlebnis war auch so schön ernüchternd genug. X-MEN: DAYS OF FUTURE PAST ist ein großes Nichts.