Mit ‘Charles Bronson’ getaggte Beiträge

760247-b8aec28a-e530-11e3-aae6-8a781d1cd6731Martin Compart, deutscher Crime-Experte und bekennender Bronson-Fan, hat mich zu einem generationsübergreifenden Bronson-Special eingeladen. Bei Interesse hier entlang.

Steve McQueens großer Durchbruch und ein weiteres jener ausufernden, stargespickten Abenteuerepen der Sechzigerjahre. Für mich ein nahezu perfektes Stück Entertainment, bei dem keine einzige der rund 180 Minuten zu viel ist und das bei allem atemlosen Thrill und aller fluffigen Komik nebenbei auch noch eine m. E. recht anspruchsvolle Struktur aufweist – und eine Sichtweise auf den Krieg, die nur auf den ersten, flüchtigen Blick geschönt scheint. Beim zweiten schmerzt dieser Film vielleicht sogar mehr als mancher waschechte Antikriegsfilm. Später mehr dazu.

McQueens zweite Zusammenarbeit mit John Sturges nach THE MAGNIFICENT SEVEN gab ihm – paradoxerweise, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Gefängnisfilm handelt – endlich breiten Raum zur Entfaltung, machte es unnötig, den eigentlichen Hauptdarsteller mit Taschenspielertricks aus dem Bildhintergrund zu sabotieren. Als „Cooler King“ Hilts hat McQueen nicht nur den saftigsten Part abbekommen, er nimmt innerhalb des Films auch eine Sonderstellung als prototypischer Loner ein. Während die anderen Kriegsgefangenen unter der Leitung von „Big X“ Bartlett (Richard Attenborough) gemeinsam am Ausbruch aus dem Lager arbeiten, jeder eine kleine Aufgabe übernimmt und sich mit der Funktion eines Rädchens im geölt laufenden Getreibe begnügt, handelt Hilts ausschließlich auf eigene Rechnung. Für ihn ist es nicht so sehr soldatische Pflicht, die Bemühungen des Gegners zu sabotieren, sondern beinahe eine sportliche Herausforderung, aus so vielen Gefängnissen wie möglich auszubrechen. Dabei auch mal erwischt zu werden, ist integraler Bestandteil des Spiels: Wichtig ist nicht der Erfolg, sondern allein die Geste der Unbeugsamkeit, der Trotz, die Respektlosigkeit und die Beharrlichkeit in der Weigerung, sich unterzuordnen und aufzugeben. Auch wenn McQueen seinem Hilts ein Maß an unschuldig-kindlicher Spitzbübigkeit verleiht – für ihn scheint das tatsächlich alles nur ein ausgedehnter Spaß zu sein –, die er in späteren Rollen zugunsten eines kalten Professionalismus ablegen sollte: Hilts ist die erste wirklich ganz und gar typische McQueen-Figur, und Szenen wie jene, in der er in seiner Einzelzelle sitzt und sich die Zeit damit vertreibt, immer und immer wieder einen Baseball gegen die gegenüberliegende Wand zu werfen und aufzufangen, sind untrennbar mit seiner Persona verbunden. Das Image des ungehorsamen, unbezähmbaren Einzelgängers, hinter dessen stoischer Fassade es unentwegt arbeitet, wurde wahrscheinlich genauso in diesem Film begründet wie sein Status als PS-vernarrter Teufelskerl: Seine Flucht auf dem Motorrad am Schluss, die in einem waghalsigen Sprung über einen drei Meter hohen Zaun kulminiert, ist nur der Vorgeschmack auf Filme wie BULLITT oder LE MANS und natürlich auf seine privaten Rennfahrerambitionen.

Aber THE GREAT ESCAPE ist natürlich weit mehr als ein Starvehikel für McQueen: Der Film basiert auf dem gleichnamigen Tatsachenbericht von Paul Brickhill, einem Piloten der australischen Luftwaffe, der 1943 über Tunesien abgeschossen wurde und daraufhin im Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III im heutigen Polen landete. Das Lager galt als besonders ausbruchssicher, trotzdem gab es einen groß angelegten Ausbruch, an dessen Planung Brickhill beteiligt, aber aufgrund seiner Klaustrophobie allerdings nicht teilnehmen konnte. Am Ende gelang 76 Männern die Flucht, 50 davon wurden in der Folge ergriffen und exekutiert. James Clavells Drehbuch hält sich eng an Brickhills Vorlage, endet sogar mit der gleichen Widmung („Dedicated to the fifty“). Der Film, den Sturges daraus macht, feiert die Kameradschaft unter den Gefangenen, betont die seltsame Beziehung, die sie mit ihren Wärtern unterhalten (Robert Graf, Vater von Regiseur Dominik Graf, spielt einen besonders bemitleidenswerten Deutschen). Gefangen sind sie im Grunde alle, egal auf welcher Seite sie stehen. Vor allem Kommandant von Luger (Hannes Messemer) ist nicht zu beneiden: Er hat die Aufgabe, die berüchtigtsten Ausbrecher der Alliierten zu bewachen, weiß genau, dass er sie nicht vollständig unter Kontrolle halten kann und ein Versagen ihn teuer zu stehen kommen wird. Ramsey (James Donald), das Sprachrohr der Inhaftierten, macht ihm keine falschen Hoffnungen: Es ist die Aufgabe der Gefangenen, aufzubegehren, und die zu ihrer Bewachung abgestellten Kräfte des Feindes so gut zu beschäftigen wie es geht. Die Verhältnisse sind während der ersten beiden Drittel geradezu auf den Kopf gestellt: Die Häftlinge arbeiten guter Dinge an ihrem Ausbruch und haben vom Feind nichts zu befürchten, sofern sie sich an dessen Regeln halten. Alles, was sie für den Ausbruch, die Flucht und das zwischenzeitliche Vergnügen benötigen, kann ihnen „scrounger“ Hendley (James Garner) besorgen, der Fragen nach seinen Bezugsquellen nur mit „don’t ask“ zu beantworten pflegt. Ein cleverer Schachzug des Drehbuchs, das sich nicht lang mit Erklärungen aufhalten muss und sich jederzeit auf die außergewöhnlichen Fähigkeiten Hendleys berufen kann. Fast bedauert man es, nicht auch mal in einem Kriegsgefangenenlager gewesen zu sein, so munter ist das Treiben des bunt zusammengewürfelten Haufens, der sich sogleich blind versteht.

Doch dann holt einen das letzte Drittel des Films auf den Boden der Tatsachen zurück, nimmt der vermeintliche Spaß ein bitteres Ende. Sobald die Männer das Lager verlassen haben, schlagen die Nazis zu, gelten plötzlich andere Regeln als im luftleeren Raum des Camps, wird nicht lange gefackelt. Einigen wenigen gelingt es mit Glück eine rettende Grenze zu erreichen, doch für die meisten endet das Abenteuer mit einer mitleidlosen Exekution irgendwo auf einem verlassenen Hügel in Deutschland. THE GREAT ESCAPE ist ein existenzialistischer Film und macht dem Zuschauer keine Illusionen über das Leben: Die Männer um Bartlett müssen so handeln, wie sie es tun, es gibt ebenso wenig eine Alternative wie einen garantierten Erfolg. Sicherheit gibt es ironischerweise nur zwischen den Stacheldrahtzäunen. Wer sich für die Freiheit entscheidet, muss sich der möglichen Konsequenzen bewusst sein.

 

kfHuiowDie Lektüre des Buches „Steve McQueen: Portrait of an American Rebel“ hat mich dazu inspiriert, dem Superstar, meisterhaften Minimalisten und reactor hier in den nächsten Wochen und in loser Folge eine kleine Reihe zu widmen. Viele seiner Filme kenne ich noch gar nicht, andere haben mal wieder eine Auffrischung verdient. Mit den neu angelesenen Informationen im Hinterkopf erhoffe ich mir außerdem auch neue Erkenntnisse. Ich war nämlich einigermaßen überrascht über McQueens Lebenslauf: Da er für mich die idealtypische Verkörperung männlicher Autorität und natürlich der viel beschworenen Coolness ist, hatte ich angenommen, dass der Superstar auch in seinem Leben ein Musterbeispiel für jene straightness gewesen sei, die er auf der Leinwand so unnachahmlich verkörpert. Stattdessen erfuhr ich, dass der Mann, der als Kind von seiner wenig verantwortungsbewussten Mutter hin und hergeschoben worden war, eine Vergangenheit als Gangmitglied und Jugendstraftäter hatte und seine Jugend zum Teil in einem Heim für schwer Erziehbare verbrachte, aufgrund seiner geringen Bildung unter großen Minderwertigkeitskomplexen litt und mehrere Anläufe benötigte, um sich als Schauspieler zu etablieren. Kurz gesagt: Steve McQueen war nicht gerade prädestiniert dazu, ein Künstler zu werden, noch weniger der bestbezahlte Schauspieler seiner Zeit. Diese eiskalte Autorität, die man mit ihm verbindet, war weniger die Folge eines großen Selbstbewusstseins als jener für ihn einst überlebenswichtigen street wisdom, dem Wissen, dass einem nichts geschenkt wird und der Gegner jedes Anzeichen von Angst oder Schwäche sofort auszunutzen bereit ist.

Als John Sturges ihn für die Rolle des Vin in seiner Bearbeitung von Kurosawas SHICHININ NO SAMURAI besetzte, hatte McQueen es bereits in New York am Broadway versucht und in mehreren Fernsehproduktionen und Spielfilmen mitgewirkt, die Macher dabei stets von seinem natürlichen Talent und seiner Präsenz überzeugen können, aber letztlich die nötige Disziplin vermissen lassen – oder einfach Pech mit seiner Rollenwahl gehabt. Der erste Schritt zum Erfolg war die Hauptrolle in der Westernserie WANTED: DEAD OR ALIVE, in der McQueen den Kopfgeldjäger Josh Randall spielte und Macher wie Zuschauer gleichermaßen mit seiner Detailversessenheit sowie seinem Sinn für Realismus und Authentizität beeindruckte. Die Wege von McQueen und Sturges kreuzten sich zum ersten Mal 1959, als der damals bereits 29-Jährige eine Nebenrolle in dem Sinatra-Vehikel NEVER SO FEW mit Leben füllte. Das Angebot des Megastars, fortan als festes Mitglied seines Rat Packs zu reüssieren, schlug McQueen mutigerweise aus: Er wollte nicht, dass man seine Karriere später auf die Gefälligkeit eines mächtigen Freundes zurückführte, sondern es aus eigener Kraft schaffen. Mit 30 Jahren und festgelegt auf eine Fernsehrolle, die damals nur selten eine große Filmkarriere nach sich zog, war THE MAGNIFICENT SEVEN mithin die Chance, die McQueen unbedingt nutzen musste. Das Problem: Er war nicht der einzige hungrige Jungschauspieler am Set und auch nicht der einzige, der wusste, dass er aus dem Schatten des großen Yul Brynner heraustreten musste, wenn er die Aufmerksamkeit des Zuschauer gewinnen wollte. Marshall Terrill, der Autor des oben genannten Buches, erzählt einige amüsante Anekdoten vom Konkurrenzkampf, der infolgedessen unter den Darstellern entbrannte, von den Bemühungen der Co-Stars, Brynners Szenen zu „stehlen“, die eigene Position durch kleine Tricks zu verbessern. So soll McQueen, der durch seine Vergangenheit wusste, wie man mit einem Revolver umgeht, Brynner auf Nachfrage eine sehr einfache Methode beigebracht haben, die Waffe zu ziehen, um mit der eigenen, deutlich elaborierteren Technik besser auszusehen. Als Brynner davon erfuhr, versuchte er wiederum McQueen davon zu überzeugen, vom Revolver auf ein Gewehr umzusteigen: Ein Schachzug, auf den McQueen allerdings nicht hereinfiel, sehr zum Ärger Brynners. McQueen machte sich bei seinen Kollegen nicht unbedingt beliebt: Er war immer darauf bedacht, gut wegzukommen, wusste genau, wenn eine Regieanweisung oder ein Szenenaufbau ihm zum Nachteil gereichte und intervenierte dann auch zu Ungunsten seiner Mitstreiter. Er folgte einem strengen Karriereplan und wenn er auch keinen hohen Bildungsgrad hatte, so besaß er eben jene Schläue, die seinen Erfolg begünstigte und seinen Aufstieg zum Weltstar ermöglichte.

Um von McQueen den Übergang zum größeren Ganzen, Sturges‘ Film, zu schaffen: Jene Strategie, auf die McQueen zurückgeworfen war, Szenen, in denen er eigentlich nur „Beiwerk“ für den eigentlichen Star war, durch kleine Gesten und hingeworfene Improvisationen an sich zu reißen, ist nicht nur charakteristisch für seinen Stil, sie passt zu THE MAGNIFICENT SEVEN wie die Faust aufs Auge. Betrachtet man den Film nämlich aufmerksam, so fällt auf, wie wenig er mit Dialogen erzählt, stattdessen funktioniert er fast ausschließlich über seine Charaktere, und die Handlung entwickelt sich ganz logisch aus ihnen heraus, ohne dass große Exposition betrieben werden müsste. Das ist umso bemerkenswerter, als THE MAGNIFICENT SEVEN von den drei großen Ensemble-Spektakeln der Sechziger (die beiden anderen sind THE GREAT ESCAPE und THE DIRTY DOZEN) der mit Abstand kürzeste ist, mithin am wenigsten Zeit hat, seine Hauptfiguren umfassend zu charakterisieren. Horst Buchholz bekommt als junger Heißsporn Chico recht viel Platz, alle anderen haben nur wenig Gelegenheit, ihre Figuren zum Leben zu erwecken. McQueen hat zudem eine nur wenig profilierte Rolle, keinen echten „arc“, den er durchlaufen würde: Trotzdem ist es sein Vin, der als lebendigster Charakter in Erinnerung bleibt. Er erreicht das lediglich durch wohldosierte Bewegungen, Mimik, Blicke und seine Körperhaltung. Gleich zu Beginn, wenn er neben Brynners Chris den Platz auf dem Kutschbock einnimmt, benutzt er seinen Hut als Sonnenschutz, prüft, wo die Sonne steht und von wo er in der möglicherweise folgenden Konfrontation geblendet werden könnte. Überhaupt spielt sein Hut eine wichtige Rolle. David Morrell, Autor des Romans „First Blood“, für dessen Verfilmung McQueen in den Siebzigerjahren im Gespräch war, bevor man ihn aufgrund seines bereits zu hohen Alters verwarf, bezeichnet den Hut gewissermaßen als Schlüssel zu McQueens Erfolg in THE MAGNIFICENT SEVEN. Allgemeiner könnte man sagen, dass McQueen dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zieht, dass er nie einfach nur so dasteht, auch dann nicht, wenn er eigentlich nichts zu tun hat. Immer hat er etwas in der Hand, das er betrachtet, womit er spielt. Meist sind es nur Kleinigkeiten, nie wirkt es aufgesetzt oder aufdringlich, aber immer erzielt er damit eine Wirkung. Kritiker und Zuschauer sahen das genauso: Brynner war der nominelle Star des Films, aber McQueen war es, der den Menschen auffiel. Vielleicht steckt dahinter das erste kleine Zittern der Erde vor dem großen Beben namens „New Hollywood“, das die Traumfabrik am Ende des Jahrzehnts erschüttern sollte. Brynner ist noch ein Typ vom alten Schlage, sein Spiel breit ausgestellt, nicht so sehr vom Einfühlen in eine Rolle geprägt als vom Wissen um die eigene Persona. Mit seinem swagger (dieser Gang, der faustgroße Hoden in der zu engen Hose suggeriert!), der etwas theatralischen Art, mit der er den Mittelpunkt des Bildes besetzt und seine Zeilen deklamiert, wirkt er neben dem Understatement und der selbstbewussten Lässigkeit McQueens wie das Relikt einer vergangenen Zeit. Vin wird vom Drehbuch als eine Art Bruder im Geiste von Brynners Chris angelegt, aber hinter der vordergründigen Übereinkunft spürt man deutlich die Spannungen zwischen dem „Alten“ und dem „Jungen“. Chris und Brynner wissen, dass ihre Zeit abläuft; noch können sie auf ihren Körper zählen, zehren zudem von dem Ruf, der ihnen vorauseilt, aber irgendwann werden die Muskeln versagen, die Sinne schwächer. Vin und McQueen nutzen noch den Windschatten des Erfahrenen, saugen auf, was sie von ihm lernen können,und sparen ihre Kräfte, für den Moment, in dem er die ersten Schwächen zeigt, um ihn dann gnadenlos hinter sich zu lassen. Bis dahin sollte es nicht mehr lange dauern. Als Burt Kennedy sechs Jahre später THE RETURN OF THE MAGNIFICENT SEVEN drehte, war Yul Brynner wieder zur Stelle. Steve McQueen hatte eine Wiederholung des Erfolgsfilms da schon nicht mehr nötig. Er war bereits zu neuen Ufern aufgebrochen und sollte einen Ruhm erreichen, der den Brynners weit überstieg.

MACHINE GUN KELLY beginnt mit einer Sequenz, die perfekt illustriert, wie Corman es immer wieder gelang, aus der Not eine Tugend zu machen: Wortlos und mit versteinerten Gesichtern nähern sich George „Machine Gun“ Kelly (Charles Bronson) und seine Gang im Auto der Bank, die sie überfallen wollen. Wortlos betreten sie auch das Gebäude. Den eigentlichen Überfall zeigt Corman als kurzes Schattenspiel. Es wird von Schüssen zerrissen, dann fällt der Leichnam eines Wachmanns ins Bild und die Scheibe, durch die wir den Überfall sehen, zersplittertDie Gangster das Gebäude eilig, aber ohne Panik. Sie fahren mit in ihrem Wagen aus der Stadt, folgen einer geplanten Route, auf der sie erst nach und nach ihre Kleidung abwerfen, dann einer nach dem anderen in andere Wagen umsteigen. Die ganze Sequenz spiegelt den eiskalten Professionalismus und die verbrecherische Routine der Männer wider. Der Kulminationspunkt jener 1958 geradezu visionären Sequenz, die Erschießung des Wachmanns als Schattenwurf, war dabei einem eigentlich unglücklichen Umstand geschuldet: Weil Corman kein Banksetting zur Verfügung stand, wusste er nicht, wie er den Überfall umsetzen sollte. Den ganzen Überfall durch dieses Schattenspiel darzustellen, war am Ende die einzig praktikable Lösung.

Der Film über den „Public Enemy No. 1“ der Dreißigerjahre brachte Corman vor allem in Frankreich euphorische Kritiken ein. Nahm man ihn in seiner Heimat – wenn überhaupt – als fleißigen Lieferanten von fantasievoller, aber eilig runtergekurbelter Drive-in-Kinoware wahr, galt er den intellektuellen Köpfen der Cahiers du Cinéma zu seiner eigenen Überraschung plötzlich als „Künstler“, als Regisseur mit einem eigenen „Stil“ und einer „Vision“. MACHINE GUN KELLY war der erste ambitionierte Film Cormans und deutete – nicht nur hinsichtlich der freudianischen Auslotung seiner Titelfigur – an, was da in den Sechzigerjahren an echten Großtaten noch folgen sollte. Mit der Besetzung Charles Bronsons zeigte Corman auch eine Eigenschaft, die ihn in den späten Sechziger- und in den Siebzigerjahren zu einer der wichtigsten und prägendsten Figuren des US-amerikanischen Kinos machen sollte: Er hatte ein großes Gespür, Talente ausfindig zu machen, und den Mut, ihnen eine Chance zu geben. Bronson war 1958 bereits seit zehn Jahren im Geschäft, jedoch über von der Kritik wohlwollend gewürdigte Nebenrollen – etwa in Robert Aldrichs APACHE und VERA CRUZ, André De Toths HOUSE OF WAX, CRIME WAVE und RIDING SHOTGUN, Delmer Daves‘ DRUM BEAT oder Samuel Fullers RUN OF THE ARROW – nicht hinausgekommen. Zwar ging seine Odyssee nach MACHINE GUN KELLY noch zehn Jahre weiter, bevor er 1968 über den Umweg nach Europa den endgültigen Durchbruch mit ADIEU L’AMI und natürlich Sergio Leones C’ERA UNA VOLTA IL WEST schaffte, aber unter Cormans Regie deutet er sein großes Potenzial schon mehr als nur an. Was später sein Trademark werden sollte, die Verbindung körperlicher Präsenz und Kraft, einer stoischen Mimik und einer hinter der harten Schale verborgenen Weichheit und Verletzlichkeit, erweckt auch seinen George „Machine Gun“ Kelly zum Leben.

Auf die Idee zu dem Film kam Corman nach eigenen Aussagen, als er davon las, wie sich die Verhaftung des gefürchteten Gangsters abgespielt hatte: Von der Polizei umzingelt und zur Aufgabe aufgefordert, leistete er keinerlei Gegenwehr, sondern stellte sich mit erhobenen Händen. Auf die Frage, warum er sich kein Feuergefecht geliefert habe, antwortete er sinngemäß, weil man ihn dann erschossen hätte. Diese Episode wird für Corman zum Schlüssel zum Verständnis der Figur. Kelly ist ein den Tod fürchtender Feigling, der sich hinter seinem Maschinengewehr und seiner gewalttätigen Fassade versteckt. Ein Sadist, der mit jeder seiner Gewalttaten seine Komplexe kompensiert und seiner Freundin, der dominanten Florence „Flo“ Becker (Susan Cabot), willenlos ergeben ist. Gleich zu Beginn, als er auf dem Gehsteig auf seine Kompagnons wartet, erstarrt er, als er bemerkt, dass er sich vor dem Geschäft eines Bestattungsunternehmers postiert hat. Zu einem weiteren Coup kommt er zu spät, weil er unfähig ist, sich zu bewegen, als zwei Männer einen Sarg über die Straße tragen. Und sein ganzer selbstbewusster Swagger ist dahin, wenn er sich einer echten Bedrohung gegenübersieht: Beleidigt und demütigt er den verkrüppelten Tankwart, der ihnen für kleinen Lohn hilft, wird er zur Salzsäule, als der den Spieß umdreht und das Schloss am Käfig des Pumas entfernt, den er hinter seinem Haus ausstellt. Kaum ist die Gefahr beseitigt, die Raubkatze „hinter Schloss und Riegel“, bricht wieder der „alte“ Kelly hervor und verpasst dem Tankwart eine schallende Ohrfeige. Er ist eine jämmerliche Figur, kein Vergleich zu den rebellischen Antihelden anderer Gangsterfilme, die in dem gesetzlosen Treiben ihrer Protagonisten ja auch immer eine inspirierende Ungebundenheit und Autonomie zeigten, die der Zuschauer insgeheim bewundern konnte. Kelly vertritt keine Überzeugungen, keine Werte, er steht für nichts ein. Er ist ein Schwächling, nur dann stark, wenn ihm keine Gefahr droht, wenn er sein Maschinengewehr in der Hand hält oder einem Einarmigen gegenübersteht. Ein Gernegroß mit Minderwertigkeitskomplexen oder wie es die Tagline des Films so treffend sagt: „Without his gun he was naked yellow!“

Es liegt in der Natur der Sache, dass MACHINE GUN KELLY nach seinem rasanten Auftakt nicht mehr viel nachzulegen weiß. Das Budget war niedrig, die zur Verfügung stehende Drehzeit kurz (Corman brauchte damals in der Regel zwei Wochen für einen Film). Der Film trägt so streckenweise den Charakter eines Kammerspiels. Als Kelly sich seiner Partner entledigt, kidnappt er ein kleines Mädchen und verschanzt sich mit Flo in einem kleinen Wohnhaus, bis er verraten wird. Statt des Showdowns setzt es die wehrlose Kapitulation.  Vielleicht lag es auch an meiner Müdigkeit, aber ich fand den Film ein bisschen langweilig und hatte etwas mehr erwartet. Trotzdem ein allemal lohnender Film, wenn man sich für Corman und Bronson auch nur ein bisschen interessiert.

Ein junger Mann in Uniform wird zu seiner Hinrichtung geführt. Die Gefangenen, an deren Zellen er vorbeigeht, erweisen ihm ihren Respekt, indem sie mit Metalltellern gegen die Gitterstäbe schlagen. Einige rufen ihm aufmunternde Worte zu, doch der junge Mann ist einfach nur irritiert, völlig überfordert damit, auch nur annähernd zu begreifen, was gerade mit ihm geschieht. Er hat das Gesicht eines Jungen, es scheint völlig undenkbar, dass er etwas getan hat, was seine Bestrafung rechtfertigt. Die ihn umgebenden Offiziere und Wachen, die seine Exekution sicherstellen sollen, sind völlig desinteressiert an seiner Lage: Ohne jede Empathie, ohne auch nur einen Blick für ihn walten sie ihres Amtes und leiten ihn schließlich in jenen Raum, von dessen Decke die Schlinge baumelt, an der er seinen Tod finden soll. „Haben Sie noch etwas zu sagen?“, wird er gefragt, nachdem man ihm schon eine schwarze Kapuze übergestülpt und ihm die Schlinge um den Hals gelegt hat. Und wie ein kleiner Junge fängt er nun unter dem schwarzen Stoff an zu wimmern: „Ich habe das doch nicht gewollt. Es war doch keine Absicht.“ Seine Beteuerungen helfen nicht, es war ja nie vorgesehen, dass seine Worte etwas ändern könnten. Fast scheinen die Anwesenden etwas empört darüber, dass der Verurteilte ihnen nun auch noch ein schlechtes Gefühl beschert. Ein Hebel wird umgelegt, der Mann stürzt durch eine Falltür, bevor das Seil ihm mit einem Krachen das Genick bricht. Major Reisman (Lee Marvin) hat das alles aus dem Hintergrund mit versteinertem Gesicht und eben noch zurückgehaltenem Zorn und Ekel beobachtet. Nun hat er genug gesehen. Er dreht sich um und geht.

Die Szene ist inhaltlich nur von tangentialer Bedeutung für THE DIRTY DOZEN, dient vor allem als Einführung Reismans als unbequemem, hartem, aber menschlich gebliebenem Soldaten, der den Entscheidungen der Vorgesetzten kritisch gegenübersteht und seinem Missfallen auch ungeschönten Ausdruck verleiht. Und sie dient als Anschauungsmaterial dafür, was den zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Titelhelden, dem „dreckigen Dutzend“, blüht. Viele von ihnen sind zum Tode verurteilt, andere sehen einem Leben hinter Gittern entgegen. Wichtiger aber ist dieser Prolog, um eine gewisse Stimmung zu etablieren, ein Bild im Gedächtnis der Zuschauer zu implantieren, das auch in den folgenden heitereren Momenten des Films nie ganz verblasst. THE DIRTY DOZEN erscheint nämlich streckenweise – konträr zu seiner Thematik – wie ein freundlicher Abenteuerfilm: Er erzählt, wie eine Gruppe von Outcasts über einer gemeinsamen Aufgabe zusammenwächst – ähnlich wie in Aldrichs vorangegangenem THE FLIGHT OF THE PHOENIX –, beschwört dabei Teamgeist, bedient sich einer gewissen Außenseiterromantik und zeichnet die Mission der Titelhelden – den Überfall auf ein mit ranghohen Nazis besetztes Schloss – als tollkühnes Abenteuer. Es ist diese Auftaktszene, die den Film erdet. Hier sterben keine charismatischen Raubeine den Heldentod: Hier werden Männer ohne jede Chance berechnend und mitleidlos in den Tod gehetzt. Sie bekommen eine Chance, die keine ist, und müssen das Beste daraus machen.

Das Nebeneinander ausgelassener und überaus grausamer Szenen hat dem Klassiker durchaus einige kritische Stimmen eingebracht. Dass Soldaten als kernige Recken dargestellt werden, der Krieg als Abenteuer gilt spätestens seit den 1970er-Jahren, in denen der Kriegsfilm als Antikriegsfilm „wiedererfunden“ wurde, als verpönt. Seitdem sind wir es gewöhnt, den Armeealltag als stumpfsinnig und unmenschlich zu sehen, Kriegseinsätze als grausam und sinnlos. Aldrich spart diese Seite nicht aus, aber es ist nicht die einzige, die er zeigt. Wenn das „dreckige Dutzend“ sich gegenüber den  verbohrten, peniblen und arroganten Paragrafenreitern Breed (Robert Ryan) und Denton (Robert Webber) beweisen muss, indem es ein Manöver für sich entscheidet, ist jedes Grauen weit weg, erreichen der Film und seine Protagonisten eine ungeahnte Leichtfüßigkeit. Die 12 Lumpen haben sich zusammengerauft, sie zeigen, was sie gelernt haben und bescheren den Männern, die immer nur verächtlich auf sie herabgeblickt haben, eine schallende Ohrfeige. Wie schwungvoll, herzlich und einnehmend THE DIRTY DOZEN in dieser Sequenz ist, erkennt man auch an seinem Erbe: Unzählige High-School- und Sportkomödien haben die Dynamik, die sich Adrich hier zunutze macht, eins zu eins kopiert: das Team der gedemütigten Underdogs gegen die Bessergestellten. Aber auch diese Momente der Unbeschwertheit dienen letztlich dazu, Fallhöhe zu schaffen. Seinen grausamen Höhepunkt erreicht der Film, wenn die Männer um Reisman ihre Mission erfüllen: Die in einem Luftschutzkeller eingepferchten Nazi-Offiziere und ihre Frauen werden von den „Helden“ buchstsäblich ausgeräuchert. Die Szene, in der die Todgeweihten hilf- und zwecklos versuchen, die Handgranaten, die ihren Tod bedeuten werden, „abzublocken“, vor Angst schreiend, außer sich vor Panik, verwischt jede bestehende Grenze zwischen den „guten“ Alliierten und den „bösen“ Nazis. Aldrich zielt mit seiner Kritik weniger auf den Krieg allgemein ab – wahrscheinlich, weil er zu sehr Realist ist, um eine Welt ohne Kriege fordern zu können: Krieg ist nicht zu verurteilen, weil er Menschenleben kostet, sondern weil er Menschen dazu zwingt, anderen das Leben zu nehmen, sie in eine solch radikale Grenzsituation zu werfen, in der sie nicht anders können, als sich über ihren „Gegner“ zu stellen. Die armen Schweine des Dutzends haben ja keine Wahl. Am Ende der Mission wird nur einer von ihnen überlebt und sich mit seinem Einsatz ironischerweise nicht die Freiheit, sondern eine Zukunft in den Diensten des Militärs „verdient“ haben. Es ist ganz klar, wen Aldrich als die eigentlichen Übeltäter ausgemacht hat: Wladislaws (Charles Bronson) letzter Satz lautet: „Killin‘ generals could get to be a habit with me.“

Die moralische Anrüchigkeit von THE DIRTY DOZEN ist eigentlich Ausdruck seiner immensen Pointierung. Das Überleben der einen ist an den Tod der anderen geknüpft. Die Verbrecher erhalten Absolution, wenn sie sich als besonders effektive Mörder erweisen. Den Wert des Lebens lernen die Mitglieder des Dutzends kennen, als ihr eigenes keinen mehr hat: in einer kurzen Schonfrist, die ihnen gegeben wird. Ihre Situation erinnert natürlich an jene der Absturzopfer von THE FLIGHT OF THE PHOENIX: Anstatt auf den sicheren Tod zu warten, ergreifen sie den Strohhalm, der sich ihnen bietet und finden in der „Arbeit“ einen neuen Sinn. Umso grausamer ist es, dass sie ihr Schicksal nur ein Stück hinauszögern können. Dass es für sie keine Chance gibt, wird spätestens klar, als Aldrich ihr letztes gemeinsames Zusammentreffen vor ihrer Mission als letztes Abendmahl mit Reisman als Jesus ins Bild setzt. Eine wunderbare Blasphemie ist es außerdem.

THE DIRTY DOZEN ist für mich untrennbar mit Sturges‘ THE MAGNIFICENT SEVEN und THE GREAT ESCAPE verbunden. Alle drei Filme sind großes Abenteuerkino mit einer Darstellerriege, die einem erst das Wasser im Mund zusammenlaufen und dann die KInnlade runterklappen lässt. Alle drei sind episch, decken ein ganzes Spektrum von Emotionen ab, bieten großes Hollywood-Entertainment, das sich einfach nicht abnutzt. Und natürlich spielt in allen dreien Charles Bronson mit. THE DIRTY DOZEN hatte ich beim ersten Mal als „lustigen“ Actionfilm gesehen. Beim letzten Mal war ich schockiert über seine Härten. Diesmal ist diese Irritation der Erkenntnis gewichen, dass Aldrichs Film nicht vom Krieg, sondern vom Leben handelt. Und dasb betrachtet er mit dem Blick des unsentimentalen Realisten und dem Herzen eines Philanthropen.

Der sympathische Gauner Joe Jarrett (Dean Martin) klaut einem anderen sympathischen Gauner, Zach Thomas (Frank Sinatra) eine Tasche mit 100.000 $. Diese hat letzterer im texanischen Städtchen Galveston mithilfe des korrupten Bankers Burden (Victor Buono) ergaunert. Als Joe in Galveston autaucht, sieht Zach seine Chance, das Geld zurückzugewinnen – und Burden die Gelegenheit, seinerseits Zach wieder loszuwerden, der ihm zu mächtig geworden ist. Als Joe der europäischen Witwe Maxine (Ursula Andress) mit dem gestohlenen Geld einen Dampfer kauft, und ihn gemeinsam mit ihr in ein prächtiges Casino umwandelt, kommt es zum Kampf zwischen den Parteien. Joe und Zach verbünden sich gegen die Schurken …

Es gibt ausnahmsweise mal nicht allzu viel zu sagen: Mit 4 FOR TEXAS zeichnete Aldrich für einen Film verantwortlich, der in erster Linie Vehikel für seine beiden männlichen Stars und großes, farbenfrohes Familienentertainment ist – oder besser: sein soll. Beiden wird eine attraktive Frau zur Seite gestellt – Ol‘ Blue Eyes ist im Film mit Anita Ekberg liiert –, Humor, Romantik und Action werden zu gleichen Teilen miteinander verquirlt, Gimmicks wie der Auftritt der drei Stooges lassen den Film jederzeit als getunte Nummernrevue erkennen. Das Drehbuch ist ganz schwach: Es ist einfach nicht gelungen, die nun nicht eben komplexe Geschichte mit „Zug zum Tor“ zu erzählen. Nach durchaus amüsantem Auftakt versumpft 4 FOR TEXAS in seiner undramatischen Aneinanderreihung von netten Szenen. Vor allem Sinatra wird sträflich vernachlässigt: Einen Großteil des Films verbringt er in einem Sessel sitzend in seiner Suite, während ihn mehrere bedienstete Schönheiten umgarnen. Der Kauf des Dampfers markiert eine Zäsur, wird erzählerisch kaum integriert und scheint vor allem dazu da zu sein, auch Dino sein Love Interest zu bescheren. Wenn Sinatra und Martin dann ihr Schwerenöter- und Ewige-Junggesellen-Image ausbauen dürfen, ist 4 FOR TEXAS deutlich mehr bei sich als wenn er sich an seinem generischen Plot abarbeitet. Ein paa witzige Szenen gibt es, alles ist hübsch bunt und Charles Bronson ein passabler Schurken. Mehr nicht.

Was im Rahmen der Aldrich-Retrospektive natürlich auffällt, ist wie viele von Aldrichs Stammdarstellern das Casting enthält. Man hat fast den Eindruck, er habe es sich in der Fremde des zielgruppenoptimierten Blockbuster- und Starkinos etwas heimisch machen wollen: Wesley Addy fügt seiner langen Liste von Aldrich-Filmen einen weiteren hinzu. Mit Charles Bronson, Jack Elam und Richard Jaeckel spielen drei Toughies mit, mit denen Aldrich schon in BIG LEAGUER, APACHE, VERA CRUZ, KISS ME DEADLY, THE LAST SUNSET und ATTACK! zusammengearbeitet hatte. Und Victor Buono war (ebenso wie Maidie Norman) zuvor in WHAT EVER HAPPENED TO BABY JANE? aufgetreten, den auch Marjorie Bennett – ebenso wie KISS ME DEADLY und AUTUMN LEAVES – mit ihrer energisch-großmütterlichen Art bereichert hatte. Wenn man, wie ich gerade, alle Filme Aldrichs am Stück schaut, verstärkt das noch den episodischen, nicht-immersiven Charakter, den 4 FOR TEXAS sowieso schon hat. Er ist kein Make believe, kein Film, der einen vergessen machen will, dass man einen Film sieht, sondern eine einzige Produktwerbung und Machtedemonstration, mit der sich Hollywood in erster Linie selbst feiert. Anstatt mitzutanzen, steht der gemeine Zuschauer aber eher unbeteiligt rum, eingeschüchtert von der sich ihm darbietenden Selbstverliebtheit und Dekadenz.

O’Meara (Rod Steiger), ein stolzer Südstaatler durch und durch, hat die Niederlage im Bürgerkrieg enttäuscht und verbittert zur Kenntnis genommen. Dass er sich den verhassten Yankees beugen und ihre Gesetze annehmen soll, ist ihm unerträglich und so begibt er sich auf die Reise gen Westen. Unterwegs begegnet er den wenig freundlich gesinnten Sioux-Indianern, die ihm einer Prüfung unterziehen, dem „Run of the Arrow“, einer gnadenlosen Menschenjagd. O’Meara besteht die Prüfung und wird von den Sioux um Häuptling Blue Buffalo (Charles Bronson) freundlich aufgenommen. Er verliebt sich in Yellow Moccasin (Sara Montiel) und wird Stammesmitglied, um sie heiraten zu können. Als Soldaten den Stamm bitten, auf ihrem Land ein Fort errichten zu dürfen, wird O’Meara auserkoren, sie zu einer geeigneten Stelle zu führen. Natürlich kommt es zu Spannungen: Lieutenant Driscoll (Ralph Meeker) ist ein fanatischer Kriegstreiber und hat zudem eine alter Rechnung mit O’Meara zu begleichen. Und unter den Sioux gibt es ebenfalls Abtrünnige, die den Weißen nicht wohlgesonnen gegenüberstehen …

Samuel Fullers Film ist enorm pointiert, lebt von seinen Hauptdarstellern und der Zeichnung der Indianer als einer Parallelgesellschaft, die zwar ursprünglicher als die der Weißen sein mag, aber wie diese über strenge Gesetze und Regeln verfügt. O’Mearas Entscheidung, ihnen beizutreten, wird dadurch begünstigt, vor allem aber ist es die Enttäuschung über den Verlauf des Bürgerkriegs, der ihn zu dem Entschluss treibt, ein Sioux zu werden. „Kannst du einen Amerikaner töten?“ und „Kannst du einen Christen töten?“: Das sind die beiden Schlüsselfragen, die er mit „Ja“ beantwortet. Die Verbindung zu seinen Landsmännern ist nur zufällig, sein Herz liegt nun woanders, so glaubt er zumindest. Fullers Film zeichnet aber kein idealistisch verklärtes Bild von den Indianern und auch der romantisch aufgeladene Traum, zu den „Wurzeln“ zurückkehren zu können, der in O’Mearas Entscheidung mitschwingt, stößt auf seine Skepsis. Als der Wahl-Sioux dabei zusehen soll, wie ein Amerikaner vor seinen Augen gehäutet wird, ist die Grenze für ihn erreicht. Er wird immer Amerikaner bleiben. Denn, so schließt der Film nicht ohne Fuller’sches National-Pathos: „The defeat of the south was not the end of the war, it was the birth of the United States.“ – Erst bei genauerem Hinlesen bemerkt man, dass dieser Satz nur halb so schwelgerisch ist, wie er klingt. Er impliziert, dass auch die Existenz der USA nicht ohne Kämpfe zu haben ist, sich das Land immer neu erfinden und „häuten“ muss.

RUN OF THE ARROW ist keine von Fullers ganz großen Großtaten, aber der Film ist interessant, weil er zahlreiche berühmtere Nachzieher inspirierte: A MAN CALLED HORSE und DANCES WITH WOLVES fallen unweigerlich ein. Beide richten deutlich mehr Augenmerk auf die Indianer und betonen ihre Fremdheit. Fuller macht genau das Gegenteil. Die Integration gelingt O’Meara erstaunlich leicht und schnell, seine Aufnahme in den Stamm gleicht beinahe einer Bewerbungssituation. Spirituelle oder religiöse Aspekte spielen überhaupt keine Rolle: O’Meara glaubt an seinen Gott, die Sioux an ihren, schnell sind sich beide einig, dass sich lediglich ihre Namen voneinander unterscheiden und es keinen Grund gibt, sich darüber zu streiten. Sie sind von dem Menschen O’Meara überzeugt, deswegen spielen solche Details keine Rolle. Das ist eine wunderbare Abkehr von den edlen Wilden mit ihrer blumigen bildreichen Sprache, die sonst den Western bevölkern und die vor allem eins sind: Projektion. Und weil das so ist und auch O’Meara etwas in den Indianern sehen will, was nicht da, sondern nur in ihm ist, muss seine Flucht fehlschlagen – bzw. ihn zu sich selbst führen. Dort liegen seine Probleme, dort muss er sie lösen.

Bliebe abschließend noch zu erwähnen, was Fuller über Steiger sagte, der in RUN OF THE ARROW seine erste Hauptrolle hatte, dessen Durchbruch noch ca. zehn Jahre auf sich warten lassen sollte. Ich zitiere aus seiner fantastischen Autobiografie „A Third Face“: „My deal stipulated that RKO and I had to agree on the principal cast. Dozier [Chef von RKO; Anm. v. mir] wanted Gary Cooper to play O’Meara. I’d have loved to work with Gary, one of the most handsome and popular leading men in Hollywood. Except he wasn’t right for the part. ,Ineed the opposite of Cooper,‘ I explained. ,The character’s hateful, a misfit. I want this newcomer, Steiger. He’s got a sour face and a fat ass. He’ll look awkward, especially when he climbs up on a horse. See, my yarn’s about a sore loser, not a gallant hero.'“ Sam Fuller setzte sich durch. Zum Dank hatte er am Set viele Kämpfe gegen den schwierigen Schauspieler zu bestehen, der dann – trotz fetten Arschs und griegrämigen Gesichts – ein gefragter Charakterdarsteller wurde.

Ach so: Die deutsche DVD stellt zwar wohl die einzige digitale Veröffentlichung dieses Films dar (OFDb listet zwei obskure britische und italienische DVDs), kann aber trotzdem nur wirklich Hartgesottenen empfohlen werden. Die Bildqualität erreicht die zweifelhafte Klasse einer Videokopie aus dritter Generation, aufgepimpt mit herrlichem Ruckeln und weiteren Fehlern, die typisch für miese DVDs sind, die neue deutsche Synchro ist auch eher ein Fall für Sadisten (immerhin ist der O-Ton enthalten) und für das Backcover entblödete man sich nicht, ein Szenenfoto von Bronsons BREAKHEART PASS zu verwenden, um den zugkräftigen Namen auch bildlich entsprechend zu unterstreichen. Tatsächlich eine der miesesten DVDs, die ich besitze. Ich hätte nicht gedacht, dass sich im Jahr 2012 noch jemand erdreistet, so einen Müll auf den Markt zu schmeißen. Wer den Film sehen will, kommt wohl trotzdem nicht dran vorbei. Eine Schande.

Die zweite Zusammenarbeit zwischen Aldrich und Lancaster nach APACHE war von Spannungen geprägt. Im Western-Lexikon von Joe Hembus wird Aldrich folgendermaßen zitiert: „Meine Zusammenarbeit mit Lancaster bei APACHE führte zu VERA CRUZ, aber unsere Zusammenarbeit war dann weniger freundschaftlich, als wir uns das vielleicht vorgestellt hatten. Das kam daher, daß Burt, bis er THE KENTUCKIAN inszenierte, glaubte, er sei zum Regisseur geboren, und wenn man, wie ich damals, seinen ersten großen Film dreht, hat man es nicht so gern, wenn einem dauernd jemand mit schlauen Ratschlägen über die Schulter sieht. Wir hatten auch verschiedene Ansichten über das Konzept und die Action. Ich glaube, seit Burt THE KENTUCKIAN gedreht hat, ist er ein besserer Schauspieler geworden.“ Dem fertigen Film merkt man diese Probleme nicht an – was vielleicht als Beleg dafür gelten mag, was für ein sicherer, selbstbewusster Regisseur Aldrich schon in diesem frühen Stadium seiner Karriere war. Und Lancaster ist großartig: Aldrich wusste ganz genau, was er an seinem Star hatte – auch wenn der ihm das Leben am Set schwer machte. Lancasters vielsagendes, zahnreiches Haifischgrinsen ist ein dominierender Faktor von VERA CRUZ. Mal ist es Ausdruck eines ungebremsten, beinahe jugendlichen Selbstbewusstseins, das sich unserer ganzen Bewunderung sicher sein kann, dann wieder eines soziopathischen Egoismus und Sadismus – es unterstreicht den Blick eines Mannes, der sich am Tod ergötzt, solange er nur selbst lebt. Und im Zusammenprall Lancasters mit dem straighten Gary Cooper tritt die ganze moralische Ambivalenz des Films auch bildlich hervor, kulminiert im Duell zweier Männer die sich ähnlich, aber doch fremd sind.

In den Wirren des mexikanischen Bürgerkriegs treffen zwei Amerikaner aufeinander: Ben Trane (Gary Cooper), ein alternder Südstaaten-Veteran, und Joe Erin (Burt Lancaster), ein aufbrausender Revolverheld und Ganove. Die beiden so unterschiedlichen Männer fühlen sich in Abenteuerlust und Glücksrittertum sogleich verbunden und landen schließlich auf Umwegen am Hofe des Kaisers (George Macready). Der engagiert sie für eine stattliche Summe dazu, die Gräfin Duvarre (Denise Darcel) sicher zur Hafenstadt Vera Cruz zu geleiten, von wo aus sie nach Europa aufbrechen soll. Die beiden Männer bemerken schnell, dass es nicht die Gräfin ist, die dem Kaiser so viel Geld wert ist, sondern ein Goldschatz in ihrer Kutsche. In ihre Pläne, sich das Gold unter die Nägel zu reißen, mischt sich schnell auch die Gräfin ein. Doch dann ist es Trane, der angeregt durch seine aufkeimende Liebe für die Mexikanerin Nina (Sara Montiel) zu dem Entschluss kommt, dass das Gold in den Händen der rebellierenden Bevölkerung viel besser aufgehoben ist. In den Straßen von Vera Cruz kommt es zum Kampf um den Schatz – und zum Duell zwischen dem Idealisten Trane und dem Materialisten Erin …

VERA CRUZ wartet mit einem der tollsten ersten Akte auf, die ich kenne. Wie Ben und Joe sich begegnen, wie sie sich erst umkreisen, belauern und testen, bevor sie sich insgeheim darüber verständigen, ein gutes Team abzugeben, ist nicht nur grandios gespielt, sondern auch irrsinnig gut geschrieben – wie auch der ganze Rest des Films, der von Dopplungen, Spiegelungen, Wiederholungen und anderen dramaturgischen Kniffen – die aber immer organisch wirken – nur so gespickt ist. In  Cahiers du Cinéma schrieb Francois Truffaut im Jahr 1955 über den Film: „VERA CRUZ ist zunächst einmal das Musterbeispiel einer gut konstruierten Geschichte. […] jede einzelne Szene [würde] einen Film für sich rechtfertigen, denn jede besitzt ihre eigene dramatische Konstruktion und lässt sich, wie Sartre sagen würde, umdrehen wie ein Handschuh. […] Aber diese Geschichte […] ist mehr als ein minutiös ablaufendes Uhrwerk.“ An seinem in wenigen Worten sehr ins Detail gehenden Text erkennt man auch an, dass VERA CRUZ mehrere Sichtungen nicht nur rechtfertigt, sondern gar verlangt. Wie der Film kaum merklich vom „unschuldigen“, die Tollkühnheit seiner Helden feiernden Abenteuerfilm zur ernsthaften Auseinandersetzung mit Moral, Egoismus und Pragmatismus wird, ist schon bemerkenswert. Als Zuschauer muss man seine Haltung zu den Protagonisten ständig hinterfragen, weil man sonst Gefahr läuft, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Das ist einfach großes Kino und höchste Erzählkunst. Es wäre noch mehr zu sagen, aber dafür reicht eine Sichtung nicht aus. Ich hatte vergessen, dass Filme gleichzeitig so leicht und doch so dicht sein können.

 

Den Auftakt zu meiner Aldrich-Retro bildet APACHE, nach diversen Fernsehengagements, BIG LEAGUER von 1953 und dem “inkognito” inszenierten WORLD FOR RANSOM der dritte Spielfilm des Regisseurs. Er führte ihn zum ersten Mal mit dem späteren Superstar Burt Lancaster zusammen, der hier wie Aldrich selbst noch am Anfang seiner Karriere stand und ihm wenig später erneut bei VERA CRUZ begegnen sollte.

Lancaster ist Massai, tapferes Mitglied des Stammes der Apachen, die nach der Kapitulation ihres Häuptlings Geronimo einer traurigen Zukunft entgegensehen: Kriegstaugliche und damit potenziell gefährliche Männer werden nach Florida umgesiedelt, sofern sie nicht bereit sind, der Armee beizutreten – wie etwa der verräterische Hondo (Charles Bronson als “Charles Buchinsky” in einer seiner typischen frühen Indianerrollen) in der zum Reservat umgewandelt Heimat bleiben nur Alte, Kinder und Frauen zurück, die nach und nach dem Feuerwasser verfallen. Massai, der sich mit dem Schicksal, das man dem einst so stolzen Kriegerstamm zugedacht hat, nicht abfinden will, gelingt es, vom Zug nach Florida abzuspringen und zu entkommen. Auf seinem beschwerlichen Weg zurück in die Heimat begegnet er einem Cherokee-Indianer, der ein neues, selbstbestimmtes und freies Leben als Maisfarmer begonnen hat. Warum sollte es für die Apachen nicht möglich sein, ebenfalls umzudenken und Farmer zu werden? Die Soldaten, die für die Überwachung der Indianer zuständig sind, glauben indes nicht daran, dass die Apachen zu diesem Wandel in der Lage sind: In Massai sehen sie lediglich eine aufmüpfige, unverbesserliche, blutdurstige Rothaut. Auch der zweite Versuch, ihn in Gewahrsam zu nehmen, misslingt jedoch. Gemeinsam mit der schönen Indianerin Nalinle (Jean Peters) flieht Massai erneut – und macht sich mit ihr auf die Suche nach dem Ort, an dem er sich als Farmer niederlassen und ein neues Leben beginnen kann …

Als Frühwerk Aldrichs ist APACHE nicht zuletzt im Vergleich mit dem rund 20 Jahre später entstandenen ULZANA’S RAID interessant. Dieser Vergleich zeigt deutlich, wie sich der US-amerikanische Blick auf die Ureinwohner, den Umgang mit ihnen und damit auch auf die eigene Rolle in der Welt verändert hat. Der Zorn, die Abscheu vor jedweder Gewalt, egal ob sie nun vom US-Militär oder den Indianern ausgeübt wurde, sowie die krasse Desillusionierung hinsichtlich des Menschen im Allegmeinen, die den späteren Film auszeichnen (und ihn meiner Meinung nach zu einem der radikalsten und ernüchterndsten Antikriegsfilme überhaupt machen), sind in APACHE noch weit entfernt. Kritisch ist auch er: Es bleibt kein Zweifel daran, welch verheerenden Folgen es für die Indianer hatte, sie aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herauszureißen, dass es unwürdig war, sie in Reservationen einzupferchen, wo ihnen jedes halbwegs normale Leben verwehrt bleiben musste. Doch insgesamt ist APACHE wesentlich versöhnlicher, noch stärker dem idealistisch-utopischen Blick des Westerngenres und einem Bild des Indianers als noble savage verpflichtet. Er ist weniger konkret, trägt fast allegorische Züge. Man könnte auch sagen, er sei hoffnungslos sentimental: Die finale Auseinandersetzung zwischen Massai und den Soldaten der Regierung im gegen jede Wahrscheinlichkeit vom Apachen angebauten Maisfeld wird vom Geschrei seines neugeborenen Kindes unterbrochen. Als Massai seine Waffen fallenlässt und sich den Lauten des Babys folgend in seine Behausung zurückzieht, bleibt den Soldaten nur, ihren Irrtum zu erkennen und zu resümieren, dass auch ein Apache in der Lage ist, gegen seine vermeintliche Bestimmung als Krieger zu handeln und in friedlicher Koexistenz mit seinen Unterdrückern zu leben. Es bleibt ein fader Nachgeschmack, denn die Indianer sind die eindeutigen Verlierer dieser Versöhnung. Es bleibt ihnen keine andere Wahl, als den neuen Status quo anzuerkennen, sich von ihrer Tradition zu lösen und eine neues, anderes Leben zu führen. Der stolze Krieger Massai sieht einem beschaulichen Leben als Maisfarmer entgegen.

Es ist durchaus denkbar, dass Aldrich sich über diesen Makel im Klaren war. Wo andere Western in üppigem Breitwandformat daherkommen, die unendliche Weite der majestätischen Landschaft in überwältigende Bild setzen, erzählt Aldrich seine Geschichte von der Domestizierung des Wilden im engen Vollbild – einem adäquaten Format, um den Verlust der Freiheit eines Naturvolkes zu illustrieren. Massai, dessen Vorfahren sich einst völlig frei auf „ihrem“ Land bewegen konnten, mag sich seinen Verfolgern immer wieder durch sein Geschick entziehen, auf lange Sicht kann er den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Er ist bereits in Ketten geschlagen, auch wenn er noch glaubt, sein eigener Herr zu sein. (Dass Aldrich dieses In-Ketten-Legen auch in einer Verschiebung der Geschlechterrollen spiegelt – Massai muss gegen seine Gewohnheit eine starke Frau an seiner Seite akzeptieren – mag Beleg dafür sein, dass er seiner Geschichte einen universelleren Anstrich geben wollte. So gesehen handelt APACHE vom Einbruch der Moderne generell – klassischer Spätwesternstoff also, einige Jahre vor seiner Zeit.) Die Episode zu Beginn, als Massai, eben erst geflohen, als Fremder durch die Straßen einer Stadt läuft, den Wohlstand der Weißen mit ungläubigen, staunenden, aber auch ängstlichen Augen betrachtet, um dann nach seiner Enttarnung als Indianer von einem tobenden Mob gejagt zu werden, macht mehr als deutlich, dass er in dieser Gesellschaft niemals einen Platz wird finden können. Das Maisfeld ist das Zeichen eines lauen Kompromisses, der für ihn gleichbedeutend mit seiner Unterwerfung ist: Angebaut hat er es, um den Weißen seine Kapitulation zu signalisieren, sich sein Recht zu leben zu erkaufen. Man darf bezweifeln, dass sie die von ihm angebauten Früchte jemals verzehren werden.

Der Profikiller Jeff Heston (Charles Bronson) wird von seinem Auftraggeber und seiner Geliebten Vanessa (Jill Ireland) hintergangen. Nach einem Gefängnisaufenthalt begibt er sich in die USA, um sich an ihnen zu rächen. Vanessa ist mittlerweile mit dem Gangsterboss Al Weber (Telly Savalas) liiert, der großes Interesse daran hat, Jeff unter seine Fittiche zu nehmen. Seine Abneigung macht sich wiederum Vanessa zunutze, die ganz eigene Pläne verfolgt und Jeff dazu um den Finger wickelt …

Sergio Sollimas Film beginnt furios mit einer spannenden Verfolgungsjagd und einem Shootout, bei dem sein Protagonist schwer verwundet wird. Erst im Verlauf der nächsten halben Stunde liefert er den Kontext zu dieser Actionszene, bis dahin übt er sich – unterstützt von Morricones Beat-Score – in psychedelisch-fiebriger Lückenhaftigkeit. Zwar findet CITTÀ VIOLENTA bald eine klarere Linie, doch die Motivationen seiner Protgaonisten bleiben rätselhaft. Das liegt zum einen im Plot begründet, der alle Gegenspieler und auch vermeintlichen Freunde Jeffs mit geheimen Interessen und dunklen Geheimnissen ausstattet, zum anderen aber auch in strukturellen Schwächen: Charles Bronson ist als wortkarger Killer mit menschlichem Kern zwar idealbesetzt, nicht aber als leidenschaftlicher Liebhaber, der sich von einer Frau die Sinne vernebeln lässt. Das Auf und Ab seiner Beziehung zu Vanessa, das von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Geschichte ist, bleibt unnachvollziehbar und unglaubwürdig. Und so versandet CITTÀ VIOLENTA mit zunehmender Laufzeit immer mehr: Die furiose Unmittelbarkeit, mit der der Film begann, ist wie weggeblasen. Es wird einfach nicht klar, was Sollima genau erzählen will. Mehrere Dialoge legen nahe, dass es darum geht, Betrug, Gier und Mord als Status quo des menschlichen Zusammenlebens zu kennzeichnen: Alle haben nur ihren eigenen Vorteil im Sinn und verstricken immer mehr Menschen in das von ihnen ausgelegte Netz des Verbrechens. Aber wenn das Sollimas Thema war, dann geht es zwischen den ganzen Plottwists und Wendungen unter. CITTÀ VIOLENTA hat einige schöne Szenen und Bilder, aber neben dem Auftakt bleibt eigentlich nur das bittere Finale im Gedächtnis, das alles das richtig macht, was in der vorangegegangenen Stunde falsch gelaufen ist: Es lässt keinerlei Fragen offen.