Mit ‘Coming of Age’ getaggte Beiträge

Ich gehöre ja zu den Menschen, die TURBO KID ziemlich schrecklich finden. Er ist sicherlich gut gemeint und nicht vollends unerträglich, aber eben genau jene Sorte von Fanservice, Zitatekino und Nerdjerking, mit der ich einfach nichts anfangen kann, die ich grauenvoll unproduktiv finde. Besonders schlimm: Dieses Eighties-Nostalgiegedöns, bei dem man merkt, dass die Urheber die Achtziger auch nur aus komischen Retroshows kennen. SUMMER OF 84 ist der Nachfolger von TURBO KID und macht weiter mit dem Achtziger-Worshipping, auch wenn das hier stärker in den Hintergrund rückt und der Film diese Zeit nur als  (allerdings ziemlich willkürlich gewählten) Rahmen für seine Geschichte verwendet. SUMMER OF 84 ist besser und „reifer“ und auch so angelegt, aber diese Anlage offenbart nun auch endgültig, dass die Filmemacher nicht wirklich etwas zu sagen haben. Auch wenn man TURBO KID ätzend fand, konnte man ihm zugutehalten, dass er immerhin den nötigen Drive und auch einen gewissen Witz mitbrachte, wenn man diesen Humor auch nicht teilte. SUMMER OF 84 läuft zwar gut rein, er ist „funktionabel“, wenn man so will, aber am Ende bleibt einfach nichts übrig. Ein Film, der nicht in erster Linie über seine Schauwerte, Gags und Effekte funktioniert, sollte etwas zu sagen haben. SUMMER OF 84 ist ganz nettes Entertainment, aber er versagt auf dieser Ebene völlig. Er zeigt ziemlich deutlich, dass diese Art von Rückwärtsgewandtheit völlig leer und sinnlos ist, wenn man keine Haltung zu der Zeit und ihren kulturellen Artefakten findet, die man da referenziert.

Der Teenie Davey Armstrong (Graham Verchere) ist der festen Überzeugung, dass sein Nachbar, der Polizist Wayne Mackey (Rich Sommer), der Serienmörder ist, der seit einiger Zeit im County sein Unwesen treibt und es hauptsächlich auf Knaben wie Davey abgesehen hat. Mehrere Hinweise erhärten den Verdacht und so bringt Davey seine Kumpels dazu, auf eigene Faust zu „ermitteln“. Als ihr Detektivspiel auffliegt und Mackey nur wenig später einen Verdächtigen verhaftet, scheint der Fall erledigt. Aber Davey ist immer noch von der Schuld des Polizisten überzeugt.

Eine Prise STAND BY ME, etwas Stephen Kings „Es“ (oder auch die nur ein Jahr zuvor überaus erfolgreich gelaufene Verfilmung), schließlich deutliche Anleihen bei FRIGHT NIGHT, dessen Vampir durch einen ordinären Serienkiller ersetzt wird: So in etwa lässt sich SUMMER OF 84 zusammenfassen. Will man es positiv wenden, so kann man konstatieren, dass es dem Regisseursteam gelungen ist, einen Film zu inszenieren, der die Vorbilder sehr originalgetreu emuliert. Die heterogene Protagonistenschar – zu den Kumpels, die alle einen bestimmten Typus repräsentieren, gesellt sich auch noch die scharfe, etwas ältere Nikki (Tiera Skovbye) – wird mit einigen wenigen Pinselstrichen zum Leben erweckt, das unschuldige Detektivspiel gerät mehr und mehr außer Kontrolle, und hinter dem biederen Antlitz des Killers steckt natürlich die wachsende Erkenntnis, dass die behütete Kindheit bald zu Ende und die Welt da draußen voller Gefahren und unangenehmer Überraschungen ist. Das kennt man, das funktioniert, auch zum hundertsten Mal noch. Aber das ist es dann auch schon. Die als große Erkenntnis dargebotene Weisheit, dass sich hinter dem Nachbar ein kranker Mörder verbergen kann, ist wohl einer der abgedroschendsten Standards des Horror- und Serienmörderfilms und der Hinweis auf Ronny und seine Reaganomics ist wahrscheinlich gesetzlich vorgeschrieben, wenn man einen Film über die American Eighties drehen will. Ansonsten reduzieren sich die Referenzen auf Band-T-Shirts, Poster, Plattencover und Soundtrack sowie den ein oder anderen hingeworfenen Dialogsatz. SUMMER OF 84 könnte genauso gut in den Sechzigern, Siebzigern, den Neunzigern oder den Nullern spielen, der Zeitrahmen ist reiner Zierrat, dessen einzige Funktion darin besteht, die anvisierte Zielgruppe zu triggern. Gähn.

Es ist etwas undankbar, den Film zu kritisieren: Er macht eigentlich nichts falsch, aber das liegt eben auch nicht zuletzt daran, dass er absolut nichts Neues, Eigenes ausprobiert. SUMMER OF 84 ist das filmische Äquivalent zur Coverband. Unter Umständen ganz nett, musikalisch vielleicht sogar beeindruckend, aber eben doch nur ein Abklatsch des Echten.

 

Zwei Elternpaare glühen für eine Feier vor, die sie gemeinsam besuchen wollen. Die beiden Mütter (Edith Volkmann und Elisabeth Ackermann) kümmern sich um das kleine Katrinchen, der eine Vater (Sieghardt Rupp) bläst ein Ständchen auf der Trompete, der andere (Hubert Suschka) ist jetzt schon in ausgelassener Stimmung. Dazwischen die ältesten Kinder beider Paare: Achim (Sascha Urchs), ein in sich gekehrter, mürrischer Knabe, den keiner so recht beachtet, und Monika (Renate Roland), die als Älteste als Aufpasserin abgestellt ist, aber andere Pläne hat. Keiner denkt daran, sie oder Achim an ihre besondere Verantwortung gegenüber dem Kleinkind zu erinnern. Mit an Verleugnung grenzendem Gottvertrauen überlassen sie die Kinder, zu denen sie überhaupt keine Beziehung zu haben scheinen, ihrem Schicksal, um sich in aller Ruhe volllaufen zu lassen. Wenig später ist Katrinchen tot, mit einer Plastiktüte durch den Bruder erstickt, der gar nicht so recht weiß, was er da getan hat, in der Folge wie ein Gespenst durch die umliegende Brachlandschaft stapft und den Verdacht dann in Richtung Ottos (Jürgen Jung) lenkt, dem Liebhaber Monikas, die sich mit ihm auf dem Rücksitz seines Autos vergnügte, als sie eigentlich ihrer Aufsichtspflicht nachkommen sollte.

Das Schockierende an BÜBCHEN, dem Debüt-Spielfilm von Roland Klick, ist die Beiläufigkeit, mit der sich das Unsagbare ereignet, die Teilnahmslosigkeit, mit er es hingenommen wird, die Hilflosigkeit, die sich darin zeigt, wie schnell man danach zur Tagesordnung übergeht. Warum Achim seine Schwester umbringt, interessiert Klick nicht: Es ist eine Mischung aus Neugier, Frustration, Langeweile und Unwissen, die den ca. zehn- bis zwölfjährigen Jungen dazu bringt, seiner wehrlosen Schwester eine Plastiktüte über den Kopf zu stülpen und dann wegzugehen. Man sieht, wie das Grauen in ihm hochsteigt, als er wenig später ihre Leiche auffindet. Er hat ein Experiment durchgeführt, bei dem sich sein Verdacht am Ende als eine Tatsache bestätigt, die nun leider nicht mehr umkehrbar ist. Wie betäubt läuft der Junge danach herum, über schlammige Bolzplätze, auf denen verdreckte Kinder einem lehmverkrusteten Ball nachjagen, durch leerstehende, mit Müll übersäte Baracken, schließlich über einen Schrottplatz – in dem Bollerwagen, den er hinter sich herzieht, liegt mutmaßlich die Leiche seiner Schwester (man sieht sie nicht) und vieles deutet darauf hin, dass er hofft, sie werde von jemandem entdeckt, um ihm die Entscheidung über die kommenden Schritte abzunehmen. Als die Eltern angeheitert nach Hause zurückkommen, fällt zunächst niemandem auf, dass das Kleinkind verschwunden ist. Erste Fragen – „Wo ist denn Katrinchen?“ – werden in der Gewissheit gestellt, sie tauche gleich schon irgendwo auf. Es dauert eine Ewigkeit, bis man beginnt, nach ihr zu suchen. Und als diese Suche keine Ergebnisse bringt und die Polizei eingeschaltet wird, greift eine emotionale Lähmung um sich. Wo man Tränen, Verzweiflung, Geschrei, Schuldgefühle vermuten würde, sieht man in die langen, ratlosen Gesichter von Erwachsenen, denen jede Idee fehlt, wie sie mit der Situation angemessen umgehen sollen – oder was da überhaupt passiert ist.

Die Szene um die Tötung Katrinchens ist schrecklich, so kurz sie von Klick auch gehalten wird, aber das wirklich Schockierende ist eben diese allumfassende Taubheit. Es wird kaum miteinander gesprochen, alle leben so nebeneinander her, es findet keine Kommunikation statt, die über den Austausch von Allgemeinplätzen hinausginge. Keiner beachtet Achim, noch drückt man ihm gegenüber so etwas wie Zuneigung oder Liebe aus. Er ist einfach da und man erwartet, dass alles seinen Weg geht. Alles ist so grotesk oberflächlich. Die Menschen in BÜBCHEN scheinen in einem Zustand totaler emotionaler Unreife zu existieren, als hätten sie gar keine Vorstellung davon, dass sie nicht unsterblich sind, dass das Leben keine Selbstverständlichkeit ist, dass Unterlassungen manchmal ebenso unangenehme Konsequenzen haben wie Taten.

Ich weiß nicht, ob Klick eine Aussage über die bundesdeutsche Gesellschaft machen wollte, ob es ihm nicht wirklich nur um einen Einzelfall ging, darum, diesen Fall nachzuzeichnen und zu schauen, wie sich so etwas zutragen könnte. Aber ich meine schon, dass man in BÜBCHEN eine Nation zu Gesicht bekommt, die knapp 20 Jahre, nachdem sich die Elterngeneration als Massenmörder, Mitwisser und Weggucker entpuppt hatte, immer noch in einem Schockzustand befand. Deren Bedürfnis, zu einer wie auch immer gearteten Form der Normalität zurückzukehren, so stark war, dass sie einen Zustand erschuf, in dem sie wie in einer Luftblase von allem Bösen geschützt war. In dem das Schreckliche, so es denn dann doch geschah, gar keinen echten Ausschlag mehr hinterließ. Und in dem sie sich nicht anders zu helfen wusste, als am Ende doch wieder nur die alten Verhaltensmuster des Mitmachens, Wegschauens, Verleugnens zu reproduzieren.

 

 

Jean-Claude Van Damme fühlt sich in den Sad-Sack-Rollen, die ihm nun seit rund zehn Jahren immer wieder zugetragen werden, offenkundig so wohl wie in einem schlabberigen Jogginganzug, der mindestens genauso viele Knitterfalten hat wie sein Gesicht. In WE DIE YOUNG spielt er Daniel, einen kriegsversehrten Veteranen des Afghanistan-Feldzuges, der sich als Kfz-Mechaniker verdingt, bei einer Bombenexplosion seine Stimme verlor und außerdem eine Lungenverletzung erlitt, die ihn zur regelmäßigen Einnahme harter Schmerzmittel zwingt, die er dem jungen Lucas (Elija Rodriguez) abkauft. Lucas wiederum ist einer der Kuriere der elsalvadorianischen Gang, die die Vorstadtstraßen Washingtons beherrscht und ein blutiges Regiment führt. An der Spitze der Gang steht Rincon (David Castañeda), ein gesichtstätowierter Melancholiker, mit dem man keinen Streit haben möchte. Als Lucas‘ kleiner Bruder in die Gang aufgenommen werden soll, beschließt der Junge, dass es Zeit für den Ausstieg ist, was Rincon naturgemäß gar nicht gefällt. Es kommt zur Hetzjagd auf den Jungen, bei der ihm Daniel schließlich mit all seiner Erfahrung zur Seite steht.

WE DIE YOUNG scheitert ein wenig an seinen hohen Ambitionen. Regisseur und Drehbuchautor Lior Geller, dessen Debüt-Kurzfilm ROADS den Rekord als meistausgezeichneter Studentenfilm hält, wollte viel mehr schaffen als „nur“ einen Actionfilm. Sein Vorbild dürfte John Singletons BOYZ N THE HOOD gewesen sein, denn wie dieser wirft Geller mit WE DIE YOUNG einen Blick auf die amerikanische Realität des Gangwesens, erzählt eine bewegende Coming-of-Age-Geschichte um den Ausstieg eines Jungen aus dem Sumpf, der ihn umklammert, gibt einen Kommentar zu den außenpolitischen Unternehmungen Amerikas ab, das er mit Elementen des Heimkehrerfilms verbindet, und verpackt das alles in einen innerhalb weniger Stunden spielenden Reißer mit zahlreichen Gewaltszenen, Schießereien und Verfolgungsjagden. Der Versuch ist aller Ehren wert und WE DIE YOUNG hebt sich vom typischen, gleichförmigen DTV-Klopper durchaus wohltuend ab, aber am Ende ist das Stück, das Geller von der Wurst abbeißt, dann doch einfach zu groß.

Das zeigt sich gut an der Rolle Van Dammes, dessen Darbietung als traumatisierter, körperlich behinderter Veteran umso bemerkenswerter ist, als die Figur über eine Ansammlung vager Klischees kaum hinauskommt. Es fehlen jegliche spezifische Details, die diesen Daniel zu einem dreidimensionalen, lebendigen Charakter machen würden. Das zeigt sich besonders deutlich am Schluss, wenn das „Rätsel“ um die Ursache seines Traumas aufgelöst wird, das bis zu diesem Zeitpunkt in Form von nicht weiter identifizierbaren Rückblickfetzen angedeutet wurde: Es zeigt sich, dass Daniel in Afghanistan aus Versehen ein Kind erschossen hatte und über dem Schock schließlich in die Explosion geraten war, die ihm die Stimme kostete. So wie der Film das präsentiert, wirkt das aber nicht wie eine echte Erfahrung, sondern lediglich wie ein Platzhalter, den man vergessen hat, mit Leben zu füllen. Das große Finale, ein Shootout, in den die Polizei die Gangmitglieder verwickelt, koinzidiert mit der Hochzeitsfeier von Rincons Schwester, die natürlich eine tödliche Kugel abbekommen muss, zum einen,um Rincon zu bestrafen, zum anderen, um seinen Zorn auf Lucas noch einmal zu vergrößern. Auch das ist sofort als Drehbuchkniff zu enttarnen, der umso billiger ist, als die Schwester nie wirklich Gestalt annehmen darf, nur als vage Manifestierung von Rincons Bruderliebe existiert. Stark ist WE DIE YOUNG hingegen in der Skizzierung seines Schauplatzes und des Milieus, in dem er spielt. Hätte sich Lior Geller ganz auf den „Arbeitsalltag“ des Drogenkuriers Lucas konzentriert, der mit seinem Fahrrad verschiedene Kunden ansteuert und im Dienste seines Chefs Aufträge ausführt, wäre sicher mehr dabei herausgekommen. So wird WE DIE YOUNG gegen Ende immer zerfahrener und das zum Dabeibleiben nötige emotionale Investment wird durch allzu viele oberflächliche Klischees verhindert. Für Van-Damme-Fans ist der Film aber trotzdem sehenswert und als schlecht würde ich ihn auch nicht bezeichnen.

Oh Mann, habe ich doch glatt NACH DER WÖLFE vergessen, den ich letzte Woche im Rahmen des Mondo Bizarr Double Features im Kino bewundern durfte. Aber besser spät als nie, gell? Der Film von Rüdiger Nüchtern, Mitbegründer des Filmverlags der Autoren, ist nämlich durchaus bemerkenswert – und leider zu Unrecht vergessen. Nicht nur ist er ein herrliches Zeitdokument, das den Blick in eine Zeit ermöglicht, in der Jugendliche noch „dufte“ sagten, Musikkassetten im Elektroladen erstanden oder sich in der örtlichen Eisdiele trafen, er behandelt sein Thema auch ganz ohne anstrengenden Sensationalismus.

In der Pariser Straße in München regieren die „Revengers“, eine sogenannte „Rockerbande“ oder auch einfach nur eine Gruppe von gelangweilten, zur Kleinkriminalität neigenden Jugendlichen, die an den Jacken oder Westen mit dem auffälligen Rückenaufnäher zu erkennen sind. Als eine türkische Gastarbeiterfamilie in der Pariser Straße einzieht und dort einen Lebensmittelladen eröffnet, erregt das sofort die Aufmerksamkeit der Halbstarken, die noch gesteigert wird, als sich die Türken ebenfalls in einer Bande, den „Blutadlern“, organisieren. Zunehmend angepisst von dem sinnlosen Hass sind Daniela (Daniela Obermeir), die mit dem gewalttätigen Duke (Karl-Heinz von Liebezeit) liiert ist, und der junge Türke Dogan (Ali Arkadas), der als erster die Fäuste der Revengers zu spüren bekommt. Die beiden nähern sich an.

Dass es zur großen grenzüberschreitenden Liebesgeschichte nie kommt, beschreibt Nüchterns Film schon recht gut. Große dramaturgische Bögen vermeidet er, konzentriert sich eher auf die unverstellte, authentische Beobachtung des relativ drögen Alltags, in dem es wenig Platz für echte Verpflichtungen wie Schule, Arbeit oder Familie gibt, aber dafür viel Zeit für Langeweile und schwachsinnige Ideen. Schon dieses Festhalten an der eigenen Straße, auf der kein anderer eine „Jacke“ tragen darf, ist reichlich absurd, aber es ist genau jenes Revierdenken, das die Grundlage für einen Bandenkrieg stiftet. Das Konzept ist Popkultur-Interessierten vor allem aus dem Hip-Hop geläufig, aber hier wirkt das alles noch so rührend naiv und infantil – auch wenn es am Ende in eine Tragödie führt. Eine der Ursachen dafür, dass es diesen Eindruck macht, ist zum einen die wie aus der Zeit gefallen erscheinende Jugendsprache, zum anderen die Tatsache, dass die Welt 1982 noch nicht in tausend Subkulturen aufgesplittert war. Die Halbstarken hören hier denselben Altherrenrock wie ihre Väter in den Seventies, auf dem Plattenteller drehen sich erst die deutschen Judas-Priest-Epigonen von Accept und anschließend The Police, ohne dass das einen großen Stilbruch darstellt. Getrunken wird Dosenbier, härterer Stoff ist auffallend abwesend. In der schönsten Szene des Films rempeln sich die beiden Revengers Duke und Mex (Fritz Gattungen) in der Eisdiele zu Rockmucke aus der Musikbox an, minutenlang, in einer abgemilderten, unentschlossenen, spielerischen Variante des Pogo. Irgendwann tritt die süße Anschi (Sabine Gundlach) hinzu, um mitzumachen. Aber sie stört den Kreis: Duke und Mex verharren, schauen verlegen auf Anschi, die ebenso verlegen zurückschaut. Dann ist das Lied zu Ende und die ganze Situation löst sich in Schweigen auf. Der Kinosaal lachte laut, aber es war nicht dieses ätzende SchleFaZ-Lachen, sondern ein Lachen der Vertrautheit: Nüchtern fängt die Banalität des Lebens so wunderschön ein, das kann man eigentlich gar nicht stellen. Dass die Darsteller allesamt unverbrauchte junge Gesichter sind, die auch später nur noch selten in Erscheinung tragen, trägt viel zum Charme des Filmes bei. Es wird viel rumgehangen, werden große Reden geschwungen, alle machen sich in der ein oder anderen Form zum Affen, aber alle nehmen sich dabei selbst unheimlich wichtig, wirken dabei aber stets glaubwürdig. Daniela hat diesen leicht verschlafenen, dabei aufmüpfigen Nena-Blick, mit dem sie unter ihrem hinreißenden Pony hervorschaut, ein prototypisches Achtzigermädel: Sie ist genervt von allem um sie herum, vor allem vom affigen Gehabe der Typen, kennt aber noch keine Alternative. Aber eigentlich spielen sie alle Rollen von gestern, eifern überkommenen Vorbildern nach und steuern geradewegs auf das Nichts zu. Die Männer sind in der besseren Situation, weil für sie die Position der Macher vorgesehen ist, aber das hindert sie eben auch daran, etwas zu ändern. Sie steuern sehenden Blickes in die Katastrophe, mit der der Film endet, unfähig, den Rückwärtsgang einzulegen oder auch nur das Steuer herumzureißen.

Rüdiger Nüchtern drehte noch einen anderen Jugendfilm, den in Bayern wohl relativ gut beleumundeten SCHLUCHTENFLITZER, dessen Trailer wir im Vorprogramm von NACHT DER WÖLFE bewundern durften. Auch der sah sehr interessant aus. Um nicht zu sagen: „dufte“.

 

Richard Linklaters DAZED AND CONFUSED ist einer meiner All-Time Faves und jetzt endlich auch in einer angemessenen HD-Version in Deutschland erhältlich. Ich habe auf diesen Seiten bereits über den Film geschrieben, aber habe das anlässlich der Veröffentlichung gern noch einmal getan. Wer das schöne, üppig ausgestattete Mediabook von Koch Media kauft – und wer das nicht tut, sollte definitiv seine Entscheidungen überdenken – darf also auch mein Booklet dazu lesen. Ihr wisst, was zu tun ist. Alles klar? Alright, alright, alright!

Die Neuverfilmung von Stephen Kings Roman „It“ – nach der TV-Miniserie von Tommy Lee Wallace aus dem Jahr 1990 – ist eine Erfolgsgeschichte: Weltweit 700 Millionen Dollar eingespielt bei einem heute geradezu lächerlich anmutenden Budget von 35 Millionen, erfolgreichster R-Rated-Horrorfilm aller Zeiten (nicht inflationsbereinigt), erfolgreichster Horrorfilm aller Zeiten, unzählige Nominierungen und Awards, Kritikerlob und und und. In wenigen Wochen startet die Fortsetzung, die angesichts dieses Erfolges natürlich niemanden überrascht, die aber angeblich bereits vorab geplant war, um Kings epischer Vorlage gerecht zu werden: IT adaptiert lediglich die erste Hälfte des Romans, das Sequel wird sich der zweiten annehmen. Ich war ja mehr als skeptisch: Wenn ein Film diese breite Zuneigung erfährt, dann spricht das ja nicht unbedingt dafür, dass er sein Publikum besonders gefordert hat, eher dafür, dass er sauberes Mittelmaß abliefert, mit dem sich jeder anfreunden kann. Und natürlich hatte ich Recht mit dieser Einschätzung. Aber Mittelmaß heißt auch: IT hätte deutlich schlechter ausfallen können.

Muschietti unterzieht Kings Geschichte erst einmal einer sanften Modernisierung: Statt in den späten Fünfzigerjahren sind die Ereignisse nun in den Achtzigern angesiedelt, um die Zielgruppe einzufangen, die sich an die Eighties zumindest noch vage erinnern kann, während in den Sixties noch nicht einmal ihre Eltern lebten. Da fangen die kleineren Problemchen aber schon an, denn mal abgesehen von eingestreuten Signifiern wie diversen Achtzigersongs auf dem Soundtrack (u. a. „Antisocial“ von Anthrax, „Hangin‘ Tough“ von den New Kids on the Block, „Bust a Move“ von Young MC oder „Six Different Ways“ von The Cure), T-Shirt-Aufdrucken („Airwolf“), Kino-Marquees (BATMAN, LETHAL WEAPON, A NIGHTMARE ON ELM STREET 5), Postern oder Vokuhila-Fisuren könnte IT auch in den Neunzigern, den Nullerjahren oder in diesem Jahrzehnt spielen: Muschietti bemüht einen Einheitslook, den heutzutage nahezu alle Filme aufweisen, betrachtet „sein“ Jahrzehnt als bloß kosmetisches Element, ohne verstanden oder sich auch nur dafür zu interessiert zu haben, wodurch sich die Achtzigerjahre von anderen Epochen eigentlich unterschieden. Teile der Geschichte – etwa der Spießrutenlauf, den der Afroamerikaner Mike (Chosen Jacobs) mitmachen muss – lassen zudem deutlich erkennen, dass da Elemente des Romans ohne jede Modifizierung einfach aus ihrem ursprünglichen Kontext in einen neuen hinübergeholt wurden. Diese Vereinfachung scheint mir – ich habe Kings Roman nie gelesen – charakteristisch für den ganzen Film zu sein, der die Komplexität der Vorlage weitestgehend zugunsten (vor allem gegenüber der produktionstechnisch deutlich bescheideneren TV-Adaption) markig ausgeschmückter Effekt- und Horrorszenen um den Monsterclown Pennywise und die verschiedenen Manifestationen des Bösen reduziert.

Gerade der familiäre Background der sieben jugendlichen Protagonisten Bill (Jaeden Martell), Ben (Jeremy Ray Taylor), Beverly (Sophia Lillis), Richie (Finn Wolfhard), Mike, Eddie (Jack Dylan Grazer) und Stanley (Wyatt Oleff), dem im Roman eine bedeutende Rolle zukam, wird hier eher stiefmütterlich abgehandelt und bis auf wenige Ausnahmen auf gängige Tropes heruntergekürzt: Bill stottert und hat seinen kleinen Bruder an das Böse verloren, Ben ist dick und außerdem der Neue, Beverly wird von ihrem Vater missbraucht oder zumindest angemacht, Mike ist ein Waisenjunge und Eddie wird von der überprotektiven Mutter mit Placebos gefüttert, damit er in dem Glauben aufwächst, krank zu sein, Stanley ist der Sohn eines Rabbis, über Richies Elternhaus erfährt man gar nichts. Auch der Heimatort der Kids wird nie wirklich lebendig: Die Stadt wächst nie über den Status einer Kulisse hinaus, die in ihrer aseptischen Sauberkeit übrigens verdammt gegenwärtig aussieht, ganz anders als in Kings Romanen, in denen er ganze Soziotope und Mikrokosmen vor dem Auge des Lesers entwirft. Dem langsamen Aufbau, der detailversessenen Zeichnung jeder noch so unbedeutenden Nebenfigur, dem feinen Herausarbeiten von Atmosphäre und Stimmung, die für seine Bücher charakteristisch sind, setzt Muschietti einen rasanten Reigen von zwar actionreichen, aber leider auch nur wenig unheimlichen Set Pieces entgegen. Er baut dabei vor allem auf die Präsenz des Clowns Pennywise (Bill Skarsgård) , den die Produzenten offensichtlich als das Zugpferd des Films erachteten: Er bekommt fast mehr Screentime als die Protagonisten und so gut die Make-up- und Spezialeffekte um ihn auch gelungen sind, so schnell hat man sich an ihm sattgesehen.

Das ist ein bisschen symptomatisch für den ganzen Film, der sehr offenkundig auf gute Konsumierbarkeit hin produziert wurde und das mit einem Mangel an Identität, Atmosphäre und verstörendem Potenzial bezahlt, also genau mit jenen Eigenschaften, die beim Horrorfilm die bloß nett unterhaltende Spreu vom nachhaltig schockierenden Weizen trennen. IT ist aber keineswegs schlecht: Hervorzuheben sind die Jungdarsteller, denen es fast mühelos gelingt, die Sympathien auf ihre Seite zu ziehen und die gut miteinander harmonieren. Auch das ein oder andere starke Bild bleibt hängen, etwa das in blutrotes Licht getauchte, blutverschmierte Badezimmer Beverlys, vielleicht die beste Szene des ganzen Films. Und langweilig ist IT zu keiner Sekunde – wenngleich auch nicht gerade wahnsinnig überraschend. Die Wendepunkte des Plots sind allesamt Standardware, nie hält sich Muschietti auf dem Weg zum nächsten saftigen Effekt zu lang mit irgendwelchen Subtilitäten auf, manche Details, etwa der wie ein aus einem vorherigen Draft übrig gebliebene Fragment wirkende menschliche Gegenspieler Henry (Nicholas Hamilton), erfüllen ganz offensichtlich keine andere Funktion als jene, sich dem Buch gegenüber nichts zu Schulden kommen zu lassen. Das ist nett wie der ganze Film, aber Nettigkeit ist nicht unbedingt die Eigenschaft, auf die es bei einem Horrorfilm ankommt.

Ein Film namens FOXES, der sich um das Coming of Age von vier Highschool-Mädels dreht, inszeniert von Adrian Lyne: Da schrillen gleich alle Alarmglocken. Die von Lyne in schwül-steriler Videoclip-Optik inszenierten 9 1/2 WEEKS, FLASHDANCE und LOLITA haben den Ruf, vor allem den Voyeurismus lüsterner Herren zu bedienen und Frauen als makellose Objekte der Begierde zu stilisieren. Als völlig haltlos abzuschmettern ist der Vorwurf definitiv nicht und für FOXES, Lynes Debütfilm, lässt das Schlimmes befürchten, was sich dann aber nicht bewahrheitet. Im Gegenteil ist FOXES zurückhaltend, ehrlich, sensibel und empathisch und überhaupt nicht daran interessiert, seine jugendlichen Darstellerinnen zur Schau zu stellen. Die eröffnenden Bilder, die die Mädchen im Schlaf kurz vor dem Aufwachen zeigen und Detailaufnahmen ihrer bekleideten Körper zeigen, sind der einzige Moment, in dem man Lyne des Voyeurismus beschuldigen könnte, ansonsten bleibt FOXES angenehm zurückhalten, verhandelt das alles bestimmende Thema „Sex“ eher auf er Dialogebene statt in ausgebreiteten Erotikszenen.

„Jeanies Clique“, so der deutsche Verleihtitel, besteht aus Jeanie (Jodie Foster), die mit ihrer Mutter (Sarah Kellerman) allein lebt, seit die sich von ihrem Mann, einem englischen Musikproduzenten, getrennt hat. Nun wirft sie sich verzweifelt jedem Kerl an den Hals, um die Einsamkeit zu dämpfen, und holt ihr Studium nach. Jeanie ist meistens allein und hat trotz ihres Alters von 15 eine oberflächliche Reife erreicht, die sie zum Mittelpunkt ihres kleinen Freundeskreises macht. Insgeheim träumt sie von einer großen Loftwohnung, in der die vier Mädchen dann zusammenwohnen. Zu diesem gehöre außerdem Madge (Marilyn Kagan), das Mauerblümchen der vier, dass dann aber alle mit der Offenbarung überrascht, einen Verlobten zu haben (Randy Quaid), der die 30 schon hinter sich hat. Deirdre (Kandice Stroh) ist immer auf Beutezug, setzt gern ihre Reize ein und fühlt sich als die erwachsenste ihrer Clique, was sie in dramatisch inszenierten Nervenzusammenbrüchen zum Anlass nimmt, sich tränenreich über ihrer Verantwortung zu beklagen. Und dann ist da Annie (Cherie Curry), deren private Probleme – ein gewalttätiger Polizisten-Vater, eine sich in ihre Opferrolle ergebende Mutter und eine ausgeprägte Drogensucht – die Gruppe insgeheim zusammenhalten.

FOXES dreht sich im Wesentlichen um die Gespräche der Mädchen, die ihre Probleme, Träume und natürlich Jungs diskutieren. Noch im Highschool-Aalter, möchten sie eigentlich gern schon erwachsen sein, eine eigene, schick eingerichtete Wohnung haben, Parties feiern und sich von einem erfolgreichen Mann aushalten lassen. Sie halten sich für reif, doch ihr Blick auf das Leben weist sie als Kinder aus, deren Eltern es versäumt haben, ihnen einen Kompass an die Hand zu geben. Am deutlichsten zeigt sich das natürlich an Annie, die manchmal für Tage einfach in den Straßen Hollywoods verschwindet, sich mit merkwürdigem Volk einlässt und schon mit 15 im Eiltempo auf ihre Ende zurast. Das kaum weniger deprimierende Gegenstück bildet Madge, die am Ende den über 15 Jahre älteren Mann heiratet, um wiedergutzumachen, dass sie dessen Haus bei einer aus dem Ruder gelaufenen Party total verwüstet hat. Dazwischen taucht immer wieder der nette Brad (Scott Baio) auf, der eigentlich genau in ihrem Alter ist, von ihnen aber als „Kind“ bemitleide und abgelehnt wird. In einer rührenden Szene fragt er Annie auf der Rückfahrt aus der Disco, ob sie mit ihm schlafen wolle. Als sie lachend verneint, fragt er daraufhin nacheinander die anderen drei, von diesen ebenfalls nur albernes Kichern erntend.

FOXES war bei meiner Sichtung möglicherweise der richtige Film zur falschen Zeit – vielleicht ist er aber auch einfach nicht besonders zwingend: Er ist eigentlich recht schön, zeigt schon Lynes visuelles Gespür, ist aber noch nicht so gestreamlined wie seine späteren Kassenschlager – statt der Achtziger dominieren hier noch die Seventies -, aber er mäandert so etwas schwermütig dahin. Eigentlich ist es ja schön, dass er seine Protagonistinnen nicht den Zwängen eines Plots unterwirft, aber über weite Strecken wusste ich als Betrachter einfach nicht, wo das alles hinführen soll. Vielleicht sind mir diese Mädchen auch einfach zu fremd. Mike McPadden schreit in „Teen Movie Hell“ sehr richtig: „FOXES is the SEX AND THE CITY prequel for a generation of women who each love their girl gang, but always feel alne, and still live for a horse ranch fantasy dished out by an absentee  rock star dad who strokes his daughter’s hair, tries to pay her off with clothes-shopping money and tells her mom is doing her best.“ 

Die drei Darstellerinnen neben Jodie Foster, die hier alle als „Entdeckungen“ eingeführt wurden – die umwerfende Cherie Curry spielte vorher mit Joan Jett und Lita Ford in der Girlband The Runaways – traten danach nur noch sporadisch in Erscheinung, für eine Schauspielkarriere reichte es dann doch nicht. Wie Annie, Madge und Deirdre wurden sie von Hollywood geschluckt.

Ein wunderschöner Sommerfilm: Jeffrey Willis (Matt Dillon), Sohn einer einfachen Brooklyner Arbeiterfamilie, wird in den mittleren Sechzigerjahren von seinen Freunden (Fisher Stevens, Brian McNamara und Bronson Pinchot) im vornehmen Beachclub „El Flamingo“ eingeführt, wo die Kumpels ein erfolgversprechendes Kartenspiel-Geschäft ausgemacht haben. Durch Zufall ergattert Jeffrey dort einen Job als Einparkhilfe, über den er wiederum den wohlhabenden Geschäftsmann Phil Brody (Richard Crenna) kennenlernt, selbst ein mit allen Wassern gewaschener Zocker und bekannt wie ein bunter Hund im Club. Brody hat nicht nur eine überaus attraktive Nichte (Janet Jones), er findet auch Gefallen an dem vielseitig begabten Jungen und verspricht ihm eine große Karriere als Autoverkäufer unter seiner Ägide. Jeffreys Vater Arthur (Hector Elizondo), der sich wünscht, dass sein Sohn aufs College geht, ist von den neuen Plänen des Sohnes verständlicherweise alles andere als begeistert.

THE FLAMINGO KID erzählt eine bekannte Geschichte ohne die ganz großen Überraschungen, aber dafür mit jener Leichtfüßigkeit und Empathie, die ein Sommer- bw. ein Coming-of-Age-Film eben braucht. THE FLAMINGO KID atmet die aufgeheizte Meeresluft eines Sommerurlaubs und suggeriert die endlosen Möglichkeiten, die einem jungen Mann angesichts der vor ihm liegenden Ungewissheit der Adoleszenz den Kopf verdrehen können. Unterstützt von Sixties-Evergreens schreitet THE FLAMINGO KID scheinbar entspannt und verträumt, tatsächlich aber mit großer Zielstrebigkeit voran. Als Zuschauer identifiziert man sich mühelos mit dem sympathischen Helden, dem alles Glück der Welt in den Schoß zu fallen scheint. Man gönnt ihm den Erfolg, weil er bescheiden und charmant ist, und dann, wenn man merkt, dass er sich auf dem Holzweg befindet, wünscht man ihm das rechtzeitige Erwachen. Tagträume und Irrwege gehören schließlich dazu zum Erwachsenwerden und Marshall zeigt sie in all ihrer verlockenden Verführungskraft.

Das Herz des Films ist Matt Dillon, der hier noch einmal daran erinnert, warum er in den frühen Achtzigerjahren einer der viel versprechendsten Jungdarsteller war und wen Hollywood da eigentlich aufgrund einer Reihe von falschen Karriereentscheidungen für die ganz großen Rollen verlor. Als Jeffrey zeigt er all die Unsicherheit eines Jungen einfacher Herkunft im Angesicht von Reichtum und Erfolg, das unwiderstehliche Selbstvertrauen, das daraus erwächst, wenn einem Respekt entgegengebracht wird, und schließlich die Arglosgkeit des Heranwachsenden, der immer nur im Moment lebt. Ihm gegenüber steht Hector Elizondo als besorgter, aber auch strenger Vater: Der Darsteller ist heute leider auf langweilige TV-Autoritätsrollen abonniert, hier entfacht er im Zusammenspiel mit Dillon Augenblicke großer Wahrheit, die aber ganz ohne disneyeskes Pathos auskommen. Arthur durchschaut den schleimigen Brody sofort, aber er weiß, dass er seinen Sohn nicht länger bevormunden kann, dass dieser seine Lektion selbst lernen muss, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als auf dessen Intelligenz zu hoffen. Der Augenblick ihrer Versöhnung ist grandios und hat mich tatsächlich sehr berührt. Als mephistophelischer Verführer hat Richard Crenna, am besten bekannt als Rambos Ausbilder Colonel Trautman, den wahrscheinlich saftigsten Part des Films abbekommen und er genießt sichtlich die Gelegenheit, schauspielerisch aufdrehen zu dürfen. Sehr typisch für Marshalls Film: Auch dieser Brody ist nicht nur Schuft, im Gegenteil. Seine Zuneigung zu Jeffrey, der Wunsch, einen Zögling heranzuziehen, fußt nicht zuletzt auf dem Bedürfnis, bewundert zu werden. Es ist der weiche Kern, die Achillesferse dieses Mannes, der von sich das Bild des souveränen Strippenziehers malt. Als Jeffrey ihm am Ende die Loyalität entzieht, zerbricht für Brody eine Welt. Der einzige Schönheitsfehler, den sich THE FLAMINGO KID erlaubt, ist die Beziehung des Protagonisten zur farb- und eigenschaftlos bleibenden Carla. Als die ihm vor dem Ende der Ferien offenbart, dass sie die Zeit mit ihm nie vergessen werde, fragt man sich unwillkürlich warum: Sie fungiert bestenfalls als weibliche Chiffre, als idealisiertes Dream Girl, aber niemals als echter Charakter und Marshall bemüht sich gar nicht erst darum, mehr aus dieser Beziehung zu machen, als einen folgenlosen Urlaubsflirt, der schnell vergessen sein wird.

 

„Where were you in ’62?“ Die Marketing-Abteilung, die die Tagline erdachte, mit der Lucas‘ AMERICAN GRAFFITI beworben wurde, hatte genau erkannt, wer das Publikum des Films war. Die Baby Boomer, die zehn Jahre zuvor in die Adoleszenz eingetreten waren, strömten in Scharen in die Kinos, um ihre nostalgisch verklärte Jugend in Überlebensgröße auf der Leinwand zu sehen, noch einmal die Hits von einst zu hören und sich insgeheim zu versichern, dass sie sich gar nicht verändert hatten.

AMERICAN GRAFFITI geriet so nicht nur zu einem Riesenhit seiner Kinosaison, er legte auch das Fundament, auf dem andere Produzenten und Filmemacher aufbauen konnten. Das Fifties- und Sixties-Revival, das Lucas lostrat, erwies sich bis in die späten Achtzigerjahre als zugkräftiger Background und brachte solche unterschiedlichen Filme hervor wie etwa ESKIMO LIMON und seine Sequels, THE WANDERERS, STAND BY ME, NATIONAL LAMPOON’S ANIMAL HOUSE, DIRTY DANCING, THE FLAMINGO KID, THE OUTSIDERS oder LA BAMBA sowie Serien wie THE WONDER YEARS, um nur mal einige ganz spontan zu nennen. Darüber hinaus konturierte er die Typen, die den seinem Vorbild folgenden Teeniefilm im Wesentlichen bevölkern würden: Die „wholesome American boys“ (Ron Howard und Richard Dreyfuss), den Nerd (Charles Martin Smith) und die Rebellen (Paul LeMat und Harrison Ford), das brave Mädchen von nebenan, mit dem man seinen Lebensabend verbringen will sowie die blonde bombshell aus den eigenen feuchten Träumen. Interessant außerdem, dass der Teeniefilm-cycle 20 Jahre später mit Richard Linklaters DAZED AND CONFUSED geschlossen wurde, der sich für seinen Blick auf den letzten Schultag des Jahres 1976 deutlichst von Lucas‘ Film inspirieren ließ: Beide Filme spielen an einem einzigen Tag und folgen einer begrenzten Gruppe von Protagonisten, die sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, was sie mit ihrem Erwachsenenleben anfangen wollen. Aber Linklaters Film ist in seinem Ton noch konversationeller: Er weiß, dass seine Protagonisten in ihrem Leben kein großes Drama zu bewältigen haben werden. In AMERICAN GRAFFITI schwebt hingegen der Vietnamkrieg über dem Film, der zwar nicht direkt thematisiert, aber trotzdem einem seiner „Helden“ das Leben kosten wird – wie der Betrachter am Ende über eine Schrifteinblendung erfährt.

Die Nostalgie von AMERICAN GRAFFITI hinterlässt demnach einen bittersüßen Nachgeschmack – und das in zweierlei Hinsicht. Zunächst einmal fängt Lucas die Stimmung in der kalifornischen Kleinstadt Modesto gemeinsam mit seinem DoPs Jan D’Alquen und Ron Eveslage in wunderschönen, aufgeladenen Bildern ein, die alles mit einem seidenen Glanz überziehen. Wichtigste Handlungsorte sind Autos und Drive-ins, die mit ihren eleganten Formen, Farben und Lichtern das Traumgleiche der Handlung betonen. Curt (Richard Dreyfuss) und Steve (Ron Howard), die am nächsten Tag gemeinsam aufs College gehen wollen, treffen sich für einen letzten Abend an alter Wirkungsstätte mit dem nerdigen Terry (Charles Martin Smith), der endlich seine Jungfräulichkeit verlieren will, und dem gutherzigen badass John (Paul LeMat), der für sein ungeschlagenes Rennauto stadtbekannt ist. Während Curt ob des bevorstehenden Einschnitts kalte Füße bekommt und zweifelt, ob er wirklich von zu Hause weggehen will, probt Steve mit seiner Freundin Laurie (Cindy Williams) die Trennung. Terry findet in der Blondine Debbie (Candy Clarke) das unerwartete Liebesglück und John in dem draufgängerischen Fremden Bob Falfa (Harrison Ford) einen ebenbürtigen Rivalen. Lucas widmet sich diesen parallel laufenden, sich dann und wann überkreuzenden Plotlines, in einer Reihe von Episödchen, die sich allesamt durch ihre Alltäglichkeit auszeichnen. Erst am Schluss bekommen diese Geschichten einen größere Dimension: in der Begegnung Curts mit dem mysteriösen Radiomoderator (Wolfman Jack), der für ihn das Telefonat mit einer nicht minder mysteriösen Bewunderin initiiert, im spektakulären Unfall, der das Rennen zwischen John und Falfa beendet. Am Ende haben alle etwas gelernt und Entscheidungen für ihre Zukunft getroffen.

Dieser saubere Abschluss ist für meinen Geschmack die gravierende Schwäche des Films: Hier zeigt sich Lucas einer sehr traditionellen Erzählhaltung verpflichtet, die dem losen, lockeren, ziellosen Mäandern, das AMERICAN GRAFFITI bis dahin charakterisiert (und das den stärksten Eindruck hinterlässt), entgegensteht. Die angesprochenen Texteinblendungen, die den beiden langweiligsten Charakteren des Films – Curt und Steve – eine bürgerliche Mittelstandskarriere andichten, während sie lapidar den Tod der beiden „Loser“ verkünden, haben den Ruch eines faulen Tricks. Offensichtlich hatte Lucas sich weder getraut, seinen Film in der völligen Offenheit enden, noch seine Charaktere onscreen sterben zu lassen. Linklater ließ sein „Update“ in den Neunzigern sehr viel überzeugender in die Ungewissheit und auch in einen ungeschönten, aber dennoch zuversichtlichen Optimismus auslaufen. Das Leben ist kein Roman, das mit einer mundgerecht geformten Moral endet. Es besteht aus bits & pieces, die für sich genommen nichts bedeuten, nur durch den individuellen Blick darauf mit Bedeutung aufgeladen werden. Wenn man AMERICAN GRAFFITI heute sieht, ein Film, der wie oben kurz skizziert, seine Spuren in der Filmgeschichte hinterlassen hat und einige Meisterschaft, sowohl in der Bildgestaltung, aber auch im Erzählrhythmus und in seiner Pointierung zeigt, versteht man aber auch, warum die Revolution der „movie brats“, zu denen ja auch Lucas gehörte, letztlich vor allem eine Revision wurde. Als nächstes kam STAR WARS und die Überraschung über die Hinwendung des Filmemachers zu Märchen und Archetypen durfte nur jenen Filmseher überraschen, der die letzten zehn Minuten von AMERICAN GRAFFITI verschlafen hatte.

 

 

 

Erstsichtung – und was für eine! Keine Ahnung, warum ich erst jetzt auf RISKY BUSINESS aufmerksam geworden bin. Ich wusste von seiner Existenz, kannte natürlich die ikonische Tanzszene mit Tom Cruise in Unterhose, aber hatte darüber hinaus wirklich keine Ahnung, worum es geht und wie großartig böse dieser Film ist. Der Eintrag im Buch „Teen Movie Hell“ (sorry, das spielt derzeit einfach eine ziemlich große Rolle in meinem Leben) machte mir klar, dass ich RISKY BUSINESS dringend nachholen muss und die Sichtung hat mich dann auch kein Stück enttäuscht. Paul Brickman hat hier eine pechschwarze Abrechnung mit Yuppietum und Kapitalismus vorgelegt und das zu einem Zeitpunkt, als die Achtzigerjahre eigentlich noch in den Kinderschuhen steckten. Anscheinend ahnte er, dass er diese Leistung nicht mehr würde tappen können: Erst sieben Jahre später, nämlich 1990, erschien sein Zweitlingswerk MEN DON’T LEAVE, der bis heute sein letzter Spielfilm bleiben sollte.

RISKY BUSINESS beginnt zunächst einmal wie deine typische Teeniekomödie, mit einem an der Schwelle zum Erwachsenwerden stehenden Jungmann, der keine größere Sorge hat, als endlich seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Der Verlauf ist prototypisch: Seine Kumpels (u. a. Curtis Armstrong und Bronson Pinchot) sticheln und stacheln ihn an, endlich Nägel mit Köpfen zu machen, verkuppeln ihn dann, als seine strengen reichen Eltern für ein paar Tage weg sind, mit einer Prostituierten, die sich als Mann in Frauenkleidern entpuppt, ihm aber immerhin den Kontakt zu der heißen Lana (Rebecca de Mornay) zusteckt. Bei der stößt sich Joel dann zwar die Hörner ab, doch damit beginnt erst der Ärger. Und für den Zuschauer eine ziemliche Achterbahnfahrt voller unerwarteter Wendungen. Am Ende ist Joel tatsächlich erwachsen geworden: Er hat alle sich vor ihm auftürmenden Herausforderungen gemeistert, er ist nicht von den Eltern erwischt, dafür aber vom Prestige-College Princeton aufgenommen worden, für seine „Unternehmertalente“, die er sich mit welcher Tätigkeit erworben hat? Richtig, als Zuhälter.

Ich schätze mal, dass RISKY BUSINESS von seinem Publikum damals weitestgehend unkritisch rezipiert wurde, gewissermaßen als filmische Erfüllung der eigenen unerfüllten Jugend- bzw. Jungs-Fantasien: Protagonist Joel steigt vom Waschlappen zum Entrepreneur mit superscharfer Freundin auf, darf unwiderstehlich cool über den Rand der Ray-Ban grinsen und die Geldscheine zählen, vor allem aber den erwachsenen Spießern den virtuellen Stinkefinger zeigen und wird dafür dann sogar noch gefeiert. Kein Zweifel: Dieser Joel hat es voll drauf und wird von Tom Cruise zu Beginn seiner Jahrhundertkarriere geradezu perfekt verkörpert. Hätte es Cruise nicht gegeben, man hätte ihn für RISKY BUSINESS erfinden müssen, denn er geht mit seinem Filmcharakter eine untrennbare Symbiose ein. Den Wandel vom Kind, das nicht viel hat, außer diesem Gewinnerlächeln, und in Socken und Unterhosen zu Bob Segers Republikanerrock über Parkett rutscht, zum selbstbewussten Schnösel ohne Skrupel bewältigt Cruise jedenfalls mit genau jener eiskalten Professionalität, die ihn seit über 30 Jahren zum alterslosen Kassenmagneten macht. RISKY BUSINESS erzählt auch von einer Art faustischem Pakt, nur dass es hier keines Mephistopheles mehr bedarf: Sex und Geld regieren, letzteres hilft erheblich dabei, ersteres zu bekommen, und ersteres kann dazu eingesetzt werden, letzteres zu vermehren, ein ewiger Kreislauf, der sich immer schneller dreht und immer geiler macht. Die Welt in Brickmans Film ist geradezu beängstigend einseitig, kalt und oberflächlich, aber niemand ist in der Lage oder auch nur bereit, sich in Distanz zu ihr zu positionieren. Alle machen sie mit, sogar der Hüter der vermeintlich intellektuellen Sphäre: Man meint, Princeton knallt die Pforten zu, als der Abgesandte Joel in seinem zum Luxusbordell umfunktionierten Elternhaus besucht, aber der nutzt die sich bietende Gelegenheit und dankt Joel die Dienstleistung auf exakt jene Weise, mit der auch Politiker an ihre Pöstchen kommen. Eine Hand wäscht die andere, scheiß was auf die Moral. Geld stinkt nicht und die Nutten sind auch alle frisch gewaschen, aus dem oberen Regalbrett sozusagen.

Die Achtziger sind lange her, die Mode hat sich weiter- und dann wieder zurückentwickelt, die Kokainpreise sind gestiegen und haben den Siegeszug anderer Designerdrogen begünstigt. Die Börsenkurse haben den ein oder anderen Crash hingelegt und sich wieder erholt. Nur Bob Sieger hört hoffentlich kein Schwein mehr. Trotzdem ist es ziemlich gruselig, wenn man sieht, dass sich an der in RISKY BUSINESS bloßgelegten neoliberal-kapitalistischen Denke eigentlich nichts geändert hat. Letzten Endes wollen wir alle ein geiles Leben, ein geiles Leben kostet Geld und mit „ehrlicher“ Arbeit und Prinzipientreue ist das halt nicht zu bekommen. Oder es ist zu anstrengend und dauert zu lang. Also schmeißt man alles über Bord und freut sich, wenn die Rechnung aufgeht. Mit dem Stapel Geldscheine in der Tasche ist man plötzlich wer, auch wenn die Nutten die ganze Arbeit gemacht haben. Man weiß genau, wohin Joels Weg führen wird: In ein topmodernes Büro in der oberen Etage eines Wolkenkratzers, wo er den ganzen Tag am Telefon hängt, virtuelle Geldbeträge von A nach B verschiebt, sich von der Sekretärin unter dem Schreibtisch einen blasen lässt und auf der Marmorplatte des Manager-WCs eine Line zieht, nachdem er das in der Mittagspause mit den Großkotzkollegen eingenommene Angeberessen ausgeschissen hat. Das eigentlich Schlimme: Genau wie seine Kumpels weiß er natürlich, dass das alles eigentlich nicht funktionieren dürfte und sollte, er hasst diese Oberflächlichkeit und die Tatsache, dass er alles aufgegeben hat, aber er fügt sich. „What the fuck?“ eben. Nicht zu viele Gedanken machen.

RISKY BUSINESS ist ein richtig geiler Film, nicht nur für Eighties-Fetischisten, aber für die natürlich ganz besonders. Nächtliche Autofahrten, Tangerine Dream, dieses kaum wahrnehmbare Augenblinzeln hinter dem Glas der Sonnenbrille. Heißkalt, wie Fieber im Hochsommer.