Mit ‘Dietrich Haugk’ getaggte Beiträge

Episode 237: Nachtgebete (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Ulrike Berger (Monika Baumgartner), Angestellte im Nachtclub der Ganoven Cottbus (Robert Jarczyk) und Sacko (Hanno Pöschl), wird ermordet, weil sie „auspacken“ will. Vorher benennt sie den Kunsthistoriker Dr. Roth (Gerd Anthoff) als leiblichen Vater ihrer jugendlichen Tochter Marianne (Joschka Lämmert). Roth ist erstaunt: Zwar hat er die Berger bei einem Kuraufenthalt kennengelernt und sich mit ihr angeregt unterhalten, aber sonst war da nichts. Bei einem Treffen mit Marianne erlebt er, wie Cottbus und sein Schläger versuchen, das Mädchen aus der Wohnung zu prügeln. Er schaltet die Polizei ein und nimmt die Vormundschaft an. Doch damit zieht er den Zorn der Verbrecher auf sich …

So langsam erinnern die Serie und Derricks Funktion darin an den Michael-Landon-Heuler EIN ENGEL AUF ERDEN. Und zur angemessenen Bewertung müsste ich eigentlich ein neues Kriterium einführen: Als Krimiepisode versagt NACHTGEBETE auf ganzer Linie, es gibt auch keine inszenatorischen oder schauspielerischen Glanzlichter oder Kunststückchen zu bestaunen, stattdessen regiert die zu dieser Zeit typische Biederkeit. Dennoch geht von der Folge eine enorme Faszination aus: Es ist schon erstaunlich, auf welche dramaturgischen Irrwege sich Reinecker begibt, um seine Weltanschauung und Moralphilosophie unters Volk zu bringen. Er diagnostiziert einen Zustand allgemeiner „Gleichgültigkeit“ gegenüber dem nächsten, der sich dem Drehbuch zufolge auch in der Weigerung des Dr. Roth widerspiegelt, die Vaterschaft für ein ihm völlig unbekanntes Mädchen von einer flüchtigen Bekanntschaft unterjubeln zu lassen. Aber er wird von Engel Derrick ja dann doch auf den Pfad der Tugend geführt: In einer nur als bizarr zu bezeichnenden Wendung, nimmt der Historiker (der noch mit seine Mama zusammenwohnt) Marianne bei sich auf wie ein Heiliger, führt sie in sein Haus und konstatiert: „Hier wohnst du jetzt.“ Warum? Weil das langweilige Spießerleben zwischen ledergebundenen Wälzern die Nachtclubangestellte – wer bezahlt eigentlich deren Kur? – so nachhaltig beeindruckt hat, dass sie es als Zukunft für ihre Tochter herbeivisioniert, wissend, dass sie bald den ihren letzten Atem aushauchen wird. Die letzten fünf Minuten, in denen Dr. Roth und seine Familie im dunklen Haus das Auftauchen der Killer erwarten, sind sogar ganz spannend, beim Rest kann man nur den Kopf schütteln. Dafür gibt es aber eine der überzeugenderen Disco-Szenen in der an solchen nicht gerade reichen Serie und Hanno Pöschl, der mit weiß geschminktem Gesicht und rotem Pagen-Jackett Frauen versteigert.

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Episode 238: Abendessen mit Bruno (Alfred Weidemann, Deutschland 1994)

Die Unternehmer Mandy (Wolf Roth) und Martin Sasse (Sebastian Koch) haben ein Problem: Sie werden von ihrem Angestellten Simon (Thomas Schücke) erpresst: Dafür, dass er ihnen belastendes Material überlässt, will er Teilhaberschaft im Unternehmen. Es kommt zur Auseinandersetzung, bei der Sasse den Emporkömmling erschlägt. Den Mord schieben die Sasses – der Vater (Ernst Jacobi) und Martins Schwester Ingrid (Sosa Macdonald) – ihrem geistig behinderten Bruder Bruno (Phillip Moog) in die Schuhe. Derrick glaubt aber nicht an dessen Schuld und entlässt den jungen Mann zurück in die Obhut der Verräter …

Nach dem KAFFEE MIT BEATE nun also das ABENDESSEN MIT BRUNO. Mehr als an den Whodunit aus den Siebzigerjahren erinnert die Folge aber an eine andere und Reinecker macht sich noch nicht einmal die Mühe, das Vorbild zu Verschleiern: Einen geistig Behinderten namens Bruno gab es bereits schon einmal bei DERRICK und auch damals wollte dessen feine Familie ihm den Mord des Bruders in die Schuhe schieben, weil er sich nicht wehren konnte: Die Rede ist von ANSCHLAG AUF BRUNO von 1979, in der Dieter Schidor die Rolle des wehrlosen Tropfes übernahm. Wer DERRICK seit den Anfängen verfolgt, weiß bereits, dass die Serie in der Darstellung von psychischen Erkrankungen die Grenze zur Fantasy mitunter lustvoll überschreitet. Das ist auch hier so: Moog, der seine Popperfrisur gegen einen einem Behinderten offensichtlich angemesseneren Dreidollarhaarschnitt, die Barbour-Jacke gegen einen beigefarbenen Opablouson eingetauscht hat, interpretiert den Bruno als dumpf ins Leere starrenden, schweigenden Forrest Gump mit Teddybär. Seine Erkrankung bestehe darin, erklärt der Arzt (der ihn aus seiner Obhut entlässt, weil er seine Klinik schließen will, um sich anderen Dingen zu widmen!), dass Bruno „alles auf einmal“ wisse und verstehe. Möglicherweise sei er damit ja sogar gesünder als die vermeintlich „Normalen“. Der Kniff Derricks, den vermeintlichen Mörder zu entlassen, um so den Druck auf die von Schuldgefühlen geplagten Sasses zu erhöhen, ist ebenfalls alt: Das gab es schon einmal in der KOMMISSAR-Episode DREI BRÜDER von 1974. Weil Reinecker damals aber noch Krimis schrieb statt moralphilosophisch verquaste Kammerspiele, wurde die Kapitulation der Täter da glaubwürdig herbeigeführt. Hier verliert der Mörder schon am ersten Abend beim Anblick seines Bruders die Nerven und versteigt sich in eine peinliche Zornrede. Wie schon oben konstatiert: Als Krimi zum Vergessen, als Blick in die Reinecker’sche Gedankenwelt faszinierend.

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Episode 239: Katze ohne Ohren (Horst Tappert, Deutschland 1995)

Als Karina (Svenja Pages), die Freundin des Drogenhändlers Manfred Mauser (Peter Kremer) im Fernsehen ein Interview mit dem Physiker Kostiz (Karlheinz Hackt) hört, in dem dieser die Jugend dazu ermahnt, die drängenden Aufgaben zur Verbesserung der Erde anzugehen, verlässt sie ihren Partner. Wenig später wird er in seiner Tiefgarage erschossen.

Der Titel klingt wie ein frühes Draft einer Til-Schweiger-Erfolgskomödie, bezieht sich aber auf den Vortrag des Wissenschaftlers: In Südafrika habe er eine Frau gesehen, die eine Katze fütterte, der das Ozonloch die Ohren „weggebrannt“ habe. Das Bild hat den Mann so erschüttert, dass er darüber seinen Wissenschaftlerjob an den Nagel gehängt hat, um nun als Mahner und Aufrütteln durch Fernsehshows, Schulen und andere Einrichtungen zu tingeln und die Jugend an ihre große Verantwortung zu erinnern. Die Episode dieser Tage zu schauen, sorgt für ein interessantes Déjà-vu und erinnert zum einen daran, dass die letzten rund 25 Jahre in Sachen Klima- und Umweltpolitik leider ziemlich verschlafen wurden, zum anderen, dass man von Reinecker in dieser Phase seines Schaffens offensichtlich keine spannenden Fernsehkrimis mehr erwarten darf. Die Figur des Wissenschaftlers kann man vielleicht als Alter ego des Autors verstehen, der seine Tätigkeit als Erfinder von Kriminalfällen niedergelegt hat, um seine Zuschauer über den Status quo der Welt und des menschlichen Daseins zu ermahnen. So ehrlich das auch gemeint sein mag: KATZE OHNE OHREN steht sich bei seinem Anliegen mit ihrer bisweilen bizarren Weltfremdheit mehr als einmal selbst auf den Füßen. Da ist zum einen der Drogendealer Kremer, der freudestrahlend vom Treffen mit den „großen Bossen“ kommt und seiner Freundin mitteilt, dass sie ihm nun alle Münchener Schulen überlassen haben, aber in seiner Wohnung abgepacktes Heroin rumliegen hat und zum Verkauf schon einmal abgerissene Junkies wie Andreas Klausen (Robinson Reichel) bei sich begrüßt. Dann ist da der Wissenschaftler, der mit seiner Karriereentscheidung beruflichen Selbstmord begeht. Warum es der Betreiber einer Drogenklinik für eine gute Idee hält, einen Weltverbesserer vor Junkies darüber schwadronieren zu lassen, dass sie vor der Wirklichkeit wegrennen, anstatt die Welt zu retten, sei dahingestellt. Sehr rührend fand ich die Idee, dass Kostiz seine Vorträge auf Kassetten aufnimmt und dann kostenlos an seine Zuhörer verteilt. Das Geschäftsmodell scheint mir nicht wirklich durchdacht. Aber was weiß ich schon.

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Episode 240: Anruf aus Wien (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)

Babette (Sibylle Widauer), die Tochter des geschiedenen Ehepaars Bach (Peter Fricke & Jutta Kammann), wird entführt, die Entführer fordern eine Million DM. Panisch vor Sorge willigt Bach ein, ergreift bei der Lösegeldübergabe schließlich zur Waffe und erschießt den Boten. Bevor Derrick und Klein Bach festnehmen können, müssen sie aber erst noch eine Möglichkeit finden, Zeit zu gewinnen und die Entführer aus der Reserve zu locken. Sie holen Charlotte (Veronika Fitz), die Ehefrau des Toten, in ihr Boot und fordern sie auf, den Partnern ihres Mannes zu erzählen, er sei nach Wien gereits, um mit ihr dort ein neues Leben anzufangen, und sie erwarte seine telefonischen Instruktionen. Sie macht bei dem Spiel mit – aber wohl vor allem, weil sie im Schock glaubt, ihr Mann sei wirklich nach Wien gereist …

Die letzten Folgen waren ja schon viel, viel besser als das, was Reiencker uns sonst so im Jahr 1994 aufgetischt hatte, doch ANRUF AUS WIEN kommt einem Quantensprung gleich. Nicht nur, dass dem Mann nach gut drei jahrzehnten Fließbandkrimiarbeit noch einmal etwas Neues eingefallen ist: Die Folge ist tatsächlich sauspannend. Zunächst mal geht das alles sehr normal los: Es wird ein etwas zu harmonisches Papa-Tochter-Idyll gezeichnet und die Mama als Buhmann aufgebaut. Fricke zieht dann seine Masche durch und wird immer erratischer und panischer, während seine Ex-Gattin bemüht ist, die Nerven zu behalten. Richtig interessant wird das alles, als Derrick hinzustößt und seinen raffinierten Plan ausheckt. Reinecker zieht die Spannung hier sehr geschickt aus dem nicht zuletzt von Harry geschürten Zweifel, dass Charlotte begreift, was auf dem Spiel steht und mitspielt. Veronika Fitz ist toll als völlig abgeschaltete Gattin, die nach dem Schock der Todesnachricht in einen Zustand der Trance gerät und kurzzeitig Trost in dem von Derrick inszenierten Spiel findet. Aber der Zustand ist natürlich immens fragil: Bei jedem Anruf der Ganoven bei ihr erwartet man, dass sie aus ihrem Trancezustand aufwacht, sich verrät, die Täuschung auffliegen lässt und so den Tod des Mädchens verursacht. Clever gescriptet, gut umgesetzt, toll.

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Episode 241: Ein Mord, zweiter Teil (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)

Der Gefängnispsychologe Dr. Grossler (Stefan Wigger) sucht Derrick auf: Rudolf Kollau (Wolf Roth), den Derrick vor sieben Jahren wegen des Mordes am Geliebten seiner Ehefrau Agnes (Gudrun Landgrebe) festgenommen hatte, steht kurz vor seiner Entlassung wegen guter Führung. Doch Grossler glaubt nicht an den trügerischen Frieden: Für ihn ist Kollau der „absolute Verbrecher“ und nur darauf aus, sich an seiner Ex-Gattin zu rächen, die mittlerweile mit dem biederen Beamten Arno (Edwin Noel) verheiratet ist und in dem Haus wohnt, das Kollau noch zur Hälfte gehört. Tatsächlich bittet er Agnes, seine Bücher bei ihr im Keller unterstellen zu dürfen, bis er eine Bleibe gefunden hat, doch dann steht er wieder vor ihrer Tür, bezieht erst einen Kellerraum und beginnt von dort aus seinen Keil zwischen die Eheleute zu treiben. Derrick sind die Hände gebunden. Was hat Kollau vor?

Reinecker klaut wieder beim Besten: sich selbst. In DER UNTERMIETER war es Peter Kuiper, der sich nach der Haftentlassung in der Wohnung seiner mittlerweile wieder verheirateten Ex-Freundin breitmachte und dabei unter anderem deren Untermieter drangsalierte. Hier wie dort wird Derrick von einem befreundeten Beamten auf den Schurken aufmerksam gemacht, ist der Neue an der Seite der Verflossenen vom Typus des Reinecker’schen Waschlappens. Den wesentlichen Unterschied markiert hier die Besetzung der Schurkenrolle, denn der großartige Wolf Roth legt seinen Eindringling nicht wie Kuiper als zudringlichen, bullyhaft-einschüchternden Gewaltmenschen an, sondern als intelligenten, äußerlich betont kontrollierten, innerlich aber brodelnden Psychoterroristen, dessen immenses Drohpotenzial fast auschließlich zwischen den mit einem süffisanten Lächeln ausgesprochenen Zeilen liegt. Und der Roth hat Freude an dieser Rolle, uiuiui. Er ist ja fast immer super, aber hier ist nahezu jeder seiner Auftritte zum Niederknien. Wenn er seine schlotternde Ex beim Frühstück mit dem Gatten stört und scheißfreundlich nach einem Kaffee fragt oder immer wieder fallen lässt, dass das Haus, das sie bewohnen, ja zur Hälfte ihm gehöre, spürt man den ganzen über die Jahre aufgestauten Zorn und die Freude, die ihm das Wissen verschafft, dass schon seine bloße Anwesenheit die beiden verrückt macht. Mit Derrick liefert er sich hingegen scharfe Wortgefechte, in denen er seine Verachtung für den Beamten nicht zurückhält: Derrick, sonst nie um eine schlagfertige, altersweise Antwort verlegen, wird hier auffällig wortkarg. Wenn es etwas zu meckern gibt – neben der Tatsache, dass die Episode ein Dreiviertelremake ist -, dann ist es wahrscheinlich das Ende. Die Idee ist zwar gut, aber trotzdem fühlt es sich ein bisschen wie ein Letdown an. Egal, Wolf Roth rockt!

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Episode 242: Teestunde mit einer Mörderin? (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)

Der attraktive Roland Ortner (Thomas Kretschmann) ist auf dem Weg zu seiner attraktiven Geliebten Isabel (Christina Plate), die pikanterweise die Pflegerin von Rolands schwerkranker, schwerreicher, aber deutlich älterer Ehefrau Agnes (Ursula Lingen) ist. Bei seiner Ankunft ist Isabel tot, erschossen, und für Roland kann es keinen Zweifel geben, wer als einziger als Mörder in Frage kommt: seine Ehefrau, die ihm die Affäre einst zugestanden hatte, weil sie spürte, dass sie ihrem jungen Ehemann nicht mehr bieten konnte, was er brauchte.

Das ist eine reine Schauspielfolge, in der vor allem Ursula Lingen viel Raum erhält, um ihre würdevolle Grande Dame zu geben. Sie verfügt über große Präsenz, macht den Schmerz ihres Charakters greifbar, der spürt, dass seine grenzen- aber eben auch körperlose Liebe nicht mehr in gleichem Maße erwidert wird und deren Rettungsanker letztlich zur totalen Entzweiung führt. Thomas Kretschmann, Anfang 30 erst, aber bereits mit einigen nennenswerten Produktionen im Rücken, funktioniert gut als ihr deutlich weniger in sich ruhender, vor Lebenslust vibrierender Ehemann, der sich nach eigenem Bekunden von ihr hat kaufen lassen. Das wird leider zu wenig ergründet: Man erhält einen kurzen Einblick in ihre gemeinsame Vergangenheit, aber man erfährt nie, was der junge Mann an der Frau, die seine Großmutter sein könnte, fand. Die ganze Beziehung wird nicht richtig glaubwürdig, auch wenn sich die beiden Darsteller alle Mühe geben. Hinzu kommt der wenig spektakuläre Verlauf: Man weiß schnell, wer der Mörder ist und eine richtige Überraschung bleibt aus. Trotzdem: gehobener Durchschnitt, wie ich ihn mir gefallen lasse.

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Episode 243: Ein Mord und lauter nette Leute (Theodor Grädler, Deutschland 1995)

Die Geschäftsleute Kelpe (Sky DuMont), Bienert (Klausjürgen Wussow) sowie dessen Sohn Hans (Christoph Eichhorn) finden das Callgirl Ruth tot in ihrem Appartement. Alle drei Männer hatten eine Beziehung mit der Frau, zahlten ihr die Miete und ermöglichten ihr auch, ihre Schwester Lona (Julia Dahmen) auf ein Internat zu schicken. Derrick holt das junge Mädchen nach München und berichtet ihr, wer ihre Schwester war. Lona möchte unbedingt die Liebhaber Ruths kennenlernen und dabei helfen, den Mörder zu finden.

Das ist natürlich etwas, was Reinecker nicht versteht: Wie eine Frau sich mehreren Männern gleichzeitig darbieten kann, wie diese Männer sie auch noch untereinander teilen – und wie sogar deren Ehefrauen und Geliebte damit einverstanden sind, weil diese Ruth so ein wunderbarer Mensch war. Und weil er das nicht versteht – was ja vor allem sein Problem ist -, müssen diese Männer und Frauen ölig-verschlagene Schmierlappen sein, denen die falsche Betroffenheit nur so aus jeder Pore tropft – und eine(r) von ihnen natürlich ein Mörder, bei dem es mit der Polyamorie dann doch nicht so weit her war. Was grundsätzlich trotzdem ein Superansatz für 60 Minuten stimmungsvolle Unterhaltung wäre, wenn Reinecker nicht viel zu viel Gewicht auf die Trauerbewältigung der hübschen, aber langweiligen Lona legen würde. Sky DuMont spielt seine Masche runter, Klausjürgen Wussows onkelige Schmierigkeit wird vollkommen verschenkt. Gut, dass Christine Buchegger noch da ist, die Kelpes Sekretärin und Geliebte mit der devoten Strenge einer zärtlichen Domina versieht.

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Episode 244: Kostloffs Thema (Dietrich Haugk, Deutschland 1995)

Der selbsternannte Theaterinhaber, Schauspiellehrer, Stückeschreiber, Regisseur und Philosoph Kostloff (Gert Anthoff) führt die Polizei zur Leiche eines seiner „Schüler“ in einem Steinbruch, nachdem er ihn als vermisst melden wollte. In den Steinbruch schickte er seine Eleven, um ihre Stimme zu schulen. Derrick und Klein ist er damit sofort verdächtig: Und tatsächlich tut der selbstverliebte, von sich selbst überzeugte Sohn einer schwerreichen Mutter (Maria Becker) nichts, um diesen Verdacht zu zerstreuen. Im Gegenteil: Mit seinen seltsamen Theorien darüber, dass jeder Mensch ein Opfer sei und töte, was er liebe, liefert er sich gewissermaßen auf dem Präsentierteller. Nur Beweise gibt es nicht. Also liefert ihm Derrick einen Undercover-Beamten (Nikolaus Gröbe) als neuen „Schüler“ …

Das ist schwierig. Auf der Habenseite hat die Episode ein paar interessante formale Kniffe vorzuweisen, die ich in diesem Stadium von an Leichenstarre erinnernder Routine, in den die Serie zumindest inszenatorisch eingetreten ist, schon nicht mehr erwartet habe. Da dröhnt ein theatralischer Score über die rauschhaft-beknackten Monologe von Kostloff, gibt es eine mit Handkamera inszenierten Film-in-Film, wird das Finale im Steinbruch mit harten Schnitten zum Videoclip. Putzig ist wieder einmal Reineckers unverhohlen zur Schau getragene Verachtung für all diese Kunstfuzzis mit ihren überkandidelten Konzepten und Ideen: Wie schafft man es unter diesen Voraussetzungen, über 30 Jahre lang am Fließband Drehbücher zu schreiben, ohne sich selbst zu hassen? Das macht Spaß, das gefällt. Weniger sicher bin ich mir bei Gert Anthoff, der in der Serie sonst meist den Typus des bürgerlichen Waschlappens verkörpert, der mal positiver, mal negativer angelegt ist, und hier von der Leine gelassen wird. Er dreht ziemlich auf als Kostloff, stolziert wie ein Pfau in einer unglaublichen Hausjacke herum, trinkt Likör mit abgespreiztem Finger, schwadroniert, redet sich in Rage, zitiert Wilde, wedelt affektiert mit den Händen herum und umgarnt am Schluss den neuen Schüler in deutlich homoerotischer Intention. (Da fiel mir nach rund vier, fünf Jahren Derrick und 244 absolvierten Folgen zum ersten Mal auf, wie abwesend das Thema Homosexualität in der ganzen Serie ist.) Das finde ich prinzipiell gut, aber zum einen nehme ich Anthoff die Rolle einfach nicht ab, zum anderen ist dieser Kostloff als Figur – oder so, wie Anthoff ihn anlegt, viel zu comichaft für die Serie. Bei allem, was es zu kritisieren gibt, eins kann man KOSTLOFFS THEMA Nicht vorwerfen: dass die Episode langweilig oder routiniert wäre. Das gibt bei der Erstsichtung einen Bonus.

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Episode 245: Derricks toter Freund (Theodor Grädler, Deutschland 1995)

Arno Beckmann (Walter Renneisen), ein ehemaliger Kleinkrimineller, wird durch die Tür seiner Wohnung erschossen. Das Appartement hatte ihm die wohlhabende Martha Hauser (Christiane Hörbiger) zur Verfügung gestellt, eine platonische Freundin des Opfers. Wie Derrick herausfindet, hatte der auf Anraten seines Zellenkameraden, des Heiratsschwindlers Leo Körner (Jürgen Schmidt), Frauen angeschrieben, um an Geld zu kommen, das ihm aufgrund fehlender Ausbildung und mangelnden Selbstbewusstseins fehlte. Beckmann machte mit seiner Hilflosigkeit, aber auch mit seiner Offenheit nicht nur Eindruck auf Martha, sondern auch auf deren verheiratete Tochter Helga (Roswitha Schreiner) und ihre Freundin Ilse (Gertrud Jesserer). Alle drei Frauen hatte von ihren Männern nicht mehr viel Zuneigung zu erwarten.

Die irreführend betitelte Episode – Derrick kannte Beckmann gar nicht, fühlt sich ihm dann aber durch die Berichte der Frauen verbunden, eben als sei er ein Freund – macht aus dem traurigen Tropf das männliche Gegenstück zu all den unschuldigen weiblichen Zauberwesen, die vor allem in den Siebzigern regelmäßig die Köpfe alternder Männer in DER KOMMISSAR und DERRICK verdrehten. Beckmann ist in der Interpretation von Renneisen ein bemitleidenswerter Trottel, eine Art treudoofer Straßenhund, den man adoptiert, um ihn gesund zu pflegen, aber seine Unbedarftheit und Wärme öffnet ihm den Weg in die Herzen der Damen, die von ihren patriarchischen Männern keine Liebe mehr erfahren. DERRICKS TOTER FREUND passt zu Reineckers Altersthema der zunehmenden Vereinsamung, das im Zentrum dieser späten Jahrgänge steht, aber die Folge scheitert an Renneisen. Dass wohlhabende Frauen ihn als Sozialexperiment adoptieren, mag ja noch angehen, doch dass sich Roswitha Schreiner in diesen linkischen Hampelmann verliebt, sich auch eine körperliche Beziehung zur platonischen wünscht, ist dann doch etwas zu viel des Guten. Renneisen overactet gnadenlos und was liebenswert und unvoreingenommen wirken soll, wirkt tölpelhaft und peinlich. Es liegt an Traugott Buhre, der Marthas autoritären Gatten spielt, dass das Konstrukt halbwegs funktioniert. Wenn es Renneisen schon nicht gelingt, seinen Beckmann zur überirdischen Sympathiefigur zu machen, so schafft Buhre es, allen Hass auf sich zu ziehen. So ist die Episode kein Totalreinfall – und als faszinierender Blick ins vernebelte Oberstübchen von Sozialmärchenonkel Reinecker eh faszinierend.

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Episode 246: Eines Mannes Herz (Alfred Weidenmann, Deutschland 1945)

Der Geschäftsmann Ludwig Dalinger (Walter Schmidinger) sucht die Familie um Dr. Kirchheimer (Ralf Schermuly) auf: Die Tochter des Hauses war vor zwei Jahren spurlos verschwunden und Dalinger zeigt große Anteilnahme an ihrem Schicksal. Wenig später wirft er sich vor einen fahrenden Zug und in seinem Abschiedsbrief, der den Kirchheimers zugeht, erklärt er ihnen, dass er das Herz ihrer Tochter in der Brust trage. Der Mann hatte nach dem Engagement seines Geschäftspartners Bertram (Wolf Roth) ein neues Herz erhalten, für das offensichtlich ein junger Mensch sterben musste …

Kein echter Kriminalfall, weil der Mord an der Verschwundenen nicht geklärt wird, aber eine ziemlich faszinierende und spannende Geschichte. Im Unterschied zu vielen anderen von Reineckers offen „humanistischen“ Folgen, ist EINES MANNES HERZ ausnahmsweise mal nicht gnadenlos verlabert und moralinsauer, sondern tatsächlich involvierend und bewegend. Das Schicksal sowohl der Kirchheimers als auch Dalingers lässt nicht kalt, wird durch die Leistungen der Darsteller nachvollziehbar und greifbar. Und der Verzicht auf einen Schurken, der alles Übel dieser Welt verkörpern muss, tut der Sache gut. Bertram, der der Anforderung an einen Bösewicht noch am ehesten entspricht, ist eigentlich auch ein armes Schwein, das nicht wusste, dass seine Bemühungen, das Leben seines Freundes zu retten, zum Tod eines anderen führen würden. Das Schlussbild, das ihn zeigt, wie er mit einem Phantombild des vermeintlichen Mörders die Gäste eines Münchener Nachtclubs anspricht – zuvor hatten wir erfahren, dass er sein Geschäft aufegegeben habe und nicht mehr erreichbar sei – ist gleichermaßen tragisch wie bewegend und eine schöne Abwechslung zum sonst vorherrschenden Reinecker’schen Pessimismus.

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Episode 247: Dein Bruder, der Mörder (Hans-Jürgen Tögel, Deutschland 1995)

Musterknabe Randolf Basler (Holger Handtke) hat Scheiße gebaut: In seinem Bett liegt eine tote Prostituierte. Seine patente Löwenmutter (Eva Kotthaus) will die Zukunft des Sohnes um jeden Preis retten, also überredet sie dessen Bruder Hubert (Peter von Strombeck), die Leiche mit ihr gemeinsam wegzuschaffen. Anstatt sie aber einfach irgendwo abzuladen, legt Hubert sie sorgfältig vor ihrer Haustür ab und sucht gleich am nächsten Tag die Familie der Toten auf. Dabei erfährt er, dass sie eine von den Großeltern unerwünschte Tochter hinterlässt, um die sich nun Vera (Carin C. Tietze), die Schwestern der Toten, kümmern muss. Hubert bietet ihr seine Hilfe an und zieht so die Aufmerksamkeit Derricks auf sich, der großes Interesse an dem Mann zeigt, weil er spürt, dass er mit dem Mord zu tun hat. Das gefällt Randolf natürlich überhaupt nicht …

Die Episode passt zu Reineckers humanistischer Mission. In Folge um Folge proklamiert er die Gleichgültigkeit gegenüber dem anderen als das Übel unserer Zeit, das sich in DEIN BRUDER, DER MÖRDER wieder einmal darin niederschlägt, dass Mutter und Sohn für sich entscheiden, dass seine Zukunft wichtiger ist als die Gerechtigkeit, eine Prostituierte letztlich niemand vermisst und seine Tat am Ende nur ein Unglück war, für das man ihm die Zukunft nicht versauen sollte. Mitgefühl: Fehlanzeige. Hubert, als „Versager“ apostrophiert, kann und will da nicht mitgehen: Er spürt eine Verantwortung für die Tote und das Bedürfnis nach Wiedergutmachung. Die Sympathien sind klar verteilt, auch weil Holger Handtke und Eva Kotthaus in ihren Rollen nahezu ohne positive Eigenschaften auskommen dürfen. Man kann kaum etwas gegen die Konstruktion der Episode sagen, die wieder ein bisschen an die Anfangstage der Serie erinnert, aber ohne den Furor auskommen muss, den Derrick damals noch an den Tag legte. Reineckers Hauptaugenmerk liegt auch nicht mehr bei den Schurken und ihrer Überführung durch den Kriminalbeamten, sondern beim Altruismus des Bruders. Weil seine Wohltätigkeit aber weniger aus einem Schuldgefühl hervorgeht, sondern beinahe instinktiv aus ihm kommt, und wir als Zuschauer bemerken, in welche Gefahr er sich damit begibt, ist die Folge dann doch recht spannend.

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Episode 248: Die Ungerührtheit der Mörder (Helmuth Ashley, Deutschland 1995)

Professor Weiland (Wolf Roth), Lehrer einer Abiturklasse, ist fasziniert vom Mord und was er in unserem Gehirn anstellt. Für einen Aufsatz lädt er den soeben aus der 15-jährigen Haft entlassenen Frauenmörder Ali Klais (Michael Mendl) in die Schule ein, damit seine Schüler ihm Fragen stellen können. Die Begegnung mit dem ungerührten Mann hinterlässt einen starken Eindruck bei den jungen Leuten und sie suchen ihn nach Schulschluss in der Kneipe auf, in der er kellnert. Auch an der Polizeipsychologin Sophie Lauer (Marion Kracht), die als junges Mädchen Opfer einer Vergewaltigung war, gehen die Worte Klais‘ nicht spurlos vorbei. Als Klais erschossen wird, befürchtet Derrick das Schlimmste …

Im Zentrum der Episode steht ein interessantes Spannungsverhältnis, das auf Erzählebene aber leider nicht wirklich zufriedenstellend eingebunden wird: Mir ging als Betrachter das Messer in der Tasche auf angesichts der Selbstgerechtigkeit, mit der Weiland den völlig verstörten, intellektuell deutlich unterlegenen Mörder vorführt und die Schüler dann mit ihrem begrenzten Weltbild auf ihn einprügeln lässt, und auch Derrick und Klein sind zu Recht angewidert von dem Schauspiel. Zum Teil wird der moralische Furor der Schüler aber durch die angebliche „Ungerührtheit“ Klais‘ gerechtfertigt: Er zeigt weder Reue noch ist er überhaupt in der Lage, seine Tat annähernd zu reflektieren. Dem Drehbuch nach zu urteilen, soll das tatsächlich auf seine Gleichgültigkeit gegenüber fremdem Leben schließen lassen, auch wenn eine andere Erklärung angesichts der Situation, in der er sich befindet, ja viel naheliegender scheint: Nach 15 Jahren Haft eben erst auf freiem Fuß (er wird von Weiland am Knast abgeholt und direkt in die Schule gebracht) sieht er sich als „Ausstellungsstück“ einem Tribunal gegenüber, das von dem völlig unvorbereiteten Mann nicht nur Auskunft über längst vergangene Gefühle und Gedanken, sondern sogar eine Art erneutes Schuldgeständnis einfordert. Dass die Jugendlichen mit der Situation ebenso überfordert sind wie er, ist verständlich (passenderweise erklärt ihnen der von der Begegnung mit dem Mörder geradezu berauschte Lehrer, was sie zu denken und am besten auch zu schreiben haben), aber dass eine Polizeipsychologin nicht in der Lage ist, einen Schritt zurückzutreten und ihre eigenen Befindlichkeiten außen vor zu lassen, disqualifiziert sie eigentlich für ihren Beruf. Abgesehen von der interessanten Ausgangssituation gibt die Folge leider sonst nicht viel her. Aber sie ist auch kein Schuss in den Ofen.

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Episode 249: Herr Widanje träumt schlecht (Alfred Weidenmann, Deutschland 1995)

Herr Widanje (Henry van Lyck) wird vor seinem Haus erschossen. Der Mann pflegte einen ausgeprägten Vergwaltigungs-Fetisch, den er auch vor seiner Gattin (Eleonore Weisgerber) nicht verheimlichte und den er dann auch aktiv auslebte. Kergal (Edwin Noel), Vater der jungen Dina (Julia Brendler), die Widanje zum Opfer fiel, zog die Anzeige zurück, weil der Unternehmer ihm im Gegenzug einen Arbeitsplatz in seiner Firma anbot. Zu den Verdächtigen gehören außerdem Agnes Voss (Gudrun Landgrebe), die Therapeutin von Widanjes Gattin, sowie der junge Staatsanwalt Dahlau (Philipp Moog), der ein Foto von Dina auf dem Schreibtisch stehen hat, um das ungesühnte Verbrechen nicht zu vergessen …

Ich habe mich noch nicht so recht zu einer echten Einschätzung dieser Episode durchringen können, die einige interessante Elemente und Details aufweist – hier wären einmal die schwarzweißen Behandlungsvideos zu nennen, die Dr. Voss Derrick von ihren Patienten vorführt – und damit überrascht, dass der Mord am Ende nicht aufgeklärt werden kann. Das Problem ist, dass sie keinen echten Drive entwickelt. Nicht dass, die Serie zu diesem Zeitpunkt sonst ein Ausbund an Spannung und Intensität wäre, aber Weidenmann gelingt es einfach nicht, die verschiedenen Ansätze hier unter einen Hut zu bringen und seine Story so geradlinig zu entwickeln wie das nötig wäre. Am Ende macht sie einen etwas überladenen, ungeordneten Eindruck und sie steht sich dabei selbst im Weg. Was schade ist, denn eigentlich hat die Prämisse großes Potenzial, das man aber nur hier und da aufblitzen sieht.

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Episode 250: Mitternachtssolo (Helmuth Ashley, Deutschland 1995)

Arthur Bolz (Edgar Walther), der Inhaber eines Nachtclubs, wird von seinem Geschäftsführer Prasko (Winfried Glatzeder) erschossen, als er ihn der Unterschlagung von Geldern bezichtigt. Bevor Prasko und seine Mitarbeiter die Leiche fortschaffen können, werden sie vom Nachtwächter Randel (Udo Samel) erwischt. Der sieht seine große Chance: Doch er will kein Geld für sein Schweigen, sondern Praskos Ehefrau Inge (Susanne Uhlen) …

Die Standard-Ausgangssituation nimmt mit Randels Forderung leider keine Wendung ins Bizarre, sondern in ein wenig überzeugendes Melodram: Natürlich verliebt sich Inge, deren Ehemann ein absolutes Arschloch ist, in den biederen Nachtwächter, weil der echtes Interesse an ihr zeigt. Ein Happy End darf es aber nicht geben, weil sich Inge wie einst Winnetou in einen auf Old Shatterhand Randel abgefeuerten Schuss wirft. Derrick guckt drein, als wollte er sagen: „Kinders, was macht ihr immer nur für Sachen.“ Glatzeder ist gut als schwitzender Schurke, aber die Episode ist nicht mehr als unterer Durchschnitt.

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Episode 251: Die zweite Kugel (Horst Tappert, Deutschland 1996)

Johannes Kahlert (Dirk Galuba) erpresst Schutzgeld von italienischen Gastronomen. Veronese (Peter Bertram) weigert sich zu zahlen, also schickt Kahlert seinen Laufburschen Valentino (Götz Hellriegel), um ihn einzuschüchtern. Der nimmt seinen Freund mit, Kahlerts Sohn Konrad (Oliver Hasenfratz). Im Gasthaus des Opfers kommt es allerdings zu einem Schusswechsel, bei dem Konrad durch eine Kugel am Arm verwundet wird und Veronese daraufhin erschießt. Weil er medizinische Versorgung benötigt, aber nicht riskieren kann, dass die Schusswunde der Polizei gemeldet wird, wendet er sich an den Priester Figges (Philipp Moog), um vor diesem die Beichte abzulegen und somit auf das Beichtgeheimnis bauen zu können. Tatsächlich erklärt sich der Pfarrer bereit, einen Arzt (Lambert Hamel) zu organisieren, der dichthält. Derrick kommt der Sache schnell auf die Spur, aber er möchte den Täter identifizieren, ohne den Pfarrer zum Verletzen des Beichtgeheimnisses zu zwingen.

Vielleicht ist diese Folge die ultimative Neunziger-DERRICK-Episode: Philipp Moog spielt einen Pfarrer und Derrick agiert als Hebamme der Wahrheit mit Respekt vor einem heiligen Gelübde. Erzählt wird in getragenem Tempo, alle Schauspieler sind mit großem Ernst bei der Sache, der sich in einer respektvollen Behutsamkeit niederschlägt, so als hätten sie Angst, Reineckers fragile Prosa könne sonst zerbrechen. Selbst Galuba, sonst der verlässliche Mann fürs Grobe, reißt sich sichtlich am Riemen: Anstatt seinem dämlichen Sohn gründlich den Arsch zu versohlen, schluckt er den Ärger herunter. Heraus fällt allerdings eine Actionszene, wahrscheinlich eine von insgesamt drei überzeugenden in 30 Jahren DERRICK: Aus einem fahrenden Auto wird mit einer Maschinenpistole auf den holzhackenden Pfarrer geschossen (Moog im weißen Shirt und Latzhose vorm Holzstapel), der sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit bringt. Hatte Tappert als Vorbereitung etwa John Woo studiert?

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Episode 252: EInen schönen Tag noch, Mörder (Alfred Weidenmann, Deutschland 1996)

Der Buchhalter Dannhof (Gerd Burkard) kommt mit schlechten Nachrichten auf die Großbaustelle seines Chefs, des Bauunternehmers Kottler (Volker Lechtenbrink): Dessen Geschäft steht kurz vor dem Konkurs, das Überleben hängt von frisierten Zahlen ab, die Dannhof aber nicht liefern will. Kottler nimmt den Buchhalter mit auf einen kleinen Spaziergang und stößt ihn dann in die Baugrube. Rudolf (Stefan Kolosko), Sohn des Kranführers Alex Hasinger (Stefan WIgger), hat wie sein Vater alles gesehen, doch der Ältere zwingt den Jungen zur Falschaussage: Alles sei ein Unfall gewesen, Kottler habe versucht, den stürzenden Dannhof festzuhalten. Dannhofs Kinder, Albert (Philipp Brammer) und Erika (Natali Seelig), sind am Boden zerstört. Aber Derrick gibt nicht auf und bringt Kottler dazu, die Kinder des Toten auf einen großen Empfang einzuladen.

Volker Lechtenbrink ist gut, Philipp Brammer nervt und Reinecker war beim Verfassen des Scripts wohl nicht durchgehend im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Im Streitgespräch mit Dannhof, bei dem auch Kottlers engste Mitarbeiter anwesend sind, gesteht der Unternehmer, dass er „derzeit schwach“ sei, aber diese Schwäche garantiert nicht zeigen werde: Was damit, dass er es ausgesprochen hat, ja irgendwie hinfällig ist. Viel Zeit wird darauf verwendet, das Leid des trantütigen Geschwisterpärchens einzufangen: Vor allem diese Erika ist grauenvoll, sagt in der ganzen Episode kein Wort, guckt lediglich deprimiert aus der Wäsche und lässt sich von ihrem Bruder in den Arm nehmen. Was soll das?

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Episode 218: Ein sehr trauriger Vorgang (Theodor Grädler, Deutschland 1993)

Der schüchterne, zurückhaltende Horst (Holger Handtke) wird von seiner Clique mit ins Bordell genommen und dort unter großem Buhei entjungfert. Beim anschließenden Umtrunk macht sich Anführer Albert (Werner Hochholdinger) einen Spaß daraus, Inge (Dorothee Hartinger), die insgeheim für Horst schwärmt, anzurufen und ihr die Neuigkeiten brühwarm zu erzählen. Wenig später klingelt es an der Tür: Albert geht hinunter, um zu öffnen und wird von einer unbekannten Person erschossen.

Eine impertinente Episode, die wieder einmal vom haarsträubenden Moralismus Reineckers zeugt. Ich spoilere gnadenlos: Als Mörder entpuppt sich Frau Hohner (Christiane Hörbiger), die Lehrerin der Jungs und von Inge, die damit die „Verführung“ des so reinen, unschuldigen Horst durch die Rowdies um Albert bestrafen will. Zwar entgeht sie ihrer Strafe nicht, aber Reineckers Sympathien liegen schon eindeutig bei ihr. Mit dem Besuch im Puff ist der erste Schritt ins Höllenfeuer gemacht, der in seiner Langweiligkeit doch so schützenswerte Horst ist mit der gemachten Erfahrung gewissermaßen dem Untergang geweiht, zumindest aber einfach nicht mehr derselbe. Das ist einfach hoffnungslos albern, verkennt biologische Realitäten und wird noch zusätzlich dadurch befeuert, dass Freund Albert wirklich ein saumäßig unsympathisches Arschloch ist. Diese Gemengelage macht „Ein sehr trauriger Vorgang“ als Kuriosum sehenswert, aber leider fehlt der Inszenierung jeder Hang zum Sleaze, der ein ähnliches Szenario in den Siebzigern noch zum Schenkelklopfer erster Güte gemacht hätte. Das Ding ist einfach nur kreuzbieder.

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Episode 219: Mann im Regen (Alfred Weidemann, Deutschland 1993)

Ilse Lohmann (Claudia Lössl), die als Dienstmädchen im Haus der wohlhabenden Brüder Luis (Hans Georg Panczak) und Hans (Burkhard Heyl) arbeitet, wird morgens tot in ihrem Bett aufgefunden, ihr Körper zeigt Spuren von sexuellem Missbrauch. Pikanterweise hatte sie mit beiden Brüdern ein sadomasochistisches Verhältnis. Der werte Papa (Hans Korte) verschafft ihnen jedoch ein Alibi, indem er angibt, sie seien zur Tatzeit bei ihm gewesen. In die Ermittlungen schaltet sich Robert Lohmann (Ulrich Matthes) ein, der Bruder der Toten. Er ist in psychiatrischer Behandlung und scheint verwirrt.

Ein Reinecker’sches Psychodrama, dessen titelgebendes Bild (das auch die Schlusscredits noch einmal unterlegt) sehr reizvoll ist, das aber etwas an seiner Ziellosigkeit krankt. Lohmann ist ein in sich gekehrter Träumer und was das eigentlich für eine Disposition sein soll, die er da mit sich herumschleppt, wird nie so ganz klar. Trotzdem eine der besseren Episoden aus dieser insgesamt eher problematischen Phase, mit einem sympathisch aufspielenden Matthes. Und Hans Korte ist eh immer super.

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Episode 220: Langsamer Walzer (Helmuth Ashley, Deutschland 1993)

Inge (Jennifer Kitsch), die im Wäschesalon von Kubik (Gerd Baltus) arbeitet, nimmt abends entgegen allen Warnungen die Abkürzung durch den Park – und kommt nie zu Hause an. Neben ihrer Leiche sitzt ein Hund, die Polizei findet außerdem einen Walkman, auf dem eine Kassette einen langsamen Walzer spielt. War Kubik der Täter, der ein Auge auf Inge geworfen hatte und zudem von seiner bettlägerigen Gattin (Hannelore Hoher) gepiesackt wird?

Die Szenen, in denen Derrick und Harry hochkonzentriert der Musik aus dem Walkman lauschen, sind alles: Nicht nur weil fraglich ist, was sie aus dem fürchterlich synthetischen Stück Musik eigentlich herauszuhören hoffen, sondern auch, weil Regisseur Ashley offensichtlich nicht wusste, dass man für einen Walkman einen Kopfhörer benötigt. Das passt zu einer Folge, der ich gern das Prädikat „verstrahlt“ geben würde, wenn die Inszenierung nicht so furchtbar bieder und eigenschaftslos wäre. Nicht auszudenken, wäre „Langsamer Walzer“ in den Siebziger- oder Achtzigerjahren entstanden, denn eigentlich ist hier alles drin: Der dunkle, gefährliche Park, durch den Mädchen des nachts nicht mehr gehen sollten, der geile alte Tropf, der jungen Mädchen nachstelzt, die boshafte Ehefrau (Hannelore Hoger), die ihn aus dem Bett herumkommandiert und eifersüchtig ist auf die jungen Dinger. In den letzten zehn Minuten wird dann auch noch Peter Fricke als Psychiater ausgegraben, der herausgefunden hat, dass grauenhafte Synthieklassik einen beruhigenden Effekt auf Psychopathen hat. Und Christian Berkel spielt das Versuchskaninchen in seinem Beweisvideo! Hier ist genug Stoff für drei Folgen drin – und selbst, wenn sie den Nineties-Muff nicht ganz abschütteln kann, sticht sie doch heraus.

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Episode 221: Geschlossene Wände (Theodor Grädler, Deutschland 1993)

Irene Solm (Constanze Engelbrecht), Ex-Supermodel und ehemaliges Objekt der Begierde der Regenbogenpresse, wird nach einem Selbstmordversuch sowie mehrmonatigem Alkohol- und Drogenentzug aus einer Heilanstalt verlassen und sucht ihren Lover, den Schauspieler Gaston Riemann (Hanns Zischler) auf. Doch der hat längst eine Neue und setzt die ausgebrannte Schönheit mitleidlos vor die Tür. Eingefangen wird das Spektakel vom Klatschreporter Rob SImon (Heiner Lauterbach), der Riemann danach in seinem Blatt an den moralischen Pranger stellt. Das Ergebnis folgt auf dem Fuße: Riemann wird vor den Augen von Irene in der Tiefgarage erschossen.

Reinecker polemisiert mal wieder gegen die sogenannte High Society und vor allem die Showbiz-Szene, deren eitlen Selbstdarsteller ihm alle suspekt sind, weil sie zarte Geschöpfe wie Irene ins Verderben stürzen. Die bildschöne Engelbrecht bekommt leider nicht viel zu tun, außer lebensmüde aus dem ungeschminkten Gesicht zu gucken. Am Ende darf Derrick dem Klatschreporter – in dessen Redaktionsbüro ein Poster von Jason Donovan hängt – die Moral von der Geschicht ins Mikro diktieren. Könnte lustig sein, wenn die Folge etwas mehr Drive hätte. So bleibt nur der furchtbare Song im Ohr, der in dem reichlich tristen Szeneclub immer gespielt wurde, wenn „sie“ den Laden betrat. Dann hätte ich mich allerdings auch in den Suizid gesoffen.

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Episode 222: Nach acht langen Jahren (Helmuth Ashley, Deutschland 1993)

Ein italienischer Gastwirt wird von einem Mafiakiller erschossen, nachdem seine Ehefrau (Cornelia Froboess) den Schutzgeldkassierer wenige Tage zuvor rausgeschmissen hatte. Hinter dem Mord steckt Andreas Heine (Michael Gwisdek), Deutscher im Dienste der Mafia, der nach dem Vorfall sofort aus Rom nach München geschickt wird, um die Sache gemeinsam mit Zensky (Werner Pochath) zu regeln. Vor Ort nimmt er auch Kontakt mit seiner Ehefrau (Rosel Zech) und seinen beiden Kindern auf, die er vor acht Jahren hatte sitzen lassen.

Das muss man sich mal vorstellen: La Famiglia entsendet wegen Cornelia Froboess‘ Aufmüpfigkeit einen Mann aus Rom! Diese völlig absurde Prämisse gibt einigen Aufschluss über die Irrwege, auf denen sich Reineckers Geist damals befunden haben muss. Auch diese Episode ist wieder sehr somnambul und träge, kaum einer verhält sich auch nur halbwegs menschlich – mit Ausnahme des aalglatten Heine, der aber trotzdem erst am Ende aus der Haut fährt, als ihm Harry auf Geheiß Derricks die Handschellen anlegt. Peter Bertram gibt mal wieder einen Italiener mit Klischeeakzent – ob er sich damals Hoffnung machte, den „Isch ‚abe gar kein Auto“-Spot zu bekommen?

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Episode 223: Die Lebensgefährtin (Günter Gräwert, Deutschland 1993)

Hilde Lussek (Krista Bosch) kommt vom Einkaufen nach Hause und findet ihren Lebensgefährten Walter Scholz (Udo Vioff) tot auf: Die beiden standen nur wenige Wochen vor ihrer Hochzeit. Hildes Freundin Vera (Jutta Kammann) macht die schockierte Frau darauf aufmerksam, dass sie mit völlig leeren Händen dastehen wird, sofern Walter sie nicht in seinem Testament benannt hat, doch alles, was die beiden finden, ist ein Säckchen mit wertvollen Juwelen, die Hilde der Freundin zum Schutz anvertraut. Wenig später gesteht der Arzt ihr, dass ihr Partner Opfer eines Mordes geworden ist, und. verständigt die Polizei. Kurz nach Derrick treffen auch Walters Bruder Egon (Christoph Bantzer) und dessen Sohn Udo (Philipp Moog) ein, die als Erben schon mit den Hufen scharren.

Erbschaften und die Streitigkeiten darum bieten Reinecker einen trefflichen Boden für seine Polemisierungen gegen bürgerliche Heuchelei, Verlogenheit und Gier. Im vorliegenden Fall geben Bantzer und der ewig schmierige Moog besonders ekelhafte Beispiele ab: Der Verwandte, der sie zu Lebzeiten nicht ausstehen konnte und sie hochkant rauswarf, ist noch nicht kalt, da gieren sie schon nach seinem Vermögen und ziehen über dessen Lebensgefährtin her, die durch keinerlei amtliche Papiere legitimiert ist. Derrick bleibt cool wie eine Hundeschnauze und lässt sich nicht beirren. Letztlich schaden sich die beiden nur selbst, denn sie drängen sich als Tatverdächtige natürlich geradezu auf. „Die Lebensgefährtin“ ist nicht gerade spannend, weil eigentlich von Anfang an kaum ein Zweifel daran besteht, wer hinter dem Mord steckt, aber sie funktioniert, weil Reinecker weiß, wie er die Affekte bedient. DERRICK-Regulars wie Christian Merkel und Christine Wodetzky mischen auch noch mit.

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Episode 224: Die seltsame Sache Liebe (Theodor Grädler, Deutschland 1993)

Ein junges Mädchen wird tot zwischen den Gleisen des Güterbahnhofs gefunden. Derrick und Harry sehen sofort, dass die Leiche dort nur abgelegt wurde. Es handelte sich um die Freundin des jungen Ulrich (Holger Handtke), den die Nachricht von ihrem Tod völlig aus der Bahn wirft. Sie arbeitete als Kellnerin in der Kneipe von Arnold (Claus Biederstaedt) und Helene Soske (Diana Körner) und war auch am Abend ihres Todes dort. In die Ermittlungen mischt sich der Alkoholiker Seidel (Wolf Roth), ein ehemaliger Kollege Derricks, der dringend eine Beschäftigung braucht, um sein Leben zu meistern.

Reinecker im pseudophilosophischen Schnarchmodus: Wieder einmal zeichnet er das weibliche Opfer als unschuldige Männerbeglückerin und die Liebe zwischen ihr und dem kreuzlangweiligen Ulrich als paradiesischen Zustand des sich gegenseitigen Anstrahlens. Ersteres steht natürlich im Konflikt zu Letzterem und deshalb gibt’s auch wieder ein paar alte Männer, die an einem dreißig Jahre jüngeren Mädel rumschrauben und am Ende doof aus der Wäsche gucken. „Die seltsame Sache Liebe“ ist wie so viele Episoden aus dieser Phase langsam und schnarchig, sodass auch die Reinecker’schen Geschmacksverwirrungen nicht wirklich zum Zuge kommen. Da können noch nicht einmal Biederstaedt und der wie immer großartige Roth das Steuer herumreißen.

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Episode 225: Zwei Tage, zwei Nächte (Zbynek Brynych, Deutschland 1993)

Kronau (Peter Ehrlich) findet durch einen Zufall heraus, dass sein Sohn Achim (Jacques Breuer) sein Geld als Drogendealer verdient und spült dessen Vorrat im Wert von 100.000 DM kurzerhand im Klo herunter. Der Sohn ist verzweifelt, denn nun steht er bei seinen Auftraggebern mit diesem Betrag in der Kreide. Anstatt ihm das Geld zu geben, fordert der Vater Achim auf, die Gauner mit der Tatsache zu konfrontieren und ihnen mit der Polizei zu drohen, um sie in Schach zu halten. Von der Unterredung kehrt Achim nicht zurück, wird erschossen in einer Unterführung gefunden. Der Vater bringt sich um und hinterlässt Tochter Sabine (Katharina Schubert), die nun mit Derricks Hilfe die Mörder des Bruders dingfest machen will.

Dass Ehrlich und Breuer schon nach kurzer Zeit „ausfallen“, ist ein Wermutstropfen, denn die beiden sind immer eine Schau. Die Episode krankt aber auch daran, dass die Täter keinerlei Rolle spielen, erst in der letzte Szene überhaupt in Erscheinung treten. „Zwei Tage, zwei Nächte“ bleibt dem Melodram verpflichtet, begibt sich dafür zwar in den sündigen Unterbauch Münchens – eine Pinte namens „Blue Movie“, in der Walter Renneisen den Zapfhahn bedien und die Junkies zugedröhnt an die Decke starren, während die Flipperautomaten klappern und DERRICK-Veteranin Ute Willing sich einen Schuss in die Wade setzt -, aber wir befinden uns eben in den Neunzigern und da ist alles mit diesem pastoralen Schmelz der Seriosität überzogen. Man merkt, das Brynych versucht, eine gewisse avantgardistische Artifizialität in seine Bildkompositionen zu bringen, aber der aalglatte Fernsehlook lässt alles billig, aseptisch und geleckt aussehen. Vielleicht müsste ich mich von meinen Erwartungen und Vorprägungen freimachen, um die eigenen Reize des Nineties-DERRICKs schätzen zu können, aber noch gelingt mir das nicht. Das Highlight für mich war das Tourposter von Nuclear Assault featuring Depressive Age, das in der Pinte an der Wand hängt.

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Episode 226: Nachtvorstellung (Helmuth Ashley, Deutschland 1993)

Drei Schüler (Oliver Hasenfratz, Nikolaus Gröbe und Philipp Brammer) besuchen die Nachtvorstellung eines Actionreißers im Kino, von der sie sich etwas mehr als nur einen Film versprechen. Sie behalten Recht: Während des Showdowns wird der Kartenverkäufer mitten im Saal unbemerkt vom Publikum erschossen. Derrick findet heraus, dass er mit Drogen handelte – und unter anderem für den Rückfall einer Mitschülerin der drei Jungs verantwortlich war.

Mal wieder eine Anti-Drogen- und Selbstjustizepisode – diesmal mit dem heutigen Rosamunde-Pilcher-Schwarm Francis Fulton-Smith als trauerndem Ex-Dealer und Christoph Bantzer als verständnisvollem Lehrer. Es gibt jede Menge steifer Dialoge, in denen den jugendlichen Zuschauern (hahaha!) erklärt wird, dass Drogen nur was für Feiglinge sind, die mit dem Leben nicht klarkommen (natürlich von Leuten, die das gar nicht beurteilen können), und Derrick beschwört mit starrem Blick das Leid des weiblichen Opfers, das bei seinem Besuch in der Entzugsklinik geschrieen habe „wie ein Tier“. Am besten gefallen haben mir aber die Angriffe auf das zeitgenössische Kino, in dem angeblich nur noch stumpf rumgeballert wird, darüber sind sich sowohl die Schüler als auch Harry einig, der Cineast. Über die Leinwand flimmert dazu etwas, was wie ein zweitklassiger französischer Actionfilm von 1984 aussieht, während im Foyer Poster von solchen Gewaltreißern wie SOMMERSBY und FOREVER YOUNG aushängen. Es ist eine verrückte Welt, dieses München anno ’93. Man muss wahrscheinlich dabeigewesen sein.

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Episode 227: Ein Objekt der Begierde (Zbynek Brynych, Deutschland 1993)

Karoline Hecht (Jeannine Burch) ist der Typ Frau, auf den Männer bei DERRICK immer gleich reagieren: Sie verlieben sich Hals über Kopf, benehmen sich daraufhin wie Fünftklässler mit Samenstau und werden zum Würger, wenn sich die ach so offenherzige, lebensfrohe und aufreizende Damen ihren Avance entzieht. Womit auch der Plot dieser Episode hinreichend skizziert wäre. In dem Mietshaus, in dem sie Nachhilfe vom Studenten Bleiweg (René Heinersdorff) erhält, wohnen gleich haufenweise Verehrer: der trottelige Ratinger (Hans Georg Panczak), der ölige Fotograf Tuball (Sky Dumont), der gescheiterte Schauspieler und Alkoholiker Kowalski (Stefan Wigger) sowie die Ehemänner Soost (Michael Mendl) und Kieler (Ralf Schermuly), die mit ihren Weibern nicht mehr glücklich sind. Eines abends liegt das Mädchen erwürgt im Treppenhaus und die ganze Baggage stürzt sich auf den armen Kowalski …

Das Schauspielerensemble reißt es raus, auch wenn Brynych Wigger nicht vom Overacten abhalten kann. Die Serie ist in dieser Zeit gleichermaßen betulich wie theatralisch, im Aufbau mutet das alles ein bisschen nach Provinztheater an, von der eigenen Bedeutungsschwere überzeugt, in der Unbeholfenheit aber oftmals unfreiwillig komisch. Das beginnt schon bei der Eröffnungsszene, die die ewig feixende Karoline zeigt, wie sie zu laut aufgedrehtem Eurodance im Cabrio durch München heizt, während die Passanten nur Kopfschütteln für sie übrig haben oder ihr gar den Vogel zeigen. Das Frauenbild der Serie, das habe ich ja schon mehrfach angedeutet, ist höchst faszinierend: Auf der einen Seite sind es meist die Männer, die die Kontrolle verlieren, aber die Opfer machen es ihnen auch geradezu unverschämt einfach. Nicht nur, dass sie bereits ersticken, wenn man sie zwei Sekunden lang am Hals berührt: Wie diese Karoline mit ihren lustigen Grübchen hier herumscharwenzelt, die peinlichen Ranwanzereien der älteren Herren für lediglich höfliche Harmlosigkeiten ohne Hintergedanken hält, ist schon sehr beachtlich. Und Tappert, als Derrick einst von gerechtem Furor, Hass für die Verlogenheit und boshafte Schadenfreude angetrieben, schlafwandelt müde durch die gut ausgeleuchteten Settings wie ein Priester, dem man Baldriantropfen in die Oblaten gemischt hat. Nach 227 Folgen der Dummheit und Niedertracht hat er alle Hoffnung längst fahren lassen.

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Episode 228: Das Thema (Alfred Weidenmann Deutschland 1994)

Der Student Werner Godel (Jochen Horst) bessert seine Kasse auf, indem er geklaute Autos für seinen Freund Ralf (Richy Müller) ins Ausland fährt. Bei einer Unternehmung gibt es Komplikationen, die dazu führen, dass Ralf einen Mann erschießt. Zur selben Zeit erhält Werner Besuch von seiner älteren Schwester Monika (Irene Clarin), einer Fotografin, die ihn zu ihrem nächsten Kunstprojekt machen will. Sie bemerkt, dass ihn etwas belastet und bedrängt ihn, sich mitzuteilen.

Es macht derzeit nicht mehr so richtig viel Sinn, die Episoden detailliert zu beschreiben. Manche sind schrecklich, manche lassen Ansätze erkennen, aus denen man zehn oder zwanzig Jahre zuvor noch etwas gemacht hätte, aber die meisten von ihnen sind wie diese hier einfach völlig egal, ohne jede Idee oder innere Spannung. Als das Bild am Ende einfriert und der bekannte Schriftzug eingeblendet wurde, war ich sehr verblüfft: Das war es schon? Dazu passt dann Irene Clarin, eine Schauspielerin, der ich nichts Böses will, die aber die ganze bräsige Mittelmäßigkeit verkörpert, die die Serie nun schon seit einiger Zeit fest umklammert hält.

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Episode 229: Nachts, als sie nach Hause lief (Helmuth Ashley, Deutschland 1994)

Der Buchhändler Jakob Meissner (Karlheinz Hackl) und seine Gattin Doris (Krista Posch) führen eine seltsame Beziehung: Er liebt sie abgöttisch und sie scheint auch ihn zu lieben, dennoch zieht es sie Abend für Abend raus in die Nachtclubs, wo sie sich anderen Männern an den Hals wirft, nur um dann zu Jakob zurückzukehren. Helene (Christine Buchegger), Jakobs Schwester, ist die Ehe ein Dorn im Auge, weil sie den Bruder enteiere, zum Gespött der Stadt mache und ihren guten Familiennamen in den Schmutz ziehe: Sie will, dass er sich von Doris trennt. Doch das ist nicht mehr nötig, als sie auf dem Heimweg von einer ihrer nächtlichen Exkursionen erschossen wird.

Dank des kruden Frauenbildes, das hier mal wieder abgefeiert wird, allerdings ohne dabei vollends in die Scheiße zu greifen, markiert Ashleys Episode einen kleinen Lichtblick. Krista Posch interpretiert die „lebenslustige“, „vergnügungssüchtige“ Frau (der Begriff „nymphoman“ wird erstaunlicherweise nicht benutzt) als Melancholikerin mit abrupten Stimmungsschwankungen. Einmal hat sie sich eigentlich mit ihrem Mann zum Italiener verabredet, da hört er während des Umziehens das schwermütige Trompetenstück, das sie immer dann auflegt, wenn sie einmal wieder das Bedürfnis überkommt, sich ins Nachtleben zu stürzen. Enttäuscht nimmt er sofort die Krawatte weder ab und storniert ohne jede weitere Absprache mit ihr die Reservierung. Die Szenen mit ihr im Nachtklub sind einigermaßen absurd, weil sie eher wie eine haltlose Schnapsdrossel agiert als wie eine heiße Verführerin, aber Hans Peter Hallwachs zeigt sich trotzdem beeindruckt. Die eigentlichen Schurken sind aber wieder mal Christine Buchegger mit einem weiteren ihrer eiskalten Erfolgsweiber und der gefällige Trottel Hans Georg Panczak, der von Derrick und dem traurigen Willi Berger mit einem echt doofen Trick hereingelegt wird, während Harry Nürnberg unsicher macht (von dem man aber leider nichts sieht).

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Episode 230: Das Plädoyer (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Als Lakonda (Klaus Herm), der vor Jahren seine untreue Ehefrau mit 40 Messerstichen ermordete, aus der Haft entlassen wird, sucht er sofort den Staatsanwalt Kolbe (Lambert Hamel) auf, der damals für seine Verurteilung verantwortlich war. Das Plädoyer, das dieser damals gesprochen und den Angeklagten darin der Gefühllosigkeit bezichtigt hatte, hat Lakonda niemals vergessen können. Er sinnt auf Rache, will, dass Kolbe nachvollziehen kann, wie er sich fühlte, als er zum Messer griff. Seine Rache zielt auf Kolbes Gattin Ingeborg (Sona MacDonald) ab …

Mit „Schubachs Rückkehr“ hatte Reinecker eine ganz ähnliche Geschichte schon einmal erzählt – allerdings deutlich besser. Trotzdem liegt „Das Plädoyer“ anno 1994 leicht über dem traurigen Durchschnitt, was wie meist in dieser Phase an der Besetzung liegt: Klaus Herm, sonst auf die Vollversager am Rande der Episoden abonniert, die beklagenswerten Hausmeister, neugierigen Nachbarn oder heuchlerischen Zeugen, darf hier mit dem Supernamen „Lakonda“ ausgestattet einen brutalen Mörder spielen, ohne die ihm eigene, gruselige Mittelmäßigkeit dafür abzulegen. Hamel ist ebenfalls gut als selbstverliebter Popanz, der sich auch nach 15 Jahren noch einen auf sein mit literarischer Ambition entworfenes Plädoyer abwedelt und sich gegenüber seiner zarten Gattin aufspielt. Ideal besetzt ist auch Philipp Moog, der in dieser Phase in gefühlt jeder zweiten Folge mitspielt: Als vermeintlich mitfühlender Charmeur und Frauenretter hat er eine kleine Seagal-Einlage, als er gleich drei Hools verjagt, und damit – sowie mit seiner armseligen CD-Sammlung und seinem Popperscheitel – das Herz von Ingeborg erobert. Leider ist das alles schrecklich unpointiert und sobald Derrick auftritt, fühlt man sich wieder wie beim Priesterseminar.

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Episode 231: Ein sehr ehrenwerter Herr (Zbynek Brynych, Deutschland 1994)

Nachdem Rosy (Monika Baumgartner) und Marta (Juliane Rautenberg), zwei Prostituierte, übel verdroschen wurden, wird ihr Zuhälter Albert Kallus (Hanno Pöschl) in seinem Wagen erschossen. Derricks Verdacht konzentriert sich auf Rosy, den Heilsarmee-Trompeter Buschler (Edwin Noël), der mit Rosy befreundet ist, sowie den Psychologen Fasold (Walter Schmidinger), der immer wieder Prostituierte bei sich aufnimmt und sie aus dem Milieu wegzuholen versucht.

Brynych war in den Siebzigern für einige der allerbesten DERRICK-Folgen verantwortlich. Man sieht immer noch Spuren des Stils, der seine Arbeiten 20 Jahre zuvor unverwechselbar machte: seine bewusst artifiziellen Bildkompositionen, seine überdrehte Melodramatik. Aber im Rahmen dieser plastikhaften, bräsigen Neunzigerjahrehaftigkeit und Reineckers pastoraler Schwafelei verlieren sie all ihre Energie. In „Ein sehr ehrenwerter Herr“ steckt eine gute Episode und mit Hanno Pöschl ist ein Akteur am Start, der mit einem guten Drehbuch ausgestattet in der Lage wäre, einigen Staub aufzuwirbeln, aber es fehlt einfach der Drive und Absonderlichkeiten wie der verfettete Loddel mit Pfedeschwanz, der in der zweiten Hälfte in Kallus‘ Fußstapfen tritt, ohne auch nur eine Zeile Dialog zu erhalten, wirken eher hilflos als inspiriert. Dazu kommt die rätselhafte Juliane Rautenberg, ein echtes DERRICK-Enigma, die ihren letzten Serienauftritt ebenfalls wortlos, dafür aber mit entrücktem Lächeln versieht. Ich gebe trotz aller Vorbehalte drei Sterne, weil man hier wenigstens ein paarmal kräftig mit dem Kopf schütteln kann.

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Episode 232: Eine Endstation (Alfred Weidenmann, Deutschland 1994)

Totgesagte leben länger – manchmal zur Enttäuschung der nächsten Verwandten. So ist es mit dem Unternehmer Robert Schreiber (Will Quadflieg). Nach einem schweren Unfall, der ihm eigentlich das Leben hätte kosten sollen, kommt er wieder auf die Beine. Doch seine Kinder – Sohn Konrad (Gerd Baltus) und Tochter Anna (Sissy Höfferer) und ihre Ehepartner Vera (Christiane Krüger) und Erich (Reinhard Glemnitz) – haben sich in der Zwischenzeit sein Haus und sein Vermögen unter den Nagel gerissen und schieben ihn in ein Altenheim ab. Der Mann bricht den Kontakt zu seinen Kindern daraufhin ab. Kurz darauf wird der Pförtner der Firma Schreiber erschossen, als er den Wagen von Konrad vorfahren soll. Der Sohn ist sich sicher, dass der Mordanschlag ihm galt und vom Vater ausgeübt wurde, aber der hat ein Alibi.War es vielleicht seine treue, langjährige Sekretärin Sänger (Hannelore Hoger)?

Auf der Habenseite stehen eine Geschichte, die nicht schon tausendmal erzählt wurde, Quadflieg, der seine Rolle mit viel Gravitas versieht und eine Besetzung, die viele bekannte DERRICK-Gesichter vereint. Baltus ist mal wieder das rückgratlose Weichei, Glemnitz weckt Erinnerungen an selige KOMMISSAR-Zeiten und mit Manfred Steffen ist außerdem einer meistbeschäftigten Synchron- und Hörspielsprecher am Start. (Krüger und Höfferer sind allerdings einfach nur mit dabei und haben nicht viel zu tun.) Als Kritikpunkt muss man wieder einmal Reineckers Bräsigkeit anführen: Wie so oft in den Neunzigerjahren interessiert er sich weniger für den Krimiplot und Derricks Ermittlungsarbeit als vielmehr für bedeutungsschwere Monologe und Exkursionen in die Moralphilosophie, die allerdings nur selten so tiefschürfend sind wie er das wohl meinte. Wieder einmal geht es um einen Menschen, der mit der „Moral“ abgeschlossen hat, am „Nullpunkt“ angekommen ist, wie es in einer älteren Episode mal hieß. Das könnte theoretisch schockierend sein, aber in Reineckers behäbiger Prosa und vor dem Hintergrund einer schmucklos-melodramatischen Inszenierung mutet es vor allem überkandidelt und theoretisch an. Trotzdem über dem Durchschnitt.

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Episode 233: Darf ich Ihnen meinen Mörder vorstellen? (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Bei einem Klavierkonzert macht Derrick die Bekanntschaft mit dem Geschäftsmann Sauters (Stephan Orlac), der sich sehr für den Job des Kriminaloberinspektors interessiert und ihn schließlich zu sich nach Hause einlädt, um ihm bei dieser Gelegenheit seinen Mörder vorzustellen, wie er kryptisch verspricht. Dieser Mörder in spe ist Ulrich Kemp (Peter Kremer), Sauters‘ Geschäftspartner, Liebhaber seiner Gattin (Eleonore Weisgerber) und Mitbewohner seines Hauses. Vor Jahren bewahrte Sauters Kemp vor dem Selbstmord, gab ihm einen Job und drehte sein ganzes Leben um: Allerdings nicht aus Menschenfreude, sondern eher als perfides Sozialexperiment. Nun erwartet er, von ihm umgebracht zu werden. Und so kommt es dann auch. Aber ist Kemp wirklich der Täter?

Ich hatte es eigentlich nicht mehr erwartet, noch einmal eine Episode zu Gesicht zu bekommen, die tatsächlich etwas Neues bietet – und das auch noch auf ansprechendem Niveau. Der Gag besteht hier darin, dass der Mord gewissermaßen von seinem Opfer geplant wird und zwar auf eine Art und Weise, dass der Verdacht zwangsläufig auf jemanden fällt, der eigentlich unschuldig ist. Da weht ein Hauch von Dostojewski durchs Reinecker’sche Drehbuch und Stephan Orlac – Papa Wichert von nebenan – hat sichtlich Spaß diesen begnadeten Misanthropen zum Leben zu erwecken. Zum Ende wird es dann noch einmal richtig tragisch und die Schlusseinstellung zeigt einen Derrick mit zwar bekanntem Gesichtsausdruck, doch die Empfindung, die dahinter liegt, ist neu. Nicht neu ist hingegen, dass der arme Harry hier mal wieder den besonders begriffsstutzigen Stichwortgeber mimen muss, der als Identifikationsfigur für die weniger intelligenten Zuschauer dient, denen Derrick dann alles noch einmal in Ruhe erklärt.

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Episode 234: Gib dem Mörder nicht die Hand (Theodor Grädler, Deutschland 1994)

Gerhard Schumann (Wolf Roth), Mitglied der Hongkonger Triaden, kehrt nach jahrelanger Abwesenheit für Geschäfte nach München zurück. Bald erfährt sein ehemaliger Freund, der alkoholkranke, arbeitslose Ex-Journalist Demmer (Hans-Peter Hallwachs), von dem Besuch. In der Hoffnung auf einen journalistischen Coup und den damit verbundenen Geldsegen konfrontiert er Schumann, als der seine Familie (u. a. Till Topf, Stefan Wigger, Klaus Behrendt und Liane Hielscher) besucht, und erpresst ihn schließlich. Das lässt sich Schumann natürlich nicht gefallen – er bringt Demmler kaltblütig um und seine Familie dazu, ihm ein Alibi zu geben.

Die Idee mit dem deutschen Mitglied des internationalen organisierten Verbrechens hat Reinecker schon einmal in „Nach acht langen Jahren“ (siehe oben) verbraten. Dank Wolf Roth ist dieses „Reboot“ aber deutlich interessanter und spannender. Wobei man „spannender“ in Anführungszeichen denken muss, denn eigentlich steht hier kaum etwas auf dem Spiel: Der Zuschauer weiß von Anfang an, dass Schumann ein Arschloch ist. Er weiß auch, dass er Demmer umbringen wird, als dieser zum ersten Mal auftritt. Wer mehr als eine Episode DERRICK verfolgt hat, weiß natürlich auch, dass Schumanns Sippe schön stillhalten wird, genauso wie dass am Ende Derrick obsiegt. Aber Wolf Roth macht eben den Unterschied: Den arroganten, sich selbst für einen über den Dingen stehenden Supermacker haltenden Snob hat er so gut drauf wie kaum ein anderer und sein giftig geführter Dialog mit dem Kriminaloberinspektor ist mal wieder vom Allerfeinsten. Am schönsten ist es, wie Derrick es genießt, diesen Typen mit seinen impertinenten Fragen auf die Palme zu bringen. Mein Lieblingsmoment ist wie Derrick, gar nicht beeindruckt von der Schumann’schen Aufschneiderei, den Namen der chinesischen Metropole ausspricht, um seinen Gegenüber zu ärgern: „HOngg-KOngg“. Der Clash dieser beiden Heavyweights fällt noch umso beeindruckender aus, als solche Langweiler wie Till Topf oder Irene Clarin sich daneben ausnehmen wie die Ersatzbesetzung eines Schultheaterstücks. Trotzdem hat die Episode eigentlich nur einen echten Fehler: Dass sich irgendjemand wirklich freuen könnte, einen so knallharten Egoisten und Angeber wie Schumann wiederzusehen, scheint reichlich unwahrscheinlich.

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Episode 235: Gesicht hinter der Scheibe (Dietrich Haugk, Deutschland 1994)

Ein rätselhafter Anruf geht in einer Polizeiwache ein: Der Anrufer fordert den Polizisten auf, einen gewissen Herrn Zeller zu kontaktieren, damit der wiederum in seiner Firma nach seiner Tochter schaue. Der Unternehmer (Klausjürgen Wussow) tut wie ihm geheißen und findet seine Tochter Monika (Muriel Baumeister) tot vor. Ihr Verlobter Arno Beckmann (Jacques Breuer zeigt sich nur wenig schockiert: Er inkriminiert den Filmstudenten Adrian Scholl (Philipp Moog), der mit Monika ein Filmprojekt hatte. Es stellt sich heraus, dass Monika sich sehr einsam fühlte und unter anderem von Kubanke (Winfried Glatzeder), einem Geschäftspartner des Vaters, sexuell missbraucht wurde …

Wieder einmal beschäftigt sich Reinecker mit dem Schicksal einer Frau, die für die ach so gemeine, verlogene Welt da draußen einfach zu gut ist und daran schließlich zugrunde geht. Muriel Baumeister – die ich total fürchterlich finde, was mir irgendwie leid tut – gibt das kulleräugige Zauberwesen, das beim menschgewordenen Popperscheitel Moog offene Türen einrennt. Das Material, das man von dessen Projekt zu sehen bekommt, ist grauenvoll amateurhaft, dazu gleichermaßen prätentiös wie planlos und sollte jeden verantwortungsbewussten Dozenten eigentlich dazu veranlassen, ihm eine andere Karriere nahezulegen – oder ihn mit einem zünftigen Arschtritt aus der Universität hinauszubefördern. In einer Vorlesung gibt es Ausschnitte aus einer frühen Regiearbeit von Bernd Eichinger zu sehen, in denen der Professor EInflüsse des klassischen amerikanischen Kinos erkennt. Klausjürgen Wussow steht in seinem Wohnzimmer und dirigiert zu Klassi von der Schallplatte. Die Rückblenden, die Kubankes Missbrauch an Monika zeigen, sind sehr artifiziell, in Zeitlupe gehalten und erinnern etwas an italienische Giallos. Evelyn Opela ist mal wieder umwerfend als verzweifelte Mutter der Toten, die gestehen muss, dass sie ihr Kind nicht kannte. Der Kriminalfall ist wie so oft in jener Zeit uninteressant, aber die Episode hat was.

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Episode 236: Der Schlüssel (Zbynek Brynych, Deutschland 1994)

Der Geschäftsmann Howald (Sky Dumont), der seine Gattin Susanne (Sunnyi Melles) mit seiner Sekretärin (Gundis Zambó) betrügt, wird nachts vor seinem Haus erschossen. Derrick findet schnell heraus, dass es sich um das Werk eines Auftragsmörders handelt, der schon mehrfach in München zugeschlagen hat. Er vermutet, dass Susanne den Mord an ihrem Gatten in Auftrag gegeben hat.

Alles aus! „Der Schlüssel“ ist endlich mal wieder Brynych vom Allerfeinsten, was bedeutet, dass sich die Merkwürdigkeiten die Klinke in die Hand geben. Das Drehbuch von Reinecker ist Quatsch mit Soße, aber Brynych schert sich nicht weiter darum und dreht alle Regler nach rechts. Nur Tappert schnallt nichts und ereifert sich angesichts des anno 1994 nun keinesfalls neuen Phänomens käuflicher Morde, als stehe der Untergang des Abendlandes nun aber wirklich kurz bevor. Er agiert ein bisschen wie die ahnungslosen Plastikgesichter in STARSHIP TROOPERS, die ja auch dachten, sie machen bei einem geilen Kriegsfilm mit, während sich Verhoeven einen Spaß mit ihnen erlaubte. Ihm gegenüber agiert die elfenhaft-elfenbeinerne Sunnyi Melles, als sei sie auf einem ganz seltsamen Trip, zwischen hypernervös-hysterisch und entrückt-ekstatisch. Es ist eine Performance, die sicher nicht im herkömlichen Sinne als „gut“ zu bezeichnen ist, aber viel zu dieser traumgleichen Atmosphäre beiträgt. Wenn jemals eine DERRICK-Episode in einer surrealen Parallelwelt angesiedelt war, dann diese. Pierre Franckh, Schutzpatron der DERRICK-Jammerlappen, spielt einen Undercover-Cop, Holger Petzold den Wirt in einem Nachtklub, in dem fünf Tänzer sich in ihrer Performance nicht von der laufenden Musik beschränken lassen und Frank Duval, Komponist zahlreicher DERRICK-Songs, den gedungenen Mörder. Sein mit Inbrunst am Klavier vorgetragenes Schlaflied, das in einer Variation auch als Titelsong fungiert, schlägt dem Fass den Boden aus. Während er totalen Nonsens mit der Stimme eines rituellen Beschwörers von sich gibt, bricht ihm der Schweiß aus und am Ende muss ihn seine Muse wieder aufrichten, wel er sich so verausgabt hat. Das ist alles nicht zu fassen. Ich bin unendlich dankbar für „Der Schlüssel“, denn nach Dutzenden von Folgen immergleicher Tranigkeit kommt sie einer auf Drogen durchgefeierten Nacht gleich.

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Episode 236: Das Floß (Helmuth Ashley, Deutschland 1994)

Elvira Nolte (Sona MacDonald) findet ihren Ehemann Hans (Will Danin) tot zu Hause vor. Geschockt oder gar traurig ist sie nicht: Ihr Gatte hatte regelmäßig Frauenbesuch, veranstaltete mit seinem Freund Wexler (Manfred Zapatka) Sexparties, zu der er die knackige Anna Bender (Christina Plate) einludt, die ihm deren Vater (Hermann Lause) verhökerte, um sich die Kasse aufzubessern. Wer war der Täter? War es die gedemütigte Ehefrau? Der emaskulierte Wexler? Anna selbst, ihr Freund Uli (Oliver Hasenfratz) oder doch Annas verständnisvoller Lehrer Borchert (Edwin Noel)?

Nach einmal Semi- und einmal Totalwahnsinn sind wir mit „Das Floß“ wieder zurück in der tristen DERRICK-Wirklichkeit des Jahres 1994. Reinecker bemüht sich noch nicht einmal, Interesse an seinem Kriminalfall vorzugaukeln, stattdessen konstruiert er mit den braven, unschuldigen „Teenies“ – die Plate war bereits 29 – und den korrupten Bürgerlichen mal wieder ein Gegensatzpaar, das keinerlei gesellschaftliche Wahrheiten mehr offenlegt, sondern nur noch Auskunft über den Grad der Verstaubtheit seines Oberstübchens gibt. Die Auflösung gleicht einer Unverschämtheit, das einzige, was die Folge rettet, sind die Brüste der Hauptdarstellerin.

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Episode 127: Wer erschoss Asmy? (Jürgen Goslar, 1984)

Der letzte Eintrag in dieser Reihe ist über ein Jahr alt. Diese Episode von Jürgen Goslar, in der Anne und David Bennent ein Geschwisterpaar spielen, das in einen Mordfall verwickelt wird, hatte ich noch damals gesehen – und dann nichts darüber geschrieben. Verlässliche Auskunft kann ich darüber nicht mehr geben, aber ich glaube, ich fand die Episode nur so mittelprächtig, auch wenn Bennent als Zigaretten rauchendes, altersweises Kind mit Schiebermütze dafür sorgt, dass sie nicht allzu „normal“ ist.

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Episode 128: Das tödliche Schweigen (Theodor Grädler, 1985)

Derrick erhält zu Hause einen Anruf: Eine junge Frau namens Helga Södern bittet um Hilfe, sie werde von zwei Männern bedroht. Als Derrick und Harry – der Gehilfe lässt extra einen Science-Fiction-Film im Kino sausen – bei der Dame (Irina Wanka) nach dem Rechten sehen, ist angeblich alles in Ordnung: Das jedenfalls behauptet Udo (Jacques Breuer), der vorlaute Freund der Frau. Wenige Stunden später werden Derrick und Harry zum Tatort eines Mordes gerufen: Eine ältere Frau erlitt bei einem Angriff von wahrscheinlich zwei Männern in ihrer Wohnung einen Herzanfall. Der Sohn (Arthur Brauss) ist ratlos. Eine Eingebung von Harry bringt den entscheidenden Tipp: Helga Södern war eine Arbeitskollegin der Toten …

Eigentlich keine spektakuläre Folge, aber sie hat mir trotzdem sehr gut gefallen. Erstens weil der Fall gegen Ende eine Dimension annimmt, die über Einzelschicksale hinausgeht, zweitens weil das Setting einer stillgelegten, ruinösen Chemiefabrik, die da im Münchener Spätherbst vor sich hin modert, einfach wahnsinnig stark ist.

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Episode 129: Ein unheimlicher Abgang (Jürgen Goslar, 1985)

Der Anlageberater Diebolz (Dirk Galuba) jagt sich mit seinem Boot auf dem Starnberger See in die Luft. Grund dazu hatte er: Das eigene Unternehmen war tief verschuldet, seine Gattin Liane (Christiane Krüger) hat eine Affäre mit seinem Freund Kolewski (Peter Bongartz). Als es um die Identifizierung des Toten geht, erkennen alle Diebolz wieder. Was sie nicht wissen: Der erlag nicht etwa den Verbrennungen, sondern wurde zuvor erschlagen. Aber das ist nicht die einzige große Überraschung des Falls: Der Tote ist nämlich gar nicht Diebolz, wie Derrick herausfindet. Warum aber identifizierten ihn seine Angehörigen dann auf dem Seziertisch?

Der Fall ist wendungsreich genug, um über die volle Laufzeit das Interesse wachzuhalten. Dazu kommt wieder einmal das bitterböse Drehbuch von Reinecker, der das Bürgertum so sehr hasst, dass er seine Mitglieder selbst dann noch in alle ihrer Verlogenheit bloßstellt, wenn sie eigentlich unschuldig sind.

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Episode 130: Schwester Hilde (Theodor Grädler, 1985)

Anita Henk (Susanne Uhlen) ist dem Rotlichtmilieu Hamburgs erfolgreich entflohen und hat sich in München eine neue Existenz aufgebaut – samt neuem Liebhaber und Ehemann in spe (Ekkehard Belle). Doch dann findet Kusich (Andreas Fricsay), ihr ehemaliger Zuhälter, sie wieder und will sie mit zurück nach Hamburg nehmen. Anita ruft Schwester Hilde (Inge Meysel) an, die ihr damals geholfen hatte, ein neues Leben anzufangen. Die alte Dame kommt sofort nach München, um den Loddel von seinen Plänen abzubringen. Wenig später ist er tot …

Der Auftritt von Inge Meysel in der beliebtesten und erfolgreichsten deutschen Fernsehserie war damals wahrscheinlich das, was man heutzutage ein „TV-Event“ nennen würde. Ich, der ich die alte Dame immer eher anstrengend fand, sehe hier trotzdem nur eine eher mittelmäßige Episode, die durch den vermeintlichen Besetzungscoup nicht unbedingt besser wird, auch wenn die Meysel zugegebenermaßen überzeugend agiert. Noch besser hat mir aber Andreas Fricsay gefallen, der mit platinbloner Vokuhila-Dauerwelle an seine markige Rolle in ZWEI NASEN TANKEN SUPER erinnert.

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Episode 131: Lange Nacht für Derrick (Dietrich Haugk, 1985)

Der etwas weichliche Anwalt Dr. Bomann (Klaus Schwarzkopf) steht vor der unangenehmen Aufgabe, den brutalen Berufsverbrecher Rotter (Wilfried Baasner) zu verteidigen. Der Kriminelle erwartet trotz erdrückender Beweislage nichts Geringeres als einen Freispruch. Er scheint zu ahnen, dass daraus nichts wird, denn einen Tag vor Urteilsverkündung wird Bomanns Tochter (Marion Kracht) entführt. Bomann soll seinem Klienten vor der Verhandlung eine Waffe überreichen und ihm so zur Flucht verhelfen.

LANGE NACHT FÜR DERRICK verlässt wieder einmal die ausgetretenen Pfade, die die Serie nach über zehn Jahren zumeist beschreitet und verdichtet die Ereignisse auf einen Zeitraum von wenigen Stunden und die zwei Räume der Mordkommission, in denen Derrick und seine Leute einen HInweis auf den Verbleib der Komplizen von Rotter finden müssen, um die Katastrophe zu verhindern. Auf Dietrich Haugk, der einige der besten DERRICK-Folgen auf dem Kerbholz hat, ist dabei Verlass. Die Beschränkungen von Zeit und Raum weiß er perfekt zu nutzen. Die Episode erinnert ein wenig an Dominik Grafs FAHNDER-Episode BIS ANS ENDE DER NACHT (die einige Jahre später ausgestrahlt wurde), was jeder meiner Leser als großes Lob zu verstehen weiß.

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Episode 132: Kranzniederlegung (Zbynek Brynych, 1985)

Der abgewrackte Gerichtsreporter Trosse (Herbert Stass) sucht Derrick auf: Er weist den Kriminalbeamten auf den jungen Heinz Lissner (Eduard Erne) hin, dem er einen Mord zutraut. Die Freundin des Jungen ist den Drogen zum Opfer gefallen und Heinz nun fest entschlossen, ihren Tod zu rächen.

Keine der Glanzstunden von Brynych: Die Folge bleibt in erster Linie wegen Trosse bzw. Stasses Darbietung im Gedächtnis, der Kriminalfall verblasst dagegen. Derrick und der vom Alkohol gezeichnete Ex-Reporter haben einige starke gemeinsame Szenen, die interessanter sind als die blutleer bleibende Selbstjustizgeschichte. Auf der Habenseite stehen aber einige Impressionen aus dem Münchener Nachtleben inklusive Breakdance, tanzenden Djs und Rollschuhdisko. Das will man dann doch nicht verpasst haben.

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Episode 133: Tod eines jungen Mädchens (Theodro Grädler, 1985)

Eine Inhaltsangabe verkneife ich mir, denn die Episode ist ungefähr so einfallsreich, wie das der Titel bereits vermuten oder eher befürchten lässt. Wenn es einen Standard-DERRICK-Plot gibt, dann diesen: Hübsches Mädchen wird umgebracht, als sie sich verweigert, verlogene Großbürger decken sich gegenseitig. Um das Klischee perfekt zu machen, ist Pierre Franckh als rückgratloser Sohn dabei, der gegen seinen eigenen Impuls dem schmierigen Onkel ein Alibi verschaffen muss. Dieser Onkel reißt es dann wieder raus: Claus Biederstädt ist einfach perfekt in der Rolle. Absolut hassenswert darin, wie er chefmäßig das Ruder übernimmt, um sicherzustellen, dass ihm nichts passiert. Ach ja, Peter Kuiper und Hans Korte sind auch dabei und tun das, was sie immer tun. Das ist gut so.

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Episode 134: Die Tänzerin (Zbynek Brynych, 1985)

Beim Versuch, die Internatsschülerin Katrin May (Dietlinde Turban) zu erschießen, wird der Mörder überrascht und bringt stattdessen den Hausmeister um. Es stellt sich heraus, dass Katrin eine Affäre mit dem Geschäftsmann Dr. Rohner (Heinz Bennent) hatte. Somit kommen gleich zwei Verdächtige in Frage: Rohners Gattin, eine ehemalige Tänzerin (Ingrid Andree), und Katrins Ex-Freund (Robert Jarczyk).

Die Hoffnung, Brynych habe Argentos PHENOMENA in einer DERRICK-Folge vorweggenommen, bewahrheitet sich leider nicht. Auch sonst ist die Episode kein Highlight, lediglich leicht gehobener Durchschnitt. Heinz Bennent ist tatsächlich sehr bewegend als alternder Herr, der neues Liebesglück findet und dabei aufblüht. Schön ist auch der Auftritt eines sich betont seriös gebenden Privatdetektivs (Peter Moland), der von Derrick in dessen unnachahmlich autoritärer Art in seinem Enthusiasmus gleich auf Maß zurechtgestutzt wird.

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Episode 135: Familie im Feuer (Zbynek Brynych, 1985)

Familie Bohl hat eine echte Pechsträhne: Tochter Anna (Beate Finckh) sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl, Vater Walter (Henry van Lyck) ist arbeitslos, genauso wie Sohn Ulrich (Hans Georg Panczak), und die Mutter Thea (Ida Krottendorf) ist ausgezogen, weil ihr Mann sich in zwielichtigen Kneipen herumtreibt. Dabei hat er den Schwerverbrecher Weiler (Dirk Galuba) kennen gelernt, der ihn zu einem Bruch überredet. Bevor es losgehen kann, wird Weiler jedoch erschossen. Der Verdacht der Bohls fällt auf Anna und es gilt, sie vor Derrick zu schützen …

Brynych zeigt in der Episode sehr schön, wie eine kurz vor der Implosion stehende Familie durch den neuen Konfliktfall wieder zusammenrückt. Es ist seinem eigenen Inszenierungsstil, aber auch Reineckers plakativer Drehbuch-Prosa und Panczaks zum Overacting neigenden Spiel zu verdanken, dass „Familie im Feuer“ in den Szenen, in denen das neue Familienglück gezeigt wird, übers Ziel etwas hinausschießt. Trotzdem: Gehobener Durchschnitt, nicht zuletzt weil Henry van Lyck exzellent und Dirk Galuba einfach ein Riesenarsch ist. Detail zum Kopfschütteln: Die Poster 1985 gnadenlos überkommener Blues- und Jazzrock-Kapellen im Zimmer des „Musikfans“ Ulrich (das Plakat von „Jon Hiseman’s Tempest“ konnte man schon in DERRICK-Episoden aus den Siebzigern bewundern).

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Episode 136: An einem Montagmorgen (Jürgen Goslar, Deutschland 1986)

Drei Bankräuber verunglücken bei der Flucht mit dem Wagen und retten sich in eine nahegelegene Wohnsiedlung, wo sie ins Haus der Familie Heilmann eindringen …

Wieder einmal ein Episode, die vom klassischen „Whydunit“, das die Serie sonst beschäftigt, abweicht. Abwechslung ist immer willkommen und diese Folge profitiert erheblich davon, dass sie etwas anderes versucht, auch wenn sie dabei nicht übermäßig spektakulär ist. Die Exposition im Stile von „Aktenzeichen XY“ mutet ein bisschen bemüht an, aber der Rest ist von Goslar dann doch recht spannende inszeniert. Wilfried Baasner ist ein erstklassiger Schurke, von dem es in Zukunft hoffentlich noch mehr zu sehen gibt.

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Episode 137: Naujocks trauriges Ende (Alfred Vohrer, 1986)

Der Geschäftsmann Naujocks wird erschossen, als er mit seiner Geliebten aus der Wohnung kommt, die ihm sein Freund Tass (Karl Heinz Vosgerau) als Liebesnest zur Verfügung gestellt hat …

Die fragwürdigen sexuellen Gelüste älterer Herren haben DERRICK schon häufiger beschäftigt, so auch hier. Der freundliche Herr Tass etwa hält es für selbstverständlich, eine Liebesbeziehung mit seiner Stieftochter (Sissy Höfferer) zu führen. Und sein Kumpel Naujocks verlustiert sich mit der Tochter seines Fahrers. Alles gar kein Problem? Denkste. Deutlich angepisster ob dieses Verfalls der Sitten ist Tass‘ Stiefsohn Walter, gegeben von einem Sascha Hehn mit zurückgeschleimten Haaren. Der war bestimmt nur sauer, dass das Drehbuch ihn nicht zum Stich kommen ließ.

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Episode 138: Geheimnis im Hochhaus (Wolfgang Becker, 1986)

Der Maler und Fixer Erich (Ekkehard Belle) braucht dringend Geld, also bricht er in eine Wohnung ein. Zu seinem Entsetzen findet er dort den Leichnam einer jungen Frau: Als er Stimmen hört, kann er gerade noch fliehen. Nach einem Geständnis bei der Polizei ist die Leiche verschwunden und der Wohnungsbesitzer Hauweg (Gerd Baltus) zeigt sich überrascht. Derrick glaubt dem Drogenabhängigen, obwohl es keinen Beweis für dessen Aussage gibt …

Eine schöne Episode, in der Ekkehard Belle, der Mann mit dem Babyface und dem unvorteilhaften Wuschelkopf, sich endlich einmal beweisen kann. (Heute wissen wir, was er draufhat: Er ist immerhin die deutsche Synchronstimme von Steven Seagal.) Die Geschichte ist durchweg interessant, zumal sie nicht sklavisch am Kriminalfall klebt, sondern sich dem Schicksal des Fixers annimmt und Derrick die Gelegenheit gibt, seine menschliche Seite zu zeigen. Sehr gut ist auch Traugott Buhre als Erichs gehbehinderter Vater, der gesteht, er lasse sich von seinem Sohn waschen, damit der wenigstens noch eine tägliche Verpflichtung habe. Diana Körner und Bernd Herzsprung sind etwas verschenkt, Hans Peter Hallwachs zeigt dafür endloses Potenzial als oberschmieriger Zuhälter, der sich als „Unternehmensberater“ ausgibt.

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lilliEpisode 38: Grau-roter Morgen (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Am Ufer der Isar wird die junge heroinabhängige Sibylle Laresser (Sabine Sinjen) tot aufgefunden – erschossen vom anderen Ufer aus. Die Ermittlungen führen Kommissar Keller zunächst in die Wohnung der Toten, die dort gemeinsam mit ihrer Mutter Hilde (Lilli Palmer) lebte. Diese hatte während der vergangenen 12 Monate verzweifelt versucht, ihre Tochter von den Drogen wegzubringen und dafür sogar ihren Ehemann (Hans Caninenberg) in Augsburg zurückgelassen …

Die Ermittlungsarbeit und überhaupt die Kriminalbeamten um Kommissar Keller treten in dieser fantastischen Episode deutlich in den Hintergrund. Mehr als um die Frage, wer Sibylle umgebracht hat, geht es um eine Mutter-Tochter-Beziehung und um die Frage, wie man die Liebe zu seinem Kind aufrechterhalten kann, wenn dieses sich für den Tod entschieden hat. Lilli Palmer liefert als liebe- und aufopferungsvolle, letztlich aber hilflose Mutter eine schauspielerische Tour de force, ohne jemals zu overacten oder auf die Tränendrüse zu drücken. Es lässt wohl nur den abgezocktesten Zuschauer kalt, wenn sie berichtet, wie sie ihrer Tochter den ersehnten Schuss setzte, weil diese einfach nicht mehr in der Lage war, ihre Venen zu treffen. Wenn sie von einem Dealer, dem sie auf dem Kneipenklo ein paar Ampullen Morphium abkauft, niedergeschlagen und ausgeraubt wird. Oder wenn sie ihre benommene Tochter nach stundenlanger verzweifelter Suche nachts zwischen lauter anderen Drogenabhängigen halb benommen im Monopteros-Tempel findet.

Reinecker kehrt mit seinem Drehbuch zum Stil von „Der Papierblumenmörder“ zurück, was bedeutet, dass es hier eher um den Blick auf das Innenleben einer seiner Figuren geht. Dort war es das um das Verständnis der Erwachsenen ringende Heimkind, hier die verzweifelt um das Leben ihrer Tochter kämpfende Mutter, die langsam aber sicher erkennen muss, dass es für ihr Kind keine Rettung gibt. Grädler inszeniert freilich nicht mit der kreativen Wildheit Brynychs, aber das muss er in diesem Fall auch nicht. Die Schmerzen der Mutter brauchen keine formale Verstärkung, es reicht, dass er seiner grandios aufspielenden Hauptfigur die Bühne bereitet. DER KOMMISSAR neigte in der Vergangenheit, wenn es um Drogen ging, zum altvorderlichen Spießertum, aber hier hält sich Keller mit seinen Vorverurteilungen dankenswerterweise zurück. Jedes Moralisieren ist fehl am Platze, wenn es um das Leid einer Mutter geht, die ihrem Kind beim Sterben auf Raten zusehen muss. Ein Meisterwerk deutscher Fernsehunterhaltung. Auch nach fast 50 Jahren noch.

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blumenEpisode 39: Als die Blumen Trauer trugen (Dietrich Haugk, Deutschland 1971)

Dr. Trotta (Paul Hoffmann) wird in seinem Haus erschossen. Auf seinem Plattenteller kreiste in den Wochen vor seinem Tod die Platte einer Münchener Beat-Combo (Heino Czechner, Klaus Wildbolz, Tommi Piper, Klaus Höring, Thomas Egg), deren Sängerin Jeanie (Silvia Lukan) selbst kurze Zeit zuvor nach einer missglückten Abtreibung ums Leben gekommen war …

„Als die Blumen Trauer trugen“ hat das Problem, ganz ähnlich aufgebaut zu sein wie die unmittelbar vorangegangene und emotional einfach niederschmetterndere Episode. Auch hier dringt der Zuschauer mittels Rückblenden tief in die Beziehung der männlichen Akteure zu der romantisch verklärten Sängerin ein, die von allen förmlich angebetet wurde. Die Identifizierung des Mörders ist eigentlich nebensächlich gegenüber dem Schmerz, den alle angesichts des Verlusts des „manic pixie dream girls“ spüren und der auch durch die Bestrafung des Täters nicht gelindert werden kann. Im Gedächtnis bleibt auf jeden Fall der Song, der da immer wieder erklingt, mit seiner fremdartigen, aber sofort einnehmenden Gesangsmelodie, in der sich Lebensfreude und eine tiefe Melancholie freundschaftlich die Hand reichen, auf eine Art und Weise, die der deutsche Schlager der frühen Siebzigerjahre perfektioniert hatte.

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Episode 40: Der Tod des Herrn Kurusch (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Herr Kurusch (Wolfgang Büttner) ist der bei allen Mietern verhasste Hausbesitzer, der jeden Monat persönlich die Miete einsammelt und sich trotz seines Reichtums nur eine bescheidene Wohnung gönnt. Der Student Ewald Lerche (Volkert Kraeft) fasst mit seiner Freundin Helga (Christiane Krüger) den Entschluss, den Mann in seiner Wohnung mit einem Hammer zu erschlagen und ihm das Geld abzunehmen. Vor Ort muss er aber feststellen, dass ihm jemand unmittelbar zuvor gekommen ist. Er lässt vor Schreck den Hammer fallen und flieht, wobei er von der Nichte des Toten, Annemarie Kurusch (Cornelia Froboess), gesehen wird. Er ist nun der Tatverdächtige Nummer eins und alle Indizien sprechen gegen ihn. Er ringt Keller die Möglichkeit ab, eigene Ermittlungen anzustellen …

Mit dieser Episode begibt sich Grädler zwar wieder auf vertrautes Krimiterrain, aber „Der Tod des Herrn Kurusch“ ist trotzdem toll, weil Reinecker einfach ein gutes Drehbuch geschrieben hat. Der Fall ist spannend, weil man sich gut mit der misslichen Lage, in der sich Lerche befindet, identifizieren kann. Die Sympathien fliegen ihm zu, obwohl er ja ein ziemlich jämmerlicher Typ ist: Keller hat durchaus Recht, ihm mit unverhohlener Verachtung zu begegnen. Dass Lerche „unschuldig“ ist, ist ja eher einem dummen Zufall geschuldet, als der charakterlichen Tadellosigkeit dieses Feiglings, der sich für ziemlich oberschlau hält, durch eine Verkettung dummer Fehler aber schließlich doch als Mordverdächtiger dasteht. Cornelia Froboess gibt wieder mal eine ihrer irgendwie unsympathisch-verknöcherten Besserwisserinnen, bei denen ich nie weiß, ob diese Figuren wirklich so sein sollen oder ob die Froboess einfach nicht anders kann.

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Episode 41: Kellner Windeck (Erik Ode, Deutschland 1971)

In einem Brunnen findet man den Kellner Windeck (Michael Verhoeven). Er wurde hinterrücks erwürgt und in den Brunnen gestoßen, irgendjemand hat ihm nach dem Tod noch die Schuhe ausgezogen und fein säuberlich auf den Boden gestellt. Bei den Ermittlungen finden Keller und seine Leute heraus, dass Windeck echten Schneid bei den Frauen hatte: Gleich mehrere vergießen ehrlich gemeinte Tränen um den sensiblen, zärtlichen Mann. Als Tatverdächtige kommen sofort drei Männer in Frage, die mit seinem Charme nicht mithalten konnten: sein Arbeitgeber Millinger (Claus Biederstaedt), der fiese Gruber (Hans Korte) und Erich Lorenz (Thomas Frey), der Sohn von Windecks Vermieterin (Angela Salloker) …

Die Episode ist nicht besonders aufregend, wirkt aber unvermindert aktuell, was ja nun eine irgendwie traurige Erkenntnis ist. Männer sind zu einem überwiegenden Teil Machoarschgeigen, die Frauen besitzen wollen, dann aber nichts mehr mit ihnen anzufangen wissen. Ein „Frauenversteher“ wie Windeck muss ihnen ein Dorn im Auge sein. Seiner vermeintlichen „Weichheit“ haben sie nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen, außer natürlich roher Gewalt.

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asylEpisode 42: Ein rätselhafter Mord (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Ein Student wird auf offener Straße erschossen, als er die Wohnung seiner Freundin (Donata Höffer) verlässt. Die Obduktion ergibt, dass der Schuss aus dem ersten Stock eines Mietshauses abgegeben worden sein muss. Zwei Männer kommen für den Mord in Frage: Der Waffensammler Wilfried Kaiser (Thomas Astan), dessen Vater (Herbert Fleischmann) mehrere türkische Gastarbeiter in einer Abstellkammer wohnen lässt, und der Student Heymann (Manfred Seipold), der bei der strengen Frau Bassmann (Maria Wimmer) zur Untermiete lebt …

Es sind eher kleinere Details, die hier interessant sind, vor allem natürlich die Zeichnung des morbiden Wilfried: Dessen Zimmer ist übersät mit Italowestern-Plakaten („Lasst uns töten, Compañeros!“) und auf dem Plattenteller kreist Morricones „C’era una volta il West“ mit deutschem Voice-over, was Kommissar Keller, den alten Spießer, dazu veranlasst, die Augen ganz fest zusammenzukneifen. Der Exkurs zum Thema illegale Gastarbeiter ist auch ein schönes Zeitzeugnis, während die Gelassenheit, mit der Keller und Co. das Geständnis der erwachsenen Frau Schöne (Eva Ingeborg Scholz) aufnehmen, ein Verhältnis mit dem 16-jährigen Nachbarsjungen zu unterhalten, eher verwundert. Die Auflösung hat Reinecker geradwegs aus der Schublade mit der Aufschrift „Küchenpychologie“ gezogen. Und der Soundtrack wird größtenteils von Creedence Clearwater Revival bestritten, was super ist. Alles in allem unterhaltsam, aber kein Meilenstein.

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traumEpisode 43: Traum eines Wahnsinnigen (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)

Bevor er aus der Nervenheilanstalt fliehen kann, bringt der Verrückte Kabisch noch zwei Menschen um. Gemeinsam mit seinem Arzt Dr. Hochstätter (Curd Jürgens) heften sich Keller und Co. an die Fersen des Mörders. Sie erwarten, dass er die Artistin Eva Raßner (Christine Kaufmann) aufsucht, die er einst umbringen wollte. Gemeinsam mit ihrem Gatten (Günter Stoll) weilt sie in München, weil dort gerade der Zirkus gastiert. Das Problem: Niemand weiß wie Kabisch aussieht, denn dessen Spezialität waren stets seine Maskierungs- und Schauspielkünste …

Hier wird ganz, ganz tief in die Exploitationkiste gegriffen und heraus kommt eine herrlich pulpige Episode, die zu allem Überfluss auch noch fantastisch besetzt ist. Curd Jürgens gibt erwartungsgemäß alles als Arzt, der bei der Behandlung eines kriminellen Masterminds die Grenze zum Wahnsinn höchstselbst überschritten hat. Seine mit unverhohlener Bewunderung für den Irren vorgetragenen Exegesen über dessen Philosophie sind eine echte Schau, entlocken dem nüchternen Keller mehr als nur ein befremdetes Augenrollen. Die Idee mit den Masken ist natürlich auch super, eine schöne Reminiszenz an die Gruselkrimis der Sechzigerjahre, deren Ausläufer zu Beginn der Siebzigerjahre ja immer noch in den Lichtspielhäusern der Nation zu bewundern waren. Man erkennt recht schnell, wer der Täter sein muss, weil Schnauz und Hasenzähne ein bisschen arg angeklebt aussehen, aber die Auflösung ist dann doch ganz hübsch. Horst Frank taucht gleich mehrfach auf und ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte ihn in allen seinen Verkleidungen erkannt. Geiler Pulp!

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Episode 44: Die Tote im Park (Wolfgang Staudte, Deutschland 1972)

Im Englischen Garten wird die Edelpostituierte Erika Halonde (Gaby Gasser) tot aufgefunden. Sie gehörte zum Zuhälter Rotter (Manfred Spies), der darüber erbost war, dass sie ein Verhältnis mit dem Nachtclub-Betreiber Dewanger (Siegfried Wischnewski) hatte. Bei den Ermittlungen bekommt Keller Unterstützung von Gerti Halonde (Heidelinde Weis), selbst eine Prostituierte, die zur Untermiete bei dem schwerkranken Erich Felz (Siegfried Lowitz) lebt. Als Gertis Vater (Martin Held) nach München kommt, hat sie ein Problem, denn er soll natürlich nicht erfahren, welchem Beruf sie nachgeht …

Eher mittelprächtige Folge, die aber von ihrer Milieudarstellung und dem gewohnt tollen Spiel von Heidelinde Weis profitiert. Die Szene, in der der fiese Rotter sie vor ihrem Vater als „Nutte“ bloßstellt und es plötzlich totenstill im zuvor noch pulsierenden Nachtclub wird, ist toll. Und Lowitz übt schon einmal für seine Rolle in der späteren DERRICK-Episode „Stiftungsfest“. Sonst fällt mir nichts ein.

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Episode 45: Schwester Ignatia (Dietrich Haugk, Deutschland 1972)

Die Ordensschwester Ignatia (Maria Becker) erkennt unter den jugendlichen Einbrechern, die nachts aus der Villa eines Millionärs fliehen, Jürgen Gebhardt (Volker Eckstein), in dessen Elternhaus sie zur Pflege seiner schwer kranken Mutter (Berta Drews) ein- und ausgeht. Sie schützt den Jungen, indem sie eine klare Aussage verweigert …

Mit „Schwester Ignatia“ vergeigt Reinecker erhebliches Potenzial: Die Tatsache, dass die Nonne einen Täter deckt, spielt für den Ermittlungserfolg eigentlich kaum eine Rolle, weil Keller und Partner auf ihren Hinweis kaum angewiesen sind. Der eigentliche Täter stellt sich schon ausreichend dumm an, aber wer will es ihm auch verdenken. Wieder einmal geht es hier um höchst fragwürdige Beziehungsspiele, bei denen ein verweichlichter Ehemann solange gute Miene zum bösen Spiel macht, bis die Wildsau mit ihm durchgeht. Passend dazu wird seine Ehefrau von der blonden Quasischwedin Ini Assmann gegeben, deren kurze Filmografie mit Titeln wie DER NÄCHSTE HERR, DIESELBE DAME, CARRERA – DAS GEHEIMNIS DER BLONDEN KATZE, PUDELNACKT IN OBERBAYERN, HUGO, DER WEIBERSCHRECK, BLONDE KÖDER FÜR DEN MÖRDER und SCHULMÄDCHEN-REPORT 6. TEIL: WAS ELTERN GERN VERTUSCHEN MÖCHTEN sehr aufschlussreich bestückt ist. Sie sagt in der ganzen Episode kein Wort, steigt ständig aus dem Pool oder klettert hinein und ist reichlich lazy als personifizierte Sünde gezeichnet.

Sein Ringelmann-Debüt gibt Volker Eckstein, hier mal nicht als blässlicher Softie, sondern als Halbstarker, der von der strengen Ignatia als Gegenleistung für ihr Schweigen auf den Pfad der Tugend geführt wird. Die Folge ist am besten, wenn sie sich der Zeichnung eines höchst banalen sozialen Elends widmet: Jürgens Mutter liegt schwitzend im Bett, ihrem Tod entgegenjammernd, der Vater ist ständig besoffen und völlig ohnmächtig, der Sohnemann will einfach nur weg. Nebenbei spielt Jan Hendriks noch einen arbeitslosen Vater, der ständig seine kleine Tochter verdrischt. Am Ende fällt Schwester Ignatia mit dem Fahrrad auf die Schnauze, als wolle Reinecker auch ihr noch einen mitgeben. Seltsam.

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Episode 46: Überlegungen eines Mörders (Dietrich Haugk, Deutschland 1972)

Auf Erika (Grit Böttcher), die junge Gattin des Unternehmers Hubert Taveller (Harry Meyen), wird ein Mordanschlag verübt. Die junge Frau hatte keinen besonders guten Stand in der Familie, wie Kommissar Keller schnell herausfindet. Sowohl Nora (Claudia Butenuth), Tavellers Tochter aus erster Ehe, als auch seine Ex-Gattin Irene (Nadja Tiller) halten wenig von ihr. Und dann ist da ja auch noch die Hausdienerin Franziska (Christiane Rücker), mit der der Hausherr ein Verhältnis hat …

Ja, nu. Die schöne Besetzung kann nicht ganz verhindern, dass ÜBERLEGUNGEN EINES MÖRDERS den Eindruck macht, als habe Reinecker sie zwischen zweitem Frühstück und Mittagsschläfchen geschrieben. Nicht schlecht, aber vergleichbare Fälle hat man zu diesem Zeitpunkt schon x-mal gesehen.

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schulmaedchenEpisode 47: Tod eines Schulmädchens (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Die Schülerin Kirsten Benda (Helga Anders) wird abends vor einer bekannten Spielhalle erschossen. Bei den Ermittlungen an ihrer Schule finden Keller uns seine Männer heraus, dass die Klassensprecherin bei Lehrern und Schulleitung (Wolfgang Preiss) höchst unbeliebt war: Sie galt ihnen als aufmüpfig, unmoralisch, ja sogar „böse“. Ihr Klassenlehrer Gebhardt (Heinz Bennent) wollte wegen ihr sogar den Beruf aufgeben. Nun, nach ihrem Tod, ist er aber plötzlich ganz anderer Meinung über sie …

Generationenkonflikt à la Reinecker: Schon die Jacke der Benda reicht aus, um den Stab über der Schülerin zu brechen. Wer sich so unweiblich anzieht, der muss mit dem Teufel im Bunde sein. Die Rückblendenstrategie ist hier besonders geschickt, weil ihre einzelnen Segmente den krassen Widerspruch zwischen den Aussagen der Erwachsenen über die ach so verkommene Kirsten und deren wirklichem Verhalten offenlegen. Man ist es schlicht und ergreifend nicht gewohnt, dass eine Jugendlich einen eigenen Willen zeigt, Antworten einfordert oder gar mit Argumenten überzeugt werden möchte, anstatt bloß willige Befehlsempfängerin zu sein. Es ist frappierend, dass niemand wirklich sagen kann, was sich dieser Satansbraten eigentlich hat zu Schulden kommen lassen: Aber auch, dass weder Keller noch seine Leute jemals wirklich danach fragen. Was Erwachsene über Jugendliche sagen, hat eben doch mehr Gewicht.

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tanzEpisode 48: Toter gesucht (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Der Ladenbesitzer Berneis (Bernrad Wicki) fängt Kommissar Keller eines Morgens aufgeregt ab. Er glaubt, sein Sohn Franz (Christopn Bantzer) habe einen Mord begangen, weil er am Vorabend mit einem blutverschmierten Hemd nach Hause gekommen sei. Keller glaubt dem Mann, zumal sich Indizien auf ein dunkles Geheimnis des Sohnes häufen. Nur eine Leiche fehlt …

Eine schöne, wenn auch nicht unbedingt spektakuläre Folge. Bernhard Wicki ist wunderbar mit seinem Rauschebart, dem Hut und dem ständigen Kippenrauchen, wie er seinen Nachbarn Keller da auf offener Straße abfängt, ihn zu einer konspirativen Sitzung in die kleine Küche hinter seinem Gemischtwaren holt und sich dann ständig selbst unterbricht, um sich zu vergewissern, dass sein inkriminierter Sohn nicht die Treppe herunterkommt. Der Kommissar ermittelt gewissermaßen auf eigene Faust, sehr zum Unverständnis seiner jüngeren Untergebenen, die angesichts des Mangels einer Leiche an seinem Verstand zu zweifeln beginnen. Aber Keller kann sich natürlich auf seine untrügliche Intuition verlassen, Er weiß, dass Franz Dreck am Stecken hat und weil ihm die Beweise fehlen, tut er das, was Oberinspektor Derrick später zur Kunstform erheben sollte: Er geht dem Täter mit seinen ständigen Überraschungsbesuchen gnadenlos auf die Nerven.

„Toter gesucht“ ist auch eine verhalten humorvolle Episode, weil sie Keller Gelegenheit gibt, den arroganten Schnösel gnadenlos abblitzen zu lassen. Und in einer ganz famosen Szene hört er sich mit wissendem Lächeln und in aller Seelenruhe die Beleidigungen des Morgenluft witternden Buben an. Es tut ein bisschen weh, weil sein Gegenüber auch ein ganz kleines bisschen Recht hat, wenn er Keller ein tristes Spießerleben vorwirft, aber der schluckt es runter, weil er genau weiß, wo das Großmaul in Bälde landen wird. Dann lässt er sich von dessen Freundin Anita (Eleonore Weisgerber) zu einem Tänzchen auffordern und was eigentlich als Demütigung gemeint ist, wird zum stillen Triumph des alten Mannes, der den Exkurs auf die Tanzfläche durchaus genießt.

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Episode 49: Ein Amoklauf (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)

Weißmann (Gerd Baltus) hat vor Jahren seinen Schwiegervater sowie seine beiden Kinder erschossen, als er herausfand, dass seine Gattin Hannelore (Krista Keller) ihn mit einem anderen Mann betrügt. Jetzt ist ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelungen und Keller und seine Assistenten wissen, wo er hin will: Zu seiner alten Wohnung, wo Hannelore mit besagtem Mann, ihrem neuen Gatten (Götz George) lebt. Während Harry mit dem behandelnden Psychiater (Charles Regnier) in einer Kneipe gegenüber der Wohnung wartet, beschützt Walter die verängstigten Eheleute – und erfährt, was Weißmann damals die Sicherungen durchbrennen ließ …

Eine Belagerungsfolge, die viel Spannung aus ihrer einfachen Konstellation bezieht, auch wenn man ahnt, dass es nicht zu einem weiteren Amoklauf kommen wird. Wie auch in späteren DERRICK-Folgen wird hier wieder ein sehr seltsames und verdrehtes Bild einer „Liebes“-Beziehung gezeichnet: Was ging nur in Reineckers Kopf vor? George interpretiert seinen Neumann ausnahmsweise mal nicht als selbstbewussten Supermacho, sondern im Gegenteil als ziemlich jämmerlichen Feigling, der angesichts des möglichen Todes auf alle vor dem Pfarrer geleisteten Eheschwüre pfeift und nur daran denkt, sein Gewissen zu beruhigen und sauber davonzukommen. Ein ekelhafter Typ. Seine Gattin hingegen entspricht eher dem Typus der gefühlskalten und verantwortungslosen Schlampe, die ihren Mann einst mit perfider Schadenfreude und ohne schlechtes Gewissen hinterging und bizarrerweise keinerlei Probleme damit hat, weiterhin in der Wohnung zu leben, in der ihre eigenen Kindern einen gewaltsamen Tod fanden. Walters Gesichtszüge entgleisen mehr als einmal, ob der Darbietung der beiden, der er da beiwohnen darf.

Baltus als Amokläufer ist natürlich eine strategische Besetzung: Man assoziiert ihn ja eigentlich eher mit biederen Waschlappen der Marke Versicherungsvertreter oder Buchhalter – siehe seine Rolle in der DERRICK-Jahrhundertfolge „Tod des Wucherers“ -, aber in der frühen KOMMISSAR-Episode „Ratten der Großstadt“ agierte er durchaus überzeugend als gemeiner Prolet. Davon ist hier nicht mehr viel zu sehen, und weil von ihm keine echte Bedrohung ausgehen mag, erwartet man eigentlich, dass sich seine Unschuld an dem vergangenen Massaker herausstellt. Die Überraschung, mit der „Ein Amoklauf“ schließt, ist anderer Natur. Und verfehlt ihre Wirkung durchaus nicht. Natürlich ist auch Regnier wieder mal super.

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fricke2Episode 50: Der Tennisplatz (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Ein Obdachloser (Bruno Hübner) wird erschossen in einem geparkten Auto aufgefunden, an seinen Schuhen klebt rote Asche, wie man sie auf Tennisplätzen findet. Eine Spur finden Keller und Co. in einem Obdachlosenheim, wo der Mann anhand eines Fotos als Hugo Bechthold identifiziert wird. Sein Zimmergenosse Biebach (Rudolf Platte) berichtet Keller von Brunos letztem Tag. Anhand dieser Schilderungen gelingt es dem Kommissar tatsächlich den Ort zu finden, an dem der Obdachlose sein Leben verloren hat: Ein besitzerloser Tennisplatz, in dessen Nähe die Villa der Familie Prewall steht. Alles deutet darauf hin, dass der junge Andreas Prewall (Peter Fricker) der Mörder ist …

Reinecker frönt in „Der Tennisplatz“ wieder einmal seinem Menschenhass oder genauer: seiner Verachtung für die Oberschicht, die sich über die Schwächeren erhebt und voller Arroganz auf sie hinabschaut, sich ihrer Überlegenheit ganz sicher, die sich jedoch einzig auf ihre materielle Affluenz gründet. Das Ende ist harter Tobak: Die „feinen Herrschaften“ steigern sich in ihrem sadistischen Spiel mit dem armen, ahnungslosen Kerl in einen wahren Rausch, wie wild gewordene Affen feuern sie ihn an und demütigen sie ihn, bis schließlich die tödlichen Schüsse fallen. Ein bisschen forciert wirkt das schon, vor allem Frickes Charakter zeigt keinen einzigen positiven oder auch nur milde sympathischen Zug. Dass er die ganze Zeit mit seinem wortkargen Freund Jürgen (Roger Fritz) rumhängt, suggeriert seine Homosexualität, auch wenn Reinecker nie wirklich explizit wird.

Er erdet diese Übersteigerung damit, dass er in der Zeichnung seiner Schauplätze sehr abstrakt bleibt: Die Kneipe, in der Hugo seinen letzten Kassler aß (der Wirt ist natürlich wieder einmal Dirk Dautzenberg), der Tennisplatz und die Villa der Prewalls fügen sich nie zu einem schlüssigen geografischen Gesamtbild, es sind Settings, die im luftleeren Raum schweben und die ganze Geschichte so in den Rang einer bitteren Parabel erheben, anstatt sie wirklich in Bezug zur konkreten Realität der BRD anno ’72 zu setzen. Gerade das hat mir super gefallen.

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fluchtEpisode 51: Fluchtwege (Wolfgang Becker, Deutschland 1972)

Gabriele Bebra (Monica Bleibtreu) flieht aus einer Erziehunganstalt. Harald Steinhoff (Joachim Ansorge) gabelt sie auf, verliebt sich in sie und lässt sie im Gartenhaus auf dem Grundstück seines wohlhabenden Vaters (Carl Lange) wohnen. Einige Zeit später findet man Gabrieles Vater (Michael Toost), einen Säufer, tot in seiner Wohnung und Gabriele taucht kurze Zeit später wieder in ihrem Heim auf. Ist sie die Mörderin? Und welche Rolle spielt ihr Bruder Gerd (Martin Semmelrogge)?

Eine dramatische Episode, angesiedelt im Spannungsfeld zwischen tristem, prekärem Kleinbürgermilieu ohne Hoffnung, geprägt von Alkohol, häuslichem Missbrauch und Erziehungsheimen, und wohlhabendem Bürgertum, das zwar mit Wohlstand, aber ohne Empathie ausgestattet ist. Die Szenen im Heim, wo Gabriele nach ihrer freiwilligen Rückkehr zur Strafe für ihre Flucht in „Isolationshaft“ in den Keller gesperrt wird, sind nicht die einzigen, die an COOL HAND LUKE und vergleichbare Knastfilme erinnern. Reinecker trägt vielleicht etwas dick auf mit der Darstellung des Bebra’schen Familienalltags und Carl Lange auf der anderen Seite ist auch nicht gerade für Ambivalenz eingestellt worden, aber Monica Bleibtreu sorgt mit ihrer zurückhaltenden Darbietung für den nötigen Realismus. So wie sich Harald spontan in sie verliebt, als sie ihre Heimschuhe auszieht und wegwirft, geht das auch dem Zuschauer. Man könnte den Rest seiner Tage damit verbringen, ihr dabei zuzuschauen, wie sie tagsüber im Bett liegt und Zigaretten raucht.

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humorEpisode 52: Das Ende eines Humoristen (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Erwin Waldermann (Hanns Ernst Jäger) lebt in der Vergangenheit: Immer noch tritt er regelmäßig auf und erzählt seine 30 Jahre alten Witze, die aber nur noch das genügsamste Kneipenpublikum aus der Reserve zu locken vermögen, und träumt von den angeblich glorreichen Tagen, als er vor ausverkauften Sälen in den Kurorten Travemünde oder Baden-Baden tosenden Beifall erhielt. Als seine Tochter Ursula (Christiane Schröder) ermordet wird, die als seine Managerin fungierte, obwohl sie seine Witze furchtbar fand, bricht Waldermann zusammen …

Oh – mein – Gott. „Das Ende eines Humoristen“ muss eine der bittersten Serien- bzw. Filmerfahrungen sein, die ich machen durfte. Die Figur des jämmerlichen Kalauererzählers, der mit seiner pomadigen Darbietung wie ein Relikt aus längst vergessenen Zeiten anmutet, sich Abend für Abend selbst der Lächerlichkeit preisgibt, ohne zu merken, wie armselig seine Nummern sind, stürzt den Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle. Man hat Mitleid mit ihm, auf der anderen Seite mag man ihm seinen Realitätsverlust nach einiger Zeit einfach nicht mehr nachsehen. Genau darum geht es auch: Wie kann man jemanden lieben, der einen so miserablen Sinn für Humor hat? Der einfach nicht einsehen will, dass das, was er tut, schlecht, ja unerträglich ist? Der Begeisterung und Teilnahme einfordert, obwohl man sich nur noch abwenden möchte? Reinecker und Grädler geben keine Antwort darauf, und sowohl Ursula wie auch Waldermanns Untermieter Sorge (Alfred Balthoff) müssen als Musterbeispiele christlicher Nächstenliebe gelten, wie sie diesem Verblendeten die Treue halten, sich immer und immer wieder seine grausamen Witzchen anhören. Keller und Co. verstehen es natürlich nicht, als Sorge einmal, als Waldhoff das Zimmer verlässt, die Fassade des fürsorglichen Freundes fallenlässt und seinem Ekel Luft verschafft: Er sei doch Waldermanns Freund? Der Zuschauer ist da schon einen Schritt weiter und weiß, wie es in Sorge aussehen muss.

Aber natürlich reißt einen die Auflösung doch von den Füßen. So sehr man Waldermann auch zurufen möchte, er solle endlich aufhören, so wenig wünscht man ihm dieses Schicksal. Am Ende der Episode ist von ihm nichts mehr übrig. Ich hingegen werde Waldermann nie mehr vergessen.

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drogenEpsiode 53: Mykonos (Jürgen Goslar, Deutschland 1972)

Charlotte (Maresa Hörbiger) und Robert (Bernd Herzsprung) sind mit Drogen im Kofferraum aus Mykonos nach München gekommen, um sich ein paar Tausend Mark für das Leben auf der griechischen Insel zu verdienen. Doch Robert wird bei dem Deal ermordet. Die Spur führt Keller und seine Assistenten in die Drogenszene, in der der Dealer Manni Geckow (Ullrich Haupt) in großem Stil die Fäden zieht …

DER KOMMISSAR geht MIAMI VICE! Naja, nicht ganz, aber ein paar Parallelen kann man durchaus ziehen. Zum Beispiel, wenn Harry im engen T-Shirt und Jeans undercover im „Nirwana“ auftaucht, Fragen stellt und eine heroinsüchtige 13-Jährige mitnimmt. Oder wenn Geckow in seiner Münchener Villa zwischen lauter gut aussehenden Frauen herumscharwenzelt und am Ende ein rauschendes Fest gibt. Unterschiede kann man aber auch festmachen: Während Drogen in der amerikanischen Hitserie längst im Mainstream angekommen sind, regiert hier doch überwiegend erst Ahnungslosigkeit und dann das blanke Entsetzen. Geckow gerät in großäugige Panik, als das Geheimnis seines Wohlstands ans Licht zu kommen droht, und seine Gäste können es kaum glauben, wo sie da reingeraten sind. Goslar bringt in seinem KOMMISSAR-Debüt durchaus etwas Amerikanisches mit ein, was zum Sujet gut passt. Das Finale ist fast schon Action.

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Episode 54: Blinde Spiele (Theodor Grädler, Deutschland 1972)

Gerhard Rauda (Robert Freitag) wird erschossen in einem Boot auf dem Starnberger See treibend aufgefunden. Bei den Ermittlungen findet Keller heraus, dass der verheiratete Mann regelmäßig andere Frauen in sein Bootshaus einlud; Affären, von denen seine Gattin (Anaid Iplicjian) nicht nur wusste, sie war sogar mit seiner Geliebten Erika Kerrut (Anna von Koczian) befreundet. Und jene machte wiederum aus ihrer Affäre mit Rauda vor ihrem Gatten (Hellmut Lange) kein Geheimnis, der sich zum Ausgleich mit dem Hausmädchen (Beatrice Norden) verlustierte. Nur die beiden Kinder (Pierre Franckh und Katharina Seyfert), die sahen das alles nicht so locker wie die Erwachsenen …

Zunächst mal erstaunt die Offenherzigkeit, mit der die Themen Polygamie und offene Beziehungen hier verhandelt werden. Aber natürlich geht es Reinecker nicht darum, alternative Lebenskonzepte zu propagieren, weshalb das ungehemmte Liebesglück auch geradwegs in die Katastrophe führen muss. Selbst wenn das Motiv nicht Eifersucht ist: Es ist unzweifelhaft, dass Reinecker meint, die Raudas und Kerruts haben mit dem Mord nur die Rechnung für ihr unmoralisches Handeln erhalten. Der schöne, utopische Schein zeigt aber vorher schon Risse: Ganz so cool, wie sie tun, sind die Kerruts mit den Affären des jeweiligen Partners dann doch nicht, irgendwann kommt es zum gepfefferten Streit vor den Kriminalbeamten, die sich das selbstzufriedene Grinsen nicht ganz verkneifen können. Keller möchte man für seine dämliche Borniertheit, mit der er die Lebens- und Liebeskonzepte der beiden Paare als größenwahnsinnig und fehlgeleitet bezeichnet, bloß weil er sich nichts anderes vorstellen kann, feste vors Schienbein treten oder ihm einen Cognac in seine ledrige Spießerfresse mit den Schweinsaugen schütten.

Aber letztlich ist es ja genau dieses beständige Schwanken zwischen bilderstürmerischer Modernität und graubrauner Piefigkeit, das an DER KOMMISSAR so fasziniert, weshalb „Blinde Spiele“ natürlich auch keine ärgerliche, sondern im Gegenteil eine supertolle Episode ist.

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Episode 55: Rudek (Charles Regnier, Deutschland 1973)

Der Geschäftsmann Doberg (Siegfried Lowitz) nimmt seinen Kollegen Rudek (Ernst Schröder) mit in das exklusive Bordell von Derrick (Sky Dumont). Dort fällt Rudek aus allen Wolken: Eine der beiden Prostituierten ist seine Tochter Ursula (Ilona Grübel). Außer sich verlässt er mit dem Mädchen die Wohnung und lässt Doberg und Heide (Hildegard Krekel) allein zurück. Am nächsten Morgen ist Derrick tot …

Reinecker nimmt mal wieder die spießbürgerliche Moral aufs Korn: Rudek nimmt zwar für sich in Anspruch, jederzeit in ein Bordell gehen und sich dort von jungen Mädchen verwöhnen lassen zu können, aber wenn es dann die eigene Tochter ist, die er da vorfindet, dann ist das natürlich doch nicht mehr so Ok. Lowitz gibt mal wieder einen seiner altväterlichen Lustmolche und haut den Kollegen im Verlauf der Episode ganz schön in die Pfanne, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen. Klaus Schwarzkopf spielt den drückebergerischen Nachbarn Hauffe, der sich laut Ehefrau (Edda Seipel) gern bei Derrick aufhielt. Die beste Szene ist das Zwiegespräch zwischen dem angespannten Rudel und seiner Tochter, bei der die Ehefrau und Mutter sorgenvoll hinter einer Glastür warten muss, nicht wissend, was eigentlich vorgefallen ist. Regniers Inszenierung ist dunkel, betont die schattenhafte Schwärze des Mietshauses und der Wohnung Derricks. Schön.

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ent26Episode 071: Die Entscheidung (Theodor Grädler, 1980)

Im Schlafwagen eines Zuges wird ein Mann umgebracht. Es stellt sich heraus, dass er seinen Platz erst kurz zuvor mit einem anderen getauscht hatte, der Mordanschlag also vermutlich jenem galt. Bei diesem anderen Mann handelt es sich um Alf Hauff (Karl Heinz Vosgerau), der auf dem Weg nach München ist, um die Erbschaft seines verstorbenen Vaters anzutreten. Seine ganze Familie – Bruder Ulrich (Hannes Messemer), Schwägerin Henriette (Gisela Uhlen), Neffe Peter (Sky Dumont), Nichte Margot (Christiane Krüger) und Tante Ina (Brigitte Horney) – könnte hinter dem Mord stehen. Doch besonders Ulrich tut sich mit seinem höchst rätselhaften Verhalten als Verdächtiger hervor …

Eine der verstrahltesten DERRICK-Episoden überhaupt. Dabei fängt alles ganz harmlos und normal an. Wenn sich die Handlung dann aber der Familie Hauff und vor allem dem Bruder Ulrich zuwendet, wird alles sehr, sehr seltsam. Hannes Messemer interpretiert seine Figur als verzärtelten, realitätsfernen Träumer, der die Schwelle zum Wahnsinn schon mit einem Fuß überschritten hat. Er verliert sich in offenherzigen Monologen, mit denen er sich mehr als einmal selbst zu inkrimieren scheint, blickt mit tränennassen Augen ins Nichts oder lächelt beseelt, als habe er einen Engel gesehen. Messemers Spiel ist grandios: Er kultiviert hier eine Form des Overactings, die diesen rätselhaften Charakter nicht dem Zugriff entzieht, sondern ihn erst begreiflich macht. Wie er seine wahnsinnigen Monologe intoniert, seine Gesichtszüge binnen Sekunden von einem Extrem ins andere gleiten lässt, ist beeindruckend – und tatsächlich bewegend. Einmal ergeht sich Ulrich in einer genauen Rekapitulation des Tathergangs, die mit der fast konkret-poetischen Zeile „tatamm – Mord – tatamm – Mord …“ schließt, die Geräusche des Zugs imitierend (Derricks Blick angesichts dieses Wahnsinns ist alles). Dann wieder erklärt er feierlich, er wünschte sich, auch ermordet worden zu sein, weil das ein „besonderes Schicksal“ sei. Wieder ein anderes Mal fragt er Derrick, ob er etwas „spüre“, wenn er sein Haus betrete, und gesteht dann unter Tränen, dass er nie etwas gekonnt habe, während ihn seine Tante (Brigitte Horney), eine ehemalige Balltettänzerin, gekleidet in ein altes Kostüm, tröstet wie ein kleines Kind. Sky DuMont spielt Ulrichs Sohn als ständig blasiert dreinguckenden Schnösel und der Mörder stürzt am Schluss in die Nacht hinaus, die plötzlich von Suchscheinwerfern erleuchtet wird.

Der Horror der deutschen Familie und des Wohlstandsbürgertums wird hier mit einem Thema verquickt, das die Serie von nun an einige Zeit begleiten wird: Es geht in „Die Entscheidung“ um den Gegensatz von kaltem, rationalem Kalkül und einem schwelgerischen Gefühlsüberschwang, der von der Gesellschaft oft als „Wahnsinn“ diffamiert wird. Die Hauffs sehen im hilflosen Ulrich einen willkommenen Sündenbock, dem sie den Mordversuch in die Schuhe schieben können, übersehen dabei aber, dass dieser Mann einer solchen Tat völlig unfähig ist. Ihre Abgebrühtheit ist umso abstoßender, als sie den schwächsten in ihrer Mitte dazu auserkoren haben, für ihre Schweinereien geradezustehen.

Grädler, sicherlich nicht der inspirierteste DERRICK-Regisseur, sondern immer sehr abhängig von seinen Drehbüchern, macht hier alles richtig, konzentriert sich ganz auf die Charaktere und das Spannungsverhältnis zwischen ihnen. Er gibt Messemer viel Raum, geht dicht an ihn ran, und lässt sich die Figuren immer wieder zu schönen Gruppenbildnissen positionieren, aus denen hervorgeht, wer hier das Sagen hat. Und Tappert? Der blüht in den Szenen mit Messemer geradezu auf, auch wenn das angesichts seiner wie gemeißelten Gesichtszüge nicht der passende Ausdruck ist. Derrick ist nicht der Typ, dem Emotionen entgleisen, aber er muss sich angesichts des Irrsinns, den Ulrich von sich gibt, schwerstens anstrengen. Ganz großes Fernsehen!

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aboEpisode 072: Der Tod sucht Abonnenten (Zbynek Brynych, 1980)

Eine Drogentote führt Derrick und Klein auf die Spur eines rücksichtslosen Dealers (Jacques Breuer). Zur gleichen Zeit versucht der Bruder der Toten (Manfred Zapatka), deren ebenfalls abhängige Freundin Marga (Verena Peter) durch kalten Entzug von den Drogen wegzubekommen …

Die Krimihandlung ist nichts so besonders aufregend oder gar einfallsreich. Derrick und Klein fragen sich durch und kommen relativ schnell zum schmierig-arroganten Schüler Kurt Weber (Jacques Breuer), der ein bisschen aussieht wie ein schlanker Glenn Danzig. Es gibt keinerlei Zweifel an seiner Täterschaft und auch Brynych interessiert sich nicht wirklich für die Ermittlungen. Aber die Szenen zwischen dem Bruder der Toten und der drogenabhängigen Marga sind megaintensiv – und irgendwie auch ziemlich drüber. Man weiß nicht genau, was man von den zärtlichen Gefühlen, die er für sie entwickelt, halten soll: Es wirkt ein bisschen wie eine Ersatzreaktion, als projiziere er seine Liebe für die tote Schwester auf diese junge Frau, als wolle er seine Schuldgefühle an ihr beruhigen. Aber Reinecker meint das wohl alles ganz ernst, jedenfalls deutet das Ende darauf hin. Wenn sie sich unter Entzugsschmerzen auf einer siffigen Matratze windet und er ihr einen leidenschaftlichen Kuss aufdrückt, ist das trotzdem nicht gerade das Bild einer gleichberechtigten Beziehung. Dazu spielt Frank Duvals hyperkitschige Musik, die in ihrem ungehemmten Sentimentalismus so gar nicht zu den unangenehmen Bildern passen mag.

Und Derrick selbst hat wieder einen ganz großen Moment, als er einen Klassenlehrer über Kurt befragt. Dessen Aussage, bei Kurt handele es sich um „eine starke Persönlichkeit“ schmettert der Beamte auf jene gelassen-bestimmte Art ab, die keiner so gut drauf hatte wie Tappert: „Nö, das ist er nicht.“

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Episode 073: Auf einem Gutshof (Theodor Grädler, 1980)

In einer stürmischen Nacht wird auf die Gutsbewohnerin Marlene Schulte (Ellen Schwiers) geschossen. Den Schützen hat sie genau erkannt: Es war ihr Ehemann, der vorbestrafte Richard (Horst Buchholz). Doch der schwört, es nicht gewesen zu sein …

Grädler etabliert für diese Folge eine Gothic-Horror-Atmosphäre, die mal wieder eine schöne Abwechslung darstellt. Wenn die stürmische Nacht mit ihren Verwerfungen vorbei ist, widmet er sich mit dem Verdächtigen Richard einem weiteren jener tragischen Verlierertypen in der langen DERRICK-Ahnengalerie. Dessen Verzweiflung angesichts der harten Anschuldigungen, gegen die es nun einmal einfach kein Argument gibt, wird umso greifbarer, als ihm mit Marlenes Bruder Eberhard (Rolf Becker) jemand gegenübergestellt wird, der ihn mit harscher, unnachgiebiger Verachtung straft. Es gibt ein paar schöne Szenen, die Derrick im Gespräch mit dem vermeintlichen Mörder zeigen, wie sie gemeinsam über den Gutshof schlendern. Die ganze Folge ist sehr erdig und feucht, man meint tatsächlich, den Duft von Land und Wald riechen zu können, von dem auch Richard spricht. Die Auflösung ist ein bisschen blödsinnig, passt aber wieder ganz gut zum altmodischen Ambiente und bietet darüber hinaus Gelegenheit für einen putzigen Make-up-Effekt, mit dem DERRICK auf den Spuren von MISSION: IMPOSSIBLE wandelt.

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Episode 074: Zeuge Yurowski (Alfred Vohrer, 1980)

In einer Firma wird eingebrochen, ein Wachmann erschossen. Der Angestellte Yurowski (Bernhard Wicki) ist zufällig anwesend und erkennt seine Sekretärin (Christiane Krüger) als einen der Täter. Sie beschwört ihn zu schweigen, da er sonst mit seinem Leben bezahlen werde. Der Mann ist total verängstigt und hält dicht – gegen den anwachsenden Druck, den sowohl Derrick als auch seine eigene Familie auf ihn ausüben, als klar wird, dass etwas an Yurowskis Geschichte nicht stimmen kann.

Eine der moralphilosophischen Folgen, die sich in dieser Phase häufen. Auch das Thema des eingeschüchterten Zeugen eines Gewaltverbrechens, der sich nicht traut, auszusagen, beschäftigt Reinecker zu Beginn der Achtzigerjahre öfter. „Zeuge Yurowski“ dreht sich dann auch, wie der Titel nahelegt, um den Familienvater, der abwägen muss zwischen dem Risiko, dem er seine Familie aussetzt, und dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden. Letzteres hat erwartungsgemäß keine Chance gegen die ganz existenziellen Ängste. Vohrer hat eine klassische „Schauspielerfolge“ inszeniert: Sie gehört Bernhard Wicki, der jetzt nicht gerade der erste ist, der mir eingefallen wäre, wenn es um eine ängstliche Vaterfigur geht. Vielleicht überzeugt er auch deshalb so.

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Episode 075: Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Erik Ode, 1980)

Robert Renz (Siegfried Wischnewski) ist ein Schwein. Ein rücksichtsloser Erfolgsmensch, dem jedes Mittel recht ist. Kurz nach einer Galaveranstaltung, zu der er seine Geliebte (Franziska Bronnen) statt seiner Ehefrau (Anaid Iplicjian) mitgenommen hat, wird er erschossen. Der Verdacht fällt auf Renz‘ Sohn Erich (Nikolaus Büchel), der schwer unter der Knute seines Vaters zu leiden hatte …

Hier widmet sich Reinecker mal wieder der Auseinandersetzung von „verweichlichten“ Söhnen und ihren Vätern, echten Machertypen, die wissen, dass Empathie, Mitgefühl und Anstand Eigenschaften von Waschlappen sind. Siegfried Wischnewski ist natürlich idealbesetzt als egozentrischer Patriarch, der seiner Frau mit höchster Sachlichkeit mitteilt, dass er sie zum Galaempfang nicht „brauche“, weil er stattdessen seine Geliebte mitzunehmen gedenke. Die Episode krankt insgesamt etwas daran, dass der vom Vater gequälte Sohn, auf den danach der Verdacht fällt, tatsächlich eher unangenehm anmutet. Den Aussagen aller zufolge eben jener „Weichling“, den der Vater verachtete, markiert der just in dem Moment, in dem der Vater, gegen den er sich nie aufzulehnen traute, tot ist, den großen Macker. Man weiß trotzdem, dass er der Mörder nicht sein kann, allein schon, weil die Episode eben noch eine Überraschung braucht, aber das Geständnis des wahren Täters am Ende hinterlässt dann doch seine Spuren. Kein Klassiker, aber ein schöner Lückenfüller.

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prickerEpisode 076: Pricker (Alfred Vohrer, 1980)

Der Schwerverbrecher Hamann (Dirk Galuba) soll bei einem Gefangenentransport befreit werden. Doch dann ist er durch einen dummen Zufall gar nicht an Bord des Transporters. Seine Komplizen, die die beiden Wachmänner umbringen, finden in dem Wagen nur den kleinen Ganoven Pricker (Klaus Schwarzkopf) vor, dem aber die Flucht gelingt, bevor sie ihn ausschalten können. In einem kleinen Dorf findet er Unterschlupf bei der alleinstehenden Franziska Sailer (Ruth Drexel) und ihrer Tochter Hanni (Ute Willing). Er ahnt nicht, dass Hamanns Komplizen ein Interesse daran haben, ihn umzubringen …

Das ist mal was anderes, weil Derrick und Klein eher Nebenfiguren sind und die ganze Episode auch gut und gern ohne den Kriminalfall auskäme. Klaus Schwarzkopf ist wunderbar als geläuterter, kleiner Gauner, der in einem bayrischen Dorf die Zuwendung und Wärme findet, die ihm in seinem Leben versagt geblieben ist. Er akzeptiert es sogar, in seiner Kammer eingeschlossen zu werden, solange er weiß, dass seine „Wärter“ nett zu ihm sind. Eine Szene, bei der die drei einen Ausflug an einen kleinen See machen, ist wunderschön und von einer sonnigen Unbeschwertheit, die sonst nicht gerade die Kernkompetenenz von DERRICK ist. Ohne Bayern-Fachmann zu sein: Das ruppige, aber herzliche Miteinander von Mutter und Tochter machte auf mich einen sehr authentischen Eindruck: Hier wird nicht viel über Gefühle schwadroniert, sie sind da und man muss sich ihrer nicht mehr vergewissern.

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kerzeEpisode 077: Dem Mörder eine Kerze (Dietrich Haugk, 1980)

Der Besitzer eines Fotostudios wird erschossen. Eine vor dem Tod von ihm hingekritzelte Botschaft führt Derrick und Klein zu dem Schüler Albert Hess (Sven-Eric Bechtolf), der mit anderen häufiger für Werbeaufnahmen posierte. Auch seine Freundin Vera (Katja Bienert) gehörte zum Kreis der Fotomodelle. Als Derrick sie auf den Fotografen anspricht, erliegt die junge Frau einem Schreianfall …

Diese Episode dürfte in mehrerer Hinsicht „bedeutsam“ sein: Zum einen landete Frank Duval mit dem Titelsong, dem geradezu grotesk kitschigen „Angel of Mine“, einen Nummer-eins-Hit, zum anderen ist das natürlich auch die Folge, in der Stephan Derrick sich einen Porno mit Katja Bienert anschaut und dabei guckt, als habe er zum ersten Mal eine Erektion. Den Auftakt mit dem Priester, der mitten in der Nacht einem Mörder die Beichte abnehmen muss, hat sich Reinecker bei sich selbst geborgt, nämlich bei der KOMMISSAR-Episode „Tödlicher Irrtum“. Den Pfarrer spielt hier Horst Frank und natürlich erschwert das Beichtgeheimnis Derrick und Klein die Arbeit. Bis Reinecker zum Kasus Knaxus vordringt – der Tatsache, dass da eine Schülerin mit Drogen zur Mitwirkung in einem Porno gezwungen wurde – vergeht leider zu viel Zeit, um sich wirlich mit den ganz großen Schmierigkeiten auseinandersetzen zu können, aber ein paar unvergessliche Momente bleiben dann doch: Der Zusammenbruch des Porno-Opfers ist so einer (Katja Bienert spricht in der ganzen Folge kein Wort), Sascha Hehn als Schmierlappen in einer mit großformatigen Fotos von ihm selbst gepflasterten Wohnung ein weiterer, tja und dann eben Derrick im Pornokino. Wie dieses „Etablissement“ eingeführt wird, ist schon rührend: Veras Freund bringt die Kriminalbeamten dorthin, so als sei ein solches Kino etwas ganz Neues. (Die Poster im Foyer sind keine Hardcore-Plakate, sondern allesamt von Softsexfilmchen.) Und so guckt Derrick dann auch, als er die eigentlich sehr geschmackvollen Szenen auf der Leinwand betrachtet.

Der moralinsaure, mit Phrasen aus dem Bestseller „Kapitalismuskritik für Anfänger“ durchsetzte Vortrag, den der selbstgerechte Albert hält, ist ganz hartes Brot, voller einst schützender Zäune, die mittlerweile niedergerissen sind, und Bedürfnissen, die der grausame Markt eben deckt. Aber gut, wenn mir ein Pornoproduzent Katja Bienert weggenommen hätte, wäre ich wahrscheinlich auch so drauf. Und eine Folge, die damit endet, dass Sascha Hehn abgeknallt wird, hat sowieso fast alles richtig gemacht.

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Episode 078: Eine Rechnung geht nicht auf (Helmuth Ashley, 1980)

Achim Moldau (Wolfgang Müller), ein arbeitsloser Schweißer, wird von seinem Freund Schenk (Tommy Piper) in die Bande von Recke (Arthur Brauss) eingeführt, der einen Bruch plant. Recke hat Bedenken gegenüber Moldau, hält ihn für „zu weich“, was sich bald bestätigen soll: Nach einem Saufgelage werden Moldau und Schenk in einen Autounfall verwickelt. Die Beifahrerin ist sofort tot, der Ehemann wird als unliebsamer Zeuge von Recke umgebracht, bevor Moldau ihn ins Krankenhaus bringen kann. Von Gewissensbissen gequält nimmt Moldau danach Kontakt zu den Hinterbliebenden der Toten auf, was den Verdacht Derricks sowie den Zorn Reckes weckt …

Lustig, in der Episode „Der L-Faktor“ war es Wolfgang Müllers armer Tropf, der von einer hilfsbereiten Person aufgesucht, mit Geldzuwendungen und Naturalien beschenkt wurde, hier revanchiert er sich für diesen Dienst, mit dem Unterschied, dass er einen Grund außerhalb purer Nächstenliebe dafür hat. „Eine Rechnung geht nicht auf“ ist eine sehr geschäftige Episode und einfach sehr unterhaltsam. Arthur Brauss ist immer gut, neben ihm überzeugt Tommy Piper mit weißer Lederjacke und debütieren Thomas Schücke und Michael Böttge in weiteren Ganovenrollen. Das Schicksal der Kinder der Opfer kann niemanden kaltlassen, zumal die Tatsache, dass die einzige Verwandte eine 70-jährige Oma (Alice Treff) ist, auch für die Zukunft keine allzu große Hoffnung macht. Vielleicht mit vier Sternen einen Hauch überbewertet, aber mir hat’s gefallen.

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Episode 079: Der Kanal (Helmuth Ashley, 1981)

Herbert Junker (Bernd Herzsprung) trifft sich mit seiner Geliebten Elisabeth Röder (Claudia Rieschel) regelmäßig in einem Gutshof vor München. Beide sind verheiratet, er mit Hannelore (Helga Anders), sie mit dem Krankenpfleger Jürgen (Volker Eckstein). Ein anonymer Anruf bringt Junker nicht aus der Ruhe, doch nach seinem Schäferstündchen lauert man ihm auf und bringt ihn um …

Wieder einmal eine Folge mit mörderischen Vätern. Hier sind es sogar zwei, die sich zusammentun, um die zerstörte „Familienehre“ zu retten. Volker Eckstein spielt erneut den verweichlichten Loser, der noch nicht einmal die Energie aufbringt, seiner fremdgehenden Ehefrau eine Szene zu machen. Dass sich die beiden Hintergangenen miteinander trösten, ist eigentlich eine schöne Idee, die Ashley aber in einer einzigen Einstellung abhandelt und die dadurch kaum weiter ins Gewicht fällt.

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abgrundEpisode 080: Am Abgrund (Helmuth Ashley, 1981)

Der Säufer Jakob Hesse (Klaus Behrendt) beobachtet den Mord an einer Prostituierten, wird wenig später bei der Leiche entdeckt und flieht. Derrick kann den Mann ausfindig machen, der jedoch behauptet, sich an nichts mehr erinnern zu können …

Klaus Behrendt gibt als Trinker eine jener Darbietungen ab, die einen fragen lässt, warum es für diese großartigen Charakterdarsteller damals eigentlich keine Spielfilmprojekte gab, in denen sie ihrem Können noch etwas mehr Raum hätten geben dürfen. Stattdessen bereicherten sie eine Fernsehserie wie DERRICK, die ich hier nicht mehr groß zu loben brauche, die aber eben doch nicht für Nachhaltigkeit, sondern eben zum müden Wegkonsumieren gemacht worden war. Perlen vor die Säue gewissermaßen. „Am Abgrund“ ist einer dieser Fälle, wo beim Besetzungspoker ein echtes Traumblatt rauskam: Neben Behrendt agieren Anton Diffring als Zuhälter Bandera, Thomas Schücke als dessen schmieriger Sohn, Lotte Ledl als freundliche Prostituierte, Georg Konrad als ihr Vermieter sowie Rainer Hunold und der unverwüstliche Dirk Dautzenberg als Kneipenwirte. Das reicht.

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Episode 081: Kein Garten Eden (Günter Gräwert, 1981)

Der junge Ingo Rolfs (Markus Boysen) sucht Derrick auf, um sich abzusichern, wie er sagt: Sein Stiefvater (Thomas Holtzmann) habe Drohbriefe erhalten, und er befürchte, dass der Verdacht auf ihn falle, sollten die Drohungen in die Tat umgesetzt werden. Als Klein mit dem jungen Mann nach Hause fährt, ist der Stiefvater tatsächlich tot …

Eine philosophische Episode, bei der es aber nicht so sehr um Fragen des Rechts und der Moral geht, sondern eher allgemeine Betrachtungen zur Conditio Humana im Mittelpunkt stehen. Es ist eine jener Geschichten, bei denen es allen Beteiligten gelingt, das Leben ihrer Mitmenschen im Streben nach dem eigenen Glück zur Hölle zu machen. Da sind der egoistische Sohn, der den Stiefvater nicht akzeptieren, die Mutter (Ellen Schwiers) aber auch nicht allein lassen will; eben jene Mutter, die dem Treiben des Sohnes keinen Riegel vorschieben kann; besagter Stiefvater, der sich nun bei der Nachbarin (Rita Russek) holt, was er braucht, während deren Ehemann (Michael Degen) den Verständnisvollen, Toleranten mimt, insgeheim aber Rachegelüste züchtet. Zum Schluss darf Derrick gegenüber dem schülerhaften Harry kurz resümieren, was der Zuschauer eben gelernt hat. Dieser pädagogische Zug dringt in dieser Phase immer mehr nach vorn und äußert sich in wortreichen Vorträgen über den Zustand der Welt, etwas was sich Reinecker bis dahin eigentlich immer halbwegs verkniffen hatte. Streng genommen natürlich etwas nervig und immer sehr on the nose, gleichzeitig wird dieser moritatenhafte Charakter der Serie, in der Deutschland sich gespiegelt sehen darf, noch unterstrichen.

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alteEpisode 082: Eine ganz alte Geschichte (Zbynek Brynych, 1981)

Arne Reuter (Mathieu Carriére) kommt mit einem ungewöhnlichen Anliegen zu Derrick: Sein Onkel sei 1946 beim illegalen Grenzübertritt nach Westdeutschland von seinem damaligen Begleiter Alfred Answald (Herbert Fleischmann) umgebracht und um die mitgeführten Brillanten erleichtert worden. Mit eiskaltem Kalkül drängt Reuter den Familienvater systematisch in die Enge …

Es philosophiert weiter, diesmal vor dem Hintergrund deutscher Erbschuld. Das zurückliegende Verbrechen, um das es in „Eine ganz alte Geschichte“ geht, hat zwar nicht direkt etwas mit dem dritten Reich zu tun, aber die Assoziation ist trotzdem klar: Zu Zeiten des Krieges hat sich die Vatergeneration die Hände mit Blut befleckt und den Wohlstand mitunter auf dem Unglück anderer aufgebaut. Nun sitzt man da in seinen prachtvollen, geschmackvoll eingerichteten Häusern, vor der Eichenschrankwand mit der in Leder gebundenen Goethe-Gesamtausgabe und der Beethoven-Büste, lässt die Tochter Geige spielen und freut sich darüber, wie unfassbar gut man es doch eigentlich hat. Und dann kommt da so ein selbstgerechter Schnösel wie dieser Arne Reuter daher und rotzt allen kräftig in die Consommé.

Mathieu Carrière, der ja bei den öffentlichen Auftritten, die ich von ihm gesehen habe, den Eindruck erweckte, immer nur sich selbst gespielt zu haben, ist natürlich die Idealbesetzung für dieses berechnende Arschloch, das eine blitzende Schadenfreude dabei entwickelt, einen Mann nur aus Prinzip in die Ecke zu drängen. Er hat gewiss nicht ganz Unrecht und man muss seinem Kontrahenten vorwerfen, es sich damals etwas leicht gemacht zu haben, aber seine Form von Vergangenheitsbewältigung hat dann doch mehr mit blindem Revanchismus als mit Gerechtigkeitssinn zu tun. Reuter ist einer jener Vernunftmenschen, die sich gnadenlos verrannt haben in ihren Überlegungen und jedes Herz vermissen lassen. Da kommt er wieder zum Vorschein, der Diskurs über das Gegensatzpaar Emotion und Ratio. Derrick weiß natürlich, dass die beiden zusammengehören, das eine ohne Moderation durch das andere zur Perversion seiner selbst verkommt, aber er kann Reuter in seinem Tun nicht bremsen, zu perfekt ist der Plan, den der einer Lawine gleich losgetreten hat.

Brynych hat die Zügel dazu fest in der Hand und selbst wenn er sie entgleiten lässt, wie in der Szene, in der die spannungsgeladenen, aber hoffnungslos einseitigen Diskussionen zwischen Reuter und Answald vom nervtötenden Gegeige der grienenden Tochter durchschnitten werden, ist das noch on point.

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Episode 083: Die Schwester (Helmuth Ashley, 1981)

Bei der Verfolgungsjagd auf drei Einbrecher erschießt Harry einen der Flüchtigen. Einen zweiten verliert er in einem Wohnhaus, wo er von der Bewohnerin Doris Menke (Jutta Speidel) verarztet wird. Der aufgelöste Harry sucht in den nächsten Tagen weiteren Kontakt zu der Frau. Was er nicht weiß: Sie ist die Schwester des Erschossenen …

Es menschelt mal wieder. Zum allerersten Mal wird mal eine der beiden Hautfiguren von einem Schicksalsschlag getroffen und Harry ist natürlich prädestiniert dazu, seine weiche Seite zu zeigen. Der Versuch, ihm eine Liebschaft anzudichten, den auch die folgende Episode unternimmt, wird aber irgendwie nicht mit voller Überzeugung umgesetzt. Auch die Bedrohung, in die er sich da eigentlich begibt, manifestiert sich nie, weil ihn sein Love Interest dann wohl doch zu nett findet, um ihn an die Mörder zu verraten. Insgesamt also eher mau.

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Episode 084: Tod eines Italieners (Helmuth Ashley, 1981)

Der Besitzer von Harrys neuem italienischen Restaurant wird von der Schutzgeldmafia totgeschlagen. Seine Gattin, die Deutsche Anna Forlani (Karin Baal) ist verängstigt und weigert sich, eine Aussage zu machen, auch auf Flehen ihrer Schwester Ursula (Gerlinde Döberl) …

Zum Abspann wird zum ersten Mal die Schrifttafel eingeblendet, auf der verlautbart wird, dass jede Ähnlichkeit der Figuren zu realen Personen rein zufällig sei: Wahrscheinlich eher ein Mittel der Authentifizierung des Gezeigten als juristisch notwendige Sicherheitsvorkehrung, denn auch während der Folge wird immer wieder angedeutet, dass dieses italienischen Schutzgelddings ja jetzt seit neuestem auch in Deutschland Fuß fasse. Richtig schockiert zeigt sich Derrick davon aber noch nicht, und so lässt er sich einmal zu der apodiktischen Aussage hinreißen, dass es organisiertes Verbrechen in Deutschland nicht gebe, basta! Losgetreten wird der Fall von Harrys Avancen gegenüber einer schönen Bedienung: Die mehr oder weniger private Verbandelung der Polizeibeamten in ihre Fälle ist ein jetzt immer häufiger vorkommendes erzählerisches Mittel. Guter Durchschnitt, nichts, um übermäßig in Begeisterung zu geraten, aber auch kein Reinfall.

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dicoEpisode 085: Das sechste Streichholz (Alfred Vohrer, 1981)

Henry Janson (Thomas Piper), der Besitzer einer Diskothek wird von dem jungen Konrad (Pierre Franckh) erschossen. Der Mord ist von mehreren Freunden, darunter Jansons DJ Jo (Thomas Schücke) und dem Taxifahrer Rolf (Jacques Breuer) erdacht worden. Aber warum?

Moralphilosophie und Selbstjustiz again. In der Disco läuft eine furchtbare Selbstkopie von Duvals „Angel of Mine“, über die der DJ nur sagt, das sei eine „Spitzenmelodie“. Geschmacksverirrung regiert, führt aber hier wie schon bei einigen anderen Episoden zum Sieg. Thomas Schücke – hat der mal was anderes gespielt als blasierte Arschgeigen? – reißt die Folge mit seinem selbstverliebten Spiel an sich. Gegen Ende, wenn er die Ereignisse rekapitulieren darf (die Rückblende ist in dieser Phase ein fester Bestandteil der verwendeten Erzähltechniken), klingt sein sonorer Voice-over, in dem er darüber schwadroniert, dass in einer Diskothek „Leben und Musik“ eine Art heiliger Verbindung eingingen, die Jugendlichen („ich liebe Kinder“, sagt er altklug und feierlich) ihre Sorgen durch die Füße in den Boden hinaustanzten, wie der Kommentar eines weltfremden Jugendkulturforschers. Nee, die Jugend und ihre Bedürfnisse hat Reinecker nie so richtig verstanden, aber es ist egal, denn entweder ist dabei so ein bizarrer Kram wie „Yellow He“ herausgekommen oder aber solide Krimis mit geiler Schlagseite wie eben dieser hier.

Dass sich dieser Selbstjustizfall wohltuend von anderen abhebt, liegt auch an Pierre Franckh, der den per Losglück oder eher -pech zum Scharfrichter auserkorenen Schützen spielt und an der auf ihm lastenden Schuld zerbricht. Schon in der ersten Szene, in der er davon erzählt, wie überraschend leicht das doch gewesen sein, merkt man, dass er mit dem Mord nicht klarkommt. Da spielt auch der schon häufiger zur Rede gekommene Verweichlichte-Söhne-Diskurs mit rein: Er ist ein Softie, der beweisen will, dass er auch der harte Macker sein kann, und kläglich daran scheitert. Schücke hingegen spielt das Gegenteil: Den große Reden schwingenden Macher, der sich sicher sein kann, nicht selbst handeln zu müssen, weil er genug willige Vollstrecker um sich hat.

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Episode 086: Prozente (Theodor Grädler, 1981)

Auf den skrupellosen Kredithai Hollerer (Rolf Boysen) wird ein Attentat verübt, bei dem sein Sekretär erschossen wird. Der Kreditsuchende Schlehdorn (Gerd Baltus), dessen Gattin den Mörder möglicherweise gesehen hat, erhofft sich durch dieses Wissen bessere Konditionen herauszuschlagen. Hollerer ist in äußerste Alarmbereitschaft versetzt, doch auch die kann seinen gewaltsamen Tod nicht verhindern …

Och nee, das war nix. Das Drehbuch ist irgendwie hingeschludert, der Subplot mit den Schlehdorns scheint nur mit verwurstet worden zu sein, weil der Fall um den fiesen Kredithai sonst gar nichts hergibt. Alles wirkt unfertig, wie aus den Elementen nicht fertig gestellter Drehbücher zusammengeschustert. Martin Semmelrogge gefällt mit lustiger Rockermähne, aber dass Michael Degen hier zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit den Mörder gibt, ist einfach nur lazy.

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kuoperEpisode 087: Der Untermieter (Michael Braun, 1981)

Buschmann (Peter Kuiper), ein kaltblütiger Schwerverbrecher, wird nach zehn Jahren aus der Haft entlassen. Sofort nistet er sich in der Wohnung seiner Ex-Freundin Gudrun (Lisa Kreuzer) ein, die auch die Mutter seines ihm unbekannten Sohnes und außerdem mittlerweile mit Ulrich Kaul (Horst Sachtleben) verheiratet ist. Das Ehepaar ist hilflos gegen den rücksichtslosen Buschmann, der seinen alten „Besitz“ zurückhaben will …

Mal was anderes, Teil 2: In dieser Folge gibt es keinen Mord, vielmehr bezieht die Folge die Spannung aus der Frage, wann und von wem er wohl verübt werden wird. Die Belagerungssituation in der Wohnung der Kauls wird immer unerträglicher – zu den Konfliktparteien gehört auch noch der studentische Untermieter (Hans-Jürgen Schatz) – und es ist klar, dass alles in einer Gewaltexplosion enden muss: Nur wer diese letztlich zu verantworten haben wird, ist nicht klar. Natürlich suggeriert die Inszenierung, dass ein solcher Gewaltakt nur von Buschmann ausgehen kann: Kuiper ist gemacht für diese voller Selbstüberlegenheit grinsenden Proleten, die wissen, dass sie sich ganz auf ihr Einschüchterungspotenzial verlassen können. Wie er sich hier „ins gemachte Nest“ setzt, sich an der Angst seiner Opfer ergötzt und gar nicht daran denkt, irgendetwas zu beschleunigen, treibt einem den blanken Zorn in die Magengrube. Kuipers Buschmann ist einer dieser Filmcharaktere, die einem wirklich die Galle hochtreiben und einem die passive Beobachterposition vor der Glotze zur Qual machen. Selbst Derrick ist machtlos: Zum für die Kauls günstigen Ausgang hat er am Ende nicht wirklich viel beigetragen.

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Episode 088: Tod im See (Alfred Vohrer, 1981)

Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) kann gerade noch gerettet werden, als er während eines Sturms mit seinem Segelboot auf dem Starnberger See kentert. Für seine Frau, die nach seinen Angaben bei ihm war, gibt es keine Rettung. Der Vater (Heinz Moog) der Toten indessen glaubt nicht an einen Unfall, sondern an Mord: Niemand habe seine Tochter, die das Segeln gehasst habe, auf dem Boot gesehen. Und sein Schwiegersohn habe außerdem eine Geliebte (Christiane Krüger) …

Eine Standardepisode, aber eine, die beweist, das auch aus gut abgehangenen Krimistoffen durch gute Inszenierung und adäquate Darsteller immer wieder einiges rauszuholen ist. Robert Atzorn, „Unser Lehrer Dr. Specht“, hatte ich immer als ebensolchen, bieder-braven Jugendlichenversteher abgespeichert und wusste gar nicht, wie gut er als vibrierender, schwitzender, angesichts der Derrick’schen Coolness schier aus der Haut fahrender Eherfauenmörder sein könnte. Er ist super, wie er auf Derricks Zermürbungstaktiken zunehmend angepisster reagiert. Die Versuche des Drehbuchs, den Fall verwirrender zu machen, als er eigentlich ist, hätte es eigentlich nicht gebraucht, was mal wieder bestätigt, dass ein hassenswerter Schurke die halbe Miete ist.

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Episode 089: Die Stunde der Mörder (Theodor Grädler, 1981)

Zwei Mörder werden umgebracht. Beiden gemeinsam: Sie waren kurz zuvor wegen Mangels an Beweisen freigesprochen worden. Bei beiden Verhandlungen im Gerichtssaal anwesend war der Rentner Mahler (Hans Caninenberg), der ein besonderes Interesse an Recht und Gerechtigkeit zu haben scheint …

Schöne Selbstjustiz-Geschichte, die dadurch, dass es sich bei den Tätern um Rentner handelt, hervorsticht und wie eine Verlängerung der KOMMISSAR-Episode „Tod eines Ladenbesitzers“ wirkt. Wer der Täter ist, ist relativ bald klar: Die Episode ist sehr geradlinig erzählt und die Ermittlungsarbeit der Protagonisten hat vergleichweise geringen Anteil an der Gesamtlaufzeit. Hans Caninenberg spielt den eiskalten Racheengel als sympathischen alten Herren, dessen Interesse für Recht und Gesetz Derrick allerdings schon nach der ersten Begegnung auf die Palme bringt. „Der geht mir auf den Geist!“, entrüstet er sich gegenüber Harry, der mal wieder gar nichts versteht. Aber der Oberinspektor hat natürlich Recht: Rechtsprechung ist nichts, in das sich der Laie mit seinen über seine Gefühle formierten Meinungen einmischen sollte, da kann nichts Gutes bei rauskommen. Wie auch hier: Während der selbsternannte Gerechtigkeitsfanatiker mit seiner hübschen Enkeltochter (Irina Wanka) der Hochkultur in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen frönt, gehen die von ihm gedungenen Mörder ihrem blutigen Handwerk nach – klar, dass er sich die Hände nicht selbst schmutzig macht.

Derrick hat noch weniger Verständnis für die hier zum Ausdruck kommende Selbstermächtigung als für andere Übeltäter. Mit je mehr Morden er konfrontiert werde, umso mehr erschrecke er jedesmal, ganz egal, wer das sein Leben lasse. Das kann Mahler, der die Menschheit bequem in Opfer und Täter einteilt, nicht begreifen.

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derrickEpisode 090: Eine Rose im Müll (Günther Gräwert, 1982)

Der Lkw-Fahrer Michael Rothaupt (Bernd Herberger) nimmt die Anhalterin Marion Diebach (Beatrice Richter) mit. Die beiden kommen ins Gespräch und verstehen sich auf Anhieb. An einem Rasthof hält er kurz an, um sich mit einer Kollegin zu treffen, die ihn per CB-Funk kontaktiert hat. Er verspricht Marion, sie an der Straße wieder aufzusammeln. Doch wenig später der Lkw fährt an ihr vorbei, ohne zu halten, von Rothaupt fehlt danach jede Spur. Die junge Frau sucht Derrick auf …

Von dieser Folge ist vor allem das deprimierende Mülldeponienszenario hängengeblieben. Der Fall selbst – es geht um illegal entsorgten Giftmüll – ist eine Spur zu abstrakt, um in diesem Format richtig wirken zu können. Da hatte Reinecker bestimmt irgendwo was in der Zeitung gelesen, was er dann flugs in einem Drehbuch verwurstete. Ich hätte gern mehr von den beiden angehenden Turteltauben gesehen, aber das ist wohl auch der Plan: Rothaupt wird aus der Episode gerissen, wie es ihn aus dem Leben reißt, und man hat keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen. Als Trost bleibt nur die Rose im Müll.

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klettEpisode 25: Der Mord an Frau Klett (Dietrich Haugk, Deutschland 1970)

In einem Müllcontainer findet ein Obdachloser auf der Suche nach Essbarem die Leiche einer älteren Dame. Kommissar Keller und seine Leute identifizieren sie schnell als Frau Klett (Else Knott) und machen die Wohnung ausfindig, in der sie zur Untermiete lebte. Doch ansonsten ist nichts über sie in Erfahrung zu bringen. Auch als ihr Sohn Willi (Vadim Glowna) auftaucht, gibt es nur mehr Fragen und keine Antworten …

Eine Episode voller Hoffnungslosigkeit und Tristesse. Es beginnt mit dem Bild des Obdachlosen, der Hinterhöfe und Mülltonnen nach Verwertbarem durchsucht, setzt sich mit der Frauenleiche in der Mülltonne fort und endet beim Schicksal der weiteren Figuren, allesamt vom Leben Betrogene und Vergessene. Da ist etwa der 64-jährige Herr Wachsner (Alfred Balthoff), bei dem das Opfer zur Untermiete wohnte, Kellner in einer schäbigen Pinte, die wenigen verbliebenen Haare mit Brllantine am kohkopfartigen Schädel festgeklebt, der bei seinem Job laut eigenem Bekunden einmal um die Welt gelaufen ist und in Angst einer Zukunft in bitterer Armut und Einsamkeit entgegensieht. Oder eben das Opfer, eine traurig dreinblickende Frau ohne Freunde oder Erfüllung – das einzige, was man bei ihr findet, ist die Nummer der Telefonseelsorge – und einer Familie, die nichts über sie zu sagen weiß. Ihr Mann (Hanns Ernst Jäger) lebt unter einer Brücke und seinen Lebensunterhalt bestreitet er damit, vor dem Zoo Tierstimmen zu imitieren. Das desolate Bild einer im Verschwinden begriffenen Generation hinterlässt auch bei den Protagonisten seine Wirkung: Klein sagt einmal, er habe jetzt erst begriffen, wie furchtbar Mord sei, Keller selbst wird mehr als einmal eingefangen wie er wortlos und in sich versunken nachdenkt, dem sonst so coolen Heines macht die Eigenschaftslosigkeit der Klett sogar Angst.

Es ist eine blöde Phrase, aber „Der Mord an Frau Klett“ scheint mir mit seiner Thematisierung von Altersarmut nach 45 Jahren zu neuer Aktualität zu gelangen, schließlich dürfen sich Millionen von Deutschen, die nicht das nötige Kleingeld für eine private Altersvorsorge haben, mit der Idee befassen. Der Unterschied liegt wohl vor allem in den Gesichtern. In der furchigen Visage eines Herr Wachsner spiegeln sich die Entbehrungen der Kriegsjahre und jahrzehntelanger körperlicher Arbeit, während eine Frau Klett oder ihre Nachbarin Frau Schilp (Hilde Volk) durch ihre „Gattenlosigkeit“ stigmatisiert sind. Ihr ganzes Leben bestand aus Kummer. Dieser hat sich tief in die Mikrostruktur von Haugks Folge eingegraben. Wenn er am Ende zum Kriminalfall zurückkehrt, wirkt das wie ein Exkurs, es ist nur eine Fußnote.

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Episode 26: Die kleine Schubelik (Georg Tressler, Deutschland 1970)

Schubelik, ein bekannter Säufer, wird tot im Bett seiner Wohnung aufgefunden, Frau und Tochter sind vorerst verschwunden. Kommissar Keller findet schnell heraus, dass der Tote vor seinem Tod mit seinen Saufkumpanen Klenze (Peter Kuiper), der regelmäßig seine Frau Irma (Margarethe von Trotta) verdrischt, und Pölich (Josef Fröhlich) gezecht hatte. Schubeliks Frau (Erni Mangold) zeigt sich über den Tod des Gatten überhaupt nicht schockiert, eher im Gegenteil. Und was hat seine Tochter Inge (Susanne Schaefer), die vom Nachbarn Arnim (Thomas Piper) in Schutz genommen wird, mit allem zu tun?

Der deprimierende Blick in das Schicksal von Menschen aus der unteren Gesellschaftsschicht, den Dietrich Haugk schon in der vorangegangenen Episode geworfen hatte, wird dem Zuschauer auch hier aufgezwungen. Besonders sticht der fiese Klenze hervor, ein selbstbewusster Macho, der es gar nicht für nötig hält, seine Verachtung für Schwächere zu verbergen und meint, er würde damit beeindrucken, wenn er mit der bloßen Hand einen Nagel aus einer Wand zieht. Er ist gewissermaßen das Spiegelbild des Toten, über den man die anderen Figuren nur reden hört: Und man ahnt, was für ein Schwein auch der gewesen sein muss. Tresslers Folge besticht mit ihren Charakterzeichnungen und dem Gespür für das Milieu, in dem er sich bewegt. Keller und seine Männer heimsen mit ihrem Mitgefühl für die verschiedenen Opfer Sympathiepunkte ein und dem Täter kann man nicht wirklich böse sein.

Ich hatte schon einmal erwähnt, dass es bei DER KOMMISSAR oft um böse Vaterfiguren geht und „Die kleine Schubelik“ ist ein Paradebeispiel dafür. Ich würde sogar noch weiter gehen: Der Begriff „Vater“ hat seine Bedeutung hier völlig verloren. Es gibt nur noch empathielose, gewaltgeile und dumme Männer.

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Episode 27: Anonymer Anruf (Helmut Käutner, Deutschland 1970)

Der mittellose Student Gersdorf (Martin Lüttge) erhält einen anonymen Anruf, der seiner Gattin Susanne (Gerlinde Locker) eine Affäre mit Gregor Stein, dem Onkel Gersdorfs, nachsagt. Gersdorf macht sich sofort auf zum Haus Steins, der erschossen wird, kaum dass der Student dort eingetroffen ist. Alles spricht für einen Rachemord Gersdorfs, zumal auch dessen Pistole am Tatort gefunden wird, aber der Mann behauptet, hereingelegt worden zu sein. Wer wusste von der Affäre von Gersdorfs Frau mit einem Geschäftspartner Steins? Hatte Ahlsorf (Friedrich Joloff) etwas damit zu tun, der von Stein um seinen ganzen Besitz gebracht worden war?

Käutners Episode „Anonymer Anruf“ ist, wenn ich richtig informiert bin, aus rechtlichen Gründen nicht in der DVD-Box enthalten. Es hat also nichts mit dem etwas pikanten Thema der Gelegenheitsprostitution zu tun, von der der eklige Geschäftsmann Schröder (Paul Edwin Roth) sagt, das mache heutzutage ja jeder. Es ist das wahrscheinlich interessanteste Element der Folge, die auffallend konservativ ist. Sogar der längst überwunden geglaubte Brauch Kellers der Anfangstage, alle Verdächtigen zu versammeln, vor ihnen den genauen Tathergang zu rekapitulieren und am Ende den Täter zu enttarnen, wird hier wiederaufgegriffen. Trotzdem ist „Anonymer Anruf“ ganz unterhaltsam, was nicht zuletzt an der Besetzung liegt. Neben den genannten sind auch Jürgen Goslar und Dunja Rajter zu sehen.

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wienEpisode 28: Drei Tote reisen nach Wien (Dietrich Haugk, Deutschland 1970)

Erwin Bessmer (Herbert Steinmetz) erhält einen Anruf aus Wien, wo er sich am Wochenende zuvor mit seinen Jugendfreunden Sasse (Hans Caninenberg) und Roth (Dieter Borsche) vergnügt hat, bei dem ihm mitgeteilt wird, dass man ihn erschießen werde. Wenig später wird die Drohung wahr gemacht und Bessmer in einer Telefonzelle ermordet. Sasse und Roth fürchten nun ebenfall um ihr Leben. Hat die attraktive Katja (Kitty Speiser), die sie mit ins Hotel genommen haben, etwas mit dem Mord zu tun?

Von Beginn an ahnt man, dass „Drei Tote reisen nach Wien“ eine besondere Folge wird. Wie Bessmer in der Telefonzelle durch einen Schuss ins Gesicht getötet wird, ist schon ein besonders happiger Moment, der deutsche Fernsehzuschauer damals in ihrem Ohrensessel kräftig durchgeschüttelt haben dürfte. Regieeinfälle wie jener, die Begegnung zwischen den drei Herren und der jungen Frau in einem Wiener Biergarten als Standbild-Montage festzuhalten, lassen den Weggang von Brynych verschmerzen. Und das Treffen zwischen Keller und seinem Wiener Kollegen Marek (Fritz Eckhardt), der deutschen Zuschauern aus dem TATORT bekannt war, ist so ein postmoderner Crossover-Moment, den man in einer deutschen Krimiserie aus den frühen Siebzigern eher nicht erwartet hat. Richtig durch die Decke geht Haugks Episode aber, weil das Thema so herrlich schmierig ist: Wie diese feinen Herren sich nacheinander von der jungen Frau bedienen lassen, sich beim fliegenden Wechsel zugrinsen und triumphierende Gesten machen, ist schon reichlich ekelhaft. Und es ist ein Vergnügen Sasses Ehefrau (Hilde Weissner) dabei zuzusehen, wie sie ihrem spießigen Mann die Untreue und Feigheit aufs Brot schmiert und der sich vor ihr windet, in Angst und Selbstmitleid zerfließend. Natürlich kommt alles ganz anders, aber man gönnt den dreien jede Sekunde, in der sie kaltschwießig um ihr Leben fürchten.

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moorEpisode 29: Der Moormörder (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Im Moor wird eine Frauenleiche gefunden. In der Nähe befinden sich der Zweitwohnsitz des erfolgreichen Chirurgen Dr. Strobel (Charles Regnier)  sowie der marode Gasthof von Hässler (Harald Leipnitz). Beide wollen weder etwas gehört noch überhaupt eine fremde Person bemerkt haben. Doch dann stellt sich heraus, dass Strobel Stammgast in dem Tanzlokal war, dass auch das Opfer regelmäßig aufsuchte …

Charles Regnier. Ich mag ihn, sein Gesicht, seine Stimme und wie sie in Relation zu seinem Körper steht. Er erinnert mich auch an irgendjemanden von heute, aber ich komme nicht drauf, an wen. Er wirkt auf mich immer ein wenig so, als halte er alles um ihn herum für eine Komödie. Im positiven Sinne, nicht weil er nichts ernst nimmt, sondern weil das seine Weltsicht ist. Im wunderbaren DER WÜRGER VOM TOWER, wo er auch noch eine Doppelrolle spielt, gestikuliert er einmal im Bildhintergrund herum, anscheinend in Richtung Regisseur, aber es wurde einfach dringelassen. Hier erwartete ich auch zu jeder Sekunde, dass er etwas Vergleichbares macht, eiine Grimasse schneidet oder in eine spontane Tanzeinlage ausbricht, aber es ist ihm gelungen, seine Impulse im Zaum zu halten. Ich tue ihm bestimmt Unrecht, aber er bringt ein Element der konstanten Unsicherheit in Beckers Episode ein, die sonst eher geradlinig ist und in erster Linie durch ihr Wallace-Sujet besticht. Gerade auch, weil es wieder einmal um eine dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehung geht und Regnier absolut nicht der Typ für diese preußischen Patriarchen ist, die mit eiserner Hand regieren und niemals Schwäche zeigen. Er bringt eine ganz neue Dynamik in den klassisch aufbereiteten Krimistoff. Ich mag ihn einfach.

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alberti6Episode 30: Besuch bei Alberti (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Firmenchef Alberti (Carl Lange) legt großen Wert darauf, dass sein Angestellter Sidessen (Klaus Schwarzkopf) nicht sieht, welchen Besuch er nach Feierabend noch im Büro empfängt. Weil Sidessen aber etwas vergessen hat, kehrt er noch einmal um – und findet seinen Chef tot vor. Der Mörder kann nicht weit weg sein und Sidessen hechtet ihm hinterher, doch dann ist der Flüchtende verschwunden und da, wo er eigentlich sein sollte, steht Brink (Herbert Mensching), Albertis Schwager, ein unsicherer, zurückhaltender, beinahe ängstlicher Mensch, der von seinem Verwandten übel gedemütigt wurde …

Manchmal sind es eher kleine Details oder einzelne Figuren, die die KOMMISSAR-Folgen auszeichnen. „Besuch bei Alberti“ ist inhaltlich eher uninteressant, der Fall, den es für Keller und Kollegen zu klären gibt, ist unspektakulär, es gibt keine ausgefallenen Regieeinfälle oder wüsten Sleazeschübe – dafür war Staudte wohl nicht der richtige. Aber die Folge entwickelt sich zum slow burner, weil Brink in der Darstellung vom leider viel zu früh verstorbenen Herbert Mensching ein einziges Faszinosum ist und die Neugier, die Keller diesem rätselhaften Menschen entgegenbringt, einige wunderbar intime Szenen hervorbringt. Ich habe die ganze Zeit überlegt, woher ich Mensching kenne, ohne Erfolg. Beim Blick auf seine Filmografie fiel mir dann auf, dass ich ihn erst vor einigen Wochen in der DERRICK-Folge „Der L-Faktor“ gesehen habe. Dort spielt er einen völlig anderen Typen, einen erfolgreichen Wissenschaftler und Machtmenschen, das völlige Gegenteil von Brink, der von sich selbst sagt „keine Fähigkeiten“ zu haben. Und er spielt beide so überzeugend, dass man nicht darauf kommt, dass sich dahinter ein und derselbe Schauspieler verbirgt, auch wenn das Gesicht eben dasselbe ist.

Ein wichtiger Strang von „Besuch bei Alberti“ verfolgt Keller bei seinem Versuch dahinterzukommen, wer dieser Brink ist, ob er der Mörder sein könnte. Er begleitet ihn nach Hause, auf dem Weg holt sich Brink drei Flaschen Bier in einer Eckkneipe. Dann sitzen die beiden Männer zusammen, Brink erzählt von seinem Leben, Keller hört zu. Immer wieder fragt Brink ihn, ob Keller ihn für den Mörder halte, und Keller weiß es nicht, sagt das auch. Aber Brink bleibt ganz ruhig. Man hat Mitleid mit ihm, weil er in seinem Verlierertum sehr sympathisch ist – und ja, auch irgendwie gefestigt. Er weiß, wer und was er ist und hat sich damit abgefunden. Er scheint, wie der karrieregeile Sidessen einmal sagt, tatsächlich viel zu wenig entschlussfreudig, um einen Mord begehen zu können. Dann aber sieht man da ein kurzes Blitzen in seinen Augen: Vielleicht wartet er nur auf den richtigen Zeitpunkt, um allen zeigen zu können, wozu er wirklich fähig ist.

Herbert Mensching ist leider 1981 im Alter von nur 53 Jahren gestorben. Ich habe einen tollen Nachruf gefunden, der anlässlich seines Todes damals in der Zeit erschien, der sehr gut zu seiner Leistung in „Besuch bei Alberti“ passt. Aus einer mittelmäßigen Folge macht er mit seinem Spiel ein Ereignis.

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tanzEpisode 31: Ende eines Tanzvergnügens (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Der Schneider Hans Stoltze wird vor seinem Haus erschlagen, nachdem er mit seiner Freundin Ilo Kusche (Alexandra Marischka) in einem „Beatschuppen“ war. Seine Schwester Lisa (Gisela Peltzer) ist völlig aufgelöst und äußert gegenüber Keller die Vermutung, dass das Mädchen etwas mit dem Tod zu tun habe. Die auffallend attraktive, schweigsame Ilo wird von ihrem Vater (Dirk Dautzenberg) behütet wie ein rohes Ei und kann sich über Verehrer nicht beklagen: Da sind Bigge (Wolfgang Schneider), ein Angestellter von Stoltze, und Barbosse (Karl Michael Vogler), in dessen Boutique Ilo arbeitet …

Was in den ersten Episoden von DER KOMMISSAR die finale Ansprache Kellers vor versammeltem Verdächtigenfeld war, ist zu diesem Zeitpunkt die Rückblende. In „Ende eines Tanzvergnügens“ wird sie im entscheidenden Moment sogar angehalten, während der Voice-over weiterläuft. Es ist das einzige Gimmick einer Episode, die wie die vorangegangenen Arbeiten Staudtes eher durch ihre detaillierten Charakterzeichnungen und genauen Beobachtungen besticht. Im Mittelpunkt steht die betörend schöne Ilo als geheimnisvolle Chiffre – ein Mädchen ohne Persönlichkeit, ohne Charakter, man erfährt nichts über sie, außer dass sie hübsch ist und ihr die Männerherzen zufliegen. Und dann diese Männer um sie herum, allen voran der Vater, der sie umgarnt wie ein Zuhälter sein bestes Pferd im Stall, genau wissend, dass sich ihre Schönheit für ihn in bare Münze umwandeln lässt. Der feine Boutiquenbesitzer Barbosse ist genau nach seinem Geschmack, ein Mann, der mit seinem Geld hausieren geht, für seine Gattin (großartig: Ellen Umlauf) aber nur noch Verachtung übrig hat. Toll ist auch der eher unbekannt gebliebene Wolfgang Schneider: Wie er zu Hause kurz vor dem ersehnten Date mit Ilo eine heiße Scheibe auflegt, sich sein bestes Jackett anzieht und dabei einen Triumphtanz auf den Teppich legt, ist ein weiteres Highlight in dieser Episode, die dann später noch „Paranoid“ von Black Sabbath abfeuert, zu dem Ilo mit geschlossenen Augen über die Tanzfläche schwoft wie ein arroganter Engel. Es ist die Summe Momente wie dieser, die „Ende eines Tanzvergnügens“ zu einem weiteren Gewinner von Staudte machen.

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anhalterEpisode 32: Die Anhalterin (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Die Studentin Irmgard Lentz (Helga Lehner) wird tot an einem Bahngleis aufgefunden. Kurz zuvor war sie, wie fast jeden Samstag, als Anhalterin mit einem Lkw Richtung Stuttgart aufgebrochen. Wie Keller und Kollegen von ihrer Schwester Erika (Karin Baal) in Erfahrung bringen, hatte sie sich mit einem Fahrer sogar angefreundet. Während die Kriminalbeamten in der Spedition von Egon Schmett (Max Mairich) ermitteln und dessen Fahrer verhören, stellt sich Erika an die Autobahn in der Hoffnung bei jenem Fahrer zu landen, der ihre Schwester auf dem Gewissen hat …

Diese Episode hat nicht so viel für mich getan. Sie ist nicht besonders spannend, weil Karin Baal ihrer Erika viel zu viel Entschlossenheit und Autorität mitgibt, als dass man sich wirklich um sie sorgen müsste, das Drehbuch sich außerdem – der Konvention der Serie geschuldet – gar nicht traut, den Täter frühzeitig preiszugeben. Und dann wieder zu geradlinig, um von überraschenden Wendungen aus der Bahn geworfen zu werden. So bleiben eigentlich nur zwei Eindrücke/Szenen/Sequenzen hängen: der Auftakt, bei dem die Kamera Irmgard im morgendlichen Berufsverkehr verfolgt und der mit einem Blick aus eine fahrenden Zug auf einen rennenden Mann endet, der ihren leblosen Körper auf den Armen trägt, und die Schlusseinstellung, mit der dem Mörder soeben entronnenen Erika, die ins leere blickend an der Leitplanke der Autobahn steht, während die Kamera von ihr wegfährt. Aus ihrer geisterhaften Präsenz am Rande des grauen Asphaltbandes hätte man mehr machen können, als diese insgesamt überraschungsarme Folge. Sogar Werner Pochath ist verschenkt – trotz mal wieder absurdem Haarteil.

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Episode 33: Lagankes Verwandte (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Laganke, Besitzer eines Juweliergeschäfts, wird bei dem Versuch, einen Einbrecher zu stellen, ermordet. Die Hauptverdächtigen sind Lagankes Bruder Joachim (Josef Meinrad), der beim Tod der Eltern und dem anschließenden Erbe einst der Benachteiligte war und in der Villa des Bruders zur Untermiete wohnt, und Sohn Michael (Ralf Schermuly), der gehört wurde, wie er in seiner Wohnung den genauen Tathergang voraussagte. Die beiden sind überzeugt, dass der jeweils andere der Schuldige ist …

Der Clou der Folge ist, dass sich ein ganz anderer als der eigentliche Täter erweist, die beiden Verdächtigen aber am Ende trotzdem die Arschlöcher der Folge sind – eigentich sogar fast noch mehr, als wenn sie selbst Hand angelegt hätten. Susanne Uhlen spielt ein enigmatisches Mädchen, Michaels Freudin, das die ganze Folge über nichts anderes macht, als mit großen Augen in die Kamera zu schauen: Am Ende geht sie einfach mit einem anderen mit, aber nicht ohne in einer Kneipe noch einmal enthemmt getanzt zu haben. Mir hat die Einstellung der beiden Verdächtigen gut gefallen, die sich nach der Enttarnung des Mörders darüber freuen können, nun rechtmäßige Besitzer der Reichtümer des Toten zu sein. Den Menschen, der da gewaltsam seinem Ende zugeführt wurde, haben sie längst vergessen.

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Episode 34: Der Tote von Zimmer 17 (Wolfgang Becker, Deutschland 1971)

Der italienische Zimmerkellner Mario (Peter Chatel) wird gesehen, wie er mit blutigen Händen aus dem Zimmer eines Gastes kommt, dessen Leiche nur wenig später entdeckt wird. Dass der Tote ein Auge auf das Zimmermädchen Andrea (Hannelore Elsner) geworfen hatte, in die auch Mario verliebt war, erhärtet den Verdacht. Doch Kommissar Keller hat berechtigte Zweifel an der Schuld des zurückhaltenden Mannes …

Ganz interessant, weil die ganze Folge in den Räumlichkeiten des Hotels spielt und Harry Klein undercover als Zimmerkellner arbeitet. Die Folge ist auch gut besetzt mit Peter Pasetti, Hans Quest, Hans Schweikart und Joseph Offenbach, aber insgesamt eher Standard. Der Blick auf den traurigen Alltag, der unter dürftigen Bedingungen lebenden Zimmerkellner und den Alltagsrassismus, der dem italienischen Gastarbeiter entgegenschlägt, ist aus heutiger Perspektive sehr erhellend – ein schönes Beispiel für die Gesellschaftskritik, die Reinecker in seinen Drehbüchern eher en passant entwickelt.

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lisaEpisode 35: Lisa Bassenges Mörder (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

Der Lokomotivführer Leo Bader (Klausjürgen Wussow) hat eine Beziehung mit der lebenslustigen Lisa Bassenge (Diana Körner), die ihn immer nackt am Fenster ihrer Wohnung an den Bahngleisen erwartet. Eines Tages findet Leo sie tot auf. Noch entsetzter über ihren Tod scheint aber sein gehbehinderter Bruder Alfred (Boy Gobert), der Keller fortan fleißig bei seinen Ermittlungen unterstützt.

„Lisa Bassenges Mörder“ ist nach den beiden vergangenen, eher herkömmlich gestrickten Episoden wieder ein Beispiel für die Verstrahlungsattacken, die Reinecker bisweilen aus der Feder flossen. Sein Alfred Bader dürfte eine der schrägeren Figuren sein, die er erdachte und die Struktur der Folge, die immer wieder durch Rückblenden aufgebrochen wird, passt dazu. Diana Körner darf als Lisa Bassenge eine Art positiver Femme fatale spielen: Eine Frau, deren sexuelle Freizügigkeit Männer nicht so sehr unterwirft wie sie selbst beflügelt. Alfred gesteht freimütig, die Freundin seines Bruders nur dreimal gesehen zu haben, sie aber trotzdem sehr gut zu kennen – und zu lieben. Die Besessenheit der Figur für die junge Frau ist befremdlich und trägt die Episode, auch wenn Boy Gobert es nicht so ganz gelingt, diese Obsession wirklich glaubhaft zu machen. Ein Unterschied zum zuletzt von mir gefeierten Herbert Mensching, bei dem man nie das Gefühl hatte, er spiele eine Rolle. Gobert stattet seinen Alfred mit allerlei Ticks aus, die umso mehr auffallen, als Klausjürgen Wussow, selbst nicht gerade als Ausbund der schauspielerischen Ökonomie bekannt, neben ihm gnadenlos zurückschraubt. Wahrscheinlich wäre sonst die Bildröhre explodiert. Gert Haucke hat einen schönen Auftritt als Spanner in der Nachbarwohnung.

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todEpisode 36: Tod eines Ladenbesitzers (Wolfgang Staudte, Deutschland 1971)

In einer Kleinstadt wird der Inhaber eines Kramladens erschlagen, kurz nachdem er einen alten Mann unsanft hinausgeworfen hat. Der alte Mann ist ein Bewohner des in der Nähe gelegenen Altersheims, das von dem betrügerischen Sierich (Werner Kreindl) geleitet wird, der die alten Männer wie Gefangene behandelt und nur wenig Respekt oder Achtung für sie übrig hat. Auch der Tote hat bei den Rentnern einen einschlägigen Ruf. Keller ist schnell davon überzeugt, dass die Alten hinter dem Mord stecken: Der intelligente Ohlers (Curt Bois) scheint der Anführer zu sein. Und dann mehren sich die Zeiten, dass ein zweiter Mord bevorsteht …

Meisterwerk! Die Folge mit dem unscheinbaren Titel kokettiert ganz eindeutig mit dem Horrorfilm und die Szenen mit den ziellos im Park des Altenheims umherirrenden Rentnern erinnern Kenner heute ganz ohne Frage an George Romeros DAWN OF THE DEAD – damalige Zuschauer assoziierten vielleicht eher Hitchcocks THE BIRDS: Beides ist legitim. Die vermeintlich harmlosen Greise in ihren grauen Mänteln und Hüten werden sehr geschickt als unterschätzte Bedrohung aufgebaut: Wenn der freundliche Voss (Hans Hermann Schaufuß) ganz sachlich erklärt, er wisse, wie ein Todesschrei klinge, dann fällt einem wieder ein, über welchen „Wissensvorsprung“ die auf einmal gar nicht mehr so putzigen Opas verfügen und man ahnt, wozu sie einst einmal fähig waren. Das steckt ja eh in vielen Folgen von DER KOMMISSAR oder DERRICK mit: Man schaut da mitunter Menschen zu, die im Zweiten Weltkrieg munter mitgemischt haben.

Das reicht schon für denkwürdiges Fernsehentertainment: Werner Kreindl setzt als erst arschiger, dann zunehmend nervöser Sierich noch einen drauf. Ein Dialog zwischen Keller und einer alten Frau, die ihm erzählt, was es bedeutet, alt zu sein und von den jüngeren Menschen entweder bemitleidet oder aber gar nicht mehr gesehen zu werden, kommt in diesem Kontext nicht eben überraschend, trifft aber trotzdem ins Schwarze, weil Staudte alles in kontrastreiche Schwarzweißbilder kleidet, in deren Schatten sich der Tod versteckt. Am Ende werden die Mörder überführt. Es schockt sie nicht. Was macht es für einen Unterschied, ob man nun in dem einen oder dem anderen Knast einsitzt? Während die Schlussmelodie läuft, packen sie ihre Koffer, fast freudig über den bevorstehenden Tapetenwechsel.

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huebnerEpisode 37: Die andere Seite der Straße (Theodor Grädler, Deutschland 1971)

Auf offener Straße wird ein Mann im Beisein seiner Nachbarn (u. a. Gerd Baltus, Bruno Hübner und Klaus Höhne) erschossen. Doch die behaupten anschließend steif und fest, niemanden gesehen zu haben. Sie haben Angst: Denn am Ende der Straße ist ein berüchtigte Gangsterkneipe, und aus der kommt wohl auch der Mörder.

Reinecker bewegt sich mit seiner Geschichte diesmal tief ins Milieu, in einer Straße, deren Bewohner Angst vor dem Gesindel vor ihrer Wohnungstür haben, in einfachen Verhältnissen leben und sich davor fürchten, auch diese noch zu verlieren. Eine wichtige Rolle spielt der alte Galusch (Bruno Hübner), der Hausmeister, der einst von seiner Frau verlassen wurde und nun mit seiner Enkeltochter Eva (Christine Ostermayer) zusammenlebt. Die gemeinsamen Szenen der beiden sind der emotionale Anker der Folge und ungemein anrührend. Die einfache Arbeiterwohnung, auf deren Herd der zerknautschte, vom Leben betrogene Mann da abends seine Suppe anrührt, erinnerte mich nicht wenig an die Wohnung meines Großonkels, in der ich einen nicht unbeträchtlichen Teil meiner Kindheit zugebracht habe. Hübner ist brillant in der Rolle, und er hat eines dieser Gesichter, die es heute nicht mehr gibt, in die sich jahrzehntelange Entbehrungen eingegraben haben und die mehr als alles andere der Schwerkraft zu unterliegen scheinen. Wenn er da seinen ganzen Mut zusammengreift, nachdem seine Enkelin ihm erzählt hat, dass seine Gattin ihn immer für „zu dämlich für Geld“ hielt, und in die Gangsterkneipe schreitet, einen Deal planend, von dem der Zuschauer instinktiv weiß, dass es sein erster und letzter sein wird, möchte man ihm zurufen, sich ihm in den Weg stellen, ihn trösten, irgendwas tun, um ihn von seinem dummen Vorhaben abzubringen. Später begreift seine Enkelin wie verletzend ihre achtlos hingeworfene Bemerkung war, wie sehr sie die Würde und Selbstachtung eines ohnehin schon gebeutelten Mannes damit noch weiter ausgehöhlt hatte. Aber da ist es schon zu spät. Sein Tod hallt nach und „Die andere Seite der Straße“ wiegt auch wegen ihm schwerer als andere.

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Die bis heute lebendige deutsche Fernsehkrimi-Tradition begann nicht erst mit DER KOMMISSAR. Schon vorher hatte es verschiedene Formate gegeben, von denen die von Jürgen Roland und Wolfgang Menger erdachte Serie STAHLNETZ möglicherweise die bekannteste war. Und Erik Ode, der in DER KOMMISSAR den Titelhelden Keller spielte, war zuvor schon einige Male in DAS KRIMINALMUSEUM zu sehen gewesen, der ersten vom ZDF produzierten Krimiserie. Wohl aber begann mit DER KOMMISSAR die Tradition der starken Ermittlerfiguren und, wenn man den TV-Historikern glauben mag, der Psychologisierung. Keller folgten der ebenfalls von Herbert Reinecker erdachte Stephan Derrick, Erwin Köster und seine Nachfolger in DER ALTE, aber auch die ARD-Produktion TATORT mit ihren wechselnden Ermittlern sowie Dutzende weiterer Kriminalbeamten und Detektive mit ihren Formaten, aber nur wenige von ihnen brannten sich als Figur so stark ein ins kollektive deutsche Gedächtnis wie Odes Keller, der Übervater der deutschen Nachkriegsgeneration, der Gerechtigkeit brachte, aber immer auch Verständnis für die Umstände, die ganz normale Menschen zu Mördern machte.

Während Stephan Derrick fünf Jahre später wie ein vom Staat geschickter Racheengel mit unnachgiebigem Ehrgeiz und dem Furor des Gerechten über die kleinen Sünder kam, da interpretierte Ode seinen Keller als freundlich-salomonischen Hirten, der dafür sorgte, dass seiner Herde kein Schaden wiederfuhr. Mit seinen Assistenten Grabert (Günther Schramm), Heines (Reinhard Glemnitz) und Klein (Fritz Wepper) verband ihn eine ebenson väterliche Beziehung, die Gattin, die ihm in einigen frühen Folgen Medizin ans Krankenbett brachte, das Essen zubereitete und ihm ein offenes Ohr schenkte, konnte bald weichen, weil dieser Keller sein Privatleben für die Bundesrepubik geopfert hatte und in seinem nach Linoleum duftenden Büro alles hatte, was er brauchte. Sein Berufsalltag mit den folgsam-fleißigen Assistenten erinnert ein bisschen an die frauenlose Heiterkeit der Cartwrights auf der Ponderosa. Man lacht gemeinsam, erfreut sich an der eigenen Gerissenheit, sagt zu Tabak und Alkohol niemals nein, weil das der Treibstoff ist, der nimmermüde Staatsdiener am Laufen hält. Frauen wie die alte Vorzimmerdame Rehbein (Helma Seitz) sind entweder zum Kaffeekochen da oder, im Falle der Polizistin Helga Lauer (Emely Reuer) bloßes Eye Candy für den Zuschauer, damit der nicht am Testosteronüberschuss verendet.

Die ersten Folgen – die meisten der in diesem Text enthaltenen – folgen einer zunächst fest gefügten Struktur. Die Episoden beginnen mit dem Fund einer Leiche. Danach fangen die Ermittlungen von Keller und seinen Männern an, die das Feld der Verdächtigen sondieren, bevor am Ende alle in einem Raum versammelt werden, in dem Keller im Stile alter Meisterdetektive den Mörder enttarnt. Der Ton ist heiterer und ausgelassener als bei DERRICK, weniger schadenfoh und zynisch, und das Schwarzweiß der Serie auch sonst programmatisch: Gut und Böse sind ziemlich klar auseinanderzuhalten, während es bei DERRICK in unzähligen Schattierungen von Braun, Beige, Grau und Grün ineinanderfließt.

Episode 01: Toter Herr im Regen (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Ein wohlhabender Mann wird tot im Rinnstein einer schlechten Münchener Gegend aufgefunden. Bei den Ermittlungen finden Keller und Co. hinaus, dass es um Dr. Steiner handelt, einen Mann, der bei seinen erwachsenen Kindern verhasst ist und seiner Geliebten immer wieder mit sadistischen Streichen zusetzte. Im Haus, vor dem er ermordet wurde, lebt ein Teenagermädchen, mit der er seine Partnerin betrog. Eines von vielen Beispielen für Reineckers Drehbücher um hassenswerte Vaterfiguren. Eine Tradition, die im KOMMISSAR und auch in DERRICK weiterleben wird.

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Episode 02: Das Messer im Geldschrank (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Die Putzfrau findet beim Saubermachen in einem Nachtclub ein totes Animiermädchen. Wer war ihr Mörder? Der Clubbesitzer Brandic (Lukas Ammann), der nur am Geld interessiert ist, sein gutaussehender, aber vorbestrafter Bruder Juri (Michael Maien), der Kellner Sommer (Wolfgang Völz), der sich mit seinem kargen Gehalt einen teuren Sportwagen leisten kann, der mysteriöse Pianist Benitz (Herbert Bötticher) oder die Mitbewohnerin und Kollegin des Opfers, die blonde Schöne Marion (Ann Smyrner)? Höhepunkt der Episode ist ein Spaziergang Kellers mit der jungen Blondine, der in den frühen Morgenstunden bei einem Schnäpschen in ihrem Appartement endet. Kellers melancholischer Blick scheint die romantischen Möglichkeiten, die sich bieten, zu spiegeln, aber natürlich bleibt er standhaft. Und scharfsinnig.

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Episode 03: Ratten der Großstadt (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Der Wirt einer Pinte am Großmarkt wird tot aufgefunden. Zu den Verdächtigen zählt die Bande um Krass (Horst Frank): Der Säufer Bender (Gerd Baltus), Palle (Fred Haltiner), Krüger (Klaus Schwarzkopf) und der etwas irre Mozart (Werner Pochath) gingen in der Bierschwemme ein und aus. Grabert wird als Ex-Knacki in der Gang eingeschleust, um etwas herauszufinden. Irgendwann redet Bender und belastet Mozart. Doch Keller glaubt nicht an die Schuld des armen Tropfs. Baltus ist grandios als versoffener Asi Bender, Pochath brilliert in einer seiner vielen Außenseiterrollen. Wie ein Kind stolziert er in Badehose durch das Wasser der Isar, seine Kumpels wie ein Kind den Papa immer wieder um Aufmerksamkeit anbettelnd.

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Episode 04: Die Tote im Dornbusch (Georg Tressler, Deutschland 1969)

Diesmal führen die Mordermittlungen Keller und Co. in eine Raststätte: Die Gattin des Besitzers Panofsky (Paul Albert Krumm) wurde tot aufgefunden, an der Autobahn entsorgt von dem Lkw-Fahrer Wiegand (Arthur Brauss). Die Tote war nach etlichen Zeugenaussagen von loser Moral und unterhielt vor den Augen ihres Mannes zahllose Liebschaften. War es Mord aus Eifersucht? Lust und offen ausgelebte Sexualität sind Mysterien, die Keller und seine Männer, aber auch die gesamte deutsche Gesellschaft noch nicht wirklich verstehen. Es brodelt unter der Oberfläche, die mit der Extraportion Bleiche und Stärke blütenweiß und faltenfrei gehalten wird wie ein Leichentuch.

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Episode 05: Ein Mädchen meldet sich nicht mehr (Theodor Grädler, Deutschland 1969)

Es verschlägt Keller und Assistenten ins Studentenumfeld und die Drogenszene. Die Tote verkehrte in einschlägigen Lokalen – u. a. im Etablissment von Proschitz (Günther Ungeheuer) – und wollte ihren Freund Tanieff (Peter Chatel) vom Marihuana wegbringen, dem dieser rettungslos verfallen war. Die Episode ist ein einziges Absurdion, von Kellers Aussage „Die Intoxikation ist unverkennbar!“, als er einem Marihuana-„Süchtigen“ in die Augen schaut, über die Frage, ob Tanieff sein „Marichuana“ trinke oder esse, bis hin zur Vorführung eines Joints: einer kleinen Zigarette mit einer weißen Kapsel drin. Wer kifft, der ist nicht mehr zurechnungsfähig, ein armer Tropf, der orientierungslos in der Welt herumirrt, bösen Drogenhändlern für immer ausgeliefert. Und „Reefers“ (was ein bisschen wie „Reval“ klingt) kauft man natürlich auf dem Klo vom dubiosen Rudolf Schündler. Die Frage, die sich unweigerlich stellt: Hatte Reneicker wirklich keine Ahnung oder wollte er sein Publikum trollen? Besonders komisch ist die Merkbefreitheit der Tugendwächter, die über den Drogenabgrund schwadronieren, aber in einer Tour Cognac und Bier in sich hineinschütten und in einem Büro hocken, dessen Luft man schneiden kann.

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Episode 06: Die Pistole im Park (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Auf dem ausladenden Grundstück des reichen Geschäftsmannes Wegener (Peter van Eyck) wird dessen junger Gärtner erschossen – kurz nachdem jemand versucht hat, Wegener zu erpressen. Alle verhalten sich überaus merkwürdig, nicht zuletzt die Sekretärin Wegeners, die attraktive Hannelore Krems (Marianne Koch). Nur die Küchenfrau Frau Hicks (Rose Reneé Roth) zeigt so etwas wie ein Gewissen und vertraut sich Heines an, der für die Ermittlung in der Villa bleibt. Eine eher unaufregende Episode, aber die Koch ist supersexy und van Eyck thront mit gewohnt preußischer Souveränität über allem.

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Episode 07: Keiner hörte den Schuss (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Das Opfer ist diesmal ein Mann, der Rohdiamanten für den Juwelier de Croy (Wolf Rilla) transportieren sollte. Seine Ehefrau, das Modell Eva Kersky (Erika Pluhar) ist erstaunlich ungerührt ob der Todesnachricht. Was den Vater des Toten, den im Rollstuhl sitzenden Ernst Fritz Fürbringer, der die Schwiegertochter über alles hasst, überhaupt nicht wundert. Ist sie die Mörderin? Aber auch andere bieten sich als Tatverdächtige an, etwa der Vorbestrafte Blago (Michael Hinz), der von den Diamanten wusste. Highlight ist die bizarre Modenschau eines schwulen Designers, bei der auch Amanda Lear als Model mitwirkt. Und Erika Pluhar ist unfassbar sexy. Wie sie am Schluss nach der Enttarnung des Mörders kommentarlos  abzieht und die feine Patriarchengesellschaft keines Blickes mehr würdigt, ist unfassbar cool. Das muss sogar Keller würdigen, der liebe Onkel.

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Episode 08: Der Tod fährt 1. Klasse (Wolfgang Becker, Deutschland 1969)

Zum ersten Mal wird das Konzept gewandelt. Die Jagd nach einem Frauenmörder, der immer freitags im Zug von Dortmund nach München zuschlägt, gestaltet sich im Showdown überaus fiebrig. Grabert, Heines und Klein kämpfen an der Front, mit der langbeinigen Kollegin Lauer als Köder für die Bestie, aber es ist Keller, der die Identität des Killers aus der Distanz enttarnt. Beste Folge bis hierhin, mit toller Kameraarbeit im klaustrophobischen Finale, in dem geschickt mit Unschärfen gespielt wird. Und es gibt wieder einmal eine dysfunktionale Vater-Sohn-Beziehung. Deutschland nach dem Krieg. Die Papas kannten sich mit dem Vertuschen von dunklen Geheimnissen gut aus, die Söhne waren nur noch angeekelt.

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Episode 09: Geld von toten Kassierern (Georg Tressler, Deutschland 1969)

Bei einem Banküberfall wird der Direktor erschossen. Der Verdacht fällt sofort auf Kranz (Siegfried Lowitz), den Keller einst in den Bau brachte. Der ist erbost: Nie hatte er jemanden umgebracht. Die nächsten Banküberfälle folgen, immer auf Geldinstitute, die auf Kranz‘ einstiger Wunschliste standen. Wie schon in der DERRICK-Folge „Stiftungsfest“ beeindruckt Lowitz mit Berliner Schnauze als ehrenhafter Bankräuber. Die Szenen in seiner heruntergekommenen Wohnung, in der er seiner Minirock-tragenden Tochter Moralpredigten hält, bleiben im Gedächtnis, der Fall selbst ist nicht ganz so spannend.

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Episode 10: Schrei vor dem Fenster (Dietrich Haugk, Deutschland 1969)

Der Ehemann der Schauspielerin Irene Pauli (Maria Schell) wird erschossen aufgefunden. Der Hausmeister sieht noch den Sohn Berthold mit einer Waffe in der Hand wegrennen. Es entbrennt eine Jagd auf den Flüchtigen Mordverdächtigen, während die Pauli Keller und seine Männer verzweifelt von der Unschuld ihres Jungen überzeugen will. Für den Toten – einen Tyrann, den offensichtlich jeder hasste – interessiert sich hingegen kaum jemand. Das kennt man inzwischen. Die Folge, die in einer einzigen Nacht spielt und mit einer tollen handgehaltenen Einstellung beginnt, ist trotzdem eine der stärksten der ersten 10.

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Episode 013: Kamillas junger Freund (Alfred Vohrer, Deutschland 1975)

1531816_709208655771106_754426091_nBei einem Einbruch in das Haus der Familie Kessler wird der anwesende Ehemann (Siegfried Wischnewski) überrascht und nur Sekunden später das unvermutet hinzutretende Hausmädchen erschossen. Die Spur führt zu dem professionellen Gigolo Bocke (Karl Walter Diess), den Kesslers vom Eheleben enttäuschte und gelangweilte Gattin Kamilla (Luitgard Im) engagierte, um wenigstens etwas Liebe und Leidenschaft zu erfahren. Und Bocke missbraucht das Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird, indem er das Wissen über die Gewohnheiten seiner Kundinnen und die Grundrisse ihrer Häuser nutzt, um gemeinsame Sache mit einer Bande professioneller Einbrecher zu machen.

Alfred Vohrers ersten Beitrag zur Serie habe ich mit Spannung erwartet und war dann etwas enttäuscht. „Kamillas junger Freund“ ist, wie es der an einen besonders unaufgeregten Rohmer-Film erinnernde Titel schon erahnen lässt, eine eher ruhige Angelegenheit, die ohne die besondere Perfidie auskommen muss, die die stärksten DERRICK-Folgen bis dahin auszeichnete. Aber da passiert stattdessen etwas anderes, steigert sich der unaufgeregt erzählte, von vornherein sehr durchsichtige und klare Kriminalfall zu einer Art melancholischer Introspektion. Das hektische Treiben um die Wahrung von Gesetz und Ordnung wird hier von einer beinahe meditativen, keineswegs aber beruhigenden Stimmung ersetzt. Es hatte sich schon zuvor angedeutet (und soll auch in den kommenden Episoden immer wieder thematisiert werden), aber Vohrers Episode macht es noch einmal besonders deutlich: Um das deutsche Beziehungsleben ist es alles andere als gut bestellt. Das Machtgefälle zwischen den erfolgreichen, finanziell gut dastehenden Patriarchatsbolzen und ihren braven und schönen, aber wie Sanatoriumsinsassinnen anämisch in ihren Prachthäuschen sitzenden Ehefrauen beginnt immer wieder unangenehme Konsequenzen zu zeitigen. Die ganze Jämmerlichkeit des Bürgertums, das sich in seinen mit groteske Einrichtungstand und hässlichen Statussymbolen zugestellten Behausungen einmauert wie in einer Gruft, Gefühle mit der kalten Empirie eines Buchhalters als unzuverlässig, überflüssig und potenziell beunruhigend behandelt, tritt plötzlich und unvermittelt an die Oberfläche. Getragen wird diese Sicht von einer Musik, die jenen Mangel in ihrer dunkelmelancholischen Schwülstigkeit nur umso euphorischer hinfortsingen will. „Kamillas junger Freund“ ist wie eine dunkle Operette, von der nur wenige Bilder, dafür aber Stimmungen und Klänge in Erinnerung bleiben. Und Derrick, der sagt: „Man kann mir alles Mögliche nachsagen, aber ich bin kein Moralist.“ In einer anderen Welt würde sich Stephan Derrick in Kamilla verlieben, sie aus ihrem Gefängnis holen und seinen Beruf an den Nagel hängen. Aber das hier ist Deutschland im Jahr 1975 und Derrick weiß das.

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Episode 014: Der Tag nach dem Mord (Helmuth Ashley, Deutschland 1975)

994697_712503745441597_1129766991_nAls der blässliche, nur wenig selbstbewusste Schüler Horst Wegmann (Oliver Grimm) erfährt, dass seine Freundin (Anita Lochner) und sein bester Freund Mario (Renzo Martini), ein italienischer KFZ-Mechaniker, ihn betrügen, lauert er letzterem auf und ersticht ihn schließlich im Affekt mit einem zufällig bereitliegenden Schraubenzieher. Der um Hilfe gebetene Vater (Alexander Kerst) kann nur noch den Tod des Freundes feststellen und leitet sofort alles in die Wege, um das Verbrechen seines Sohnes zu vertuschen: Unter anderem bittet er seine geschiedene Frau (Krista Keller), den beiden ein Alibi zu geben. Derrick und Klein ahnen schnell, wer der Mörder ist, doch müssen sie erst das Lügengerüst der Wegmanns durchbrechen …

Helmuth Ashley begibt sich nach der seltsamen Episode von Vohrer wieder auf die bisher begangenen Pfade der Serie. Seine Episode bezieht ihre Spannung aus der Frage des Zuschauers, wie Derrick die Lügner hinters Licht führen wird oder wie diese sich selbst verraten werden. Dem sachlich-unterkühlten Derrick, der den Missetaten des Bürgertums mitleidlos gegenübersteht, ihr orientierungsloses Umherirren mit zunehmender, in spöttischen Sarkasmus umschlagender Desillusionierung betrachtet, wird wieder einmal der Typus des von sich selbst vollkommen überzeugten und im Selbstbetrug zu Höchstform auflaufenden Patrarchen gegenübergestellt. Ihm zur Seite die Exfrau, die ihre Feigheit hinter einer pseudo-aufrührerischen Haltung verbirgt: Anstatt dem idiotischen Treiben ihres Mannes den Riegel vorzuschieben, ihm die Unterstützung bei seinem gefährlichen Spielchen zu versagen, begnügt sie sich mit letztlich harmlosen Zickereien, die ein Selbstbewusstsein vorgaukeln sollen, wo gar keines ist. In diesem emotionalen Minenfeld, wo es immer nur um Beherrschung, Leistung, Status und Rang geht, Gefühle, Empfindungen oder gar Verständnis als Weicheierkram abgetan werden, muss sich der Sohnenmann geradezu in einen Geist verwandeln. Im Laufe der Episode verschwindet er immer mehr, geht es immer weniger um ihn und immer mehr um den Mann, der sich ein letztes Mal als Beschützer seiner Brut profilieren will. Ein Albtraum in Braun und Grau.

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Alarm auf Revier 12 (Zbynek Brynych, Deutschland 1975)   

Folie1Kurz nachdem er aus der Haft entlassen wird, nimmt der brutale Berufsverbrecher Albert Ross (Gert Haucke) sein Geschäft schon wieder auf. Derrick und Klein kommen ihm auf die Schliche, als er ein Mitglied aus seine Einbrecherbande erschießt. Nun gilt es nicht nur, einen Einbrecher zu stellen, sondern einen Mörder. Und letzteres ist gar nicht so einfach, denn Ross ist ebenso gerissen wie er verkommen ist …

Mit dem DERRICK-Debüt des Tschechen Zybnek Brynych, der von vielen Connaisseuren als so etwas wie der Meister des deutschen Fernsehserienkrimis gehandelt wird, beginnt sich die Serie, der zu diesem Zeitpunkt nur mittelmäßiger Erfolg im Fernsehen beschieden war, dramaturgisch zu verändern. Das rigide durchgezogene Konzept mit dem in der ersten Viertelstunde gezeigten Verbrechen sowie dessen Vor- und Nachbereitung durch den Täter und dem harten Schnitt hin zu dem Ermittlerduo um Derrick und Klein wird in „Alarm auf Revier 12“ zum ersten Mal durchbrochen. Brynych beginnt mit der Einführung von Ross und gibt in den ersten Minuten keinerlei Aufschluss darüber, worum es in seiner Episode gehen wird. „Alarm auf Revier 12“ ist weniger geradlinig als bisherige Episoden, lässt sich zunächst Zeit, Ross als Riesenarschloch und Brutalo zu charakterisieren: Vor dem Knast lässt er seine Gattin geradezu links liegen – nein, das stimmt nicht, er gibt ihr Befehle –, um sich in gespielter Vaterfreude ganz auf seine mittlerweile erwachsene Tochter zu konzentrieren. Später ist es mit seiner Achtung für sie aber auch nicht mehr so weit her: Ihren Freund Haller (Nikolaus Paryla) – ein Mitglied seiner Bande, was weder Mutter noch Tochter wissen – beleidigt er vor ihr als Waschlappen, verpasst ihr in seiner Anwesenheit eine Ohrfeige, um ihn zu demütigen. Später wird er ihr noch sagen, dass sie mit „dem Arsch, den Titten“ etwas Besseres verdient habe als Haller, da ist dieser aber bereits tot, von Ross erschossen, weil er die Polizei über die anstehenden Einbrüche informieren wollte.

Derrick trifft recht bald auf Ross, den er bereits kennt. Der Moment, in dem er ihm zum ersten Mal seit Jahren wieder gegenübersteht (siehe Bilderserie links), ihn erkennt und wohl instinktiv ahnt, auf der richtigen Fährte zu sein, wie erst ein leises Lächeln über sein Gesicht huscht, das dann immer mehr zu einem triumphierenden Grinsen wird, ist unbezahlbar. Hier ist er wieder, dieser andere Derrick: Nicht der triste graubraunbeigefarbene Gesetzeshüter, der kraftlos-übermüdet zwar, aber mit unbeirrbarem Pflichtbewusstsein durch den Morast der Gesellschaft watet, sondern der von einem beinahe kindlichen Spieltrieb angetriebene Ermittler mit dem Schalk im Nacken und dem gefährlichen Blitzen im Auge, dem es eine beinahe orgasmische Freude bereitet, Übeltäter von ihrem hohen Ross (no pun intended) zu stoßen, sie unsanft mit ihrer Fehlbarkeit zu konfrontieren und den mahlenden Rädern der Justiz zu überantworten. In diesen Momenten verkörpert Derrick dann auch nicht die un- und überpersönliche Staatsmacht, den Vertreter und Verfechter eines abstrakten Textes, vielmehr rückt er so näher an den Zuschauer, scheint mit ihm Regungen wie Schadenfreude, Zorn und Abscheu, die er sich sonst verbietet, zu teilen. Es wird aber nicht ganz klar, ob das nicht auch nur Strategie ist, ob er dieses Grinsen nicht nur aufsetzt, um sich an uns heranzuwanzen, uns in Sicherheit zu wiegen, damit wir die Deckung fallen lassen. Er benutzt diese Strategie ja auch immer wieder bei seinen Gegenspielern: So lädt er am Ende Ross zu einem Bier ein, wissend, dass dieser eigentlich zu einem Bruch verabredet ist. Ross läst sich die Gelegenheit nicht nehmen, er ist viel zu stolz, um sich vor Derrick eine Blöße zu geben, und sieht außerdem, wie ihm der Polizist quasi ein Alibi auf dem goldenen Tablett serviert. Es wird für ihn der Anfang vom Ende.

Dass „Alarm auf Revier 12“ bis hierhin die beste DERRICK-Folge markiert, liegt nicht nur an Brynych. Herbert Reineckers Drehbuch hätte wohl auch einen Spielfilm geadelt, überzeugt mit einem cleveren Aufbau, vielen unerwarteten Wendungen und überlebensgroßen, glaubwürdigen Charakteren. Und es hat Witz: Als Derrick und Klein den Tatort eines Einbruchs besichtigen und dabei zum verwüsteten Swimming Pool kommen (tolle Szene übrigens, wie die Einbrecher – darunter auch Walter Sedlmayer – ihren Bruch im wahrsten Sinne des Wortes feuchtfröhlich feiern, während der Hausherr gefesselt im Stuhl sitzt), antwortet Derrick auf die nüchterne Feststellung Kleins, die Einbrecher hätten wohl ein Bad genommen, staubtrocken: „Wieso? Es ist doch noch da.“

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Episode 016: Tod der Kolibris (Dietrich Haugk, Deutschland 1976)

Bildschirmfoto 2014-01-08 um 15.48.41Eine Asiatin, offensichtlich eine Prostituierte, wird tot in einem Kofferraum aufgefunden. Ein anonymer Anrufer rät der Polizei, sich im Hause eines Dr. Scheibnitz (Ernst Schröder) umzusehen und zu -hören. In der Villa treffen Derrick und Klein nicht nur auf den Doktor, der jede Bekanntschaft mit der Toten ableugnet, sondern auch auf seine querschnittsgelähmte Tochter Anita (Sylvia Manas). Als die beiden sie verhören, erkennen sie sofort ihre Stimme: Sie hatte den Tipp per Telefon gegeben …

„Tod der Kolibris“ muss nach der grandiosen Brynych-Episode fast zwangsläufig abfallen, aber auch diese Folge hat leuchtende Momente. Der Anfang ist bärenstark: Nach dem Mord widmet Haugk sich einem betrunken von einer Party zurückkommendem Ehepaar, das plötzlich mit der Leiche einer ihm fremden Frau im Kofferraum seines Wagens konfrontiert wird. Der Mann verwirft den vernünftigen Plan der Gattin, die Polizei zu rufen, schließlich hat er „mindestens 2 Promille“. Stattdessen schlägt er vor, die Tote wegzuschaffen, und zwingt seine Ehefrau, mit anzupacken. Bevor sich „Tod der Kolibris“ jedoch zur DERRICK-typischen Geschichte über die Verantwortungslosigkeit und Feigheit des Durchschnittsbürgers entwickelt, werden die beiden von einem herannahenden Auto gestört und entdeckt. (Ganz toll: Wie das Bild in dem Augenblick einfriert, in dem die Frau, vom Lichtkegel des Autos erfasst, die Füße der Toten fallenlässt und wegrennt, während der Mann dumm aus der Wäsche guckt und dann die bekannte Titelmelodie einsetzt.)

In höhere Regionen deutscher Fernsehunterhaltungs-Vertrahltheit der Siebzigerjahrer dringt Haugk aber erst später vor, wenn er nämlich das merk- und fragwürdige Verhältnis des Doktors zu seiner Tochter unter die Lupe nimmt. Die 18-jährige Anita erinnert in ihrer misslichen Lage und ihrem puppenhaften Äußeren an eine alternde Hollywood-Diva, führt ein Dasein zwischen dem überprotektiven Vater, der keinerlei Verständnis für den Gemütszustand seiner Tochter hat und sie stattdessen behandelt wie einen Fall, und den hässlischen Stofftieren und Puppen, mit denen sie ihr Zimmer teilt. Als er eine Tonbandaufnahme von ihrem Anruf hört, der ihn ja belastet, stürzt er sich sofort auf die vermeintlich geistig labile Person, beginnt sie an sich zu drücken, zu küssen und auf sie einzureden. Es ist klar, dass er sie davon abhalten will, etwas zu sagen, aber sein Verhalten ist durchaus repräsentativ für die Beziehung, die er zu ihr pflegt. Haugk treibt diese seltsame Vater-Tochter-Beziehung mit Lust auf die Spitze, lässt sie schließlich in der Szene kulminieren, in der er sie – immerhin eine erwachsene Frau – auf den Händen durch die Gegend trägt. Die Episode erreicht in diesen Momenten eine verstörende, irgendwie perverse Qualität, die durch eine gewisse kitschige Melodramatik noch unterstrichen wird. Leider verbinden sich diese hervorragenden Ansätze nicht zu einem schlüssigen Ganzen, und das Interesse ließ bei mir merklich nach, wann immer es um die bloße Ermittlungsarbeit ging.

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Episode 017: Tod des Trompeters (Zbynek Brynych, Deutschland 1976)

Derrick erhält einen Anruf eines unbekannten Informanten: Er wolle sich mit ihm treffen, um ihm von einer bevorstehenden Entführung zu erzählen. Als Derrick und Klein am vereinbarten Treffpunkt ankommen, werden sie Zeuge, wie ihre Kontaktperson erschossen wird. Wenig später ist seine Leiche verschwunden, doch ein bei ihr zuvor gefundenes Trompetenmundstück bringt die beiden auf die richtige Spur: Bei dem Toten handelte es sich um einen Musiker, der von dem Plan seiner Bandkollegen, einer Gruppe von Entführern gegen Bezahlung bei der Umsetzung ihres Plans zu helfen, nicht allzu begeistert war …

Brynychs zweite DERRICK-Folge erzählt wieder einmal von der Selbstüberschätzung des Durchschnittsmenschen, der sich in seiner Sehnsucht nach einem besseren Leben in seinen Mitteln versteigt und auf der falschen Seite des Gesetzes landet, mit für ihn unübersehbaren Konsequenzen. Die vier jungen Musiker (darunter Bernd Herzsprung als Schlagzeuger) riskieren für eine gemessen am Risiko lächerlichen Summe Unschuld und Leben, bezahlen ihre Dummheit überaus teuer mit dem Leben ihres Freundes. Ich fand die Episode nicht wahnsinning aufregend, nur gut, aber da ist wieder diese Musik …

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Episode 018: Angst (Theodor Grädler, Deutschland 1976)

Bildschirmfoto 2014-01-09 um 17.54.03Der verheiratete Unternehmer Dr. Hertel (Hans Dieter Zeidler) erfährt von seiner Jahrzehnte jüngeren Geliebten Irene (Uschi Glas), dass Sie einen neuen Liebhaber hat und ihre Beziehung zu Ende ist. Hertel ist Niederlagen nicht gewöhnt: Er verliert die Kontrolle und erwürgt die junge Frau an Ort und Stelle. Er meldet den Tod der Polizei, lenkt den Verdacht auf Irenes neuen Freund (Bernd Herzsprung) und fordert anschließend seine anämische Frau Franziska (Heidelinde Weis) auf, ihm ein Alibi zu geben. Die ihrem bulligen, unberechenbaren Gatten hilflos gegenüberstehende Frau ahnt nun, dass sie mit einem Mörder zusammenlebt. Derrick und Klein, die sicher sind, dass Hertel der Mörder ist, wissen, dass es wahrscheinlich nur eine Frage des einwirkenden Drucks ist, bis Frau Hertel zusammenbricht. Und das weiß wiederum auch Dr. Hertel, der sicherstellen muss, dass sie dichthält …

„Angst“ macht sich das Thema einer dysfunktionalen Ehe, das bisher wenn auch nicht gerade im Hintergrund schwelte, so doch meist nur von tangentieller Bedeutung für den Plot war, ganz und gar zu eigen. Das Paar ist wirklich eine Kombination, wie man sie nur in Fieberträumen erdenken kann: Er ein vierschrötiger, nie weit vom Ausbruch entfernter Machtmensch, der es nicht gelernt hat, ein „Nein“ zu akzeptieren, ein potenzieller Gewalttäter, der seine Natur auch hinter seinem Haifischlächeln nicht verbergen kann, sie ein stilles, blässliches Mäuschen, das neben ihrem raumgreifenden Ehemann beinahe zu verschwinden droht und in steter Angst davor lebt, selbst zum Objekt seines unberechenbaren Zorns zu werden. „Klein, blass, nicht überzeugend“, beschreibt Derrick sie nach einem kurzen Telefonat mit ihr, und das ist ja ein wahrlich niederschmetterndes Urteil über einen Menschen. Auch ihr Ehemann lässt sich über ihr fehlendes Selbstbewusstsein, ihren Identitätsmangel und ihre Lebensunfähigkeit aus, freilich ohne zu ahnen, dass es für jeden empfindsamen Menschen schwierig sein muss, sich neben jemandem wie ihm zu entfalten oder gar zu behaupten. Aber die ganze Geschichte wird für sie zum Wendepunkt, erkennt sie doch, dass sie nun das zementierte Machtgefüge endlich einmal zu ihren Gunsten wenden kann. Dummerweise ist alles schon zu spät.

Grädler kann für seine Episode nicht nur auf ein großartig konstruiertes Drehbuch und mit Zeidler und Weis auf ein brillant harmonierendes Hauptdarstellerpaar zurückgreifen, er stellt das Antagonistentum der beiden auch in fantastisch komponierten, spannungsgeladenen Bildern häuslichen Psychoterrors aus, die das DERRICK-Thema der problematischen Liebesbeziehungen kontrastreich auf den Punkt bringen.

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Bildschirmfoto 2013-12-26 um 14.01.10Der Eindruck aus den ersten vier Episoden wird im weiteren Verlauf der Serie deutlich verfeinert und ausdifferenziert: DERRICK lässt zwar nach wie vor biografische Details seines Titelhelden weitestgehend vermissen – in der Folge „Madeira“ betrachtet er das Foto einer Frau, die sich dann jedoch nicht als seine Gattin, sondern ein Mordopfer erweist, in der Episode „Pfandhaus“ ertappen wir ihn mit einer Geliebten, die sich von ihm chronisch vernachlässigt fühlt –, entwickelt jedoch in der Jagd auf die Verbrecher einen geradezu unerbittlichen, aber dennoch unterkühlten Furor. Es bereitet ihm Freude, diese feigen, mittelmäßigen Durchschnittsmenschen in die Ecke zu drängen, sie noch ein Weilchen zappeln zu lassen, bevor er sie endgültig festnagelt. Sein Haifischlächeln, das sich in sein Gesicht schleicht, wenn sich diese rückgratlosen Würmer vor ihm winden, vor Angst zittern und sich in haarsträubende Widersprüche verstricken, gleichzeitig eine trotzige Fassade der Selbstsicherheit aufrechterhalten, lässt keinen Zweifel daran, wer am Ende als Sieger hervorgehen wird. Es ist seine Mission, den Tätern die Maske vom Gesicht zu reißen, ihre Jämmerlichkeit zu entblößen und den rechtstaatlichen Frieden wiederherzustellen. Doch der Job fordert seinen Tribut: „Es ist meine Aufgabe, den Menschen alles zuzutrauen. Und es widert mich an.“, sagt er einmal, in der Episode „Pfandhaus“. Inhaltlich werden die Folgen etwas variabler, drehen sich nicht mehr nur um Frauenmorde. Dennoch ist auffällig, dass die Morde stets aus einer Position der Macht heraus erfolgen, so etwa in „Nur Aufregungen für Rohn“, in der ein junger Mann seinen alten Nachbarn erwürgt. Und mehr und mehr schleicht sich der Sleaze in die tiefenpsychologisch aufgearbeiteten Einblicke in die deutsche Mörderseele: „Zeichen der Gewalt“ ist die deutsche Appropriation italienischer Poliziottesco inklusive Stripclub-Ausflügen, der erotisch aufgeladene Tanz, den der gerissene Forster (Klaus Maria Brandauer) mit der jüngeren Geliebten seines Erpressungsopfers vor dessen Augen zu deutscher Schwermutsdico aufs Parkett legt, entblößt gewissermaßen den Unterleib der deutschen Mittelklasse.

Einige inhaltliche Elemente tauchen wiederholt auf: So erinnert Derricks Coup, den vollkommen panischen Hoffmann in „Hoffmanns Höllenfahrt“ noch einmal mit den Umständen seiner Tat und dem Opfer zu konfrontieren, sehr an die Episode „Johanna“, in der er die Zwillingsschwester der Toten dazu brachte, deren Kleidung zu tragen und ihrem Mörder gegenüberzutreten. In dieser Strategie entbirgt sich Derricks Funktion als alttestamentarischer Racheengel am deutlichsten: Es geht nicht nur darum, Mörder festzusetzen und die Gesellschaft zu schützen, sondern stets auch darum, die Täter mit ihrer Schuld zu konfrontieren, ihre Verleugnungen zu durchbrechen, ihr schlechtes Gewissen bloßzulegen. DERRICK ist eine 290-teilige Mahnfabel: Nicht nur lohnt sich Verbrechen materiell nicht, ist nicht an ein Davonkommen zu denken, weil ein Derrick die Schuld riechen kann wie ein Drogenhund, sie ist für den Durchschnittsbürger auch psycholgisch nicht zu ertragen. Die Essenz dieser frühen DERRICK-Folgen: Der Deutsche ist viel zu jämmerlich und durchschnittlich, um mit einem Mord durchzukommen. Das Geschmeiß auf der Straße mag sich für intelligent, gerissen und abgezockt halten, doch die Realität sieht ganz anders aus. Und Derrick weiß das. Weswegen es ihn schier krank macht, dass diese armseligen Gestalten es immer wieder versuchen, anstatt sich in ihr deutsches Dasein zu fügen.

„Tod am Bahngleis“ erinnert mit seinen Einblicken in die Psyche eines Frauenmörders – es wird sogar ein Psychologe hinzugezogen – etwas an Derricks Debüt in „Waldweg“. In „Madeira“ spielen Derrick und sein Partner nur eine Nebenrolle, die Folge fungiert in erster Linie als Showcase für Curd Jürgens, dessen Bubach wie Raskolnikow in Dostojewskis „Schuld und Sühne“ ein beinahe wissenschaftliches Interesse bei seinen Morden an den Tag legt. „Zeichen der Gewalt“ und „Ein weichen am stärksten vom Rest ab: Hier sind es keine einfachen Bürger, die in einem Moment der Schwäche zu Mördern werden, sondern Unterweltler, deren Gewissenlosigkeit schon eingeschliffen ist. Beide Folgen erinnern mit ihren Besprechungen im Polizeirevier, verschiedenen Beamten und Einsätzen an klassische Police Procedurals. „Paddenberg“ deutet etwas an, was eher subliminal in jeder Folge mitschwingt: dass sich viele Deutsche im Krieg die Hände schmutzig gemacht haben, auch wenn sie nicht mit den Nazis unter einer Decke steckten.

 

Episode 005: Tod am Bahngleis (Alfred Weidenmann, Deutschland 1975)

Die Münchener Polizei sieht sich den Taten eines Frauenmörders gegenüber: Alle Opfer nahmen offensichtlich den letzten Zug aus München, wurden beim Aussteigen vom Killer abgefangen, erwürgt und dann an den Gleisen abgelegt. Beim Täter handelt es sich um den Gleisarbeiter Hugo Hase (Peter Kuiper): Von seinen Kollegen (u. a. Arthur Brauss, Ulli Kinalzik, Günter Strack und Rinaldo Talamonti) wird er wegen seiner unbeholfenen Art verlacht, nachts „rächt“ er sich an den Frauen, zu denen er einfach keinen Zugang herstellen kann …

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Episode 006: Nur Aufregungen für Rohn (Wolfgang Becker, Deutschland 1975)

Der mittellose Student Harald Rohn (Thomas Fritsch) hat sich einen Coup ausgedacht, wie er an Geld kommen kann: Er überfällt seinen Nachbarn, den alten Herrn Seibach (Helmut Käutner), der als Geldbote für einen Supermarkt arbeitet. Dummerweise verliert er etwas am Tatort, was das Opfer auf seine Spur bringt. Als Seibach Rohn in dessen Wohnung konfrontiert und auffordert, sich zu stellen, sieht der junge Mann keine andere Möglichkeit, als Seibach umzubringen. Derrick und Klein sind von Beginn an überzeugt, dass er der Mörder ist, denn der Student hat viel zu viele Fehler gemacht. Aber es fehlt der entscheidende Beweis …

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Episode 007: Madeira (Theodor Grädler, Deutschland 1975)

Eine ältere Dame verschwindet spurlos, nachdem sie ihren Mietvertrag gekündigt und alle Konten aufgelöst hat, um mit einem Herrn nach Madeira auszuwandern. Bei dem Mann handelt es sich um Paul Bubach (Curd Jürgens), der Ausschau nach alleinstehenden Frauen hält, ihnen eine neues Leben auf der Atlantik-Insel schmackhaft macht und sie dann umbringt, wenn sie ihm ihre Ersparnisse anvertraut haben.

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Episode 008: Zeichen der Gewalt (Theodor Grädler, Deutschland 1975)

Von einem anonymen Anrufer wird der Anwalt Rieger (Joachim Bißmeier) dazu aufgefordert, seinem wegen Totschlags inhaftierten Mandanten Günter Hausmann (Raimund Harmstorf) eine Schusswaffe ins Gefängnis zu bringen, man habe seine Gattin Herta (Gaby Dohm) in der Gewalt. Der Anwalt tut, wie ihm befohlen wurde, Hausmann bricht wenig später aus und erschießt dabei einen Polizeibeamten. Der Anwalt ist untröstlich und bringt sich selbst um, derweil Derrick und Klein herauszufinden versuchen, wo sich Hausmann aufhalten könnte. Die Spur führt zu seinem Nachtclub „Crazy“, wo seine Gattin Irina (Sybil Danning) die Hauptattraktion ist …

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Episode 009: Paddenberg (Franz Peter Wirth, Deutschland 1975)

Der sein Geld als Schrankbemaler in einem Kaufhaus verdienende Kleinkünstler Hofer (Heinz Bennent) trifft durch Zufall Goldinger (Peter Pasetti) wieder, einen ca. 20 Jahre älteren Mann, zu dem er während der gemeinsamen Zeit im Kriegsgefangenenlager eine von Bewunderung geprägte Freundschaft entwickelt hatte. Er erfährt, dass Goldinger heute auf den Namen Paddenberg hört und erfolgreicher Geschäftsmann ist. Der Erkannte reagiert distanziert auf das Wiedersehen: Er hat ein entschiedenes Interesse daran, dass seine wahre Identität verborgen bleibt und bringt den harmlosen Hofer daher kaltblütig um. Von Derrick und Klein mit der Tatsache des Todes ihres Ehemanns konfrontiert, wittert Irene Hofer (Anaid Iplicjian) ihre Chance. Sie weiß, wer der Mörder ist und will diese Tatsache zu ihren Gunsten nutzen …

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Episode 010: Hoffmanns Höllenfahrt (Theodor Grädler, Deutschland 1975)

Auf der Heimfahrt begegnet der Handwerker Hoffmann (Klaus Löwitsch) der jungen, attraktiven Nachbarstochter Anneliese (Ingrid Steeger), die leicht über den Durst getrunken hat. Das Mädchen, dass er von Kindesbeinen an kennt, ist etwas anhänglich, Hoffmann weiß sich nicht zu beherrschen. Als sie ihm droht, alles ihrem Vater zu sagen, bringt er sie um und versteckt die Leiche auf einem Schrottplatz. Doch er ist nicht der Charakter, der einen Mord geschickt vertuschen kann: Von der ersten Sekunde an verstrickt er sich vor seiner Familie (u. a. Judy Winter und Pierre Franckh) in Widersprüchen und verliert angesichts der Befragung durch Derrick und Klein jede Contenance …

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Episode 011: Pfandhaus (Dietrich Haugk, Deutschland 1975)

Gustl Karruska (Max Mairich) ist zwar ein erfolgreicher und wohlhabender Geschäftsmann, aber dennoch voller Minderwertigkeitskomplexe. Diese werden noch bestärkt, als er erfährt, dass seine gut 30 Jahre jüngere Geliebte Ursula (Doris Kunstmann) ein Verhältnis mit dem vorbestraften Forster (Klaus Maria Brandauer) hat. Zu allem entschlossen besucht er dessen Wohnung, um ihn zu erschießen. Doch seine Kugeln treffen nur dessen Freund. Anstatt zur Polizei zu gehen, wittert Forster die Gelegenheit, sich eine Scheibe vom Kuchen Karruskas abzuschneiden. Er schweigt gegenüber Derrick und Klein, nistet sich in Karruskas Haus ein und beginnt den Mann offen zu demütigen …

Wertung: ****/*****

 

Episode 012: Ein Koffer aus Salzburg (Alfred Weidenmann, Deutschland 1975)

Eine Putzfrau wird beim nächtlichen Reinigen eines Zuges aus Salzburg von einem Mann (Ralf Schermuly) überrascht und erschossen. Offensichtlich hatte sie ihn dabei erwischt, wie er einen Koffer aus dem Zug entwendete. Der Mann kann entkommen, die Ermittlungen führen Derrick und Klein auf die Spur einer Schmugglerbande …

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Im Zuge meines entflammten Interesses am deutschen Film (vor allem der Zeit zwischen 1930 und 1980) ist es fast unumgänglich, dass ich mich auch den großen Krimiserien widme, die ab den 1960er-Jahren produziert wurden. Viele Regisseure, die sich zuvor mit Kinofilmen einen Namen gemacht hatten, fanden nach der Einführung des Fernsehens dort ein neues Auskommen. Und die berühmteste all dieser Fernsehserien ist DERRICK, mit insgesamt 281 Episoden in 24 Jahren wahrscheinlich die weltweit erfolgreichste und langlebigste Serie überhaupt. Natürlich habe ich als Kind auch die ein oder andere Folge gesehen: Das Fernsehprogramm bestand aus drei Sendern mit übersichtlichem Angebot und DERRICK gehörte zu den Heiligtümern deutscher Abendunterhaltung. Richtig gemocht habe ich sie damals nicht: Wenn ich mal davon absehe, dass ich mit Krimis eh nicht so viel anfangen konnte, fand ich den Polizisten Stephan Derrick immer eher unangenehm mit seiner dunkelbraun getönten Sonnebrille, den aufgequollenen Tränensäcken, der kehligen Stimme und den stets braun-grauen Anzügen und Mänteln. Ich konnte das damals natürlich noch nicht so benennen, aber DERRICKS titelgebender Protagonist – und mit ihm die Serie – verkörperte die deutsche Spießigkeit in Reinkultur. Die Episoden rochen immer irgendwie nach kaltem Zigarrettenrauch, nach abgestandenem Bier, nach Staub, den Linoleumböden in deutschen Amtsstuben und nach Bohnerwachs und waren damit entschieden unsexy. Als dieses Jahr die Nazivergangenheit Tapperts ans Licht kam, da schloss sich im Grunde genommen der Kreis: Denn auch wenn Stephan Derrick als Kriminalbeamter das Gesetzt vertrat, so haftete ihm immer etwas entschieden Furchteinflößendes an. In einer der ersten vier Episoden sagt er zu seinem Partner einmal, dass es ihm unangenehm sei, das Gesetz zu vertreten, weil ihm das zu abstrakt erschiene. Und tatsächlich wirkt dieser Derrick meist nicht wie ein Mensch, ein Individuum mit Privatleben, Familie und Vergangenheit, sondern wie eine entindividualisierte Staatskraft, eine Art Robocop ohne Metallteile. Dieser Derrick begibt sich abends nicht nach Hause, er wird in seinem Büro von Technikern runtergefahren und für den Einsatz am nächsten Tag gewartet und neu aufgeladen. Was interessant ist an dieser Assoziation und an der Spießer-Unterstellung: In den ersten vier Episoden räumt dieser Derrick gerade mit jenem deutschen Spießertum auf, das er doch selbst zu vertreten scheint. Er bekommt es eben nicht mit den Außenseitern und Extremfällen der Gesellschaft zu tun, sondern gewissermaßen mit der frappierenden Banalität des Bösen, dem Biedermann mit der Leiche im Keller. Auch wenn DERRICK zu Beginn/Mitte der Siebziger seine Premiere erlebte: Man kann kaum anders, als zumindest die ersten Folgen als Kommentar zu einer immer noch nicht verarbeiteten deutschen Vergangenheit begreifen.

 

 

Episode 001: Waldweg (Dietrich Haugk, Deutschland 1974)

Oberinspektor Derrick (Horst Tappert) und sein Assistent Harry Klein (Fritz Wepper) werden an ein Mädcheninternat im Münchener Umland beordert. Dort sind binnen kürzester Zeit zwei Mädchen auf ihrem abendlichen Weg vom Bahnhof zur Schule von einem unbekannten Täter ermordet worden. Der erste Verdacht fällt auf den jungen Lehrer Dackmann (Herbert Bötticher), der einen sehr lockeren, vielleicht zu lockeren Umgang mit den Schülerinnen pflegt. Doch noch verdächtiger erscheint Derrick der zurückhaltende Herr Manger (Wolfgang Kieling), der mit seiner alten Mutter zusammenlebt. Weil Derrick jedoch keine echten Beweise für seinen Verdacht hat, setzt er einen Köder aus …

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Episode 002: Johanna ( Leopold Lindberg, Deutschland 1974)

Alfred Balke (Helmut Lohner) ermordet seine wohlhabende, rund 20 Jahre ältere Gattin Martha (Lilli Palmer), um mit der Erbschaft und seiner jüngeren Geliebten durchzubrennen. Obwohl Balke als einziger Verdächtiger zunehmend nervöser und erratischer wird, kann ihm Derrick nichts nachweisen: Balke hat ein wasserdichtes Alibi. Weil Derrick jedoch ahnt, dass nur er als Täter infrage kommen kann, bringt er Johanna (Lilli Palmer), die Schwester der Verstorbenen, die ihr wie aus dem Gesicht geschnitten ist, dazu, ihren Schwager zu konfrontieren …

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Episode 003: Stiftungsfest (Helmut Käutner, Deutschland 1974)


Ein Gesangsverein aus Augsburg feiert sein rauschendes Stiftungsfest in einem Münchener Wirtshaus. Alle sind ausgelassen, es wird kräftig getrunken und vor allem der Vereinsvorsitzende August Bark (Siegfried Lowitz) agiert wie entfesselt. Als er Irene (Andrea Rau), die Geliebte seines Sohnes, die schon auf der Tanzfläche äußerst offenherzig getanzt und damit seine Aufmerksamkeit erregt hatte, nackt in ihrem Zimmer trifft, kann er sich nicht mehr halten. Doch dann klopft sein Sohn Helmut (Bruno Dietrich) an die Tür, Bark gerät in Panik und die Situation außer Kontrolle: Irene stürzt unglücklich und bricht sich das Genick. Bark kann unerkannt entkommen, Helmut findet nur noch die Leiche seiner Freundin. Als wenig später Oberinspektor Derrick eintrifft, ist nur eines klar: Der Täter muss sich noch unter den Gästen des Hauses befinden …

Wertung: *****/*****

Episode 004: Mitternachtsbus (Theodor Grädler, Deutschland 1974)

Als Erich Holler (Hartmut Becker) von Helga (Christiane Schröder), einer Kellnerin im Gasthof seines Vaters Oskar (Werner Kreindl), erfährt, dass sie von ihm schwanger ist und das Kind nicht abtreiben will, da bringt er sie kurzerhand um. Der Vater ist nur darauf bedacht, seinen Sohn aus der Schusslinie zu bringen, und bietet dem ermittelnden Oberinspektor Derrick sofort den schwachsinnigen Bruno (Lambert Hamel) als Täter an. Der geistig Zurückgebliebene kann sich eh nicht wehren, ist ungemein kräftig und zudem weiß jeder, dass er an Helga einen Narren gefressen hatte und ihr nachzustellen pflegte. Doch Derrick ist das zu einfach, also erhöht er mithilfe der Kellnerin Frau Jahn (Bruni Löbel) den Druck auf den Vater …

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Die vier Episoden, mit denen Oberinspektor Derrick im Jahr 1974 seine lange Karriere als Fernsehkriminalist begann, sind erstaunlich homogen. Das betrifft längst nicht nur die Handlungsstruktur, die später modifiziert wurde – jede Episode beginnt mit dem Verbrechen, der Täter ist dem Zuschauer stets bekannt, Derrick tritt nach ca. einem Drittel der einstündigen Laufzeit auf und muss dann den Fall lösen –, sondern auch den Inhalt: In allen vier Fällen ist der Täter kein abgezockter Killer, sondern ein „heißgelaufener“ Biedermann, der zunehmend in Panik gerät. In allen vier Fällen ahnt Derrick, wer der Täter ist, bevor er einen stichhaltigen Beweis in der Hand hält. In allen vier Fällen drängt er den Täter durch rhetorische Kniffe und Psychospielchen in die Enge und lässt ihn sich selbst verraten. Und in drei der vier Fälle sind es dem Täter nahestehende Personen, die ihn schützen und sein Lügengebilde aufrechterhalten. Der mahnende Charakter, die Crime-does-not-pay-Strategie, die Kriminalfilme fast immer zumindest unterschwellig bedienen, wird in DERRICK durch diese Ausrichtung besonders hervorgehoben. Die Identifikation des Zuschauers findet weniger über die Figur des Ermittlers Derrick statt, als über die Täter, die allesamt der Mitte der Bevölkerung entspringen, von ihren Taten genauso schockiert zu sein scheinen wie der Zuschauer und gegen das kriminalistische Genie Derricks von Beginn an auf verlorenem Posten stehen. DERRICK suggeriert die Ohnmacht des Einzelnen vor der Staatsmacht, verdeutlicht, dass es keinen Zweck hat, sich zu verstellen: Wenn wir schon keine Indizien hinterlassen haben, die uns verraten, so tut dies garantiert unser schlechtes Gewissen, das Profis wie Derrick auf Meilen gegen den Wind riechen. Dass es in erster Linie Derricks untrügliche Menschenkenntnis ist, die ihn auf die Siegesstraße bringt, unterstreicht noch den beinahe alttestamentarischen Unterton der Serie: Derrick steigt wie ein allwissender Engel zu uns herab, um das Tohuwabohu, das die Menschen in ihrer Fehlbarkeit angerichtet haben, wieder geradezubiegen. Fast hat man am Ende jeder Episode den Eindruck, die Täter seien ihm dankbar dafür, dass er ihnen mit dem Geständnis wie ein Beichtvater auch die erdrückende Last der Schuld abgenommen hat. Und wenn man sich anschaut, wer diese Täter sind, wie sie leben, was sie umgibt, dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Deutschland selbst ist, das sie die Grenze überschreiten lässt. Man schaue sich nur an, zu welch düsterem Ort Theodor Grädler einen ganz normalen deutschen Gasthof verzerrt. Hier kann gar nichts anderes gedeihen als die Schuld. Aber dass es ausgerechnet ein Ex-Nazi ist, der sich dieser deutschen Kollektivschuld stellt, das ist schon bemerkenswert und verleiht der sowieso schon reichlich tristen Serie rückblickend noch eine Extradosis Abgründigkeit.