Mit ‘Donald Pleasence’ getaggte Beiträge

Wenn selbst ein vermeintliches Liebhaberprojekt wie ELECTRIC BOOGALOO: THE WILD, UNTOLD STORY OF CANNON FILMS lediglich die tausendfach gehörte (und also keinesfalls „unerzählte“) Geschichte von den israelischen Bonzen mit dem miesen Geschmack erzählt, dann muss man sich wohl keine Illusionen darüber machen, dass die Produktionsfrma Cannon irgendwann einmal die Rehabilitation erfährt, die sie verdient hat. Möglicherweise ist das einfach zuviel verlangt: Dass eine Welt, die ein schnödes Langweilerprdoukt wie THE SHAWASHANK REDEMPTION ernsthaft für den besten Film aller Zeiten hält, die Schönheit eines TOUGH GUYS DON’T DANCE nicht erkennt, ist kaum verwunderlich. THE AMBASSADOR, Rock Hudsons letzter Film, bevor er an Aids starb, dauert noch keine zehn Minuten, da steht schon zum ersten Mal der Mund offen. Mal ganz von der unglaublichen Besetzung abgesehen: Welches große Studio hätte im Jahr 1984 sonst die Traute gehabt, eine Sexszene mit der barbusigen, damals bereits 52-jährigen Ellen Burstyn in die ersten zehn Minuten ihres Eventfilms zu packen?

Leider gibt es über THE AMBASSADOR sonst nicht viel Positives zu berichten. Zugegeben, das Ende ist schon ziemlich unglaublich, aber leider nicht auf die gute Art. Der Film setzt sich mit dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern bzw. der PLO auseinander, erläutert seine Hintergründe zu Beginn in einem ausladenden Text und widmet sich den Bemühungen des amerikanischen Botschafters Peter Hacker (Robert Mitchum) als diplomatischer Vermittler zwischen den verfeindeten Parteien und als Friedensstifter zu fungieren. Seine Bemühungen kulminierem in einem übersteuerten Finale, in dem er israelische Studenten und Vertreter der PLO zusammenbringt und sie miteinander diskutieren lässt. Doch kaum hat eine Annäherung stattgefunden, skandieren die jungen Leute gemeinsam „Peace“, kommen auch schon die Terroristen mit den rotweißen Schals und ballern alle über den Haufen. Das Blutbad ist schockierend, doch die gelegte Saat geht dennoch auf. Nur wenige Stunden später gibt es vor dem Haus des Botschafter eine große Kundgebung und die mit Kerzen ausgestatteten Teilnehmer fordern erneut lautstark „Peace“. Hacker steht gerührt auf seinem Balkon: Sein Werk ist getan, er kann jetzt abreisen.

Das mag gut gemeint sein, aber mal davon abgesehen, dass die Darstellung unangenehm kitschig und naiv ist, stößt es schon etwas sauer auf, dass es lediglich die warmen Worte eines gütigen Amerikaners bedarf, um einen seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zu beenden. Es ist der größte, wenn auch nicht der einzige Fehltritt von Thompsons Film, der mit seiner Starbesetzung, den Originalschauplätzen und seinem aktuellen Thema den Eindruck großen Kinos erwecken möchte, aber nur eine ziemlich lahmarschige, durch krude Details zudem reichlich holprige Politschmonzette auf den Weg bringt. So hat Hackers Gattin Alex (Ellen Burstyn), die sich von ihrem Gatten vernachlässigt fühlt, eine Affäre mit dem Antiquitätenhändler Hashimi (Fabio Testi), der sich dann als wichtiger PLO-Mann entpuppt. Das gemeinsame Schäferstündchen wird von den Terroristen aufgezeichnet und Hacker damit erpresst, dass man den Film an die internationale Presse weitergeben will. Rock Hudson gibt Hackers Berater und Leibwächter Frank Stevenson, dessen Aufgabe es ist, seinen Chef zur Vorsicht zu mahnen oder Maulschellen an Finsterlinge zu verteilen. Aber richtig aus den Pötten kommt der Film nicht: Die Geschichte entwickelt sich zu einer Suche nach dem kompromittierenden Filmmaterial, aber ein nahe des Wachkomas agierender Mitchum erstickt mit seiner Indifferenz jedes Aufkommen von Spannung im Keim. Hier und da gibt es mal etwas, was über das bloß routinierte Formelkino hinausgeht, etwa die Dialoge zwischen Hacker und seiner Ehefrau, die die jahrzehntelange Vertrautheit der beiden Partner sehr schön einfängt, aber insgesamt ist THE AMBASSADOR vor allem betulich und öde. Schade, denn der Anfang lässt durchaus noch auf einen spannenden Politthriller mit aktuellem Bezug hoffen. So bleibt es nur ein weiterer der vielen irgendwie fehlgeleiteten Filme der Cannon, den zu verteidigen eine Aufgabe ist, der ich mich jetzt nicht stellen möchte. Für Trivialisten: Donald Pleasence wirkt als israelischer Minister Eretz mit, unter den Einheimische befinden sich unter anderem Zachi Noy und Jesse Katzur. Außerdem meine ich, Spiros Focás, bekannt als Rambos afghanischer Sidekick in RAMBO III, entdeckt zu haben, aber die IMDb möchte das nicht verifizieren.

 

WAKE IN FRIGHT von FIRST BLOOD-Regisseur Kotcheff, der in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde – Gott sei Dank, möchte ich hinzufügen -, ist kein Horrorfilm im engeren Sinne, aber er hat mir Angst gemacht wie nur wenig in den letzten Jahren. Es ist ein Film übers hemmungslose Saufen und den damit einhergehenden Kontrollverlust und als solcher ist WAKE IN FRIGHT schon eine bemerkenswerte Ergänzung des Kanons an Trinkerfilmen, aber meiner Meinung nach geht es um etwas anderes, deutlich Universelleres und Beunruhigenderes: Der Film zeigt ziemlich nachdrücklich, wie schnell und bereitwillig der Mensch in die totale Barbarei abdriftet, wenn der erste Schritt gemacht ist, der Schleier der Zivilisation die ersten Löcher bekommen hat.

John Grant (Gary Bond) ist Lehrer in einem jämmerlichen Fleckchen Wüste namens Tiboonda. Er verdankt diesen Posten dem australischen Bildungsministerium, das Lehrer ein Pfand von 1.000 Dollar entrichten lässt, um sicherzustellen, dass sie nicht die Flucht ergreifen, wenn sie zum Unterricht ins Outback geschickt werden. Nach dem letzten Schultag vor den Weihnachtsferien begibt er sich auf den Weg ins über 1.000 Meilen entfernte Sidney, wo seine Freundin, die ihm in Tagträumen als stumme Verheißung erscheint, auf ihn wartet. Er landet in der Minenstadt Bundanyabba, von den Einwohnern nur „The Yabba“ genannt (Vorbild war das 20.000-Seelen-Städtchen Broken Hill), wo er eine Nacht verbringen muss, bevor er seine Reise am nächsten Tag fortsetzen kann, doch alles kommt anders. Er lernt den Polizisten Jock Crawford (Chips Rafferty) und das Glücksspiel kennen, mit dem sich die dauerhaft besoffenen und verschwitzten Männer der Stadt die Zeit vertreiben: Ein einfaches, geradezu archaisch anmutendes Münzwurfspiel, bei dem John auf Anhieb einen Haufen Geld gewinnt. Es könnte eine schöne Episode, ein glückliches Intermezzo auf seiner Reise bleiben, aber der enorm von sich eingenommene, sich insgeheim für etwas besseres haltende John sieht die große Chance, seinem Sklavendasein als Lehrer zu entkommen, indem er die 1.000 Dollar gewinnt, die ihn zu einem freien Mann machen. Natürlich verliert er beim nächsten Besuch in der Spielhalle alles. Die Gewissheit, in der Stadt festzusitzen, ist der Auftakt für eine mehrere Tage andauernde Sauftour mit dem in einer verkommenen Baracke lebenden Doc Tydon (Donald Pleasence) und seinen proletarischen Freunden, die mit dem misslungenen Versuch endet, „The Yabba“ zu entkommen und sein Leben zu beenden.

WAKE IN FRIGHT fesselt von der ersten Sekunde mit seiner grandiosen Fotografie und der endlosen Leere des Outbacks, dann schließlich mit dem bierseligen Treiben in Bundanyabba, einem erbarmungswürdigen Höllenloch voller einfach gestrickter, unentwegt Bier in sich hineinschüttender lads: John blickt zuerst von oben auf die Menschen und ihr einfaches Glück hinab. Dass alle diesen Ort als eine Art Paradies verklären, in dem jeder des anderen Kumpel sind und sich immer jemand findet, der einem ein Bier ausgibt, ist ihm nur ein herablassendes Lächeln wert. Doch als er schließlich auf genau diese Zuwendung angewiesen ist, wird er gnadenlos in die Säufergemeinschaft hineingezogen – und findet Gefallen daran, die Fesseln des guten Benehmens und des Zwangs abzustreifen. Der Intellektuelle, der dachte, über allem zu stehen, ist plötzlich mitten drin, säuft mit Wildfremden abgestandendes Bier bis zur Bewusstlosigkeit, isst Känguruhfleisch und lässt sich vom dubiosen Doc irgendwelche Pillen verabreichen, bevor er mit ihm und zwei hirnlosen Proleten auf halsbrecherische Kanguruhjagd geht. Der anhaltende Exzess kulminiert in einer schockierenden Szene, in der die Blödgesoffenen wie wild im Scheinwerferlicht ihres Autos wie angewurzelt stehende Kanguruhs wegballern, sich schließlich in einem absolut unwürdigen Akt mit dem Messer über die verwundeten Tiere hermachen. Es ist eine schmerzhaft-brutale und schlicht widerliche Szene (die finale Schrifteinblendung, dass die Tiere von professionellen Jägern und in Zusammenarbeit mit dem Umweltamt und nicht bloß „aus Spaß“ umgebracht wurden, erleichtert ungemein), nach der klar ist, dass John nicht mehr so einfach zurück kann. Innerhalb von wenigen Stunden hat er etwas zerstört, was sich nicht mehr reparieren lässt, etwas verloren, was man nicht ersetzen kann.

Auch ohne den „Gag“, dass die Flucht aus Bundanyabba ihn geradwegs in dieses Fegefeuer zurückführt, sind die Parallelen von WAKE IN FRIGHT zum Werk Kafkas offensichtlich: Da ist der Außenseiter-Protagonist, der in eine fremde, absurd scheinende Welt stolpert (allein der Name „The Yabba“ bestätigt mit seiner präverbalen Lautaneinanderreihung alle seine Vourteile), sie mit äußerster Arroganz beäugt, dann aber mit seiner angenommenen Überlegenheit fürchterlich baden geht. WAKE IN FRIGHT ist auch ein Film über die Blindheit der vermeintlich Aufgeklärten und Intellektuellen, die sich für etwas Besseres halten, dann aber selbst umso heftiger auf die Kacke hauen, sobald sie nur lang genug davon überzeugt wurden, dass das alles ganz normal ist, und steht somit natürlich in der Tradition der Kritischen Theorie von Horkheimer und Adorno: Das größte Übel geht nicht vom dümmlichen simpleton aus, sondern eben vom „Aufgeklärten“, der meint, dass er qua seiner humanistischen Bildung alles im Griff hat. Auch ohne Rückgriff auf solchen gesellschaftsphilosophischen Überbau funktioniert WAKE IN FRIGHT aber ganz hervorragend. Es ist einfach ein ungemeine intensiver Film, mit einer Vielzahl memorabler Charaktere und Situationen, die allesamt perfekt eingefangen werden, und einer Atmosphäre, die man greifen und, dem Sujet angemessen, riechen kann. Wer immer schon das inhärente Grauen bierseliger Männerbünde und im besoffenen Kopf geschlossener Verbindungen gesehen hat (und deswegen Bierzelte scheut wie der Teufel das Weihwasser) bekommt hier Wasser auf seine Mühlen. Meisterlich und unvergesslich.

 

 

escape-from-new-york-posterIch beginne mit einer fürchterlich ketzerischen Aussage: Gemessen an dem, was ESCAPE FROM NEW YORK in den ersten Sekunden für eine Prämisse aufbaut, ist der Film eine fürchterliche Enttäuschung. Das Gefängnis Manhattan, laut Vorspann ein Kriegsgebiet, in dem sich der Abschaum der USA gegenseitig die Köpfe einschlägt, ist bis auf ein paar verdreckte Penner nahezu völlig entvölkert und Ghetto-Zaren wie der Duke laufen in den Blaxploitation-Filmen der Siebziger eigentlich in jeder amerikanischen Stadt herum. Carpenters hätte streng genommen ein deutlich größeres Budget gebraucht, um seine Vision adäqaut zum Leben zu erwecken. So konnte er es sich noch nicht einmal leisten, tatsächlich in New York zu drehen: Bis auf ganz wenige Szenen diente St. Louis als Stand-in für die Ostküstenmetropole. ESCAPE FROM NEW YORK wirkt klein und beengt, eine Low-Budget-Affäre, die deutlich mehr abbeißt, als sie kauen kann, wenn man so will.

Bevor ich jetzt aber vom aufgebrachten Internetmob zur Schlachtung freigegeben werde, sei gesagt, dass diese Mängel dem Film kein bisschen schaden.Im Gegenteil. ESCAPE FROM NEW YORK ist natürlich super, einer der besten Filme aller Zeiten, und er schafft das fast ausschließlich über die Etablierung einer schwer zu beschreibenden Atmosphäre und seines glorios abgefuckten Helden. Carpenter hat gleich in mehrerer Hinsicht einen ziemlich zynischen Kommentar zur präapokalyptischen Welt der Achtzigerjahre abgegeben: Der Staat hat vor dem amoklaufenden Verbrechen vollends kapituliert, eine seiner größten Städte aufgegeben, nun macht er das Schicksal der Menscheit auch noch von einem Mann abhängig, dem alles scheißegal ist. Lee van Cleef stattet seinen Hauk mit der adleräugigen Selbstsicherheit eines ehemaligen Revolverhelden aus, aber im Grunde genommen ist dieser Mann eine lame duck: Er kann noch so sehr den autoritären Macker raushängen lassen, er ist voll und ganz auf das commitment eines Mannes angewiesen, dem Loyalität rein gar nichts bedeutet.

Carpenter lässt nur wenig Zweifel daran, dass das Leben auf der Gefängnisinsel Manhattan dem da draußen eigentlich vorzuziehen ist. Es ist nicht zwingend besser, genau genommen sogar ziemlich jämmerlich, aber immerhin weiß man dort, was man zu erwarten hat. Wenn Hauk in einer eisigen Morgendämmerung auf der Mauer steht und nach Manhattan hinüberschaut, kann man fast Neid in seinen Blick hineinlesen. Die Welt da draußen, zumindest das, was man von ihr mitbekommt, macht in der Tat nur wenig Hoffnung: Der Präsident, der die Geschicke des Landes lenken soll, ist ein rückgratloser Wurm, es wird verraten und manipuliert, die Bevölkerung von oben herab in zwei Klassen geteilt, einer quasi das Lebensrecht abgesprochen. Snake Plissken passt eigentlich weder in die eine noch die andere: Das Leben als Knecht ist lohischerweise nichts für ihn, aber die albernen Spielchen, die da draußen gespielt werdem, noch viel weniger. Nun muss er bei einem dieser Spielchen mitmachen und der Missmut und Widerwille, mit der er seiner Mission nachgeht, trägt den Film. Über der Düsternis des Films vergisst man manchmal, dass er eigentlich saukomisch ist. Genauso wichtig ist Carpenters Geschick, eine Welt im Kopf des Betrachters entstehen zu lassen, mehr als im Bild. ESCAPE FROM NEW YORK verdankt seinen anhaltenden Kultstatus nicht nur Russells Snake, sondern vor allem der Tatsache, dass dieser Film wie nur wenige andere die Fantasie anregen. Dass das New York, das man hier sieht, vergleichsweise unspektakulär rüberkommt, gehört zwingend dazu. Bei aller Abgefucktheit: Es steckt eine Art kindlicher Naivität, Freude und Neugier in diesem Film, die in dieser Reinheit absolut einzigartig sind. ESCAPE FROM NEW YORK ist ein einziger Glücksfall, über den man entweder stundenlang sprechen muss oder aber genießerisch schweigen kann. Paradoxe Perfektion.

Ich glaube übrigens, unser damaliger Himmelhunde-Text war einer unserer besten.

death_line_poster_01Mit DEATH LINE – besser bekannt als RAW MEAT oder auch TUNNEL DER LEBENDEN LEICHEN – begann die leider nur kurze, dafür aber nahezu makellose Regielaufbahn von Gary Sherman direkt mit einem eigenständigen, verschrobenen Klassiker. Das British Film Institute nannte den Film damals „the most significant directorial debut of the year“, eine Auszeichnung, die vermutlich nicht allzu viele Genrefilme für sich in Anspruch nehmen können. 2000 wurde DEATH LINE von Kritikern zudem zu den „Ten Most Important British Horror Films of the 20th Century“ gewählt. Was macht dieses Werk, für das deutsche Kritiker erwartungsgemäß kein gutes Wort übrig hatten, sich in gewohnter Betriebsblindheit ausschließlich an „ekelerregenden Details“ (Lexikon des Internationalen Films) oder an „an Leichen nagenden Rattenscharen, einem sabbernden Irren und buchstäblich überall von den Wänden tropfendem Schleim“ (Lexikon des Horrorfilms) hochzogen, zu guter letzt in bester Beamtenmanier die mangelnde Logik monierten, so besonders?

Man könnte sagen, dass DEATH LINE eigentlich gar kein Horrorfilm ist, sondern vielmehr eine Tragödie im Gewand eines Horrorfilms. Sherman erzählt fast im Stile eines Kammerspiels und sein Fokus liegt nicht auf einer Abfolge von gräuslichen Morden oder anderen Schocks, sondern auf seinen Figuren, vor allem dem Monster (Hugh Armstrong), dem er mit grenzenloser Empathie begegnet. Es handelt sich um einen Nachfahren bei einem Unglück vor 80 Jahren verschütteter Tunnelarbeiter, die unter den Straßen Londons überlebten, indem sie zu Kannibalen wurden. Er ist eine bemitleidenswerte, tragische Figur, ein vollkommen verwahrloster, degenerierter Zottel, der zu Beginn des Films seine Frau und damit seinen letzten verbliebenen Leidensgenossen verliert. Ihm gegenüber steht der konservative Inspector Calhoun (Donald Pleasence), ein scharfzüngiger Korinthenkacker, dem Ordnung und Gesetz alles sind und der dann ernüchtert feststellen muss, dass unter der sauberen Fassade des Kingdoms einige Schweinereien verborgen liegen, der sprichwörtliche „kleine Mann“ gnadenlos entsorgt wird, wenn das der Politik besser in den Kram passt. DEATH LINE schreitet im dialektischen Wechsel zwischen den dunklen und deprimierenden, meist in langen, ruhigen Einstellungen eingefangenen Bildern aus den verschütteten Tunneln, die die Heimat des traurigen Monsters sind, und den komischen Passagen, die den staubigen Berufsalltag und die Ermittlungsfortschritte Calhouns zeigen, hin und her, und entwickelt dabei einen Ton, der im Horrorfilm absolut singulär ist. Am Schluss, wenn das Monster eine junge Studentin entführt, um sie zu seiner neuen Lebenspartnerin zu machen, und es ihm nicht gelingt, ihr begreiflich zu machen, dass er ihr nichts tun will, brechen alle Dämme. Der einzige Satz, den es artikulieren kann, lautet „Mind the Doors“, den er von den U-Bahn-Schaffnern aufgeschnappt hat. Immer wieder ruft es „Mind the Doors“, darüber verzweifelnd, dass er nicht verstanden wird. Man verzweifelt mit ihm.

Neben dieser armseligen Kreatur bleibt Donald Pleasence mit einer Darbietung im Gedächtnis, die den Spaß, den er offensichtlich hatte, zu jeder Sekunde erkennen lässt. „Ich will nicht, dass sie einen Protestmarsch verpassen“, gibt er dem Studenten mit auf den Weg und „Grüßen Sie die Anarchisten!“. Christopher Lee hat einen Gastauftritt als teuflischer MI-5-Agent, der dem Polizeibeamten freundlich lächelnd zu verstehen gibt, dass er sein Leben riskiert, wenn er seine Nase in Angelegenheiten steckt, die ihn nichts angehen. Das echte pièce de résistance ist aber eine technisch brillant gelöste, mehrminütige Plansequenz, die die ganze Geschichte des Monsters erzählt, ohne dafür ein einziges Wort zu verschwenden. Der einzige Schönheitsfehler ist m. E., dass diese Sequenz zu früh kommt: DEATH LINE hat danach eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer den Plot abzuwickeln. Weil Sherman seinen Film aber so liebevoll und sensibel gestaltet hat, die Fotografie so immens stimmungsvoll ist, möchte ich das gar nicht kritisieren. Und wer hier mangelnde Logik beklagt, sollte besser keine Filme schauen. Das Publikum in Düsseldorf sah das offensichtlich ganz genauso und honorierte diesen einzigartigen Genrebeitrag mit respektvoller Stille und gelösten Lachern an den richtigen Stellen. Das hat mich wahnsinnig gefreut. Wer am Menschen zweifeln mag, findet derzeit ja nur genug Nahrung dafür. Schön, dass es auch anders geht.

Gibt es irgendetwas über diesen Film zu sagen, was noch nicht gesagt wurde? Ich habe bislang noch nie über HALLOWEEN geschrieben und betrachte das irgendwie als Manko, da der Slasherfilm, den Carpenter entscheidend beeinflusste und initiierte, ein wichtiger Stützpfeiler meiner Filmsozialisation ist. Aber die letzten Sichtungen von HALLOWEEN waren auch alle irgendwie ernüchternd in der Hinsicht, dass mir kaum ein origineller Gedanke zu diesem Film gekommen ist. Carpenter schuf eine beängstigend perfekte, nahezu komplett geschlossene Maschine bar jeden Zierrats, die nackte Formel gewissermaßen, auf der zahllose Epigonen aufbauen konnten. HALLOWEEN kann man schon fast als mythologische Erzählung bezeichnen, weil Carpenter ein Gerüst lieferte, das in immer neuen Variationen ausgebaut werden konnte, ohne dass das Fundament dabei wesentlich verändert werden musste. Das betrifft sowohl seine makro- wie mikrostrukturelle Ausformung: die Idee eines Killers, der aus der Vergangenheit kommt, um sein Werk in der Gegenwart fortzusetzen und sich dafür junge Frauen als Opfer aussucht, die klimaktische Auseinandersetzung mit dem final girl, das überlebt, weil es sich „tugendhaft“ verhalten hat, die aristotelische Reduktion des Handlungsrahmens auf einen Ort und eine Nacht, aber eben auch die Entindividualisierung des Killers, der eine Verkörperung eines apriorischen Bösen ist. So wie HALLOWEEN die Mutter des Slasherfilms ist, ist Michael Myers der Vater aller Slasher, eine Leerstelle, eine Projektionsfläche, ein bloßes shape eben, das man beliebig mit Bedeutung füllen kann. Wobei: Ganz so beliebig dann doch nicht.

Es gab in der Rezeptionsgeschichte von HALLOWEEN diverse Interpretationsversuche: Vor allem die Abwesenheit der Eltern als schützender Instanz wurde als Ansatz für eine „gesellschaftskritische“ Lesart gesehen, die Carpenter jedoch immer weit von sich gewiesen hat. Nun ist die Meinung des Filmemachers zu seinem eigenen Werk natürlich vollkommen irrelevant oder wenigstens nicht privilegierter als die jedes anderen, der den Film gesehen hat und sich danach an der Exegese versucht, aber in diesem Fall bin ich eindeutig beim Regisseur. Schon die Zeichnung Michael Myers‘ als absolutes, nicht amoralisches, sondern sogar vormoralisches Böses führt von einer Bewertung seiner Figur nach sozialwissenschaftlichen oder psychologischen Mustern weg, ist ja gewissermaßen eine Kapitulation oder Negation der Ratio, die die Dinge empirisch zu erklären versucht. Myers wird nicht zum Killer, weil er schlecht erzogen wurde, sondern weil der Keim des Bösen, was immer das sein mag, von Anfang an in ihm schlummert. Seine Taten folgen keinem herkömmlichen Motiv, sondern sind Ausdruck eines tierischen Impulses. Sein Gesicht verbirgt er hinter eine weißen Maske, die kalte Abbildung eines Gesichts, das in dieser Form aber jede Gefühlsregung vermissen lässt. Es ist ein blank stare, völlige Leere, nicht Hass, Zorn oder Wut, sondern die Abwesenheit jeder menschlichen Regung, mit der er seinen Opfern gegenübertritt. Der schwarze Overall verwandelt ihn in einen Schatten und er bewegt sich mit der ruhigen Zielgerichtetheit eines Tieres auf der Jagd. Die viel kolportierte Beobachtung, dass er Teenager beim Sex tötet, ist nicht richtig – Annie (Nancy Loomis) wartet auf ihren Freund, als Michael sie überfällt, Lynda (P. J. Soles) und Bob (John Michael Graham) haben ihr Schäferstündchen bereits hinter sich gebracht: Es besteht keinerlei Kausalverbindung zwischen dem, was die Teenies treiben, und Michaels Handlungen. Er folgt überhaupt keinem erkennbaren Plan – zumindest keinem, der sich von normal denkenden Menschen nachvollziehen ließe. Carpenter selbst betonte immer, dass sein Film ein „reiner“ Horrorfilm sein sollte, ein Film ohne jede „Aussage“ – und das scheint mir auch das, was HALLOWEEN heute noch bemerkenswert macht. Dass Kritiker krampfhaft versuchten, ihn mit Bedeutung aufzuladen, beweist vor allem, wie beunruhigend dieses voraussetzunglose Böse ist, das Michael verkörpert, und wie gnadenlos effektiv Carpenter es einfängt.

Wenn man über die kompositorischen Besonderheiten des Films liest, wird immer wieder die Spannung zwischen Bildvorder- und -hintergrund erwähnt. Der Film beginnt mit der berühmten Subjektiven von Michaels erstem Mord als Sechsjährigem (mit einem vielsagenden Blick zur Seite auf das zustechende Messer, der suggeriert, dass Geist/Blick und Körper voneinander getrennte Instanzen sind). Auch später im Film, vor allem im ersten Drittel, entpuppen sich manche Kameraeinstellungen als Quasi-Subjektiven des Killers, der sich plötzlich vorn ins Bild schiebt. Charakteristischer erscheint mir aber Carpenters Einsatz der schemenhaften Figur im Bildhintergrund, mit den nichts Böses ahnenden Opfern vorn. Michael entwickelt mithilfe dieser Techniken eine Allgegenwart, die Loomis‘ Bewertung, ihn als Verkörperung des Bösen zu betrachten, noch unterstützt. Auf den Zuschauer hat dies eine extrem beunruhigende Wirkung, weil der ganze Film von Michael „infiziert“ scheint. Bezeichnenderweise endet HALLOWEEN mit einer Montage der Schauplätze des Films, über der das schwere Atmen des Killers liegt und die genau das zum Ausdruck bringt: Michael ist keine „Person“, sondern eine geisterhafte Präsenz, deren Wirken wie ein Schatten über Haddonfield liegt und die sich überall manifestieren kann.

Zum Abschluss will ich noch kurz auf einige Szenen oder Bilder eingehen, die mir diesmal besonders aufgefallen sind: Der Prolog mit Michaels erstem Mord endet auf der Straße vor seinem Haus, wo ihn seine mit dem Auto vorfahrenden Eltern in Empfang nehmen. Die Subjektive wird aufgelöst, die nun wieder „objektive“ Kamera zeigt dass es sich bei dem Mörder, dessen Perspektive wir zuvor eingenommen hatten, um ein unschuldig dreinblickendes Kind handelt. Die Kamera fährt langsam zurück in eine Totale, während der die Eltern sekundenlang einfach nur fassungslos neben ihrem Sohn stehen. Durch die Länge der Einstellung bekommt diese Szene etwas entschieden Träumerisches. Die Eltern erstarren förmlich, unfähig zu irgendeiner Regung. Man sollte erwarten, dass sie beim Anblick des blutigen Messers in Michaels Hand panisch nach drinnen rennen, aber nichts passiert. Das mag ein unwichtiges Detail sein, aber es zeigt bereits, dass hier etwas geschehen ist, das sich dem Verstand entzieht. Ähnlich seltsam ist die Szene, in der Michael die Flucht aus der Anstalt gelingt. Loomis fährt mit einer Krankenschwester in einer stürmischen Nacht dort vor, um ihn in eine andere Anstalt zu überführen, als ihr Blick auf einige in der Dunkelheit umherstreunende Patienten fällt. Es wird nie geklärt, warum die Insassen in ihren weißen Schlafkitteln draußen im Regen herumlaufen, aber das Bild ist immens verstörend. Gerade auch, weil es vollkommen aus dem Nichts kommt und dann einfach beiseitegeschoben wird. Die letzte Szene, auf die ich hinweisen möchte, ist die, in der Michael Lynda als Gespenst verkleidet aufsucht und sie so in den Glauben versetzt, es handle sich um ihren Freund Bob. Für sich genommen funktioniert sie sehr gut: Der Zuschauer weiß im Gegensatz zu dem nackt im Bett liegenden Mädchen, dass Bob tot ist, und sich der Killer unter dem Bettlaken befindet, sein Schweigen wird zunehmend unangenehmer, sein unweigerlicher Angriff schmerzhaft lang herausgezögert. Aber vor dem Hintergrund der Zeichnung Michaels als „leerer“ Mordmaschine fand ich es immer ziemlich seltsam, dass er plötzlich einen solchen Humor an den Tag legt oder es überhaupt für nötig erachtet, sich zu verkleiden, um sich seinem Opfer zu nähern. Hier bricht Carpenter das Bild zugunsten eines „konventionellen“ Spannungsmoments. Ein ähnlicher „Fehler“ unterläuft ihm später, wenn er kurz Michaels menschliches Gesicht zeigt. Ich glaube mittlerweile, dass das sehr unnötig ist, weil wir zwar wissen, dass ein Mensch unter der Maske steckt, aber ja schon längst akzeptiert haben, dass es sich bei diesem Menschen nicht um ein Individuum handelt.

the-eagle-has-landed-movie-poster-1977-1020195891John Sturges letzter Film – er zog sich danach aus dem Filmgeschäft zurück, was er schon nach seiner Erfahrung mit LE MANS in Erwägung gezogen hatte – ist eine kleine Kuriosität, weil er über weite Strecken die Nazis und damit die eigentlichen Schurken in den Mittelpunkt seiner Handlung rückt. Ausgerechnet der für Filmseher meiner Generation wie kein anderer „den Briten“ verkörpernde Michael Caine spielt den Oberst Steiner, der den wahnwitzigen Auftrag erhält, Winston Churchill zu entführen. Um das für den Zuschauer etwas goutierbarer zu machen, wird Steiner aber natürlich als „guter“ Nazi dargestellt: Als er mit seinem Fallschirmspringer-Battalion die Deportation von Juden durch die SS beobachtet, versucht er ein junges Mädchen zu retten, legt sich daraufhin mit dem Befehlshaber an und wird schließlich vor dem Kriegsgericht degradiert. Geradezu ikonische Nazi-Darstellungen legen Robert Duvall als Oberst Radl mit Augenklappe und lederbehandschuhter Prothesenhand und Donald Pleasence als grienender Himmler hin: Viel besser geht es eigentlich nicht, zumal auch Donald Sutherland als verräterischer IRA-Terrorist Devlin eine Glanzleistung abliefert und auch die Nebenrollen perfekt besetzt sind.

Die Plotentwicklung ist gleichermaßen raffiniert: Hitler hat sich – inspiriert von der gelungenen Befreiung Mussolinis – in einer seiner Launen in den Kopf gesetzt, Churchill zu kidnappen, um die Alliierten zu Friedensverhandlungen zu zwingen und dem verlorenen Krieg noch einmal eine entscheidende Wendung zu geben. Admiral Canaris (Anthony Quayle) hält die ganze Idee für vollkommen irrsinnig und beauftragt nun Radl damit, eine Machbarkeitsanalyse zu erstellen, die aber zu einem negativen Ergebnis kommen soll. Wie es der Zufall will, hat der deutsche Geheimdienst just zu diesem Zeitpunkt erfahren, dass Churchill in kurzer Zeit ein Wochenende in einem kleinen Dorf einer wenig bevölkerten Küstenregion verbringen wolle. Plötzlich scheint die Entführung gar nicht mehr unmöglich. Zum Entsetzen von Canaris wird die Mission eingeleitet und das Schicksal nimmt seinen Lauf …

Von der Jung’schen „Synchronizität der Ereignisse“ spricht Radl einmal, damit Bezug nehmend auf die Koinzidenz von Hitlers Idee und der Nachricht über Churchills Urlaub, die schicksalhaft zusammentreffen. Radl ahnt zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass diese Synchronizität nicht immer nur zum eigenen Vorteil gereicht. Und so sind es letzten Endes vor allem kleine Zufälle und menschliches Versagen, die zum Scheitern einer Mission führen, die eigentlich große Erfolgschancen hatte. Devlin verliebt sich in Molly (Jenny Agutter), ein einheimisches Mädchen, der Wunsch der Fallschirmjäger, deutsche Uniformen unter ihrer Tarnung zu tragen (damit sie nicht als Spione angesehen und hingerichtet werden), führt zu ihrer Entdeckung, der wenige Meilen entfernt stationierte amerikanische Colonel Pitts (Larry Hagman) brennt geradezu darauf, in die Kriegshandlungen eingreifen zu können, weil er bereits die Abberufung erhalten hat. So werden die Deutschen besiegt, noch bevor Churchill überhaupt an seinem Ziel eingetroffen ist.

Zunächst fand ich diesen Ausgang der Geschichte etwas enttäuschend, aber wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist es genau das, was THE EAGLE HAS LANDED sein Alleinstellungsmerkmal verleiht. Der Krieg ist bei Sturges eben nicht das von hinten bis vorn planbare Schachspiel, sondern ein ungeordnetes Zusammentreffen unterschiedlichster Menschen, Beweggründe, Emotionen und Motivationen. Nichts kommt in THE EAGLE HAS LANDED so, wie es der Zuschauer oder die Protagonisten erwartet haben. Ein schöner Film und ein mehr als würdiger Ausklang für eine bemerkenswerte Regielaufbahn.

Steve McQueens großer Durchbruch und ein weiteres jener ausufernden, stargespickten Abenteuerepen der Sechzigerjahre. Für mich ein nahezu perfektes Stück Entertainment, bei dem keine einzige der rund 180 Minuten zu viel ist und das bei allem atemlosen Thrill und aller fluffigen Komik nebenbei auch noch eine m. E. recht anspruchsvolle Struktur aufweist – und eine Sichtweise auf den Krieg, die nur auf den ersten, flüchtigen Blick geschönt scheint. Beim zweiten schmerzt dieser Film vielleicht sogar mehr als mancher waschechte Antikriegsfilm. Später mehr dazu.

McQueens zweite Zusammenarbeit mit John Sturges nach THE MAGNIFICENT SEVEN gab ihm – paradoxerweise, wenn man bedenkt, dass es sich um einen Gefängnisfilm handelt – endlich breiten Raum zur Entfaltung, machte es unnötig, den eigentlichen Hauptdarsteller mit Taschenspielertricks aus dem Bildhintergrund zu sabotieren. Als „Cooler King“ Hilts hat McQueen nicht nur den saftigsten Part abbekommen, er nimmt innerhalb des Films auch eine Sonderstellung als prototypischer Loner ein. Während die anderen Kriegsgefangenen unter der Leitung von „Big X“ Bartlett (Richard Attenborough) gemeinsam am Ausbruch aus dem Lager arbeiten, jeder eine kleine Aufgabe übernimmt und sich mit der Funktion eines Rädchens im geölt laufenden Getreibe begnügt, handelt Hilts ausschließlich auf eigene Rechnung. Für ihn ist es nicht so sehr soldatische Pflicht, die Bemühungen des Gegners zu sabotieren, sondern beinahe eine sportliche Herausforderung, aus so vielen Gefängnissen wie möglich auszubrechen. Dabei auch mal erwischt zu werden, ist integraler Bestandteil des Spiels: Wichtig ist nicht der Erfolg, sondern allein die Geste der Unbeugsamkeit, der Trotz, die Respektlosigkeit und die Beharrlichkeit in der Weigerung, sich unterzuordnen und aufzugeben. Auch wenn McQueen seinem Hilts ein Maß an unschuldig-kindlicher Spitzbübigkeit verleiht – für ihn scheint das tatsächlich alles nur ein ausgedehnter Spaß zu sein –, die er in späteren Rollen zugunsten eines kalten Professionalismus ablegen sollte: Hilts ist die erste wirklich ganz und gar typische McQueen-Figur, und Szenen wie jene, in der er in seiner Einzelzelle sitzt und sich die Zeit damit vertreibt, immer und immer wieder einen Baseball gegen die gegenüberliegende Wand zu werfen und aufzufangen, sind untrennbar mit seiner Persona verbunden. Das Image des ungehorsamen, unbezähmbaren Einzelgängers, hinter dessen stoischer Fassade es unentwegt arbeitet, wurde wahrscheinlich genauso in diesem Film begründet wie sein Status als PS-vernarrter Teufelskerl: Seine Flucht auf dem Motorrad am Schluss, die in einem waghalsigen Sprung über einen drei Meter hohen Zaun kulminiert, ist nur der Vorgeschmack auf Filme wie BULLITT oder LE MANS und natürlich auf seine privaten Rennfahrerambitionen.

Aber THE GREAT ESCAPE ist natürlich weit mehr als ein Starvehikel für McQueen: Der Film basiert auf dem gleichnamigen Tatsachenbericht von Paul Brickhill, einem Piloten der australischen Luftwaffe, der 1943 über Tunesien abgeschossen wurde und daraufhin im Kriegsgefangenenlager Stalag Luft III im heutigen Polen landete. Das Lager galt als besonders ausbruchssicher, trotzdem gab es einen groß angelegten Ausbruch, an dessen Planung Brickhill beteiligt, aber aufgrund seiner Klaustrophobie allerdings nicht teilnehmen konnte. Am Ende gelang 76 Männern die Flucht, 50 davon wurden in der Folge ergriffen und exekutiert. James Clavells Drehbuch hält sich eng an Brickhills Vorlage, endet sogar mit der gleichen Widmung („Dedicated to the fifty“). Der Film, den Sturges daraus macht, feiert die Kameradschaft unter den Gefangenen, betont die seltsame Beziehung, die sie mit ihren Wärtern unterhalten (Robert Graf, Vater von Regiseur Dominik Graf, spielt einen besonders bemitleidenswerten Deutschen). Gefangen sind sie im Grunde alle, egal auf welcher Seite sie stehen. Vor allem Kommandant von Luger (Hannes Messemer) ist nicht zu beneiden: Er hat die Aufgabe, die berüchtigtsten Ausbrecher der Alliierten zu bewachen, weiß genau, dass er sie nicht vollständig unter Kontrolle halten kann und ein Versagen ihn teuer zu stehen kommen wird. Ramsey (James Donald), das Sprachrohr der Inhaftierten, macht ihm keine falschen Hoffnungen: Es ist die Aufgabe der Gefangenen, aufzubegehren, und die zu ihrer Bewachung abgestellten Kräfte des Feindes so gut zu beschäftigen wie es geht. Die Verhältnisse sind während der ersten beiden Drittel geradezu auf den Kopf gestellt: Die Häftlinge arbeiten guter Dinge an ihrem Ausbruch und haben vom Feind nichts zu befürchten, sofern sie sich an dessen Regeln halten. Alles, was sie für den Ausbruch, die Flucht und das zwischenzeitliche Vergnügen benötigen, kann ihnen „scrounger“ Hendley (James Garner) besorgen, der Fragen nach seinen Bezugsquellen nur mit „don’t ask“ zu beantworten pflegt. Ein cleverer Schachzug des Drehbuchs, das sich nicht lang mit Erklärungen aufhalten muss und sich jederzeit auf die außergewöhnlichen Fähigkeiten Hendleys berufen kann. Fast bedauert man es, nicht auch mal in einem Kriegsgefangenenlager gewesen zu sein, so munter ist das Treiben des bunt zusammengewürfelten Haufens, der sich sogleich blind versteht.

Doch dann holt einen das letzte Drittel des Films auf den Boden der Tatsachen zurück, nimmt der vermeintliche Spaß ein bitteres Ende. Sobald die Männer das Lager verlassen haben, schlagen die Nazis zu, gelten plötzlich andere Regeln als im luftleeren Raum des Camps, wird nicht lange gefackelt. Einigen wenigen gelingt es mit Glück eine rettende Grenze zu erreichen, doch für die meisten endet das Abenteuer mit einer mitleidlosen Exekution irgendwo auf einem verlassenen Hügel in Deutschland. THE GREAT ESCAPE ist ein existenzialistischer Film und macht dem Zuschauer keine Illusionen über das Leben: Die Männer um Bartlett müssen so handeln, wie sie es tun, es gibt ebenso wenig eine Alternative wie einen garantierten Erfolg. Sicherheit gibt es ironischerweise nur zwischen den Stacheldrahtzäunen. Wer sich für die Freiheit entscheidet, muss sich der möglichen Konsequenzen bewusst sein.

 

Als die Festivalleiter vor einigen Wochen ankündigten, dass Bruno Matteis Actionhobel DER KAMPFGIGANT als deutsche 35-mm-Kopie auf dem Terza Visione laufen werde, da stand mein persönlicher Klimax des Programms schon fest. Die italienischen Actionfilme aus den Achtzigern liebe ich alle mit besessener Inbrunst, und ein echter Mattei ist ohnehin immer ein ganz besonderes Erlebnis. Miles O’Keeffes legendäre Hölzernheit musste auf der großen Leinwand einfach eine Bewusstseinsgrenzen erweiternde Wirkung auf einen solch leicht zu beeindruckenden Mann wie mich haben. Meine eh kaum noch zu bändigende Vorfreude wuchs während der einführenden Worte, die der wunderbare Pelle Felsch dem Film widmete, buchstäblich ins Unermessliche. Würde es Mattei gelingen, meinen turmhohen Erwartungen – wahrscheinlich war ich zuletzt 1998 bei Terence Malicks Comeback THE THIN RED LINE so auf einen Film gespannt gewesen – gerecht zu werden? Waren diese Erwartungen überhaupt noch erfüllbar? Man unterschätzt sowohl Matteis schier übermenschliches Talent in der Schöpfung berauschender filmischer Psychopharmaka als auch meine Begeisterung für Filme, in denen muskulöse Supersoldaten mit dicken Wummen Vietnam aufräumen, wenn man die Möglichkeit einer negativen Antwort auf diese Frage auch nur in Erwägung zieht. DER KAMPFGIGANT entwickelte sich – nicht nur für mich – zu einem Festivalhöhepunkt und einem jener lautstark zelebrierten Gottesdienste, die derzeit wahrscheinlich nur in Nürnberg stattfinden.

1987 direkt im Anschluss an den kaum minder unfassbaren STRIKE COMMANDO – bzw. COBRA FORCE – gedreht, widmete sich Mattei bereits zum zweiten Mal einem Re-Imagining von Cosmatos‘ RAMBO: FIRST BLOOD PART II und interpretierte den Stoff zu einem bewegenden Vater-Sohn-Drama um. O’Keeffe – dem der unvergleichliche Sano Cestnik nach der ohne Zwischenfälle gelungenen Projektion eine „unglaubliche Präsenz“ auf der Leinwand bescheinigte – ist Robert „Bob“ Ross (nicht zu verwechseln mit dem buddhistischen Fernsehmaler gleichen Namens), seines Zeichens bester Soldat von Amerika und Überlebender von sage und schreibe sechs Himmelfahrtskommandos. Weil er die eindrucksvolle Kulisse Südostasiens nicht mehr missen möchte, nachdem er die wohl schönste und produktivste Zeit seines Lebens dort verlebt hat, vermuten die Russen, angeführt von Colonel Calckin (Bo Svenson), dass es sich bei ihm um einen CIA-Agenten handelt, dabei sucht Ross in Wahrheit nur nach einer Gelegenheit, seinen mit einer mittlerweile nicht mehr unter den Lebenden weilenden Vietnamesin gezeugten Sohn „nach Hause“ zu bringen. Die Amerikaner – vertreten durch den asthmatischen Senator Blaster (Donald Pleasence) – bieten sie ihm, wollen aber im Gegenzug, dass Ross für sie einige nordvietnamesische Terroristen kaltstellt; in Wahrheit spekulieren sie natürlich darauf, dass er im Dschungel krepiert, diese Schweine.

Wahrscheinlich noch nie wurde in einem Film so viel so richtig gemacht wie hier: Matteis Perfektionismus macht noch nicht einmal bei der Titeleinblendung Kompromisse: Ross – mit verschwitztem, freiem Oberkörper, glänzend zurückgeschleimter Matte und einem Blick, der gar nichts sagt, das aber eindrucksvoll – reißt sich gerade die nächste Dose Budweiser auf, da knallt der monumentale Schriftzug „Der Kampfgigant“ ins Bild wie ein Fleischpeitschenhieb. Es stimmt einfach alles: O’Keeffe macht beim Schleichen durch den Busch eine herausragende Figur und beweist pantherhafte Agilität. Mattei erreichte dies durch einen wahrhaft kubrickesken Schachzug: Die Hosen, die er O’Keeffe für die Auftaktsequenz anfertigen ließ, waren drei Nummern zu eng und verlangten dem Mimen alles ab. Als er für den Hauptteil des Films endlich in großzügiger geschnittene Armeehosen schlüpfen durfte, dankte er es dem Regisseur mit einer grazilen Jahrhundertleistung. Die Wunder werden nicht alle in diesem Epos: Nachdem Ross mit dem U-Boot im Zielgebiet abgesetzt wurde, wird er sofort entdeckt, bekommt aber von einem Hai Hilfe, bevor er diesen in zwei Hälften sprengt. Sein „Kontakter“ ist der lebhafte Toro (Ottaviano Dell’Acqua), der die einzigartige Gabe hat, Terroristen durch bloßes Ansehen zu erkennen. Die beiden verstehen sich sofort super und haben eine Mordsgaudi bei der Infiltration eines russischen Camps und der anschließenden Flucht auf einem Motorrad mit Beiwagen, die Mattei inszeniert wie in einem alten Slapstickfilm. Man sollte Krieg einfach nicht so ernst nehmen. Später taucht auch noch Luciano Pigozzi in der Rolle auf, auf die er in jenen Jahren abonniert war: rauschebärtiger Zausel mit goldenem Herz im Urwald. Hier wird ihm auch noch eine blonde Tochter angehängt, die Ross mit dem stählernem Blick des Beziehungsexperten als passende Mama für seinen Sohn ausmacht. Sie ist dafür nicht zuletzt deshalb prädestiniert, weil sie das Problem, das der Junge mit seinem zurückgekehrten Papa hat, messerscharf analysiert: „Der Junge mag dich nicht.“ Das wird sich natürlich zum Finale hin ändern, wenn der undankbare Bastard merkt, dass seine Antipathie nicht ausreicht, um den Vater auf Geheiß der Russen zu exekutieren, und er sich deshalb für bedingungslose Liebe zu ihm entscheidet. Es ist aber auch wirklich schwer, diesen Ross nicht zu mögen: Wie er da von einem Hubschrauber gejagt jede Pfütze mitnimmt, die sich ihm darbietet, in zehn Zentimeter tiefen Mulden Deckung sucht und sich am Ende kurzerhand einen Berg hinunterrollen lässt, offenbart er das Potenzial zum Superpapa, der dem Sohnemann auf dem Bolzplatz mit eisernen Schienbeinschonern zur Seite steht und alles abräumt, was sich ihm in den Weg stellt. Ein Mann zum Pferdeäpfel stehlen.

DER KAMPFGIGANT, untermalt von einem treibenden Synthiescore von Stefano Mainetti, der einem nicht übel Lust macht, selbst loszuziehen und eine Bananenrepublik zu erobern, ist voller Details, die ihn unvergesslich machen: In der „Schaltzentrale“ der US-Einsatzkräfte sitzen nicht nur gelangweilte Hartz-IV-Empfänger rammdösig über bedeutungsschwer blinkenden Lämpchen, an der Wand hängt auch eine Porträtzeichnung von Ronald Reagan, die der Staatschef wahrscheinlich beim Besuch der Rüdesheimer Drosselgasse von einem Straßenkünstler anfertigen ließ. Donald Pleasence versucht bei all seinen Auftritten verzweifelt, sich hinter einem Inhalator zu verstecken, auf dass man ihn nicht bemerkt. Massimo Vanni hat eine unfassbare Szene, als er mit einem Jeep ins Bild kommt, aussteigt, um seinem Chef Bericht zu erstatten, aber dabei offensichtlich vergisst, die Handbremse zu ziehen. „Achtung Jeep!“ brüllt Svenson, als sich das Gefährt wie von Geisterhand in Bewegung setzt. Vanni handelt geistesgegenwärtig: Er dreht sich um, springt in das Auto und fährt einfach ab. So inszeniert man temporeiche Filme! Ganz toll auch der Abwurf einer Bombe aus einem Hubschrauber, der nicht etwa automatisch erfolgt, sondern dadurch, dass der Pilot die Tür öffnet und das gute Stück, das anscheinend im Cockpit rumlag, einfach von Hand rausschmeißt. Die allergrößte Leistung Matteis ist es aber gewiss, Mike Monty, der seine Karriere als Darsteller von Befehle gebenden Soldaten mit genau einem perfekt ausgefeilten Gesichtsausdruck bewältigte („angespannt-besorgt“), hier einen waren Gefühlsausbruch zu bescheren. Den enthemmten Luftsprung, den der Veteran macht, als er erfährt, dass Ross noch am Leben ist, vollführte auch mein Herz während der traumhaften 100 Minuten DER KAMPFGIGANT, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde.

Wer jetzt Lust auf dieses Masterpiece bekommen hat, kann ihn sich hier in der englischen Fassung anschauen.

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you_only_live_twice_ver4_xlgVielleicht ist das nur eine subjektive Fehleinschätzung meinerseits, aber YOU ONLY LIVE TWICE scheint mir in der allgemeinen Wertschätzung ein eher vernachlässigter Bondfilm zu sein, gerade wenn man bedenkt, welche Verehrung die klassischen Connery-Bonds allgemein erfahren. Auch ich hatte ihn in erster Linie als „nett“ in Erinnerung behalten, keinesfalls als Enttäuschung, aber eben auch nicht als ausgesprochenen Höhepunkt der Reihe. Das ist er auch nicht, aber er vereint alles, was man als Bond-Sympathisant an der Reihe zu schätzen weiß, ohne dabei zum seelenlosen Best-of zu verkommen. Er gönnt sich kleine Abstecher, die ihm Identität verleihen, ohne ihn dabei allzu weit vom eigentlichen Weg wegzuführen, und wirkt nach dem protzigen, freudlosen und grimmigen THUNDERBALL wieder wie eine überschwängliche Kleine-Jungs-Fantasie, bunt, impulsiv, sprunghaft, kreativ und ungezwungen. Vielleicht hat er mir bislang von allen Bonds am besten gefallen.

Eines noch vorab, bevor ich auf Details des Films eingehe: Ich habe in den vorangegangenen vier Texten immer viel von „der Formel“ gesprochen, von typischen Elementen der Reihe, davon, wie alle Filme ab einem bestimmten Zeitpunkt quasi nach einer Blaupause gefertigt wurden. Aber selbst dieser mittlerweile fünfte Bondfilm weist immer noch einige Eigenheiten oder zumindest eine individuelle Konfiguration der infrage kommenden Elemente auf. Die Pre-Title-Sequent ist hier sehr eigen strukturiert, umfasst erst den Coup SPECTREs – die Terrororganisation entführt Raumkapseln der Russen und Amerikaner –, bevor sie dann die zu Tarnungszwecken vorgenommene Scheinexekution Bonds behandelt: Keine Kurzmission der Doppelnull wie sonst also. Bis auf den kurzen Auftakt in Hongkong spielt YOU ONLY LIVE TWICE ausschließlich in Japan, es gibt keinen Finalkampf mit dem Schurken, keinen besonders hartnäckigen Killer und auch keine Szene, in der Bond den Tod vor Augen hat. Dafür aber den absurden Schurkenplan – der Raub der Kapseln midflight in outer space durch ein „gefräßiges“ Raumschiff soll einen Krieg zwischen den USA und der UdSSR auslösen – die Femme Fatale (die deutsche Karin Dor als „Helga Brandt“), das technische Gimmick von Q – einen Mini-Helikopter –, ein Piranhabecken, den ersten Auftritt von Ernst Stavro Blofeld (Donald Pleasence) und seinen der Science Fiction entsprungenen (und von Syd Cain wunderbar realisierten) Stützpunkt im Inneren eines Vulkans. Mehr als alles andere schlägt sich die Wahl des Handlungsortes auf die Stimmung des Films nieder. Schon der wunderbare, verträumt-liebevolle Theme Song von Nancy Sinatra („You only live twice or so it seems/One life for yourself and one for your dreams/You drift through the years and life seems tame/Till one dream appears and love is its name“) hebt sich deutlich vom sonst üblicherweise angeschlagenen sirenenhaften Ton der Titellieder ab, und auch die Zartheit von Bonds Mitstreiterinnen Aki (Akiko Wakabayashi) und Kissy (Mie Hama) hinterlässt sichtliche Spuren beim Vorzeige-Chauvie Bond. Geschickt wissen die beiden Frauen die devote, servile Haltung, die asiatischen Frauen im Film klischeehafterweise oft zugedacht wird (gleich zwei oder drei Szenen widmen sich der Körperpflege der Männer durch ein mehrköpfiges Team leicht bekleideter Schönheiten), für sich zum Vorteil zu wenden und Bond insgeheim unter ihre Kontrolle zu bringen. Den Kulturschock erlebte nicht nur der Zuschauer, für den der Ausflug nach Fernost 1967 noch immens exotisch sein musste.

Kurz bevor YOU ONLY LIVE TWICE auf seinen Showdown zustrebt, erlaubt er sich einen wunderbaren Exkurs, der in der Geschichte der sehr auf absolute Unterhaltungs-Effizienz hin optimierten Reihe ein Unikat darstellt: Zu Tarnungszwecken wird Bond mithilfe von Perücke und Make-up nicht nur in einen Japaner verwandelt, sondern auch mit der Japanerin Kissy verheiratet. Plötzlich wird YOU ONLY LIVE TWICE zur Dokumentation japanischer Riten und Traditionen, wenn er sich sehr ausführlich einer Hochzeitszeremonie zuwendet. Und auch wenn das Ehepaar ab da ständig beteuert, alles sei „Just business“, so entspinnt sich hier eine sehr zarte Romanze, deren Höhepunkt das entspannte Lächeln Kissys in einem direkt auf die untergehende Sonne zusteuernden Ruderboot ist, mit dem sie Bond beschenkt. EIn Filmmoment zum Dahinschmelzen. Der Titel, der sich auf Bonds zweites Leben nach seiner inszenierten Beerdigung bezieht, nimmt mit laufender Spielzeit eine weitere Bedeutung an, eine, die eine alternative Zukunft Bonds suggeriert. In diesem Sinne ist seine Gattin Kissy eine Hitchcock’sche Wiedergängerin der umgebrachten Aki: Im ländlich-ursprünglichen Idyll des Fischerdorfs, in dem Bond zum Schluss einzieht, und wo die Zeit fast stillzustehen scheint, könnte eine neue Heimat für Bond liegen, lockt ein Leben ohne Geheimdienst, ohne tödliche Missionen, ohne SPECTRE und Blofeld und ohne immer wieder zu betrauernde tote Mitstreiter. Die Utopie manifestiert sich indes nie und es ist unklar, ob Bond sie überhaupt bemerkt, aber sie ist da, spiegelt sich im unwirklichen Glitzern des Meeres und den Lichtreflexen auf der Kamera. (Der folgende Film, ON HER MAJESTY’S SECRET SERVICE, scheint mit Bonds Ausscheiden aus dem Staatsdienst eine logische Weiterentwicklung dieser romantischen Ansätze – und sein „Misserfolg“ vielleicht der entscheidende Schritt hin zum strengen Streamlining, das außergewöhnliche Ideen künftig verbot. Dazu in Kürze mehr.) Der Titel erhält zudem eine fast prophetische Dimension, wenn man weiß, dass die beiden Produzenten Saltzman und Broccoli, Regisseur Gilbert, Set Designer Ken Adam und Kameramann Freddie Young nur knapp dem Tode entrannen: Um sich eine Ninja-Demonstration anzuschauen, cancelten die fünf Männer in letzter Minuten ihren Rückflug. Eine geschichtsträchtige Entscheidung, denn der Flieger stürzte nur wenige Minuten nach dem Start ab, es gab keine Überlebenden. Ganz sicher verdankt der Film diesem Umstand den allerersten Ninja-Auftritt im westlichen Kino, vielleicht aber auch diese gelöste, in manchen Szenen melancholische Stimmung. Es steckt eine Klarheit und Schärfe der Empfindungen in YOU ONLY LIVE TWICE, die den in vielerlei anderer Hinsicht klaren und scharfen THUNDERBALL im Vergleich blind und stumpf erscheinen lassen. Wunderbar!

 

Knapp 15 Jahre bevor Francis Ford Coppola den Vampirfürsten als tragischen Liebhaber interpretierte, versuchte John Badham dem Stoff mit seiner eigenen Adaption die romantischen Seiten abzuringen. Dass sein Film heute trotz dieses innovativen Ansatzes nicht den ganz großen Stellenwert genießt, dürfte nicht zuletzt an der Besetzung seines Titelhelden liegen. Zwar füllt Frank Langella seinen Graf Dracula mit düsterromantischer Anziehungskraft und intensiver, beunruhigender Ausstrahlung, zeigt in seiner Augenpartie gar eine gewisse Ähnlichkeit mit Christopher Lee, doch mag seine Föhnfrisur so gar nicht zu unserem Bild des jahrhundertealten Monstrums passen. Die Bemühungen Badhams, die Zeit, in der die Geschichte spielt, durch monochrome, sepiafarbene Bildgestaltung aufleben zu lassen, werden durch Langellas Discofrisur gewissermaßen wieder zunichte gemacht. Der Darsteller kämpfte aber, wie einige andere, die sich zuvor als Dracula versucht hatten, sowieso schon auf verlorenem Posten: Neben Christopher Lee oder Bela Lugosi, die der Rolle ihren unvergänglichen Stempel aufgedrückt hatten, ist kaum noch Platz.

Man muss Badham zugutehalten, dass er das wohl auch wusste. Sein Fokus liegt demnach mehr auf der Schaffung einer morbiden, aber auch traurigen Atmosphäre und genau da – wie auch bei den kurzen, aber ausgesprochen stimmungsvollen Gruselszenen – hat DRACULA dann auch seine genuin eigenen Stärken. Siedelten Browning und Fisher ihre Filme in einer pulpig verzerrten Gothic-Welt an, ließ Coppola ihn stilistisch in alle möglichen Richtungen ausufern, wirkt die Welt in Badhams Film abgeschottet, leer, hoffnungslos, tot. Badham verzichtet auf den üblichen Prolog in Transsilvanien, wählt als Handlungsort vielmehr das monolithisch auf einer schroffen Klippe liegende Sanatorium von Dr. Seward, das ihm und seiner Familie auch als Haus dient. Umgeben ist es von graubrauner Ödnis und einem windschiefen Friedhof, der mit dem Wort „Totenacker“ besser beschrieben ist. Der plötzlich auftauchende Graf Dracula bildet in dieser desillusionierenden Welt den einzigen Farbtupfer, die Andeutung von Gefühlen, die zuvor undenkbar schienen. Sein Haus, Fairfax Abbey, ist auf einer kleinen Insel inmitten eines Sees gelegen: ein verheißungsvoller, mysteriöser Sehnsuchtsort, der aber dringend die Anwesenheit einer Dame vertrüge (nicht nur, um die Spinnweben zu entfernen). Die auserkorene Lucy (Kate Nelligan) wird dann auch in einer mit schwofigen Laser- und Raucheffekten unterlegten Liebesszene nach allen Regeln der Kunst verführt: die einzige Szene, die die strenge Farbpalette des Films aufbricht. Diesen motivischen wie stilistischen Kontrast herzustellen, war wohl Badhams Absicht, aber der Plan geht nur bedingt auf. Anstatt zwei mögliche, höchst unterschiedliche Lebensentwürfe nebeneinanderzustellen und den Film aus diesem Spannungsverhältnis heraus zu gestalten, wirkt er in sich unentschlossen. Die Synthese gelingt nicht, wohl auch, weil DRACULA letzten Endes das Bedürfnis des Publikums nach Katharsis und Spektakel befriedigen muss. Das Finale folgt eindeutig dieser Konvention, passt aber eigentlich nicht zur Stimmung, die zuvor so behutsam aufgebaut wurde.

Die Publikumsbindung wird jedoch an anderer Stelle durch den Verzicht auf eine echte Hauptfigur erschwert. Das Drehbuch richtet den Fokus mal auf Lucy, dann wieder auf Jonathan Harker (Trevor Eve), auf Dracula und schließlich auf Prof. van Helsing (Laurence Olivier), ohne sich wirklich für einen entscheiden zu können. So ist der Betrachter ständig gezwungen, die Perspektive zu wechseln. Grundsätzlich kein uninteressanter Einfall, gerade bei einem Stoff, der hinlänglich bekannt ist (und in der literarischen Vorlage auch keine Hauptfigur kennt), aber Badham gewinnt ihm nur wenig Reiz ab, büßt lediglich die emotionale Anbindung ein. Der größte, echte Schwachpunkt ist allerdings Laurence Olivier. Sein van Helsing ist ein zögerlicher, weinerlicher Tattergreis, dem der Mime erneut (wie etwa auch in THE JAZZ SINGER) einen seiner grässlichen Akzente aufzwingt und ihn so zur Nervensäge degradiert. Dieser van Helsing hat Dracula eigentlich nichts entgegenzusetzen, und dessen Tod ist damit nicht verdient, vielmehr lediglich vom Drehbuch herbeifabuliert. Insgesamt hat mir DRACULA wahrscheinlich ein Stück besser gefallen, als es hier den Anschein macht, aber für die große Begeisterung hat dann doch etwas gefehlt.