Bereits Ende der Sechzigerjahre zeichnete sich das Ende der so erfolgreichen Wallace-Reihe der Rialto ab. Zwar hatten auch die A DOPPIA FACCIA unmittelbar vorangegangenen Filme immer noch zufriedenstellende Erträge eingebracht und jeweils rund 1,5 – 2 Millionen Zuschauer ins Kino gelockt, dennoch war ein Abwärtstrend nicht zu leugnen. Das Publikum schien mehr und mehr gelangweilt von den barocken Krimis mit leichtem Gruseleinschlag, strömte stattdessen in die neuen, heitereren und lebensnaheren Pauker- und Lümmelkomödien. DER GORILLA VON SOHO hatte laut Umfragen viele Besucher enttäuscht, eine Tatsache, die bei DER MANN MIT DEM GLASAUGE noch merklich nachwirkte, und so schien eine Kurskorrektur notwendig, wollte man auch noch die letzten Tropfen aus der ausgequetschten Wallace-Frucht herauspressen. Der leise Rückzug der Rialto aus dem etablierten Franchise kündigte sich erstmals beim italienisch koproduzierten A DOPPIA FACCIA (zu Deutsch: DAS GESICHT IM DUNKELN) ab. Die Rialto beteiligte sich nur noch mit 30 % an den Produktionskosten, Horst Wendlandts Name wurde nicht mehr im Vorspann erwähnt. Sowohl inhaltlich wie stilistisch weicht der Film stark von seinen Vorgängern ab: Die Hauptfigur ist kein Scotland-Yard-Ermittler, der Plot ist gegenüber den breit aufgespannten Intrigen geradezu minimalistisch, komische oder selbstreflexive Elemente fehlen völlig, stattdessen wird der Zuschauer tief in den Kopf einer traumatisierten Person gezogen. Vom bekannten Edgar-Wallace-Ensemble ist nur noch Klaus Kinski (und Editorin Jutta Hering, die jedoch möglicherweise nur für die deutsche, gekürzte Schnittfassung verantwortlich zeichnete) übrig, dessen Rolle aber nur noch wenig mit seinen zu einem Charakteristikum der Reihe gewordenen zwielichtigen Nebenfiguren gemein hat. Günther Stoll, der die Hauptrolle in DER BUCKLIGE VON SOHO gespielt hatte, kommt kaum mehr als eine Alibi-Funktion zu: Sein hoher Rang in der Besetzungsliste wird durch seine Rolle kaum gerechtfertigt, er scheint vor allem anwesend zu sein, um dem bisherigen Wallace-Zuschauer den Eindruck von Bekanntheit zu vermitteln. Aus produktionstechnischer bzw. marktwirtschaftlicher Sicht war A DOPPIA FACCIA zumindest aus deutscher Perspektive von Anfang an nichts Halbes und nichts Ganzes, vielmehr geprägt von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, und konnte vom angepeilten Publikum kaum als etwas anderes als als Etikettenschwindel betrachtet werden. Zwar basierte der Film – im Gegensatz etwa zu Vohrers DER MANN MIT DEM GLASAUGE oder DER HUND VON BLACKWOOD CASTLE – immerhin tatsächlich auf einem Roman des britischen Krimiautors, doch damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Zu allem Überfluss erleichterte man den Film für seine deutsche Auswertung auch noch um rund zehn Minuten Handlung und machte die sanfte Verstörung, die der rätselhafte Film auslösen musste, somit komplett. Mit gerade einmal 600.000 Zuschauern markierte A DOPPIA FACCIA den finanziellen Tiefpunkt der Wallace-Reihe von Rialto, führte zu einer knapp zweijährigen Pause, einer Rückkehr zu den Wurzeln mit DIE TOTE AUS DER THEMSE und einem leichten Anstieg des Interesses, die das längst absehbare Ende der Reihe jedoch bestenfalls herauszögerten.
Zur Handlung: John Alexander (Klaus Kinski), ein stiller, beinahe verstört wirkender Mann, sieht tatenlos zu, wie seine Gattin Helen (Margaret Lee), Inhaberin eines erfolgreichen Automobilwerks und finanziell der Herr im Haus, sich immer mehr von ihm distanziert, sich vor seinen Augen hemmungslos mit ihrer Freundin Liz (Annabella Incontrera) verlustiert. Kurz nachdem sie ihm ihren Scheidungswunsch mitgeteilt hat, verunglückt sie bei einem durch einen Sprengsatz herbeigeführten Autounfall. John ist erschüttert, muss sich als alleiniger Erbe ihres Vermögens aber wenigstens keine Sorgen mehr um seine Existenz machen. Als er von einem Erholungsurlaub in die heimischen vier Wände zurückkehrt, findet er dort Christine (Christiane Krüger) vor, die sich unbemerkt in seine riesige Villa geschlichen hat. Sie nimmt den verdutzten Witwer mit in einen Club, in dem zu später Stunde ein Pornofilm vorgeführt wird. Auf der Leinwand vergnügt sich seine neue Bekannte mit niemand Geringerem als seiner verstorbenen Gattin, zumindest lassen eine verräterische Narbe am Hals der Verschleierten, ein Ring und eine Perlenkette darauf schließen. John ist überzeugt, dass Helen noch lebt und begibt sich auf die Suche nach ihr …
A DOPPIA FACCIA anhand der deutschen Fassung zu beurteilen, ist etwas ungerecht, zumindest aber problematisch. Wie oben schon erwähnt, kürzte man den Film gegenüber der italienischen Ursprungsversion um rund 10 Minuten Handlung; eine Tatsache, die den Eindruck, den der Film hinterlässt, entscheidend beeinflussen. In der vorliegenden Form ist A DOPPIA FACCIA zwar keinesfalls unverständlich – ganz im Gegenteil, ist er doch äußerst kompakt und fast ausschließlich mit dem Blick auf den Protagonisten John Alexander erzählt –, aber dennoch hochgradig seltsam, selbst wenn man ihn nicht als Edgar-Wallace-Film, sondern als Giallo betrachtet. Das beginnt schon mit der Wahl des Hauptdarstellers: Kinski ist nicht gerade der geborene Sympathikus und als trauernder, noch dazu gehörnter Ehemann, der sich im Laufe des Films wenn schon nicht in Passivität ergibt, so doch niemals wirklich Handlungsgewalt oder gar Autorität erlangt, krass gegen den Strich besetzt. Das ist natürlich mit Bedacht gemacht, schließlich soll der Verdacht erhalten bleiben, John selbst könne den Mord an der Gattin verübt haben, doch dieser Verdacht wird eher qua Konvention erzeugt als dass er tatsächlich „erzählt“ würde. So befindet man sich als Zuschauer von Beginn an in einer Haltung der Fluchtbereitschaft, versagt man dem Protagonisten die bedingungslose Identifikation, weil man stets damit rechnet, von ihm getäuscht zu werden. Und Freda tut was er kann, um diese Kluft nicht zu überwinden, sondern sie immer wieder zu bestätigen oder gar zu vertiefen. Eigentlich besteht sein ganzer Film aus Chiffren, aus Klischees, die sich über Jahrhunderte etabliert haben und von Freda kaum noch mit echtem Leben gefüllt werden. Schon Johns Trauer, die Triebfeder für den Film, ist ja eigentlich eine leere Behauptung, weil wir gesehen haben, dass es gar keine echte Liebesbeziehung zwischen ihm und Helen mehr gab. Selbst seine Aussage, sie hätten „zwei gute Jahre“ gehabt, lässt sich vom Zuschauer schwerlich nachvollziehen, da beide Menschen von Anfang an von sich und der Welt vollkommen entfremdet scheinen. Helens Tod bricht dann – in einer mit putzigen Miniaturmodellen realisierten „Actionszene“ – völlig unerwartet in den Film ein und bietet Kinski in der Folge reichlich Gelegenheit, stumm und brüterisch durch das nächtliche London zu fahren, in Bars Whiskey zu trinken oder zu Hause die Wände anzustarren. Fredas Inszenierung ist dieser Ereignislosigkeit angemessen steif und ungelenk, immer wieder werden Szenen mit Nora Orlandis Titelsong unterlegt, der eine Emotionalität und Dramatik suggeriert, die der Film äußerlich eigentlich vermissen lässt. Freda bemüht eher eine somnambule, scheintote, fremdartige Atmosphäre: Es gibt kaum Dialoge, doch das Schweigen hat auch keine beruhigende Wirkung, ist vielmehr Ausdruck größter innerer Tumulte. Die Frage ist, was da eigentlich wiedererlangt werden könnte: Haben diese Figuren überhaupt jemals ein Leben abseits des Films geführt? Alexander ist kein aktiv Handelnder, eher einer, der sich treiben oder eher ziehen lässt. Der Film hat ihn fest in seiner Gewalt und mit ihm muss sich auch der Zuschauer seinem unvorhersehbaren Fluss hingeben, einem Rhythmus, der immer wieder ins Stocken gerät, kaum dass er einmal einen Takt gefunden hat. Diesen Aspekt von Fredas Film mag die deutsche Schnittfassung, die von der um sich greifenden Seltsamkeit des Film völlig ungerührt und zielstrebig voranschreitet, sogar noch begünstigen. Völlige Fremdkörper sind die Polizisten, die unsanft daran erinnern, dass wir uns nicht im Kopf des Protagonisten befinden, sondern in einer objektiven Realität, in der der Frage nach Täter, Motiv und Opfer entscheidende Bedeutung zukommt. Doch tun sie das wirklich? A DOPPIA FACCIA hat mich an jene Filme erinnert, in denen der Zuschauer einem unzuverlässigen Erzähler auf seiner Reise ins eigene Ich ausgeliefert ist, Filme, deren anscheinend äußeren Ereignisse sich als bloße Abbilder seelischer Verwerfungen herausstellen, an deren Ende der Protagonist am Ziel angelangt erkennt, die ganze Zeit in einen Spiegel geschaut zu haben. Aber selbst diese Erkenntnis wird John Alexander vorenthalten, stattdessen wird er mit der Enttarnung eines Mordkomplotts belohnt, dessen Banalität angesichts dessen, was da offensichtlich im Argen liegt, wie Hohn wirkt.
Ein sehr, sehr seltsamer und deshalb ungemein toller Film. Ich bin bei der Sichtung gestern mehrfach eingeschlafen und wieder aufgewacht, habe Passagen zurückgespult und noch einmal gesehen, nur um dann erneut einzuschlafen. Schließlich habe ich die zweite Hälfte dann noch einmal am Stück gesehen. Ich glaube, dass der Film davon vielleicht sogar profitiert hat.
Die Edgar-Wallace-Checkliste:
Personal: Klaus Kinski (13.), Günther Stoll, Christiane Krüger (2.). Regie: Riccardo Freda (1.), Drehbuch: Paul Hengge (2.), Riccardo Freda (1.), Musik: Nora Orlandi (1.), Kamera: Gabor Pogany (1.), Schnitt: Anna Amadei (1.), Elisa Lanri (1.), Jutta Hering (12.), Produktion: Horst Wendlandt (26.).
Schauplatz: London, der Wohnsitz des Ehepaars Alexander, ein zwielichtiger Club etc. Gedreht wurde in London, Liverpool und Rom.
Titel: Der deutsche Titel DAS GESICHT IM DUNKELN bezieht sich auf die unbekannte Identität des Intriganten, der italienische („Das doppelte Gesicht“) verrät etwas mehr, nämlich dass da jemand eine andere Identität annimmt, sich hinter dem Gesicht eines anderen verbirgt.
Protagonisten: Der betrogene Ehemann John Alexander.
Schurke: Der Schwiegerpapa und die beste Freundin der toten Ehefrau.
Gewalt: Zwei tödliche Autounfälle.
Selbstreflexion: Begrüßungsformel zu Beginn.
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