Mit ‘Edwin Zbonek’ getaggte Beiträge

ungeheuer_von_london_city_dasWährend der Schauspieler Richard Sand (Hansjörg Felmy) in der Titelrolle des Boulevard-Theaterstücks „Jack the Ripper“ dem begeisterten Publikum Abend für Abend das Fürchten lehrt, geht auf den Straßen ein echter Frauenmörder umher. Die Ermittlungen des Scotland-Yard-Beamten Dorne (Hans Nielsen) konzentrieren sich bald ebenso auf Sand wie der Unmut des Politikers Sir George (Fritz Tillmann), pikanterweise der Vater von Sands Geliebter Ann (Marianne Koch), der das Theaterstück wegen schlechten Einflusses verbieten will. Derweil hat auch Sand Schwierigkeiten, seinen offensichtlich schlechten Einfluss mit seinem Gewissen zu vereinbaren. Oder hat seine Rolle gar Besitz von ihm ergriffen?

Edwin Zbonek hat das Glück, die wunderbaren London-Settings nutzen zu dürfen, die schon Gottliebs DAS PHANTOM VON SOHO zu seiner mit beiden Händen greifbaren Atmosphäre verholfen hatten. Es macht einfach einiges her, wenn der maskierte Butzemann durch die düsteren, vom Nebel durchdrungenen Gassen streunt und meterhohe Schatten wirft. Die Geschichte um den Killer, der die Kunst nachahmt, die das Leben nachahmt, passt sich dem an, ist ebenfalls deutlich dichter und vielschichtiger als das, was einem im Gros der damals so beliebten Gruselkrimis so geboten wurde. Das scheint mir eh ein Charakteristikum von Atze Brauners Bryan-Edgar-Wallace-Filmen: Selbst, wenn die nur im Fahrwasser von Wendlandts Erfolgsreihe schipperten, waren sie inhaltlich doch sehr eigenständig und meist ernster als die eher spaßigen, selten wirklich nachhaltig wirkenden Vorbilder. Da fällt es dann auch nicht so sehr ins Gewicht, dass Zbonek als Regisseur keine echten Akzente setzen kann: Seine Inszenierung ist ein bisschen bieder und wahrscheinlich am ehesten als „zweckmäßig“ zu beschreiben. Und die Auflösung kann den vorangegangenen 90 Minuten auch nichts Wesentliches mehr hinzufügen: Wer der Mörder ist, ist einfach nicht so wahnsinnig interessant, nachdem irgendwann klar ist, dass Sand es nicht sein kann. Trotzdem: Auch wenn DAS UNGEHEUER VON LONDON-CITY etwas schwächer ist als DER HENKER VON LONDON, DAS PHANTOM VON SOHO oder DAS SIEBENTE OPFER, darf man Brauner einen weiteren Gewinner bescheinigen.

henker_von_london_derIn London werden Verbrecher, die dem Gesetz bisher durch die Lappen gegangen sind, von einem aus Vigilanten bestehenden Gerichtshof verurteilt und mit dem Original-Henkersstrick aus dem Londoner Kriminalmuseum an öffentlichen Plätzen erhängt. Der junge Beamte John Hillier (Hansjörg Felmy) ermittelt in der Sache, kann aber bislang noch keinen Fortschritt vermelden. Zeitgleich wird London außerdem von den Taten eines Frauenmörders (Dieter Borsche) erschüttert, auf dessen Konto auch Hilliers einstige Geliebte geht …

Brauner-typische Bryan-Edgar-Wallace-Verfilmung, was wieder einmal bedeutet, das ein etwas weniger großes Ensemble in einem sehr fokussiert erzählten Krimi mit atmosphärisch wertvollem Gruseleinschlag agiert. Von erhöhtem Interesse ist hier ausnahmsweise einmal die Handlung, der man durchaus so etwas wie „Relevanz“ bescheinigen möchte und die zudem viele der ein Jahrzehnt später im Zuge des Erfolgs von Michael Winners DEATH WISH ad nauseam durchgearbeiteten Selbstjustiz-Implikationen vorwegnimmt. In der Darstellung der „Gerichtsverhandlungen“ kommt die ganze Absurdität und Unrechtmäßigkeit der Veranstaltung zum Ausdruck. Über das Urteil wird „abgestimmt“, indem jeder der fünf Richter eine schwarze oder weiße Kugel in eine Schale legt: Weiß bedeutet unschuldig, schwarz schuldig. Nicht nur ist dieser Vorgang höchst umständlich, er ist auch von rein formaler Bedeutung, denn natürlich wissen die Ankläger schon im Vorhinein, welches Urteil sie fällen werden. Ihre Verhandlungen kommen ja nur deshalb zustande, weil sie Schurken der ihrer Meinung nach verdienten Todesstrafe zuführen wollen. Von vornherein gibt es keinen Zweifel am finalen Urteilsspruch, das ganze Zeremoniell – die Sitzungen finden in einem finsteren Gewölbe statt, als Pulte dienen den Richtern Särge und sie verbergen sich in schwarzen Roben und Masken – ist bereits Bestandteil der schon feststehenden Strafe.

Das Thema „Todesstrafe“ wird aber noch weitergehend behandelt in den Szenen, in denen Hillier den Vater seiner Freundin Ann Barry (Maria Perschy), den ehemaligen Richter Sir Francis Elliott (Rudolf Forster), um Rat fragt. Elliott rühmt sich damit, sich als Richter niemals von Gefühlsduseleien habe erweichen lassen, das Gesetz stattdessen mit äußerster Strenge ausgelegt, beziehungsweise genauer: in die Tat umgesetzt zu haben („auslegen“ impliziert ja das Wissen darüber, dass Gesetze interpretiert werden müssen und zwei Richter somit zu ganz unterschiedlichen Strafmaßen gelangen können). Er ist der festen Überzeugung, dass es eine richtige und eine falsche Auslegung gibt und er sich nie einen Fehler hat zukommen lassen. Stolz brüstet er sich mit den über 30 Todesstrafen, die er verhängt habe, damit, dass es wohl noch viel mehr seien, wenn er heute noch im Amt wäre, und lässt sich lang und breit darüber aus, wie Ärzte und Psychologen Verbrecher heute wie Opfer behandelten und der „Gerechtigkeit“ damit einen Bärendienst erwiesen. Und wie ein Mephistopheles wendet er sich an Hillier: Wie würde der wohl entscheiden, wenn er die Gelegenheit hätte, dem Mörder seiner Geliebten die gerechte Strafe zuzuweisen? Empfände er keine Genugtuung, wenn er ihn zum Tod durch den Strick verurteilen könnte? Hiller kennt die Antwort, aber er schweigt …

DER HENKER VON LONDON gerät in diesen Szenen fast schon zur essayistischen Auseinandersetzung mit Themenkomplexen wie dem Wesen von Gesetz, Gerechtigkeit und Strafe, der Sinnhaftigkeit und moralischen Rechtmäßigkeit der Todesstrafe – und er bezieht sehr eindeutig Position, ohne jedoch mit erhobenem Zeigefinger zu predigen. Das Handeln des Henkers ist am Ende ebenso nachvollziehbar wie klar ist, dass er sich in eine falsche Idee verrannt hat: Das Gesetz ist eben nicht dazu da, eine aus der Balance geratene Gerechtigkeitsbalance wiederherzustellen. Ein Tod lässt sich ebenso wenig rückgängig machen wie der erlittene Schmerz über den Verlust. Und Mord ist durchaus nicht gleich Mord. Das wird in der Gegenüberstellung der Taten des kranken Frauenmörders und denen des kalkulierenden Henkers frappierend deutlich. Stark.