Die Höhepunkte des überiwegend italienischen Ursprungs entstammenden Kannibalenfilm-Subgenres sind – seien wir ehrlich – rar gesät. Ruggero Deodato lieferte mit CANNIBAL HOLOCAUST einen Film für die Ewigkeit ab, mit ULTIMO MONDO CANNIBALE immerhin einen, der einige Jahre zuvor den Grundstein für die spätere Großtat legte. Alle weiteren Vertreter unterscheiden sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Production Values – Martinos LA MONTAGNA DEL DIO CANNIBALE ragt als aufwändige Produktion mit europäischen Stars heraus -, lassen sich aber doch weitestgehend unter sensationalistischer, dramaturgisch eher minderbemittelter Exploitation abheften, die an anthropologischen oder sozioökonomischen Wahrheiten nur bedingt, an der Befriedigung der Sensationsgeilheit des Publikums aber sehr viel mehr interessiert war, kurzfristig gutes Geld in die Kassen spülte, mittelfristig aber den Niedergang des italienischen Kinos mitbegünstigte. Es verwundert nicht, dass auch Jess Franco seinen unvermeidlichen Beitrag ablieferte: MONDO CANNIBALE wird meist heftigst verrissen und als Beispiel für das vermeintliche Unvermögen des Spaniers herangezogen. Der Film ist tatsächlich ziemlich unterirdisch, aber wer glaubt, dass Franco diesen Tinnef ernst gemeint haben könne, sich nicht über die offenkundigen Unzulänglichkeiten im Klaren war, die sein Film aufwies, der unterschätzt den Mann und hat nicht verstanden, dass er das Kino atmete. Während ich mich durch die 85 Minuten von MONDO CANNIBALE quälte, sah ich ihn vor mir, wie er feixend hinter der Kamera stand, absichtlich Einstellungen wählte, die die Illusion, sein Film spiele im Urwald von Malawi, mit Wucht zerschmetterten. Schade, dass es 1980 noch keine Gorebauern gab: Ihr enttäuschter Blick beim Verlassen des Kinos wäre in Gold nicht aufzuwiegen gewesen.
Man muss dazu sagen: Es war vor nunmehr 35 Jahren wahrscheinlich nicht so einfach, sich einen umfassenden Einblick in das Werk Francos zu erarbeiten. Klar, viele seiner Filme konnte man zu ihrem Erscheinen noch in voller Größe und gewissermaßen „live“ auf den Leinwänden bundesdeutscher Bahnhofskinos bewundern, aber ein Werkzeug wie die IMDb oder aber Genrefilm-Enzyklopädien, die sich die Mühe machten, seine Filme aufzulisten, gab es damals noch nicht. Somit konnten die Zuschauer, die sich in MONDO CANNIBALE verirrten, auch nicht ahnen, dass dieser neueste Kannibalen-Reißer von einem Regisseur stammte, der von dieser Spielart des Horrorfilms ideell kaum weiter entfernt hätte sein können. Franco interessierte sich für die Improvisation, für die Poesie, die aus dem Trivialen erwächst, für das, was zwischen den Verfolgungsjagden, Ballereien und Schocks des Genrekinos passierte, für das Banale, den Smalltalk oder den lästigen Weg von A nach B. Die Nummernrevue des Kannibalenfilms, der atemlos eine „Attraktion“ an die andere reiht, war seine Sache nicht, genauso wenig wie Gore und Splatter. Wenn man das weiß, versteht man auch, warum MONDO CANNIBALE so aussieht wie er aussieht: Die ausschließlich in extremen Nahaufnahmen gehaltenen Fressszenen werden mit Hall unterlegt, durch Zeitlupe gnadenlos in die Länge gezogen und so zur nervenzerrenden Zerreißprobe für den Zuschauer, der doch eigentlich Tempo, Thrill und grelle Schocks will. Es wird endlos viel gelatscht, was für einen Kannibalenfilm nicht so ungewöhnlich ist, hier aber allein durch das Setting noch auf die Spitze getrieben wird: Francos „Urwald“ ist schätzungsweise der botanische Garten von Marbella, es gibt steingesäumte Kakteenbeete, breite Sandwege, ausladende Steinhäuser hinter den Palmen und einmal nimmt die Kamera gar einen Baum ins Visier, in dessen Rinde der zuständige Forstbeamte einige Zahlen geritzt hat. Auch die Bedrohung durch die gefährlichen Kannibalen, die dem Zuschauer in besseren Genrevertretern über langweilige Durststrecken hinweg hilft, verpufft, sobald man sie zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, nämlich gleich zu Beginn des Films. Franco rekrutierte seine „Wilden“ offensichtlich aus den Reihen der anndalusischen Eisenbahnergewerkschaft: Da finden sich Schnauz- und Vollbärte, akkurate Scheitel, blasse Trichterbrüste und dicke Pedros mit behaartem Bierbauch. Ich schwöre, dass einer der Kannibalen aussieht wie Ilja Richter in Frauenklamotten in TANTE TRUDE AUS BUXTEHUDE! Die „Helden“ reißen sich auch nicht gerade ein Bein aus, um die Illusion von Lebensgefahr zu verkaufen, stapfen gelangweilt durch die Botanik, machen mal kurz „Kreisch!“, wenn einer der Kannibalen mit Dynamo-Dresden-Fanbemalung aus dem Gebüsch lugt und sterben ohne langes Federlesen. Am besten hat mir das Ehepaar gefallen, dass kurz nach dem Aussteigen aus dem Jeep schon wieder kehrt macht und dann auch nicht weiter vorkommt. Der grinsende Gentleman (Typ: Anton Diffing für Arme), der unbemerkt von den anderen einen Herzanfall erleidet und dann sprichwörtlich „ins Wasser“ geht, ist aber auch nicht schlecht. Die englische Synchro greift dem Film verzweifelt unter die Arme, in dem sie die Figuren selbst dann noch ununterbrochen faseln lässt, wenn sie sichtbar den Mund geschlossen haben.
Aber das Ding ist: Selbst wenn man mit Humor an die Sache herangeht, ist MONDO CANNIBALE immer noch ziemlich öde, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich auch Franco selbst königlich gelangweilt hat.