Mit ‘Franklin J. Schaffner’ getaggte Beiträge

Einer jener großen Klassiker der Siebzigerjahre, den ich bislang noch nicht gesehen habe. Lediglich die gezeichnete MAD-Parodie begleitete mich durch meine Jugend, ohne dass ich mich jedoch heute noch an Details erinnern könnte. Der auf dem autobiografischen Roman von Henri Charriére basierende Film handelt von den Erlebnissen seines titelgebenden Protagonisten in einem Gefängnis in Französisch-Guayana in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wo dieser unter anderem zwei Jahre in Isolationshaft verbringen musste, und von seinem unauslöschlichen Freiheitsdrang, der ihn auch die größten Strapazen seelisch ungebrochen überstehen ließ – bis ihm dann tatsächlich eines Tages die Flucht unter überaus widrigen Bedingungen gelang.

Franklin J. Schaffner machte aus der vom Geist des Humanismus beseelten Vorlage einen epischen Gefängnis- und Abenteuerfilm, der die grausame Unmenschlichkeit des französischen Strafsystems in schwer zu ertragenden Tableaus nachzeichnet, seinen Helden einer nicht enden wollenden Tortur aussetzt, ihn aber immer wieder über die Umstände triumphieren lässt. PAPILLON erzählt vordergründig die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte eines außergewöhnlichen Mannes, mehr aber noch vom menschlichen Überlebenstrieb als einer geradezu evolutionären Kraft. Es ist egal, was man „Papillon“ an Steinen in den Weg legt, wie man ihn zu brechen versucht: Er wird sich nicht fügen, wird nicht klein beigeben, weil er weiß, dass er unschuldig und sein Anspruch auf Freiheit gerecht ist. Diese Freiheit, sie ist von Anfang an seine Motivation, auch wenn sie als noch so kleines Lichtlein am Ende eines langen, dunklen, kaum zu bewältigenden Tunnels scheint, sie ist das, was ihn am Leben hält und jede ihm auferlegte Strafe und Folter überstehen lässt. PAPILLON funktioniert so nicht nur als Lobgesang auf den menschlichen Willen, auf das unablässige Streben nach der Verwirklichung der eigenen Ideale im Angesicht unüberwindlicher Schwierigkeiten, er richtet sich an alle Opfer von Unterdrückung und ihre Peiniger: Am Ende wird der Mensch über das Unrechtssystem siegen, weil er sich nicht dauerhaft kleinhalten lässt. So ist auch der finale Kommentar zu verstehen: Die Gefängnisanstalten, in denen Menschen systematisch zerstört wurden, schlossen ihre Pforten, da war „Papillon“ noch am Leben.

Für Steve McQueen, der zu jenem Zeitpunkt wieder an seinen zum Ende der Sechzigerjahre erworbenen Ruhm anknüpfen konnte, tatsächlich aber schon fast am Ende seiner viel zu kurzen Karriere stand, war PAPILLON so etwas wie die Gelegenheit, sich selbst ein Denkmal zu errichten. Er bestreitet fast jede Szene des 150 Minuten langen Films und deckt dabei ein enorm breites Spektrum vom toughen Einzelgänger, auf den er abonniert war, über das abgemagerte, geistig verwirrte Folteropfer bis hin zum grauhaarigen, zittrigen Greis ab. Auch wenn diese Vielfalt und die epische Breite – die Handlung von PAIPLLON erstreckt sich über mehr als zehn Jahre (Charriére war von 1933 bis 1945 in Französisch-Guayana inhaftiert) – Neuland für McQueen waren, so war er dennoch die Idealbesetzung. Den Stoiker, an dem jede Demütigung, jede Bestrafung und Verletzung abprallen, weil er von seiner Mission beseelt ist, verkörperte McQueen nicht nur in fast jedem seiner Filme, er stand ihm auch als Privatmensch nahe. Es war eine Ironie des Schicksals, dass dieselben Eigenschaften, die seinen „Papillon“ zum Publikumshelden und Rollenvorbild machten, mitverantwortlich dafür waren, dass McQueen für seine Darbietung die höchsten Schauspielweihen versagt blieben. Für seine aufopferungsvolles Spiel hatte McQueen eigentlich den Oscar verdient gehabt, doch er erhielt nicht einmal eine Nominierung (stattdessen gewann Jack Lemmon für den heute völlig vergessenen SAVE THE TIGER). Mit zu vielen einflussreichen Hollywood-Größen hatte er sich in den Jahren seiner großen Erfolge überworfen, zu viele hatte er mit mangelnder Kompromissbereitschaft und Dickköpfigkeit verprellt. Zwar erreichte er sein mit äußerster Konsequenz und Entschlossenheit verfolgtes Ziel, der größte Hollywood-Star zu werden, aber auf dem Gipfel stellte er dann fest, dort sehr einsam zu sein.

PAPILLON könnte man mit bösem Willen als idealtypisches Oscar-Bait bezeichnen: Er ist lang, basiert auf einer wahren Geschichte, zeichnet den Leidensweg eines überdurchschnittlich tapferen Mannes und ermöglicht seinen Hauptdarstellern, alle Register ihres Könnens zu ziehen. Was ihn aber von heutigen Vertreter jener fragwürdigen Gattung Film unterscheidet, ist ein Mangel an melodramatischer Tränendrückerei. Schaffners Film ist im Gegenteil beseelt von der Unverdrossenheit des Protagonisten, der nie im Selbstmitleid versinkt, sich stets einen gewissen Humor bewahrt. Er hält auch keine großen Reden auf die Würde des Menschen oder den Wert der Freiheit, genauso wenig wie er seine Peiniger mit Hass überzieht. Fast scheint er seine missliche Lage als Abenteuer zu betrachten, als eine Aufgabe, die ihm das Leben gestellt hat, und die er um jeden Preis bewältigen möchte. PAPILLON behandelt seinen Titelhelden nicht so sehr als inspirierendes Vorbild, denn als krasse Ausnahmeerscheinung, seine Leidensfähigkeit fast als pathologischen Zustand. Dieser „Papillon“ ist nicht wie andere Menschen. Neben seinem Einzelhaft-Martyrium hinterließ vor allem der Schluss große Wirkung bei mir: Wie sich die beiden Freunde, Papillon und Dega (Dustin Hoffman), da nach jahrelang geteiltem Leid für immer trennen, der eine den letzten waghalsigen Fluchtversuch unternimmt, der andere weiß, dass sein Mut dazu nicht ausreicht, und sich umdreht, um in seine karge Behausung zurückzukehren, in der er sterben wird, schnürte mir noch einmal den Hals zusammen. Beide haben sie Recht, jeder handelt so, wie es sein Wesen ihm diktiert. Es gibt, trotz ihrer Freundschaft, nichts mehr, worüber sie sich noch verständigen müssten. Hier trennen sich ihre Wege für immer. Und so springt Papillon in die 30 Meter unter ihm tosenden Fluten, um auf einem Sack Kokosnüsse in die Freiheit zu treiben. Steve McQueen führte den halsbrecherischen Stunt selbst durch, als Zeichen der absoluten Verschmelzung mit seinem Charakter. Trotzdem wünschte ich, PAPILLON hätte auf den finalen, hochgradig Voice-over verzichtet, der dem Zuschauer versichert, dass Papillon sein Ziel erreichte und in Freiheit starb. Für den Triumph dieser Figur und dieses Films ist das ganz und gar nachrangig. Was zählt, ist das trotzige Lachen, dass Papillon auf den Wellen treibend, zahnlos, grau und alt gen Himmel schickt.

Im 11. Jarhundert erhält der Ritter Chrysagon de la Crou (Charlton Heston) von seinem Herrn ein Lehn: ein kleines von heidnischen Fischern und Bauern bewohntes Dorf, das immer wieder von den Friesen überfallen wird und das nun verteidigt und gesichert werden soll. Doch dort angekommen verliebt sich der Ritter in das Bauernmädchen Bronwyn (Rosemary Forsyth) und nimmt sie trotz bestehender Ehe mit dem Dorfbewohner Marc (James Farentino) zu sich. Die Dorfbewohner sind aufgebracht: Ein Umstand, der den einfallenden Friesen in die Karten spielt …

war_lord[1]Im vergangenen Jahr habe ich eine traurige Erkenntnis erlangt: Ich finde Monumentalfilme todsterbenslangweilig. In der Erinnerung, die mich in eine Zeit zurückversetzt, in der ich als Steppke begeistert vor der Glotze saß und die Geschichten um Ritter, Römer und Piraten vom Strudel der bunten Bilder mitgerissen begierig aufgesogen habe, begeistern mich diese Filme nach wie vor, lösen ein wohlig-nostalgisches Gefühl aus. Nur lässt sich dies in der Realität einfach nicht mehr reproduzieren. Die beiden letzten Filme dieser Gattung, die ich mir angeschaut habe, EL CID und QUO VADIS?, haben in mir das Bedürfnis geweckt, mit einer Schere einzugreifen und diese Epen auf ein gesundes Maß zurechtzustutzen, sie von ihren ewig andauernden Dialogszenen und ihrer geradezu ernüchternden Eineindeutigkeit zu befreien. Obwohl der Monumentalfilm es sich zum Ziel gemacht hat, die Möglichkeiten seines Mediums und den Reichtum Hollywoods voll auszuschöpfen, muten diese Filme auf mich geradzu antifilmisch an: Ihre Regisseure sind zu überforderten Logistikern und Organisatoren degradiert, erzählerische Finesse wird durch lückenlose Reproduktion ersetzt und wenn die schier unerschöpflichen Mittel doch einmal an ihre Grenzen stoßen, wird über das, was nicht gezeigt werden kann, einfach geredet. Im Grunde erinnert der Monumentalfilm an längst überkommene oder aber auf die Volksbühnen verbannte Theaterinszenierungen: Männer und Frauen stehen in Kulissen und reden. Im Monumentalfilm ist alles viel größer und statt eines fallenden Vorhangs, des Kostümwechsels und Kulissenumbaus gibt es nun praktischerweise den Schnitt. Doch darin erschöpft sich die inszenatorische Kreativität meist auch schon. Der ideale Zuschauer wird wahrscheinlich damit zufrieden und der Meinung sein, der betriebene Aufwand mache diesen Mangel vergessen: Klar, das Kind im Manne frohlockt, wenn sich die Gladiatoren durchs nachgebaute Colosseum balgen, doch auf 150 Minuten ausgewalzt erschöpft sich zuindest bei mir auch dieser Effekt irgendwann. Meine Sichtung von THE WAR LORD stand demzufolge unter einem denkbar schlechten Vorzeichen.

THE WAR LORD aus dem Jahr 1965 ist einer der letzten Filme seines Genres, das mit den Umwälzungen, die Arthur Penns BONNIE & CLYDE initiierte – und damit ausgerechnet  jener Regisseur, der für EL CID noch verantwortlich gezeichnet hatte -, als Altvorderenkino abgestraft und „abgeschafft“ wurde. Dementsprechend teilt Schaffners Film einige der oben genannten Charakteristika, überwindet aber gleichzeitig einige der dem Genre – entgegen dessen Bezeichnung – inhärenten Limitierungen. THE WAR LORD kommt ausgesprochen handlich daher, mit einer Länge von knapp unter zwei Stunden und einem auf das Wesentliche reduzierten Plot. Anstatt weltbewegende historische Vorgänge abzubilden, bedient sich Schaffner eher eines Detailblickes und zeichnet „seine“ Epoche anhand eines kleinen, unwesentlichen Ereignisses nach. THE WAR LORD wirkt so weniger überfrachtet und auch authentischer als die großen Historienfilme, die zwar mit ihrer Größe hausieren gehen, aber gemessen an der tatsächlichen Größe der Ereignisse, die sie abbilden wollen, letztlich doch wieder irgendwie klein, miefig und hölzern erscheinen. Statt in Rom, Babylon, Jerusalem oder Kairo ist die Geschichte um den Ritter Chrysagon in einem winzigen Dorf im Morast der Normandie angesiedelt und der Kern der Geschichte kreist weniger um den Konflikt zwischen Chrysagons Männern mit den Friesen als vielmehr um den zwischen den Adligen und dem gemeinen Volk. Chrysagon ist hin- und hergerissen zwischen der Loyalität für seinen Stand und seinen Herrn und der Liebe für das Bauernmädchen Bronwyn. Seine Aufgabe, Frieden mit den Einwohnern und damit auch das Dorf zu halten, kann er nicht befehlsgemäß erfüllen, weil ihm die Emotionen dazwischenkommen. Damit einher geht für ihn aber auch ein Selbsterkenntnisprozess: Wenn er die Aufgaben, die ihm als Ritter übertragen wurden, nicht erfüllen kann, so ist er demzufolge kein Ritter mehr. THE WAR LORD erzählt damit von einem schweren inneren Konflikt, der sich vor dem Hintergrund eines zwar handfesteren, aber eben nur äußeren Konflikts abspielt und typisch für den Film(helden) dieser Umbruchsphase ist. Es ist nur ein kleiner Schritt von Chrysagon zu den resignierten alten Männern des Spätwesterns, der ein paar Jahre später populär werden sollte, und die bei der Suche nach ihrem Traum immer nur dessen Ende fanden. Dazu passt auch das Finale: Nachdem Chrysagon die erbitterte Schlacht gegen die Friesen mit einer Geste der Freundschaft beendet, bietet ihm deren Anführer die Freundschaft und das Exil an, in dem der Edelmann der Strafe seines Herrn entgehen würde. Chrysagons Werte ensprechen zwar nicht mehr denen seines Systems, trotzdem will er sich seiner Verantwortung nicht entziehen. Er wird sich, ritterlich wie er ist, dem Urteil seines Herrn stellen und die Strafe, die ihn erwartet, tapfer auf sich nehmen. In der Welt ist eh kein Platz mehr für ihn.

Schaffners Film besticht natürlich durch seine Kulisse und die auch heute noch aufregenden Actionszenen – der Kampf um den einen Wehrturm ist gerade wegen dieses minimalistischen Szenarios so aufregend – aber auch durch die Aufrichtigkeit, die er jenen Menschen entgegenbringt, die im Monumentalkino sonst stets marginalisiert wurden. Die Besetzung mit Charlton Heston hingegen ist diskussionswürdig: auf der einen Seite sicherlich geschickt, weil Heston als einer der Hauptdarsteller großer Historienfilme eine ideale Besetzung für einen Film scheint, der doch auch vom Ende seines Heldentyps erzählt (Heston geht stellvertretend für seine Persona in den Tod); auf der anderen mag man dem Star diese neue Sensibilität nicht abnehmen, ist er immer nur dann wirklich überzeugend, wenn er den chauvinistischen Herrenmenschen gibt (angesichts der scheußlichen Topffrisur, die man ihm hier hat angedeihen lassen, eine nicht zu unterschätzende Leistung). Trotz dieser Einwände ist THE WAR LORD durchaus sehenswert. So jedenfalls lasse ich mir Monumentalkino gefallen.